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XIII. Wenn Fußball die Welt regiert

Das Achtelfinale im DFB-Pokal steht vor der Tür. Es geht gegen die Amateure von Werder Bremen. Eigentlich ein leichter Gegner und doch sind sie alle unglaublich nervös.

In den Pokalspielen haben sie bisher nur geglänzt. Was, wenn sich das jetzt ändert, wo sie in der Liga auch richtig gut spielen? Was, wenn sich jetzt alles ändert?

Die Presse hat die Dortmunder zum Favoriten hochgejubelt, vor allem nach den ersten beiden Rückrundenspielen. Sie gelten schon jetzt als die große Überraschung für die Rückrunde und es wird schon spekuliert, ob das nur ein Strohfeuer ist oder ob sich diese Mannschaft wirklich am Riemen reißen und den Klassenerhalt noch schaffen kann.

„Jungs, habt Spaß da draußen. Habt einfach Spaß. Denkt immer daran, der Pokal ist Bonus. Worauf es ankommt, ist der Klassenerhalt in der Liga.“ Knieschewskis Worte haben sie alle überrascht. Der Vorstand sieht das etwas anders, denn durch den Pokal kommen so einige Gelder in die viel zu leeren Kassen.

Entsprechend nervös und angespannt sind die elf Mann, die neben den Bremern auf den Platz marschieren. Raphael ist nicht unter ihnen. Er gesellt sich wieder zu der Gruppe auf der Bank. So ganz durchschaut er die Logik und die Absichten des Trainers nicht, aber er fügt sich. Wenn es jemanden gibt, dem er vertraut, dann ist es Knie. Dieser hat ihm noch nie etwas Böses gewollt und von ihm hat er bisher nur Wertschätzung für seine Leistung erfahren. Anders als woanders.

Dennoch ist es schwer zuzusehen, wie die elf Dortmunder Aufstellung beziehen. Er will schließlich auch spielen. Nichts mehr als spielen!
 

Die Bremer Amateure kommen gut ins Spiel, machen Druck. Die Dortmunder – heute ganz in Rot, da die Bremer in Weiß aufgelaufen sind – spielen unruhig und nervös. Natürlich nutzt das der Gegner aus und innerhalb der ersten Viertelstunde gibt es gleich drei dicke Chancen für sie.

Raphael beißt sich auf die Unterlippe, um nicht aufzuschreien. Verdammt, was ist mit den Jungs nur los? Sie können das doch hundert- – ach, Quatsch – tausendmal besser! Und dennoch leisten sie sich Fehler, die ihnen nicht unterlaufen sollten. Es ist Glück, dass sie noch nicht hinten liegen.

Und es ist Glück, dass sie zur Halbzeit erst ein Gegentor kassiert haben.

„Genau so ein Spiel wollte ich nicht von euch sehen“, beginnt Knie seine Ansprache in der Halbzeitpause in der Kabine. „Ihr habt so viel Angst, dass ihr gar nicht mehr den Ball trefft.“ Der Satz sitzt – das ist an den Gesichtern der Spieler nur allzu deutlich zu sehen. „Ihr sollt Fußball spielen. Denkt nicht an den Stand und das Ergebnis. Spielt einfach. Das ist doch das, wofür ihr geboren seid. Oder nicht?“

Fasziniert beobachtet Raphael, wie sich in den Gesichtern etwas ändert. Diese wenigen Worte haben etwas bewegt. Alejandro lächelt leicht und nickt. Christian und Julian grinsen sich aufmunternd an und so etwas wie neue Energie, neue Kraft durchzieht die Kabine. Hängende Schultern werden zurückgenommen, gesenkte Köpfe aufrecht getragen.

Sie werden Fußball spielen! – Das drückt jeder von ihnen aus.

Als sie wieder aus der Kabine kommen, hat Knieschewski zur Überraschung aller kein einziges Mal gewechselt. Und dennoch ist die Mannschaft auf dem Platz wie ausgewechselt.

Sie drängen nach vorne, suchen die Ballkontakte und die Zweikämpfe. Die Abwehr steht auf einmal sicherer, weil dort keiner mehr Angst vor einem Fehler hat. Es wird bewusst auf Risiko gespielt und darauf vertraut, dass stets ein anderer daneben ist und bereit ist, sich reinzuhängen.

Natürlich geht das doch nicht ohne Fehler und brenzlige Situationen vonstatten, aber das Spielgefühl, das ist ein vollkommen anderes. Die Mannschaft, die da jetzt spielt, ist wieder die Überraschung des diesjährigen DFB-Pokals und der Bundesliga-Rückrunde.
 

Nach 60 Minuten gelingt der Ausgleich. Alejandro ist es, der eines seiner seltenen Tore schießt. Ein Traumschuss – er zieht den Eckball direkt aufs Tor. Sonst geht er diese Risiken nie ein, weil er weiß, dass ihm diese Schüsse selten gelingen. Aber heute, heute traut er sich und wird dafür belohnt.

Raphael ist längst dabei, sich gemeinsam mit Acun warmzumachen. Sie jubeln an der Seitenlinie wie verrückt, als der Ball einschlägt. Doch die große Überraschung ist, dass der Kapitän – mit Sturm und halben Mittelfeld im Schlepptau – zu ihnen gerannt kommt und Raphael um den Hals fällt. Der weiß gar nicht so recht, wie ihm geschieht, kann Alejandro nur lachend an sich drücken und ihm seine Glückwünsche ins Ohr schreien.

Zehn Minuten später dürfen Acun und er rein. Dafür müssen Augustin und Gabriel vom Platz, die sich beide in den 25 Minuten der zweiten Halbzeit total ausgepowert haben. Nur fünf Minuten später wird Stefan eingewechselt – für Julian, wie Raphael mit einem komischen Gefühl im Bauch sieht.

Seit dem Abend im Miami haben sie nicht mehr miteinander gesprochen und das tut Raphael doch leid. Er vermisst es, mit Julian zu reden. Vermisst ihn. Ganz einfach ihn. Und er weiß, dass er sich den Grund für diese Spannungen zu einem großen Teil selbst zuzuschreiben hat – aber kann auch nicht raus aus seiner Haut. Nur auf dem Platz, da kamen sie sich bisher immer noch mal irgendwie nahe, da schienen die Abgründe und Abstände zwischen ihnen nicht mehr zu existieren. So, als wenn der Fußball die einzige verbliebene Brücke zwischen ihnen wäre. Was, wenn diese jetzt auch einbricht? Was dann? Raphael mag gar nicht daran denken. Denn wenn er eins kapiert hat, dann, dass er Julian nicht aus seinem Leben verlieren will. Wenigstens gute Kameraden sollen sie sein, wenn sie schon nie wieder Freunde werden können.

Wie paralysiert steht er da, sieht Julian nach, wie er das Spielfeld verlässt, bei Stefan einschlägt, dann bei Knie und der gesamten Ersatzbank.

„Nicht träumen, Raffe, spielen.“ Alejandro knufft ihn in die Seite und holt ihn aus seiner Starre.

Logisch, was steht er hier auch wie ein Depp und starrt Julian hinterher?

Er reißt sich zusammen und konzentriert sich auf das, was gerade wichtiger ist: Fußball.
 

Es ist in der 80. Minute, als Raphael und Acun nur zusehen können, wie Adrian im Bremer Strafraum von den Beinen geholt wird. Die Aufregung ist groß und Raphael muss den türkischen Stürmer festhalten, damit der nicht auf den Bremer Torwart losgeht. Die Entscheidung ist eindeutig: Elfmeter für die Karos, die heute ja gar nicht kariert tragen.

Ein kurzer Blickwechsel zwischen Alejandro und Raphael. Sie sind beide für die Standards zuständig. Ale ist der bessere Elfmeterschütze, aber er ist müde. Daher nickt er der Nummer zwölf zu. Raphael muss schlucken. Er soll schießen. Er soll diesen wichtigen Ball schießen.

Und während er zu dem weißen Punkt geht, Acun ihm auf die Schulter schlägt, der Killer und Mürre ihm zunicken, da kapiert er auf einmal, dass das Vertrauen da ist. Der Mannschaft in ihn. Der einzelnen Spieler in ihn. Und seines in das Team. Da gibt es keine Zweifel mehr.

Er legt sich den Ball zurecht und tritt langsam zurück. Er sieht den Keeper nicht an, lässt den Blick nur kurz über das Tor gleiten, ehe er auf den Ball schaut. Für einen Wimpernschlag schließt er die Augen und atmet tief durch.

Dann erklingt der Pfiff und er rennt los. Fünf Schritte sind es nur bis zum Ball. Er zieht ab, hämmert das Leder mit aller Gewalt oben rechts unter dem Lattenkreuz ins Netz.

Er hat gar keine Energie, weiterzurennen und zu jubeln, all seine Kraft lag in diesem Schuss. Er bleibt einfach stehen. Dann springt ihn Acun von hinten an, brüllt ihm seinen Jubel ins Ohr. Alejandro und der Killer drücken ihn gleichzeitig, ehe sich auch Adrian, Chris und Stefan der Gruppenumarmung anschließen – kurz: alle Dortmunder, die sich in der Nähe des Strafraums befinden.

Es gibt Augenblicke, da bedeutet Fußball einfach die Welt.



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