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VIII. Wenn man für Fußball Teamgeist, Vertrauen und Spaß braucht

Knie hat beschlossen, dass sie ihren Teamgeist verbessern müssen. Und das heißt, dass sie nicht nur allein in kleinen Gruppen Fußball zusammenspielen, um diesen zu fördern und ihr Zusammenspiel zu verbessern, nein, das heißt auch, dass er ihnen alles Mögliche an anderen Teamsportarten serviert. Sie spielen Volleyball und Basketball. Er hat sogar den alten Schulsport Völkerball ausgegraben, was die meisten von ihnen in den ersten Jahren der weiterführenden Schule das letzte Mal gespielt haben. Zur Krönung gibt es dann sogar noch Handball und Wasserball.

Kurzum: Alles, wo ein Ball mit im Spiel ist und sie als Mannschaft zusammenspielen müssen. Nur Football und Rugby lassen sie aus, wahrscheinlich, weil er Angst hat, dass sie sich sonst ernsthaft verletzen.

Doch damit nicht genug.

Nein, er will auch ihr Vertrauen fördern und macht dafür entsprechende Spielchen.

Einer von ihnen muss auf zwei Turnkisten klettern und sich von dort aus rückwärts in die Arme von sechs Mitspielern fallen lassen. Eigentlich eine ganz leichte Sache.

Raphael gehört zu der ersten Siebenergruppe, die sich dieser Aufgabe stellt, während die anderen weiterkicken. Julian lässt sich fallen – kein Problem. Alejandro lässt sich fallen – kein Problem. Christian lässt sich fallen – kein Problem. Bei so was sind alle Schwierigkeiten zwischen ihnen doch vergessen. Genauso bei Kietz. Auch bei Stefan ist das kein Thema. Noch weniger bei dem Killer.

Und jetzt muss er selbst auf diese Kisten klettern und schaut zu den anderen runter. Auf einmal wird ihm flau im Magen. Scheiße.

Wenn der Killer da nicht stehen würde, dann würde er das jetzt nicht machen. Bei dem ist er sich wenigstens wirklich sicher, dass er ihn auffangen wird, auffangen will. Aber bei den anderen... Wenn sie nicht müssten... Was wäre dann?

Er dreht sich langsam um und spürt, wie sein Herz in der Brust rast. Das ist unlogisch. Natürlich werden sie ihn nicht auf den Boden knallen lassen. Knie würde ihnen was erzählen. Aber... Sein Vertrauen in diese Menschen ist weg. Einfach so. Und das erschreckt ihn.

Er kreuzt die Arme auf der Brust und lässt sich mit zusammengebissenen Zähnen fallen. Wenn er noch länger zögert, dann fällt es auf und das will er nicht. Nein, er muss sich fallen lassen. Das geht doch gar nicht anders. Also tut er es.

Das Gefühl der starken Arme, die ihn auffangen, ihn halten, ist im ersten Moment einfach unbeschreiblich. Ihm entweicht ein leises Aufkeuchen und er öffnet die Augen, die er unwillkürlich geschlossen hat. Mehr oder weniger sachte wird er auf den Boden gestellt und er hält sich erst einmal an der Schulter des Killers fest, weil ihn seine Beine nicht so recht tragen wollen. Er hätte nie gedacht, dass sich ein solches Kinderspiel so anfühlen kann.

Die Blicke, die ihm Knie und Alejandro zuwerfen, die machen mehr als deutlich, dass sie verstanden haben, was in ihm vorgeht. Dass sie ihn durchschaut haben. Dass er nach den Querelen in den letzten Tagen das Vertrauen verloren hat. Ihn trifft diese Tatsache sehr, doch gleichzeitig ist er sich auch ziemlich sicher, dass es einigen der anderen genauso gehen wird. Knie hat sich diese Übung ja nicht nur speziell für ihn ausgedacht. An Vertrauen fehlt es ihnen allen wohl im Moment.

Weiter geht es zur nächsten Runde Fußball. Raphael hat den Kopf gesenkt und schaut auf seine Füße, während die nächste Siebenergruppe an ihnen vorbeigeht und sich der Vertrauensfrage stellt.

„Ich habe Vertrauen in dich.“ Julian ist schneller an ihm vorbei, als er die leisen Worte wirklich begriffen hat. Doch dann macht es „Klick“ und er schaut dem blonden Mittelfeldspieler verblüfft nach. Er... hat Vertrauen in ihn? Nach allem, was passiert ist? Gerade von Julian hätte er anderes erwartet. Besonders nach ihrem letzten Gespräch, aber... er hat Vertrauen. Einfach so.

Er beißt sich auf die Unterlippe, um ein breites, äußerst dämliches Grinsen zu verhindern. Julian hat Vertrauen in ihn. Wow.
 

Knie schaut sich das Training schon eine Weile an und schüttelt den Kopf. Sie strengen sich an, sie geben ihr Bestes, aber er vermisst etwas.

„Okay, Jungs, habt einfach mal ein bisschen Spaß mit dem Ball.“

„Wat?“ Der Killer bringt mal wieder auf den Punkt, was sie alle denken. Verwirrt sehen sie ihren Trainer an.

„Was ist daran so schwer zu verstehen? Ihr liebt Fußball, also geht auf den Platz und habt ein bisschen Spaß mit dem Ball. Spielt gegeneinander, miteinander. Erinnert euch daran, dass Fußball auch Spaß macht und nicht nur eine Pflicht ist, die ihr zu erfüllen habt, weil ihr so einen dusseligen Vertrag besitzt. Spielt! Habt verdammt noch mal Spaß!“ Damit scheucht er sie mit heftigen Handbewegungen davon. Sein Co-Trainer Rudolf grinst breit. Er amüsiert sich sichtlich über ihre Verwirrung.

„Was zur Hölle will er?“ Raphael schüttelt den Kopf und kapiert gar nichts mehr. Sie haben doch Spaß, oder nicht?

„Du und ich? Spielen?“ Gabriel ist neben ihn und spricht ihn in seinem gebrochenen Deutsch an.

„Okay.“ Er lächelt und nickt leicht. Warum nicht? Kann er wenigstens noch ein bisschen mehr von dem Brasilianer lernen.

Lässig kicken sie sich den Ball zu. Hin und her, hin und her.

Dann beginnt Gabriel zu tricksen, nimmt den Ball hoch an, lässt ihn gezielt aufticken und springt zur Seite, wie um einem unsichtbaren Gegner auszuweichen, und spielt ihn dann ganz locker zu Raphael zurück.

„Mach das noch mal“, bitte dieser und der Brasilianer tut das mit einem breiten Grinsen, sodass die perlweißen Zähne blitzen. Fasziniert beobachtet Raphael diese Bewegung und meint dann: „Ich versuch’s auch mal!“

Doch der Ball tickt zu weit weg und sorgt dafür, dass er ihm nachrennen muss. So geht es weiter. Jedes Mal, bis Gabriel schließlich lachen muss.

„Relax. Kein Wettkampf, nur Spaß. Ball spüren, mit Herz spielen, nicht mit Kopf“, erklärt er grinsend und schüttelt den Kopf.

Raphael zieht eine Schnute. „Leichter gesagt, als getan.“

„Schau.“ Gabriel beginnt, den Ball mit den Füßen, den Beinen, der Brust hochzuhalten. Einfach so, nur zum Spaß. Das ist es doch, was sie früher immer gemacht haben. Zum Spaß. Nicht, weil es viel bringt, sondern weil es Spaß macht.

Dann kickt Gabriel den Ball zu Raphael hinüber und dieser nimmt ihn mit dem Knie an, schubst ihn hoch in die Luft, macht einen Kopfball zu dem Brasilianer zurück und muss lachen.

„Genau.“ Gabriel grinst breit und nickt, als wenn Raphael gerade etwas sehr Wichtiges getan hätte.

Sie spielen sich den Ball weiter zu, tricksen ein wenig, machen schnelle Doppelpässe und vollkommen schräge Versuche, den Ball mal anders zu dem Mitspieler zu befördern. Und auf einmal ist es nicht mehr frustrierend, wenn Raphael im Gras landet, sondern er lacht darüber. Er lacht darüber, wenn er auf den Ball tritt oder bei einem komischen Trickversuch das Gleichgewicht verliert. Was macht das schon? Fußball macht doch Spaß!

...genau. Ganz genau, das ist es. Spielspaß. Spaß am Sport, an der Bewegung, am Ball.

Er weiß gar nicht mehr, wann er das das letzte Mal so überdeutlich empfunden hat. Da waren vor allem Ehrgeiz, Stress, Frust, Verbissenheit, Wut im Bauch. All das, aber kein Spaß mehr. Es ist, als wenn sich der Knoten in seinem Bauch löst. Als wenn die letzten anderthalb Jahre Frust und Versagen von ihm abfallen und nur das übrig bleibt, worum es wirklich geht: Fußball. Ein Fußball, der wirklich Spaß macht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yuiki
2014-06-30T09:56:47+00:00 30.06.2014 11:56
Das muss ich jetzt doch mal sagen...dieses Kapitelende hat mich so gerührt dass mir jetzt wirklich Tränen in den Augen stehen :x
Das ist so, so schön~


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