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VII. Wenn es auf dem Balkon einfach zu kalt ist

„Hey.“ Raphael spricht leise ins Telefon. Der Killer schläft noch und er will ihn eigentlich nicht wecken.

Langsam steht er auf und marschiert in seinen Schlafshorts auf den kleinen Balkon. Eigentlich ist es für die dünne Bekleidung zu kalt hier draußen, aber er hat auch keine Lust, sich noch etwas überzuziehen.

„Hey“, kommt es zurück. „Wie läuft es so, du Wahnsinniger?“

„Wahnsinnig trifft es wirklich.“ Raphael verdreht leicht die Augen. „Scheiße, wenn ich nicht wüsste, wofür ich mir den Mist hier antue, würde ich einfach alles hinschmeißen. Ich hab keinen Bock mehr, Paolo. Absolut nicht mehr.“

Der Italiener am anderen Ende der Leitung lacht und jedem anderen hätte er das jetzt wirklich übel genommen, nur Paolo nicht.

„Du wusstest doch, was auf dich zukommt. Und du wolltest es. Du wolltest den FC und das ist jetzt dein Preis. Was hast du erwartet?“

„Nicht, dass ich verprügelt werde.“

„Was?“ Der Aufschrei ist heftig und lässt für einen Augenblick Raphaels Ohr klingeln.

„Na, Chris hat mir vor ein paar Tagen eine verpasst. Die Lippe ist aber nicht mehr dick. Mhm... Und gestern ist es mit Kietz etwas heftiger geworden. Mir tun die Rippen noch weh.“

„Scheiße, wieso das denn?“

„Na, hab Chris gesagt, dass er nur Schiss um seinen Platz hat.“ Wieder Lachen von Paolos Seite her, das deutlich sagt, dass er sich dann über einen Schlag nicht wundern muss. „Und Kietz hab ich gesagt, dass er seinen Arsch schon bewegen muss, wenn er die rote Laterne noch mal abgeben will.“ Das Lachen wird lauter.

„Scheiße, die Prügel haste dir dann aber auch verdient!“

„Danke, ich dachte eigentlich, dass du mein Freund bist, Fischchen.“

„Bin ich auch, Raffe, bin ich auch. Aber das hast du dir echt selbst zuzuschreiben. Und wenn es nur so weit geht, ist das doch nur halb so schlimm. Übler wär’s, wenn du Alejandro so weit gereizt hättest, dass er dir eine knallt.“

„Nee... Der steht über all dem und behandelt mich so gönnerisch und herablassend, dass ich ihm noch mal an die Gurgel gehe.“

„Dann kannste das mit ihm aber gleich vergessen. Reiß dich zusammen und beweis dich ihm auf dem Platz – und dadurch, dass du dich nicht provozieren lässt. Du weißt doch, wie er tickt.“

„Ja, ja...“ Raphael stützt sich auf das kalte Geländer und tritt von einem Fuß auf den anderen. Wenigstens Schuhe hätte er sich anziehen sollen. Die Fliesen sind eisig unter seinen bloßen Fußsohlen.

„Wie ist es mit Julian?“

„Wie schon? So richtig schön beschissen.“

„Und wie fühlst du dich dabei?“

„Willst du mich verarschen? Scheiße natürlich. Es tut weh. Und irgendwie will da ein Teil von mir noch Hoffnung haben, aber es gibt nichts, worauf man noch hoffen kann. Der Zug ist abgefahren und je eher das in meinen Kopf kommt, desto besser. Er ist ein Mannschaftskamerad, nicht mehr.“

„Wenn du das sagst.“ Der Italiener klingt skeptisch.

„Sagt das nicht so. Das ist so. Ich kann’s doch nicht ändern.“

„Nicht, wenn du nicht willst.“

„Ach, hör auf.“ Raphael schüttelt den Kopf und starrt hinunter auf den Sportplatz. Er liegt leer in dem Dämmerlicht. Die ersten Sonnenstrahlen kraxeln gerade über den Horizont. Es ist zwar nicht mehr allzu früh, aber der Trainer lässt sie lange genug schlafen, weil er findet, dass man bei Dunkelheit ja auch nicht unbedingt auf den Platz laufen muss. Sie verbringen so schon genug Zeit da draußen. „Das bringt nichts. Absolut nichts.“

Nebel steigt aus den umliegenden Wiesen auf und etwas Raureif überzieht das Gras. Kein Wunder, dass ihm schweinekalt ist.

„Wenn du das sagst.“

„Verdammt, was erwartest du denn?“

„Dass du dich endlich mit ihm aussprichst. Dass du ihm alles auf den Tisch legst, dass du’s ihm erklärst. Er hatte alles Recht dazu, sauer zu sein. Ich hätte an seiner Stelle nicht anders reagiert. Was hättest du denn gesagt, wenn er auf einmal gewechselt hätte und hunderte Kilometer weggezogen wäre?“

„Ich hätte ihn nicht einfach so aufgegeben!“ Raphael schreit beinahe ins Telefon. „Nicht, nachdem ich ihm gesagt hätte, dass ich ihn liebe!“

„Du hast es ihm nie gesagt.“ Ein Vorwurf schwingt in Paolos Stimme mit und Raphael weiß sehr genau, was der kleine Italiener gerade für ein Gesicht zieht. Eine Miene, die sehr deutlich macht, dass er davon überhaupt nichts hält.

„Nein...“

„Das hätte vielleicht alles geändert. Aber so... Warum hätte er das denn alles eingehen sollen? Für ne Affäre? Für jemanden, bei dem er die ganze Zeit damit leben muss, dass da ständig irgendwelche Frauen in seinem Bett landen?“

„Hör auf! Du weißt, warum ich das tue!“

„Ja, ja...“ Er kann Paolo regelrecht abwinken hören. Er weiß sehr genau, was dieser von seinem Verhalten für eine Meinung hat. Dahingehend stehen sich Julian und er in nichts nach. In gar nichts.

Und doch ist es das, was Raphael für richtig hält. Wie sonst soll er denn nach außen hin zeigen, dass er nicht schwul ist? Wie soll er denn sonst den Schein waren? Er hat nun einmal keine beste Freundin, die mit ihm schauspielert. Und er fühlt sich dabei widerlich und schäbig und ekelt sich vor sich selbst. Das hat sich nicht geändert, auch wenn er merkt, dass er abstumpft. Mehr und mehr abstumpft.

Die Kälte kriecht durch seine Knochen und er zieht fröstelnd die Schultern hoch.

„Wat machste denn hier draußen, Raffe? Willste festfrieren?“ Der Killer reißt ihn aus seinen Gedanken.

Er wirft einen Blick über die Schulter und lächelt den verpennten Polen an. Dessen kurze Haare stehen jetzt noch abenteuerlicher vom Kopf ab als sonst immer. Wahrscheinlich ist das auch der Grund für den krassen Kurzhaarschnitt. Je kürzer die Haare sind, desto weniger können sie sich querlegen. „Ich muss Schluss machen. Rufe dich bald wieder an, Feuerfisch. Mach’s gut.“

„Mach du’s besser, Raffe“, kommt die neckend-liebevolle Antwort, dann ist die Verbindung weg.

„Ach, Paolo?“ Der Killer grinst und verschränkt die Arme vor seiner Brust. Ihm ist sichtlich kalt.

„Ja.“ Raphael lächelt minimal.

Dariusz fasst ihn am Arm. „Komm wieder mit rein. Deine Lippen sind ja schon ganz blau.“ Gehorsam folgt der Mittelfeldspieler und lässt sich auch einfach mit zum Bett ziehen, allerdings nicht, ohne vorher einen Zwischenstopp gemacht zu haben, um die Balkontür wieder zu schließen.

„Komm, ich tau dich auf.“ Der Killer grinst und hebt die Bettdecke auffordernd an.

„Aber komm mir nicht auf falsche Gedanken.“ Anzüglich hebt Raphael eine Augenbraue und krabbelt darunter. Wohlige Wärme umfängt ihn und sorgt dafür, dass er sich der Kälte seines Körpers umso bewusster wird.

„Scheiße, du fühlst dich an wie ein Eisklotz.“

„Du dafür wie eine Heizung.“

Beide müssen sie lachen. Der Killer umfängt ihn einladend mit seinen Armen und erlaubt ihm, sich noch etwas näher zu kuscheln. Einfach so. Etwas, das Raphael niemals erwartet hätte. Weder er noch Dariusz sind sonst solche Kuscheltypen, doch hier und jetzt ist das okay. Mehr als okay. Diese Wärme ist ihm äußerst willkommen.

„Sag mal...“

„Mhm?“ Raphael hebt unwillig den Kopf und blickt Dariusz an. Er war gerade dabei, einzudösen.

„Wie... wie ist das eigentlich, einen Mann zu küssen?“ Eine helle Röte überzieht die Wangen des sonst so harten Verteidigers und sorgt dafür, dass sich Raphael ein Auflachen verkneifen muss.

„Wie schon? Ist einfach ein Kuss.“

„...ist es anders als mit Frauen?“

„Es ist mit jedem Menschen anders.“

„Mhm...“ Dieser Laut sagt mehr als hundert Worte und Raphael muss grinsen.

„Willst du’s ausprobieren?“

„Wenn... wenn du das würdest...“

„Warum nicht?“ Jetzt muss er lachen. „Wir sind doch Freunde, da kann man das doch einfach mal ausprobieren. Aber keine Sorge, ich verguck mich auch nicht sofort in dich.“

„Na, da bin ich ja beruhigt. Meinen Hintern kriegste nämlich nicht!“, kontert der Killer sofort, woraufhin Raphael mit der einen Hand provozierend in eben dieses Hinterteil hineinkneift.

„Schade drum.“

Sie müssen beide lachen, doch als sie aufhören, ist das eine nervöse Spannung zwischen ihnen.

„Darf... darf ich wirklich?“

„Ja.“ Raphael sieht zu, wie der Killer langsam das bisschen Abstand zwischen ihnen überbrückt. Dann legen sich warme Lippen auf seine. Ganz eben, ganz vorsichtig und zurückhaltend, richtig schüchtern. Er muss unwillkürlich lächeln. Niedlich. Einfach nur niedlich.

Seine Zunge streicht sachte über die fremden Lippen und zögernd kommt ihm Dariusz entgegen. Die dunklen Augen blicken ihn noch einen kurzen Moment an, dann flattern die Lider zu und Raphael spürt, wie Unsicherheit Neugierde weicht, wie Dariusz sich mehr auf den Kuss einlässt, mit der Zungenspitze sachte über seine Unterlippe fährt, gegen seine eigene Zunge stupst. Der Kuss wird langsam intensiver. Ganz langsam. Aber sie haben ja alle Zeit der Welt.

Als sie sich schließlich von einander lösen, ringen sie beide etwas nach Atem.

„Mhm... Nicht schlecht“, bricht der Killer schließlich die Stille.

„Na, das will ich doch hoffen. Bisher hat mich noch niemand einen schlechten Küsser genannt.“ Raphael grinst breit.

„Aber ich glaub, ich bleib bei meinem Ufer.“

„Kein Problem. Und falls du’s dir noch mal überlegst, kannste ja immer noch zu mir kommen“, antwortet Raphael lachend und lehnt seinen Kopf gegen Dariusz’ Schulter. Müde schließt er die Augen.

Wenigstens ist ihm nicht mehr kalt.



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