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Verbrannte Erde

Aus dem Leben eines Soldaten
von

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Akt.III *** Auf Gedeih und Verderb: Kriegerinstinkt

Glossar:

"kafteinn" bedeutet "Hauptmann"

"herstjóri" bedeutet "General"

"leiðtogi" bedeutet "Anführer"

"ofursti" bedeutet "Oberst"
 

Projekt X 2008: Verbrannte Erde

Aus dem Leben eines Soldaten
 

Akt.III *** Auf Gedeih und Verderb: Kriegerinstinkt
 

Die drückende Schwüle des Nachmittages war kaum zu ertragen.

Am Himmel türmten sich massige Gewitterwolken auf, in Schwarz und Violett, Dunkelgrau, meliert von den gleißenden Zacken der Blitze und dem anschließenden Rumoren des Donners, die Sonne eine fahle Scheibe hinter dunklen Dunstschleiern.

Mit zusammengekniffenen Augen blickte der alte Schäfer zu den Wolken empor, schob seine Filzkappe in den Nacken.

Ihnen stand ein heftiges Unwetter bevor, wenn er die Anzeichen recht beurteilte.

„Da braut sich was zusammen, eiwei.“

Das Blöken der Schafe erfüllte die stagnierende Luft, in der sich Hitze und Statik gleichermaßen stauten, und er bezweifelte, dass er rechtzeitig zum Abendbrot zu Hause sein würde.

Dann pfiff er durch die Zähne, und drei schwarze Schemen wetzten aus dem Schatten eines chinesischen Rotholzes an seine Seite. Hechelnd und kläffend vor Ungeduld warteten die Hunde auf seinen Befehl, und als er seinen Arm anhob, stoben sie jählings davon, in die Weite der Talebene hinaus und trieben die große Herde mit erregtem Gebell zusammen.

Zweckmäßig ließ er seinen geschulten Blick zum Horizont schweifen, und er stutzte, als sich am gegenüberliegenden Hügelhang plötzlich die Silhouetten zweier Reiter abzeichneten.

Reisende? In dieser Gegend?

Eine seltene Erscheinung.
 

„Oh je, sieh dir das an. Wir sollten uns beeilen und nach einer Unterkunft Ausschau halten, bevor der Sturm losbricht“, grübelte Eldur halblaut vor sich hin, und unwillkürlich zog er seinen Kegelhut tiefer in die Stirn, als Schutz vor den Staub aufwirbelnden Böen, die unerbittlich an ihren langen Reisemänteln zerrten.

In von Menschen besiedelten Gegenden aufzufallen brachte zumeist Komplikationen der gewalttätigen Art mit sich.

„Hm.“

Logis universale Standardantwort auf alles.

Apropos Konversation.

Dass der kafteinn keinen sonderlich gesprächigen Reisegefährten abgeben würde, hätte er sich denken können, und es überraschte den Heiler nicht ernstlich, seit nunmehr achtundvierzig Stunden Selbstgespräche zu führen oder sich mit seinem Pferd zu unterhalten.

Worüber sprach man mit jemandem, den man nicht gedacht hatte jemals wieder zu sehen?

Er kannte ihn nicht, und Logi verzichtete geflissentlich darauf, ihn kennen lernen zu wollen.

Zusammenarbeit im Ernstfall?

Ausgeschlossen.

Insgeheim dankte Eldur dem göttlichen Geschick, oder dem herstjóri, wer auch immer es verantwortete, dafür, ihnen eine Mission in diplomatischer Angelegenheit zugeteilt zu haben. Ohne den Willen zur Kooperation endeten riskante Einsätze, die oftmals untrennbar mit kämpferischen Auseinandersetzungen verbunden waren, rasch und unvermeidlich im Desaster.

Oder gleich im Tod der Involvierten.

„Los.“

Kurzerhand ergriff er die Zügel von Logis Reittier und spornte das seine schnalzend zum Galopp an.
 

Dem Regen entkamen sie nicht.

Die ersten Tropfen fielen bereits, als sie den nahe liegenden Bach in der Talnische durchquerten, und alsbald entwickelte sich aus dem leisen Nieseln ein starker Schauer, sodass man die Hand nicht mehr vor Augen sah.

Ein Wolkenbruch.

Eldur rang mit seinem Orientierungssinn und den schlechten Sichtverhältnissen, und sein scheuender Wallach erleichterte dieses Unterfangen nicht gerade.

Verbissen klammerte er sich an die nassen Lederzügel, unschlüssig, wie er reagieren sollte.

Logi hingegen schienen die widrigen Umstände keine Ungemach zu bereiten.

Durch das ohrenbetäubende Rauschen und das Donnergrollen unfähig mit ihm zu kommunizieren, auf sich gestellt, mahnte sich der Heiler zur Ruhe – die Nervosität erschütterte seine Selbstbeherrschung.

Überdies hasste er Wasser.

Als ursprünglicher Gegenpol des Feuers störte es seine Wahrnehmung, verklärte seinen Verstand bis zur Benommenheit.

Schließlich zügelte er sein Pferd und hielt inne, keuchend, vom Stress und der Anspannung überwältigt, der endgültigen Konfusion erlegen, und er atmete erleichtert auf, als Logi seine Bereitschaft signalisierte, die Führung zu übernehmen.

Aus welchem Grund sollte er das Angebot des kafteinn ausschlagen?

Zugegeben, die Heeresleitung hatte beschlossen, ihm seine Stellung für eben diese Mission abzuerkennen, und den Heiler zum leitenden Verantwortlichen zu ernennen, doch er gestand sich seine Überforderung ein und die typischen Allüren hochrangiger – meist männlicher - Soldaten waren ihm fremd.

Im Feld besaß er de facto wenig Erfahrung, warum also auf einen falschen Stolz beharren und sich aus Prinzip nicht helfen lassen?

Je eher sie einen trockenen Platz zum Rasten fanden, desto besser.

Bei solch einer Witterung verging sogar ihm gehörig die Laune.
 

Eine Weile später und um diverse strapazierte Nerven reicher, artete ihr Ritt durch das nicht besonders idyllische Nirgendwo des Ostens allmählich in eine heitere Schlammpartie aus.

Die Pferde stolperten und rutschten, haltlos im Gefälle der hügeligen Landschaft, sodass die beiden Feuerdrachen letztendlich aus Rücksicht abstiegen und sich zu Fuß einen Weg durch den knöchelhohen Morast bahnten.

Eldur schnaufte, empfand es als unnötige Quälerei, die Tortur für eine Straftat, die er nicht begangen hatte, und er fluchte innerlich auf das vermaledeite Wetter und die verdammungswürdige Abhängigkeit aller Lebewesen vom Wasserelement.

Augenscheinlich hatte er durch die Bevorzugung seiner Heilertätigkeiten einen guten Teil seiner Kondition eingebüßt.

Außer Form. Verweichlicht.

Wann hatte er das letzte Mal eine Trainingshalle betreten?

Mit dem strammen Tempo, das Logi vorlegte, konnte er nur beschwerlich mithalten.

Welche verborgenen Energien der kafteinn dafür mobilisierte, war ihm ein Rätsel, denn er aß weder ausreichend viel noch regelmäßig. Feuerquellen existierten hier im Hinterland ebenso wenig.

Ob er nachts schlief, konnte er nicht mit Bestimmtheit behaupten.

Woher rührte seine unausgesprochene Motivation?

Er richtet sich zugrunde, langsam, aber effektiv.

Ratschläge und freundliches Zusprechen seinerseits zwecklos.

Stur, ausdauernd, und verschwiegen, das war er, wie die meisten Soldaten, dabei verhältnismäßig ausgeglichen.

„Hey… Logi“, ächzte Eldur entkräftet, nach Luft japsend. Der Regen rann ihm unablässig in den Nacken.

Und das Handzeichen, das ihm Logi anstatt einer Antwort gab, verstand er beim besten Willen nicht.

Zwischen Kapitulation und der Alternative des Lamentierens schwankend, schleppte er sich voran.
 

Erlösung erfuhr er erst in den frühen Abendstunden, die Dämmerung von den düsteren Regenwolken verschleiert, als er hinter einer Anhöhe mehrere Rauchfahnen entdeckte, die sich verheißungsvoll dem verhangenen Firmament entgegen kräuselten.

Frohgemut beschleunigte Eldur seine Schritte, in stiller Hoffnung auf ein Dach über dem Kopf und ein Bett für die Nacht.
 


 

***
 


 

Die antike Holztreppe knarrte unter Logis Gewicht, das Material abgewetzt und jahrhundertealt, und Eldur folgte ihm postwendend in das obere Stockwerk, nachdem er ein paar silberne Münzen gegen eine nummerierte Plakette auf dem Tresen eingetauscht hatte.

Wucher, brummte er in sich hinein.

Ihm behagte die Vorstellung nicht, die Nacht in einer Menschenherberge verbringen zu müssen, und er pflichtete dem Soldaten bei, dass das eine ziemlich blöde Idee war, doch allemal einem feuchten Nächtigen im Freien vorzuziehen.

Jenes Argument hatte die Entscheidung besiegelt und ihm Logis Segen gesichert.

Tarnung hieß die Devise, und demgemäß wagte der Heiler es nicht, auch bloß seinen Mantel abzustreifen oder den Hut abzulegen.

Die roten Haare waren verräterisch, das Signet der Feuerdrachen, und verleiteten so manch lebensmüden Sterblichen nicht selten dazu, Zeter und Mordio zu schreien bis sich die gesamte Rotte versammelte und gemeinsam auf einen zustürmte…
 

Sobald die Türe hinter ihnen geschlossen war, entledigte sich Eldur eilig seiner durchnässten Reisegarnitur, breitete die vollgesogenen Kleidungsstücke auf dem Boden aus.

„Zieh das aus“, wandte er sich nebenbei an Logi, der apathisch in der Mitte des Raumes stand, warf ihm einen auffordernden Seitenblick zu.

Der zeigte ihm daraufhin unverhohlen den Mittelfinger.

„Entzückend“, quittierte sein Gegenüber die obszöne Geste unbeeindruckt und hob die Augenbrauen.

„Aber vor mir brauchst du dich nun wirklich nicht zu zieren“, fügte er nüchternen Tones hinzu, während er sich aus seiner Unterwäsche schälte.

Logi schnaubte, trennte sich dann jedoch folgsam von Mantel und Waffenrock, trat seine Oberbekleidung achtlos beiseite.

Eldur erwog indes einen Moment, ob er sich weigern sollte, dem nachlässigen Drachen hinterher zu räumen wie ein Zimmermädchen, oder ob er sich fügte und dazu bereit erklärte, der morgigen Harmonie zuliebe.

Nachgiebig kam er letzterem nach.

Seufzend fuhr er sich durch das klamme, zinnoberrote Haar, erleichterte Logi mit einem fixen Handgriff um seinen Kegelhut.

Als er danach mit einem Fingerschnippen die Kerze auf dem niedrigen Nachttisch entzündete, erkannte er den möglichen Anlass für den Unmut des kafteinn.

Zwei Personen, ein Bett.

Hatte der Wirt sie etwa irrtümlich für ein Pärchen gehalten?

Er selbst hielt das für unwahrscheinlich, wenn er bedachte, dass er dieselbe Tracht trug und das Geld verwaltete, allerdings, verbesserte er sich, waren Menschen törichte Wesen, und Missverständnisse und dergleichen nichts Außergewöhnliches.

Was auch immer.

„Mich stört’s nicht, wir können uns das Lager teilen. Von mir aus nehme ich mit der Wandseite vorlieb.“

Logi zuckte teilnahmslos die Schultern.

„Gut. Sieh zu, ich bin müde“, bemerkte Eldur geruhsam, ehe er unter die Wolldecke schlüpfte und die Strohmatratze wider Erwarten als annähernd bequem befand.

Im fahlen Licht des Kerzenscheins wirkten die Bandagen um den Torso des Soldaten im Vergleich zu der bronzenen Haut noch akzentuierter, weiß und befremdlich, und der Feldheiler registrierte das Zögern des anderen Feuerdrachen, sie zu lösen.

Von der grauenvollen Verwundung musste er entsprechende Narben davongetragen haben – eine permanente Erinnerung an die fürchterlichen Vorkommnisse in der Mongolei.

Es belastete ihn.

Eldur schloss die Augen, lauschte dem Rascheln von Stoff, dem melodiösen Reigen der Regentropfen im Hintergrund, und er döste bereits, als sich die Matratze schlussendlich senkte, und er die komfortable Wärme eines zweiten Leibes neben sich spürte.
 


 

***
 


 

Spätestens, als ihm das dritte Mal etwas in die Flanke stieß, und das wahrhaft in übertrieben brutaler Art und Weise, äußerte er ein misslauniges Grunzen und rückte näher an die Wand; bloß, um anschließend das Knie des unbekannten Angreifers jählings, mit unschönem Nachdruck, zwischen die Beine gerammt zu bekommen und sich fluchend und stöhnend vor Schmerz zusammenzukrümmen.

Eldur war infolgedessen definitiv wach, wenn auch nicht gänzlich bei Bewusstsein.

„Gottverdammt…“

Deswegen fuhr er zusammen und schlug instinktiv zu, als er einer abermaligen abrupten Bewegung hinter seinem Rücken gewahr wurde, und er bereute es augenblicklich, denn sein Ellbogen traf auf Widerstand.

Etwas zähflüssiges, heißes benetzte seine Haut…

Erschrocken und mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend rollte er sich auf die Seite, die nächtliche Stille des Raumes lediglich von Logis harschem Atemschöpfen, oder vielmehr seinem Ringen nach Luft, durchdrungen.

Dessen war er sich zuvor nicht bewusst gewesen.

In der Finsternis vermochte er es nicht zu sehen, dafür roch er die metallische Schwere des Blutes umso intensiver.

„Logi…?“ fragte er unsicher, seine Fingerkuppen über die verschwitzten Laken dirigierend.

„Tut mir leid, aber es war nicht gerade nett von dir, mir exakt dahin zu treten…“

Nichts.

Logi rührte sich nicht, sein gepresster Atem allgegenwärtig.

Ich sterbe und er entschuldigt sich nicht mal.

Mühselig setzte sich der Heiler auf, erleuchtete das Zimmer mittels eines zierlichen Flämmchens, das er bedächtig auf den Handflächen balancierte.

Der kafteinn lag von ihm abgewandt, regungslos, die Augen starr ins Nichts gerichtet, und zitterte.

Jegliche Körperspannung war aus seinen Muskeln gewichen.

„Logi…“

Ein dunkelrotes Blutrinnsal floss ihm über die Lippen und das Kinn, über die rechte Wange.

Sorgenvoll zog Eldur die Augenbrauen zusammen. Jemand, der dermaßen friedlos schlief, der im Schlaf keine Ruhe mehr fand und selbst im Traum noch von den Schatten der Vergangenheit verfolgt wurde, durchlitt eine persönliche, qualvolle Form der Folter.

Alpträume, denen er nicht entrinnen konnte.

Ob ihn die Seelen seiner gefallen Kameraden heimsuchten?

Oder malträtierte ihn sein Gedächtnis mit den Impressionen seiner Peiniger?

Angesichts dessen war er machtlos, und nicht imstande, dem Soldaten in seiner mentalen Pein irgendeine Linderung zu verschaffen – seines Heilertitels unwürdig.

„Hier.“

Stillschweigend, der Ausdruck in den schwarzen Iriden abwesend, blank, nahm Logi das Tuch an, welches Eldur aus seiner Gürteltasche gefischt hatte, und drückte es gegen seine blutende Nase.

Feigling.

Er traute sich nicht, seine Hand zu ergreifen und ihm dadurch stummen Beistand zu leisten, und er brachte keinen Ton heraus, seine Zunge erstarrt und wie Blei in seinem Mund, die Worte, die ihm jetzt heuchlerisch und grob erschienen, versiegt.

Die Scham und die nagende Reue, die sich in seinem Gewissen eingenistet hatten, schwollen in seiner Brust unentwegt an, drängten in seinen Verstand, schnürten ihm die Kehle zu.

Unversehens schwang er sich über die Bettkante und tränkte einen Lappen mit dem Wasser aus seiner Feldflasche, versorgte Logis Nacken mit dem kühlen Umschlag.

Der protestierte nicht, seine Schultern versteiften sich unmerklich.

Verzeih mir.

Eldurs Blick wanderte die Wirbelsäule seines Genossen hinab, zufällig, bis zu der von weißlichen Narben verunzierten Nierenpartie.

Sich selbst maßregelnd, erstickte er konsequent die Flamme in seinen Händen…
 


 

***
 


 

Es war seine Schuld.

Seine törichte Leichtfertigkeit. Sein blindes Vertrauen.

Er hatte seine Kampfgefährten und Untergebenen, Unschuldige, mit in das von ihm heraufbeschworene Verderben gerissen.

Wieso war er als einziger mit dem Leben davongekommen? Obwohl er, im Gegensatz zu seinen Kameraden, den Tod verdient hatte?

Hätte er ofursti Múspells Bedenken nicht derart fahrlässig verworfen…

Respektlos, stümperhaft, er hatte bezüglich jener Angelegenheit weder den notwendigen Ernst noch die Rationalität aufgebracht, die ihr gebührt hätten. Und eine bittere Quittung kassiert.

Dennoch hatte er die Verantwortung von sich gewiesen und gelogen. Wissentlich.

Mutwillig…?

Hatte er es tatsächlich mit Absicht getan?

Oder tischte er sich selbst eine Lüge auf, indem er behauptete, die Wahrheit nicht in einen kohärenten Satz fassen zu können?

Erbärmlich…

Versuchte er so zu fliehen? Verleugnete er die Realität…?
 

Schlaftrunken öffnete der kafteinn die Augen, blinzelte, geblendet von den Strahlen der Morgensonne.

Auf dem Dach zwitscherten Rauchschwalben.

Wieder eine fremde Holzdecke…

Verwirrt stützte Logi sich auf die Unterarme, strich sich die störenden Strähnen aus dem Gesicht.

Das Narbengewebe seines Abdomens spannte unangenehm, wenn er sich bewegte; er hatte Magenschmerzen.

Logi erinnerte sich verschwommen an die Nacht, den Traum, an Eldurs unkonventionelle Weckmethoden.

Doch die Präsenz des Heilers war verschwunden, wie aufgelöst, und er begriff: Er war allein. Die Wärme des Schlafplatzes neben ihm verflogen. Sein Geruch haftete hingegen noch immer an den Leinen.

Hatte der Fuchs seine sieben Sachen gepackt und sich einfach aus dem Staub gemacht?

Kalkulierte er seinen anormal mütterlich-protektiven Charakter ein, wohl eher nicht.

Ruckartig begab er sich in eine sitzende Position, verbat sich den Schmerzenslaut, der ihm zu entfleuchen drängte, und sammelte eilends seine Kleidung zusammen.

Wohin konnte der Idiot nur gegangen sein?

Grummelnd streifte er seine Gewänder über, band sein karmesinrotes Haar zusammen, hielt jedoch inne, als er eine Notiz in seinem Stiefelschaft entdeckte.

„Dummkopf“, entfuhr es ihm, nachdem er die akkurat geschwungenen Schriftzeichen entziffert hatte.

Grenzenlos naiv. Wie kann man derart gutgläubig sein?
 

Im Endeffekt hätte er die Frage nach seinen Beweggründen nicht hinreichend beantworten können.

Vielleicht beunruhigte ihn die Nähe zu den Menschen. Vielleicht war es die fundierte Skepsis, die er religiösen Gruppierungen gegenüber hegte.

Vielleicht beeinflusste ihn auch die immanente Gewissheit, dass er ihm etwas schuldete, und die dringende Vermutung, dass der Fuchs im Begriff war, einen dummen Fehler zu begehen.
 

Feine Nebelschwaden waberten über den weichen Torfgrund der Ebene, der Himmel und die Sonne von grauen Wolken verhüllt. Gleichsam wog eine kalte Brise das krause Gras in ihren rauen Armen.

Logi ließ seinen Blick schweifen.

Das offene Terrain verunsicherte ihn, bescherte ihm das alarmierende Gefühl, im Nachteil, den Spähern eines imaginären Feindes ausgeliefert zu sein. Leichte Beute auf einem Silbertablett serviert.

Mitunter übermannten ihn seine Paranoia.

Er war nervös.

Insofern begrüßte er die Suche nach Eldurs Fährte, ein nette Zerstreuung trotz ihrer Kurzweiligkeit, und es erwies sich als Kinderspiel, den einsamen Hufabdrücken zu folgen.

Nach einer Weile zügelte er sein Pferd, dort, wo sich mehrere Spuren kreuzten, aufeinander zuliefen und stieg aus dem Sattel.

Zwar bestätigte sich sein Verdacht nicht, er konnte keine Anzeichen für eine kämpferische Auseinandersetzung ermitteln, den nachgiebigen Boden sorgfältig inspizierend, doch die offenkundige Konstellation mochte ihm nicht gefallen.

Fünf potentielle Gegner.

Eldur hatte sich ihnen widerstandslos angeschlossen. Oder sie hatten ihn zur Aufgabe zwingen können, ohne Waffengewalt, die Anwendung von Feuertechniken oder gar Druck durch einen Drachen in seiner wahren Gestalt.

Nachdenklich betrachtete Logi den Horizont.

Umkehren zog er nicht in Erwägung.
 

In den Außenbezirken der Stadt verlor sich jedweder Anhaltspunkt auf den Verbleib der sechs Reiter.

Menschenstadt, präzisierte er gedanklich.

Wie einfältig, wie blöd konnte man sein?

Sich in einer Siedlung einzuquartieren, in der man hervorstach wie ein bunter Hund. Nicht alle Sterblichen rannten gänzlich blind durch ihr vergängliches Leben und einige waren zweifellos fähig, einen Feuerdrachen von ihresgleichen zu unterscheiden.

Fanatiker und Götzenanbeter eigneten sich nicht als Krieger.
 

Tod und Elend.

Verwahrloste Baracken, eng aneinander gepfercht, und schlammige Gassen, leere Straßen und Stallungen, und niedergebrannte Scheunen prägten das Stadtbild, trostlos, der Geruch von Unrat und Angstschweiß unerträglich.

Hinter den dürftig mit Stroh isolierten Fenstern und abgehangenen Türen erspähte er die bleichen, geisterhaften Gesichter der einstigen Bewohner, die sich furchtsam, wie verschrecktes Vieh, in ihren Behausungen verschanzten, sich vor einem namenlosen Übel versteckten.

Scheele Blicke musterten den Neuankömmling, teils verschreckt, teils argwöhnisch.

Also keine friedfertige Sekte, die eine Menschensiedlung als Camouflage benutzte…

Für Logi bedeutete das: keine Gnade. Keine Zurückhaltung.

Ansonsten veranstalteten sie noch eines ihrer kultischen Rituale, absonderliche Festivals, während dem sie ihm die Pulsadern aufschlitzten und mit seinem Blut ihrem Gott huldigten oder dergleichen.

An solchen Erfahrungen hegte er wenig Interesse.

Dann vernahm er plötzlich Schritte, das aufgebrachte, heisere Wispern von Stimmen und ein dumpfes Poltern.

Im Morast verstreute Früchte, die wohl als Opfergabe für den hiesigen Tempel hätten dienen sollen, kennzeichneten den dazugehörigen Hauseingang; ein Holzkorb lag auf der Schwelle, dahinter stand ein Mädchen, leichenblass und bebend vor Angst, die Hände gegen ihre Brust gepresst. Die alte Frau, deren Antlitz von harten Jahren der Entbehrung gezeichnet war, zerfurcht und sonnengegerbt, schob sie entschlossen beiseite, ihr Ausdruck finster, unnachgiebig.

Jemand, der nichts zu verlieren hat…

Furchtlos sah sie dem kafteinn in die Augen, und sie wusste, dass er der Rasse ihrer Unterdrücker angehörte. Sie wusste es.

Aber das war nicht alles.

Ein Mensch, der die Intentionen eines Feuerdrachen durchschaut…

Mit einer unmissverständlichen Geste wies sie gen Stadtzentrum, und Logi dankte ihr stillschweigend, deutete ein Nicken an.

Die Blindheit der Alten für das hässliche, reale Angesicht ihrer Welt bemerkte er nicht.

„Mutter, bitte. Komm hinein“, flehte das Mädchen.

„Er wird uns retten. Warum er auch hier ist, er wird uns von diesem Fluch befreien…“
 


 

***
 


 

„Was machen wir mit ihm? Der Orden bedarf keinerlei Geiseln.“

„Wir werden diesem Dilettanten aus dem Süden eine Lektion erteilen“, brauste eines der jüngeren Ordensmitglieder empört auf, „Wir werden ihn lehren, was es bedeutet, sich mit uns anzulegen.“

„Uns einen Ketzer als Verhandlungspartner zu schicken! Uns zu verhöhnen!“ entrüstete sich ein anderer.

„Schlagt dem Sünder den Kopf ab!“ rief jemand aus der hinteren Reihe erbost, die Hand bereits am Schwert.

„Nein, den Arm!“ korrigierte ihn sein Nebenmann barsch: „Sollen wir uns etwa Nachlässigkeit oder gar Betrügerei nachsagen lassen?“

„Hier wird heute kein Blut fließen“, vermerkte eine gefasste Stimme aus dem abseitigen Bereich des Lagerraumes, was die Aufmerksamkeit der vermummten Gestalten abrupt einforderte.

„Verschiebt das auf morgen. Wir werden ihn unter dem Vollmond opfern…“ eröffnete die Gestalt im Halbdunkel, die Lippen zu einem vorfreudigen Grinsen verzogen und die Zähne gebleckt. Eine schadenfrohe Grimasse des Wahnsinns.
 

Eldur lauschte.

Zur Unbeweglichkeit verdammt, auf dem kalten Boden kniend, an Händen und Knöcheln gefesselt, geknebelt und mit verbundenen Augen, blieb ihm nichts anderes übrig.

Wehrlos, machtlos.

Sie hatten die Feuerenergie in seinem Inneren versiegelt, und somit seine Möglichkeiten zur Gegenwehr vernichtet; er war bei Bewusstsein, seine Wahrnehmung jedoch auf ein Minimum reduziert, trübe.

Die Kante des Holzpfeilers presste unangenehm in sein Rückgrat.

Noch konnte er die aufschäumenden Wogen leiser Panik kontrollieren und zurückdrängen, noch.

Eine Frage der Zeit.

Seine geschundenen Muskeln zitterten vor Anspannung, überanstrengt von der widrigen Körperhaltung, und vor der Kälte, die die entblößte Haut seiner Brust und seiner Schulterblätter streifte.

Gleichsam intensiv empfand er die krampfartigen Schmerzen in seinem rechten Unterarm.

Natürlich hatten sie es entdeckt…

An die morgige Vollmondnacht wollte er nicht denken. Sie würden ihm einen grausamen Tod bereiten, gläubige Drachen lebten ihre Religion, beugten sich ihrem vermeintlichen Gott bis zum blutigen Exzess, und die Barmherzigkeit der Heiligen wurde nicht an Ketzer wie ihn vergeudet.

Gezeichnet durch das schwarze Stigma der Sünder…
 


 

***
 


 

„Eine Sünde so schwer, so offensichtlich, Todsünde, und das schwarze Zeichen steht dir gut, Sünder, Sünder.

Es stinkt, dass man die Engelchen zum Himmel hinaus rauchen könnt.

Glaubst du nicht, dass du ein solches Urteil verdienst? Dachtest du, sie würden dich nicht richten…? Dachtest du, du könntest entkommen?

Deine Jugend rettet dich nicht.“
 

Die Kälte der anbrechenden Nacht, flankiert von den alten Geschichten seiner Vergangenheit, zermürbte ihn zusehends, und dieses ewige Warten in Ungewissheit, verbannt in die Einsamkeit der Finsternis, die sich ihm aufdrängte, ängstigte ihn.

Nichts als grenzenlose Schwärze.

Seines inneren Feuers beraubt, spürte er lediglich das verzehrende Brennen der Bannsiegel auf der Innenseite seiner Handgelenke, die Haut wundgescheuert von den engen Seilfesseln, und ein tiefgehendes Unwohlsein, das ihm mit Übelkeit auf den Magen schlug.

Wie ein Schwerverbrecher, ein gemeiner Mörder angekettet und zum Tode verurteilt, isoliert, die Verachtung der Sektenmitglieder beinahe ein vernehmliches Summen in der eisigen Luft – sein Verstand verweigerte sich vehement, lediglich ein Gedanke flagrant.

Wenigstens, so hoffte er, hatte er Logi vor einer weiteren katastrophalen Lage bewahrt. Solange der kafteinn sein Trauma nicht überwand, das Geschehene verarbeitete und zu akzeptieren lernte, würde ihn die nächste schlimme Erfahrung in den Wahnsinn treiben, dessen war er sich sicher.

Im Grund erging es ihnen in dieser Hinsicht ähnlich.

Ob Logi ebenso mit sich rang, wie er es tat, ob es ihm ebenso sehr widerstrebte, sich selbst zu vergeben…?

Wahrscheinlich nicht. Was auch…?

Er war keiner von der üblen Sorte, denjenigen, die ihren eigenen Kameraden einen Dolch in den Rücken stießen.
 

„Du glaubst also nicht an Gott, Junge?

Was weiß ein närrisches Kind wie du schon von der Welt?

Weil sie schlecht und ungerecht ist, sagst du?

Du rechtfertigst deine Gottlosigkeit damit, dass du deine eigenen Entscheidungen getroffen hast, treffen durftest, deine Freiheit ausgeschöpft, und sich dir nun die unerfreulichen Konsequenzen offenbaren?

Weil du nie hast Hunger leiden müssen, die Not nicht kennst, die der Mangel erwirkt?“
 

Mit einem Mal klärte sich der kompakte Dunst, der seine Sinne umfing, für einen Augenblick, und der vage Geruch von frischem Blut und verbranntem Fleisch stieg ihm in die Nase, aufdringlich, scharf.

Seinen aufbegehrenden Würgereiz unterdrückend, zuckte er zusammen, als er sich der gegensätzlichen Berührung von Hitze und kühlem Stahl gewahr wurde, im Nacken, am Oberarm.

„Keinen Mucks“, raunte ihm eine dunkle Stimme ins Ohr, und der Heiler schauderte, sein Rücken versteifte sich, der warme Atem des ihm nicht unbekannten Drachen so unerwartet nah.

Die Erleichterung und der Anklang einer profunden Dankbarkeit übertrumpften seinen unterschwelligen Ärger über den Ungehorsam des anderen.

Dessen schlanke Finger stahlen sich währenddessen zwischen seine Lippen, in seinen Mund und befreiten ihn von dem lästigen Baumwollknebel, sodass er das trockene, pelzige Gefühl endlich hinunter schlucken konnte. Die raue Handfläche verhinderte jedoch geflissentlich sein beabsichtigtes Durchatmen, unterband seinen intendierten Protest erfolgreich.

„Wie viele?“

Eldur wusste es nicht, schwieg befangen. Zehn? Zwanzig? Oder wesentlich mehr?

Wirklich, er war keine große Hilfe.

Unnötig. Ballast.

Leise grummelnd verlagerte der Feuerdrache hinter ihm sein Gewicht, presste die Klinge seines Schwertes in die Flachsfesseln, beflissen, den Gefangenen nicht zu verletzen.
 

Dann richtete sich der kafteinn auf, seine Präsenz unverhohlen und militant, und seine Haltung, aggressiv, offensiv, bekannte seine unmittelbare Kampfbereitschaft.

Silbrig schimmernd schnitt die Schneide des Anderthalbhänders durch die Düsternis, und die eiserne Entschlossenheit, die brachiale Gewalt, mit der Logi schließlich auf seine selbst ernannten Gegner losstürmte, entsetzten ihn regelrecht.

Dieser animalische Schatten, der seine Züge überlagerte und verzerrte, die unglaubliche Stärke und Brutalität, mit der er zu Werke schritt, das Schwert in die nachgiebigen Leiber seiner Kontrahenten trieb, mitunter durch diese hindurch, und die Unmengen an Blut, die er vergoss ohne den Bruchteil eines Momentes zu zögern…

Dabei interessierten ihn die erzielten Treffer der Widersacher nicht.

Er war gefährlich. Ein Berserker.

Bang verharrte Eldur in seiner kauernden Position, das Szenario vor ihm unbegreiflich, und den Blick auf den breiten Rücken des Soldaten fixiert, der sich mühelos, oder so schien es ihm, eine Schneise durch die Reihe der Ordensmitglieder drosch.

Sprachlos, wie gelähmt verharrte er, niedergedrückt von der hitzigen Feuerenergie, die die Materie der Lagerhalle aufzuzehren drohte.

Ehe er nachvollziehen konnte, was um ihn herum geschah, fühlte er sich grob am Arm gepackt und auf die Beine gezerrt, wodurch ihm der Schwindel unbarmherzig in den Kopf schoss. Schwankend stolperte er vorwärts, fing sich, indem er die Hände in Logis Kleidung vergrub.

Die Spannung der Muskeln darunter schätzte er als alarmierend ein.

„Wie hast du mich gefunden?“ wisperte er, dem harschen Kontrast zwischen Totenstille und lautstarkem Tumult des unausgeglichenen Gefechts überdrüssig.

Daraufhin fasste Logi ihn brüsk an der bloßen Schulter und zwang ihn wieder auf Distanz. In den pechschwarzen Iriden schwelte eine gestaltlose Härte und konsequente Unnachgiebigkeit.

„Wieso haben sie mir jemand mitgeschickt, der sich nicht mal selbst verteidigen kann?“

„…“

Stumm wandte der Angesprochene das Gesicht ab, sich seiner Untauglichkeit bitterlich bewusst.

„Wieso?“ herrschte der kafteinn ihn erneut an, festigte seinen unerbittlichen Griff um den Schlüsselbeinknochen des anderen Drachen.

Der keuchte mitgenommen, wehrte sich aber nicht gegen die schmerzliche und unangebrachte Handlung.

„Ich…“ setzte Eldur ein wenig überfordert an, die Erschöpfung seines Körpers mittlerweile obsiegend, „also… es wurden Zweifel laut, was deine Person angeht-“

„Weil sie glauben, ich wär ein Irrer, der seine Kameraden gemeuchelt hat“, beendete Logi, ihm sauber das Wort abschneidend, den Satz.

Eldur verneinte knapp: „Ich glaube das nicht. Ich-“

„Deine Meinung bedeutet nichts.“

Und die Endgültigkeit dieser Äußerung entsprach unglücklicherweise der Realität. Nichtsdestoweniger erschreckte und kränkte es ihn zugleich, dass Logi seine Anschauung derart direkt für nichtig erklärte und kaltblütig liquidierte.

„Ich weiß…“
 


 

***
 


 

„Leiðtogi.“

Das monotone Klappern der Pferdehufe, das Geräusch der im Gleichschritt marschierenden Eskorte vernachlässigend, schaute er auf: „Was ist?“

Der Bote räusperte sich, seine verkrampfte Haltung und der abgewandte Blick dabei Beweis genug für sein nervöses Unwohlsein.

„Die Mongolen…“ begann er mit zittriger Stimme, und Hraunar horchte auf.

„Sie haben ihre Antwort geschickt.“

Schluckend vergrub der junge Feuerdrache die Hände in der dichten Mähne seines Pferdes.

„Köpfe in Lackschachteln…“ presste er hervor.

„Was?“ entgegnete der Höherrangige verständnislos, seine Züge verfinsterten sich.

„Sie haben unsere Kuriere enthauptet und Ihre Köpfe in Lackschachteln zurückgesandt…“

Hraunar Mundwinkel zuckten, doch er ließ sich die siedend heiße Wut, die nun in ihm aufwallte, nicht anderweitig anmerken, wahrte ein indifferentes Antlitz.

„Ist das so…“ sagte er tonlos.

„Ich habe eine Botschaft für herstjóri Hörvir.“

Hastig nickend bezeugte der Bote seine Verfügbarkeit und zog einen Kohlestift und Pergamentpapier hervor.

„Töte den Khan der mongolischen Streitkräfte. Außerdem jeden, der kein Krieger ist.“

Zeit, ein Exempel zu statuieren…
 


 

***
 


 

Sicheren Schrittes trotteten die beiden Pferde hintereinander durch das gigantische Meer aus leuchtend roten Mohnblüten, das in der sanften Brise wogte, schnappten ab und an dreist nach vereinzelten Grashalmen, und genossen zufrieden schnaubend und kauend die ruhige Rückreise bei sonnigem Wetter.

Logi ritt voran, Eldur folgte, den Blick abwesend in die Landschaft gerichtet.

Zumindest hielt er den Mund.

Obwohl er ziemlich bedrückt wirkte, störte ihn das nicht ernstlich; der Fuchs hatte keinen Grund sich zu beschweren. Immerhin hatte er ihn ausfindig machen können, bevor diese Fanatiker dazu gekommen waren, ihm das sommersprossige Fell über die spitzen Ohren zu ziehen.

Glückskind.

Derzeitig starrte er apathisch vor sich hin, mehr oder weniger bis zum Kinn versunken in dem viel zu großen – teilweise blutbefleckten - Reisemantel, den der kafteinn ihm zuvor geliehen hatte. Beklagt hatte er sich über jenen Makel nicht, überhaupt hatte er kein Wort mit ihm gewechselt, seitdem sie die Stadt verlassen hatten.

Die oberflächliche Idylle täuschte.
 

An einem schmalen Bachlauf gebot Logi zum Halt.

Entgegen der milden Temperaturen fröstelte der Heiler noch immer, und er wollte nicht riskieren, dass er irgendwann unbemerkt aus dem Sattel kippte und er ihn womöglich noch in den Unweiten dieses dämlichen Mohnfeldes suchen musste.

Innerlich murrend stieg der Soldat ab und begab sich aus den Schatten einiger Birken hinaus in die Sonne, in der Wärme ihrer Strahlen auf seinen baren Hautpartien schwelgend.

Indessen glitt Eldur vom Rücken seines Reittieres und wankte ans Ufer der Wasserstelle, wo er ermattet auf die Knie ging und den rechten Arm bis zum Ellbogen unter die Oberfläche tauchte.

Das Spiegelbild seines bleichen Gesichtes blickte ihm starr entgegen, und er schloss, angewidert von sich selbst, die Augen.

Dieses verfluchte Brandmal, eingraviert in seinen Unterarm und sein Gedächtnis…

„Arthritis“, murmelte er entschuldigend, als er den kafteinn passierte.
 

Eines wurde Eldur schmerzlich bewusst: sollte Logi sich, aus welchen Gründen auch immer, dazu entschließen sich seiner zu entledigen, war er verloren, seiner Willkür auf Gedeih und Verderb ausgesetzt. Logi war nicht gefährlich, weil er sich am Leid seiner Gegenspieler weidete oder sein perverses Vergnügen im Töten auslebte. Nein. Sondern weil er dem mit Gleichgültigkeit begegnete.

Gegen einen Krieger dieses Kalibers konnte er nie und nimmer bestehen, chancenlos.
 


 

***
 


 

»Der Süden steht hinter Euch, leiðtogi, ohne Einschränkungen.

Der Westen hat angesichts des Sturzes der vier Herrscher bedingungslos kapituliert, und die militärischen Führungspersönlichkeiten haben ihre Bereitschaft beteuert, sich freiwillig Eurer Autorität zu beugen.

Sie ersuchen das Gespräch mit Euch, um Einzelheiten zu klären.

Es gibt keinerlei Hinweise auf Opposition oder einen drohenden Putsch.

Der Osten steuert derweil einem Bürgerkrieg entgegen.

Gleich mehrere der mächtigen Splittergruppen haben dem Süden und seinen Verbündeten den Krieg erklärt, der Rest hält sich bedeckt und lässt sich nicht auf fadenscheinige Bedingungen festnageln. Sie lehnen jedoch entschieden ab, sich einem Feuerdrachen aus dem Süden mit nichtssagendem Namen zu unterwerfen.

Vor allem passiver Widerstand der Geistlichen, Gläubigen und Zivilbevölkerung, allerdings konzentrieren sich die aggressiven Kräfte an gewissen Brennpunkten.

Dass sich der herstjóri und einige andere hochrangige Soldaten bereits zu Euch bekannt haben, beurteilen sie als Verrat.

Der Norden hingegen hat sich geschlossen dagegen ausgesprochen, Euch als leiðtogi zu akzeptieren und lehnt jedwede Verhandlung ab. Ihre provisorische Militärregierung zieht die Truppen an der Grenze zusammen und wappnet sich zum Kampf.«
 

Verstimmt ließ Hraunar den Lagebericht zwischen seinen Fingern in Flammen aufgehen, woraufhin schwarze Ascheflocken im aufkommenden Wind in alle vier Himmelsrichtungen davon stoben.

Ein Ärgernis, wie sich diese Narren benahmen, als würden sie es prinzipiell ablehnen, ein Friedenskonzept anzunehmen.

Halsstarrige Reaktionäre.

Was versprachen sie sich davon?

Ihre Tradition über das Wohlergehen ihrer Untergebenen zu erheben, und diese wehrten sich nicht dagegen, im Irrglauben, ihre ausnahmslos militärischen Befehlshaber wären im Recht.

Sie verschwendeten seine Zeit…

„Hraunar…?“

Das Kleinkind, das bis jetzt still auf seinem Schoß gesessen hatte, zupfte behutsam an seinem Ärmel.

„Wieso tun sie das, Hraunar? Wieso wenden sie sich gegen ihre eigenen Genossen?

Wir gehören doch alle demselben Clan an, sie sind doch genauso Feuerdrachen, wie wir auch…“

„Frag mich einmal was, das ich weiß, Neisti“, entgegnete er mürrisch, den Blick auf einen imaginären Punkt in der Ferne fokussiert.

„Tut mir leid“, entschuldigte sich der Junge gedrückt.
 

Was hatte den Clan einstmals zusammengehalten? Was hatte sich seitdem so grundlegend verändert?

Bevor die Sippenfehden die einstige Einheit der Feuerdrachen unter Helvíti zerrissen…

„Rok.“
 


 

***



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Carcajou
2009-03-31T23:05:45+00:00 01.04.2009 01:05
es scheint, man dürfe Logi nicht unterschätzen.
vorerst noch von Albträumen und Apathie geplagt, wird er wirklich zum Berserker, um Eldur rauszuhauen... Frage allerdings, was hat es mit dessen Brandmal auf sich?

die Stimmungswechsel haben mir gefallen: erst eher witzig, nasse, genervte Feuerdrachen, die notgedrungen in einer Menschenherberge Schutz suchen müssen, ein paar Anspielungen, die einen schmunzeln lassen und dann der abrupte wechsel zu Eldurs gefangennahme und Logis Befreiungsaktion.
Ich schätze, dieser orden gehörte zu den gruppierungen, die hraunar Schwierigkeiten bereiten?

und er sucht kontakt mit den mongolen?
Menschen?
hab ich da vom letzen kapitel was vergessen?

Und immer wider sehr schön zu lesen, wie du stimmungen und situationen beschreibst!^^

lg,
Carcajou


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