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Assoziatives Schreiben

Kurzgeschichtensammlung
von

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Satz Nr. 05 - Polizistenschicksal

"Oh mein Gott!", stieß sie atemlos hervor. "Sie kommen zu Hunderten."

Und sie sind alle ausnahmslos bewaffnet…“, dachte er amüsiert und nahm einen tiefen Schluck aus seiner Colaflasche. „Das kann ja interessant werden.“ Er fügte hinzu: „Keine Angst, Marie, es sind nur Reporter.“

Die Angesprochene runzelte die Stirn und formte mit den Lippen ein stummes „Haha“. Manchmal ging ihr sein übertriebenes Selbstbewusstsein auf den Wecker.

„Du bist dich vielleicht daran gewöhnt vor den Medien eine Show abzuziehen, aber für mich ist das Neuland.“ Sie schluckte. „Sie werden jeden Fehltritt filmen, jedes Stottern von mir aufnehmen und mir dann mit ihren Berichten jede Unvollkommenheit meiner Person vor Augen führen.“

„Hör auf so geschwollen daherzureden… Es ist nur ein kurzes Interview über den Mord.“ Er nahm erneut einen Schluck Cola und blickte sich um.
 

Sie befanden sich in einer pompösen Villa am See und warteten darauf, dass sie den Medienleuten die Sachlage erklären und dann verschwinden konnten. Bis jetzt war die Tür noch von innen verriegelt, denn die Polizei war noch mit letzten Zeugenbefragungen fürs Protokoll beschäftigt. Bis dahin mussten die beiden warten.

Ian liess den Fall nochmals Revue passieren um seine Gedanken zu ordnen. Eine Leiche war von einem Velofahrer am Seeufer entdeckt worden. Es war ein junger Mann von 28 Jahren gewesen, Todesursache Vergiftung. Marie und er waren auf einem Spaziergang gewesen, als der völlig entsetze Sportler sie gebeten hatte, die Polizei zu verständigen.

Seine Überlegungen wurden gestört, als sein Blick auf Marie fiel, die ihre eigene Colaflasche umklammert hielt. Ihre Knöchel traten schon ganz weiss hervor und ihr Gesicht war blass.

Sanft löste er ihre verkrampfte Hand. „Du zerdrückst die Flasche noch…“

„Sei doch still.“

Eigentlich hatte er etwas Freundliches sagen wollen, doch ihr gegenüber verwandelten sich seine aufmunternden Worte stets in neckende, teilweise vielleicht sogar verletzende Kommentare.

Ian hatte nicht erwartet, dass sie der Fall so mitnehmen würde. Bisher war sie immer ein bewundernswert starkes Mädchen gewesen. Sie hatte Mut, sie hatte Temperament, sie hatte Energie.

Jetzt las er jedoch in ihrer Haltung eine Erschöpfung und Müdigkeit ab, die ihn in Sorge versetzte. Es war ungewohnt für ihn.

Andererseits war ihre Nachdenklichkeit und Schwäche auch verständlich, denn sie hatte die zweite Leiche gefunden. Und es war wahrlich kein schöner Anblick gewesen.

Als Polizist hatte Ian selbst schon öfters halb vergammelte Leichname gesehen, sodass es ihn nicht mehr so mitnahm.

Schon sein Vater hatte ihn öfters zur Arbeit mitgenommen, sodass Ian früh mit Verbrechern in Kontakt gekommen war. Er erinnerte sich an die Fallunterlagen, die er sich manchmal „ausgeliehen“ hatte – Fotos von Leichen und Tatorten, viel Blut und gebrochene Augen.
 

Doch Marie war nicht an solche grausamen Dinge gewohnt. Es war zuviel für sie, sie litt darunter und er zwang sie noch zu einem Interview mit den Reportern. Sie würde sich das Bild der toten Frau wieder in Erinnerung rufen müssen, wenn sie mit den Medienleuten sprach.
 

Ian nahm sie in den Arm. Ihr Widerstand war gering – normalerweise hätte sie ihm schon für Händchenhalten eine Ohrfeige verpasst, denn sie gehörte nicht zu der romantischen Sorte von Frauen.

Doch nach diesem anstrengenden Tag liess sie sich einfach nur von ihm halten. Er strich ihr über den Kopf und spürte, wie langsam Tränen über ihre Wangen liefen.

„Wir können auch den Hinterausgang benutzen und meinen Vater darum bitten, die Sache zu übernehmen“, sagte er leise. „Ich habe ja eigentlich auch frei.“

Sie schluckte, nickte leicht.

Ian holte sein Handy hervor und erklärte seinem Vater die Lage. Dieser verstand und versprach das Interview zu übernehmen. Sein Sohn dankte, legte auf.

Kurz warf er einen Blick aus dem Fenster. Auf der Einfahrt drängten sich Reporter und Kamerateams aneinander, es blitzte und Kabel wurden über den Platz gelegt. Ein zweifacher Mord in einer Schauspielerfamilie war ein Festfressen für Boulevardzeitungen und Klatschblätter.

Der junge Polizist nahm seine Freundin an der Hand. „Komm, wir gehen nach Hause.“

Sie gaben die leeren Colaflaschen dem Butler, der beinahe wie auf Kommando erschienen war und liessen sich zum hinteren Ausgang führen.

„Der Herr Kommissar hat mich gebeten, ihnen einen Fluchtweg zu zeigen.“ Der Butler schmunzelte, aber das Lächeln erreichte die Augen nicht. Das Gesicht des alten Mannes wirkte eingefallen und grau und nachdenklich. Am heutigen Tag hatte er drei Leute aus der Familie seiner Herrin verloren.

„Herr Polizist, nehmen sie den Weg durch den Rosengarten“, sagte er höflich und nickte Marie freundlich zu.
 

Während des Heimweges schwiegen Marie und Ian. Letzterer fragte sich, wie er ihr helfen konnte die Bilder zu vergessen und ob er vielleicht nicht zu kaltherzig sei.

„Woran denkst du?“ Erstaunt über ihre plötzliche Frage blickte er auf.

Ihr Gesicht war immer noch blass und in ihren Augen lag ein betrübter Zug, doch gleichzeitig schien sie etwas auch zu freuen.

„Sieh mich nicht so verblüfft an, Ian“, neckte sie ihn. „Du hattest deinen Kopf bereits wieder in den Wolken, nicht?“

Er musterte sie verwirrt. Marie schien ihren Optimismus und ihre Fröhlichkeit schon langsam wieder zurück gewonnen zu haben.

„Geht es dir besser?“, wollte er zögerlich wissen.

Sie neigte den Kopf zur Seite, ihr Lächeln verschwand etwas. „Ich mache mir immer noch Gedanken darüber, es ist so schrecklich…“ Sie schluckte. „Aber ich kann auch nicht ewig heulend Gegend marschieren.“ Marie blickte auf. „Ausserdem hast du zum ersten Mal deine Polizeiarbeit wegen mir an zweite Stelle verfrachtet und das macht mich glücklich.“

Ian wurde rot und blickte zu Boden, suchte einen interessanten Kiesel.

Er hatte nicht gedacht, dass sie deswegen so ein seltsames Strahlen im Gesicht trug.

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Schon Satz Nummer 05! *stolz ist*

Bei dieser Geschichte habe ich mich verzweifelt gegen etwas Richtung Fantasy gewehrt - es war mir einfach zu offensichtlich und mir liegen Lord-of-the-Rings-Adaptionen nicht so. ^^° Beim Lesen eines Conanmangas habe ich mich dann gefragt, warum die Mädels da eigentlich meistens so locker

auf Leichen reagieren.

Und daraus ist diese Geschichte entstanden.

Kritisiert so viel ihr wollt - würde mich über Verbeserungsvorschläge freuen! ^^

Liebe Grüsse

taipan



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2008-11-28T16:52:08+00:00 28.11.2008 17:52
Eine gut gelungene Umsetzung von Satz 5.
Dabei auf Reporter zu kommen ist ein durchaus interessanter Ansatz und das Ende ist auch sehr schön ausgewählt. Die Gefühle deiner Charas hast du mal wieder wunderbar herüber gebracht und ich bin froh heute deine Geschichten lesen und kommentieren zu dürfen. Denn eigentlich gibt es darüber - für mich persönlich - nur positive Sachen zu sagen.
Ians familiären Hintergrund hast du ebenfalls gut herausgestellt.
Wieder ein gut gelungenes Gesamtwerk. Nur in den beiden kleinen Kritikpunkten meiner vorrednerinnen schließe ich mich an
Von:  Ito-chan
2008-08-16T04:58:35+00:00 16.08.2008 06:58
Hi!

Irgendwie eine interessanter Interpretation und es ging nicht nur dir so, dass kein Fantasy geschrieben werden sollte. Ich glaube das hat eigentlich keine umgesetzt ^^°

Also zu der Story an sich: Wenn ich jetzt nicht wüsste, was ein Velo ist, dann währe ich als Nicht-Schweizerin sehr aufgeschmissen gewesen. Du solltest da vielleicht doch Fahrrad sagen, damit auch wirklich jeder dich versteht.

Übrigens ist das wirklich eine nette Idee, selbst wenn ich bei Conan davon ausgehe, dass die Mädels einfach zu sehr an Leichen gewöhnt sind.
Na ja... also es hat mir auf jeden Fall gefallen.

Alles Liebe Ito


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