Pol
Pol
Der nächste Morgen brachte nichts Gutes mit sich. Smoker verzog entkräftet das Gesicht
und blinzelte müde durch seine Zelle, deren Anblick er schon jetzt restlos satt hatte.
Selbst die Sonne warf nur zaghaft ihre Strahlen durch die Gitter des Fensters, so sehr
schien seine schlechte Laune den ganzen Raum zu beherrschen.
Smoker setzte sich gerade und versuchte, die letzten Stunden zu rekonstruieren. Damit
waren die letzten Stunden VOR dem endlich eintretenden Schlaf gemeint, denn Ace
hatte es tatsächlich zuwege gebracht, die ganze Nacht lang mit sich selbst, seinem
Bett und den Gitterstäben zu reden, worauf Smoker jetzt gar nicht so genau
eingehen wollte.
Aus der Nachbarzelle ertönte ein beharrliches Schnarchen.
Na immerhin einer, der hier gut schlafen zu können schien.
Am Nachmittag stelle Smoker fest, dass die Zelle aus vierhundertneunundzwanzig Mauersteinen
bestand und irgendwie störte es ihn, das er diese Beschäftigung schon nach einem Tag
entdeckt und bewältigt hatte. Die Langeweile, die ihn in den nächsten Monaten beherrschen
würde, war schon jetzt so angsteinflößend, dass Smoker ehrlich mit dem Gedanken spielte,
das Essen, das ihm jeden Morgen und jeden Abend ein junger Soldat zwischen den Gittern
in die Zelle schob, einfach stehen zu lassen und langsam aber sicher dahin zu vegetieren.
Zur selben Zeit befand er diese Idee jedoch schon für zu extrem und ausschweifend.
Vielleicht sollte er sich anderen Gedanken stellen. Zum Beispiel der Frage, wann er endlich
bekannt geben wollte, dass er es war, der Mauer an Mauer mit Ace hausierte. Immerhin
hatte Smoker bis zuletzt eisern geschwiegen, doch irgendwann musste er ja mal etwas
sagen, sonst würde er am Ende noch stumm aus seiner Haft entlassen werden und dann
war's das mit seinem Job als Marinecaptain.
Allerdings wurde ihm ziemlich schnell und äußerst unangenehm bewusst, dass er sich schlichtweg
nicht traute, mit Ace zu reden.
Weichei. Er mauserte sich tatsächlich zu einem Weichei.
Gott, wie tief konnte er denn überhaupt noch sinken?
Vielleicht war der Gedanke an Selbstmord gar nicht so niederträchtig wie er anfangs dachte,
da ihn wohl in Kürze schwerste Depressionen heimsuchen würden.
Oder auch einfach nur der beste Psychiater der ganzen Insel, der ihm links und rechts eine
knallen sollte, damit er nicht vergaß, wer er war und dass er es sich nicht erlauben konnte,
in einer lachhaften Seesteinzelle seinen Verstand zu verlieren, verdammt!
Ach, welch Ironie, den hatte er ja schon verloren, als er Ace unbesonnen durch die halbe
Stadt gezerrt hatte.
Hm.
Und all das Gezerre und Gefluche nur dafür, dass sie jetzt nebeneinander in jeweils einer
Zelle auf die Erlösung warteten. Gut, in Ace' Fall war diese Erlösung weniger aussichtsreich
als in seinem.
Hm-hm.
Womit er sich langsam wieder dem Thema näherte, dem er seit gestern geschickt ausgewichen
war: Seiner Dummheit.
Oder sollte er es als Talent benamsen? Das beispiellose Talent, seinen Kopf abzustellen und einfach
mal das zu tun, was der gemeine Marinecaptain in seiner natürlichen Umgebung niemals tun würde.
Weder das eine, noch das andere klang sonderlich ehrenvoll und schon war entschieden, dass
Smoker einfach nur dumm sein konnte. Punkt, aus, Ende.
Eigentlich fiel ihm diese Einsicht erheblich schwer, denn sie beinhaltete auch, dass jegliche Wut auf
Ace vollständig unbegründet war und er ihm diesbezüglich nur etwas an den Kopf werfen konnte,
wenn er sich der Unfairness seiner Handlung nicht bewusst war. Da sich das jedoch niemals
bewahrheiten würde, war Smokers Schicksal besiegelt und er musste mit der Tatsache leben,
dass er verbal nie zum Zug kommen würde.
War 'Gerechtigkeit' nicht das Wort gewesen, welches in seiner langen Zeit als Marinecaptain
spurlos an ihm vorbei gezogen war? Ach nein, das war das Wort 'Regeln'. Richtig. Zu schade.
Smoker entschied, die Bombe am Abend platzen zu lassen, wenn er sicher sein konnte,
dass keine Menschenseele den Gang betreten würde. Zumindest nicht, bevor der Morgen graute.
Und wie es sich immer gerne handhabte, verstrichen die Stunden bis zum Abend derartig schnell,
dass man meinen konnte, sie hätten es eilig gehabt. Die Zeit war also gegen Smoker. Klar, wieso
sollte es auch anders sein?
Nachdem die Teller klirrend auf dem kalten Boden abgestellt wurden und der Soldat, dem diese
ehrenvolle Aufgabe zuteil wurde, den Gang verließ, betrachtete Smoker sein Essen eindringlich
und unterdrückte das Gefühl, sich auf der Stelle übergeben zu müssen.
Ace wusste weder, dass Smoker ebenfalls festgenommen wurde, noch, dass er direkt nebenan
saß. Was sollte er ihm sagen? Und würde er sich gegen die Fragen behaupten können, die
Ace zweifelsohne hatte?
Vollkommen unerwartet reckte sich plötzlich ein Arm um die Mauer, die seine von Ace' Zelle
trennte und winkte ihm zu. Smoker zuckte unwillkürlich zusammen.
"Bist wohl nicht so gesprächig da drüben, was?"
Mit einem Schlag wurde ihm doppelt so schlecht, als es ihm ohnehin schon gewesen war und
er fragte sich ernsthaft, was er tun musste, um unverzüglich zu kollabieren.
"Ich wollt' auch nur mal hallo sagen."
Smoker schluckte für seinen Geschmack viel zu laut und versuchte, einen ruhigen Atmenzug
zu tun, da sein Herz rätselhafterweise einen schnelleren Takt angestimmt hatte.
Wenn ihm schon gestern ein Wort über die Lippen gekommen wäre, müsste er jetzt nicht
mit sich selbst kämpfen und sich verdammt nochmal fragen, weshalb sein Körper gerade
in einen Ausnahmezustand überging.
Plötzlich schwang seine Laune entschieden zu schnell um. Und als hätte es seinen inneren
Monolog nie gegeben, verschränkte er heftig die Arme vor der Brust und ließ seiner Wut ihren
pfadlosen Lauf, da er auf einmal nicht mehr verstand, weshalb es ihm tatsächlich in den Sinn
gekommen war, hier eine Seite von sich dominieren zu lassen, die ihm sowohl fremd als auch
unwahrscheinlich lästig war.
"Dein albernes Hallo kannst du dir sonstwohin stecken! Verfluchter Dreckspirat!"
"Smoker??"
"Wer denn sonst du Idiot?!"
"Was- was machst du denn hier?"
"Vermutlich das Gleiche wie du!"
"Du wurdest verhaftet?"
"Drei Mal darfst du raten, warum."
Nach diesen Worten kehrte beklemmende Stille ein. Smoker konnte hören, wie Ace auf seine
Pritsche fiel und anscheinend komplett überfordert seufzte.
Wirklich befreit fühlte er sich jetzt jedoch eher weniger. Wahrscheinlich musste er zuzüglich
noch irgendetwas zerstören, doch beim besten Willen - alles, was sich ihm dazu bot, war für
die nächsten drei Monate noch von Bedeutung.
"Weißt du was, Feuerfaust? Ich würde dir jetzt verdammt gerne deine grinsende Fresse polieren."
Smoker lehnte sich zurück und schnaubte.
"Dito."
Dito? Moment, er war hier der mit den unbändigen Gefühlen!
"Hä?"
"Das ist so ein Wort, das bedeutet, dass ich gerne das gleiche mit dir tun würde."
"Ich WEISS, was dito bedeutet!"
"Wieso fragst du dann?"
"Weil ich dich nicht verstehe!"
"Tja."
"Tja? Mehr hast du dazu nicht zu sagen?"
"Sieht ganz so aus."
Also die Situation war ja mal gründlich aus den Fugen geraten und somit auch aus Smokers
Verständnisbereich. Noch dazu fühlte er sich mehr als verarscht und hätte auf der Stelle
Amok laufen können, wenn es denn die Möglichkeit dazu gegeben hätte.
"Da verschlägt es dir wohl die Sprache, was?"
Okay, offenbar war die Diskussion noch nicht zu Ende.
"Was willst du mir damit sagen?"
"Dass ausnahmsweise nicht ich der Idiot von uns beiden bin."
"Ach. Und warum sollte mir der Titel zustehen?"
"Weil du nicht hier sitzen müsstest, wenn du einfach stehen geblieben wärst."
"Um dann zu riskieren, dass mich dieser Holzkopf umnietet?"
Es folgte eine winzige Pause und dann sagte Ace etwas, worauf Smoker mit nichts als
nacktem Schweigen reagieren konnte.
"Wir beide wissen, dass er einzig auf mich gezielt hat."