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Hidden Flowers - Beginn des Sommers

Sequel zu HF - Loneliness of a Winter`s Night
von

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Winterjunge/Sommermädchen

Alles, was ich zu sagen habe, kann warten.
 

Hidden Flowers – Anfang des Sommers
 

Erster Teil
 

„Shikamaru.“

Engel riefen ihn, mit einer Stimme so lieblich wie Glöckchengeläut. Gleichzeitig kitzelten ihn die Strahlen der einfallenden Sonne, so dass die Welt hinter seinen geschlossenen Augenlidern in einen weichen Rotschimmer getaucht wurde.

„Shikamaru... Du musst aufstehen!“

Ein sanfter Duft nach Juni, nach Blüten und Wind streifte ihn. Sein Bett war warm und angenehm, der Tag war noch jung und er wusste, der Himmel würde, wenn er die Augen öffnete, noch in ein goldenes Licht getaucht sein... Obwohl er gestern erst spät ins Bett gekommen war, fühlte er sich ausgeruht und erfrischt – der einzige Grund, der ihn jetzt noch unter der Bettdecke hielt war die Tatsache, dass es unter ihr tausend mal friedlicher und entspannender sein würde als wenn er jetzt aufstehen würde. Sanft strich etwas über sein Gesicht, als sich jemand über ihn beugte – Federn? Haar? – aber solange dieser Engel, der in seinem Schlafzimmer war, hier blieb, würde er mit Freuden noch etwas mehr Zeit hier verbringen als nötig war...

„Shikamaru!“

Der Engel war wütend.

Seiner Stimme nach sehr, sehr wütend...

Erschrocken riss Shikamaru Nara die Augen auf und fuhr hoch.

Die goldene Sonne, die durch das Fenster in sein Schlafzimmer fiel, beleuchtete das Bett in dem er lag und blendete ihn, so dass er kurzzeitig die Augen schliessen musste. Seine Decke war halb auf den Boden gefallen, Ino hatte sich über ihn gebeugt, um sie wieder aufzuheben, ihr Haar hatte sein Gesicht gestreift.

„Was is?“, murmelte er verschlafen und blinzelte sie an.

„Was soll sein? Du sollst aufstehen!“

Entgeistert blickte er die Frau vor sich an, jetzt völlig wach. Der Engel aus seinen Träumen hatte sich in einen Racheengel der schlimmsten Sorte verwandelt, welcher wütend die Arme in die Hüften stützte und ihn aus eisblauen Augen anfunkelte. Ein kurzer Blick auf seinen Wecker bestätigte seinen Verdacht: es war nicht einmal Acht Uhr.

„Warum so früh?“

„Shikamaru Nara!“

Inos Augen waren so wütend, dass sie schwarz wurden wie tiefe Brunnenschächte.

„Acht Uhr nennst du früh? Wer ist denn schon seit Sechs Uhr wach? Wer hat gearbeitet während du selig geschlafen hast und wieder einmal bewiesen hast, dass du das größte Faultier von ganz Konoha bist? Wer hat schon Frühstück gemacht und sich um Inoshia gekümmert, sie angezogen, gefüttert und gewaschen? Versuch nicht, dich aus der Affäre zu ziehen – jetzt bist du dran!“

Und bevor er fragen konnte, womit er nun an der Reihe sein würde, wurden winzige Trippelschritte im Flur hörbar, begleitet von einem hohen Quietschen. Mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit stürmte eine kleine, flachsblonde Gestalt mit nussbraunen Augen herein und landete mit einem gezielten Sprung auf dem Bauch des Mannes, von dem sie unverkennbar ihre Augen hatte.

„Umpf!“, stöhnte Shikamaru, während seine Frau ihn aus – scheinbar – mitleidslosen Augen beobachtete. Insgeheim dachte Ino, dass ihr Ehemann mit einem kleinen Mädchen um den Hals, das lauthals „Papa!“ schrie, mit seinem T-Shirt und den offenen, zerzausten Haaren nur noch besser aussah als er hätte aussehen dürfen (nicht nur zu seinem eigenen Wohl, sondern auch in Anbetracht der Tatsache, dass sie ihn gerade aus dem tiefsten Schlaf geschreckt hatte und er noch nicht die Zeit gehabt hatte, in den Spiegel zu schauen). Aber sie hütete sich, das zuzugeben.

„Also“, sagte sie stattdessen und drehte sich weg, um ihr Lächeln zu verbergen.

„Ich muss dann los... Frühstück ist fertig und Inoshia weiß Bescheid...“

„Weiß ich!“

„Und den Tag könnt ihr dazu nutzen, etwas zu unternehmen... Zur Abwechslung mal nicht nur faul auf einer Wiese rumliegen wäre vielleicht einmal eine Maßnahme. Schliesslich ist heute Sommeranfang, nicht?“

Ihr Rock raschelte, als sie den Raum verließ.

Sie trug ein silbernes Top und ihr Rock, der in weichen Falten über ihre langen Beine fiel, war violett, ihr Haar lag ihr wie gesponnenes Gold in Wellen auf ihren Schultern.

Ino war schon fast an der Tür, als zwei starke Arme sie plötzlich von hinten umschlangen und festhielten. Shikamaru legte den Kopf auf ihre Schulter.

„Dir auch noch einen schönen Tag, Ino.“

„Hmmm...“

Sie lächelte, schloss für eine Sekunde die Augen und gestattete sich, sich zurückzulehnen und durchzuatmen – und ein kleiner, rot gekleideter Blitz schoss aus dem Schlafzimmer und warf sich auf den Rücken des geplagten Vaters.

„Will rausgehen, Papa!“

Der seufzte ergeben auf.

„Wir gehen ja gleich, Inoshia... Ich muss mich nur noch fertig machen. Ein bisschen Geduld, ja?“

Ino lachte hell und drehte sich zu ihm um.

„Da kannst du lange drauf warten!“

Shikamaru verdrehte die Augen.

„Von wem hat sie das nur...“

„Hast Recht. Von dir kann diese Lebendigkeit ja nicht kommen...“

„Und von wem ist sie dann?“, murmelte er und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar.

„Würde es dir vielleicht etwas ausmachen, mich loszulassen?“, fragte Ino. „Nicht, dass ich etwas abwürgen wollte, aber ich muss gehen... Meine Schicht fängt in sieben Minuten an und wenn ich zu spät komme hustet mir Hinata etwas. Und zeitgleich zerlegt unser kleiner Blitz gerade die Küche...“

„Häh?“

Mit einem eher unintelligenten Gesichtsausdruck sah Shikamaru auf und horchte in Richtung der Küche. Momentan konnte er mit seinen Ohren kein Chaos wahrnehmen, aber sein Riechorgan nahm den unverwechselbaren Duft von Toastbrot wahr – von verbranntem Toastbrot.

„Mühsam“, stöhnte er, komisch verzweifelt. “Warum ausgerechnet ich?“

„Weil du heute frei hast und auf sie aufpasst während ich arbeiten gehe – so was nennt man in modernen Familien Arbeitsteilung, weißt du.“

„Ich pfeife auf moderne Familien!“

„Deshalb nennen wir es auch nicht so“, kam es pragmatisch von seiner Frau, die ihm als Entschädigung ein strahlendes Lächeln zukommen lies und Anstalten machte, sich von ihm zu lösen.

„Ja, ja...“, muffelte Shikamaru und lies sie los – jedoch nicht, ohne noch ein letztes Mal an ihren Haaren gerochen zu haben.

„Geh Kinderleben retten... Ich sehe, was ich noch für diese Wohnung tun kann.“

Den Spritzern Orangensaft nach zu schliessen, die nun aus der Tür flogen, war das nicht mehr viel. „Bis heute Abend“, sagte Ino, lächelte ein letztes Mal und verschwand mit ihren üblichen, lautlosen Schritten aus der Tür. Erneut seufzte Shikamaru auf und sah in Richtung Küche, aus der Jauchzer des Vergnügens hallten. Wenigstens hatte bisher noch kein Porzellan gescheppert. Himmel, Inoshia war erst Fünf und schon so anstrengend wie eine richtige, erwachsene Frau... Wer immer sie eines Tages heiraten würde, würde viel zu tun haben. So wie er jetzt. Warum blieben solche Aufgaben unweigerlich an ihm haften? Er schien ein Händchen dafür zu haben, komplizierten und anstrengenden Menschen zu begegnen – und er empfand es einfach nur als mühsam. Bei dem Gedanken daran, was ihn wohl empfangen würde wenn er in die Küche trat wusste er nicht, ob er lachen oder schimpfen sollte. Es war doch klar, wer aufräumen würde was immer Inoshia dort zu tun gedacht hatte. Ino würde einen Zusammenbruch erleiden, wenn sie ihre Küche in dem Zustand sah...

Nein, er übertrieb.

Ino machte längst kein Theater mehr wegen solchen nebensächlichen Kleinigkeiten.

Er hätte nie gedacht, dass sie eines Tages so ruhig und ausgeglichen sein würde... Aber schliesslich hatte nicht nur er sich verändert. An die Stelle der reizbaren, arroganten Ino war schon vor langer Zeit jemand anderes getreten und manchmal wusste Shikamaru nicht, welche von den beiden Inos ihm lieber gewesen war... Aber wie sie auch war, er liebte sie und er wusste, sie würde nicht eher ruhen, bis nicht jeder Spritzer Orangensaft von den Wänden entfernt worden war, so müde sie auch sein mochte. Ino hasste es, Chaos zu hinterlassen. Und wenn er etwas nicht wollte, dann war es dass sie sich überanstrengte...

Er wusste, alle Ärzte, selbst Hinata, gingen davon aus, dass Ino geheilt war.

Die scheinbar unüberwindliche Krankheit, welche sie von innen auffraß, gegen die es kein Heilmittel gab und die immer und immer mehr von ihrer Kraft gefressen hatte, schien sich aufgelöst zu haben. Trotzdem konnte er sehen, dass große Anstrengungen und lange Arbeitstage sehr an ihren Kräften zehrten, und deshalb versuchte er, ihr jede Arbeit abzunehmen, die sie zu sehr anstrengen würde. Vorausgesetzt natürlich, dass sie es nicht bemerkte, denn Ino verachtete nichts so sehr wie wenn man versuchte, ihr zu helfen – sie nahm an, dass es eine Verschwörung war in der sie als leidende, alte Person dargestellt wurde, die es zu pflegen galt. Oder wenn sie sich ihre eigene Schwäche eingestehen musste...

Ein Geräusch erklang, welches dem Schlagen eines Löffels auf einen Topf stark ähnelte. Inoshia, die kleine Teufelin... Was plante sie nun wieder? Schicksalsergeben beschloss Shikamaru, sich erst einmal zu duschen.

So wie es aussah würde es noch genug Aufzuräumen geben, wenn er fertig war.
 

Sommeranfang.

Es gab selten schönere Tage in Konoha...

Die Sonne schien warm und hell. Schon seit einigen Tagen waren die Temperaturen eindeutig der sommerlichen Skala zuzuordnen, der Himmel war strahlend blau und weiße Schäfchenwolken zogen langsam ihre Bahn an der endlosen Weite. Die zarten, grünen Blätter der Bäume leuchteten im Licht der einfallenden Sonne wie grünes Gold... Die Straße zum Haupthaus war beinahe wie ausgestorben, denn alle Menschen waren an diesem Samstag entweder anderswo unterwegs oder arbeiteten gewissenhaft.

Aus der Akademie tönten laute, fröhliche Stimmen und ein Lehrer, der schon zu Zeiten Shikamarus Teil des Lebens der jungen Schüler gewesen war, kam durch die Tür gestürmt und sah sich wütend nach allen Seiten hin um. In seinem sonst so geduldigen Gesicht stand eine absurde Mischung aus Wut, Genervtheit, Verständnis und Verzweiflung.

„Wo sind diese Zwerge nun schon wieder hin? Wenn ich euch in die Finger kriege, dann setzt es was! Habt ihr gehört?“

In seinem Rücken schlichen zwei Nachwuchs-Shinobi, ein Junge und ein Mädchen, vorsichtig aus der Tür und den Weg entlang zum hinteren Schultor. Lachend gestikulierten sie einander zu, gratulierten sich gegenseitig und deuteten auf den Lehrer, der, ihnen den Rücken zuwendend und die Arme in die Hüften gestützt, grimmig die Straße vor der Schule betrachtete. Shikamaru überlegte kurzfristig, den Lehrer auf die beiden Ausreißer in seinem Rücken aufmerksam zu machen, entschied sich jedoch dagegen und setzte, leicht grinsend, seinen Weg fort. Einige Meter vor ihm hockte Inoshia auf einer kleinen Wiese und zerdrückte die Stengel mehrerer kleiner Blumen in ihrer kleinen Faust während sie eifrig vor sich hin brabbelte. Hinter seinem Rücken ertönte wüstes Geschrei, als die Ausreißer entdeckt, eingefangen und in die Schule zurückgeschleppt wurden – sie waren den scharfen Sinnen des Lehrers nicht entgangen. Aus Erfahrung lernte man.

„Papa!“, quiekte seine Tochter und Shikamaru stellte erstaunt fest, dass er wieder einmal mitten auf der Straße stehengeblieben war und den Kopf in den Nacken gelegt hatte.

„Ja, Inoshia?“ „Schau mal!“

Was sie jetzt wieder gefunden hatte? Die Kleine war einfach viel zu lebhaft, genau wie ihre Mutter. Sollte er sie einfach ignorieren und ihre Sturheit wecken, mit der sie ihn den ganzen restlichen Tag nerven würde? Oder sollte er sich ansehen, was sie hatte, und nicken und loben und so tun als interessiere es ihn ganz fürchterlich?

„Papa!“

Der empörte Ruf lies ihn eine Entscheidung fällen – sie fiel zu Gunsten des restlichen Tages und seiner Abneigung gegen Quengeleien.

„Was denn, mein Schatz?“

Und nicht zuletzt zugunsten seines Seelenfriedens. Schicksalsergeben hockte er sich neben sie, um in Augenschein zu nehmen, was sie ihm in ihren kleinen Tatzen entgegenstreckte.

„Was ist das, Papa?“

Die Kleine deutete auf eine Blume in ihrer Hand, aus der weinroter Saft troff. Mit einem schlechten Gefühl in der Magengrube löste der Mann die Klammerfinger seiner Tochter und begutachtete ihre Hand genauer: sie war weinrot gefärbt, ein Ergebnis des hellen Saftes. Er wusste: die Antwort „Das ist eine Blume“ konnte er sich getrost verkneifen, das wusste seine Tochter bereits. Sie wollte wissen, welche Blume es war – obwohl sie sich viele Namen nicht merken konnte – aber ihr Wissensdurst war unerschöpflich.

„Das ist eine Lanvíala“, sagte er und sah sie an. „Wo hast du sie her, Inoshia?“

Stolz zeigte die Kleine auf einen dichten Strauch. Unter den untersten Blättern leuchtete die rote Blüte weiterer Blumen.

„Die sind aber giftig, Inoshia...“

„Was ist giftig, Papa?“

„Das bedeutet, wenn du jetzt die Finger in den Mund steckst, kriegst du ganz dolle Bauchschmerzen und wirst krank.“

Braune Kinderaugen starrten ihn an ohne zu blinzeln – und glänzten feucht. Eine zitternde Lippe schob sich vor die andere.

Hilflos starrte Shikamaru einige Sekunden lang blind auf die Blume in seiner Hand, nur um nicht den Augen seiner Tochter begegnen zu müssen. Dann holte er ein Tuch aus seiner Tasche, wischte ihr erst das Gesicht und dann die Hände ab und nahm sie hoch.

„Das ist nicht schlimm, Shia. Du darfst jetzt nur nichts anfassen, ja? Wir gehen zum Haupthaus, da kannst du dir die Hände waschen und dann ist alles wieder in Ordnung.“

„Wirklich?“

Ein Schniefen.

„Aber sicher.“

Mit langen Schritten machte er sich auf den Weg zum genannten Ziel und konnte nicht anders als den Kopf zu schütteln. Von den 423 Blumenarten, die alljährlich in Konoha blühten, fand seine Tochter ausgerechnet eine der 4 giftigen Pflanzen, die nur am Sommeranfang blühte... Einer Eingebung folgend, kehrte er noch einmal um, benutzte sein bereits rot gefärbtes Taschentuch, um die restlichen Blüten unter dem Strauch zu pflücken, und ging dann in Richtung Haupthaus. Auf seinen Schultern war Inoshia wieder zu ihrem üblichen, fröhlichen Selbst zurückgekehrt. Sein armes Kreuz... Aber für ihr Lachen nahm er gerne in Kauf, dass sie ihn an seinen Haaren zerrte.
 

„Hahaha!“

Anko lachte Tränen und musste sich an der Tür festhalten, um nicht umzufallen. Säuerlich blickte Shikamaru über seine Schulter, um einen Blick auf seine Tochter zu werfen. Nach einer desinfizierenden Behandlung waren ihre Hände zwar noch immer weinrot und würden es noch eine Weile bleiben, aber die Gefahr, dass sie das ziemlich tödliche Gift zufällig zu sich nahm, war nun nicht mehr gegeben. Mittlerweile stapelte sie verschiedene Schriftrollen, die sie gefunden hatte, zu einer Pyramide auf dem Boden der Bibliothek auf und sang leise vor sich hin.

„Lanvíala... Lanvíala! Unglaublich! Was bist du nicht für ein Glückspilz... Sie wird für den Rest der Woche rote Flossen haben, ist dir das klar.“

Das war keine Frage und er verstand sie nicht als solche.

„Hmpf“, grummelte er stattdessen, verschränkte die Arme vor der Brust und sah die Frau vor ihm an. Sie reichte ihm fast bis zur Nase, aber was sie an Größe nicht hatte machte sie an Unverschämtheit wieder wett... Ihr kurzes, schwarzes Haar fiel ungebändigt in ihre Augen, sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, es wenigstens hochzubinden oder gar zu kämmen. Ihre dunklen Augen schienen ihn auszulachen – er hatte das Gefühl, dass sie dies auch tatsächlich tat. Diese Frau lachte ihn aus.

„Woher wusstest du eigentlich, dass es Lanvíala war?“

Keine Antwort.

Woher wusste sie, was Lanvíala war?

Anko machte sich ihre eigenen Gedanken.

„So, so...“ Ihr Grinsen trieb ihn langsam, aber sicher in den Wahnsinn. Eines Tages würde auf seinem Grabstein stehen: >Hier liegt Shikamaru Nara... Er konnte ihr Grinsen nicht mehr ertragen.<

„Ganz der liebevolle Vater, wie? Da deine Tochter Blumen so sehr liebt, hast du dich natürlich mit Konohas Flora vertraut gemacht... Ich wette, du kennst alle 425 Blumenarten Konohas, oder, Shikamaru?“

„423.“

„Bitte?“

Irritiert sah Shikamaru sie an. „Es sind 423 verschiedene Blumenarten, Anko, nicht 425. Aber du warst verdammt knapp dran.“

„Ahahaha!“

Erneut brach die Frau in schallendes Gelächter aus.

„Ich wusste es! Na ja, ich schätze für irgend etwas muss dein überragender IQ ja Nutze sein.“

„Danke“, murmelte Shikamaru und wandte sich von ihr ab, um das Schriftstück, welches er nun schon geschlagene sieben Minuten in der Hand hielt, endlich genauer unter die Lupe zu nehmen. Anko verstummte kurzfristig, als sie in den Regalen an der Wand zu wühlen begann, eine Schriftrolle hervorzog, sie einer genaueren Musterung unterzog und sie dann achtlos wieder zurückwarf. Shikamaru, der die Geräusche in seinem Rücken nicht hatte ignorieren können, drehte sich zu ihr um und blitzte sie an. „Könntest du das lassen, bitte?“

Ein Blick purer Unschuld traf ihn von Anko.

„Was denn?“

„Dies ist eine Bibliothek. Hier besteht ein System, nach dem die Schriftrollen und Bücher geordnet sind – wenn du sie so wieder reinwirfst, wie du es gerade tust, findet niemand hier je etwas wieder!“

Woher diese plötzliche Liebe zur Ordnung kam?

Es war nicht so, dass Shikamaru die Korrektheit in Person war. Würde er niemals sein und war er nie gewesen. Aber vielleicht hatte Inos Ordnungssucht auf ihn abgefärbt und wenn er etwas schätzte, dann waren es Bücher – und gerade fühlte er sich arg genervt.

Diese nahm ihm das nicht krumm.

„Ach, komm schon, Shikamaru! Wer benutzt denn schon die Bibliothek - wenn es neuerdings ein elektronisches Ordnungssystem gibt?“

Kopfschüttelnd wandte sich Anko wieder den Regalen zu. Gut, wenn es also so ein System gab – was tat sie dann hier, wenn er seine Ruhe haben wollte?

„Nun, wer benutzt sie...“ Shikamaru tat so, als müsse er überlegen. Seine Stirn brauchte er gar nicht in Falten zu legen – er konnte fast spüren, wie sich die Muskeln in seiner Stirn anspannten.

„Ich weiß wirklich nicht... Ich vielleicht?“

„Was, du?“

Eine weitere Schriftrolle landete auf dem Boden und Shikamaru atmete tief durch.

„Ach, komm schon, du findest doch alles wieder – Da!“

Mit einem Triumphschrei stürzte Anko auf Inoshia zu, die erschrocken aufblickte.

„Sie hat sie!“

Zufrieden zog sie eine Rolle aus der mittlerweile schon recht hohen Pyramide, die Inoshia vor sich aufgebaut hatte. Das Mädchen stimmte ein lautes Protestgeschrei an.

„Papa!“

Der Turm brach endgültig zusammen.

„Keine Sorge, Kleine!“

Mit einem liebevollen Lächeln, aber einer recht festen Hand tätschelte die junge Frau dem Kind den Kopf und zeigte so, dass sie nicht halb so ungenießbar war wie sie vorgab zu sein. Aber nur, weil sie einen Narren an Inoshia gefressen hatte, Gott allein wusste wieso...

„Dein Papa bringt das schon in Ordnung. Ich muss los, die Hokage wartet auf mich!“

Und weg war sie.

Shikamaru seufzte tief auf und musste grinsen. Das war Anko wie sie leibte und lebte... Und er konnte ihr nicht böse sein, egal wie sehr er es versuchte.

„Himmel...“, stöhnte er, sammelte alle auf dem Boden liegenden Rollen auf, legte sie wahllos im Regal ab und nahm Inoshia wieder auf den Arm.

Anko hatte Recht... Für irgend etwas musste sein genialer IQ von +/-200 doch Nutze sein. Und wenn er die nächste Woche damit zubrachte, diese Bibliothek wieder auf Vordermann zu bringen... Er war mit Sicherheit nicht der Einzige, der lieber noch die veraltete Papier-Methode benutzte anstelle des neuen EDS.
 

Als er vor die Tür des Haupthauses trat, atmete er tief ein.

Die Sonne stand mittlerweile nicht mehr so hoch am Himmel. Es war schon über die Mittagszeit hinaus... Hatte er das nicht bemerkt? Sein Magen knurrte. Er hatte ein Butterbrot für Inoshia mit gehabt aber nicht an sich selbst gedacht... Vielleicht wurde es langsam Zeit, dass sie wieder nach Hause gingen. Inoshia auf seinem Arm liess sich keine Müdigkeit anmerken. Im Gegenteil.

„Papa!“

Ihr glücklicher Schrei liess ihn nach vorne schauen.

Die Person, die ihm nun entgegenkam, kannte er... Er kannte sie nur zu gut.

„Shikamaru!“

Jetzt liess Inoishi Yamanaka seine Hand auf den durch die fehlende Arbeitskleidung – die halbwegs gepanzerte grüne Weste – ungeschützten Rücken seines Schwiegersohns niedergehen, der drei Schritte vorwärts stolperte und beinahe die Freitreppe hinuntergesegelt wäre. Er rettete sich nur dadurch, dass er gegen die Wand taumelte und seinen Ellenbogen so hart anstieß, dass er für eine Sekunde den Schmerz bis in die Schulter hinein spürte.

„Hallo“, antwortete er gequält, aber der Vater seiner Ehefrau hatte seine Aufmerksamkeit bereits von ihm und auf seine Enkelin transferiert.

„Kleine Prinzessin!“

„Opi!“

Inoshia quietschte auf, als Inoishi sie Shikamaru aus den Armen riss und sie die Arme um seinen Hals warf.

„Wie geht es dir heute? Hat dein Papi gut auf dich aufgepasst?“

Inoshia wedelte mit ihren Händen vor dem Gesicht des stolzen Opis herum und erzählte ihm von ihrem Tag, während sich Shikamaru plötzlich völlig fehl am Platz fühlte. Das schlechte Gefühl nahm mit jeder Sekunde weiter zu... Als sei er eine Antilope im Löwengehege, beobachtete er misstrauisch die Bewegung von Inoishis Augen – und dann endlich bemerkte dieser es.

„Inoshia!“

Mit einem erschrockenen Einatmen packte er die eine, weinrote Hand des Kindes und schnüffelte daran. Shikamaru seufzte. Dem Chefbotaniker von Konoha war längst klar, was er da vor sich hatte...

„Lanvíala!“

Ja, genau. Gut erkannt.

Inoishi machte einen Schritt zurück, Inoshia im Arm. Auf seiner Stirn sammelten sich sämtliche Gewitter einer schwülen Sommersaison. Shikamaru hoffte, dass sie dieses Jahr nicht so viele erleben würden wie er gerade vor sich sah...

„Shikamaru...“

Leise und drohend. Dann lauter, mit jedem Wort an Lautstärke gewinnend...

„Shikamaru Nara, du nutzloser, hirnloser, hirnloser....“

Fiel ihm nichts mehr ein?

„Du lässt meine Enkelin – das Kind meiner Tochter...“

Da deine Tochter meine Frau ist, ist deine Enkelin übrigens auch meine Tochter, Inoishi...

„...die Erbin meines Clans, den Sonnenschein Konohas, mit giftigen Blumen spielen? Mit den giftigsten, die es momentan in Konoha gibt? Haben sämtliche gute Geister dich verlassen oder standen sie dir niemals bei?“

Beschwichtigend hob Shikamaru die Hände.

„Es ist ja nichts passiert...“

„Nichts passiert? NICHTS PASSIERT?“

Jetzt wusste Shikamaru, woher Ino das hatte: Auch Inoishis Augen färbten sich schwarz wenn er wütend wurde, genau wie die seiner Tochter.

„Du bist mit Abstand der verantwortungsloseste, unvorsichtigste, hirn- und verstandsloseste Mensch, der mir je unter die Augen gekommen ist! Ich habe das ja von Anfang an gesagt, aber sie wollte ja nicht auf mich hören! Ich hätte von Anfang an nicht zulassen dürfen, dass...“

Was er nicht hätte zulassen dürfen, hörte Shikamaru nicht mehr, denn wutentbrannt hatte der Mann Inoshia auf den Boden gesetzt, sich auf dem Fuß umgedreht und war davongestürmt, wahrscheinlich in Richtung Krankenhaus, um seiner Tochter, dem Stern seiner Existenz zu berichten, was ihr hirn- und verstandsloser Ehemann nun wieder angestellt hatte. Hätte sie nur auf ihn gehört und ihn von Anfang an nicht geheiratet...

Hätte Inoshia nicht wieder das Gesicht verzogen und geschnieft, hätte Shikamaru vielleicht sogar gelacht. Inoishis Sorge um seine Tochter war legendär und dass er ihn, Shikamaru, nicht besonders leiden konnte (hatte sein Ino-Stern doch viel besseres verdient!) war weithin bekannt. Mittlerweile war er dazu übergegangen, die kleinen Macken des ansonsten recht freundlichen Mannes zu übersehen... Es war wie bei Shura: liess man sie in Ruhe, übersahen sie einen.

„Was meinst du, Shia“, sagte er zu seiner Tochter und wischte ihr erneut die Tränen aus dem Gesicht. „Sollen wir nach Hause gehen und etwas Schönes zu Abend kochen?“

Das Kind, welches anscheinend die Begeisterung für die kulinarischen Künste entdeckt hatte, die auch seine Mutter besaß, sah auf, und seine Augen begannen zu leuchten.

„Au ja!“

Als sie ihre kleine Hand in Shikamarus schon, seufzte der lautlos auf. Vielleicht war Küchenarbeit nicht Inos liebste Betätigung, aber sie kochte wirklich gut... Was man von Inoshia nicht behaupten konnte. Andererseits hatte das Kind ja noch einige Jahre.
 

Langsam sank die Sonne hinter den hohen Wipfeln der Bäume.

Inoshia war schon lange eingeschlafen, ihre kleinen, noch immer weinroten Fäuste lagen geballt auf der Bettdecke und sie lächelte im Schlaf. Vorsichtig deckte Shikamaru sie zu und küsste sie auf die Stirn, dann verliess er auf Zehenspitzen das Zimmer. Aus der Küche schien die neben dem kleinen Nachtlicht in Sternform einzige Lichtquelle in der Wohnung und zeigte anklagend auf ein Bild der mittleren Verwüstung: Inoshia hatte, in ihrem Bestreben zu helfen, Rotwein, den sie für die Soße benutzt hatten, auf die (Gott sei dank gekachelten) Wände gespritzt, hatte beim Abtrocknen mehr Feuchtigkeit im Raum verteilt als entfernt, hatte Krümel des Essens auf dem Boden unter ihrem Stuhl verteilt und nicht besonders erfolgreich gekehrt und ein Topf, den sie selbst hatte spülen wollen stand noch unbeachtet auf dem Boden.

Zum wer-wusste-noch-zum-wievielten Mal am Tag seufzte Shikamaru auf, aber diesmal war es ein liebevolles Seufzen, kein Genervtes. Einmal strich er sich durchs Haar und machte sich dann daran, das Chaos wieder zu beseitigen. Was sich nicht unbedingt als einfach erwies...

Die Handtücher waren zu einem erstaunlich festen Knäuel zusammengeknotet. Was so ein kleines Mädchen nicht an Kraft besaß...

Mit einem Krachen fiel der letzte Topf in die Spüle, rutschte aus Shikamarus nassen Händen und fiel mit einem ohrenbetäubenden Scheppern hinein und verdeckte so das Geräusch der sich öffnenden Tür. In der nachfolgenden atemlosen Stille, in welcher er auf Geräusche aus dem Kinderzimmer lauschte, wurde das leise Geräusch von Schritten hörbar – leise, sanfte Schritte. Schritte, die er im Schlaf würde erkennen können...

Und dann stand die schönste Frau Konohas in der Küchentür, einen Ausdruck rangierend von Amüsement bis Entsetzen auf dem Gesicht.

„Oh...“

Mit einer ziemlich lahmen Geste lies Shikamaru das Handtuch sinken, welches er bis gerade noch in der Hand gehalten hatte.

„Da bist du ja.“

Vorsichtig betrat Ino das Schlachtfeld und liess sich auf einen – zumindest halbwegs sauberen – Stuhl sinken. Ihr Gesicht war bleich, es gefiel ihm nicht, aber in ihren Augen funkelte ein Lachen.

„Soll ich fragen?“

Schliesslich breitete sich auch über Shikamarus Gesicht ein Grinsen aus.

„Besser nicht.“

Irgendwie konnte er sich vorstellen, dass er gerade eine recht merkwürdige Figur abgegeben hatte...

Vorsichtig berührte er erst ihr Haar, dann ihre Stirn mit seinen Lippen.

„Willkommen zu Hause.“

Inos Augen schweiften über die Küche, aber sie entspannte sich sichtlich.

„Gut, wieder da zu sein... War das Inoshia?“

Wissend begegneten sich zwei Paar Augen, zwei Hände verschränkten sich ineinander.

Ino lachte leise und melodisch.

„Sie ist... Nun ja. Wie würdest du sagen?“

„Mühsam“, beendete Shikamaru ihren Satz. „Ja, das ist sie.“

„Ist heute irgendetwas passiert?“, fragte sie und runzelte die Stirn. „Mein Vater war im Krankenhaus und hat mich gesucht, aber ich war gerade auf Visite und hatte keine Zeit...“

„Das dachte ich mir. Nein, deine wundervolle Tochter hat nur zufällig die einzige giftige Blume Konohas entdeckt die nur zum Sommeranfang blüht...“

Ino starrte ihn an.

„Lanvíala? Ist etwas passiert?“

„Nein“, beruhigte er sie. „Schon desinfiziert und gewaschen... Sofort erledigt.“

„Ah.“

Entspannt lehnte sie sich zurück und Shikamaru dachte, dass Inoishi dieses Vertrauen ruhig auch hätte zeigen können - statt sofort zu Ino zu laufen.

„Mühsam...“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Was würden wir bloß ohne sie machen?“

Inos Gesicht leuchtete auf. Ihr Haar glänzte im weichen Licht der Deckenlampe, die weichen Linien ihres Gesichtes wurden zu sanften Kurven und verdeckten die Schatten unter ihren Augen.

„Was hältst du von einem Bruder für sie?“

Shikamaru beobachtete die Bewegung ihrer Lippen, während sie sprach, deshalb bekam er nicht mit, was sie sagte.

„Wie bitte?“

Er hielt inne und spulte noch einmal ab, was sie gesagt hatte – dann verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse des Entsetzens.

„Noch ein Kind?“, versicherte er sich und schaffte es nicht ganz, den erschrockenen Ton aus seiner Stimme völlig zu verbannen. Noch eine Inoshia? Na, danke, dann würde er ja gar keine ruhige Minute mehr haben! Nein, das konnte er sich beim Besten Willen nicht vorstellen... Oder...

„Du meinst...“ Er schluckte, und Ino lachte ihn an. Oder aus?

„Warum nicht!“

Dem intelligenteste Shinobi von Konoha fehlten die Worte. Und seine Frau, die ganz genau wusste, was in seinem Kopf vorging, lachte ihn aus.
 

Zweiter Teil
 

Zeit, aufzustehen!

Seine innere Uhr klopfte beharrlich, aber freundlich an und erinnerte ihn daran, dass es Zeit zum Aufstehen war... Müde streckte Shikamaru die Arme aus, liess aber vorsorglich noch die Augen geschlossen. Erst nach einigen Sekunden öffnete er sie. Weißes, weiches Licht tauchte das Schlafzimmer in helle Farbtöne, während die Sonne durch die geblümten Gardinen fiel und Muster auf die Bettdecke malte.

Er wollte noch nicht aufstehen.

Die Wärme des Körpers, welcher sich an ihn drängte, war tröstlich und äußerst angenehm... Ihr blondes Haar fiel Ino offen ins Gesicht. Sie sah entspannt und ruhig aus, und er war dankbar dafür. Es gab Nächte, an denen sie sich schlaflos hin und her wälzte, während Schmerzen sie quälten – Shikamaru hätte alles getan, hätte es geholfen, ihre Krankheit zu überwinden. Obwohl sie schon längst nicht mehr so stark war wie zum Ausbruch, war doch besonders an einigen Tagen recht deutlich dass Ino nur sehr, sehr langsam wieder gesundete – aber immerhin würde sie bald wieder normal leben können. Die Nächte, die sie im Krankenhaus verbracht hatten, Ino, die im großen, weißen Bett so blass und winzig aussah und die in ihren Alpträumen vor Angst und Schmerzen schrie, und er, der neben ihr saß und nichts tun konnte als zuzusehen... Er wusste nicht, was schlimmer gewesen war: Seine Eltern verlieren zu müssen – oder die Angst, Ino zu verlieren.

Dennoch behauptete Ino noch immer holzköpfig, es ginge ihr zunehmend Besser... Vielleicht wollte sie sich selbst nur überzeugen?

Vorsichtig strich er mit einer Hand über ihr Haar und sie bewegte sich unruhig, wachte aber nicht auf. Das war gut so. Sie hatte heute frei – sie sollte sich entspannen, ausruhen und den Tag geniessen. Er musste sich fertig machen. Die Hokage erwartete ihn...

Trotzdem blieb er noch eine Weile liegen und starrte in das Zimmer, welches sie teilten. Der Nachhall des Traumes, den er gehabt hatte, hing noch in der Luft... Der Traum, in dem Ino bereits völlig gesund gewesen war und sie verheiratet gewesen waren. Und... Er errötete und war froh, dass Ino ihn nicht sah – in dem sie eine Tochter gehabt hatten.

Warum gerade so etwas?

Weder waren Ino und er verheiratet noch war sie schwanger.

Und nach dem, was er gerade geträumt hatte... Gott bewahre! Fürs erste keine Kinder. Vielen Dank.

Mit einem letzten klaren Gedanken an einen Traum, der bereits im Verschwinden begriffen war, stieg er endgültig aus dem Bett, bedeckte Inos zusammengekauerten Körper mit der Decke und verschwand im Bad.
 

„Aufgrund der zur Zeit recht angespannten Beziehungen zwischen Iwa- und Taki-Gakure haben die Fürsten einen Beschluß gefaßt“, dozierte ein Shinobi in einem derart arroganten, herablassenden Ton, dass den Zuhörern schmerzlich bewusst wurde, wie wenig das Thema eigentlich mit der Politik des Feuerreiches zu tun hatte und wie wenig es sie von daher interessierte.

Abwesend lies Shikamaru seinen Blick über die Menge der Anwesenden streifen.

Irrte er sich oder spielte die ehrwürdige Hokage unter dem strengen Blick ihrer Assistentin Galgenmännchen und verwendete ihre Akten zum Thema als Unterlage dafür? Unwillkürlich verengte er die Augen. Nachher würde es wieder auf ihn zurückfallen, sie von allem, über das nun verhandelt wurde, in Kenntnis zu setzen, das kannte er doch schon...

Mühsam.

Warum konnte sich die Frau nicht wenigstens ab und zu auf die wichtigen Aspekte ihrer Arbeit konzentrieren? Sicherlich verstand er, dass einige Themen, allen voran die Politik anderer Shinobi-Reiche, sie nicht besonders interessierten... Aber genau aus diesem Grund sollte die Dame Tsunade alle Aufgaben, die sie nicht besonders interessierten, so schnell wie möglich erledigen. Was ihr Spaß machte hatte sie sowieso in Windeseile fertig gemacht. Gut, dass wenigstens Shizune an ihrer Seite war und dafür sorgte, dass das Meiste abgestempelt und unterschrieben wurde, selbst dann, wenn die Fünfte Hokage keine Lust hatte zu arbeiten. Unwillkürlich verzogen sich seine Lippen zu einem Grinsen. So war sie nun einmal... Und genau wie jeder andere Bewohner Konoha-Gakures war Shikamaru stolz auf das Oberhaupt ihres geliebten Dorfes.

„Der Prozentsatz des Exports von Suna-Gakure nach Konoha-Gakure ist, bedingt durch die große Nachfrage am Fell von Wüstenfüchsen, um 3.75% gestiegen und eine Senkung ist derzeit nicht prognostiziert. Experten dennoch schätzen, dass die Population dieser seltenen Tiere jedoch in den nächsten 15 Jahren rapide fallen wird, schon jetzt leben nur noch 15% der Wüstenfuchskolonien in freier Wildbahn...“

Er merkte, wie er ausblendete.

Sein Gehirn nahm die Daten beiläufig auf, speicherte sie gewissenhaft ab und stellte sie auf Abruf bereit, während seine Gedanken abdrifteten. Ein Streifen warmen Sonnenlichtes fiel durch ein Fenster auf den Tisch vor ihm und lies Staub in den Strahlen tanzen, zauberte einen Hauch des beginnenden Frühlings in den ansonsten schattigen und kühlen Versammlungsraum. Langsam kroch die Sonne hinauf, als es langsam Mittag wurde, die Zeit verging und blendete in Form des hellen Sonnenlichtes, welches ihm bald ins Auge fiel, so dass er die Augen zusammenkneifen musste...

In dem Moment hob Tsunade die Hand.

Der Gesandte warf ihr einen ungnädigen Blick zu, wagte es aber nicht, dem Oberhaupt des alliierten Dorfes das Wort zu verbieten.

„Ja, ehrwürdige Hokage?“

„Entschuldigt mich bitte, Botschafter, aber leider ist meine Zeit begrenzt und andere, dringendere Termine erwarten mich. Könntet Ihr so freundlich sein und ohne mich fortfahren?“

Der Blick des Gesandten sagte deutlich aus, dass es für ihn nichts wichtigeres und dringenderes geben konnte als die Informationen, für die er eigens nach Konoha gereist war, aber das sprach er nicht aus. Sichtlich beleidigt schob der Politiker deshalb die Hände in die Ärmel seines weiten Gewandes und verbeugte sich knapp.

„Wie Ihr wünscht, ehrwürdige Hokage.“

Dem stärksten Shinobi aller Fünf Kontinente widersprach man nicht, also wandte der grauhaarige Mann sich wieder dem verbleibenden Rest der Versammlung zu.

„Wie ich bereits sage, wird die prekäre Lage nur aufgrund einiger kleiner Details deutlich, für deren Auffinden man weitreichende Ressourcen einsetzen muss. Nur wenige...“

Die Hokage rauschte hinaus, Shizune im Schlepptau. Shikamaru hätte seinen Rang verwettet, dass keine dringenden Termine auf sie warteten sondern dass sie sich jetzt erst einmal einen ruhigen Platz suchen würde, an dem sie mit einem Glas Sake ausspannen konnte... Etwas, was ihm nicht vergönnt sein würde. Aber wenigstens, dachte er, musste er nur zuhören und nicht auch mit dem fremden Diplomaten diskutieren...

Die Tür öffnete sich erneut, und die Hokage linste durch den Spalt.

„Herr Botschafter, es hat sich etwas ergeben, dessen Diskussion keinen Aufschub duldet... Ich brauche alle meine Leute so schnell wie möglich. Wäre es Euch genehm, wenn ihr sämtliche Angelegenheiten mit meinem Stabschef besprechen würdet?“

Der Blick, den der Politiker ihr zukommen lies, hätte Eis gefroren.

„Ich möchte keine Umstände machen, Ehrwürdige Hokage.“

„Sehr gut! Sämtliche Ratsmitglieder versammeln sich bitte in den nächsten fünf Minuten im Ratssaal 4. So schnell wie möglich! Watase, ich überlasse Euch meinen Stabschef. Wendet Euch an Shikamaru Nara...“

Damit nickte sie Shikamaru zu und winkte ihn hinaus. Als sie endgültig den Raum verließ, liess sie aufatmende Ratsmitglieder, einen wütenden Diplomaten und einen aufseufzenden Shikamaru zurück, der sich anschickte, ihr zu folgen. Er bezweifelte nicht, dass es wirklich dringend war wenn die Hokage sämtliche Ratsmitglieder einberief. Aber dass ausgerechnet er bleiben würde müssen, grenzte an einer Ironie des Schicksals... Im Flur blickte die Hokage ihn ernst an.

„Es tut mir leid, Shikamaru“, sagte sie leise. „Ich will dir das nicht aufbürden, ich weiß selbst, wie langweilig Watase ist. Was er erzählt ist dennoch wichtig. Und du bist der einzige, von dem ich sicher weiß dass er das schnell hinter sich bringt und dann keinerlei Schwierigkeiten haben wird, sich in das neue Thema einzufinden. Gerade kam ein Bote an und hat von Schwierigkeiten an der nördlichen Grenze berichtet... Das ist etwas, was und wirklich betrifft. Nicht so wie der Handel von Wüstenfuchsfellen...“

Schicksalsergeben nickte Shikamaru. Hinter Tsunade rauschte Shura vorbei, ein fieses Grinsen auf dem Gesicht, und ein Bild blitzte in seinem Kopf auf. Shura, die ihn auslachte... War der Traum ein Omen gewesen? Was war an der Grenze geschehen? Er machte sich Sorgen... Aufseufzend kehrte er um und in den Versammlungsraum zurück, wo ihn Watase, Chefdiplomat der vereinigen Reiche, mit einem neuen, langweiligen Vortragsthema erwartete. Neji Hyuuga, der als Letzter den Raum verließ, nickte ihm mitleidig zu und Shikamaru erwiderte die Geste seines Freundes müde. Einen Stuhl zurückziehend, liess er sich darauf sinken und visierte den Diplomaten an.

„Nun, Botschafter Watase, was ist Eure Meinung zu dem Staudammprojekt im Land des Nebels?“

Irritiert sah der Mann ihn an.

„Zu dem Punkt war ich noch gar nicht gekommen, Stabschef.“

Shikamaru winkte ab.

Mühsam...

„Macht einfach weiter, wo Ihr aufgehört habt, Botschafter.“
 

Froh, endlich der tödlichen Redeflut des Botschafters entkommen zu sein, trat Shikamaru fünf Stunden später endlich wieder an die warme Sommerluft.

Ein klarer, lauer Wind strich durch sein Haar.

Er hätte es lieber offen getragen – Ino liebte es so – aber bei der Arbeit war es einfach praktischer wenn er es zusammengebunden liess – so wie Inos Haar weniger hinderlich war wenn es kurz war. Er stellte sich kurz vor, wie der Wind durch ihr Haar strich, wie sie es wieder hinter die Ohren schob – erfolglos – und lachte, und sein Herz zog sich zusammen. Er vermisste sie.

Heute war der erste Tag des Sommers, der 21. Juni, Sommersonnenwende – der Tag, den Ino jedes Jahr so sehnsüchtig erwartete. Jetzt blühten die schönsten Blumen in aller Pracht, erstrahlten mit der warmen Sonne und dem weichen Regen, der in Konoha zu dieser Jahreszeit gehörte. Mit der Natur blühten die Menschen auf. Shikamaru verstand sehr gut, warum Ino den Sommer über alles liebte (und es hing nicht nur lediglich mit der Tatsache zusammen, dass man im Sommer ungehindert Röcke tragen konnte, so lange man wollte) und er liebte es, dabei zuzusehen, wie sie sich darüber freute. Es war nicht so, dass sie nur den Sommer liebte. Aber der Sommer war die Jahreszeit, in der sie aufblühte. Hoffentlich würde sie noch viele, viele Sommer erleben... Den bohrenden Gedanken, dass Ino ihre Krankheit schon beinahe überwunden hatte, schob Shikamaru beiseite, so gut es ging. Es ging nicht gut. Natürlich war es ihr besser gegangen. Entgegen der Erwartungen hatte sie auf die Therapien angesprochen, die Krankheit hatte dank ihrer Willensstärke (oder war es Sturheit?) und dank der Bemühungen Hinatas und aller anderen Ärzte Konohas zurückgedrängt werden können und es schien bergauf zu gehen. Keine Nächte mehr im Krankenhaus. Keine hundert verschiedenen Medikamente mehr im Badezimmerschrank. Weniger und weniger schlaflose und schmerzvolle Nächte...

Ino versteckte es recht gut.

Er konnte nicht einfach darauf vertrauen, dass sie ihm die Wahrheit sagte was ihren Zustand anging – sie hasste es, zuzugeben, dass sie sich schwach fühlte.

Für Shikamaru war Ino eine der stärksten Menschen, die es gab. Aber selbst für ihn war zu sehen, dass sie einen Teil dieser Stärke oft nur als Schutzmauer aufbaute...

Er wäre jetzt gerne nach Hause gegangen und hätte den restlichen Tag mit ihr verbracht...

Aber die Arbeit wartete.

Schnell drehte er sich auf dem Kopf der Stufen herum und wollte wieder in das Haupthaus zurückkehren, als ein blonder Shinobi mit einem Stapel Akten um die Ecke wischte, die ihn um einen halben Meter überragten – und der Mann war nicht klein. Mit einem Rums rannte der Andere in Shikamaru hinein und die Akten segelten mit lautem Klatschen und Papierrascheln zu Boden.

Der blonde Shinobi lachte auf und kratzte sich am Kopf, als er die Bescherung sah, die er angerichtet hatte.

„Naruto“, begrüßte Shikamaru ihn trocken und bückte sich, um die Akten aufzuheben. Der Chaos-Ninja grinste ihn an und wandte sich ebenfalls den Dokumenten zu, die unfreiwillig auf den Steinen des Bodens gelandet waren.

„Shikamaru! Gut, dass ich dich treffen...“

Der schwarzhaarige Mann ahnte Schlimmes.

„Was ist denn?“

„Na ja...“

Naruto grinste ein Grinsen, welches, hätte er keine Ohren gehabt, ein 360Grad-Grinsen gewesen wäre. Nichtsdestotrotz war es freundlich und fröhlich und selbst Shikamaru, der gerade über ernste Themen gegrübelt hatte, fand es schwer angesichts der ansteckenden Laune und des Sonnenscheins weiter traurigen Gedanken nachzuhängen. Wie Naruto so lächeln konnte, nach allem, was ihm in seinem Leben geschehen war, war Shikamaru Nara ein Rätsel. Naruto hatte weder Sasuke Uchiha noch Sakura Haruno retten können. Erst war Sasuke verschwunden, Jahre später, während eines Einsatzes, auch Sakura. Beide waren gemeinsam wiedergekehrt, aber Sakura war von der Hüfte abwärts bewegungsunfähig gewesen – sie hatte Sasuke in einem Kampf gerettet und war selbst schwer verletzt worden. Sie waren nicht lange in Konoha geblieben. Sein Meister war im Kampf gefallen. Shikamaru nahm an, dass auch Tsunade unter dem Verlust von Jiraiya-Sama sehr gelitten hatte. Hinata Hyuuga hatte, als er endlich bereit war, ihr seine Liebe zu schenken, diese nicht mehr erwidern können. Oft kehrte er von Missionen zurück mit Wunden, die so schwer waren, dass Tsunade mehrere Tage damit verbrachte, ihn wieder zusammenzuflicken... Was Naruto wohl als Bonus für sich verbuchen konnte war sein Beitrag zur Hochzeit seines Senseis Kakashi mit einer Dame namens Rin.

Und trotzdem strahlten seine Augen blau wie immer, sein Haar war ungebändigt außer durch das Stirnband und sein Grinsen war ansteckend wie eh und je. Nicht einmal Shikamaru konnte bei diesem Anblick in Selbstmitleid versinken – und die Tatsache, dass Naruto endlich davon absah, den gräßlichen, orangenen Kampfanzug zu tragen, trug seinen Teil dazu bei, nahm er an.

Jetzt verwandelte sich sein Lächeln in ein hinterhältiges Grinsen.

„Gerade ist ein Botschafter angekommen, der sich weigert, mit jemand anderem zu reden als mit dir. Er wartet im Gruppenraum auf dich... Und er hat keinen langen Geduldsfaden, fürchte ich. Du beeilst dich besser.“

Shikamaru legte seine Stirn in Falten bei dem Versuch, zu erraten, wer dieser merkwürdige Besucher wohl war. Naruto gab keine Tips, sondern grinste einfach weiter. Also stand der Shinobi einfach auf, bürstete sich den Staub von der Hose und sah auf Naruto hinunter.

„Bis dann.“

Anstelle einer Antwort winkte der Andere und wandte sich wieder den Akten zu. Und dann sagt man ich sei wortkarg, dachte Shikamaru säuerlich und betrat wieder die dunkle Kühle im Hauptgebäude.
 

„Lange nicht gesehen, Faulpelz“, begrüßte ihn eine wage bekannte Stimme, als er in sein Büro trat. Auf Anhieb fand Shikamaru zwei Fehler an der Situation. Erstens: die Stimme kam aus seinem Büro. Solange er sich dort nicht aufhielt, hatte sich niemand sonst in seinem Büro aufzuhalten! Und Zweitens: Die Stimme kam aus seinem Schreibtischsessel.

Als sich die Gestalt im Sessel langsam umwandte, erkannte er Genaueres: eine hochgewachsene, aber robuste Gestalt, eine Mähne aus blonden Locken, gebändigt mit mehreren Zöpfen, ein weißes Kleid – unverwüstliche Wüstenqualität. Das war also die Person, die so stur nach ihm verlang hatte und es nicht für nötig gehalten hatte, im Gruppenraum auf ihn zu warten. Aus roten Augen, die so typisch für die Wüstenbewohner waren, aber schwarz wirkten wenn die Sonne nicht herunterbrannte, starrte ihm Sabaku no Temari entgegen.

„Hat es dir die Stimme verschlagen oder was?“

Für einen Moment überlegte Shikamaru, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Wie lange hatte er sie schon nicht mehr gesehen, seit ihre Beziehung gescheitert war? Jahre? Wochen? Monate? Nachdem die jugendliche Schwärmerei vergangen war, die er für die um anderthalb Jahre ältere Frau empfunden hatte, fälschlicherweise in der Annahme, dass er so eine gewisse andere Person vergessen konnte, hatte Temari mit ihm Schluss gemacht, nicht, wie es sich gehört hatte, er mit ihr. Traurig oder wütend oder enttäuscht und, wie er annahm, mit gebrochenem Herzen, war sie nach Suna zurückgereist und hatte entweder Konoha insgesamt oder nur ihn gemieden. Shikamaru war dankbar, dass er wenigstens keine Drohbriefe ihrer Brüder erhalten hatte... Obwohl er sie niemals geliebt hatte, wie er Ino liebte, war es eine schöne Zeit gewesen. Und mit einem Schlag kehrte alles zurück, was sein Leben damals ausgemacht hatte: Die Spaziergänge mit Temari, einer Frau, die niemals stillsitzen konnte, das stumme Beobachten, mit dem er Ino im Auge behalten hatte... Damals war noch kein Krieg gewesen, damals war sein Leben gut und seine Eltern am Leben gewesen... Und Ino war nicht krank gewesen. Ob Temari wusste, was sich alles verändert hatte?

Mit einer eleganten, fließenden Bewegung erhob sie sich aus dem Sessel, trat um den Schreibtisch und betrachtete ihn aus nächster Nähe. Reflexhaft trat er einen Schritt zurück, bereute es schon fast, aus Angst, sie verletzt zu haben, aber in ihrem Gesicht zeigte sie keine Regung außer ein spitzbübisches Lächeln. Das kannte er nur zu gut.

„Du siehst müde aus. Ist Faulsein so anstrengend?“

Erleichtert, dass sie scheinbar normal mit ihm redete, versuchte er es auf die gewohnte Art.

„Und du? Rennst du noch immer mit deinem Fächer durch die Gegend und rettest Leute, die nicht gerettet werden wollen?“

Als sie ihn spontan umarmte, wischte ihm ihr ungebändigtes Haar durch das Gesicht und beschwor neue Erinnerungen hoch. Sie war so anders als Ino, viel frischer, weniger anstrengend, weniger hochnäsig... Halt, nein. Das war die Ino von früher. Wenn Ino jetzt noch anstrengend war, dann nur weil sie nie zugab wann sie nicht mehr konnte...

Ihre roten, jetzt schwarz anmutenden Augen blitzten ihn an und sagten ihm ohne Worte, dass er sich nicht mehr zu sorgen brauchte. Shikamaru hatte den Satz „Freunde bleiben“ nie verstehen können. Aber weil es schien als wolle Temari nichts anderes als ihre frühere, freundschaftliche Beziehung wieder neu aufleben lassen, atmete er tief ein und war erleichtert, sich nicht verstellen zu müssen.

„Was machst du hier?“

„Gaara – ich meine, der Kazekage, hat mich nach Konoha geschickt. Ich soll einige unwichtige Dinge mit der Hokage klären, das dauert vielleicht eine Woche, dann bin ich wieder weg. Was meinst du...“

Sie legte den Kopf schief und musterte ihn scharf.

„Sollen wir heute Abend etwas essen gehen? Um der alten Zeiten Willen, du weißt schon. Freunde.“

Freunde.

Erleichterung.

Enttäuschung folgte, jedoch nicht so tief, wie sie hätte sein können.

Eher eine Art von Bedauern.

„Tut mir leid, Temari, aber heute nicht. Wenn es dir nichts ausmacht, ja? Heute Abend hab ich schon etwas vor.“

Das Funkeln in ihren Augen wandelte sich in etwas, was er schon früher gefürchtet hatte.

„Sag bloß, Shikamaru... Bist du mit jemandem zusammen? Oder hast du geheiratet?“

„Was, wenn ja?“

Er fühlte sich definitiv nicht wohl unter diesem Blick.

„Wenn ja, was?“

„Wenn ich... mit jemandem zusammen bin?“

„Zusammen bist?“, echotet Temari, dann warf sie den Kopf in den Nacken und lachte. Und lachte. Und lachte. Irritiert beobachtete Shikamaru sie.

Als sie sich endlich beruhigt hatte, wandte sie sich um und ging zu seinem Buchregal, strich über die Einbände und Rollen und sprach zu ihnen.

„Shikamaru Nara... Wer ist die Frau, die es erträgt mit dir zusammen zu sein!?“

Der schwarzhaarige Shinobi, der nicht sehen konnte, was sie so lustig fand, beschloss, es ihr zu sagen.

„Ino.“

Abrupt drehte Temari sich um, die Augen weit geöffnet.

„Ino Yamanaka? Aus deinem alten Team?“

Shikamaru war platt, dass sie sich Inos Nachnamen gemerkt hatte.

„Die Ino, ja. Kennst du noch eine Andere?“

Das Gesicht seiner Gesprächspartnerin nahm einen nachdenklich-grüblerischen Ausdruck an, als sie ihn musterte.

„Geht das denn gut?“

„Warum würde dich das interessieren?“

„Nun, ich habe dir schon zweimal den Hals gerettet, wenn nicht sogar öfter... Ich hab nicht mehr mitgezählt. Ich schätze, ich habe eine Art Anspruch auf dich...“

„Ha, ha.“

Ironisch schnaubte er, und Temari lachte auf und umarmte ihn noch einmal. Ihre durch die Handhabung eines riesigen Fächers gestählten Armmuskeln ließen ihn zusammenzucken.

„Du hast ja meinen Segen, Shika. Ich freu mich für dich. Dann gehen wir halt ein anderes Mal aus, schätze ich! Schönen Abend – und viele Grüße!“

Und dann war sie aus der Tür. Er wusste nicht genau, ob er jetzt erleichtert oder erschrocken sein sollte. Was war das gerade gewesen? Temari, keine Frage. Aber wie konnte sie sich so verhalten, so offen, so...

Die Tür, die eben ins Schloss gefallen war, flog noch einmal auf. Temari lugte lächelnd hinein, diesmal war es ein echtes Lächeln, ihr Lächeln, das er so gut gekannt hatte...

„Übrigens wusste ich immer, dass ich keine Chance gegen sie habe, Shikamaru. Ich habe es dir nie übel genommen, dass du nur aus Freundschaft mit mir zusammen warst... Ich schätze das habe ich gebraucht um zu kapieren, was zu Hause auf mich wartet! Und jetzt – Tschüss!“

Und endgültig flog die Tür ins Schloss.

Shikamaru seufzte auf. Was zu Hause auf sie wartete? Was sollte das nun bedeuten? Er wollte es sich gar nicht vorstellen.

Mühsam...
 

Nach einem langen, viel zu langen Tag in- und um das Haupthaus und die Büros herum war es Abend geworden. Noch immer leuchtete das Licht der warmen Sommersonne vom Himmel, tauchte die umliegenden Gebäude in einen rötlichen, warmen Farbton und wärmte mit letzter Kraft Shikamarus Gesicht, als er endlich ins Freie trat. Die Schatten waren länger geworden und ein sanfter Wind war aufgekommen.

Automatisch begannen seine Füße, ihn in Richtung ihrer Wohnung zu tragen, in der er mit Ino lebte, sein Kopf war mit anderen Gedanken gefüllt. Natürlich hatte er der Hokage noch heute einen vollen Bericht über die Unterredung mit Botschafter Watase liefern müssen, natürlich hatte er keine Pause bekommen, sondern sich gleich in das nächste brennende Thema, einen internen Streit zwischen Taki und Kumo, in der beide Länder versuchten, Konoha auf ihre Seite zu bringen, befassen müssen. Zwischendurch der Zusammenstoß mit Temari... Ihr Gespräch lief ihm noch einmal durch den Kopf. Eigentlich hatte er nicht ganz die Wahrheit gesagt. Er und Ino hatten keine explizite Verabredung zum Abendbrot gehabt, er hatte nur das Gefühl gehabt, heute Abend früh zu Hause sein zu wollen. Mit ihr die letzten Strahlen des längsten Tages des Jahres zu erleben, mit ihr zu essen und zu lachen und einzuschlafen, wenn ihr ruhiger Atem schon lange zu hören war...

Die Wohnung lag still und dunkel vor ihm.

Erstaunt zog er eine Braue bis an den Haaransatz. Also war Ino noch nicht zu Hause... Nun, sie hatte zwar heute frei, aber vielleicht war sie noch unterwegs. Ein Abendspaziergang oder etwas ähnliches... Er wusste, wie sehr sie die Natur liebte und wie gerne sie in ihr unterwegs war. Vielleicht besuchte sie Sakuras Grab. Vielleicht war sie bei Hinata zu Besuch...

Leise trat Shikamaru ein und streifte die Schuhe von den Füßen. Erst dann tastete er sich an der Wand entlang zum nächsten Lichtschalter und gedämpft flammte eine Lampe auf.

Ein kleiner Flur wurde sichtbar, in hellen Farben und so eingerichtet, dass es geradezu nach Ino schrie. Was keineswegs negativ gemeint war: sogar Shikamaru musste zugeben, dass sie einfach einen guten Geschmack besaß – hätte er mehr zugestanden, hätte er gesagt, dass er ihren Stil liebte und ihren guten Geschmack zu schätzen wusste. Aber so etwas kam Shikamaru Nara nur schwer über die Lippen. Er nahm die Tür zu seiner Linken – das Bad – und wusch sich die Hände, dann erst bemerkte er die Sandalen unter dem Garderobenständer. War sie also doch schon hier? Kurz lauschte er in die Stille der Wohnung hinein, aber nichts rührte sich.

„Ino?“

Er schaltete das Licht in der Küche an. Nichts. Schlief sie schon? Schlafzimmer...

„Ino?“

Nichts.

Jetzt begann Shikamaru, sich Sorgen zu machen. Aber als er ins Wohnzimmer trat und das Licht anschaltete, ertönte ein wortloser Laut des Protests.

Eine Gestalt wurde in der Ecke des Sofas sichtbar, zusammengekauert und deshalb kleiner, als sie eigentlich war. Um ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen zu schützen, hielt Ino sich beide Hände vor das Gesicht.

„Tschuldige...“, murmelte Shikamaru und schaltete die Deckenlampe wieder aus und dafür eine in der Ecke stehende Lampe an, deren Schein er dämmte.

Ino lies die Hände wieder sinken und umschlang stattdessen ihre Knie. Sie wirkte so klein und verlassen wie an dem Tag, an dem er sie zum ersten Mal in ihrer Wohnung besucht hatte – so verletzlich und verloren, dass Shikamaru sie am liebsten sofort in den Arm genommen hätte. Gegen den Reflex ankämpfend, der ihm in den Fingern zuckte, liess er sich in einem sicheren Abstand auf die Lehne des Sessels sinken und sah sie an. Aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, dass sie sich im Moment nicht nur von der Welt zurückzog, wie gewöhnlich, sondern auch von ihm... Und zuerst musste er herausfinden, warum.

„Geht es dir gut?“, fragte er leise und versuchte die Schärfe, die die Sorge seiner Stimme verlieh, so gut wie möglich zu unterdrücken.

„Ist etwas passiert?“

Ino zuckte die Schultern.

„Ich war beim Arzt.“

Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie war beim Arzt gewesen – warum hatte sie ihm nichts davon gesagt? Er hätte sie begleitet, er...

„Ja?“

Seine Stimme war heiser, seine Fäuste ballten sich. Schwer fielen ihre Schatten auf den Boden und blieben liegen, schwer wie die Stille, die sie sonst umgab.

Ino sagte nichts.

„Gute oder... Oder schlechte Neuigkeiten?“, versuchte er verzweifelt, ihr eine Vorlage zu geben.

Ino begann zu lachen – leise und hysterisch.

Eine eiskalte Faust packte sein Herz.

„Gute oder schlechte Neuigkeiten?“, japste sie. „Ich hoffte, du würdest mir das sagen können!“

Als Shikamaru schwieg, hob sie endlich den Kopf und sah ihn direkt an.

„Ich bin schwanger, Shikamaru.“

Stille.

Sekunden lang.

Minuten.

Stunden.

Jahre.

Jahrhunderte.

Shikamaru war vollständig verstummt.

Ino lies den Kopf wieder sinken und umarmte sich selbst, um ihr eigenes Zittern zu verbergen.

Jahrtausende schienen zu vergehen, rasend schnell, unglaublich langsam, in völliger Stille, bis endlich Shikamaru mit unsicheren Schritten auf das Sofa zutrat und Inos Kopf berührte. Mit einer ängstlichen, unsicheren Geste.

Ino sah nicht auf und schloss die Augen.

Shikamaru musste seine Lippen befeuchten, ehe er sprechen konnte, sein Herz schlug viel zu schnell und er wagte es nicht zu glauben was sie gerade gesagt hatte. Sich vergewissernd fragte er:

„Ist... Ist das Kind gesund?“

Was würde er tun wenn das Kind die selbe Krankheit in sich trug wie Ino? Was würde Ino tun?

Würde sie die Geburt in ihrem geschwächten Zustand überleben können? Was, wenn sie es nicht tat? Was würde er tun, wenn sie starb? Was würde er ohne Ino tun?

Ino klang verbittert, und er wusste nicht warum.

„Ja.“

„Woher... Woher weißt du es?“

Die Worte schienen sich nicht einfinden zu wollen – er musste sie oft wiederholen, damit sich der Rest des Satzes bilden konnte...

„Ich bin Ärztin, das weißt du doch.“

Verbitterung. Dass sie Ärztin war und sich selbst nicht helfen konnte. Liebe. Weil sie ihre Arbeit liebte, weil sie es liebte, Kindern zu helfen... Angst. Dass sie den Kindern nicht mehr würde helfen können wenn sie einmal der Krankheit unterlag... Keine Angst um sich selbst. Und das war es, was ihm am meisten Angst machte. Denn wenn sie sich nicht auch um sich selbst sorgte, dann würde sie eines Tages an Erschöpfung sterben – und dass es sie nicht kümmerte, dass es ihr selbst schlecht ging, hieß das nicht, dass sie sich nicht darum sorgte, was aus ihm wurde? Ino war sein Halt, seine Zuversicht, sein Leben...

„Oh... ja.“

Lahm hob er die Hand, um sie erneut zu berühren – und sah dann davon ab, fuhr sich stattdessen selbst durch sein Haar.

„Und... Was ist das Problem, Ino?“

Und Ino brach in Tränen aus.

Entsetzt lies er sich neben sie fallen.

„Was ist denn los, Ino? Habe ich etwas Falsches gesagt?“

Ino sah von ihm weg.

„Ich habe kein Problem damit“, flüsterte sie leise. „Wie steht‘s mit dir?“

„Warum sollte ich...“ Shikamaru verstummte, als sie ihn wütend anfunkelte. Die Bahnen, die ihre Tränen gezogen hatten, leuchteten schwach im gedämpften Licht.

„...Ein Problem haben?“, beendete sie seinen Satz. „Das wolltest du doch sagen, oder? Shikamaru, dir ist doch bewusst, dass das dein Kind sein würde, oder?“
 

Endlich dämmerte es ihm.

Darauf wollte sie hinaus... Im ersten Moment ärgerte er sich nur. Dachte Ino, er würde die Verantwortung nicht tragen wollen? Und dann stürzte mit aller Macht sein Traum der vergangenen Nacht auf ihn ein. Ein Kind... Ein kleines Mädchen, mit Inos Haar und seinen Augen, welches durch die Wohnung taperte, Unsinn anstellte, in der Nacht schrie... Er als Vater. Und das konnte er sich einfach nicht vorstellen.

Ino las ihm die Zweifel von den Augen ab und interpretierte sie richtig.

„Das dachte ich mir“, sagte sie mit einem Lachen, das zu verbittert klang als das er es als echt bezeichnet hätte und machte Anstalten, langsam aufzustehen.

Es blieb bei dem Versuch: Shikamaru packte ihre Arme, hielt sie auf dem Sofa fest und lehnte sich zu ihr hinüber. Als er sie küsste, hörte sie auf sich zu wehren und erwiderte den Kuss. Ihre Lippen waren salzig von Tränen, aber dennoch roch er ihren unverwechselbaren Duft und schmeckte die Süße ihrer Lippen: der wundervolle Geruch nach Blumen, nach Sommer und Vanille... Er lies ihre Oberarme los und berührte ihr Haar. Ino dehnte sich ihm entgegen wie eine Sonnenblume sich der Sonne entgegenstreckt und schlang ihre Arme um seinen Nacken. In der Umarmung, die danach folgte, wurden Worte unnötig: Inos Angst um das ungeborene Kind und vor ihrer eigenen Schwäche und Shikamarus Sorge um sie verschmolzen, wurden zu einer einzigen großen Blase aus Liebe und Vertrauen und Licht, welches alle dunklen Gedanken aussperrten.

Schliesslich löste sich Shikamaru sanft von ihr. Ihr Gesicht war nicht mehr so tödlich bleich und aus ihren Augen leuchtete der Sommerhimmel, als er sie ansah und ehrlich sagte:

„Ich kann mir nicht vorstellen wie es ist, ein Kind zu haben. Aber wenn man es nicht versucht, dann wird man es niemals herausfinden, oder?“

Ino lachte auf, ein Geräusch wie kleine Glocken und Wind in den Blumen, das Geräusch, welches nur ertönte, wenn sie wirklich glücklich war und welches er so liebte.

„So siehst du mich also, was? Wie ein Experiment – mehr nicht! Das kann ja heiter werden.“

Ihr Herz leicht vor Freude, stand sie auf und ging in Richtung Küche, als sie spürte, wie sich Arme wieder um sie schlangen. Shikamaru umarmte sie von hinten, seine Haare kitzelten ihren Nacken.

„Wie willst du sie nennen?“

„Woher willst du wissen, dass es eine Sie wird?“

Sein Gesicht in ihrem Haar vergraben, schüttelte er den Kopf.

„Einfach so...“

Ino lachte wieder.

Shikamaru zog sie zum Sofa zurück und lies sich so darauf fallen, dass sie auf ihm lag. Als Ino sich umdrehte, um ihn anzusehen, konnte sie deutlich eine Frage auf seinem Gesicht lesen.

„Was ist denn?“, fragte sie lächelnd.

„Nun ja...“

Mit einer komischen Grimasse legte er seine Stirn an ihre und sah sie bittend an, so dass sie fast loslachen musste.

„Aber ein Kind ist genug, oder?“
 

Dritter Teil
 

„Du redest merkwürdiges Zeug“, ertönte eine helle Stimme über ihm und Shikamaru Nara erwachte abrupt. Blinzelnd starrte er in das dämmrige letzte Licht des sterbenden Sommertages, welches durch das Dachfenster auf das Sofa hinunterfiel, auf welchem er lag.

Was war heute... Ach ja.

Sommeranfang.

Was war nur... Hatte er gerade davon geträumt, dass er etwas geträumt hatte?

Zur Sicherheit sah er sich gründlich um.

Er war, wo er heute nachmittag eingeschlafen war: auf dem Sofa in der Wohnung, die er sich schon seit mehreren Monaten mit Ino teilte. Genauer gesagt: auf dem Sofa, auf dem er schlief, seit er bei Ino nächtigte. Die Sonnenstrahlen besaßen entgegen seiner Erwartung noch erstaunlich viel Kraft – aber was erwartete man auch vom längsten Tag des Jahres und vom Anfang des Sommers?

Er konnte sich noch dunkel daran erinnern, dass er von der Arbeit gekommen war und direkt eingeschlafen war. Einige Stunden mit einem tödlich langweiligen Botschafter, die Begegnung einer Temari, die überraschend aus Suna angereist war und mit deren Treffen Shikamaru zwiespältige Gefühle beschert hatte, ein Mittagessen mit Naruto und eine merkwürdige Begebenheit, die Inoishi Yamanaka als auch Anko beinhaltet hatte, hatten den eigentlich recht ruhig begonnen Tag zu einen Spießrutenlauf aus erschöpfenden Situationen gemacht, die ihm den letzten Nerv geraubt hatten. Wo er darüber nachdachte, Anko, Inoishi, Temari und auch Naruto waren in seinem Traum erschienen... Ob das die Art seines Geistes gewesen war, mit dem Vorkommnissen des Tages fertig zu werden? Er wusste es nicht und wollte es auch nicht genauer wissen... Wer wusste, was dabei noch herauskommen würde. Die Traumgestalten von Temari, Anko und Ino hatten einen bitteren Nachgeschmack auf seiner Zunge hinterlassen. Frauen, hätte er am liebsten geseufzt und verkniff es sich nur, weil eine Angehörige eben genannter Spezies direkt vor – Verzeihung – über ihm stand und auf ihn hinab blickte.

Ohne sich weiter um sie zu kümmern, setzte er sich auf, strich sich die zerzausten Haare aus dem Gesicht und blickte zur Uhr an der Wand. War sie nicht ein Geschenk an Ino gewesen – irgendwann vor langer Zeit einmal? Er meinte sich zu erinnern und schob es beiseite, weil es als unwichtig erschien.

20Uhr 30Minuten.

Ino streifte ihre Sandalen im Flur ab und kam wieder ins Wohnzimmer.

„Hast du bis gerade eben gearbeitet?“, fragte Shikamaru misstrauisch und musterte ihre Bewegungen genau.

Ino antwortete nicht, sondern trat ans Fenster und öffnete es einen Spalt. Warmer Wind strömte herein und streifte sein Gesicht. In einer fließenden Bewegung streifte sie die leichte Jacke ab, die sie trug, und liess sie auf den Sessel fallen. Ein silbernes Top kam zum Vorschein – es erinnerte ihn an das Top, welches die Ino im Traum im Traum getragen hatte. Auch der weiche, violette Rock passte. Natürlich, ging Shikamaru auf – im Traum hatte sie diese Kleidung getragen, weil er sie heute Morgen in derselben Kleidung gesehen und diese unbewusst auf seinen Traum übertragen hatte.

Barfuß tappte Ino in ihr Schlafzimmer, rumorte eine kurze Weile darin herum und kehrte dann mit einer Haarbürste wieder ins Wohnzimmer zurück. Nahtlos knüpfte sie an seine vorherige Frage an.

„Und du? Schon um 4 Schluss gemacht?“

„Wohl kaum.“

Darauf ging Ino nicht weiter ein. Genauso, wie er nicht weiter darauf einging, dass sie viel länger arbeitete als Hinata ihr erlaubt hatte... Die Ino im Traum, der es schon wesentlich besser ging, war genau das: ein Traum. Shikamaru war nicht dumm und er konnte sehen, dass es ihr schlecht ging. Sie war dünn, so dünn, dass es ihm weh tat sie anzusehen, weil er Angst hatte, dass selbst ein Blick sie würde zerbrechen lassen. Ihre Haut war blass und von der Bräune, die sie früher besessen hatte, weil sie so viel in der Natur unterwegs war, war völlig verschwunden. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und manchmal zitterten ihre Hände so sehr, dass sie sie zu Fäusten ballte und hoffte, ihm würde es nicht auffallen. Er bemerkte es trotzdem.

Ein- oder Zweimal hatte sie Nächte im Krankenhaus verbracht, „zur Beobachtung“, wie die Ärzte und auch sie selbst es ausdrückte. Sie hatte nicht erlaubt dass er bei ihr blieb. Sie hatte seine angebotene Hilfe so wütend abgelehnt, dass er sie nicht noch einmal angeboten hatte. Sie glaubte, er hörte es nicht, wenn sie sich nachts schlaflos vor Schmerzen in ihrem Bett herumwälzte, nur weil die Tür geschlossen war. Und selbst wenn sie schlief konnte er hören, wie sie wimmerte wie ein kleines Kind... Aber sie erlaubte ihm nicht, auch nur davon zu sprechen, dass es ihr schlecht ging.

Eine Weile lang beobachtete Shikamaru Ino, wie sie sich die Haare bürstete und dabei im Wohnzimmer herumstrich, ihren Blick langsam über dieses und jenes streifen liess, ohne jedoch etwas zu berühren. Er hatte schon oft beobachtet, wie sie dieses Ritual durchführte, jedes Mal, wenn sie nach einem langen Tag nach Hause kam. Ohne zu sprechen, ohne etwas zu berühren, liess sie die Stille auf sich einwirken und entspannte sich ein wenig.

Schliesslich legte sie die Bürste zurück und wandte ihren Blick in seine Richtung – ohne ihn jedoch genau anzusehen.

„Irgendwelche Beiträge betreffend des Abendbrotes?“

Shikamaru schüttelte den Kopf.

„Du musst nicht...“

„Schon gut.“

Ino winkte über die Schulter hinweg ab, sie war schon auf dem Weg in die Küche.

„Dann also einfach kalt.“

Unhörbar seufzte Shikamaru auf und schwang die Beine über den Rand des Sofas auf den Boden, um ihr zu folgen. Sie teilten eine Wohnung, deshalb sorgte Shikamaru auch peinlich genau dafür, dass sie sich mit dem Zubereiten des Abendbrotes abwechselten. Genau, wie er seinen Teil zu der Miete und zu den Einkäufen beitrug. Er half putzen, er räumte auf und kochte – es war eine Überraschung gewesen, dass Ino nicht nur kochen konnte sondern dies auch noch gut konnte. In keinem der Bilder, die Shikamaru über diese vielseitige Frau in seinem Kopf hatte, war sie mit Schürze und Löffel zu sehen. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass Ino sich früher einfach zu fein gewesen war, zuzugeben, dass sie sich notfalls auch selbst versorgen konnte... Und anstelle von Salaten und Gemüse und fettreduziertem Essen, welches er in ihrem Kühlschrank vorzufinden erwartete, gab es auch „normales“ Essen... Shikamaru war geplättet gewesen. Andererseits – Ino hatte sich seit Sakuras Rückkehr so stark verändert, dass er eigentlich erwartet hatte, dass ihn nichts mehr würde so schnell überraschen können... Und noch heute hütete sie einige Geheimnisse, dessen war er sich sicher.

Ino quittierte seine Ankunft in die Küche mit einem schrägen Blick und Shikamaru verdrehte die Augen. Als er sie aber genau ansah wäre er beinahe erschrocken zusammengezuckt: im hellen Licht der Lampe wirkte sie noch bleicher und durchscheinender, als dies im Wohnzimmer der Fall gewesen war. Er wollte sich nicht vorstellen wie schwach und krank sie im Krankenhaus aussehen musste, in dem großen, weißen Bett und mit einem Dutzend Schläuchen und Kanülen... Shikamaru verdrängte das Bild, wie er sie einmal so gesehen hatte. Ino wusste nichts davon. Hinata hatte ihn hineingelassen, außerhalb der Besuchszeit, weil er sie so sehr darum gebeten hatte... Ino hatte geschlafen, einen unruhigen Schlaf in dem sie keine Erholung fand. Was würde er darum geben sie nie wieder so sehen zu müssen, das Bild einfach aus seinem Kopf zu löschen und so zu tun, als sei nie etwas geschehen...

Mit einem Seufzen, den sie ignorierte, begann er, den Tisch zu decken.

Ino schwieg ihn an und er schwieg zurück, ein Zustand, der in letzter Zeit oft einzutreten schien wenn sie beide sich in einem Raum aufhielten. Manchmal dehnte sich die Stille aus und umfing ihn sanft und angenehm, manchmal, so wie heute, schien sie schwer und immer schwerer zu werden und ihn zu ersticken, so dass er das Gefühl hatte nicht mehr atmen zu können und etwas sagen zu müssen, nur, damit die Stille ein Ende fand... Das waren dann die Zeiten, in denen er sich die ewig plappernde Ino von früher zurückwünschte, nervtötende, quatschende, arrogante, eingebildete, hyperaktive, herrische Ino...

Gott Sei Dank brach sie das Schweigen bald.

Es hatte für ihn nach dem Zwischenfall vor einem halben Jahr einige Kraft gekostet, wieder zum normalen Plauderton zurückzufinden, welcher meistens zwischen ihnen geherrscht hatte... Fand zumindest Shikamaru. Ino schien damit weniger Probleme zu haben.

Aber wie konnte sie einfach dort weitermachen wo sie gestanden hatten, als er ihr zum ersten Mal ins Gesicht gesagt hatte, dass er wusste, dass sie krank war?

Wie konnte Ino einfach weitermachen, wenn sie wusste, dass sie krank war? Es war ihm völlig unverständlich.

Aber Ino hatte niemals Schwierigkeiten dabei gefunden, Smalltalk halten zu müssen – auch wenn sie es heute wesentlich seltener tat als früher.

„Ich habe gehört, Temari ist für ein paar Wochen hier?“, fragte sie beiläufig und stellte einen kleinen Korb mit Brot auf den Tisch. Shikamaru wandte sich ab und versuchte vergeblich, etwas in ihren Augen zu lesen. Ino wusste von seiner Beziehung zu Temari – aber das war so lange her, dass es wie eine Ewigkeit erschien.

„Wie geht es ihr?“

„Gut“, antwortete Shikamaru knapp und wandte seine Aufmerksamkeit einem Messer zu, welches drei Millimeter zu viel neben der Gabel lag, um zu verhindern, dass er sie weiterhin anstarrte.

Gott.

Er hätte Ino stundenlang ansehen können.

„Wusstest du, dass sie verlobt ist?“

„Woher weißt du das?“

Temari hatte ihm genau das heute Mittag bei ihrem Aufeinandertreffen erzählt.

Ein fassungsloser Blick traf Ino und brachte sie zum Lachen.

„Briefgeheimnis!“

Noch fassungsloser: „Du schreibst Temari Briefe?“

Ino schüttelte, jetzt offen lachend, den Kopf.

„Nein, sie hat mir einmal geschrieben. Eine Heilerin in Suna brauchte Informationen über eine Krankheit, die in der Wüste sehr selten auftritt, sie ist eher in gemäßigteren Klimazonen heimisch... Es stand im PS. Das war kürzer als der gesamte Brief, aber auch persönlicher... Naja, irgendwie logisch, oder.“

„Ah so...“

Kopfschüttelnd setzte Shikamaru sich auf den einen Stuhl.

„Tja.“

Ino trug noch eine Platte mit Käse zum Tisch, bevor auch sie sich fallen liess, während Shikamaru noch versuchte, zu verarbeiten, dass Ino und die blonde Kunoichi aus dem Wüstenreich einander schrieben. Er hatte immer angenommen, dass Ino Temari nicht ausstehen konnte...

„Natürlich wird sie mir dadurch nicht sympathischer“, sagte Ino, als hätte sie seine Gedanken gelesen, und faltete ihre Serviette auseinander, um dann ihr Butterbrot zuzubereiten.

Shikamaru grinste und folgte ihrem Beispiel.

„Das dachte ich mir fast.“

„Tja...“

Ino biss in ihr Brot und kaute bedächtig.

„Temari ist nun einmal...“, fuhr sie fort, als sie geschluckt hatte, und stellte dann fest, dass ihr die Worte fehlten, um die andere Frau zu beschreiben.

„... Temari.“

Ihr Gegenüber konnte nur zustimmen.

„Ach, übrigens“, fügte Ino hinzu und wartete ab, bis Shikamaru in sein Schinkenbrot gebissen hatte und ihr seine Aufmerksamkeit erneut widmete.

„Was zum Teufel hast du da gerade geträumt?“

Erstaunt beobachtete sie, wie sich Shikamarus Wangen dunkel färbten. In Ermangelung einer schnellen Antwort griff dieser zu seinem Glas und trank den gesamten Inhalt in einem Zug aus.

„Hätte ich nicht fragen sollen?“

„Nein, nein, nur... Ich...“

„Schon gut“, sagte Ino und winkte ab. „Ich muss es gar nicht wissen. Wenn ich es recht überlege, will ich es wahrscheinlich auch gar nicht wissen.“

Shikamaru wurde noch heißer, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Sie zog in durch den Kakao!

Er reagierte auf die einzige ihm mögliche Art und Weise:

„Mühsam!“

„Ich weiß, ich weiß“, antwortete sie und richtete ihren Blick auf ihren Teller. „Ich bin ein permanenter Quell des Humors.“

Ino machte Witze! Ino machte Witze über sich selbst!

Hätte jemand Shikamaru dies vor einigen Jahren gesagt, hätte er betreffende Person rundheraus ausgelacht. Selbst noch heute fiel es ihm schwer, zu glauben, was er gerade gehört hatte...

„Aber du musst zugeben: Wenn jemand im Schlaf sagt >Aber bitte nur ein Kind<, dann stellt man sich gewisse Fragen...“

Grummelnd und mit flammenden Wangen wandte er sich wieder seinem eigenen Abendbrot zu, während Ino vor sich hinplapperte, von diesem und jenem erzählte und nur kurze Pausen einlegte, um etwas zu essen. Sie schien verstanden zu haben, dass ihre Stimme ihn beruhigte... Auch heute hatte der Fluss ihrer Stimme eine beruhigende Wirkung auf ihn. Zum ersten Mal am Tag konnte er entspannen, während er sich grinsend anhörte, wie ein GenNin heute darauf bestanden hatte, eine Spritze zu bekommen, obwohl er gar nicht krank war... Nur, um, wie er sagte, stärker zu werden. Das hörte sich verdächtig nach Lee als Trainer an... Aber urplötzlich legte sich die Stille wieder über sie, als Ino nach ihrem ersten Brot ihre zweite Scheibe zum Mund führen wollte, sich auf einmal umentschied und die Scheibe wieder auf den Teller legte. Irritiert durch die eingetretene Stille, sah Shikamaru von seinem eigenen Brot auf uns sah, wie sämtliche der wenigen noch in ihrem Gesicht verbliebene Farbe daraus entwich.

Plötzlich ähnelte sie nicht mehr der Ino, die er so gut kannte, und, wenn er es sich eingestand, liebte, sondern einem fremden Geist.

„Geht es dir gut?“, fragte er alarmiert und hätte sich sofort dafür schlagen können. Natürlich ging es ihr nicht gut, das war zu sehen, und mit Sicherheit war dies das Letzte, was Ino hören wollte. Die Sorge um sie kochte heiß und brodelnd in ihm hoch, bewies, das sie nie verschwunden sondern lediglich unterdrückt worden war und dass sie auf Abruf hervorbrechen konnte – selbst dann, wenn er es nicht wollte.

Aber bevor er dem Impuls, aufzuspringen, um den Tisch herumzulaufen und sie an den Schultern zu packen, nachgeben konnte, war Ino schon aufgesprungen, hatte sich kurz an der Tischplatte festgehalten, als ihr scheinbar schwarz vor Augen wurde, und war dann aus der Küche gestürzt.

Besorgt sprang er auf und hörte nur noch das Schlagen der Badezimmertür – und liess sich wieder auf den Stuhl sinken. Ino hasste es, wenn man aus ihrer Krankheit ein großes Gewese machte. Er konnte nichts falscheres tun als ihr nun folgen... Mit angehaltenem Atem lauschte er auf weitere Geräusche, aber alles blieb still.

Schliesslich ertönten unsichere Schritte im Flur, und Ino kam wieder in die Küche, beide Hände fest verschränkt, um ihr Zittern zu verbergen. Wie gut er sie doch kannte... Sie konnte sich nicht verstellen. Nicht vor ihm.

„Ist alles...“

Shikamaru verschluckte die Worte, als sie ihn anfunkelte, aber aus ihrem Blick sprach nur Müdigkeit.

Keine Wut.

„Sind das normale Symptome?“, wagte er schliesslich vorsichtig zu fragen, als Ino keine Anstalten machte zu sprechen oder zu essen. Kurz darauf ging ihm auf, wie dumm diese Frage eigentlich war. Eine Krankheit, die so wenig erforscht und so unbekannt war wie die Inos – und so selten, dass irgendein ganz besonderer Witzkeks vorgeschlagen hatte, sie nach Ino zu benennen weil sie der erste Fall war, an dem man sie untersuchen konnte (die Krankheit, nicht Ino, natürlich) – wie konnte man da sagen, was normale Symptome waren und was nicht?

Blaue, trübe Augen sahen ihn an.

„Übelkeit? Ist bisher eigentlich selten dagewesen.“

„Vielleicht ist es ja gar kein Teil...“, versuchte er.

„Vielleicht...“

Die Erinnerung an seinen Traum durchzuckte ihn. Er hatte keine Zeit, seinen Mund, der viel zu schnell aussprach, zu welchem Schluss sein Hirn gekommen war, zu stoppen. Es platzte heraus ehe er sich selbst hindern konnte.

„Bist du schwanger, Ino?“

Einige Sekunden, die sich zu Minuten dehnten, blickten Inos Augen ihn einfach nur an während er sich ein Dutzend Möglichkeiten ausdachte, wie er sterben konnte, nur, um die Worte ungesagt zu machen und ihre Reaktion darauf nicht mit ansehen zu müssen.

Während er noch abgrundtief bereute, was er gesagt hatte, brach Ino in schallendes Gelächter aus.

Langsam reichte es ihm. Wer hatte ihn heute schon alles ausgelacht? Shura. Naruto. Temari. Und jetzt auch noch Ino.

Aber während er bei allen anderen Personen davon ausging, dass sie schlicht und ergreifend gemein oder bösartig (naja, bei fast allen) gewesen waren, ging er hier davon aus, dass Ino wirklich, wirklich wütend war. Und das wollte er nicht erleben. Trotzdem – jetzt hatte er sich da hineingeritten, jetzt musste er zusehen, wie er aus dieser Situation wieder herauskam...

„Shikamaru!“, japste Ino zwischen zwei Lachsalven, während Shikamaru errötete und sie anstarrte, darauf wartete zu erfahren was sie so zur Weißglut trieb, dass sie zu Lachen begann.

„Shikamaru, im Ernst... Wie stellst du dir das vor? Ich und schwanger? Gott bewahre!“

Erschrocken von der Intensität ihrer Reaktion, begann auch Shikamaru, langsam wütend zu werden. Was dachte sie sich dabei, dieses ernste Thema in eine Lachnummer zu verwandeln? Ihm war klar, dass es keineswegs absurd gewesen wäre, wäre sie tatsächlich schwanger gewesen. Ino sah gut aus, Männer stellten ihr reihenweise nach und sie hatte niemals Schwierigkeiten gehabt, einen Freund zu finden. Und Übelkeit war nun einmal eines der großen Begleiterscheinungen einer Schwangerschaft. Aber begriff sie nicht, dass er sich schlicht und ergreifend Sorgen um sie machte? Warum musste sie ihn auslachen?

„Und warum ist das so abwegig?“, schnappte er zurück.

„Du bist nun einmal eine Frau – und die werden schwanger!“

Ino liefen Tränen über das Gesicht. Sie presste sich eine Serviette vor den Mund und dankte der Tatsache, dass Shikamaru nicht würde erkennen können, ob sie vor Lachen weinte oder...

„Ich weiß ja nicht ob du schon einmal darüber nachgedacht hast oder nicht, Shikamaru, aber selbst um Schwanger zu werden sind zwei Personen notwendig!“

Ihr Spott war beißend. Und das lag daran, dass sie sich durch seine Worte so verletzt fühlte – wie sonst hätte sie reagieren können? Sie kannte keine andere Alternative.

„Na und?“

Mit flammend roten Wangen – vor Wut gerötet – sprang er auf. Sein Stuhl wackelte bedenklich.

„Du kannst doch nicht behaupten, dass du nicht jemanden finden würdest der mit dir ins Bett geht!“
 

Zum ersten Mal in seinem Leben erlebte Shikamaru Ino bewusst sprachlos. Während ihm schon wieder leid tat, was er eben so bedenkenlos gesagt hatte, und er einen Weg suchte, die Worte wieder rückgängig zu machen – warum ging das nicht! – stand Ino sehr, sehr langsam von ihrem Stuhl auf. Jetzt waren beide wieder auf einer Höhe, starrten sich über den Tisch hinweg an: Shikamaru, bereits wieder abgekühlt, dem furchtbar leid tat, was er gerade gesagt hatte, und Ino, die jetzt erst richtig wütend wurde. Richtig, richtig wütend.
 

„Wage es nicht, so etwas zu sagen, Shikamaru Nara“, zischte sie leise, aber selbst durch das Flüstern hindurch konnte er die Wut spüren, die dahinterstand. Ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Unwillkürlich wollte er sich verstecken, fliehen vor der Drohung, die kaum noch verhüllt in ihren Worten und ihrem Tonfall deutlich wurde... Weißglühende, heiße Wut, unverhüllt. Und dann, versteckt, winzig, aber unmissverständlich für ihn, der sie so lange kannte: Enttäuschung?

In Inos blauen Augen stand ein Feuer, für das er unter anderen Umständen dankbar gewesen wäre. Aber nun richtete es sich gegen ihn.

„Wage es nicht... Von allen Menschen, die so etwas sagen könnten, bist du derjenige, der ganz sicher nicht das Recht dazu hat!

Ihre Fäuste ballten sich, und diesmal konnten sie ihr Zittern nicht verstecken.

„Du wohnst doch schon seit sechs Monaten, einer Woche und vier Tagen hier, Shikamaru Nara. Gab es eine Nacht – auch nur eine einzige Nacht – in der ich nicht zu Hause war? Nicht einmal eine Nachtschicht lasst ihr mich machen, du und Hinata. Nein, ich bin hier, in meinem Zimmer, in meinem eigenen Bett, und das allein! Und niemand sollte das besser wissen als du! Außerdem gehe ich davon aus, dass du mittlerweile hoch genug von mir denkst, dass du nicht in Betracht ziehst, dass ich in irgendeinem Kabuff mit jemandem herummache? Bin ich in deiner Achtung mittlerweile so hoch gestiegen? Bin ich es?

Kalt erwiderte er ihren Blick. Sie warf ihm vor, dass er sich um sie sorgte? Sie gab ihm die Schuld an ihrer Situation?

„Ja, genau das ist die Frage. Bist du es?“

Sollte er sich das gefallen lassen? Hatte er denn nicht schon oft genug bewiesen, dass er ihr vertraute? Dass sie seine Achtung besaß? Dass sie ihm nun unterstellte, er würde sie verachten, traf ihn tief. Tiefer, als es ihn hätte treffen sollen.

„Vielleicht ja nicht in irgendeinem Kabuff... Was ist mit Hofeinfahrten?“

Das war ein Schuß unter die Gürtellinie und Ino wich zurück, als hätte er sie geschlagen. Zu der Wut in ihren Augen gesellte sich noch etwas – Unglaube. Absoluter Unglaube. Und erneut tat es Shikamaru sofort leid, was er gesagt hatte.

„Das war nur für dich, du Mistkerl!“, kreischte Ino. Ihre Stimme überschlug sich.

„NUR FÜR DICH! Und du hast tatsächlich den Mut, mir das vorzuwerfen! Du elender Mistkerl!“

Auf dem Fuß drehte sie sich um und stürmte aus der Küche.

Shikamaru machte einen Satz um den Tisch herum und fing sie an der Tür ab, seine Hand schloss sich um ihren Oberarm und riss sie herum. Schwer atmend blieb sie stehen, musterte erst ihn und dann seine Hand an ihrem Arm, aber er machte keine Anstalten, sie loszulassen. In ihrem Gesicht las er so viel: Wut, Enttäuschung – und Angst. Es zerschnitt ihm das Herz.
 

„Ino“, begann er leise.

Ino versuchte, ihren Arm aus seinem Griff zu reißen, schaffte es aber nicht. Erneut fühlte er einen stechenden Schmerz in seiner Herzgegend: Wäre sie gesund gewesen, hätte sie sich nicht nur in Windeseile befreit sondern ihm auch noch eine gepfefferte und gesalzene Ohrfeige verpasst...

„Lass mich los!“

„Ino“, sagte er noch einmal, so beschwörend, dass sie ihn ansah.

Sie hatte gewusst, dass sie es nicht hätte tun sollen. Denn in dem Moment, in dem sie Shikamaru ansah, in seine braunen Augen sah, war sämtliche Wut verraucht, verließ sie und liess sie kalt und leer zurück. Sie fühlte sich schwach und wäre, hätte er sie nicht so fest gepackt, beinahe zusammengebrochen, so lehnte sie sich nur noch gegen die Wand und schloss die Augen. Shikamaru nahm das als Zeichen, dass sie ihm zuhörte.

„Ino“, sagte er zum Dritten Mal. „Es tut mir leid. Das hätte ich niemals sagen dürfen – das ist unentschuldbar. Es tut mir wirklich, wirklich leid.“

Einmal hätte gereicht. Wie sollte sie ihm noch böse sein, wenn er so mit ihr redete? Wenn er das doch nur selbst einsehen würde...

Der Griff um ihren Arm lockerte sich ein wenig.

„Entschuldige bitte.“

Shikamaru sah sie an und fühlte sich so miserabel, wie sie aussah.

„Ich achte dich sehr, Ino. Ich hätte deine Handlungen nicht in Frage stellen sollen.“

Sie antwortete nicht.

„Verzeihst du mir?“

Ino öffnete die Augen nicht.

„Weißt du, Shikamaru...“

Ihre Stimme war dünn und leise und er hielt den Atem an, um überhaupt etwas zu verstehen.

„Zu einer Beziehung gehören nun mal zwei Personen. Aber was dich betrifft – ich könnte genauso gut alleine sein.“

„Wie meinst du das?“

Sein Blick war so intensiv, dass sie ihm nicht begegnen konnte. Ino wusste nur, dass sie nun angefangen hatte und wenn sie es jetzt nicht zu Ende brachte, dann würde sie nie den Mut dafür aufbringen.

„Warum bist du hier?“ Sie wandte ihren Blick ab und deutete auf das Zimmer, und sein Blick folgte der schwachen Bewegung ihrer Hand. Als sich ihre Blicke wieder begegneten, war es Shikamaru, der sich abwenden musste. Er verstand endlich, dass Ino seine Motive schon lange durchschaut hatte.

„Du bist doch nur hierhergekommen, weil du nicht allein sein wolltest, nicht wahr? Nicht allein in dem großen, leeren Haus deiner Eltern, in der jede Ecke voller Erinnerungen ist.“

Groß. Leer. Trist. Voll Erinnerungen... Es war ganz genauso, wie sie es beschrieb.

„Du hattest Angst, allein zu sein. Also dachtest du, du könntest ja zu mir kommen. Und ich...“

Sie lachte leise und bitter.

„Ich dachte, du hättest es verstanden. Ich habe dich hier wohnen lassen. Selbst, als ich gemerkt habe, dass wirklich noch nichts bei dir angekommen ist, in deinem superschlauen Gehirn, habe ich nichts gesagt. Meinst du wirklich, Shikamaru, dass du der einzige Mensch bist, der sich allein fühlt? Was haben diese Monate hier dir gezeigt?

Nichts.

Du schläfst auf dem Sofa. Du gehst zur Arbeit, du ißt hier, du redest mit mir... Aber ich könnte auch genauso gut allein sein, denn Koexistenz ist es nicht, was ein Mensch sich wünscht. Das bloße Zusammenleben zweier Individuen. Was sind wir – Symbionten? Ich kann sehr gut ohne dich leben, Shikamaru Nara, und ich denke das weißt du. Der einzige Haken daran ist – ich will es nicht.“
 

Eine Träne lief ihr über die Wange, silbern und schimmernd wie eine Perle. Wie betäubt streckte Shikamaru die Hand aus und fing sie auf.
 

„Früher musst du es noch gekonnt haben, aber irgendwann hast du einfach vergessen, was es heißt, eine Beziehung zu führen. Nun ja – nicht ganz, denn anscheinend schließt du wieder Freundschaften. Aber hier leben wir nur nebeneinander, ohne jede Berührung. Willst du nicht mehr?“
 

Wortlos starrte er sie an und vor seinem inneren Auge liefen Bilder ab: Ino, gesund und lachend, beinahe geheilt, Ino mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm, Ino in seinen Armen...
 

„Ich weiß nicht, ob du das kannst, Shikamaru, aber ich kann es nicht. Ich schaffe es einfach nicht. Ich kann nicht ewig allein bleiben, ewig allein... Ewig allein auf dem Sofa schlafen, vergleiche es mit was du willst. Du gehst hier ein und aus wie du willst und ich pfeife darauf, was du tust - solange du nicht mit mir zusammen sein willst. Aber dann musst du es mir sagen. Laut und deutlich. Denn ich kann nicht einfach ewig normal weiterleben und so tun, als sein alles normal... Ich schaffe das nicht mehr lange. Es kostet zu viel Kraft. Kraft, die ich noch für ganz andere Dinge brauche... Und du weißt doch, im Teilen bin ich nicht gut. Ganz oder gar nicht, Shikamaru.“

In ihren Augen funkelten Tränen.

„Ich weiß nicht, wie oft ich es dir noch zeigen muss, Shikamaru. Aber anscheinend ist es noch nicht bei dir angekommen.

Ich liebe dich.“
 

Stumm sah er sie an, und Ino blickte zu Boden. Alles, was sie gesagt hatte, entsprach der Wahrheit: sie konnte nicht mehr. Sie hatte es oft genug gemerkt. Wenn der Weg die Treppen hinauf ins Dachgeschoß zu ihrer Wohnung plötzlich länger erschien als noch vor Wochen. Wenn sie Nachts die Flasche Wasser nicht mehr festhalten konnte, ohne zu zittern. Wenn sie sich im Bett herumwälzte und sich nur wünschte, jemand würde sie festhalten, jemand würde ihr sagen, dass alles gut werden würde...
 

Shikamarus Hand, die ihren Arm so fest umschlossen gehalten hatte, fiel langsam herunter und liess sie an der Wand lehnend zurück. Er schien nicht zu bemerken, dass er ihr ihren einzigen Halt genommen hatte, als er einen Schritt zurück trat und aus dem Fenster blickte. Seine Stimme schien aus weiter Entfernung zu kommen.
 

„Ich wollte nicht allein sein, als ich zum ersten Mal hier herkam, das stimmt schon, Ino...“

Er liess sich ihren Namen auf der Zunge zergehen, legte etwas hinein, von dem sie nie geglaubt hatte es einmal zu hören und das sie erschaudern liess.

„Aber mehr als alles andere wollte ich bei dir sein. Wirklich.“

Ihr fehlte die Kraft zu fragen, was ihn davon abgehalten hatte.

„Als ich das mit deiner Krankheit erfuhr, da... Ich weiß nicht, was ich gedacht habe. Ich weiß nur dass ich nicht weiß was ich machen soll, wenn du nicht mehr da bist, Ino. Ich kann nicht akzeptieren, dass du sterben wirst wenn die Ärzte nichts unternehmen. Ich habe so viele Menschen verloren, ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn ich dich auch noch verliere.“
 

Ino lächelte bitter. Natürlich hatte er viele Menschen verloren... Natürlich wollte er sie nicht auch noch verlieren. Aber das reichte ihr nicht. Sie wollte nicht wie ein Mitglied seiner Familie werden. Sie wollte seine Familie sein. Seine einzige, wahre Familie... Es war ihr klar, dass sie ungerecht zu seinen Eltern war. Aber ein einziges Mal – ein Mal – war es ihr vollkommen egal, ob sie selbstsüchtig klang oder nicht. Sie hatte ihre Kindheit einem Mädchen geopfert, von dem sie gehofft hatte, es würde ihre Freundin werden. Weil sie es geworden war, hatte sie dankbar beschlossen, alles zu tun, um dieses Mädchen glücklich zu sehen – und hatte sich selbst zu ihrer größten Feindin erklärt, um ihr zu helfen. Es hatte geholfen. Auf Inos eigene Kosten hin. Sie hatte sie in Kauf genommen. Sie hatte große Teile ihres Lebens dafür geopfert, für Sakura und für Shikamaru da zu sein. Nun war Sakura weg. Und das einzige, was sie sich jetzt noch wünschte, war, dass diesmal Shikamaru für sie da war.
 

„Du hast selbst gesagt, dass du deine Kraft brauchst, Ino, und dass du sie nicht mehr lange aufteilen kannst. Genau das möchte ich nicht. Ich wusste, du wirst all deine Kraft und Konzentration dafür brauchen, gegen deine Krankheit zu kämpfen... Und trotzdem war ich egoistisch und bin hier geblieben. Ich war immer nur egoistisch, nicht wahr? Ganz und gar nicht wie du. Wenn ich etwas haben möchte, dann will ich es auch. Aber ich bewege mich nicht genug, um es auch zu bekommen. Deshalb bin ich einfach nur hier geblieben... Und habe mir eingeredet, dass es mir ausreichen würde, dich einfach nur zu sehen. Hier zu sein – in deiner Nähe. Aber nur hier zu sein, dich zu sehen und nicht zu berühren – es ist die Hölle, weißt du?“
 

Die Stelle, an der er ihren nackten Oberarm gepackt hatte, brannte plötzlich heiß. Sein Blick begegnete ihrem, und diesmal war es Ino, deren blasses Gesicht sich rot färbte. Was sie in seinem Blick las...
 

„Ich will es so sehr, dass es weh tut...“
 

Shikamarus Blick schweifte erneut ab zum Fenster. Die Nacht war angebrochen... Sommersonnenwende.
 

„Aber wenn ich es tue, Ino, wenn ich nachgebe und statt neben dir zu leben mit dir lebe – weißt du, was dann passiert? Dann lasse ich dich nie wieder los. Ist dir das klar? Nie wieder. Ich habe dich geliebt, seit wir Kinder waren, durch gute und schwere Zeiten hindurch, durch deine Liebe zu Sasuke, durch den Tod meiner Eltern hindurch. Ich habe nie auch nur eine Sekunde aufgehört. Jeden Tag liebe ich dich mehr und du kannst daran nichts ändern...“

Shikamaru schwieg für einen Augenblick und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete und Ino ansah, war sein Blick so voller Verlangen, dass sie sich erneut gegen die Wand lehnen musste, weil ihre Beine beinahe nachgaben.
 

„Selbst als in meinem Leben nur noch Kälte herrschte, warst du die ganze Zeit da. Wer weiß – vielleicht bin ich deshalb nicht wahnsinnig geworden? Du kennst mich gut, Ino. Den größte Teil meines Lebens lang ist Winter gewesen. Ich kann dir ein Leben wie das meine nicht aufzwingen. Ich kann dir nichts bieten ausser Kälte und Eis... Und das hast du nicht verdient. Und selbst jetzt...“

Er holte tief Luft.

„Und selbst jetzt habe ich Angst. Denn wenn du mich akzeptierst, wie ich bin, wenn ich dir alles gebe was ich habe und du es annimmst, dann werde ich bis zum Ende meines Lebens an deiner Seite sein und du wirst mich nie wieder los. Und vielleicht willst du dieses Leben ja gar nicht... Deshalb bewege ich mich weder vorwärts noch rückwärts. Solange ich es nicht tue, bist du frei von mir und meinem Leben voller Kälte...

Einem Sommerkind die Kälte des Winters aufzuzwingen ist das Schlimmste, was man tun kann.“
 

Vierter Teil
 

Der Wind, der nun aufgefrischt hatte, fegte in Böen um das Haus.

Shikamaru lag auf dem Sofa unter dem Dachfenster in Inos Wohnzimmer, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und lauschte den Geräuschen der Nacht um ihn herum. Mond und Sterne schimmerten schwach durch das Fenster. Wie klar die Nacht war... Eine Sommernacht.
 

Nachdem er endlich gesagt hatte, was ihm bereits seit über 18 Jahren auf dem Herzen lag, fühlte er sich merkwürdig leicht. Als sei ein Gewicht von ihm genommen worden, die Last der Welt... Ino hatte nichts gesagt. Sie war blass gewesen und gleichzeitig fieberrot, sie hatte sich auf dem Tresen abstützen müssen, als sie die Küche verließ, ihre Hände hatten deutlich gezittert. Kein Wort war über ihre Lippen gekommen, sie hatte ihn nicht einmal angeschaut. Er machte sich schon einige Sorgen um sie – aber andererseits, sie hatte es provoziert. Er wusste nicht, wie lange er noch damit hätte leben können, sie nur anzusehen statt sie zu berühren. Aber wahrscheinlich wäre es nicht noch viel länger weitergegangen. Gott – nur die kurze Berührung ihres Armes hatte er genossen, er hatte gespürt, wie weich ihre Haut war, warm und samten... Vermutlich würde das Ganze damit enden, dass er auszog. Wenn Ino sich nicht damit abfinden konnte, dass sie ihm gehören würde, würde er nicht länger hier bleiben können. Er konnte sich nicht helfen als sie als solches zu betrachten: Als sein Eigentum. Es war nicht abwertend gemeint und sollte auf keinen Fall bedeuten, dass sie kein eigenständiger Mensch war, der sich selbst gehörte. Aber sie hatte es selbst gesagt: Ganz oder Gar nicht.

Und andererseits hatte Ino immer alles durchgestanden. Sie war zu stur um sich nur von einer Rede – und sei es auch ein Liebesgeständnis – aus dem Trott bringen zu lassen. Merkwürdigerweise konnte er sich nicht daran erinnern, dass sie jemals so neben sich gewesen war wie zu dem Zeitpunkt, an dem sie die Küche verlassen hatte...

Jedes Wort, das er gesagt hatte, war ernst gemeint gewesen.

Es tat körperlich weh, sie in so kurzer Entfernung zu wissen und dennoch nicht zu ihr zu können... Ihr gegenüber zu sitzen und nur anzusehen war reinste Tortur. Er hätte so oft nur die Hand auszustrecken brauchen um sie zu berühren, an sich zu ziehen, zu küssen... Er träumte von ihr. Ein einziges Mal hatte er sie geküsst, in der Kälte der Hofeinfahrt vor einigen Jahren. Seitdem war er ihr nur einmal wieder nahe gekommen – in der Nacht, in der er bei ihr eingezogen war. Und seit dem war er wieder auf Abstand gegangen. Ob er gedacht hatte, es würde ihr nichts ausmachen? Nun, anscheinend hatte es ihr etwas ausgemacht.

Sie hatte gesagt, sie liebte ihn.

Sie hatte auch gesagt, sie liebte Sasuke.

Darüber machte sich Shikamaru jedoch keine Gedanken. Er wusste, wenn Ino etwas sagte, dann meinte sie es so... Es war nicht die Tatsache, dass sie ihn liebte, die er bezweifelte. Es war die Tatsache, dass es für sie gut sein würde, ihn zu lieben. Und wenn sie klug war dann würde sie die richtige Entscheidung treffen...

Er war nicht gewillt, sie in den selben Strudel hineinzureißen, in dem er sich bereits befand. Seinen Stern – sein Licht, seine Hoffnung – würde er nicht freiwillig derselben Dunkelheit aussetzen. Aber wenn sie sich für ihn entschied...

Es war ihre Entscheidung.

Verzweifelt biss er die Zähne zusammen.

Er konnte sie vor sich sehen: groß, schlank, wunderschön und doch – so fragil. So zerbrechlich. Und zur gleichen Zeit so stark, unnahbar... Es ächzte ihn danach, sie zu berühren, sie festzuhalten und nie wieder loszulassen...
 

Leise, so leise, dass er es fast überhört hätte, öffnete sich die Tür zu Inos Schlafzimmer. Kein Licht drang heraus, doch die kleine Lampe, die in der Ecke des Wohnzimmers brannte, zeigte eine Gestalt im Gegenlicht, schwarz, wie ein Scherenschnitt. Ihre blonden Haare fielen ihr wie Seide auf die Schultern als sie ins Licht der Lampe trat. Der Teppich saugte die meisten Geräusche auf, die ihre nackten Füße auf dem Boden verursachten.

Shikamaru verschlang sie mit den Augen, betrachtete ihren wunderschönen Körper und schluckte, als ihm plötzlich ein großer Kloß im Hals zu stecken schien. Sein Puls raste.

Langsam kam Ino auf ihn zu, ihre blassen Wangen gerötet, ihr Blick zögernd – und mit jedem Schritt sicherer werdend. Aber wo ihre Entscheidung sich festigte, da verließ ihre körperliche Stärke sie. Shikamarus Herz machte einen Sprung, der rein gar nichts mit Erregung zu tun hatte, als sie schwankte und sich auf dem Sofa abstützen musste, er wollte aufspringen, um ihr zu helfen – aber er blieb sitzen. Vorsichtig kämpfte Ino sich weiter, sich bewusst, dass sie an ihre Grenzen ging. Sie hatte heute viel gearbeitet. Viel – und viel zu lange. Hinata hatte sie am Ende gewaltsam hinausexpedieren müssen. Dann der Streit in der Küche, der an ihren Kräften gezehrt hatte. Und als sei dies nicht genug gewesen, machte sich erneut der Schmerz bemerkbar, bewegte sich von ihren Schläfen aus in ihren Rücken, ihre Arme, Brust und Beine... Kurz blieb sie stehen, um zitternd Luft zu holen, und machte dann die letzten Schritte bis zur Lampe.

Wie eine weiche Decke fiel die Dunkelheit über den Raum.

Shikamaru hörte ihre zögernden Schritte erneut – und dann strich etwas über sein Gesicht. Unwillkürlich nahm er ihren Geruch war, spürte ihr Haar auf seiner Haut und hätte beinahe aufgestöhnt. Sie war so unglaublich nah... Zögernd berührten ihre Lippen die seinen, weich, vorsichtig und schwächer, als er sich es vorgestellt hatte. Dennoch versank er in dem Kuss, erwiderte ihn immer hungriger, bis Ino sich zurückzog und bebend Luft holte. Er musste sich gewaltsam daran erinnern, dass sie so schwach war heute Abend – dass sie nicht die Kraft hatte, ihn noch viel länger zu küssen. Er hätte es ewig tun können... Ihre Hände berührten die Seinen und zogen leicht daran und er verstand was sie wollte und stand auf. Im Dunkel des Zimmers konnte er nur ihre Silhouette wahrnehmen, die ihm gegenüberstand, und Ino lehnte ihre Stirn an sein Gesicht. Shikamaru schloss die Augen und ließ die Arme an seinen Seiten hängen. Was kam nun? Was war ihre Entscheidung?

„Ich habe dich schon vor langer Zeit gewählt, Shikamaru“, hauchte Ino.

Mehr nicht.

Diesmal küsste er sie, fordernd und lang, und spürte, wie sie gegen ihn sank. Mit beiden Armen umfasste er sie, stützte sie im selben Maß wie er sie an sich drückte, presste die Hände auf ihre Schulterblätter und nahm diesmal durch Fühlen war, wie dünn und zerbrechlich sie geworden war. Langsam führte er sie in Richtung ihres Schlafzimmers und Ino folgte ihm, zögerlich, vorsichtig... Vor dem Bett blieb er stehen und wandte sich ihr zu, berührte ihr Gesicht, ihre Haare, und Ino hielt den Atem an, als sie seine Hände spürte, atmete tief ein und schloss die Augen.

„Ino?“, hauchte er an ihrem Ohr.

„Hmm?“ Sie konnte die Augen nicht mehr öffnen. Schmerzen und Schwäche zerrten gleichermaßen an ihr wie die Wärme seiner Hände, die sie durch den Stoff ihres Nachthemdes hindurch wahrnehmen konnte, das Wissen, dass er es war, der sie festhielt und küsste...

„Ich liebe dich.“

Seine Stimme war warm, weich und verlockend wie auch verlangend, an jedem anderen Tag hätte sie nachgegeben...

„Ich hab Kopfschmerzen“, hauchte sie, kaum noch bei Bewusstsein.

Shikamaru zog sie an sich und liess sich vorsichtig auf dem Bett nieder, so dass sie in seinen Armen lag. Besorgnis färbte seine Stimme.

„Schlimm?“

„Nein...“ Sie suchte seine Hand und hielt sie fest. Hielt sich selbst fest.

„Ich muss nur schlafen...“
 

Erstaunt starrte Shikamaru sie an, überwältigt von dem Verlangen, sie zu küssen, sie zu berühren, nie wieder loszulassen...
 

„Hör mal“, sagte er, und er klang eindeutig belustigt.

„Weißt du, wie lange ich auf diesen Moment gewartet habe? Und jetzt sagst du, du hast Kopfschmerzen?“

Ein Lächeln umspielte Inos Lippen, sie öffnete die Augen nicht mehr.

„Tut mir leid... Bleib nur hier, ja?“

Vorsichtig küsste er sie auf den Mund, zärtlich und liebevoll.

„Natürlich.“

Leise ertönte Inos Atem und strich süß über sein Gesicht. Und irgendwann fielen auch Shikamaru die Augen zu...
 

Das Schlagen der Uhr kündigte den Beginn eines neuen Tages an.

Es war Sommer.
 

Ende
 


 

Nachwort...
 

UH, ein Nachwort. Stylisch.

*lach*
 

Herzlich willkommen und Glückwunsch! Das hier ist das Ende meiner Ino-Shikamaru-OS-Reihe und es wird voraussichtlich kein weiteres geben. Das liegt daran, dass Inos und Shikamarus Schicksal von hier an mit dem Schicksal einer anderen Person verknüpft werden wird... Genauer, mit dem Schicksal drei anderer Personen. Die erste ist Inoshia, die süße Kleine, die im ersten Traum auftaucht. Die zweite Person ist Shikaru, Inoshias jüngerer Bruder. Und die Dritte ist Yukatsuki, ein eigener Charakter, deren Schicksal widerrum eng mit dem von Shikaru verknüpft sein wird...
 

Ich könnte jetzt sagen, wer mehr wissen will, schaut in meine anderen FFs, aber da muss ich enttäuschen^^ Denn bisher gibt es nur Hidden Flowers I, eine FF, die nur von Yuka handelt, und Hidden Flowers II, in der erzählt wird, wie Yuka und Shikaru sich treffen. Erst in Hidden Flowers III geht es dann wieder um Shikamaru und Ino, und da diese FF erst in den Anfangszügen steckt, kann das wahrscheinlich noch ein Jahr dauern^^ Ich weiß, ich bin gemein.
 

Um mal von der Werbung wegzukommen.

In dieser Geschichte kommen viele Träume vor. (Viel zu viele?^^) Der Aufbau ist antiklimatisch, also absteigend... Von der glücklichen Kleinfamilie hinunter bis zur ziemlich verzwackten Situation zwischen zwei Menschen, die, außer dass sie in einer Wohnung leben, kaum etwas gemeinsam haben. Obwohl sie gerne mehr hätten. Aber von dem Zeitpunkt an, an dem das OneShot endet, beginnt es erneut. Und dann kann man guten Gewissens sagen, man braucht die Geschichte nur einmal von hinten nach vorne zu lesen... Denn dann ist der Graben überbrückt, der in Teil 3&4 beschrieben wird. Inos Krankheit, die zu Beginn der Beziehung so stark war, schwächt langsam ab... Stattdessen wird sie, wie in Teil 2, schwanger. Und dann, wenn ihre erste Tochter so alt ist wie Inoshia in Teil 1, ist die Krankheit beinahe verschwunden... Sprich, die Träume in den ersten beiden Teilen sind eine Art "Blick in die Zukunft".

So war das zumindest von mir geplant und ich hoffe, man versteht meine Intention...
 

Noch einmal vielen, vielen Dank an alle, die mich in irgendeiner Art und Weise unterstützt haben, und Dank auch dir, fernan, weil du mich durch deine Abwesenheit in die Lage versetzt hast, das so zu schreiben wie es geworden ist... Selbst, wenn du es niemals erfahren wirst.
 

Isa (19.März 2008)



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  -Anni-
2008-03-28T13:05:24+00:00 28.03.2008 14:05
Also uch muss dir erst mal sagen das ich es klasse finde das de weiter geschrieben hast *daumenhoch* XD

ich mag deine storys von InoShika schreibst die echt Klasse ^^

Zuerst fand ich es ja etwas verwirrend zu lesen aber hab mich dann ganz schnell reingefunden .Ich find das de dieses FF dir auch wieder gelungen ist .


Wenn de noch mal nen FF über die beiden schreiben solltest dann sag unbedingt bescheid bis dahin


GLG
Ino_Yamanaka15
Von:  Sandi-chan
2008-03-20T17:20:35+00:00 20.03.2008 18:20
Haiii <3

Also ich habe so lange mit dem Kommentar gebraucht da ich es nicht alles auf einmal lesen konnte! Sry~

Ich war total fasziniert am Anfang mit dem Traum, ich habe wirklich gedacht dass es jetzt wirklich so ist wie im Traum. Ich habe gedacht dass es Ino noch nicht wieder ganz gut geht aber das sie trotzdem schon fast geheilt ist! Das sie seine kleine süße Tochter Inoshia haben. Das sie eine kleine glückliche Familie sind.

Dann war es aber doch nur ein Traum! Ich hab mich schon so gefreut so, gehofft dass sie dennoch zusammen sind. Aber das war auch wieder nur ein Traum von ihm.

Ich fand es schrecklich wie es Ino ging. Ihre Krankheit hat ihr alle Kräfte geraubt und das sie noch so neu ist und das die Ärzte nicht wissen wie man diese Krankheit bewältigen kann! Ich fand es schrecklich wie sie litt und was sie alles durchmachen musste & noch muss.

Ich musst wirklich viel weinen O_o! Aber kein Wunder! Du hast es so gut beschrieben, dein Schreibstil ist so beeindruckend. Mich hat’s von Herzen gerührt. Mich interessiert woran Sakura gestorben ist. Und ich finde es total tragisch wie Naruto lebt. Das er irgendwie alles verloren hat was ihm wichtig war und dennoch sein lächeln nie verloren hat! Ich finde es tragisch wie du geschrieben hast was Ino alles im leben für Sakura und Shikamaru getan hat! Das sie immer alles für beide tat und das jetzt wo Sakura weg ist sie nur noch Shikamaru hat.

Aber das Ende hat mir gefallen! Dass die Träume so was wie kleine vorschauen für die Zukunft der beiden sind finde ich hervorragend! Mir hat’s wirklich gut gefallen! Ich werden auf die Fortsetzungen warten und freu mich schon darauf irgendwann [ bei Hidden Flowers 2- 3] weiteres über ShikaIno von dir zu lesen und über ihre Kinder XD!

Von deinem Fan!

Sandi-chan <3



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