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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.

von

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Das fiel ins Wasser!

„Ryoga Hibiki, hiermit ernennen wir Sie zu einer Göttin zweiter Klasse, dritter Kategorie mit limitiertem Zugriff.“

„G-Göttin?“

„Exakt, Ygdrassils Beschluss steht fest und Ihnen wurde die Legitimation erteilt, diesen Titel mitsamt den mitgeführten Privilegien anzunehmen.“

„G-G-Göttin?“

„Hinzu kommt selbstverständlich auch ein eigener Tätigkeitsbereich, in dem Sie fungieren und Ihre Funktion ausführen werden.“

„G-G-G-Göttin?“

Die bildhübsche Frau ihm gegenüber schlug die Augenlider auf und erstarrte in ihren Zügen. Behauptete man, dass sie geschockt war, so würde man erheblich untertreiben. Bildlich gesprochen fiel sie nämlich aus allen Wolken, was sich als Göttin zweiter Klasse und himmlischer Botin als recht amüsant ausnahm.

„Du bist ja ein Mann!“, konstatierte sie das Offensichtliche.

„G-G-G-G-Göttin?“

„Und du neigst zur Wiederholung“, ergänzte sie bedeutend gefasster.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 1 – Das fiel ins Wasser!
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Nachdenklich ließ sich die Botin auf ihre vier Buchstaben zurückfallen. Obwohl sie die Stirn runzelte, – ein Umstand, der ihre grüne Tätowierung hervorhob - schaffte sie es friedlich dabei auszusehen. Das nannte man dann wohl göttlichen Charme.

„Wie es den Anschein hat, bedarf es hier einer kleinen Korrektur. Schließlich wollen wir die Entscheidung Yggdrasils ja nicht in Frage stellen, oder?“, führte die junge Frau geistesabwesend aus.

„Frage? Yggdrasil?“ – seine Augen weiteten sich – „Korrektur?“

Nun kann man über den ewigen Wanderer viel behaupten, aber er ist nicht wirklich so schwer von Begriff wie viele Gerüchte über ihn aussagen. Zugegeben, viele Gerüchte sagen auch aus, dass sein Orientierungssinn katastrophal ist – was stimmt – und dass seine Wanderungen enorme Sachschäden nach sich ziehen, – was bewiesen ist - aber nichtsdestotrotz liegt nicht viel Wahrheit in den Gerüchten, dass der Stirnbandträger dumm wäre.

Ryoga Hibiki ist keineswegs dumm. Er ist es nur einfach nicht gewohnt seinen Kopf zu gebrauchen, so wie Vögel es nicht gewohnt sind, Marathonlauf zu praktizieren. Warum sollten sie das auch? Sie haben immerhin Flügel und da wo sie Flügel haben, da hat Ryoga Hibiki Fäuste. Wozu also denken, wenn man das Problem zertrümmern kann?

Dass es ihm in der Tat nicht an Klugheit mangelte, bewies das schlechte Gefühl, – in Fachkreisen Misstrauen genannt - das den ambitionierten Kampfsportler in eben diesem Augenblick befiel, kaum, dass das Wort Korrektur gefallen war.

„He-Hey, kö-können w-wir nicht d-darüber reden?“, argumentierte es vergebens, die Hände beschwichtigend erhoben. Sein gleichzeitiges Zurückstolpern brachte ihn dennoch keinen Schritt von der seltsamen Frau fort. In einer anderen Situation wäre ihm diese merkwürdige Begebenheit gewiss aufgefallen, aber das hier war keine normale Situation. Selbst für ihn war diese Art von Begegnung eine Absonderlichkeit, auf die er nicht vorbereitet war.

Das Haar der Göttin wies das lebendige Grün einer Bergwiese im Frühling auf so wie ihre Augen wie Sonnenstrahlen leuchteten. Solche Sonnenstrahlen kannte er nur von ebenjenen Bergwiesen, die er auf seinen langen Reisen überquert hatte und nicht selten hatte er dort Rast eingelegt.

Alles in allem hätte ihn der Anblick des Herolds im Grunde verzücken müssen, - schließlich war sie ganz nebenbei erwähnt weiblich - hätte sie nicht den Ausdruck Göttin und kurz darauf Korrektur verwendet.

Außerdem stimmte noch die eine oder andere Kleinigkeit ebenfalls nicht mit ihr.

So war Ryoga Hibiki in seinem Leben schon vielen eigenartigen Dingen begegnet. Manche dieser Ereignisse waren so verrückt, dass ihm noch nicht einmal Mousse oder Ranma glauben wollten – was viel aussagte. Nicht, dass er sonderlichen Wert auf die Meinung der beiden legen würde. Aber trotzdem stand zum Fakt, dass er viel Seltsames auf seinen Reisen zu Gesicht bekommen hatte.

Dass eine Frau aus seinem Lagerfeuer herausstieg wie der Phoenix aus den Legenden, sich mürrisch den Ruß abklopfte und ihn daraufhin namentlich adressierte, war allerdings selbst ihm neu. Ebenjene Frau davon reden zu hören, dass er nun eine Göttin werden sollte, setzte dem Fass die obligatorische Krone auf.

Also entschloss sich Ryoga zu einem taktischen Rückzug und zog dadurch den Meister der Flucht selbst zu Nutze.

„I-Ich kenn’ da jemanden, der könnte d-den Job viel besser erledigen. Saotome, Saotome Ranma. Sicher h-hast du nach ihm ge-gesucht. Glaub’ mir, der macht d-das mit L-Links.“

Einfach Lächeln. Schön lächeln und Abstand halten. Er musste nur immer lächeln, so sehr es ihm auch wehtat und seine Nemesis mit unverdientem Lob überschütten. Eventuell konnte er ja so das drohende Unheil abwenden und stattdessen zu Rachezwecken nutzen?

So eine Situation würde diesem Schuft und Frauenheld eine lehrreiche Lektion erteilen. Ja, Ranma konnte so was wirklich gebrauchen. Vielleicht würde er ja dann endlich einmal etwas Gutes in seinem Leben bewirken, anstatt ihn, Ryoga Hibiki, jeden Tag aufs Neue durch die Hölle zu jagen.

In Gedanken grinste Ryoga bereits, denn für ihn war klar – diese seltsame Frau würde Ranma wählen. Um Ranma drehte sich schließlich alles. Soviel war Gesetz. Wurde Akane von Unbekannten entführt, so lag das an Ranma. Kamen irgendwelche starken Kämpfer, so wollten diese gegen Ranma kämpfen. Erschienen fremde Mädchen, so waren sie Ranmas Verlobte.

Also konnte diese Angelegenheit doch eigentlich nur seinen Feind aus Kindheitstagen betreffen. Ranma zog solche irrsinnigen Ereignisse an wie das Licht die Motten, egal jetzt, ob es sein Verschulden war oder nicht.

Warum also sollte diese unheimliche und unnatürliche Frau Ryoga den Vorzug geben? Er war doch ohnehin nur die unbedeutende, zweite Geige und letztendlich war es doch Ranma, der alles bekam und sich dann auch noch beschwerte. Dieser eingebildete, selbstzufriedene, kleine…

„Nein. Die Entscheidung steht fest.“

Überrascht riss sich Ryoga aus seiner angehenden Hasstirade und heftete sein Paar erschrockener Augen auf die weibliche Gestalt vis-à-vis.

Aus dem Nichts fiel eine schmale Brille auf die Nase der Frau und eine Urkunde in ihre Hände. Sie räusperte sich, strich sich ein paar Strähnen aus den Augen und setzte an.

„Name: Ryoga Hibiki. Alter: 17 Jahre. Aufenthaltsort: Variabel. Gängige Profession: Kampfsportler. Ihm wird hiermit das Recht zugesichert Göttin zweiter Klasse, dritter Kategorie mit begrenztem Zugriff zu werden.“ In einer besonders wichtigen Geste schob sich der göttliche Herold die Brille ein wenig höher und starrte den jungen Mann vielsagend an.

„W-Warum ich? Warum nicht Ranma? Sonst ist’s doch auch immer Ranma!“, beschwerte sich der Freizeitwanderer.

Die Frau schnaubte und rieb sich die Schläfe. Wie kam es, dass das zukünftige Personal in Sachen Qualität immer stärker abnahm? Sie mussten dringend Yggdrasil einer Wartung unterziehen. Erst ist es ein Junge, zweitens ist dieser von Neid und Rachsucht besessen und drittens will er den Posten noch nicht einmal.

Wenn sie dagegen jenen anderen Jungen, diesen Ranma nehmen würden…

Hinter ihrer Stirn begann es zu pochen, als sie die Informationen dieses Jugendlichen abrief. Massenhaft Verlobte, eine Schlange von Feinden bis an den Horizont, das Taktgefühl eines Backblechs, ein Großmaul und eine gehörige Arroganz.

Soviel zum Thema Alternative.

Trotzdem konnte sie Ryogas Einwand schon nachvollziehen. Warum ausgerechnet er und nicht jemand anderes? Es existierten genügend Chaoten auf diesem Planeten, allerdings nur wenige derart Unausgeglichene wie der Junge vor ihr. Ihn mit der Kraft einer Göttin, sei es auch nur dritter Kategorie, zu segnen, erschien ihr sehr bedenklich. Ebenso könnte man einem Ganoven eine Pistole in die Hände drücken und erwarten, dass er zum Polizisten wird.

Aber schlussendlich war es ja nicht ihre Wahl, also was soll’s?

„Hiermit frage ich dich. Nimmst du die Rechte und Pflichten einer Göttin dritten Grades an?“

„Verdammt! Nein!“

„Die Frage war rein rhetorischer Natur mein Junge.“

Jovial lachend hob sie die Hand und entließ einen Funkenwirbel auf die Gestalt Ryogas.

„Keine Chance!“ Mit einem gewaltigen Satz sprang er rückwärts, schwang herum und sprintete los. UND rannte geradewegs in einen Baum, der zuvor noch nicht dort gestanden hatte. Es verbleibt zu sagen, dass der Baum zuerst fiel und Ryoga zwar unwesentlich später – aber trotzdem später – diesem Schicksal folgte. Seine Gedanken schwirrten, seine Gliedmaßen wollten sich nicht rühren und das letzte was er mitbekam, war die unverständliche Stimme der Frau ehe er das Bewusstsein einbüßte.
 

Es verging nicht eine Stunde, da rührte er sich wieder. Der Mond schien in seinem, ihm eigenen Silberton und die Luft war merklich abgekühlt. Außerdem war das Lagerfeuer ausgegangen, was nicht wirklich zum Komfort beitrug. Ansonsten jedoch erschien alles soweit normal. Hatte er vielleicht nur geträumt?

Probeweise ballte er seine Faust, hörte das altbekannte Knacken seiner Fingerknöchel und entspannte die Hand wieder. Klang in Ordnung. Keine Krallen, Hufe oder Flossen.

Ein glückliches Grinsen pflasterte seine Lippen. Gott, nie wieder würde er so fettreich vor dem Zubettgehen essen und für die nächste Zeit konnte Ranma ruhig soviel Chaos produzieren wie er wollte. Ryoga würde sich daran nicht weiter stören, denn dieser komische Traum hatte ihm doch eine Erkenntnis eröffnet. Es war bedeutend besser die zweite Geige zu spielen, denn dann lief man weniger Gefahr beachtet zu werden. Und wenn sein Traum auch nur im Geringsten ein Hinweis darauf war, was einen so erwarten konnte, – vorausgesetzt, man war wichtig - so blieb Ryoga doch lieber sehr, sehr unwichtig.

Freudig streckte er seinen Hals hoch zum Himmel und breitete die Arme schwungvoll aus.

„Wahahahaha! Eine Göttin - alles klar! Kein Fleisch mehr am Abend!“ Noch immer lachend wischte er sich ein paar Krümel Schlaf aus den Augenwinkeln und blickte rundum. Sein Lachen wurde zum Röcheln. Wo war er jetzt schon wieder?

Der Mond mochte zwar derselbe sein, die Umgebung war es aber nicht geblieben. Anstelle des tiefen Waldes, in dem er sein Nachtlager aufgeschlagen hatte, kniete er nun an einem plätschernden Bach. Wo aber war der so plötzlich hergekommen? Er hätte doch gehört, wenn irgendwo in seiner Nähe Wasser gewesen wäre! Hatte er geschlafwandelt?

Kritisch beäugte er die verkohlten Überreste des Lagerfeuers. Nein, dass war ganz eindeutig dieselbe Feuerstelle, die er vor wenigen Stunden erst entzündet hatte. Zudem stand sein Rucksack keine zwei Meter von ihm im Gras.

Wo kam jetzt aber der Fluss her?

„Komisch…“, murmelte er, suchte für einige Sekunden nach einer Antwort und zuckte dann halbherzig in bester Hibiki-Manier mit den Schultern. Was soll’s? Es würde schon alles in Ordnung sein. Möglicherweise war er ja ansteckend und alles, was er berührte, ging irgendwann gemeinsam mit ihm verloren? Ob dass auch mit Akane funktionieren würde?

Er konnte sich bereits lebendig vorstellen wie er das burschikose, liebevolle Mädchen mit sich auf eine lange Reise nahm und Ranma hilflos hintendran blieb.

„Hey, warte mal - “

Sein schöner Gedankengang wurde von der weniger willkommenen Erleuchtung abgelöst, dass er mit seinem Rivalen weitaus häufiger in Kontakt gekommen war als mit seiner Herzensdame. Würde er also irgendwann zusammen mit Ranma in der Fremde verschwinden und die einzige Gesellschaft, die er über Monate ertragen würde, wäre der arrogante, miese, stumpfsinnige…

Über dieser Überlegung stürmte Ryoga zum Bach und tunkte seinen Kopf ins eiskalte Wasser. Augenblicklich verdrängte die flüssige Kühle die ungewollten Gedanken aus seinem Kopf. Was für ein Alptraum – er und Saotome alleine.

Wesentlich besonnener rieb er sich das Wasser aus den Augen und beobachtete sein Spiegelbild. Woraufhin er in der nächsten Sekunde die Balance verlor und kreischend in den schmalen Flusslauf stürzte. Prustend wirbelte er das Wasser auf, als er daraus hervorschnellte. Sein Haar nahm ihm die Sicht und doch schien das Mondlicht hindurch und er bemerkte, dass er den Bach im Silberglanz der Nacht mühelos beobachten konnte.

Was ging hier vor sich? Und vor allem; warum war er ein Mädchen!

Zornig stanzten ihre Augen Löcher ins Wasser, – nur zu wörtlich - worüber sie erschrocken aus dem Wasser stolperte. Perplex sah sie die Wasserringe sich ausbreiten.

War das alles also doch kein Traum gewesen? Aber wie war das möglich? Verdammt! Ranma sollte in dieser Lage stecken, nicht er – eh, sie. Was hatte sie getan, um dieses Schicksal zu verdienen? Geschweige denn, was sollte sie jetzt tun?

„WAH!“, kreischte sie, als sich ein Blitz vor ihr in den Boden bohrte und sie von den Füßen riss. Halbgeblendet krabbelte sie auf allen Vieren zu der Stelle verbrannten Grases und entdeckte ein sauberes weißes Briefcouvert. Ob das eine Bombe war?

Mit einem Kopfschütteln klärte sie ihren Verstand von solchen Gedanken und öffnete den Umschlag. Was sie darin vorfand, war nicht weiter unerwartet. Es war ein Brief, einfach gefaltet. Als sie ihn aufschlug, las sie nur einen einzigen, fettgedruckten Satz. Er genügte allerdings, um sie lange und hysterisch auflachen zu lassen.

Ryoga Hibiki – Göttin des Frohmuts.

Die nächste halbe Stunde verbrachte das Mädchen in einem Wechselspiel aus Tränen und weiterem Gelächter, ehe sie zur Ruhe kam. Immerhin fürs Erste und bis sie einen Weg fand, Ranma dafür zur Rechenschaft zu ziehen.

Seufzend wandte sie sich zurück zum mysteriösen Fluss und hockte sich dort hin, die Augen zum Himmel gerichtet. Die Sterne waren so schön, das Himmelszelt nachtschwarz und der Mond wärmte sie auf merkwürdige, aber angenehme Weise.

Dann sah sie herab und unterzog ihre Reflexion auf der Wasseroberfläche einer exzessiven Musterung. Das Resultat war ein erneuter Panikausbruch.

„M-Mei-Meine Kleider!“ Hektisch fuchtelten ihre Hände über besagte Kleider, die sich jedoch irgendwann zwischen Ohnmacht und Erwachen eindeutig verändert hatten. Was einst harter, leinener Stoff gewesen war, war glatter Seide gewichen. Seide, die nun sehr, sehr eng anlag und Ryogas Nase zum Anschwellen brachte. Wie eine Wickelung aus Schleiern umhüllte sie der Stoff, glänzte und erschien fast transparent im hellen Mondlicht.

„Ich seh’ aus wie eine feuchte Männerphantasie!“, brüllte sie in heißer Rage und riss die Arme zornschnaubend noch. Das Bachwasser peitschte nicht minder wütend zu beiden Seiten empor und ließ eine verdatterte Göttin dritter Klasse am Flussrand stehen.

Also DAS hatte sie jetzt nicht kommen sehen.

Und du bist...?

Etwas Böses erhob sich aus den düstersten Schatten inmitten der Dunkelheit. Seine Augen waren schwärzer als die schwärzeste Nacht, seine Berührungen gefroren jeden gestreiften Grashalm und seine Stimme hing in der Luft wie tausend Peitschenschläge.

Seit Jahrhunderten hatte er gewartet, gelauert und nun schien es, als wäre es bald soweit seine wahre Macht zu entfesseln. Ja, die Zeichen der Zeit deuteten darauf hin.

Die Blätter rauschten auf diese uralte Weise wie sie es seit Jahrhunderten nicht getan hatten, das Wasser plätscherte dumpfer und zugleich weitaus lebhafter als es je zuvor der Fall gewesen war und die Wolken strömten geradezu über den Himmel.

Seine Schritte besaßen jetzt schon mehr Kraft als er je für möglich gehalten hätte, seine Muskeln sammelten stetig mehr und mehr Stärke und er wurde täglich unruhiger. Es handelte sich um eine Unruhe, die an seiner Geduld und seinem Nervenkostüm nagte, ein Säuseln in seinen Ohren wie der Wind, das ihm zuraunte auszubrechen. Er sollte alle Ketten sprengen, Vergeltung üben und sich an ihrem ignoranten Unglauben weiden.

Ja, dass klang gut.

Nur konnte er sich das im Augenblick noch nicht leisten. Nicht, wenn er vorhatte, seinen glorreichen Rachefeldzug auch zu überleben. Märtyrer waren Menschen ohne Zukunftsplanung. Er dagegen war zum einen kein Mensch und hatte andererseits noch große Pläne, weswegen er sich vorübergehend in Geduld üben würde.

Aber bald schon würde diese Farce ein Ende haben.

Diese erbärmlichen Menschen würden schon in Kürze verstehen, wer er war und dass es eine denkbar dumme Idee gewesen war, sich mit ihm anzulegen.

Ja, bald schon wäre es soweit. Bis dahin musste er sich aber noch zurückhalten. Nur noch ein klein wenig. Ein klein wenig.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 2 – Und du bist…?
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Es war ein herrlicher Sonntagvormittag. In den Bäumen zwitscherten die Vögel, brachten das Blattwerk zum Rascheln und flatterten heiter durch die Luft, indes der Wind kraftlos an abgefallenen Blättern zerrte.

Ein junger Mann ruhte mit gesenkten Augenlidern neben einem kleinen, aber gepflegten Teich. Auf seinem Gesicht lag die Sonne und in seinen Haaren spielte der laue Wind, der für den Sommer in Nerima so typisch war. Neben der Sonne lag auch ein breites Grinsen auf seinen Lippen, das sich auf diesen sehr wohl zu fühlen schien.

Der Zustand währte nicht fort.

„Mittagessen!“, frohlockte ein Mädchen aus dem Hausinneren. Ihre Stimme trug ein süßes Versprechen mit sich, reiste durch die Sommerluft und über die Terrasse hinaus zum ruhenden Jungen. Schlagartig war dieser wach. Denn so süß wie ihre Stimme geklungen hatte, so bestialisch war der Gestank, der aus dem Haus nach draußen drang. Über ihm schoss eine Heerschar von Vögeln panisch himmelwärts.

„Oh Gott. Das is' ja widerlich! Was stinkt hier so erbärmlich?“ – plötzlich weiteten sich seine Augen - „Kasumi, is' der Insektentod offen?“
 

Hierzu muss gesagt werden, dass besagter Insektentod eine Idee seines Vaters war. Und wie mit so vielen Ideen seines Vaters, war das auch nicht seine beste gewesen. Sicher, für einen Menschen, dessen einzige gute Tat die Dezimierung der wuchernden Bambusbestände darstellte, musste man ihm diese Erfindung durchaus hoch anrechnen. Sobald man über den Würgereiz kam, den das Gebräu auslöste.

Seit geraumer Zeit nämlich war die Mückenpopulation drastisch angestiegen und hatte Nerima in ein Paradies für die summenden Bestien verwandelt. Tatsächlich war es so schlimm, dass man nachts mit Schuhgröße 36 zu Bett gehen konnte und am nächsten Morgen aufgrund der Schwellungen die 40 benötigte. Zudem schienen die Mücken eine ganz besondere Vorliebe für Panda entwickelt zu haben.

Vielleicht stammte auch daher Genmas untypischer Wunsch der Einwohnerschaft Nerimas zur Hilfe zu eilen?

Auf jeden Fall lief es darauf hinaus, dass er sich Tag und Nacht im Dojo einschloss und den Hausfrieden der Tendos mit Hammer- und Schraubgeräuschen störte. Den vereinzelten Schmerzenschrei mit eingerechnet.

Sämtliche Versuche in die Trainingshalle zu gelangen, wurden durch einen abscheulichen Geruch im Keim erstickt. Nicht, dass jemand den Versuch mehr als einmal unternahm; und eigentlich auch nur, weil sich der Familienschrein im Dojo befand.

Nach drei Tagen dann stolperte Genma Saotome aus dem Inneren hervor. Seine Haut war aschfahl, sein Blick trüb und er hatte sogar ein ganzes Kilo abgenommen!

Besorgt hatte ihn die Familie in Empfang genommen. Oder so in der Art hatten sie es vorgehabt, aber der atemberaubende Geruch, der dem korpulenten Mann anhaftete, machte jedes gute Vorhaben zunichte. Dementsprechend flüchtete der fünfköpfige Haushalt, verbarrikadierte sich im Haus und ließ den Teilzeitpanda nicht eher hinein, ehe er sich nicht gründlich im Teich gereinigt hatte. Es genügt zu sagen, dass es mit einmal Waschen nicht getan war.

Was noch zu erwähnen verbleibt ist, dass das Mittel funktionierte. Ein Umstand, der gleich zwei Gesetzmäßigkeiten in Nerima ins Wanken brachte. Einerseits war das, dass überhaupt etwas in Nerima funktionierte und andererseits, dass Genma Saotome jemandem half.
 

Kurz wartete der Jugendliche, wickelte sich nervös seinen Zopf um den Zeigefinger und als er nach mehreren Sekunden keine Antwort erhielt, schloss er, dass Kasumi ohnmächtig war. Dass das nicht am Insektentod lag, kapierte er, als ein junges Mädchen auf die Terrasse trat. In ihren Händen hielt sie einen voluminösen Topf, aus dem irgendetwas hervorkriechen wollte. Zumindest verwiesen die drei roten Tentakel darauf, die über den Rand hingen und sich geschäftig umguckten.

Wie genau sie das anstellten, war Ranma unklar.

Dafür hatte er etwas anderes augenblicklich begriffen und zwar, dass es wieder an der Zeit war. Es gab bestimmte Phasen im Leben eines Kampfsportlers.

Man begann mit der Phase des Trainings, in der man seine Sinne schärfte und den Körper stählte, gefolgt von der Phase der Erholung, in der man die verlorenen Kräfte wiederherstellte und letztendlich gelangte man irgendwann zu der Phase des Einsatzes. In dieser Phase war es an der Zeit alles das aufzuwenden, was man gelernt hatte, um die Unschuldigen vor dem Bösen zu beschützen.

Wie der Wind huschte Ranma an dem Mädchen vorbei, rauschte trotz der tödlichen Ausdünstungen in die Küche und fand dort eine zusammengesackte Kasumi vor. Eilig warf er sich das bewusstlose Mädchen über die rechte Schulter und stürmte über die Terrasse zurück nach draußen.

„Kasumi! Kasumi, wach’ auf. Tu’ uns das nich' an. Lass’ uns nich' allein. Lass’ uns nich' allein mit Akanes Kochversuchen!“

Seine Ansprache wurde von einer Schöpfkelle unterbrochen, die ihn am Hinterkopf traf und ungeschickt über die komatöse, junge Frau fallen ließ. Dass dieser Anblick durchaus fehlinterpretiert werden konnte, wurde sogleich von der Werferin höchstselbst bewiesen.

„Ranma! Was tust du mit meiner Schwester?“, raunte die Köchin.

„Retten?“

Ein weiteres Küchenutensil traf ihn und warf ihn in den Teich. Wenige Momente später durchstieß ein sehr ansehnliches Mädchen die Wasseroberfläche und beschwerte sich weitaus weniger ansehnlich.

„Elender Gorilla, biste übergeschnappt oder sind dir die giftig'n Dämpfe deiner Kreationen zu Kopf gestieg'n?“

Besagter Gorilla stand keine drei Schritte von ihr entfernt, grinste unangenehm, zuckte mit der linken Augenbraue und hielt einen wuchtigen Holzhammer mit beiden Händen umklammert. Nebenbei erwähnt, traten ihre zitternden Fingerknöchel äußerst betont hervor als sie den Hammer niedersausen ließ.

Die nächste Stunde verbrachte Ranma in seliger Bewusstlosigkeit und wurde erst durch das Schlagen einer Tür aufgeweckt; und zwar indem die Tür gegen seinen Kopf schlug.

„Ouch!“, artikulierte er und sah sich verwirrt um. Wie war er hierhin gekommen?
 

Nabiki zog die Mundwinkel amüsiert hoch, entschied sich keine Fragen zu stellen und schlüpfte stattdessen aus ihren Schuhen, um die Treppe nach oben zu verschwinden. Die mittlere Tendo war nicht ohne weiteres so gewitzt und intelligent geworden - die Übung daheim hatte essentiell dazu beigetragen! Wollte man in diesem Haus ohne größere Krankenhausrechnungen auskommen, so musste man jede Möglichkeit mit einkalkulieren; so unplausibel sie auch scheinen mochte. Aber spätestens wenn man einen hausgroßen Minotaur mit Alschwanz und Kranichflügeln gesehen hatte, so hatte das Wort unglaublich ohnehin seinen Witz verloren.

Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verlieren, schlüpfte Nabiki in ihr Zimmer und warf ihre Schultasche aufs Bett. Nicht, dass heute Schule wäre, – es war schließlich Sonntag - aber sie sah nicht den Sinn darin, sich von ihrem eigenen Geld eine neue Tasche anzuschaffen. Außerdem eignete sich ein schlichtes Auftreten, um den Gegenüber zu beeinflussen.

Beeinflussen – ja, dass konnte sie bis zur Perfektion. Wenn sie es darauf anlegte, könnte sie auch einen Vogel davon überzeugen, dass er freiwillig in den Suppentopf stieg und bemühte sie sich noch ein wenig mehr, so würzte und legte er sich sogar selbst ein.

Zu Recht war sie auf diese Eigenschaft stolz. Eine weitere ihrer Eigenschaften, auf die sie stolz war, war ihr athletischer Körper. Weder trieb sie Kampfsport, noch hielt sie sich bei den Chips zurück und behielt trotzdem ihre schlanke Linie.

Lächelnd entledigte sie sich ihrer Schuluniform, entschied sich das Geld später zu zählen und schlüpfte in Tanktop und Shorts.

„Jetzt erstmal baden!“, intonierte sie zufrieden und schlenderte aus ihrem Zimmer in den Korridor hinaus, auf direktem Weg zum Bad.
 

Der Furo war wie gewohnt mit heißem Wasser gefüllt. Weißer Dampf stieg davon hoch und erwärmte den Raum auf eine angenehme Temperatur. Der Wasserspiegel selbst war vollkommen ruhig. Immerhin für die nächsten Sekunden.

Dann stieß eine Hand aus den Fluten empor und krallte in der Luft. Scheinbar fanden die Finger irgendeinen Halt, auf jeden Fall aber zog sich ein bildhübsches Mädchen über den Rand des Furos hinaus. Ihre Kleider waren fast durchsichtig und folgten dem Schicksal jedes nassen Kleidungsstücks aus Seide – sie lagen sehr sinnlich an.

„Gott, mir ist so schlecht“, jammerte das Mädchen, indes sie auf allen Vieren abwartete bis der Schwindel sie verließ. Die kühlen Fliesen beruhigten ihr rasendes Herz und brachten so etwas wie Ruhe zurück in ihre zitternden Glieder.

Dass wievielte Mal war das heute? Ihre Gedanken taumelten wie japanische Büroangestellte zu Feierabend durch ihren Kopf und stolperten ungeschickt über jedes Anzeichen von Vernunft.

Ryoga war noch nie in einem Freizeitpark gewesen, aber nach ihrem ersten Materientransfer – und denen danach - hatte sie eine gute Ahnung von den Begleitsymptomen. Etwa Kopf-, Bauchschmerzen und Übelkeit. Irgendwoher war die Einsicht gekommen, dass sie mehr mit Wasser tun konnte, als den alten Moses-Trick durchzuführen. Woher sie wusste wer Moses war, wusste sie allerdings selbst nicht.

Überhaupt besaß sie mit einem Mal ein beachtlich gesteigertes Wissen. Leider war ihr Orientierungssinn von jeder Verbesserung verschont geblieben. Dieser hatte seinen teuflischen Charakter nämlich beibehalten - was in ihrem Zustand als Göttin zweiter Klasse irgendwie ironisch war.

Erschwerend kam hinzu, dass sie jetzt – woher auch immer – die Fähigkeit besaß durch Wasser zu reisen, was ihr ermöglichte sich nun sogar noch viel kreativer zu verlaufen. So wäre es ihr etwa noch gestern Morgen unmöglich gewesen, aus einer Kloschüssel heraus zu krabbeln. Zugegeben, DARAUF hätte sie echt verzichten können!

Und Ranma dieser narzisstische, unfähige, großmaulige…

Dieser Idiot hatte doch keinen Schimmer von wahrem Leid wie sie es in den letzten Stunden durchlebt hatte! Niemand konnte es nachvollziehen wie grausam es war in einer Badewanne aufzutauchen, – durchaus wörtlich - die besetzt war. Noch dazu bei einem dickbäuchigen, alten Mann, dem es scheinbar nichts ausmachte, dass ein junges, hübsches Ding sein Bad teilte.

Immerhin konnte der Typ nun Zählen lernen. Anfangen konnte er bei seinen fehlenden Zähnen und später konnte er sich auf die Anzahl der gebrochenen Knochen hocharbeiten. Aber jetzt war sie ja da, wo sie hin wollte!

Woher Ryoga das wusste? Nun, es gab nicht viele Badezimmer mit drei verschiedenfarbigen Handtüchern, die mit den Namensplaketten Akane, Nabiki und Kasumi benäht waren. Und selbst wenn dem so wäre, so würden ganz sicher nicht unter jedem ausgewaschenen, weißen Ersatzhandtuch ein Paar Hosen und ein schwarzes Boxerhemd verborgen liegen.

Planung war eben doch der Schlüssel zum Erfolg, weswegen sie auch immer ein Ersatzpaar Klamotten hier aufbewahrte. Man konnte ja nie wissen, wann man Kleidung benötigte.

Dies war ein solcher Fall, denn sie würde keinen Schritt in diesem Aufzug aus der Tür wagen. Außerdem würde sie Ranma als Mann entgegen und in den Hintern treten!

Nicht umsonst hatte sie gestern Nacht alle möglichen Mittelchen ausprobiert, um ihre alte Gestalt zurück zu erhalten. Einfallsloserweise war besagtes Mittelchen heißes Wasser. An und für sich wäre das ja ganz toll gewesen, hätte sie sich vor dieser Erkenntnis nicht zwei Stunden lang den Kopf zerbrochen. Na, manchmal übersieht man eben das Offensichtlichste, aber dass würde ihm… eh, ihr kein weiteres Mal passieren!

Was sie jetzt brauchte, war also nur etwas heißes Wasser und ihre Ersatzwäsche. Hm, heißes Wasser?

„Hey, warte mal!“ Panisch starrte das Mädchen an sich herab und zurück zum Furo. Was war denn jetzt los? Sollte das heiße Wasser sie nicht zurückverwandeln? Apropos, bei dem alten Kerl war doch genau dasselbe passiert, denn einen Jungen hätte er sicherlich nicht so wohlgefällig gemustert. Perverser, alter…

Aber zurück zum Thema. Weshalb hatte sie diese Gestalt beibehalten? Heißes Wasser hatte doch auch gestern funktioniert, warum also nicht heute?

Und dann tat Ryoga Hibiki etwas, was für ihn… eh, sie sehr uneigen war. Sie dachte nach.

Gut, dass ihr hierbei der göttliche Segen zu Hilfe kam und so dauerte es nicht lange, bis ihr Gehirn eine plausible Erklärung ausspuckte.

Sie wurde nicht wirklich nass! Es war vielmehr so, als würde das Wasser mit ihr fließen, anstatt an ihr entlang. Genauso wie Wasser selbst auch nicht durch Wasser nass werden konnte. Doch, dass klang logisch.

Jetzt musste sie nur noch verstehen, was sie da eigentlich gedacht hatte UND inwiefern ihr diese Erkenntnis bei der Rückverwandelung half. Angestrengt überlegte sie und warf dem Furo nachdenkliche Blicke zu.

Vielleicht klappte es ja, wenn sie das warme Wasser bewusst wahrnahm? Dass hieß sie musste den evolutionären Sprung von der Blume, die sich gießen lässt zum Menschen, der sich duscht, vollziehen.

Mit einem entschlossen Nicken bekräftigte sie ihre Idee. Aber erstmal brauchte sie ihre Kleidung, ehe sie sich verwandelte.

Das Problem war nur, dass das weiße Handtuch – und damit auch die versteckte Hose und das Hemd - fehlte.

„Ja wo zum Teu - “, Ryoga verschluckte die letzte Silbe und spähte dümmlich lächelnd zur Decke hoch. Seit ihrem ersten Versuch zu fluchen, wusste sie den Reflex zu unterdrücken – der Elektroschocktherapie per Blitz sei dank. Auch ihren Paradespruch, dass sie wegen einem bestimmten jemand durch die Hölle gegangen wäre, erschien nun irgendwie unpassend.

Seufzend rieb sie sich den Hinterkopf und spähte sich im Badezimmer um. Wo konnten ihre Sachen bloß sein? Hatte Kasumi das weiße Handtuch herausgeschmissen und dabei ihre Kleidung entdeckt? Wenn ja, war sie auf ihr Geheimnis gestoßen?

Mit stetig wachsender Panik lugte Ryoga zur Tür wie als erwarte sie, dass die tatsächliche Göttin dieses Hauses jeden Moment eintrat. Es vergingen einige Momente bis sich das Pseudomädchen besann und die Angst fortfegte.

Selbst wenn Kasumi nun das Bad betreten sollte, so würde sie ihn… eh, sie ja ohnehin nicht erkennen. Also bestand kein Grund zur Aufregung.

Wie sah sie neuerdings überhaupt aus? Bis auf den kurzen Blick in den Fluss gestern Nacht hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, etwas über ihr Alter Ego herauszufinden. Neugierig warf Ryoga einen Blick in den Spiegel. Ein süßes Mädchen sah interessiert zurück.

Dumm nur, dass Ryoga sich nicht zum Spiegel gedreht hatte, sondern geradewegs zur Tür. Einer Tür, die nun speerangelweit offen stand und auf deren Schwelle Nabiki Tendo unbeeindruckt Kaugummi kaute.

„Hehe - also, ich kann das erklären“ - Nabiki zog die rechte Augenbraue hoch - „ - oder vielleicht auch nicht“, beendete die unerfahrene Junggöttin.

„Also, ich weiß ja nicht was du denkst, was du hier tust. Aber du bist dir im Klaren, dass das nicht dein Badezimmer ist, oder?“

In Ermangelung einer überzeugenden Antwort nickte Ryoga brav und hoffte auf baldige Erlösung. Falls möglich, nicht durch einen Blitz.

„Bist du mit Ranma verlobt?“, wurde das Verhör fortgesetzt.

„Mit diesem elenden, dämlichen - “

„Okay, okay. Hab’ verstanden.“

Kühl betrachtete die mittlere Tendo das fremde Mädchen. Feuchte Seidenkleidung, die mehr verriet als verhüllte, rote Wangen und große, unschuldige Augen.

„Sicher, dass du keine Verlobte bist?“

„Huh!“, repondierte das Mädchen knapp.

„Dann macht es dir doch sicherlich nichts aus, mir das Bad zu überlassen, oder? Denn falls du ihm hier auflauern wolltest, so muss ich dich enttäuschen. Herr Loses-Mundwerk liegt unten im Flur.“

„Oh.“

Tomatenrot schlich Ryoga an Nabiki vorbei, lächelte ihr unsicher zu und schloss die Tür diskret hinter sich.

Für einen Augenblick wog das andere Mädchen ab, ob sie hieraus Profit schlagen sollte. Dann blickte sie zu dem einladend köchelnden Furo, zuckte mit den Achseln und schlüpfte aus ihren Klamotten. Es war ja nicht so, als würde Ranma ihr nicht genügend Einkommensquellen bescheren.

Derweil schlurfte die Neugöttin dritter Kategorie durch den oberen Flur des Tendo-Anwesens und traute sich kaum aufzusehen. Wie unglaublich peinlich!

Warum hatte es nicht doch Kasumi sein können? Dass hätte die Dinge wesentlich vereinfacht, aber nun da Nabiki sie gesehen hatte, war es nur noch eine Frage der Zeit bis ihre echte Identität aufgeklärt werden würde. Man musste Akanes Schwester nämlich eines zu gute halten, sie hatte Köpfchen. Ein himmlisches Köpfchen und eine überaus dämonische Ader, um es mal im Fachjargon zu sagen.

„Kasumi, was gibt’s denn heut’ zu essen?“

Was, woher kam die Stimme und war es Zufall, dass ihr die Stimme so entsetzlich bekannt vorkam? Ryoga verharrte im Schritt und lauschte auf das Geräusch von klappernden Töpfen aus der unteren Etage.

„Es gibt Sashimi und dazu Wasabi und für Herrn Saotome und Vater etwas Sake“, erklang die Engelsstimme Kasumis.

„Wann gibt’s denn mal wieder Fleisch, immer nur Fisch - “

„Wenn du kein Sashimi möchtest, dann kann ich es auch Herrn Saotome geben. Vielleicht freut er sich ja?“

„Was? Nein! Bloß nicht!“

Wenn das mal nicht wie Ryogas eingeschworener Rivale klang. Eingebildet und undankbar wie eh und je, aber heute würde er für seine Schandtaten bezahlen! Entsann sie sich nur der unzähligen Mädchen, denen Ranma mit seinem Lächeln den Kopf verdreht hatte – elender Unhold! Diese Schandtat zog eine göttliche Strafe nach sich und Ryoga Hibiki, Göttin zweiter Klasse, dritter Kategorie mit limitiertem Zugriff würde diese vollstrecken.

Grinsend schritt Ryoga die Treppe hinunter. Vorfreudig knackte sie die Fingerknöchel, drehte ihre Arme testweise und stellte zufrieden fest, dass sie bereit war Saotome in den Hintern zu treten. Ein herrliches Gefühl.

So als hätte sie das Schicksal erhört, stand dieser auch tatsächlich am Treppenabsatz und blickte ungläubig zu ihr empor. Sein übliches, selbstgefälliges Lächeln war wie fortgeweht und er glotzte sie unverwandt an.

Oh ja, dass musste die Angst sein. Saotome hatte endlich begriffen, dass es kein Entrinnen vor Ryoga Hibiki gab! Heute würde sie ihn zerschmettern, seine Knochen zu Puder zermahlen und ihn -

„ - heiraten?“

Verblüfft sah Ryoga auf und in das frustrierte Gesicht ihres Erzrivalen.

„Pardon?“

„Sag’ bloß mit dir bin ich auch noch verlobt? Und jetzt willste, dass ich dich heirate, oder?“

Für einen Augenblick verschlug es ihr alle Worte. Mit welcher Begrüßung sie auch immer gerechnet hatte, ein solcher Empfang kam unerwartet.

„Warum sollte ich DICH heiraten wollen?“, keifte sie ungehalten.

Peinlich berührt blickte Ranma zur Seite.

„Na ja, du bist 'n Mädchen. Und na ja, ein Mädchen eben.“

„A-ha“, entgegnete Ryoga trocken. Ehrlich gestanden war sie platt, ob der Dreistigkeit ihrer Nemesis. Kaum kam ein Mädchen die Treppe herab, so dachte er, dass sie sich seinem Harem anschloss? Keine Chance, viel eher würde sie einen BH tragen!

Halt, warte mal! Was meinte er eigentlich mit Mädchen?

Fragend spähte sie an sich herab und errötete. Verdammt, dass hatte sie ja völlig vergessen! Kein Wunder, dass er sie nicht erkannte. Erst war ihr Nabiki dazwischengekommen und dann war sie zu gefangen in ihren eigenen Rachevorstellungen gewesen, als dass sie sich mit solchen Nebensächlichkeiten wie ihrem Geschlecht auseinandergesetzt hätte. Jetzt führte das jedoch zu einer recht peinlichen Situation.

„Entschuldige mich kurz!“

Verwirrt sah Ranma dem Mädchen hinterher und rieb sich den Rotstich von der Nase. Man konnte ihm vieles vorwerfen. Taktgefühl und Aufmerksamkeit hatte er wirklich nicht mit dem Löffel gefressen und in Fragen der Sexualität bestand sein einziger Beitrag aus dem gelegentlichen Verlegenheitshusten.

Doch er war nicht blind und so hatte er das Mädchen einer gründlichen Musterung unterzogen, als sie die Treppe heruntergeschlendert war.

Ihre wilde Mähne fiel ihr verspielt in die Stirn, ihre funkelnden Augen stachen unter den dunklen Strähnen hervor und flankierten eine süße Stupsnase. Darunter erblühte ein unschuldiger Mund, der jedem Mann das Herz gestohlen hätte, wären die Lippen auch nur ansatzweise zu einem Lächeln verzerrt gewesen.

Dass einzige was ihm komisch vorkam, waren die beiden zitronengelben Dreiecke auf ihren Wangen - aber er hatte schließlich auch eine Verlobte, die sich wie ein Mann kleidete, eine andere, die schon beinahe selbst einer war und eine dritte, die nicht viel von Kleidung hielt. Da konnten ihn die beiden Farbkleckse bei dem fremden Mädchen nicht weiter schocken.

Allerdings löste das nicht alle seine Fragen.

„Hey, aber wenn sie keine Verlobte ist - wer ist sie dann?“

Eine Sache der Gewohnheit.

„Verdammt, verdammt, verdammt!“

Mit dem Temperament eines flüchtigen Elefanten – und ebenbürtiger Grazie – stürmte Ryoga durch den oberen Flur und zog flatternde Seidenschleier hinterher. Sie könnte vor Scham sterben, dieser Frontalangriff auf Saotome ging ja wohl völlig in die Hose! Noch dazu ausgesprochen wörtlich.

Irgendwie musste sie jetzt schleunigst an ihre Sachen herankommen und sich zurückverwandeln. So allmählich begann die Situation nämlich lächerliche Züge anzunehmen.

Es war schon schlimm genug, dass Nabiki sie so gesehen hatte, aber dann auch noch Ranma? Was ihre Stimmung dabei nicht unbedingt hob war, dass beide unabhängig voneinander zum selben Schluss gelangt waren. Sicher, ihr Outfit war schon ein wenig extravagant, aber trotzdem!

Sie deswegen als Saotomes Verlobte abzustempeln - waren hier denn alle verrückt?

Nur an diese Möglichkeit zu denken, erregte ihr bereits Übelkeit. Wahrscheinlich würde sie sich erst besser fühlen, wenn Saotome die Zunge für solche Sprüche fehlte. Bevorzugterweise würde sie ihm diese auch herausreißen.

Ein erneuter Schauder überfiel sie.

Also wirklich, einen solchen Ekel hatte sie lange nicht mehr erlebt. Das letzte Mal hatte sie so empfunden, als sie auf einem Zwischenstopp in einem Restaurant gegessen und dabei einen Gast Schweinefleisch hatte essen sehen. Beinahe hätte sie den Typen selbst mit einem Shi Shi Hokodan gegrillt! Wie konnte man nur Schweinefleisch verzehren? Verspürten die Leute denn kein Mitleid mit diesen armen, kleinen Tieren? Es war eine Schweinerei!

Auf diesen Gedanken hin musste sie seltsamerweise niesen, rieb sich die Nase und beendete alle weiteren Überlegungen in diese Richtung.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 3 – Eine Sache der Gewohnheit.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Zurück zum Geschäftlichen; irgendwohin mussten ihre Klamotten doch gekommen sein!

Wahrscheinlich würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als das gesamte Haus auf den Kopf zu stellen. Natürlich hätte das nicht viel Sinn, immerhin würde sie ihre Kleidungsstücke in den Trümmern des umgedrehten Hauses noch viel schwerer wieder finden.

Außerdem konnte sie die Befürchtung nicht abschütteln, dass Akane darüber nicht sehr erfreut wäre.

Also ging das Pseudomädchen alternativ den oberen Gang ab. Es verbleibt zu sagen, dass auch diese Verfahrensweise nicht sehr plausibel ist. Wer wirft schon fremde Klamotten in den Korridor? Jedoch für jemanden, der ¾ seines Lebens in der Wildnis und ¼ als Schwein zugebracht hatte, war der Gedanke seine Kleidung in der umliegenden Gegend vorzufinden nicht im Mindesten sonderbar. Es war viel eher eine Sache der Gewöhnung.

Aus heiterem Himmel hielt Ryoga in ihrer Inspektion inne.

„Warte mal!“

Ranma hatte sie – wenn sie sich recht besann – doch sehr eingehend unter die Lupe genommen. Viel zu eingehend für ihren Geschmack. Eindeutig zu eingehend.

Dieser elende Feind aller Frauen… eh, Männer natürlich!

Zornig schleuderte sie herum und machte sich schon auf zur Treppe zurück zu marschieren; stattdessen lief sie gegen die Wand am Ende des Flurs. Irritiert blinzelte sie, rieb sich die Stirn – nicht, dass es wehgetan hätte, aber manche Gewohnheiten wird man einfach nicht los – und seufzte.

Danach berührte sie die Wand und bewegte sich schrittweise nach rechts. Dort, wo die Wand einen Knick machte, ertastete sie die anschließende Wand und ging von da aus weiter vor. Dieser Rettungsleinenstil wirkte zwar so erbärmlich wie er lächerlich war, half jemandem mit ihrem ausgeprägten Handikap aber trotzdem. Insbesondere, wenn man so eine gewisse Ahnung davon hatte, wo man hin, aber keinen rechten Schimmer besaß wie man dort ankommen sollte.

Das Knarren einer Tür ließ sie ertappt aufblicken.
 

Nabiki Tendo war ein Mensch mit Prinzipien. Prinzipiell tat sie nämlich alles fürs Geld. Was allerdings nur wenige wussten war, dass ihr manchmal – aber nur sehr selten wie ihre Schuldner wissen – die Mühe zu groß war. Sie lebte schließlich auch nach dem Prinzip: Gewinn über Aufwand.

Als sie jetzt das merkwürdige Mädchen betrachtete, beschloss sie, dass der Aufwand eindeutig den Gewinn übersteigen würde. Außerdem lebte sie auch nach dem Prinzip sich nicht mit Leuten einzulassen, die sich an Wänden entlang hangelten.

Deswegen tat Nabiki Tendo das, was sie neben Geldverdienen und Beeinflussen wohl am Besten konnte – sie ignorierte.
 

Unsicher lächelte Ryoga der mittleren Tendo hinterher, die nach einem langen kritischen Blick umgedreht und aus dem Sichtfeld der Junggöttin verschwunden war. Ob sie wohl auf die Treppe gestoßen war? Die musste hier nämlich noch irgendwo sein.

Na immerhin hatte die Verzögerung samt Herzinfarkt zu Gute, dass sie sich nun wieder völlig auf ihre eigentlichen Ziele besinnen konnte.

Erstens: Kleidung finden.

Zweitens: Mit warmem Wasser in Berührung kommen.

Drittens: Ranma Saotome für alle seine Frevel büßen lassen.

Optional: Kasumis gute Küche genießen.

Das klang wie ein solider Plan. Nun galt es nur ihn in die Tat umzusetzen.

Vorfreudig zog Ryoga ihre Mundwinkel hoch und offenbarte dabei zwei sehr niedliche Reißzähne. Was konnte schließlich jetzt noch schief gehen?

„Ich schaff’ das“, konstatierte sie im Brustton der Überzeugung und sah von der Wand weg und in Kasumis lächelndes Gesicht.

„Oh“, stellte die Junggöttin fest, hatte damit ihre Antwort und errötete.

Kasumi ihrerseits stand mit einem Stapel Wäsche auf dem Arm vor der Göttin zweiter Klasse, lächelte weiterhin unbekümmert und neigte den Kopf in freundlicher Neugierde zur Seite.

„Hallo. Bist du gekommen, um mit Ranma zu spielen? Du findest ihn unten.“

„Dankeschön?“

Manchmal fragte sich Ryoga was in Kasumi Tendos Kopf vorging. Manchmal wollte sie es überhaupt nicht wissen. Deswegen schenkte sie dem älteren Mädchen ein dankbares Nicken, trat betont einen Schritt von der Wand zurück und passierte Kasumi im Laufschritt.

„Übrigens, solltest du deine Kleidung suchen. Die ist in der Abstellkammer.“

„Wirklich?“ – ihre Augen weiteten sich vor Freude – „Danke Kasumi!“

„Gern geschehen Ryoga.“

Was für ein göttlicher Service! Jetzt konnte sie Ranma Saotome zuguterletzt doch noch als Mann entgegen und ihm in den Hintern tret…

Ihr Atem stockte und eine Wolke weißen Wasserdampfes quoll über ihre Lippen.

Hey. Halt. Stopp. Woher WUSSTE Kasumi wer sie war und was sie suchte?

Hastig blickte sich Ryoga nach der freiwilligen Haushälterin um und fand nur einen menschenleeren Gang vor. Keine Spur deutete auf das nette Mädchen hin, dass ihr gerade eben noch Auskunft gegeben hatte.

„Ja wie zum Teu - “

Über ihr begann eine Lampe zu flackern und weiße Funken zu speien. Es handelte sich einmal mehr um eine gut gemeinte Warnung von oberster Stelle – sozusagen.

„Hab’ schon verstanden. Hab’ schon verstanden. Ihr könnt ja schon aufhören.“

Kurz flackerte das Licht noch, dann erstarb die Glühbirne.

Selbst Fluchen war verboten. Sicher, es war keine schöne Angewohnheit, aber Hibikis waren nun einmal Gewohnheitstiere. Es fiel ihnen von Natur aus schwer eine Gewohnheit abzulegen und scheinbar wurde dieses Charaktermerkmal von Generation zu Generation weitergegeben. Wie gut, dass sich das bei ihr nur aufs Fluchen begrenzte.

Wenn sie dagegen einen ihrer entfernten Cousins nahm, fröstelte es ihr. Also ehrlich, jemanden über zwei Kontinente und drei Inseln zu verfolgen – und dass nur wegen einer gestohlenen Mahlzeit. Wären es mehrere Mahlzeiten gewesen, wäre dass natürlich etwas gänzlich anderes!

„Sowas von kindisch.“

Aber wie hatte ihr Vater so schön gesagt?

Jeder Hibiki verfolgt eine Lebensaufgabe.

Verfolgt ein Hibiki keine Lebensaufgabe, so redete er sich einfach ein eine zu verfolgen. Das nannte sein Vater dann Entschlossenheit – und seine Mutter Dickköpfigkeit. Das Problem war nur, dass eben ein Löwenanteil der Hibiki-Dynastie diese Charaktereigenschaft geerbt hatte und immerzu mit dem Kopf durch die Wand wollte. Immerhin lohnte sich auf diese Weise die Führung des familiären Abrissunternehmens.

Das war doch auch etwas wert.

Eigentlich hatte auch sie diese Laufbahn einschlagen wollen. Schließlich war sie selbst darin geübt Dinge zum Einsturz zu bringen. Nun allerdings schien es, als wären ihre Karrieremöglichkeiten etwas spezieller ausgefallen als geplant.

Kurz verharrte sie, kratze sich am Hinterkopf und starrte hoch zur Decke.

Viel wichtiger jedoch war: Wo war nun diese Besenkammer?

Automatisch drehte sich Ryoga zurück zur Ausgangswand – und bekam einen Eimer gegen die Stirn. Benebelt taumelte das Neomädchen zurück, schüttelte den Kopf um ihn wieder klar zu bekommen und drehte sich in die entgegengesetzte Richtung.

Das Gute hieran war, dass diese Methode besser als jeder Navigator funktionierte. Das Dumme, dass selbst sie den Schmerz spürte.

Wer hatte überhaupt den Eimer geworfen?

Achselzuckend schlenderte sie den Gang hinunter. Vielleicht stolperte sie ja über kurz oder lang in den Raum? Abfällig lächelte sie über einen solchen Gedanken - und stolperte. Und zwar geradewegs durch die offene Tür in die Besenkammer.

„Also DAS ist jetzt echt nicht witzig“, kommentierte sie mit einem abgezwungen Grinsen und gesenkten Lidern. Irgendwie wusste sie, dass das nur Saotomes Schuld sein konnte. Wie das sein konnte, würde sie schon noch rechtzeitig genug herausbekommen. Spätestens an seinem Grab.

Aufmerksam ließ sie ihre Blicke kreisen. Linksseitig hingen mehrere Besen, zwei Kehrichtschippen und mehrere weitere Gerätschaften des täglichen Kleinkrieges gegen den Schmutz. An der rechten Wand waren mehrere Bretter angebracht, auf denen sorgfältig verschiedene Putzmittel gestapelt waren - und ganz unten befand sich tatsächlich ein weißes, ausgewaschenes Handtuch. DAS weiße, ausgewaschene Handtuch.

Freudig ergriff sie es und fand darunter ihre Sachen. Sowohl Hose als auch Hemd waren sorgfältig gefaltet, gewaschen und gebügelt und obenauf schlummerte ein kleiner weißer Zettel. Nervös hob sie ihn auf und las die drei Zeilen.

Hallo Ryoga, lasse doch bitte deine Kleidung nicht immer im Bad herumliegen. Wenn du möchtest, kannst du stattdessen unseren Abstellraum verwenden.

Danke, Kasumi.

Das war ihr jetzt irgendwie peinlich. Von der lieben und gutherzigen Kasumi getadelt zu werden, kam einer Rüge aus dem Himmel gleich.

Eventuell traf das ja sogar mehr zu, als sie eingangs dachte. Misstrauisch warf sie einen Blick über die Schulter wie als erwarte sie, die älteste Tendo-Schwester aus dem Nichts auftauchen zu sehen. Der Korridor aber blieb verwaist.

Natürlich könnte sie jetzt alle möglichen Spekulationen über Kasumi Tendo anstellen. Sie könnte versuchen an bestimmte Akten zu gelangen. Damit könnte sie theoretisch sogar erfahren, ob die älteste Tendo-Tochter morgens links- oder rechtsseitig aus dem Bett stieg. Allerdings könnte sie auch einfach in Kasumis Zimmer gehen und sich die Position des Bettes ansehen – das würde die Frage ebenso beantworten.

Schlussendlich blieb Ryoga ein Mensch der Tat und nicht des Gedankens.

Also zuckte sie aussagekräftig mit den Achseln und entschied, dass Kasumis Schlafgewohnheiten vergleichbar unwichtig waren.

Danach warf sie sich Hose und Hemd über die Schulter und stürmte auf den Flur hinaus. Jetzt musste sie nur noch ins Bad, immer vorausgesetzt sie fand es in nächster Zeit.

Zur Antwort knarrte eine Tür hinter ihr und schob sich gespenstisch auf. Zaghaft drehte sich Ryoga um, beäugte die Tür und schlich näher.

Das Bad stand leer. Wer aber hatte die Tür geöffnet?

Ehe sie dieser Frage nachhängen konnte, wurde sie auch schon von Stimmen aus der unteren Etage unterbrochen.

„Kasumi, weißt du wer dieses Mädchen ist?“

„Wie wär's mit dem Mädchen, das oben den Charme von Tausend und einer Nacht versprüht?“

„Wo oben?“

„Also, oben im Flur…“

„Möchtest du ein Takoyaki?“

„Gerne, danke Kasumi.“

„Gern geschehen. Aber was möchtest du denn?“

„Hm, ich wollte was? Ich kann mich nicht mehr erinnern.“

„Dann wird’s nicht weiter wichtig gewesen sein, nicht wahr?“

„Ich denke…“

Für einen Augenblick erstarrte Ryoga hiernach. Hatte sie das jetzt wirklich mitgehört oder sich das lediglich eingebildet? Kurz wog sie ab, schüttelte dann aber den Kopf.

Manchmal war es besser, wenn man bestimmte Dinge nicht weiterverfolgte. Man lief ansonsten Gefahr eine Antwort zu erhalten.

Eilig betrat sie deshalb das Badezimmer und zog die Tür resolut hinter sich zu.

Gewohnheitsgemäß brannte das Deckenlicht und erhellte den gefliesten Raum. Die Fliesen selbst waren kalt und feucht und spiegelten das Licht wider. Zielgerichtete Schritte brachten Ryoga zum Furo, wo sie ihre Kleidung beiseite legte und tief durchatmete.

Nun hieß es alles oder nichts.

Langsam tauchte sie die linke Hand in die siedenden Fluten und genoss die Wärme auf dem Handrücken.

Die Verwandlung fand in einem Augenblick statt.

Die Seidenkleidung verlor den letzten Rest an Jugendfreiheit, wurde durchsichtig und fiel als Schwall Wasser nieder, während zeitgleich ihre Brust einsank und ihr Körper wuchs. Keine zwei Sekunden später stand ein splitternackter Ryoga Hibiki - diesmal männlich - im Badezimmer der Tendos.

Jetzt war er soweit. Die Rache war nun sein.

Aufgeregt schlüpfte er in Hemd und Hose, richtete sein Stirnband, das unter dem Wuchs neuen Haars begraben worden war und ballte die Hand entschlusskräftig zur Faust.

Er war bereit.

Fehlte eigentlich nur noch Schirm und Rucksack. Aber ehe er beides wieder fand, würden wohl noch Tage wenn nicht Wochen vergehen. Zur Antwort schoss ihm eine Wasserfontäne aus dem Furo entgegen, durchnässte ihn völlig und erschlug ihn mit Rucksack samt Schirm.

Ryoga probierte zu grinsen. Er bemühte sich inständig. Er scheiterte kläglich.

„Ich sagte wiederFINDEN, nicht wiederTREFFEN!“

Unschuldig ruhte das Gepäck auf seiner Brust und schwieg – wie man es nicht anders von Gepäck erwartete. Aber zwischen Wasserreisen, Göttinnenlizenzen und Verlobtendebatten hatte Ryoga gelernt, dass er nichts mehr trauen konnte. Ehe er sich versah, würden seinem Eigentum noch Beine wachsen.

Leise grunzend stieß er den Rucksack von sich und rappelte sich auf. Kläglich sah er auf seine feuchten Klamotten herab, zuckte in einer Geste der Hilflosigkeit mit den Schultern und warf sich die Trageriemen über.

„Heute entgehst du meiner Rache nicht Saotome. Heute schicke ich dich in die Hölle - “

Manisches Gelächter drang aus dem Bad und verstummte.

„ - oder in den Himmel?“, klang bedeutend unsicherer nach.

Daraufhin verließ Ryoga das Bad, schloss die Tür gewissenhaft und lauschte.

Von unten her drang das Geräusch fließenden Wassers zu ihm hoch.

„Tief durchatmen, Augen schließen und dem Laut folgen.“

Dass war eine der ersten Lektionen gewesen, die ihm sein Vater an die Hand gegeben hatte. Warum er diesen guten Rat erst jetzt befolgte, verwirrte ihn selbst. Es schien ja fast so, als hätte er bis gestern kein zwei Schritte vorausgedacht.

War da vielleicht etwas dran?

„Völliger Blödsinn“, grinste er und folgte dem Plätschern. Dabei prallte er die Kleinigkeit von zwei Malen gegen eine Wand und fiel beinahe die Treppe hinunter.
 

Ranma Saotome kam sich unbeschreiblich dämlich vor.

Viele Leute hatten ihm zwar schon bestätigt, dass er es auch war, aber bis jetzt hielt er es für üble Nachrede oder Neid. Schließlich besaß nicht jeder seinen Charme, sein gutes Aussehen und seine unübertroffenen Kampfkunstfertigkeiten.

Nachdem er aber für eine halbe Stunde am Treppenabsatz gewartet hatte und dass Mädchen noch immer nicht zurückgekehrt war, kam er nicht umhin ein Körnchen Wahrheit in den Behauptungen der Leute zu finden. Wie dämlich musste man schließlich sein, um eine halbe Stunde auf eine Unbekannte zu warten? Nein, wenn er sich das recht bedachte, wollte er darauf doch keine Antwort haben.

„Saotome!“

Irgendwoher kam ihm die Stimme bekannt vor. Okay, viele riefen seinen Namen - entweder bevor sie ihn umbringen, heiraten oder beides wollten. Es gab aber nicht viele, die seinen Namen auf diese unnachahmliche Weise betonten. Fast so als wäre er ein Schimpfwort oder der flaue Geschmack im Mund nach einer durchgefeierten Nacht.

„Hey Schnitzel!“

Ryogas Sicherungen brannten durch. In einer geübten Bewegung zog er seinen Schirm hervor und sprang auf Ranma zu. Dieser wich breit grinsend - die Hände in den Hosentaschen vergraben - aus und streckte fröhlich die Zunge heraus.

„Wo bist du denn solange gewesen? Ich dachte ja fast jemand hätte deine bessere Hälfte entdeckt und Geschmack bewiesen. Süßsauer oder so.“

„Ranma!“
 

Genma und Soun saßen sich schweißgebadet gegenüber. Jeder Blick war scharf, jede Bewegung zielsicher und in jahrelangem Training perfektioniert. Sie beide waren Meister und hatten zusammen unsagbaren Widrigkeiten getrotzt. Als Freunde hatten sie unter einem schrecklichen Übel die Wege der Kampfkunst gelernt und waren zu neuen Höhen avanciert. Ihre Namen waren legendär – und wenn nicht, dann zumindest berüchtigt.

Jetzt allerdings spielten sie Gô und rammten sich darüber die Köpfe ein.

„Saotome, ich habe die weißen Steine verwendet. Da bin ich mir sicher.“

Gefährlich blitzen die Brillengläser des anderen Mannes auf.

„Tendo, du musst dich irren. ICH habe die weißen verwendet.“

Unter dem Schnurrbart des Angesprochenen bildete sich ein beunruhigendes Lächeln.

„Aber, aber Saotome. Es waren ganz bestimmt die schwarzen, die du benutzt hast.“

Der weiße Gi knitterte unter dem voluminösen Bauch Saotomes.

„Aber warum sollte ich denn die schwarzen wählen, wenn die weißen doch soviel besser zu meinem Kopftuch passen Tendo?“

Der braune Gi des Kampfschulbesitzers spannte sich unter alten, aber zähen Muskeln.

„Weil diebische Elstern für gewöhnlich schwarz sind Saotome.“

Diesen kritischen Moment suchten sich Ryoga und Ranma aus, um zwischen den beiden Männern hindurch zu hetzen. Dass sie dabei unvermeidlich das Spielbrett umstießen, wurde von den älteren Herren mit offenen Mündern beobachtet.

Dann waren die Rivalen nach draußen verschwunden, die letzten Spielsteine zum Erliegen gekommen und die Münder wieder geschlossen.

„Saotome?“

„Ja Tendo?“

„Ein neues Spiel?“

„Einverstanden.“

So begann eine weitere Schlacht.
 

Eine Schlacht, der etwas anderen Art kündigte sich derweil im Garten der Tendos an.

Die beiden jungen Männer musterten einander aufmerksam.

Ranma Saotome war wie üblich entspannt und seine Gesichtszüge spiegelten sein sonniges Gemüt. Rhythmisch wippte er auf den Fersen auf und ab. Seine Hände hatte er noch immer lässig in der Hose vergraben.

Ryoga Hibiki dagegen glühte – durchaus wörtlich. Die Luft um seinen Körper flimmerte rötlich und brachte die feuchten Kleider zum Flattern. In der rechten Hand zitterte sein roter Bambusschirm erwartungsvoll.

„Koch’ mal nich' über. Is' schlecht fürs Fleisch.“

Der Stirnbandträger knirschte mit den Zähnen. Er konnte gar nicht sagen wie sehr er diese Bemerkungen leid war. Dank Jusenkyo und Ranma Saotome wandelte Ryoga Hibiki seit nunmehr zwei Jahren als Schwein durchs Leben.

DAS war schlimm.

Daraufhin hatte er ein wunderbares Mädchen kennen gelernt, die diesen Fluch liebte und als Resultat auch ihn – zumindest als Schwein. Dann erst hatte er auch begriffen, dass es sich dabei um Ranmas Verlobte handelte.

DAS war sehr schlimm.

Als wäre das nicht genug, behandelte Ranma seine Verlobte mies, zerschlug jeden Revancheversuch Ryogas und beleidigte ihn in einem fort.

DAS war unerträglich.

„Heute wirst du büßen Ranma! Ich werde dich für meinen ganzen Kummer, mein Leid, die Hölle meines Lebens und gestern und heute bezahlen lassen!“

„Gestern und heute? Lass’ mich raten – Kochtopf?“

„Du wagst es mich zu verspotten?“

„Was soll ich sagen Kotelett? Du hast einfach ein Talent dafür.“

Die Zeit für Worte war vorbei. Heute würde Ryoga Hibiki Rache nehmen.

Seine Knöchel knackten um den Griff des Schirms, während er seinen Rucksack zu Boden gleiten ließ und dieser mit einem dumpfen Geräusch aufsetzte.

Nichts würde sich seiner Rache in den Weg stellen. Nach dieser ganzen Zeit war endlich sein Moment gekommen. Er spürte es in jeder Faser seines Seins. Energie durchflutete seine Glieder, schärfte seine Reflexe und würde ihn heute zum Sieg führen.

Er spannte seine Beinmuskeln an, zog seinen Schirmarm neben sich und sprang vorwärts. Sein Kampfschrei war wild, er war laut und er war ungewöhnlich.

„TU DIR NICHT WEH!“

Beide Jungs erstarrten. Der eine im Flug, weswegen er reichlich ungeschickt mit dem Gesicht voran aufkam und der andere in einer Wippbewegung rückwärts, woraufhin er nicht weniger ansehnlich auf dem Hosenboden landete.

Fassungslos rappelte sich Ryoga auf und schüttelte den Kopf. Hatte er nicht mehr alle Tassen im Schrank? Was war aus - Ranma Saotome, bereite dich vor zu sterben! – geworden?
 

Ähnliches ging auch dem bezopften Hassobjekt durch den Kopf. Besorgt nahm er seinen alten Kamerad, Teilzeit-Feind und Teilzeit-Freund in Augenschein. Das Problem war nur, dass Ranma zwar Besorgnis empfinden, aber selbst unter Todesandrohung nicht artikulieren konnte. Deswegen sagte er das erstbeste, was ihm auf der Zunge landete.

„Is' dir beim letzten Mal in der Pfanne 's Gehirn durchgebrannt?“
 

Ryoga war zu geschockt, um sich ordnungsgemäß aufzuregen. Zudem stellte er sich selbst die Frage – abzüglich der Pfanne.

Doch ein Hibiki ließ sich von kleineren Rückschlägen nicht aufhalten. Also auf ein Neues!

„MEIN NÄCHSTER SCHLAG KÖNNTE DIR SCHMERZEN BEREITEN!“

„Ich dachte, dass sollte er auch?“

„Halt die Klappe Ranma! Das ist nicht witzig!“

„Können vor lachen? Du quatscht doch den Unsinn und nich' ich!“

Verdammt, er hatte recht. Wie sehr er es hasste, wenn Ranma recht hatte. Er wollte diesen elenden Mistkerl zerschmettern, zermahlen und zertrampeln – aber es kam einfach nicht die richtige Stimmung auf. Nicht mit einem derartigen Repertoire an Kampfschreien.

Was war nur mit ihm los? Hatte er etwas Falsches gegessen? War es das Fleisch von gestern Abend? Sollte er zum Vegetarier werden?

Seine Verwirrung wurde von dem Tätscheln einer Hand unterbrochen. Es war Ranma, der ihm munter auf den Kopf hämmerte und selig lächelte.

„'s wird schon wieder P-Schinken und selbst wenn nich', soviel durchgeknallter kannste gar nich' mehr werden.“

Zum Dank bekam Ranma eine verpasst, wurde über den Rasen geschleudert, fegte das Wasser im Teich auf und kollidierte mit der Gartenmauer. Mit der Ästhetik einer Fliege auf der Frontscheibe eines Autos, plumpste er reglos aufs Gras. Dort blieb er auch liegen.

Ungläubig schwankte Ryogas Aufmerksamkeit von der eigenen Faust zum zusammengesackten Ranma. Das war’s? Er hatte es geschafft und noch dazu so beiläufig?

Das war ein Schlag! Ein einziger Schlag – und Ranma Saotome war ohnmächtig?

Hätte er hiermit gerechnet, so hätte er sich denkwürdige Worte notiert. Dann würde er jetzt mit Akane in seinen Armen und dem Fuß auf Ranmas Kopf zum Himmel hinauf lachen und diese Worte verkünden. So allerdings starrte er nur dümmlich.

„Ich fasse es nicht. Du hast ihn ja tatsächlich mal besiegt.“

Ryoga war zu erstaunt, als dass er die implizierte Beleidigung wahrnahm. Wortlos sah er zur Seite und erblickte dort den geschlossenen Tendo-Haushalt, samt Untermieter.

Unmittelbar neben ihm hatte sich Nabiki aufgestellt, die Augenbrauen erhoben und spekulierte bereits jetzt wie sie anhand dieser Entwicklung Gewinn schlagen konnte. Soun und Genma sahen von Ranma zurück zum Gô-Brett, zuckten letztendlich mit den Achseln und kehrten zu ihrem Spiel zurück. Kasumi seufzte, warf Ryoga einen pointierten Blick zu und wandte sich zum Gehen.

Die letzte verbliebene Person außer ihm war Akane.

„Ist er in Ordnung?“, fragte Ryoga unbehaglich.

„Ich denke schon. Du kennst ihn ja, lange bleibt er nicht liegen.“

„Oh.“

Da fiel ihm ein Stein vom Herzen, er dachte schon fast er hätte seinen Rivalen umgebracht. Es verging eine Sekunde, dann erkannte Ryoga den Fehler in seiner Überlegung.

Ranma Saotome sollte NICHT in Ordnung sein. Wenn man schwor das Glück eines Menschen zu zerstören, so setzte man für gewöhnlich alles daran dessen Leben zu zerstören.

„Könntest du ihm bitte reinhelfen? Ich decke mit Kasumi noch schnell den Tisch. Der Geruch von Essen wird ihn gleich wieder beleben.“

Ryoga nickte stumm, kassierte ein freundliches Lächeln von Akane und hörte das Rascheln von Gras, als sie verschwand.

Indes verweilte er noch ein paar Sekunden. Seit wann benahm sich Ranmas Umfeld eigentlich so teilnahmslos? Soweit er wusste, besaß sein Rivale doch das Leben, das er, Ryoga Hibiki, herbeisehnte.

Wie kam es also, dass er mit einem Mal seinen Feind bemitleidete?

Zögerlich blickte er zurück auf die Terrasse und sondierte wie Genma und Soun unbekümmert Gô spielten und Nabiki ihre Bilanzen durchging.

Mit einer solchen Familie brauchst du keine Feinde.

Zaghaft näherte sich Ryoga seinem Rivalen.

Er hätte nie gedacht, dass er ihn eines Tages aus eigener Kraft mit einem Schlag besiegen würde. Aber das musste wohl die Kraft eines Gottes ein.

Apropos Kraft eines Gottes – dass erinnerte ihn an das Zeichen der Götter. Diese merkwürdige Tätowierung, die ihm dieser irre Einsiedler damals aufgezeichnet hatte. Ein hässliches Ding; aber wirkungsvoll.

In der Tat hatte ihn das Zeichen mächtig wie einen Gott gemacht und auch damals hatte er Saotome einhändig besiegt. Ob vielleicht nicht nur der Name der Technik göttlich war?

Gedankenversunken trabte Ryoga auf seinen bewusstlosen Rivalen zu.

Noch ein paar Schritte fehlten ihm zu seiner Nemesis, da geschah es.

Eine Empfindung wie hunderte Ameisen krabbelte durch seinen Körper und ohne sein Dazutun driftete er unaufhaltsam zum Teich. Erde wurde von seinen Schuhen aufgeschaufelt, als er sich gegen den Sog stemmte und dabei unabsichtlich den Rasen pflügte.

„H-Hey!“

Niemand hörte seinen Protest und niemand sah Ryoga Hibiki verschwinden. Wahrscheinlich hätte der Betrachter ohnehin nicht seinen Augen getraut. Schließlich lösten sich Menschen normalerweise – zumindest im gebräuchlichen Wortschatz – in Luft auf, nicht aber in Wasser.

Das passierte allerdings dem Wanderer mit Orientierungsdefekt, der trotz rudernden Armen im Teich verschwand, durchschimmernd und flüssig wurde.
 

Eine lächelnde Kasumi trat auf die Terrasse.

„Herr Saotome, Vater, es gibt Essen.“

Die beiden Männer sahen von ihrem Spiel auf.

„Danke Kasumi.“

Ohne ihr Lächeln zu verlieren, betrat sie den Garten.

„Ranma, es gibt Essen.“

Verdattert rieb sich Ranma den Kopf. Irgendwie fühlte er sich komisch. So als hätte ihn eine Abrissbirne gestreift.

„Komme!“

Freundlich lächelte Kasumi in Richtung des Teiches, drehte sich um und machte sich auf, die Teller und Schalen vor Akanes Eifer zu bewahren. Das Mädchen gab sich ja wirklich Mühe – aber Dr. Frankenstein war ja seinerzeit auch nicht faul gewesen.

Nicht unerwünscht.

Das Böse war verwundert. Es geschah nur selten, dass er in seinem jahrtausendelangem Unleben überrascht worden war. Heute war so ein Tag.

Probeweise versuchte er zu fühlen und tatsächlich nahm er seine Umgebung wahr. Nicht mehr länger nur durch diese sterblichen Augen zu sehen, sondern die Luft auf der Haut zu spüren, die Geräusche zu hören und merkwürdige Gewürze auf der Zunge zu schmecken – so erlebten die Lebenden. Er nahm jetzt die Gerüche dieser Welt wahr, schwitzte und fühlte sich durch und durch von Energie durchdrungen.

Aber wie kam das zustande?

Was war geschehen, dass er entfesselt wurde? Sollte es nicht noch ein paar Jahre dauern, ehe er stark genug wäre um Rache zu üben und die Kontrolle zu übernehmen? Woher also stammte dieser unerwartete Machtzuwachs, der ihm neues Leben eingehaucht hatte?

So viele Fragen und doch hatte das Wesen keine Antworten darauf. Nicht, dass er sich wirklich mit Fragen aufhalten würde, wenn die Lösung doch in der Zerstörung lag.

Es war dennoch seltsam.

Unerwartet aber nicht unerwünscht – auf diese Weise konnte man das gut zusammenfassen.

Im Augenblick hatte er ohnehin noch Zeit. Weshalb sollte er diese nicht mit Grübeln verschwenden, zudem der Auslöser für sein frühes Erwachen unter Umständen sehr wichtig sein konnte. Denn man überweilte nicht so viele Jahrtausende, ohne dass man lernte, dass es die Kleinigkeiten waren, die über Erfolg und Niederlage entschieden.

Viele sagen Weisheit bedeutet Wissen, Lebenserfahrung und einen guten Geschmack für Tee.

Er wusste es besser.

Wahre Weisheit hieß hinter jeder Maus einen Attentäter und in jedem Kuchen Gift zu vermuten.

Sein alter Lehrmeister hatte es einmal so formuliert: Es ist der winzige Tropfen Curare im Kuchen, der den Geschmack verdirbt.

Was bleibt da mehr zu sagen, als dass er Recht hatte?

Ironischerweise kam er allerdings durch eine explodierende Maus um.

Doch genug der Nostalgie – es war zwar schade um die Maus gewesen, dafür würde jedoch bald seine Ära einsetzen.

Nicht mehr lange und er würde auf diese Welt einwirken können. Dann könnte er endlich eigene Entscheidungen durch- und vor allen Dingen umsetzen. Er würde Chaos und Angst verbreiten, Straßenzüge in Flammen setzen und beobachten wie Autos im Teer versanken. Schreie und Tränen würden sein Chor werden und er würde diesen leiten. Er würde Dirigent der Zerstörung werden.

Hey – das klang gut! Dirigent der Zerstörung; doch das besaß einen gewissen Charme.

Ja, sehr bald schon würde er diese Welt regieren. Er grinste in Vorfreude auf das bevorstehende Feuerwerk des Leids.

Wie sagten die Sterblichen nicht so schön?

Das wird ein Kracher?

Er verzog die Lippen zu einem schrecklichen Grinsen und schloss die Augen, um die Vorstellung noch ein wenig besser zu genießen.

Ja, darauf konnten seine Schäfchen wetten. DAS würde ein Kracher werden – und zwar ein höllisch guter. Dafür würde er schon Sorge tragen.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 4 – Nicht unerwünscht.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Ukyo Kuonji seufzte. Ihr Kopf fühlte sich so schwer an wie es ihre Augenlider taten. Beide mit Blei zu vergleichen, täte dem Blei allerdings unrecht – denn so schwer war Blei nun auch nicht.

Gerade eben war die erste Welle an Kundschaft abgeflaut. Gegen Nachmittag würde die zweite einsetzen und das Mädchen mit der Feinfühligkeit eines Tsunami überrollen.

Bisher hatte sie gar nicht realisiert wie viel Kundschaft sie in den letzten Monaten dazu gewonnen hatte. Gegenüber ihren Anfangstagen in Nerima hatte sich die Zahl ihrer Kunden nämlich verdreifacht.

Was jedem anderen Restaurantbesitzer die Tränen in die Augen getrieben hätte – und das nicht nur vor Freude -, ließ sie erstarken und weiterschuften. Bis in die späten Abendstunden stand sie am Grill und roch selbst nach drei Duschen noch wie ein frisches Okonomiyaki.

Dann kam Konatsu.

Seit er bei ihr arbeitete, hatte sie keine sonderliche Mühe mehr mit dem Ansturm an Schülern gehabt.

So hatte der adrette Transvestit als Ganban Musume – also als kokettierendes Püppchen - Gäste ins Restaurant gelockt und sobald sie drinnen waren, dort festgehalten und bedient. Ihr war dabei überhaupt nicht aufgefallen, welche Arbeitslast er ihr abnahm.

Allerdings war der Ninja vor wenigen Tagen erkrankt. Nun musste er sich erst auskurieren, ehe er wieder im Ucchan’s mithelfen konnte. Das Schlimme war, dass sie für geraume Zeit auf ihn verzichten musste. Doktor Tofu hatte ihm nämlich einen Monat Erholungszeit verschrieben und bestand auch auf deren Einhaltung.

Die junge Kuonji hatte das eingesehen. Es hatte schließlich keinen Zweck gegen eine ärztliche Weisung zu verstoßen.

Außerdem, wer weiß, ob Konatsus Zustand nicht ansteckend ist?

Der Transvestit zeigte sich nicht ganz so einsichtig wie seine Arbeitgeberin. Deswegen hatte besagte Arbeitgeberin ihn auch freundlich von ihrem Standpunkt überzeugen müssen.

So wie es aussah, würde er nun für zwei Monate genesen.

„Dämlicher Genma“, schnaubte die Kampf-Köchin und stützte Kinn und Kopf auf ihren verschränkten Armen auf. Wegen dem Vater ihres Verlobten war jetzt auch noch ihre Küchenhilfe todsterbenskrank.

Es war nämlich Genmas Insektentod, auf den der geschlechtsverwirrte Kellner als einziger Bewohner Nerimas allergisch reagiert hatte. Als Resultat wies er momentan mehr Schwellungen auf, als zur Zeit der Mückenplage.

Elender Genma. Dieser glatzköpfige Dieb hatte nicht nur den Großteil ihrer Jugend gestohlen und in ein Bishonen-Abenteuer verwandelt, jetzt ruinierte er auch noch ihre Wettkampffähigkeit mit den Amazonen. Ihr schauderte noch immer bei den Erinnerungen an ihr Leben vor Nerima.

Die hungrigen Blicke anderer Mädchen. Die abschätzigen Blicke anderer Jungen. Dem verliebten Blick ihrer besten Freundin.

Ukyo Kuonjis Leben war sehr kompliziert.

Dieser fette, unzulängliche Idiot schaffte es aber dennoch - ständig aufs Neue - es noch weiter zu verkomplizieren! Hoffentlich behielt ihr Ranma seine etwas naive, aber gutmütige Einstellung bei. Er war immerhin alles, was sein Vater nicht war. Also ehrenhaft, treu, kompetent und mutig.

„Ach Ranchan…“, säuselte die Jugendliche und fegte einige Haarsträhnen übers Ohr.

Sie war in letzter Zeit so unsagbar müde. Selten hatte sie ihr Job so sehr geschafft wie neuerdings. Wenn das so weiter ging, würde sie noch umkippen und sich zu ihrer Bedienung in die Klinik gesellen.

Ukyo seufzte und starrte trübsinnig über den verkrusteten Grill hinweg.

Sie fand nicht einmal mehr die Kraft ihren Verlobten anzurufen, geschweige denn zu besuchen. Was er wohl soeben machte?

Trainieren.

Ukyo lächelte gequält.

Doch das klang ganz wie ihr Verlobter. Ranma besaß nicht wirklich viele Hobbies außer dem Kampfsport, dafür war er darin immerhin ungeschlagen.

Obwohl es natürlich schön wäre, wenn er ihre Passion für Okonomiyaki teilte. Es wäre ja schon toll, wenn er überhaupt mal ans Kochen statt nur ans Essen denken würde.

Unterm Strich interessierte er sich höchstens dann für kulinarische Angelegenheiten, wenn man damit jemanden ausknocken konnte. Eventuell mochte er Akane ja deswegen?

Erneut seufzte sie und spürte den Kloß in ihrer Brust hochhüpfen und herabsacken.

Immer war es nur Akane. Immer war es nur der Kampfsport. Was war mit ihr?

Ein melancholisches Lächeln besetzte ihre Lippen. In Gedanken war sie bei ihrer ersten Begegnung mit ihrem Ranchan – und dem anschließenden Kampf.

Damals hatte sie ihn noch umbringen wollen, weil sie dachte, dass er sie absichtlich im Stich gelassen habe. Das Ranma von der Verlobung gar nichts wusste und es ganz alleine Genmas Schuld war, damit war ja nicht zu rechnen gewesen. Oder?

Nachdenklich runzelte sie die Stirn.

Üblicherweise liebte sie es in Erinnerungen zu schwelgen. Das half ihr den ganzen Alltagsstress zu vergessen. Heute wollte die Wehmut und Unruhe aber nicht weichen. Egal wie viele schöne Gedanken sie sich auch machte, sie verfing sich nur in schlechten Erinnerungen wie ein Fisch im Netz.

Eventuell lag das ja auch daran, dass sie weitaus mehr schlechtes als gutes im Leben durchhatte?

Ein flaches Seufzen entkam ihren Lippen wie um diesen Gedanken zu unterstreichen.

Warum konnten ihre Wünsche nicht auch einmal wahr werden?

Ukyo unterdrückte ein herzhaftes Gähnen und sah zur Uhr. Daraufhin sah sie von der Uhr zum Grill. Und letztlich vom Grill zur Spüle.

Abermals stieß sie einen Seufzer aus und fixierte das schmutzige Geschirr mit gesenkten Augenlidern. Die Arbeit war einfach zu viel für eine Person.

Wohl oder übel würde sie eine Aushilfe einstellen müssen. Ansonsten musste sie die Schülermassen von Furinkan noch wegschicken und dass hieß verlorene Kundschaft.

Das konnte sie sich nicht leisten – nicht geldlich und nicht moralisch.

In ihrem Gewerbe hieß es verdienen oder verlieren. Es gab nichts dazwischen. Das Gastronomiegewerbe war unerbittlich und wer den Drill nicht ertrug, durfte auch kein Restaurant führen. So einfach war das.

Ihr Magen unterbrach ihre Gedankengänge mit einem ungeduldigen Knurren. Ärgerlich rieb sie ihren Bauch und hievte sich an der Theke hoch. Sie musste ein Happen essen, aber heute konnte sie einfach kein Okonomiyaki mehr sehen – zumindest bis zur Nachmittagswelle hatte sie die Nase gestrichen voll davon. Sie zu backen war eine Sache, aber jeden Tag diese Teigfladen essen, schlug sogar ihr auf den Magen.

Sie benötigte ein wenig Abwechslung, sonst verlor sie noch den Verstand.

Also schlurfte sie gähnend zum Notizbrett und blätterte die hunderte Zettel durch, die dort befestigt waren. Einer dieser Zettel war rosa und hob sich alleine dadurch von dem sonst weißen Papierwald ab.

Zielsicher griff Ukyo danach und las die fette Aufschrift.

P.P. Die Plitzschnelle Pizza. Flugs sind wir da – garantiert mit himmlischem Service.

Sie hatte schon lange keine Pizza mehr gehabt. Sie hasste zwar solche dummen Wortspiele, aber das mit dem himmlischen Service klang doch klasse.

Schon seltsam, dass sie die Anzeige nicht weggeworfen hatte. Für üblich schmiss sie solche Werbezettel kurzerhand in die Mülltonne, wenn sie am Morgen die Post lehrte. Dieser kleine Zettel hingegen hatte irgendwie ihre Aufmerksamkeit erregt. Also hatte sie ihn mit ins Restaurant genommen und an die Pinwand gesteckt.

Schon seltsam, dass er ihr jetzt doch gelegen kam.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf torkelte sie zum Telefon, drehte die schwarze Wählscheibe fünfmal und hielt sich den Hörer ans Ohr. Das Surren ertönte, das Telefon wählte sich ins Netz und dann wurde das Surren von einem Knacken in der Leitung abgelöst.

Es rauschte statisch.

Unleidig tappte Uyko mit dem Fuß auf das Parkett und starrte auf die Uhr an der Wand.

„Kurz nach zwölf…“, intonierte sie leise und wurde sogleich von der Stimme am anderen Ende aufgeschreckt.

„Willkommen beim Göttinnen-Hilfsservice. Sie haben sich entschieden unseren Beistand in Anspruch zu nehmen?“

„Eh – wie bitte?“, hakte Ukyo verwirrt nach.

„Wir werden sofort eine unserer Mitarbeiterinnen im Außendienst zu ihnen entsenden. Bitte haben Sie ein bisschen Geduld.“

„Was? Hey – Halt! Ich will eigentlich nur ’ne Pizza!“

„Wir freuen uns, dass wir zu Diensten sein konnten. Auf Wiederhören.“

„Wiederhören?“, repetierte sie etwas dümmlich.

Es knackte in der Leitung und dann herrschte Stille.

Ukyo blinzelte mehrfach. Das war eindeutig merkwürdig – selbst für Nerimaverhältnisse.

Misstrauisch wich sie vom Telefon zurück. Was in aller Welt war das gewesen?

„Hat sich da einer ’nen Spaß erlaubt?“

Zur Antwort knurrte nur ihr Magen geräuschvoll

Verdammt. Sie hatte noch immer Hunger und dazu war sie auch noch verwirrt. Was für eine tolle Situation.

Sollte sie es nochmals probieren? Ukyo entschied sich dagegen. Wer weiß, vielleicht stellte sich beim nächsten Anruf Gott persönlich vor und heuerte als Aushilfe bei ihr an?

Abfällig grinste sie und bewegte sich zum Waschbecken. Mehrere Teller stapelten sich darin und hießen sie fröhlich willkommen. Uyko könnte auf ein Widersehen mit ihnen verzichten. Allerdings blieb ihr keine Wahl, wenn sie ihre Gäste nicht hiervon essen lassen wollte. Hiervon, dass hieß verklebte Käsereste, allerlei Saucen und weitere Zutaten, die man so jetzt nicht mehr zuordnen konnte.

Es blieb ihr also nichts anderes übrig. Mutig krempelte sie die Ärmel hoch und stellte sich vor dem Becken auf. Unwirsch schraubte sie am Ventil und entließ eine plötzliche Stoßflut aus dem Wasserhahn. Erschrocken stolperte die Köchin rückwärts und riss die Augen - zum ersten Mal heute – wirklich weit auf.

„Was geht hier ab?“

Zur Antwort vibrierte der Hahn angestrengt, ächzte und keuchte hervorspritzende Wassermassen aus. Für jeden Betrachter hätte es so ausgesehen, als ersticke der Wasserhahn.

Natürlich kann ein Wasserhahn nicht ersticken – aber hätte das mal jemand der schockierten Besitzerin gesagt. Indes prallten viele weitere Fragen gegen Kuonjis Aufmerksamkeitszentrum.

Alle vorrangigen beschäftigten sich zu mindestens 80 Prozent mit monetären Angelegenheiten. Der Rest sah in etwa so aus:

Das Ding würde ihr doch jetzt nicht brechen? Sie konnte nicht auch noch einen Klempner rufen! Sie wollte sich doch nur erholen – was war so falsch daran?

Frustriert zog sie ihre Spathula und machte sich bereit den Wasserhahn in einem Augenblick der nackten Rage zu zerschmettern, da saß auf einmal ein hübsches Mädchen im Waschbecken.

„Toll. Ganz toll gemacht.“ Mürrisch sah sich der Neuankömmling um und quetschte sich das Wasser aus dem Haar. Ihr anzügliches Outfit schlängelte sich um ihre weiblichen Rundungen und ihre Haut schimmerte unter dem silbrigweißen Stoff hindurch. Das Mädchen schien dieser Tatsache nicht viel Wichtigkeit beizumessen, da sie sich noch immer passioniert die Haare auspresste. Dann erst fiel ihr Blick auf Ukyo.

„Ukyo?“

Die Angesprochene nickte nur, versuchte zu antworten und brach ab.

Was sollte sie auch sagen? War die Reise angenehm? Bist du der Klempner? Sind die Leitungen verkalkt? Woher kennst du meinen Namen? Oder bist du doch ein Kunde?

„Was mach’ ich hier? Also ehrlich. Dämlicher Göttinnenkram. Nur Ärger damit.“

„H-Hey. W-W-Warte mal. Du bist ’ne Göttin?“

„So mehr oder weniger“, maulte das Mädchen und kratzte sich nervös an der Wange.

„I-Ich pack’s ja nicht. Dann war dieser Hilfsdienst doch kein Witz.“

„Hilfsdienst?“, merkte die weibliche Verführung auf und hob die Augenbrauen.

Kurz wirkte sie ausgesprochen verwirrt, ehe Verstehen auf ihren Gesichtszügen dämmerte. Dann jedoch breitete sich das Licht der Erkenntnis bis in die düstersten Winkel ihrer Großhirnrinde aus. Dicht gefolgt von blankem Entsetzen.

„Hehehe… Du? Erste Mission?“, stotterte Ryoga sichtlich unwohl.

Ukyo achtete nicht weiter darauf. Dafür war dieses Ereignis zu einzigartig, als dass sie es mit Nebensächlichkeiten wie dem Wohlbefinden ihres Gastes verschwenden würde.

Sie hatte eine Göttin in ihrem Restaurant! Respektive in ihrer Spüle…

Aber das war ja auch egal, wozu also das Federlesen?

Das war ja so was von abgefahren!

Es vergingen einige Sekunden ekstatischer Freude bis sich Ukyo auf das wirklich Wichtige besann.

„Was willst du eigentlich hier?“
 

Kurz schien Ryoga selbst zu überlegen, bevor sie sich räusperte und die Augen schloss. Als Göttin musste man erst genommen werden, da gehörte das korrekte Auftreten dazu.

Vorausgesetzt man saß nicht in einem Waschbecken. Ryoga seufzte.

Dann rappelte sie sich daraus hervor, klopfte sich das nasse Gesäß ab und rieb sich die Nasenwurzel.

„Gestatten, Ryoga Hibiki, Göttin des Frohmuts, zweiter Klasse, dritter Kategorie, limitiert.“

Ukyo betrachtete das Mädchen für eine Weile verdattert. Erst dann konzentrierte sie sich auf den Inhalt des Gesagten. Schließlich begriff ihr Verstand das Wesentliche.

„Du heißt Ryoga Hibiki?“

Ryoga nickte nur. Welchen Sinn hätte es auch, wenn sie sich vor Ukyo verbarg? Sie musste diesem Mädchen ohnehin einen Wunsch erfüllen, da konnte sie eigentlich auch wissen, wer sie war. Noch dazu gab’s ja nur einen Wunsch. Ukyo würde ihr Wissen um Ryogas Nebenjob also auch nicht missbrauchen können.

Außerdem war es bei diesem Mädchen ohnehin nur eine Frage der Zeit bis sie ihrer Identität auf die Schliche kam. Anders als ihr Verlobter war Ukyo nämlich keineswegs dämlich.

„Was für ein Zufall, ich kenn’ auch einen Ryoga Hibiki. – kurz schwieg sie wie als wollte sie etwas Signifikantes hinzufügen - Allerdings ist der Typ männlich und ein ziemlicher Trottel. Na ja, Zufälle gibt’s, nicht?“

Trottel? Hatte diese Teigfladenfanatische Irre sie soeben als Trottel betitelt?

„Hehe… Ja, was für ein Zufall“, würgte sich die Junggöttin von den Lippen und zwang sich ein Lächeln ab. Ein Lächeln, das reichlich schmerzhaft aussah. Dieser Umstand jedoch hätte auch an ihren Reißzähnchen liegen können, die sich tief in ihre Unterlippe bohrten.

„Und um deine Frage zu beantworten. Ich bin hier, um dir einen Wunsch zu gewähren.“

Interessiert musterte Ukyo das Neomädchen, machte aber keine Anstalten zu antworten.

„Einen Wunsch“, bestätigte Ryoga nochmals und nickte nachdrücklich.

Diesmal bekam sie eine Reaktion.

„Jeden Wunsch?“

„Ja, jeden Wunsch“, spezifizierte die Göttin zweiter Klasse nochmals. Im nächsten Moment verging ihr ihre Hilfsbereitschaft allerdings, denn sie wurde Ukyos Blicken gewahr. Blicke, die sie zutiefst beunruhigten.

Sie kannte diese Blicke. Sie hatte schon häufig am anderen Ende dieser gestanden – oder gelegen. Je nachdem, ob eine Spathula kurz davor im Spiel gewesen war.

Sie hatte schon zuviel mit der Okonomiyaki-Bäckerin durch, als dass sie einen einfachen Wunsch erwartete. Etwa reich zu werden, Ranma zu heiraten oder den Mond als Deckenbeleuchtung. Nein, Ukyo Kuonji war nicht leicht zufrieden zu stellen.

Genau das befürchtete auch Ryoga und wartete voller Anspannung ab.
 

Ukyo wähnte sich derweil – sprichwörtlich – im Himmel. Sie hatte einen Wunsch frei? Egal welchen? Tausende Möglichkeiten spielten sich vor ihrem inneren Auge ab.

Sie konnte reich werden, Ranma heiraten oder sogar den Mond als Deckenbeleuchtung haben – aber dass alles war schon fast zu simpel. Immerhin würde sie durch ihre Kochkunst eigenständig reich werden, bei Ranma hatte sie von allen Verlobten die besten Chancen und der penetrante Mondschein würde nur beim Einschlafen stören.

Nein, was sie brauchte, war eine Aushilfe.

Aber irgendeine Aushilfe? Kam nicht in Frage. Nicht im Ucchan’s; hier musste schon jemand besonders ran. Jemand, der die Leute mit Charme einfing und die Kunden scharenweise hereinlotste. Diese Person musste wie eine Bombe einschlagen, spritzig und zauberhaft sein. Sie brauchte jemand wie eine Göttin…

Unheilvoll lächelte Ukyo, als sie auf- und in das ahnungslose Gesicht der Junggöttin sah.

„Ideal…“, hauchte sie und konnte sich ein wölfisches Grinsen nicht verkneifen.
 

Ryoga indes bekam ein schlechtes Gefühl. Besser gesagt, so schlecht hatte sie sich nach Akanes letztem Kochversuch nicht gefühlt – und dass wollte etwas heißen. Das hieß sogar sehr viel. Schließlich schmeckte sogar Instant-Ramen besser; selbst wenn er sehr lange, ganz unten im Rucksack gelegen hatte und seit geraumer Zeit Nährboden für eine reiche Vegetation darstellte.

Nein. Egal was auch immer kam, nichts konnte so schlimm sein wie das Essen ihrer Angebeteten, oder?

Oder?

„Ich brauche eine Aushilfe.“

Ryoga fiel eine Tonne – eine Tonne von Steinen gefolgt von einer Gerölllawine – vom Herzen.

Erst dann glaubte sie sich verhört zu haben.

Ukyo wollte eine Aushilfe? Das war alles? Da erhielt Ukyo die einmalige Chance sich jeden Wunsch erfüllen zu lassen und dann wollte sie lediglich eine Aushilfe?

Konfus rieb die Junggöttin ihre Schläfe. In der nächsten Sekunde zuckte sie mit den Achseln.

Nun ja, ihr konnte es recht sein.

Erleichtert lächelte sie, nickte und machte sich schon bereit den Wunsch bei Ygdrassil zu bestätigen, da kam ihr die Restaurantbesitzerin in die Quere.

„Aber das ist nicht alles.“

„Wie?“

„Na ja, da wäre noch…“

„Hey, hey. Ganz langsam. Eine Person, ein Wunsch.“

Streng blickte Ryoga die Bäckerin an und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.

Eingeschnappt erwiderte Ukyo die Geste und starrte der Göttin im Außendienst in die Augen.

„Ich will nicht einfach nur eine Aushilfe.“

„Wie jetzt? Aushilfe ist Aushilfe.“

„Ich will dich.“

„W-W-Wie bitte?“ Schamesröte kroch ihr in die Wangen. Ein Umstand, den sie mit der neuen Mähne an Haaren rasch überdeckte. Unbeirrt davon schwoll die Hitze in ihrem Inneren weiterhin an.

Ukyo bekam das dennoch mit – und feixte.

„Interessantes Angebot – ABER ich will keine Beziehung, sondern eine Bedienung.“

„I-Ich? W-Warum ich?“

„Welches bessere Mittel um Gäste in mein Etablissement zu bekommen, als eine Göttin eingestellt zu haben?“

Das besaß Logik. Immerhin traf damit das Versprechen von himmlischer Küche zu. Aber Ryoga würde sich weigern zur Putze und Tellerwäscherin abgestempelt zu werden.

Ein Hibiki ließ sich nicht unterkriegen und erst recht nicht dominieren.

Dumm nur, wenn man auf eine Kuonji traf.

Es vermittelt nämlich den Anschein, als gäbe es einen Clan in Japan, der durchaus mit der Entschlossenheit der Hibikis mithalten konnte. Weiterhin dumm für Ryoga war, dass Ukyo diesem Clan angehörte. Wie um dem noch eins drauf zu setzen, wies die Restaurantbesitzerin sämtliche Charaktermerkmale ihrer Vorväter auf.

So brachen Wellen an der Dickköpfigkeit eines Kuonji wie Streichhölzer unter einem Hammerschlag. Natürlich war ein waschechter Kuonji nicht derart aggressiv, als dass man ihn mit einem Hammer vergleichen konnte. Er war nur auf sehr schmerzhafte Weise passiv.

Und zwar so wie auch eine Felswand passiv war, wenn man frontal darauf zu rannte.

Gleiches galt nicht minder für die Erbin dieser Linie von Meisterköchen.

Die Göttin zweiter Klasse wusste das. Sie hatte diesen Charakterzug mehrfach hautnah miterlebt.

„Also, bist du dabei?“, lächelte die Köchin enthusiastisch.

„Ist die Frage rhetorisch?“, repondierte Ryoga niedergeschlagen.

Sie hatte schlechte Erfahrungen mit Fragen rhetorischer Natur.

„Natürlich!“, lächelte das echte Mädchen noch enthusiastischer.

Jetzt hatte sie noch mehr schlechte Erfahrungen damit.

„Als hätt’ ich’s geahnt“, repondierte das halbe Mädchen noch niedergeschlagener.

Wenn Ukyo etwas von Ryogas Missmut ahnte, so zog sie es vor diesen großzügig zu ignorieren.

Anstelle dessen packte sie die Junggöttin bei der Hand, schüttelte diese emsig und wünschte gute Zusammenarbeit. Ryoga derweil wünschte ihren Job an Saotome abzutreten.

Wie sich zeigen sollte, würde weder der eine noch der andere Wunsch in Erfüllung gehen.
 

Ukyo pfiff vergnügt vor sich hin. Sie warf einen geschäftigen Blick auf das Ziffernblatt der Uhr und trocknete den letzten Teller ab. Bald würde die Nachmittagswelle eintreffen.

Was noch vor wenigen Stunden einem Alptraum gleichkam, brachte nun ein Grinsen zu ihren Lippen. Jetzt besaß sie nämlich himmlische Unterstützung.

Eine echte Göttin heuerte bei ihr an und wenn sich das erstmal herumsprach, würden ihr die Gäste die Tür einrennen.

Damit konnte nämlich nicht einmal das Nekohanten konkurrieren.

Shampoo besaß zwar Maße wie ein Topmodell, - und den entsprechenden IQ - aber selbst sie konnte diesem Mädchen hier nicht die Stange halten.

Grinsend warf Ukyo einen Blick zu ihrer Neuerwerbung.

Besagte Neuerwerbung hatte sich vorhin kurz entschuldigt, um einen Anruf zu tätigen. Irgendetwas im Sinne von Wunsch-Registrierung und Ygdrassil. Zwar wusste die Köchin nicht wer Ygdrassil war, aber den Wunsch zu registrieren klang gut.

Bei Gelegenheit musste sie auch mal fragen wie lange der Vertrag zwischen ihnen eigentlich Gültigkeit hatte.

Na ja, wie auch immer. Für die nächste Zeit würde das Geschäft florieren. Das war das Wichtigste. Und Ranchan.
 

Während Ukyo noch ihren Tagträumen nachhing, tätigte Ryoga das bereits erwähnte Telefonat. An ihrem Gesicht konnte man ablesen, dass ihr das Gehörte nicht gefiel.

„Wie bitte? Ich hab’ mich wohl verhört?!“

„Der Wunsch wurde nun einmal geäußert.“

„Und das ist’s? Ihr nehmt mich doch auf die Schippe?“

Schweigen antwortete ihr am anderen Ende der Leitung.

„Heißt das Ja?“

„Nein.“

„Wie Nein? Nein wie Nein, dass heißt nicht Ja oder Nein, wir nehmen dich nicht auf die Schippe?“

„Ganz langsam. Lass’ mich kurz überlegen. Läuft das nicht aufs Gleiche hinaus?“

Die Junggöttin machte sich gar nicht erst die Mühe zu antworten. Sie war viel zu aufgelöst und hätte den Hörer wahrscheinlich fallen gelassen, wenn sie nicht so angespannt gewesen wäre. So stand sie lediglich an die vertäfelte Wand gelehnt, spürte das Holz im Rücken und suchte ihr Zentrum.

Ihre Mutter sagte immer, dass man nur das Innere Zentrum suchen müsse, um Ruhe zu finden.

Sehr witzig.

Mit ihrem Orientierungssinn war es kein Wunder, dass sie ständig so gereizt war. Bis sie nämlich ihr Inneres Zentrum gefunden hatte, lag eher noch die umgrenzende Umgebung in Trümmern. Immerhin gab es nicht viele Menschen, die sich auf dem Pfad der Erleuchtung verlaufen hatten. Das war ja auch etwas wert. .

Stöhnend rieb sie die aufkommenden Kopfschmerzen aus ihrer Schläfe. Das ganze Denken brachte sich noch um. Ob Göttinnen wohl sterben konnten? Ob sie das überhaupt wissen wollte?

„Hey! Hallo? Bist du noch dran?“

Die Stimme der fremden Göttin holte sie zurück aus ihrer Gedankenwelt und in die grausame, nach Teig und Gewürzen riechende Realität.

„Sicher. Ich meine, bin noch dran.“

„Gut. Also, um deine Lage klarzustellen. Von jetzt an wirst du im Ucchan’s als Kellnerin tätig sein. Das schließt übrigens den GANZEN Aufgabenbereich einer Kellnerin ein. Angefangen vom Tellerwaschen übers Bedienen bis zum Putzen. Klar?“

„Können wir den Wunsch nicht zurücknehmen und ihr einen neuen geben?“

„Jetzt hör’ mal gut zu. Ich weiß, du bist neu im Geschäft. Aber es hätte auch wesentlich schlimmer kommen können.“

„Schlimmer? Schlimmer?!“, hyperventilierte Ryoga an ihrem Ende der Leitung.

„Ja, schlimmer! Meine Schwester etwa ist dazu verdammt mit einem Menschen anzubandeln. Wenn’s richtig übel läuft, muss sie ihn sogar heiraten. Wär’ dir das lieber?“

Diesmal antwortete Ryoga mit vielsagendem Schweigen.

„Gut. Ich seh’ wir verstehen uns. Also viel Spaß mit deiner Tätigkeit.“

„D-Danke.“

„Gern geschehen. Also, wenn’s weiter nichts gibt… Ich hab’ noch zu tun.“

„N-Nur noch e-eins!“

„Mach’ schnell. Hier geht’s drunter und drüber.“

„Wie lang’ muss ich das machen?“

„Wie lange? Bist du ein wenig doof?“

Kurz schwieg Ryoga und wog ab, ob sie darauf etwas erwidern sollte oder nicht.

Die andere Göttin kam ihr – glücklicherweise – zuvor.

„Denkst du meine Schwester mimt nur für einen Monat Keiichis Freundin?“

Die Junggöttin hatte zwar keine Ahnung wer Keiichi war, aber dafür eine ungute Vermutung. „F-F-Für immer?“

„Bis das der Tod euch scheidet. Jupp. Und nun… Oh, verdammt!“

Suspekte Geräusche ertönten im Hintergrund und gehetzte Schritte polterten los. Ein Wirrwarr aus Stimmen schrillte in Ryogas Ohren und sie legte kurzerhand auf. Einerseits um ihre Nerven vor weiteren schlechten Nachrichten und andererseits ihre Ohren vor dem Gekreische zu schützen.

Trotzdem bekam sie noch mit wie jemand lauthals „Skuld!“ rief, ehe der Kontakt abbrach.

Na ja, wer auch immer diese Skuld war – Ryoga wünschte ihr alles Gute.

Man musste schließlich verrückt werden, wenn es da oben die ganze Zeit so chaotisch zuging.

Obwohl – hier unten war es auch nicht soviel besser.

Simultan mit dieser Überlegung drehte sie sich um und begegnete Ukyos eifrigem Blick.

Ja, vielleicht klang der Job in der Telefonzentrale doch nicht so schlecht.
 

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Anmerkung des Autors:
 

Kapitel 4 ist draußen. Es erstaunt mich selbst. Eine Geschichte als etwas sonderbaren Oneshot zu planen und daraus eine richtige Plotline erwachsen zu sehen, ist schon überraschend. Wohl sogar mehr für den Autor als für den Leser.

Aber sei es wie es sei - endlich habe ich eine konkrete Idee wie die Geschichte verlaufen soll. Die Ziele sind abgesteckt, der Kontext umrissen und die Stars engagiert.

Bei meinen Lesern möchte ich mich herzlich bedanken. Es tut gut einmal wieder gelesen zu werden und auch Rückmeldung zu erhalten. So fällt es leichter zu akzeptieren, dass man bereits zum alten Eisen gehört.

Aber wie heißt es nicht so schön? Ein alter Gaul haut auch aufs Maul.
 

Mit diesen denkwürdige Worten möchte ich verbleiben,
 

euer Deepdream.

Unser täglich Brot.

Es heißt Morgenstund’ hat Gold im Mund. Dieser Spruch erweist sich nach eingehender Betrachtung in vielerlei Hinsicht als falsch.

Der gängige Zahnarzt weiß, dass sich für üblich kein Edelmetall im menschlichen Oraltrakt befindet. Unter der Voraussetzung, dass es dort nicht vorher von ihm eingefügt wurde.

Für Ryoga klang dieser Satz nicht minder falsch. Sie fand nämlich nichts Gutes am Morgen. Deswegen schlief sie gewöhnlicherweise bis in den frühen Nachmittag, ehe sie ihren Kreuzzug gegen Saotome fortführte.

Heute blieb ihr allerdings keine Wahl.

Grelles Sonnenlicht filterte durch ihre Augenlider, stach ihr hartnäckig ins Sehzentrum und aktivierte eine Subroutine ihres Unterbewusstseins. Sie drehte sich zur Seite.

Womit ihr Unterbewusstsein allerdings nicht klarkam, war das heftige und unmittelbar darauf folgende Rütteln.

Schlaftrunken blinzelte Ryoga, gähnte herzhaft und setzte sich auf. Nur um in Ukyos schmunzelndes Gesicht zu sehen.

Die Köchin trug ihr Haar offen, ihre Okonomiyaki-Uniform und die Spathula über der linken Schulter. Schlagartig war Ryoga wach.

„Guten Morgen Schlafmütze. Aufgestanden. In ’ner Stunde kommt die Morgenwelle.“

„Morgenwelle?“, blinzelte die Junggöttin zu gleichen Teilen verwirrt und müde. Was hatte die See mit einem Restaurant zu tun? Indes sich Hibikis verschlafener Verstand noch mit dieser Frage abmühte, riss Ukyo bereits die Fenster weit auf und ließ den Wind ins Zimmer.

„Jupp. Man möcht’ fast meinen, die kriegen daheim nichts.“

Was wie eine latente Kritik an ihren Gästen klang, verlor seinen kritischen Unterton, wenn man Ukyos Grinsen sah. Es war ein Grinsen, das in etwa soviel sagte: Und wenn sie sich Zuhause tot fressen, an Bulimie leiden oder aus der Sahara kommen – sie haben gefälligst bei mir zu essen!

Ja, Geschäftsmänner und –frauen waren wirklich Teufel.

Ein Packen Stoff wurde der Junggöttin ins Gesicht geschleudert und mit einem „Beeil’ dich!“ schwang die Tür zum Alkoven zu.

Besagter Alkoven war ein sauberer Abstellraum, in den ein Futon und viel Phantasie hineinpassten. Den Futon benötigte man zum Schlafen. Die Phantasie wiederum brauchte man, um sich einzureden, dass die Lebensumstände trotz dieser Behausung menschenwürdig waren.

Nochmals gähnte die Junggöttin und kraulte sich das Haar.

Draußen grinste die Sonne, fegte die Wolken übers Firmament und versprach einen schönen Tag. Das einzig unschöne am Tag war, dass es Ryogas erster Arbeitstag war.

Irgendwie schon erstaunlich.

Noch vor wenigen Tagen wollte sie ins familiäre Abrissunternehmen einsteigen, dann wurde sie zur Göttin befördert und jetzt war sie Tellerwäscher. Sie konnte sich nicht helfen, aber irgendetwas lief an dieser Entwicklung falsch.

Kam der Tellerwäscher nicht üblicherweise als erstes? Und dann etwas in Richtung Millionär?

„Frühstück ist bald fertig! Beeil’ dich!“, posaunte Ukyos Stimme eine Etage tiefer.

„Komme schon. Komme schon!“

Uninteressiert faltete Ryoga das Bündel Kleider auseinander.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 5 – Unser täglich Brot.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Ukyo Kuonji pfiff vergnügt, als sie an der Markise werkelte. Einen harten Ruck später breitete sich der Baldachin über der Eingangstür und dem Panoramafenster aus. Augenblicklich spendete der Überhang kühlenden Schatten und brachte ein Grinsen zu Ukyo Lippen.

Die Gäste sollen schließlich wissen was sie bestellen und nicht blind in die Sonne blinzeln. Das wäre schlecht fürs Geschäft.

„Mal sehen. Was steht als nächstes auf dem Plan?“

Munter kehrte sie zurück ins Restaurant und schloss die Tür hinter sich.

Schwungvoll stellte sie die Stühle von den Tischen, wanderte hinter den Grill, entzündete die frische Kohle und kramte die wesentlichen Ingredienzien aus dem Schrank.

Ein gutes Okonomiyaki benötigte Geschick, Liebe und ausgewählte Zutaten. Ukyo achtete darauf, dass diese Dreieinigkeit immer gegeben war.

Wie weit wohl ihre Aushilfe war? Die Kleine schien immerhin noch sehr schläfrig zu sein.

Eigentlich erstaunlich, dass Göttinnen schlafen mussten. Oder war diese hier eine Ausnahme?

Während die Meisterköchin noch darüber nachgrübelte, strich sie bereits Teig auf die heiße Platte. Darauf folgten die spezielle Soße und ein warmes Lächeln von Ukyo.

Herrlich, dieser Geruch.

„AHHH!“

Vor Schreck ließ sie den Spachtel fallen, der ihren großen Zeh um zwei Zentimeter verfehlte und sich unschuldig ins Parkett bohrte.

Vielleicht würde sie doch noch ein ernstes Wörtchen mit ihrer neuen Mitarbeiterin wechseln müssen?

Der Schrei wiederholte sich, Ukyo erschrak, stieß ihren großen Zeh an der Spathula im Parkett und der Wasserhahn spritzte freudig los.

Okay, jetzt WÜRDEN sie beide wirklich ein ernstes Wörtchen wechseln.
 

Ryoga war entsetzt.

Sicher, in letzter Zeit war dieser Zustand nicht weiter ungewöhnlich. Trotzdem, auf die ständigen Wiederholungen konnte sie echt verzichten.

Den Grund für ihren Schrei hielt sie in den Händen.

Er war pink, er war schwarz und ein Dienstmädchen-Outfit mit weißer Schleife. Kurzum: Er war grässlich.

Schnaubend kam Ukyo ins Zimmer gestürmt. Ihr Gesicht war rot – Wut und Atemlosigkeit rangen um die Oberhand – und ihre Fäuste geballt.

„Was – ist – los?“, presste sie betont langsam hervor.

Ryoga musterte ihre neue Arbeitgeberin verzweifelt und hielt das Kleid wie eine der sieben Plagen hoch.

„Und?“

Nachdrücklich hob die Göttin das Stück Stoff noch ein wenig höher.

„Ich verstehe nicht.“

„Ein Kleid!“

„Ja. Sehr gut erfasst Sherlock. Und was ist damit?“

„Es ist ein Kleid!“

„Sagtest du schon. Legst mal eine andere Platte auf?“

„Aber – es IST ein Kleid!“

„Das Offensichtliche haste ja sehr gut festgestellt. Und was ist DAMIT?“

„Das trag ich nicht!“

Aufmüpfig warf Ryoga das Objekt ihrer Verachtung auf den Futon und verschränkte die Arme.

Ungläubig beobachtete ihre Chefin das und akzentuierte diesen Unglauben mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Du willst mir also erzählen, dass du in dieser schlechten Entschuldigung für einen Seidenschal Wünsche erfüllst. Aber du weigerst dich ein Kleid anzuziehen, um Gäste zu bedienen?“

Hibiki sah an sich herab, nahm die halbdurchsichtige Seide in Augenschein, kam sich unbeschreiblich dumm vor und nickte zögerlich.

„Ryoga, lass’ mich was klarstellen. Wir haben ’nen Vertrag, richtig?“

„Ja“, antwortete die Angesprochene zaghaft.

„Weißt du, was man für üblich mit ’nem Vertrag macht?“

Wortlos schüttelte die Junggöttin den Kopf. Sie wusste es nicht. Ehrlich gesagt, wollte sie es aber auch nicht wissen.

„Soll’ ich’s dir verraten?“, lächelte Ukyo jovial.

Ryoga hasste derartige Fragen. Denn egal ob man händeringend NEIN schrie, schwieg oder sich aus dem Fenster warf, man erhielt die Antwort dennoch – und in manchen Fällen sogar noch im Krankenhaus.

Also beschloss sie unsicher zu nicken.

„Man hält ihn EIN!“

„Ja aber…“

„Nichts aber! Wasch’ dich, zieh’ dich um, komm’ runter frühstücken. Kapiert?“

Die Junggöttin nickte stumm. Nicht das sie gewusst hätte, was sie hierauf antworten sollte.

Zufrieden atmete Ukyo aus, strich ein paar Strähnen zurück und lächelte sonnig.

„Sehr gut. Ich merk’ schon, wir werden ein klasse Team abgeben, nicht?“

Ryoga wartete ab.

Als Ukyo allerdings den Raum nicht verließ und sie ihrerseits nur abwartend fixierte, seufzte das Neomädchen.

„Ja.“

„Ja, was?“, drängte Ukyo.

„Ja, dass werden wir.“

„Herrlich. Und jetzt mach’ dich fertig – oder ich mach’ dich fertig“, grinste die Köchin und verließ die Kammer. Noch immer strahlte der Sonnenschein fröhlich ins Zimmer; nichtsdestotrotz hatte Ryoga ein kalter Schauer überfallen.

Sie beschloss, dass sie Ukyos Humor nicht mochte. Insofern das ein Witz gewesen war.
 

Ukyo Kuonji schnaufte tief durch, inhalierte den Geruch des frischen Okonomiyaki und goss etwas Soße obenauf. Ein köstlicher Dampfschwall kam ihr entgegen und hüllte sie ein.

Dafür war es wert zu leben!

Nun wieder bedeutend lebenslustiger platzierte sie Stäbchen und zwei Teller auf einem Tisch nahe der Theke und rückte die Stühle etwas zurück. Dieses Arrangement hatte den Effekt, dass es alles wesentlich einladender aussah. Nicht, dass ihr Essen das nötig hätte.

Schließlich existierte niemand auf diesem Planeten, der sich mit ihr im Okonomiyaki-Backen messen konnte. Kein Gericht reichte auch nur im Entferntesten an ihre Kreationen heran und wirkte so dermaßen speichelfördernd.

Lächelnd katapultierte sie die beiden Teigfladen auf die zwei Teller, legte die kleine Spathula zum Kühlen ins Wasser und schlenderte zum Tisch.

Fast zeitgleich erklang das Knarren der Treppe. Zaghafte Schritte schallten zu ihr herunter und das verhaltene Rascheln von Stoff begleitete jeden der erwähnten Schritte.

Sieh’ mal einer an, wer da runter kam. Rasch stellte sie die Keramik aufs Holz, sog nochmals den delikaten Dampf ein und setzte sich.

Nach mehreren Minuten knarrte eine weitere Stufe.

Ukyo zwang sich zu einem sardonischen Lächeln und unterdrückte das Zucken ihrer Augenbraue. Fünf weitere Minuten dauerte es bis das nächste Knarren einsetzte.

„Kommste jetzt endlich mal! Das Essen wird kalt!“

„K-Komme ja sch-schon.“

Das Knarren folgte nun dicht aufeinander, dann warf sich ein Schatten voraus und kündigte ihre neue Bedienung an.

Neugierig lehnte Ukyo sich im Stuhl zurück, teilte etwas von ihrem Okonomiyaki ab und führte es zum Mund. Weiter kam das Stück allerdings auch nicht und fiel unrühmlich auf die Tischplatte. Ihr Mund hing offen, als sie das Mädchen im Türrahmen beobachtete – ja schon fast mit Blicken nötigte.

„Ich seh’ dumm aus, oder?“

Eine peinlich berührte Ryoga sah zur Seite und ihre Wangen färbten sich pink. Das kleine weiße Häubchen thronte auf ihrem seidig schimmernden Haar und das schwarze Kleid schmiegte sich an ihre Figur. Rosafarbene Rüschchen tanzten im Kreis um den dunklen Stoff und ein kleiner Eckzahn bohrte sich ihr verschüchtert in die Unterlippe.

Ukyo rieb ihre Augen. Dann rieb sie diese nochmals. Und ein drittes Mal, um auch sicher zu gehen.

Sie wusste, dass sie eine Göttin engagiert hatte. Trotzdem begriff sie diesen Umstand erst jetzt wirklich, als dieses himmlische Geschöpf vor ihr stand und wie ein Engel den Raum erhellte.

Wäre Ukyo ein Mann gewesen, so hätte sie gegeifert. Da sie ein Mädchen war, begnügte sie sich damit zu glotzen.

„Ich zieh’ mich um.“

„Nein!“

Ryoga erschrak wegen des heftigen Protests. Vielleicht erschrak sie aber auch nur, weil Ukyo vor lauter Aufregung auf die Tischplatte geschlagen hatte. Eventuell lag es aber auch daran, dass der Tisch unter dem Schlag beinahe nachgegeben hätte und zumindest das Geschirr – vollauf dem Sprichwort getreu – in die Luft ging.

„Perfekt“, hauchte Ukyo und ließ ihre Blicke frei wandern.

Die Junggöttin errötete als sie das vernahm und drehte dümmlich Däumchen.

Kuonji störte sich nicht daran. Sie war im Moment ganz in ihrer eigenen kleinen Welt.

Diese Welt bestand aus vielen, vielen Scheinen und jeder der Scheine winkte ihr lachend zu. Statt Vögeln klingelten Kassen im dichten Grün des Geldes und ein Hauch von Druckerschwärze lag in der Luft. Sie witterte Geschäft.
 

Beschämt gesellte sich Ryoga zu ihrer neuen Chefin, merkte wie schwer es war mit einem Kleid zu sitzen, protestierte still und begann zu essen.

Das Outfit war ein ganz klares Minus dieses Jobs, aber immerhin war die Verpflegung frei. Wer weiß, möglicherweise würde die Arbeit ihr ja Spaß bereiten?

Außerdem war es eine nette Abwechslung für eine Weile an einem Ort zu verbleiben, anstatt in fremden Hintergärten zu kampieren.

Nebenbei gab es schlechtere Leute als die Okonomiyaki-Bäckerin, mit denen man abhängen konnte. Zumindest wusste sie mit Ukyo woran sie war.

Und zwar an einer burschikosen, testosterongetriebenen, brutalen und unsensiblen Entschuldigung für eine Frau, die man so auch nur an ihrem langen Haar entdeckte. Nicht das Ryoga ihr das gestanden hätte – sie verfügte schließlich auch über einen Überlebenstrieb. Außerdem mangelte es ihr am nötigen Vokabular, um ihre Meinung auf diese Weise kund zu tun.

„Schmeckt’s?“

Ukyos Frage riss die Junggöttin aus ihren Gedanken.

„Huh!“

„Bist nicht sehr gesprächig, was?“

„Ehehehe…“

„Okay, der Schlachtplan für heute sieht folgendermaßen aus…“

Aufmerksam beobachtete Ryoga die Köchin, lauschte auf ihre Worte und wich ihren Gesten – die zumeist eine Spathula implementierten – aus.

Am Schluss hatte die Göttin zweiter Klasse keine Ahnung, nichts vom Plan verstanden und nickte steif. Denn es war eine schlechte Idee, wenn man Ukyo Kuonji verärgerte. Problematisch war nur, dass Ryoga dieses Meisterstück ohne jede ersichtliche Mühe hinbekam; und das ständig aufs Neue.

Als Ukyo ihre Erklärung schlussendlich beendet hatte, schob sie den Stuhl zurück, räumte ihr Geschirr ab und trug es zur Spüle. Ihren Redefluss brach das aber noch lange nicht.

Das Neomädchen hörte geistesabwesend auf die lebhafte Stimme ihrer Arbeit- und Gastgeberin, genoss die unfreiwillige Gesellschaft und starrte aus dem großen Panoramafenster hinaus.

Wer weiß, vielleicht würde es ja wirklich Spaß machen?
 

Ryoga rannte. Jedem anderen Verb hätte die nötige Dynamik gefehlt, um ihr atemloses Hetzen einzufangen. Rannte wie in Rennen erfüllte seinen Zweck jedoch herrlich.

Drei Teller in jeder Hand, sowie Armbeuge rutschten gefährlich hin und her. Geschäftiges Geplapper, das Quietschen von Schuhsohlen und der Geruch von ‚japanischer Pizza’ erfüllten das Restaurant.

Ukyo rief sie im Minutentakt zu sich, drückte ihr neue Gerichte in die Hand, nahm die Bestellungen entgegen, beschwerte sich über Ryogas Handschrift und verteilte weiteren Teig auf der heißen Platte.

Ryoga ihrerseits rannte. Und zwar hin und her, mal mit Tellern, mal ohne und mal waren sie dreckig und mal halbvoll.

In den letzten Stunden mussten hunderte Schüler ins Ucchan’s eingekehrt sein. Jeder Gast der ging, machte scheinbar Platz für zwei weitere.

Soviel Ärger musste nicht einmal Herakles mit der Hydra gehabt haben!

Kurz vor einem Nervenzusammenbruch kollabierte Ryoga auf einem Barhocker und senkte die Stirn auf die Theke. Im Moment konnte sie ein paar Sekunden Ruhe genießen.

Die Schüler waren zufrieden, die Jungs tauschten sich über Mädchen, die Mädchen über Jungs und sie alle über Hausaufgaben aus. Der Betrieb war rege, aber vorerst bedient.

„Immerhin kann’s unmöglich schlimmer kommen.“

Angewidert sah sie an sich herab. Sie war der Inbegriff eines neckischen, süßen Engels. Das Problem war, dass sie überhaupt kein neckischer, süßer Engel sein wollte.

Sie war ein unerbittlicher Kämpfer, kein wehrloses Zuckerpüppchen mit Umhängeschild [Klein, dumm, niedlich – sucht nette Bekanntschaft.].

Prompt traten zwei Gestalten von hinten an sie heran.

Die erste Gestalt hustete. Die zweite stand betreten daneben.

„Ja?“, maulte Ryoga und wandte sich der Störung zu. Unüberrascht erblickte sie zwei Jungs.

„Also, nun ja, einer hat gesagt, du wärst…“, hilfesuchend sah Gestalt 1 zu Gestalt 2.

„Ein paar unserer Kumpels meinten, du wärst…“, händeringend blickte Gestalt 2 zurück.

Beide seufzten vor Befangenheit und Ryoga stöhnte vor Migräne.

„Ihr wollt wissen, ob ich eine Göttin bin. Richtig?“

Die zwei Jungs nickten und warfen ihr erwartungsvolle Blicke zu.

„Denkt ihr, eine Göttin würde sich in diesen Aufzug stecken lassen – ihr Zeigefinger strich über ihr Kleid -, sich in einem kleinen Restaurant totarbeiten und das bis ans Ende aller Tage?“

Gestalt 1 sah zu Gestalt 2 und zuckte fragend mit den Schultern.

Gestalt 2 antwortete mit einem Achselzucken seinerseits.

Den Kopf in die Hände gestützt, atmete Hibiki tief ein und schmückte ihre Lippen mit einem Lächeln. Dann sah sie die beiden Schüler an.

„Ja, ich bin eine Göttin. Nein, ich habe keinen Freund. Nein, ich will auch keinen Freund. Ja, ich habe mir das gut überlegt. Nein, ich denke nicht darüber nach. Ja, ich bin mir sicher.“

Über diesen Kraftakt an Geduld erhielt sie ihr Lächeln aufrecht, ihre Augen allerdings spieen Funken.

„Okay“, intonierten Gestalt 1 und 2, drehten sich um und verschwanden in der Menge.

Es war wirklich unglaublich. Das waren jetzt schon die vierten! Man möchte meinen, die männliche Bevölkerung hätte noch nie eine Göttin gesehen.

Realistisch betrachtet war die Chance dazu allerdings auch vergleichsweise gering.
 

Ukyo wischte den Schweiß von der Stirn.

Lächelnd verfolgte sie das angeregte Tuscheln ihrer Gäste und die vielen lebhaften Unterhaltungen. Die Kasse war gut gefüllt, der Zenit der Kundenwelle längst erreicht und bis auf ein paar Ausläufer würde sich kaum mehr jemand hierher verirren.

Ihr Lächeln wurde breiter als sie zu ihrer Kellnerin sah.

Das Mädchen lag kraftlos über der Theke, wimmelte interessierte Verehrer wie andere Menschen Mücken ab und jammerte in einem fort. Trotzdem war die Kleine zweimal so schnell wie Konatsu, brachte die doppelte Menge an Gästen ins Haus und arbeitete fast ohne Pause.

Jemand wie Ryoga war unbezahlbar.

Nicht, dass Ukyo vorhätte sie zu bezahlen.

Eine kleine Unterhaltung wenige Stunden zuvor hatte nämlich ergeben, dass eine Göttin kein Geld entgegennahm. Erst recht nicht für eine Dienstleistung, an die sie vertraglich gebunden war. Besagte Göttin wirkte zwar alles andere als zufrieden über diese Klausel des Vertrages, aber arbeitete nichtsdestotrotz mit unvermindertem Fleiß.

Dieses Mädchen war wirklich perfekt. Nicht nur stand ihr das Outfit perfekt, nicht nur war sie für den Job perfekt, sie erfüllte sogar Ukyos Anforderungen perfekt.

Die Köchin lächelte breit.

Die nächsten Tage würden sehr profitabel werden. Sie hatte da so ein Gefühl, dass eine gewisse Tendo ihr dabei helfen konnte, ein gewisses Gerücht noch ein wenig weiter zu streuen.

Ein vages Gerücht, das besagt: Bei Ucchan’s ist der Himmel auf Erden. Göttin inklusive!
 

Tatsächlich stellten sich die folgenden Tage als sehr profitabel heraus.

Morgens und nachmittags kamen die Gäste und ließen ihr Erspartes nur allzu willig zurück. Die Bedienung rannte und die Chefin stand am Grill. Okonomiyaki-Soße blubberte, der Teig härtete und Teller klirrten. Das Geld floss.

In der Zwischenzeit verrichteten die Bewohner des Ucchan’s andere Dinge.

Während Ryoga ihre Vormittage zwischen Gewürzen, dreckigen Tellern und in einem dunklen Gastraum zubrachte, ging Ukyo zur Schule.

Keiner von beiden beneidete den anderen – so verzweifelt waren sie noch nicht. Sie zogen es vor sich selbst zu bemitleiden.

Ukyo Kuonji nun tat genau das. Sie bemitleidete sich selbst UND das ausgiebig.

Nebenbei schrieb sie von der Tafel ab, schenkte dem Lehrer Gehör, ebenso der Unterhaltung zweier Schülerinnen hinter ihr, starrte abwechselnd nach draußen und zu ihrem Verlobten und malte sich die Gewinne des kommenden Nachmittages aus.

Oder anders gesagt: Sie tat verdammt viel in verdammt kurzer Zeit.

Dieser Zustand reger Aktivität nahm ein jähes Ende. Die Schulglocke war nämlich erklungen.

Als Resultat sprangen die Schüler auf und stopften ihre Bücher hektisch in die Taschen. Derweil versuchte der Lehrer noch die Hausaufgaben bekannt zu geben, setzte zweimal zum Sprechen an, seufzte schließlich und zog resignierend von dannen.

Letztendlich erwachte sogar Ranma Saotome.

Ein herzhaftes Gähnen und einen kleinen Streit später verließen Kuonji, Saotome und Tendo das Schulgebäude und traten auf den Vorplatz hinaus.

Am Himmel prangte die Sonne, ignorierte Staus und Unfälle eine Etage tiefer und wärmte die schwarzen, wuselnden Punkte unter sich.

Die vorab namentlich erwähnten Punkte – zwei weiblich, einer intermittierend – näherten sich dem Tor.

Ranma war soeben dabei die Lästigkeit der Schule zu beklagen, Akane widersprach ihm feurig und Ukyo warf ihren zwei Klassenkameraden halbe Blicke zu.

Praktisch bedeutet das: Beäuge sie eifersüchtig; erwidern sie deinen Blick, guck’ hoch!

Üblicherweise klappte das auch. Üblicherweise.

Aber wie mit so vielen Gesetzmäßigkeiten hatte auch diese eine Ausnahme, die die Regel bestätigte. Oder zumindest vorgab so zu tun.

„Ucchan, alles in Ordnung?“

Ertappt wirbelte Ukyo zu ihrem Verlobten.

„Klar – kurz zögerte sie – alles super!“

Akanes misstrauischer Blick bohrte sich ihr mit der Subtilität einer Harpune in den Rücken. Sie und Akane mochten zwar einen Waffenstillstand haben und relativ gut miteinander auskommen…

Trat die jeweils andere aber – sagen wir mal – auf eine zufällig verlegte Tretmine, so würden sie es sich nicht nehmen lassen noch eine Granate nachzuwerfen. Sozusagen als Abschiedsgeschenk und makaberem Äquivalent zu einem Blumenstrauß.

Im Moment schien es als würde dieser wackelige Waffenstillstand auf direktem Weg ins Grab zuckeln.

Denn Akane war wütend. Außerdem war sie die so ziemlich einzige, dumm genug, um ihre offensichtliche Eifersucht nicht zu erkennen.

Neben Ranchan.

Ebendies bewies er sogleich.

Als er Ukyo besorgt – so besorgt wie ein Saotome nur sein kann; was nicht zwingend viel heißen möchte – die Hand auf die Schulter legte, kochte die jüngste Tendo über.

„Ranma, hör’ auf zu flirten!“

„Flirten?“, echote Ranma.

„Flirten?“, wunderte sich Ukyo.

„Flirten!“, bestätigte Akane.

Ukyo Kuonji erkannte eine Katastrophe, wenn sich eine solche anbannte.

Ihrem Gespür nach standen der Ausbruch des Vesuvs, die Offenbarung und Ranmas Vermählung – mit jedem außer ihr – bevor.

Also probierte sie zu entschärfen.

„Hey, ich hab’ eine neue Bedienung…“

„Untreuer Mistkerl!“

„Untreu? Als ob du deiner Diät treu bleibst!“

„…und die hat ein unglaubliches Tempo drauf…“

„Du wagst es mich zu beleidigen?“

„Dein Spiegelbild ist eine Beleidigung!“

„…und ich hab’ mehr Gäste als vorher…“

„Du bist so ein unsensibler Idiot!“

„Also ob DU etwas durch deine Fettschicht fühlen würdest!“

„…deswegen hatte ich gedacht, ich könnte…“

„Du blöder Macho!“

„Das sagt die Richtige – du hast doch mehr Testosteron als ich!“

„…euch auf ein kostenloses Okonomiyaki einladen.“

Der Streit erstarrte auf eine Weise, die dem Erstarren von Lava wenige Meter vor einer Stadt gleichkam.

Das lag einerseits daran, dass Ranma ‚kostenlos’ und ‚Essen’ in einem Satz gehört hatte. Andererseits spielte Akanes Faust in Ranmas Gesicht keine unwesentliche Rolle.

Kaum war der Zwist geschlichtet, spazierte das Trio bereits zum Ucchan’s.

Der Weg dahin war erstaunlich kurz – einer der Gründe, weshalb so viele Schüler dort täglich hingingen.

Sicher, wenn man dieselbe Strecke im Flug überbrückte, war der Weg noch kürzer. Aber auch auf konventionellem Weg kam man rasch an.

So dauerte es nicht lange, ehe die drei Schüler vor dem Etablissement standen und die Besitzerin die Tür aufschob.

Von drinnen grüßte sie kühlende Dunkelheit, das Parkett war blitzblank und die Stühle einladend aufgestellt. Alles schien bereit und die Gäste zu erwarten.

„Hey Ryoga!“

Akane und Ranma warfen einander entrückte Blicke zu.

In einem raren Moment der Einigkeit nickten sie sich gegenseitig zu und beschlossen nicht zu fragen.

Nicht, dass das nötig gewesen wäre.

Auf Ukyos Ruf hin rührte sich nämlich etwas am Thresen. Was auf den ersten Blick wie ‚ein’ schwarzes Kleid aussah, enthüllte bei näherer Betrachtung ‚ein Mädchen im’ schwarzen Kleid.
 

Müde und mit Ringen unter den Augen zog Ryoga sich hoch. Gerade eben erst war sie fertig geworden. Sowohl mit den Nerven, als auch mit der Arbeit.

Der morgendliche Ansturm hatte alle vorherigen in seiner Heftigkeit in den Schatten gestellt. Schüler um Schüler waren hereingedrängt gekommen. Wie die Vorboten einer Überflutung war Welle um Welle hineingeschwappt.

Selbst Ukyo als Okonomiyaki-Veteran hatte sich angesichts des unerwarteten Kundenandrangs überrascht gezeigt. Am Schluss waren sie diese Flut an gierigen Mäulern – Okonomiyaki – und nicht minder gierigen Augen – Ryoga – trotzdem Herr, respektive Frau geworden. Allerdings nicht ohne literweise Soße, Teig und Zutaten einzubüßen.

Natürlich war es an der geknechteten Göttin hängen geblieben, den Unrat, die dreckigen Teller, die verrückten Stühle und herabgefallenen Servierten zu beräumen.

Die Liste war lang gewesen. Sehr lang sogar.

Ein Hibiki-Dickkopf mag zwar nie brechen – Ryogas war aber sehr nahe gekommen.

Kaum hatte sie den letzten Teller eingeräumt und sich zum Ausruhen auf den Thresen fallen lassen, da bimmelte die Türglocke.

Verdattert waren ihre Augen zur Uhr gewandert – und hatten sich auf der Suche nach ihr zweimal verlaufen.

Das konnte doch nicht möglich sein!

War es etwa schon so spät?

Der Ruf ihrer Chefin zerschlug jeden Zweifel und damit auch Ryogas Traum von Erholung.

Ja, schlimmer konnte selbst die Hölle nicht sein!

Was gäbe sie nur darum sich mal wieder zu verlaufen. Oder einmal mehr als Schwein von großen Tieren durchs grüne Dickicht gejagt zu werden. Selbst eine sinnlose Schlägerei mit Saotome käme ihr Recht. Sie konnte schon förmlich seine Stimme erahnen wie diese im mokierenden Tonfall verkündete…

„Du bist ja gar nicht Schweinebacke!“

Für einen Augenblick erstarrte Ryoga. Dann wandte sie ungläubig den Kopf.

Ja verdammt, dass konnte doch nicht wahr sein!

In der Tür standen ihre Nemesis, ihre große Liebe und ihre Arbeitgeberin.

Es war unschwer erkennbar, dass Ryoga auf die Anwesenheit zweier Personen hätte verzichten können.

Wie sich herausstellte, achtete aber mal wieder keiner auf Ryoga Hibikis Bedürfnisse.

„Was meinst du mit Schweinebacke?“, merkte Ukyo auf.

„Na als ich hörte, dass das Kotelett bei dir ackert, dacht’ ich…“

„Kotelett?“

„Ranma, sei nicht so unhöflich – mit Blick an Ukyo gewandt, führte Akane fort – Er spricht von Ryoga.“

Die Art und Weise in der die jüngste Tendo den Namen betonte, machte klar wen sie meinte.

„Was? Ihr dachtet, ER arbeitet bei mir? Der findet doch gar nicht den Weg zum nächsten Tisch, geschweige denn den Stift zum Notieren.“

Während Ukyo und Ranma herzlich lachten, bemerkte Akane aus dem Augenwinkel ein bedrohliches Flimmern.

„Ähm… Ukyo?“

„Ja?“

„Willst du uns nicht deine neue Kellnerin… vorstellen?“

„Sorry Ryoga, hab’ ich dich doch glatt vergessen“, lächelte die Restaurantbesitzerin und stolze Erbin der Kuonji-Linie.

„Bin’s gewohnt“, stichelte Ryoga – wurde aber erneut ignoriert.

„Also – mit diesen Worten schob Uko das Neomädchen vor – das ist Ryoga Hibiki und jetzt haltet euch fest. Nicht nur heißt sie wie unser Globetrotter, sondern sie ist ’ne waschechte Göttin.“

Ukyo strahlte vor Genugtuung, Ryoga vor Zorn, Akane vor Unsicherheit und Ranma? Der war nicht wirklich die größte Leuchte – es war ohnehin nicht so, als ob er etwas von der angespannten Lage mitbekam. Dafür war er umso neugieriger.

„Du bist also ’ne Göttin, eh?“

„Ja. Das bin ich wohl.“

„Und was machste hier?“

„Das was du nicht tust. Arbeiten.“

„Oh.“

Anscheinend aktivierte sich Ukyos Gefahrensinn auch diesmal.

Sie wechselte einen schnellen Blick mit Akane, warf einen auf ihren unbekümmerten Verlobten und fokussierte ihre Kellnerin.

Ihre Zusammenfassung der Situation war erstaunlich knapp und sie lautete wie folgt: Schlecht.

„Treibste Kampfsport?“, fragte Ranma.

„Soll ich’s dir zeigen?“, fragte Ryoga.

Das ihre göttliche Bedienung dabei lächelte, war keineswegs ein gutes Zeichen. Ebenso wenig wie ihr Lächeln ein gutes Lächeln war.

„Ne danke, Mädchen bringen’s einfach nicht. Nimm’s nicht persönlich.“

„Nein, wieso auch? – diesmal feixte Ryoga – Aber erzähl’ das den anderen beiden.“

Besagte ‚andere beiden’ waren Akane und Ukyo. Zudem glimmten sie unheilvoll in aggressiven Rottönen, die rein gar nichts mit der entspannten Atmosphäre eines Sonnenunterganges gemein hatten.

Die Junggöttin lächelte, zeigte Zähne und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen einen Tisch. Akane und Ukyo erledigten den Rest höchst gewissenhaft.

Ja, es stimmte schon.

Der wahre Krieger war nicht der, der selbst zuschlug – sondern der, der andere Fäuste dazu verleitete zuzuschlagen.

Ein paar Minuten darauf zog Akane einen bewusstlosen Ranma hinaus, verabschiedete sich und zog – durchaus doppeldeutig – weiter.

Ukyo kochte. Leider nicht hinter, anstelle dessen aber vor dem Thresen.

Dieser Idiot! Wie kam er nur dazu, so was zu sagen? So sehr sie ihn auch liebte, so blieb er doch ein Sexist.

Hierin merkte man die Wurzeln ihres Verlobten. Hoffentlich würde es in Zukunft bei diesem einen Charakterfehler bleiben.

„Ukyo, alles in Ordnung?“

Rasend vor Wut schwang Ukyo herum. Ihr Handteller stoppte wenige Zentimeter vor Ryogas Wange.

Es war ein Reflex gewesen. Genau diese Worte hatte nämlich Ranma verwendet, um sie vorhin noch zu trösten. Beinahe wäre ihr die Hand ausgerutscht.

Ukyo senkte besagte Hand und legte sie Ryoga stattdessen auf die Schulter.

„Sorry Ryoga. Er ist manchmal ein echter Idiot.“

„Manchmal?“, grinste Hibiki.

„Okay, manchmal auch häufiger.“

Stille kehrte zwischen ihnen ein.

„Wir haben heute Morgen viel eingenommen…“

„Hm.“

„Es genügt.“

„Hm?“

„Wir haben genügend eingenommen.“

„Hm!“

Für eine Weile kehrte die Stille aufs Neue ein und senkte sich wie das Aroma von frischem Okonomiyaki herab. Also omnipräsent und penetrant.

„Angebot. Schließen wir für heut’?“

Ryoga sah erstaunt auf, vergaß aber nicht zu nicken.

„Gut“, murmelte Ukyo und streckte ihre Arme durch und gähnte.

„Ich mach’s Bad fertig. Kommste?“

„W-W-Wie meinen?“

„Ich und du ins Furo. Waschen. Etc.?“

„Eh, also ich…“

„Ich geh’ dann schon mal hoch. Stell’ die Stühle noch hoch, ’kay?“

Mit diesen Worten verschwand sich nach oben.

Die Treppenstufen knarrten vorfreudig.

Weniger Vorfreude verspürte Ryoga.

Dafür gab es nicht wirklich einen besonderen Grund.

Es gab gleich drei.

Angefangen dabei, dass sie ein ER war.

Was an und für sich nicht weiter schlimm wäre, nahm bei ihr fontänenartige Ausmaße an – und zwar bei ihrer Nase.

Der zweite Grund bezog sich auf ihren Status als Göttin. Eine Göttin bewahrte die Moral, sie beschütze und erhielt Vertrauen, weil sich auch vertrauenswürdig war.

Ob ein Junge, der sich als Mädchen ausgab und mit seiner Chefin das Bad teilte vertrauenswürdig war? Ryoga hegte Zweifel.

Zuguterletzt hing ihr mangelnder Enthusiasmus an ihrer Unfähigkeit ins nächste Stockwerk zu finden. Sicher, sie wusste, dass sie theoretisch eine Treppe benötigte, um in die erste Etage zu gelangen.

Allerdings spalteten sich hier erneut Wissen und Umsetzung. So kann man wissen, dass ROT bedeutet, das das anfahrende Auto bremsen muss. Was aber, wenn das der Fahrer selbst nicht weiß?

„Ryoga, komm’ endlich!“

Hektisch packte Hibiki Stuhl um Stuhl, stapelte sie auf den nächstgelegenen Tischplatten und ihr gelang dabei eine interessante Imitation eines kopflosen Huhns – nur mit Kopf.

„Ryoga!“, drängte Ukyos Stimme von oben.

Die herbeigerufene Göttin zuckte zusammen, schloss die Augen und taumelte dem Ruf ihrer Chefin nach.

Sie stieß viermal gegen die Wand, zwei Tische und schließlich auf die Tür ins Treppenhaus.
 

Ukyo sog das Aroma ein.

Zur Feier des Tages hatte sie das Wasser im Furo mit einem feinen Öl versetzt. Die aufsteigenden Dämpfe nahmen auf diese Weise einen angenehmen Geruch an und verbreiteten eine entspannende Atmosphäre.

„Na dann mal los. Fehlt nur noch Ryoga.“

Wo sie wohl blieb? Ob sie sich verlaufen hatte?

Die junge Kuonji musste grinsen.

Es war schließlich nicht so, als wäre die ansehnliche Göttin der tumbe Kämpfer.

Obwohl die beiden durchaus ein paar Ähnlichkeiten aufwiesen, dass konnte nicht geleugnet werden.

Ein großer Unterschied bestand jedoch zwischen beiden. Ihre Kellnerin besaß zumindest so was wie Sexappeal. Ryoga hingegen wanderte irgendwo im Minusbereich herum.

Ukyo seufzte beim Gedanken an ihre Mitarbeiterin.

Ob Ranma die Göttin nur halb so lange schmachten lassen würde wie er es mit ihr und den anderen Verlobten tat?
 

Wo war die Tür? Wo war die Tür? Wo war die Tür?

Ryogas Gedanken kreisten. Außerdem war ihr gerade eben ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. So als würde jemand über sie nachdenken – allerdings in recht unangebrachter Weise.

Bereits zum dritten Mal lief sie den Korridor entlang. Trotzdem besaß sie keine Ahnung, welche Tür nun die Richtige war.

Verdammt! Warum musste ihre Wegfindung auch nur so beeinträchtigt sein?

Na, vielleicht blieben ihr so das gemeinsame Bad und die damit verbundenen Peinlichkeiten erspart?

Das Knarren einer Tür erschütterte diesen Gedanken in seinen Grundfesten.

Hinter ihr öffnete sich besagte Tür einen Spalt breit und entließ das lockende Plätschern von Wasser in den Gang.

Geschlagen und mit hängendem Kopf näherte sie sich der Tür und betrat den Raum dahinter. Unüberraschenderweise handelte es sich um das Badezimmer.

Und eine splitternackte Ukyo betrachtete ihren Körper im Spiegel.

Ihre Blicke begegneten einander.

„Bist du auch endlich da?“

„Huh!“, antworte Ryoga einsilbig.

„Sag’ mal, bin ich hübsch?“

Zur besseren Ansicht drehte Ukyo sich ihr zu.

In Hibikis Nase drohte ein Vulkanausbruch. Ihre Hände zitterten. Sie nickte hölzern.

Peinlich berührt sah ihre Chefin seitwärts.

„Wärst du’n Junge. Würdest du mich zur Freundin haben wollen?“

Ryoga hüstelte betreten, sah überall hin nur nicht zu Ukyo und kratze ihren Nacken.

„I-I-I-I-Ich d-d-denke schon.“

Die mediterranen Düfte mussten ihr zu Kopf steigen – sie begann bereits Kuonji als attraktiv einzuschätzen.
 

Besagte Kuonji musterte ihre Bedienung forschend, aber so sehr sie die junge Göttin auch unter die Lupe nahm – letztendlich konnte sie doch nicht sagen, ob das andere Mädchen log.

Überhaupt war das eine dumme Frage gewesen. Ryoga war schließlich kein Junge; wie sollte sie da sagen können, ob Ukyo hübsch war?

„Mach’ dich fertig. Ich geh’ schon mal vor.“

Kaum waren ihr die Worte über die Lippen geflogen, da verließ sie bereits den Vorraum, betrat den Waschraum und zog die dünne Tür hinter sich zu.
 

Ryogas Wangen brannten. Die Röte auf ihrem Gesicht schien ihren ganzen Körper zu durchwühlen und zu wärmen.

Das Neomädchen seufzte.

So nahe war sie einem nackten Mädchen noch nie gewesen und dann noch diese merkwürdigen Fragen, die Ukyo ihr gestellt hatte.

Sie war ganz verwirrt von der Situation.

Außerdem zuckte ihre Nase gefährlich.

Konnte sie wirklich ein Bad mit Ukyo teilen - ohne dabei an Blutverlust zu sterben?

Argwöhnisch beäugte die junge Göttin die Glühbirne an der Decke über ihr. Die Lampe spendete harmonisch Licht, nichts wies auf spontane elektrische Entladungen hin.

Verdammt, was hatte der Laden da oben für Regeln?

Fluchen verboten – Spannen erlaubt?

Hinter der dünnen Schiebetür plätscherte verführerisch Wasser.

„Oh – mein – Gott.“

Entschlossen entledigte sich Ryoga ihrer Uniform, atmete tief ein und zog die Tür auf.

Nackt bis auf die Haut – so wie Gott sie NICHT oder vielleicht eben DOCH geschaffen hatte – tapste sie in den gefliesten Raum.

„Komm’ rein, du frierst dir sonst noch was ab.“

Etwas abfrieren? Erschrocken sah Ryoga an ihrem Körper herab und jahrelangen Reflexen folgend zu ihrem Unterleib.

„Also ‚dort’ ganz sicher nicht.“

„Ehehehehe…“

Beklommen stieg die Göttin in Ausbildung zu ihrer Chefin ins Bad und begegnete eher zufällig deren misstrauischem Blick.

„W-W-Was?“

„Wascht ihr euch da oben nicht – Ukyo deutete hinauf –, bevor ihr ins Furo steigt?“

Dümmlich drehte Ryoga ihren Kopf, fand den Waschzuber neben der Wanne und lachte verlegen.

„Na ja, vergiss’s.“

Eine Stille, dick genug um eine Diät in Betracht zu ziehen, senkte sich herab.

Keine wusste so recht, worüber sie mit der jeweils anderen reden sollte.

Demnach schwiegen sie produktiv.

Es vergingen ein paar lautlose Minuten, ehe Kuonji das Schweigen brach.

„Wie ist das eigentlich mit Beziehungen und so bei euch?“

Erstaunt sah Ryoga vom Wasserspiegel auf und fixierte Ukyos ausladende Oberweite, ehe ihre Augen zaghaft zu deren Gesicht wechselten.

„Huh?“

„Na, habt ihr Verlobungen, Heirat und so’n Kram?“

Die Adressierte kräuselte die Stirn.

Es stimmte zwar, dass sie mit ihrer Beförderung sehr viel Konservenwissen eingespritzt bekam. Solche eigentümlichen Wissensbereiche wie das Paarungsverhalten geschlechtsreifer Götter zählten leider nicht dazu.

„Das – weiß ich gar nicht so wirklich…“, gestand sie und zuckte entschuldigend mit den Schultern und rieb sich die Nase. Das Organ begann immer stärker zu jucken.

„Oh.“

Erneut überlagerte Stille das sporadische Plätschern.

„Hast du’n Freund?“

Diesmal hielten sich Ryogas Augen erst gar nicht mit Kuonjis weiblichen Attributen auf, sondern fingen ihren neugierigen Blick sofort ab.

„Auf – keinen – Fall!“

Verwirrt legte ihre menschliche Gesprächspartnerin den Kopf schief.

„Klingst ja verdammt abweisend.“

„Verdammt – ja! Ekelhaft die Vorstellung.“

„Oh.“

Die nachfolgende Stille war insofern eine Stille wie das Brodeln unterhalb der Erdkruste dem Konzept von Stille entspricht.

„Ryoga?“

„Hm?“

„Heißt das du stehst auf Mädchen?“

Man hätte die metaphorische Nadel abprallen hören können.

Tatsächlich war Ryoga so geschockt von der Frage, fast hätte sie sich aus Versehen zurückverwandelt – was inmitten einer überdimensionierten Pfütze heißen Wassers nicht wirklich schwer gewesen wäre.

„Also ich… ich denke… verdammt heiß hier, nicht?“, lachte Ryoga panisch.

Ukyos Fokus aber verließ sie nicht und die Augenbrauen der Kampf-Köchin zogen sich zu einem Pfeil zusammen.

„D-Da es… so heiß ist… eh, ich geh’ schon mal raus. U-Und ins Bett. U-Und gute Nacht.“

Hastig purzelte das Pseudomädchen über den Furorand, lächelte halb wahnsinnig zurück und verschwand ‚durch’ die Schiebetür.
 

Ukyo blinzelte perplex. In ihrer Waschraumtür befand sich nun ein Loch. Es war ein Loch, das die unverkennbare Form eines jungen Mädchens aufwies.

Man hatte einen auffallend guten Blick hindurch.

Ukyo strich ein paar Strähnen nassen Haars hinters Ohr.

Hatte sie mit ihrer letzten Frage wohlmöglich ins Schwarze getroffen?

Die Überreste der Tür knarrten jämmerlich und fielen geräuschvoll zu Boden.

Doch, irgendetwas verriet ihr, dass sie richtig lag.
 

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Anmerkung des Autors:
 

Zuallererst einmal danke für das Interesse an der Geschichte. Wie ich in meinem letzten Nachwort schon bekannt gab, steht der weitere Verlauf der Story fest und es wird sich - bis auf Kleinigkeiten - nichts daran ändern.

Das ist die gute Nachricht.

Nun zur schlechten...

Wahrscheinlich werde ich bis Ende April kein neues Kapitel veröffentlichen können; obwohl es mich durchaus in den Fingern juckt. Grund dafür sind diverse Hausarbeiten für die Universität, die zum Abschluss gebracht werden möchten.

Trotzdem hoffe ich, dass ihr mir die Stange halten werdet und wünsche euch viel Spaß mit Kapitel 5.
 

Euer Deepdream.

Enthüllt und erwacht.

Seine Augenlider spannten sich. Ein Schütteln lief durch seinen Körper, begann bei seinen Zehenspitzen und jagte bis zu seinen Haaren hinauf.

Als Reaktion drehte er sich unwirsch auf die Seite.

Ein weiteres Schütteln, diesmal ungleich stärker, erfasste ihn und warf ihn beinahe von seiner Schlafstätte aufs Parkett.

Diesmal erwachte er zwischen Schock und Zorn und sog gepresst Luft ein.

„Bei Himmel und Hölle, was…?“

Er kam nicht dazu seine Frage zu vollenden. Anstelle dessen durchlief ihn ein drittes Schütteln, ließ seine Zähne wie Stalaktiten bei einem Erdbeben klappern und seinen Kiefer wie die dazugehörige Höhlendecke wackeln.

Aus großen, anklagenden Augen sah er sich um.

Wer wagte es ihm diesen Streich zu spielen? Welcher Unhold vergriff sich an der gesegneten Nachtruhe des großen Tatewaki Kuno?

Seine Augen verengten sich erbost. Man könnte sagen, er erfuhr eine Offenbarung.

Hatte Kodachi eines ihrer Puder auf seinem Futon getestet?

Mürrisch hob er die Matratze an, schüttelte sie aus und legte sie zurück aufs Parkett. Erst dann kam ihm der Gedanke, dass es eigentlich keine so gute Idee war einen Gegenstand, der mit eventuell hochgiftigem Puder bestäubt war, inmitten eines geschlossenen Raumes zu bewegen.

„Ach, verdammt auch eins…“

Voller Unmut distanzierte er sich von seiner Schlafstätte, zog das Shoji – eine herrlich unpraktische Schiebetür aus Papier und Holz – auf und schlurfte müde auf die Terrasse, die sich nahtlos an sein Zimmer anschloss.

Von dieser aus sog er die kühle Luft ein und warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Teichoberfläche. Silbern schimmerte die Reflexion des Mondes obenauf wie eine Münze.

Wahrhaft, ein schöner Anblick. Ein Teich bei Mondenschein vermochte auch das Herz des größten Kriegers in seiner Kampfeslust zu zähmen und sei es auch nur, um seinen Blick auf dessen prächtige Schönheit zu locken.

Tatewaki spürte förmlich wie sein Herz sich beruhigte.

Mit einem Lächeln wandte er sich ab, hob den rechten Fuß zum Schritt und erzitterte. Hierbei genügt es nicht nur zu sagen, dass es ihn schüttelte. Dieses Erzittern glich nämlich einem Schütteln in einer Weise, in der ein Kinnhacken einem Tätscheln gleicht.

Nicht, dass das für Nerima-Verhältnisse einen großen Unterschied machte. Insbesondere nicht im Fall Tatewaki Kunos, dessen einziger Kontakt zu weiblichen Wesen fast immer – eigentlich ausschließlich - in toxischen Reaktionen, knirschenden Knochen und Hämatomen vielfältigster Farbgebung endete.

Störrisch kroch der Oberschüler zurück in seinen Raum, fühlte den Schweiß auf seinem Gesicht und beschloss in nächster Zeit einen Ventilator anzuschaffen – Tradition hin oder her!

Ein merkwürdiges Glühen riss ihn aus seinen Überlegungen.

Nicht unneugierig sondierte er die Quelle des Lichts. Es war ein schwarzes Kästchen aus Marmor, kaum länger als eine Elle und vier Finger breit. Die darin eingelassenen Reliefen waren es, die dieses unheilvolle Glühen verbreiteten.

Es gab nicht viele Momente, in denen Tatewaki ein Licht aufging. Dieser war so einer und er wusste die hinter seiner Stirn blühende Erkenntnis in erstaunlich akkuraten Worten wiederzugeben.

„Bitte nicht!“
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 6 – Enthüllt und erwacht.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Die Nacht war noch jung. Theoretisch konnte die Nacht auch überhaupt nicht alt werden, was natürlich im Umkehrschluss bedeutete, dass sie ebenso wenig jung sein konnte.

Das hielt sie trotzdem nicht davon ab, dem Tag für einige Stunden die Schau zu stehlen.

In Ryogas Kammer war es dementsprechend stockdunkel.

Gespannt hörte das Neomädchen auf ihren eigenen Atemrhythmus.

Es klopfte an der Tür.

In der heiligen Dreifaltigkeit von HART, BRUTAL und UNERBITTLICH bebte besagte Tür in den Angeln. Das Winseln der Scharniere entrang der Göttin ein Seufzen.

Ehrlich gestanden, hatte sie hiermit gerechnet.

Wie sahen ihre Optionen auf?

Einerseits konnte sie jetzt aufstehen, ihre Kleider glatt streichen und kopfüber aus dem Fenster hopsen.

Andererseits konnte sie liegen bleiben, sich das Kissen über den Kopf ziehen und hoffen, dass das Klopfen von alleine aufhörte.

Natürlich konnte sie auch gequält stöhnen, ihre Kollegen da oben und ihren Arbeitgeber hier unten verfluchen – was sie aufgrund ihrer Sprachsperre nicht wirklich konnte - und die Tür öffnen.

Ryoga seufzte, schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit und schlurfte die eineinhalb Meter zur Tür. Schließlich wollte sie nicht, dass das hölzerne Brett in ihren begrenzten Wohnraum fiel.

Zaghaft drehte sie den Türknauf, atmete durch und zog die Tür auf.

Nicht wirklich unerwartet, fand sie Ukyo vor sich.

Allerdings war es eine sturzbetrunkene Ukyo, die ihr lallend einen Arm um die Schulter warf und sich gackernd an sie presste.

„Ukyo?“

„Yo!“

„Vielleicht solltest du…“

„W-Wsch schollte isch Schübsche?“

Zwei große, braune Rehaugen blinzelten verschroben in Ryogas.

Seltsamerweise wurde der Neogöttin recht warm – und dass nicht nur ums Herz.

„Schule. Schulegehen. Ich meine, morgen musst du zur Schule gehen. Deshalb Bettgehen.“

„Musch isch? W-Will nisch“, schmollte die Köchin und drückte sich offenherzig an ihre errötende Bedienung.

„A-Aber Ukyo…“

„Schei schtill. D-Du wirscht trinken!“, stellte die Köchin mit einem finalen Unterton fest.

„Und schwar mit m-m-mir! Kapiert?“, hickste die Erbin der Kuonji-Linie stolz.

„D-Darf ich fragen weshalb?“

Kurz schlich sich ein nachdenklicher Ausdruck auf Ukyos Gesichtszüge. Dann entgleisten diese zu einem stumpfsinnigen Lächeln und Kuonji gröllte.

„Nö! U-Und schetzt k-komm mit!“

Freudig hicksend packte Ukyo Ryogas Hand und schleifte die überrumpelte Göttin hinterher.

Wie Ryoga beunruhigt feststellte geradewegs ins Schlafzimmer ihrer Chefin.

Dort standen bereits vier randvolle Sakeflaschen - respektive drei randvolle und eine leere, die es dennoch schaffte irgendwie voll auszusehen - neben dem Futon, zwei gebrannte Keramikbecher und mehrere Kerzen.

Irritiert kräuselte die Junggöttin ihre Stirn und wurde von Ukyo unsanft in die Höhle der Löwin hineingestoßen, ehe die Bewohnerin dieser die Tür zuzog. Ein Rumsen später war auch das erledigt.

Unsicher lugte Ryoga zu ihr.

Ob es Ukyo gut ging?

„Hicks!“, verkündete diese fröhlich.

Nun ja, die Frage hätte sich dann ja wohl erledigt.

Es vergingen keine drei Sekunden, da hatte sich die Herrin des Hauses auch schon zu ihrer Untermieterin gesellt und ihr einen Arm um die Schulter gelegt.

„T-T-Trinkt i-ihr Göttscher ei’entlich?“

„Nein?“, offerierte Ryoga und fühlte Ukyos Stirn probeweise auf Fieber.

„Oh-ho! Du jescht aba janz schön auf Tusch-Tusch-Tuchfühlung, wei?“

Was war nur mit Ukyo los? Sie benahm sich so komisch.

Sie war doch nicht etwa...

Aufmerksam musterte Ryoga ihre Chefin.

Glasiger Blick – Check.

Wenig intelligentes Grinsen – Check.

Im Auflösen begriffene Artikulationsfähigkeit – Check.

„Sag mal Ukyo, bist du besoffen?“

„Hicks!“

„Heißt das ja?“

„Hicks!“

Hilfreicherweise ergänzte Ukyo ihre Aussage diesmal mit einem fröhlichen Nicken und grinste sorgenfrei drein. Überhaupt lenkte dieses Grinsen Ryogas Aufmerksamkeit auf Ukyos gerötete Wangen, von da aus auf die seidigen Strähnen, die ihr ins Gesicht hingen und letztendlich auf die blütenweiße Yukata, die sie trug.

„Je-Jefälschst dir?“

„Pardon?“

„Ob’s d-dir je-jefällt hab’ isch jefragt!“

Überstürzt riss sich Ukyo von Ryogas Seite fort, sprang auf – und fiel dabei fast sofort um – und drehte sich in einer Parodie von Eleganz mehrfach um die eigene Achse.

Als sich Gleichgewicht und Schwerkraft verhöhnt genug vorkamen, schickten sie Ukyo auf direktem Weg zu Boden. Respektive wäre sie zweifelsohne auf dem Parkett aufgekommen, hätte da nicht eine gewisse Göttin in der Leere zwischen Ukyo und dem Holzboden gesessen.

Dementsprechend stürzte sie ihrer Bedienung in die Arme und lachte heiter.

Nun lässt sich viel über Ryoga sagen – er, eh sie ist aber trotz allem ein Mann.

Zumindest in den Tiefen ihres Herzens war sie das, weswegen ihre Wangen scharlachrot anliefen. Das wiederum lag nicht alleine an der Umarmung.

Schuldig hieran waren eher die zwei Wölbungen, die sich gegen ihr eigenes Set drückten.

„U-U-Ukyo…“

„Schei schtill! Ischt d-d-doch nisch’ so, a-als o-ob du M-Mädschen nisch’ leid’n könnt’st.“

Da war es wieder. Das Thema, vor dem Ryoga zurückgescheut war und ehrlich gestanden, wollte sie die Frage ihrer sexuellen Orientierung nicht mit einer betrunkenen Ukyo erläutern. Insbesondere da sie wusste, dass mit ihrer Libido alles in Ordnung war. Aber erkläre das mal jemandem, der keine Ahnung davon hatte, dass sie tatsächlich ein Junge war.

„Weischt du wasch?“

„Nein?“, antwortete Ryoga durchaus wahrheitsgetreu.

„R-R-Ranma isch’n I-Idiot!“, blaffte die Köchin und drückte sich noch fester an sie.

„Erzähl mir was Neues“, raunte Ryoga und errötete ob des engen Kontakts.

„Wasch?“

„Nichts.“

„Oh.“

So verharrten beide. Ryoga auf ihrem Hinterteil und Ukyo an sie geklammert.

Gedämpft erfüllten die Kerzen den Raum mit Licht. Ein Geruch von Zimt hing latent in der Luft und umschmeichelte die Nase.

Langsam zog sich Kuonji zurück und griff nach einer Flasche und einem Becher.

Zielsicher wie ein gesprengter Wasserfall goss sie Reisschnaps ein, verteilte die Hälfte davon auf sich, beäugte das verwundert und reichte Ryoga den Becher.

Dann nahm sie den zweiten und verfuhr erneut so, eingeschlossen dem Verschütten.

„Kampai!“, lallte Ukyo und hob die Tasse.

„Kampai“, stimmte Ryoga wenig enthusiastisch ein, zwang sich nach einem bösen Blick seitens Ukyos zu einem Lächeln und beließ ihre Tasse auf gleicher Höhe.

In einem Zug leerte ihre Chefin das scharfe Gebräu.

Unter einem Seufzen kippte auch die Junggöttin ihre Portion weg und spürte den Reisschnaps durch ihren Hals, ihre Speiseröhre entlang und letztendlich in ihren Magen tröpfeln.

Es fühlte sich nicht unähnlich einem Magendurchschuss an.

„Ey! V-V-Verschträgscht w-wohl nisch’s, eh?“, gluckste Ukyo erheitert und beugte sich mit Kennermiene zu ihr vor.

„Ehehehe…“, lachte Ryoga ihrerseits, hielt die Schmerzgrimasse mit Mühe von ihrem Gesicht fern und ihren Magen notdürftig in Zaum.

Sie hatte nicht gewusst, dass Sake derart hochprozentig war. Alles was sie bisher über Sake in Erfahrung gebracht hatte, war, dass er niemandem schmeckte und ihn doch alle tranken.

Irgendwie unplausibel – aber so waren Menschen nun mal.

„R-R-R-Ranschan isch wirklisch e-e-ein I-Idiot!“

„Ja – und?“

„W-Warum l-l-liebe isch i-ihn dann?“

Fragend sah das Mädchen die Göttin an. Ihr Haar war verwuschelt von ihrem Ausrutscher kurz zuvor und ihre Yukata klaffte einladend auseinander.

Ryoga ihrerseits bemühte sich tunlichst wegzuschauen. Was sich als sehr schwer herausstellte, schließlich war sie in der Blütezeit ihrer Hormone.

Ukyos Frage beantwortete das aber nicht. Außerdem – woher sollte sie die Antwort darauf wissen? Sie wusste ja noch nicht einmal, weshalb diese Mädchen sich so sehr an diesen Idioten klammerten wie Ertrinkende an Treibholz.

Also entschloss Ryoga das zu sagen, was ihr zuerst auf die Zunge fiel.

„W-Weil niemand anders f-für dich da war?“
 

Ukyo hörte die Worte ihrer Bedienung.

Sie war schließlich nicht taub, nur strack. Trotzdem funktionierte ihr Gehirn noch gut genug, um das Gesagte zu verarbeiten und in den abgedunkelten Gängen ihres Bewusstseins die Notstromversorgung umzulegen. Ihr Verstand nahm die Arbeit murrend wieder auf.

„Ach? A-An wen hättsche isch misch d-denn w-w-wenden soll’n Sch-Schlau-Schlaumeier?

Hierauf wusste Ryoga nichts zu erwidern. Sie zuckte mit den Achseln.

„K-Klasse! T-T-Toll’r R-Rat. Sch-Scheig m-mir doch m-mal e-einen, d-der misch w-wollte?“

In Ukyos Stimme floss Bitterkeit. Ein Schimmer von Tränen legte sich über ihre beiden Augen.

„K-K-Komm Ukyo, n-nicht weinen! B-B-Bitte nicht!“, versuchte Ryoga sie zu beruhigen.

„Nischt w-weinen? W-W-W-Warum n-nisch? Isch b-bin allein. N-N-Niemand d-da für misch. V-V-Völlisch allein.“

Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle und kleinere Tränen perlten an ihren Wangen ab.

Sie hatte sich selten so deprimiert gefühlt. Sie hatte bis heute aber auch nur selten Alkohol getrunken.
 

Ryoga war ratlos.

Da saß ein Mädchen, noch dazu ihre Chefin, traurig und verbittert vor ihr und klagte ihr Leid – und sie hatte keine Ahnung was sie tun konnte.

Sie besaß in etwa soviel soziale Fähigkeit wie ein Bumerang.

Sie war es gewohnt benutzt und fortgeworfen zu werden. Nur war sie derart dämlich, trotzdem immer wieder zum Werfer zurückzukehren.

Schon seltsam. Ihr Orientierungssinn war so schlecht, aber nichtsdestotrotz verschlug es sie immer wieder nach Nerima.

Hilflos beobachtete sie Ukyo.

Sie kannte sich nicht damit aus, jemandem einen Rat zu geben und Trost zu spenden. Das war der Fortgeschrittenenkurs in sozialen Angelegenheiten – wer aber so häufig auf Reisen war wie ein Hibiki, der hatte keine Gelegenheit fürs Erlernen der vorab erwähnten sozialen Fertigkeiten.

Dementsprechend konnte die Göttin mühelos einen Stein zerschmettern, scheiterte aber daran anderen Leuten zu helfen. Aber genau das sollte sie doch tun, oder? Sie war doch eine Göttin und Götter halfen Menschen, nicht?

Aber keiner hatte es für nötig befunden, ihr das WIE zu erklären!

Währenddessen hatte Ukyos Schluchzen nicht abgenommen und große Tränen kleckerten auf ihren weißen Kimono herab und färbten ihn dunkel.

Ryoga atmete durch und stählte sich.

Dann griff sie zu und zog Ukyo in ihre Arme.

Sie wusste nicht, womit sie gerechnet hatte. Vielleicht hatte sie einen Ellbogenstoß erwartet, vielleicht aber auch wüste Worte. Was anderes war sie immerhin nicht von der Köchin gewohnt.

Umso verwunderter war sie, als Kuonji ihre Arme um sie schlang und in ihr Seidenoutfit heulte.

Ungelenk streichelte die Göttin Ukyos Rücken, starrte sich nach allen Seiten nach Hilfe um, erhielt keine und verfluchte den Göttinnen-Hilfsservice, der wahrscheinlich gerade Urlaub machte.

„R-R-Ryoga?“, schniefte ihre Chefin.

„Hm?“

„J-J-Jungsch schind blöd.“

„Wem sagst du das.“

„R-R-Ryoga?“, schniefte sie erneut.

„Hm?“

Zur Antwort fühlte sie wie sich ein Paar weiche Lippen an ihre pressten.

Ehe sie sich versah, waren nicht nur die Lippen an sie gepresst und sie wurde auf den Futon gestoßen.

„U-U-U-Ukyo, w-w-w-was tust du?“ Ihre Blicke begegneten sich und Ukyo lächelte ein unbestimmbares Lächeln.

„N-Neue H-H-H-Horischonte entdecken. N-N-Neue Horischonte.“

Wie von selbst verlöschte das Kerzenlicht – tatsächlich verlöschte es wirklich von selbst – und ließ Dunkelheit sowie eine Köchin über einer Göttin zurück.
 

Der nächste Morgen kam unerwartet schmerzhaft.

Jeder Sonnenstrahl wurde zum Schwert, jedes Geräusch zur Pfeilspitze, jeder Gedanke an Essen zu einem Erlebnis, das einen recht schnell von dieser Erwägung abbrachte.

Kurzum war Ukyo übel. Sehr übel sogar. Wenn sie sich das so bedachte, war ihr speiübel.

Nicht, dass das unerwartet wäre. Hinzu kamen fürchterliche Kopfschmerzen und ein saurer Geschmack im Mundraum.

Außerdem stank hier etwas nach Angebranntem.

Es war ein widerlicher Gestank, der die Geruchsrezeptoren ihrer Nase in einen Würgegriff nahm. Übrigens kam auch ihr selbst dabei das Würgen.

Was stank nur so erbärmlich, noch dazu an einem solchen Morgen?

Ein Knarren außerhalb des Zimmers alarmierte sie. Aus einem Reflex heraus wandte sie ihre Augen – zwangsläufig damit auch den Kopf – der Tür zu. Sie bereute es sogleich.

Stöhnend ließ sie ihr Haupt aufs Kissen zurücksinken. Ihre Nase wimmerte unbehelligt davon weiter.

Es knarrte erneut.

Mit fiebrigem Blick starrte Ukyo auf die Tür, in der bereits ihre treue Bedienung mit einem Tablett stand. Auf dem Tablett dampfte etwas beunruhigend.

„Was ist das?“, stöhnte Ukyo ihre Frage hervor und blinzelte ihre Angestellte an.

„Okonomiyaki?“

Misstrauisch beäugte die Erbin der Kuonji-Linie den verkohlten Teig – der im jetzigen Zustand mehr Kohle als Teig war – und verspürte einen Stich im Herzen.

Wie konnte man ein Okonomiyaki nur derart misshandeln? Waren Göttinnen nicht sonst als gnädig gepriesen?

„Erinner’ mich dran, dich nie an’n Grill zu lassen, ’kay?“
 

Verwirrt starrte Ryoga auf ihr erstes zubereitetes Okonomiyaki und wunderte sich stillschweigend, wovon Ukyo da sprach.

Stimmte denn etwas hiermit nicht?

Argwöhnisch besah sie sich den rabenschwarzen Teig, der ihr zur Antwort eine kleine Wolke Kohlenstaub entgegenspuckte.

Ihre ermattete Chefin stöhnte auf und hielt ihren Kopf. Ob es Ukyo nicht gut ging?

Besorgt trat die Göttin in Ausbildung näher.

„Alles in Ordnung Ukyo?“

„Wird schon gehen – wie im Nachgedanken ergänzte sie – müssen.“

„Oh.“

Ratlos kratzte Hibiki ihren Hinterkopf.

„Hast du vielleicht Hunger?“

Ukyos ungläubiger Blick genügte als Reaktion.

„Also, wenn du nicht putzen willst Ryoga – ne danke.“

„Oh.“

Eine gespannte Stille setzte ein. Ukyo brach sie fast sofort.

„Warum is’ mir nur so schlecht und warum bin ich so verschwitzt?“

Ryoga lief rot an.

„E-E-Erinnerst d-du dich n-nicht?“

Ukyos folgendes Murmeln ließ sich zu einem „Nicht wirklich“ zusammensetzen. Vorausgesetzt man verfügte über das entsprechende Gehör und genügend Kreativität zum Interpretieren.

„Wieso?“ Is’ was passiert?“
 

Ukyo sah uninteressiert auf. Ihr tat alles zu weh, als dass sie das nötigte Interesse für andere Dinge hätte aufbringen können. Trotzdem enervierte Ryogas Herumdrucksen sie genug, um nochmals nachzuhacken.

„Okay – was is’?

Ächzend richtete Ukyo sich auf – und die Decke glitt, den Gesetzen der Schwerkraft folgend an ihr herab. Und entblößte sie im Kostüm der ersten Stunde.

Ein Umstand, den die Köchin erst im nächsten Augenblick völlig begriff, als sie verdattert auf ihre nackten Brüste starrte.

„M-Meine Kleidung?“

Ryoga lief rot an.

„D-Die hast d-du ausgezogen.“

„Ausgezogen?“, wiederholte Kuonji langsam.

Ryoga nickte verunsichert.

„Und wann hab’ ich mich bitteschön ausgezogen, ich denk’ ich würd’ mich dran erinnern!“

Hibiki sah betreten zur Seite.

„I-Irgendwann nachdem d-du dich betrunken u-und b-bevor du mich ausgezogen h-hast. Denke ich“, stammelte die Göttin zweiter Klasse.

„W-Wie meinen?“

Erkenntnis dämmerte auf Kuonjis Miene.

„D-D-Das k-kann doch nicht, d-du m-meinst, wir ha-haben…?“

Ukyo Kuonji war ein abgebrühter Mensch. Besuchte sie eine Kneipe, so war sie es, die Leute rausschmiss. Kritisierte jemand ihr Essen, so lächelte sie, kassierte und schmiss die Person danach raus. Sie war immerhin auch finanzorientiert.

Diesmal allerdings half ihr alle Abgebrühtheit nichts – sie errötete trotzdem.

Ihrer Bedienung erging es nicht besser.

Ryogas Wangen spiegelten die Farbe ihrer eigenen.

Im nächsten Augenblick wurde Ukyo jedoch fahl. Aschfahl.

„Oh mein Gott! Ich hab’ Ranchan betrogen!“

Das Gesicht ihrer Hilfskraft verzerrte sich.

„Wie bitte? Das ist der einzige Gedanke, den du hast? Das war auch mein erstes Mal!“

Unwirsch fuhr Ukyo ihre Vertragspartnerin an.

„Als ob du das verstehst! Ich bin Ranchan versprochen! Mit diesem – sie rang hysterisch nach Worten und Luft – Unfall hab’ ich meine Familienehre verloren! Ich hab’ mein Anrecht auf Ranchan verloren!“

Ryogas Miene verdunkelte sich; sie schnaubte und dampfte vor Wut.

„Ranchan? Gestern war er noch’n Idiot und ich? – zähneknirschend presste sie hervor – Bin ich der Ersatz?“

„Was beleidigst du Ranchan?“, wütete Ukyo ihrerseits und ignorierte die implizierte Frage.

„Ich – ihn beleidigen? Als ob er’s nicht verdient hätte! Dieser polygame Mistkerl!“

Jetzt war es an Ukyo zu schnauben. Zielsicher – so zielsicher wie man mit einem mittelschweren Kater sein kann – taumelte sie auf ihre Bedienung zu. Mordlüstern ballte sie Fäuste.

Wie konnte Ryoga nur so von ihrem Verlobten sprechen? Woher nahm sie sich das Recht?

Ryogas nächste Worte brachten ihren Ansturm allerdings ins Wanken.
 

„Dieser Kerl verdient dich doch überhaupt nicht! Er hat hunderte Mädchen um den Hals! Und ich?“, skandierte die Göttin und krallte ihre Finger in die Seide ihres Kostüms.

„W-Was?“

„Verdammt! DU hast mich ins Bett gezogen. Nicht andersrum! Und jetzt bin ich dir nicht mehr gut genug, nachdem dein Alkoholanteil runter ist?“ Zornestränen sammelten sich in Ryogas Augenwinkeln.

„I-Ich war – ich war betrunken!“

„Und ändert das was? Letzte Nacht fand trotzdem statt!“

Keinen Schritt vor ihr blieb ihre Arbeitgeberin stehen. Unsicherheit penetrierte ihre Züge.

„A-A-Aber Ranchan.“

Ryogas Geduldsfaden riss endgültig.

„Hat Akane, hat Shampoo und viele andere.“

„A-A-Aber er…“

„Was? Ist für dich da? Arbeitet für dich? Verbringt Zeit mit dir? Er frisst sich bei dir durch, sonst nichts.“

Die Junggöttin bemerkte den verletzten Ausdruck auf Ukyos Gesicht. Diesmal musste sie diesen aber ignorieren, ansonsten würde sie ihre Entschlossenheit verlieren und damit Ukyo an Ranma.

Sicher, Ukyo war nicht ihre erste Wahl für ein erstes Mal.

Aber sie sollte verdammt sein, wenn sie zuließ, dass Ranma ihr Ukyo wegnahm!

„Was soll ich denn tun?“, schniefte das Objekt ihrer Überlegungen und sah Ryoga geschlagen an.

„Die Antwort hast du dir gestern gegeben.“

Und mit diesen Worten trat die Göttin zweiter Klasse, dritter Kategorie mit limitiertem Zugriff auf ihre Gastgeberin zu, holte tief Luft und zog sie in ihre Arme.

Ukyo wehrte sich nicht. Sicher, sie hätte sich auch nicht wehren können, selbst wenn sie gewollt und ihre ganze Kraft aufgewandt hätte. Wenn Ryoga Hibiki jemanden umarmte, konnte dieser jemand im Grunde schon froh sein, wenn er das überhaupt überlebte.

„Wie kann ein Dummkopf wie du, so was kluges sagen?“, murmelte Ukyo, ihr Kinn auf Ryogas Schulter gestützt.

„Frag’ mich was Leichters“, seufzte die Göttin und streichelte zaghaft über Ukyos Haar. Die Berührung war dicht gefolgt von einem elektrisierenden Kribbeln, das ihren Bauch einnahm. Ryoga überging es mit geröteten Wangen.

„Warum ich? Warum nicht ein anderes Mädchen?“

„Wenn ich das nur wüsste“, flüsterte die Göttin und blickte himmelwärts.

Ukyo fing den Blick nach oben auf.

„Und – antworten sie dir?“

„Anrufbeantworter.“

Kurz währte Stille. Dann lachten beide. Sie lachten über die Absurdität der Situation, darüber dass ihr beider Leben innerhalb einer Nacht völlig neu aufgerollt worden war und dass die heutige Morgenwelle an Kundschaft ruhig warten konnte.

Lachen tat gut. Es half über die seltsamsten Dinge hinwegzukommen.

Ja, dass Leben war schon verrückt.

Das schloss Nerima nicht aus, dass verifizierte nur den Umstand.
 

Zu ähnlicher Zeit erwachte auch jemand anderes aus seinem Schlummer. Sein Kopf dröhnte nicht minder als der einer gewissen Okonomiyaki-Köchin.

„Aufwachen!“

Verschlafen blinzelte Ranma zwischen seinen Augenlidern hindurch. Ein herzhaftes Gähnen schloss sich an.

„Das Essen ist schon fertig. Beeil’ dich.“

Unter halbgesenkten Lidern nahm Ranma die Eigentümerin der Stimme in Augenschein.

„Kein Hammer?“, konstatierte er mürrisch.

„Beeil’ dich – oder ich überleg’s mir anders.“

Entgegen dem, was man erwarten könnte, floss eine gesunde Prise Humor in Akanes Antwort.

Ranma grinste seinerseits.

„Musstest du so fest zuschlagen?“

Akane seufzte gespielt.

„Ukyo hätte es uns sonst nicht abgenommen.“

Ranmas Augenbrauen zogen sich zusammen.

„Du hast’s doch genossen, gib’s zu!“

Theatralisch gingen nun auch Akanes Augenbrauen auf Wanderschaft, allerdings nach oben.

„Wer? Ich?“

Ranma winkte ab, lächelte und setzte sich auf.

Die jüngste Tendo hockte sich – nach einem misstrauischen Blick zu allen Seiten – neben ihn und kuschelte sich an seine Schulter.

„Schön geträumt?“, fragte sie.

Kurz fiel Ranmas Lächeln ab, war aber sofort wieder an seinem Platz.

Akane hatte es trotzdem bemerkt.

„Was ist los?“

Verlegen über die Aufmerksamkeit seiner Verlobten kratze er sich – nicht unähnlich einer gewissen Göttin – den Hinterkopf.

„Na ja, da ist so’n komischer Traum.“

„Um was geht’s?“

„Das ist der Witz – ich erinner’ mich nicht.“

Spielerisch drückte sich Akane noch ein wenig enger an Ranma.

„Na – dann wird’s wohl nicht wichtig gewesen sein, oder?“

Erst unsicher, dann aber entschlossener nickte Saotome und genoss den Duft und die Nähe zu seiner Verlobten.

Natürlich konnte der Moment nicht anhalten.

„Akane, Ranma! Kommt runter. Die Schule beginnt bald und ihr müsst noch frühstücken.“

Die beiden Jugendlichen warfen sich einen abgeklärten Blick zu und seufzten simultan.

„Kommen!“, intonierten beide und verließen den Raum die Treppe hinunter.

Akane ging voran und stählte ihren Gesichtsausdruck auf BITTERBÖSE. Ranma folgte nach, die Hände in den Hosentaschen und – was Akane nicht sah – einer schmalen Sorgenfalte auf der Stirn.
 

Ukyo gähnte wie eine Löwin. Sie hatte zwar nicht mitgezählt, aber sicherlich schon zum zehnten Mal.

Ryoga hatte ihr vorhin noch ein Aspirin aufgelöst, das rhythmische Hämmern war aber widerwillig aufzugeben.

„Nie wieder Alkohol.“ Je häufiger sie das Motto wiederholte, umso besser klang es.

Nicht nur hatte sie sich einen gehörigen Brummschädel zugezogen – und das sogar ganz ohne Kampf, vorausgesetzt man rechnete die Aktivitäten von letzter Nacht nicht auch noch zu einer Kampfsportart -, sondern auch eine Göttin verführt und damit ihre Verlobung mit Ranma ironischerweise zur Hölle gejagt.

Vielleicht stammte die Migräne ja von ihren ganzen Problemen, die ihr wie eine Polka durchs Bewusstsein rumpelten? Das erschien plausibel – zugegeben. Aber sie war niemand der aufgab und sich von ein paar Hindernissen aufhalten ließ.

Ergo war der Alkohol schuld!

Das war schön und gut, die erwähnten Probleme blieben aber dennoch bestehen.

Wie etwa sollte sie sich nun ihrem Verlobten gegenüber benehmen?

Was noch viel heikler war, wie sollte sie mit Ryoga umgehen?

Wenn sie da nur an den Abschied vor ein paar Minuten dachte, konnte sie sich ein sardonisches Grinsen nicht verkneifen.

Es war ein Augenblick peinlicher Stille gewesen, gefolgt von einem schüchternen Lächeln ihrer Bedienung und einer verlegenen Umarmung. Das schlimme jedoch war, dass es Ukyo gefallen hatte!

Die Erbin einer der stärksten Kampfkochlinien Japans seufzte über die Ironie der Lage. Erst hatte sie sich wegen ihrem Verlobten den Großteil ihres Lebens als Junge verkleidet und die Mädchen waren auf sie geflogen. Jahre später dann war sie auf Rachefeldzug gegangen und hatte den Kampf verloren. Dafür gewann sie ihren Verlobten zurück – nur um herauszufinden, dass besagter VERLOBTER die Hälfte der Zeit über eine VERLOBTE war.

So gesehen war der Sprung von einem Halbmädchen zu einem richtigen Mädchen auch nicht weiter besorgniserregend.

Nun war sie also doch zur Lesbe geworden. Verdammt auch eins – und ihr Vater hatte es noch dazu prophezeit, nachdem er ihren Lebensstil mitverfolgt und später über Ranmas Fluch erfahren hatte.

Was sollte sie jetzt nur tun?

Jeden Moment konnte Ranma neben, über, hinter oder vor ihr auftauchen und in seiner fröhlichen Stimme rufen…

„Ucchan!“

Erschrocken fuhr sie zusammen und blickte in die unschuldige Miene vor ihr.

Augenblicklich war die Schuld da und kratzte wie eine ungezogene Katze an ihren Nerven. Mit dem gedanklichen Äquivalent einer zusammengerollten Zeitung fegte sie das imaginäre Tier zur Seite.

„Ha-Hallo Ranchan!“

Ranma musterte sie forschend.

„Geht’s dir gut, biste nervös oder was?“

Ukyo lächelte krampfhaft. Warum musste sich Ranma genau diesen Moment aussuchen, um so etwas wie Einfühlungsvermögen aufzubauen? Ansonsten war er doch eher der Faust-Voraus-Typ. Warum also nicht dann, wenn er es sein sollte?

Unverhofft kam ihr Akane zur Hilfe und ersparte ihr eine Antwort.

„Guten Morgen Ukyo.“

„Morgen Akane“, antwortete die Okonomiyaki-Bäckerin erleichtert.

Neugierig haftete der Blick ihrer Rivalin an ihr.

„Geht es dir gut? Du wirkst irgendwie nervös.“

Kuonji begann zu schwitzen.

Das war jetzt echt nicht mehr witzig. Machte sich hier jemand lustig über sie?

Fragend bohrten sich Akanes Augen in ihre. Ein zweites Augenpaar – so eisigblau wie das andere erdbraun – gesellte sich in Form Ranmas dazu.

„M-M-Mir geht’s kla-kla-klasse! Echt! K-Kein Grund zur Sorge Leute!“, lachte die Köchin übertrieben heiter, spürte ihren Kopf zum Gelächter pochen und betete um ein Wunder.

Umso verblüffter war sie, als auch ein Wunder eintrat.

„Halt ein Wesen der Finsternis! Ich fordere die Hand der unschuldigen Blüte Akane Tendo, um deretwillen ich dich erschlagen werde! Der Himmel ist mein Zeuge und ich sein gerechter Zorn.“

Ukyo konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Man merkte, dass Kuno Ryoga bisher noch nicht getroffen hatte. Wenn irgendjemand der Zorn des Himmels war, dann doch wohl ihre Bedienung. Das hatte die Göttin in Ausbildung alleine mit dem Streit von heute Morgen bewiesen.

„En garde!“

„Och, schon wieder einen auf Shakespeare? Willst nicht mal Ruhe geben?“

„Nimmer würde ich rasten, so lange ich dich auf Erden weiß. Meine Pflicht ist die meine und wird von mir zu Ende gebracht!“

Zum besseren Verständnis, was denn nun genau diese Pflicht darstellte, deutete die Spitze von Tatewakis Bokken auf Saotome.

„Ehrlich mal Kuno. Wie schaffst du’s ständig aus der Klapse zu kommen? Komm’ schon, verrat’s mir.“

„Spotte du nur Höllensaat! Worte wie die deinen vermögen mich nicht zu beirren!“

Ranma feixte genüsslich.

„Also DAS wusste ich schon vorher.“
 

Tatewaki Kuno ersparte sich eine weitere Antwort. Anstelle dessen verengte er die Augen zu Schlitzen, um das störende Sonnenlicht auszugrenzen und besser zu sehen.

Dann stürmte der Blaue Donner der Furinkan Oberschule auf seine langhaarige Nemesis zu. Seinen treuen Bokken schleifte er wie einen Kometenschweif hinterher.

Kurz vor seinem Ziel – Ranma streckte ihm aufmunternd die Zunge raus – durchschlitzte Kuno die Luft vor sich. Das Holzschwert heulte vergnügt.

Nichtsdestotrotz verfehlte es.

Dafür kostete sein Besitzer gleich darauf den harten Granit zu seinen Füssen.

Es verbleibt zu sagen – er schmeckte reichlich abgetreten.

Griesgrämig schnellte Tatewaki hoch und fixierte den Teufel Saotome.

„Wenn du müde bist, geh’ besser heim. Sonst tritt noch einer auf dich.“

Das genügte!

Der Oberschüler knirschte mit den Zähnen, zwang sich zu einem tiefen Atemzug und brachte seinen Bokken vor sich in Position.

Ein Kampfschrei verließ seinen Mund, als er im plötzlichen Sprint auf sein Ziel zuhielt.

Diesmal würde er treffen. Er konnte es förmlich spüren. Heute war sein Tag gekommen.

Er grinste überlegen und schlug zu.

Nebenbei erwähnt – er traf nicht.

Immerhin bekam er doch noch etwas zu spüren. Und zwar die Kleinigkeit von hundert Schlägen gegen Stirn, Solarplexus und Handgelenke. Es genügt zu sagen, dass das Holzschwert zwar als erstes fiel - aber nicht als letztes.
 

Ukyo rieb ihre Schläfen, als sie gemeinsam mit einem beschwingten Ranma und einer meckernden Akane das Schulgebäude betrat. Den Gefallenen überließen sie Nabikis medizinischem Versorgungsdienst mit dem etwas eigensinnigen Namen Buy or die.

Von da an entwickelte sich der restliche Tag wie üblich.

Zumindest hätte Ukyo sich das gewünscht.

Was allerdings geschah, stahl ihr die Sprache und erfreulicherweise ebenso die Migräne.
 

„Ich gehe nach Hause!“

Verblüfft sah der Lehrer über den dünnen Rand seiner Nickelbrille.

„Sie wollen uns schon verlassen Herr Saotome?“

Auf den Gesichtszügen des Betreffenden spiegelte sich Verwirrung.

„Ich meine ICH GEHE NACH HAUSE ist die richtige Übersetzung.“

Der Lehrer blinzelte, sah konfus zur Tafel, daraufhin zurück zu Saotome, erneut zur Tafel und ein letztes Mal zu seinem Problemschüler.

Er konnte es nicht fassen.

„D-Das ist korrekt Herr Saotome.“

Nicht weniger erstaunt als der Lehrer, waren auch Ranmas Klassenkameraden.

Wie sich bald offenbaren sollte, kennzeichnete dieses Geschehnis nur den Beginn einer Kette von Seltsamkeiten. Insofern man überhaupt noch irgendetwas, was in Nerima vorfiel als seltsam bezeichnen konnte.

Trotzdem gab sich der Erbe des Musabetsu Kakuto Ryu größtmögliche Mühe, die Lehrer mit seinem neuen Wissen zu schocken. Erwähnenswert wäre, dass er es auch schaffte – und zwar bei jedem einzigen.

Dann kam die Pause und es sollte sich zeigen, dass dieses Verhalten nur den Beginn der richtigen Probleme signalisierte.

Der Gong schallte durchs Schulgebäude.

Wie der Wutschrei eines prähistorischen Tieres weckte er schlummernde Schüler auf und spornte die halbwegs Wachen an, schnellmöglich das Weite zu suchen.

In diesem Punkt unterschieden sich die Schüler der Furinkan Oberschule nämlich keineswegs von anderen Schülern. Der Pausengong verhieß Freiheit.

Das diese Freiheit nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich begrenzt war, erhöhte deren Wert nur umso mehr.

Fidel quasselte die Schar an Jugendlichen und strömte auf den Vorhof hinaus. Draußen war schönes Wetter, die Sonne warm und der Himmel klar. Natürlich wollte da jeder gleich der erste sein.

Jedoch besteht zwischen wollen und können ein nicht unerheblicher Unterschied. Das weiß jeder, der seine Morgenpost zur Abwechslung auf der Fußmatte und nicht im Pool vorfinden möchte.

Es genügt zu sagen, dass Ranma, Ukyo und Akane unter den ersten waren. An diesem Umstand waren ihre respektiven Reputationen nicht ganz unschuldig.
 

Ukyo schnaufte tief durch und holte erleichtert Luft.

Sie hatte während des Unterrichts ihre Aufmerksamkeit zwischen Ranma – grinsend, aber überzeugt – und der beschriebenen Tafel – staubtrocken, aber überzeugend – geteilt. Nichtsdestotrotz hatte sie bislang nicht kapiert, was hier eigentlich vor sich ging.

Seit wann war Ranma so gebildet?

Ukyo kräuselte die Stirn und musterte ihren Verlobten argwöhnisch. Es war ihr schon komisch vorgekommen, als Ranma heute Morgen so was wie Einfühlungsvermögen bewiesen hatte. Als er allerdings damit begann im Mathematikunterricht Ungleichungen zu lösen – noch dazu schneller als der Lehrer selbst -, dämmerte ihr, dass etwas nicht so ganz mit rechten Dingen von statten ging.

Ganz im Ernst – wegen seiner sensiblen oder intelligenten Persönlichkeit waren weder sie, noch Akane, noch Shampoo seine Verlobten. Nicht, dass sie derartige charakterliche Züge nicht zu schätzen wüssten. Es war einfach nur so, dass Ranma Saotome diese nicht oder nur in sehr ungeschliffenem Maß besaß!

Vielleicht sollte sie Akane mal auf die Seite nehmen und herausfinden, ob diese etwas wusste?

Das letzte was sie gebrauchen konnte, war nämlich ein Ranma, der den eigentlichen Grund hinter ihrer Nervosität erriet.

Dann konnte sie sich ihren Anspruch auf ihn abschminken!

Dann wäre sie nicht mehr länger seine Verlobte.

Apropos Verlobte…

Das Klingeln eines Fahrrads kündigte Shampoo an, ehe es ihr „Ni Hao!“ konnte.

Scheppernd kam der Vorderreifen auf dem Kopf ihres Verlobten auf. Respektive, dass war, womit sie und so ziemlich jeder andere rechnete.

Jedoch verfehlte das Fahrrad sein Ziel um mehrere Meter und machte mit einem enttäuschten Scheppern Bodenkontakt.

Die Besitzerin hingegen zeigte sich verblüfft über diesen Bruch in der Routine. Nicht, dass dieser Umstand sie von einem Sprung samt Umarmung abhielt.

Nein, dafür brauchte es schon mehr, um eine Amazone von ihrem zukünftigen Angetrauten fernzuhalten – eine Faust ins Gesicht etwa.
 

Shampoo torkelte benommen zurück. Zögerlich befühlte das Mädchen ihre Wange und spürte die Haut pochen. Genau dort, wo Ranmas Fingerknöchel sie getroffen hatten.

Verständnislos sah sie ins Gesicht ihres Verlobten und begegnete zwei Miniaturgletschern, die ihr entgegenleuchteten.

Unbewusst trat sie einen Schritt von dem Jungen weg.

Sie konnte es noch nicht so recht glauben. Ranma hatte sie geschlagen.

Der alleinige Gedanke wirkte bereits absurd, das Konzept lächerlich.

Der Schmerz auf ihrer Wange war jedoch nur zu echt.

Hilfesuchend blickte sie in die Runde, denn die Konfrontation hatte Schüler angelockt. Viele der Gesichter waren Shampoo unbekannt, aber sie erkannte auch Ukyo und Akane unter den Umstehenden.

Ihrem Anblick nach waren diese nicht weniger verwirrt und entrüstet als die Amazone selbst.

Letztlich fixierte Shampoo ihren Blick wieder auf ihren Verlobten, der sie seinerseits kühl musterte.

Reflexartig distanzierte sie sich einen weiteren Schritt.

Es lag an seinen Augen. Die Augen, in denen sie sich sonst so gerne sah, wirkten nun so unheimlich und fremd.

In ihrem Unverständnis beschloss sie zu fragen.

Jemand anders kam ihr allerdings zuvor und brach die angespannte Stille, die sich über den Pausenhof gelegt hatte.

„Ranma! Was sollte das? Wieso hast du Shampoo geschlagen?“

Shampoo sah seitwärts und erblickte das Tendo-Mädchen, das die Fäuste in die Hüften stemmte und Ranma zornig anfauchte.

Auf dem Gesicht ihres Verlobten machte sich Verwirrung breit und er zog die Stirn kraus.

„I-Ich hab’ Shampoo geschlagen?“, repetierte Saotome fassungslos.

Ihr Verlobter drehte sich ihr zu und suchte ihren Blick.

Erschrocken wich die Amazone erneut zurück.

Ranmas Gesicht war so unschuldig wie sie es kannte. Selbiges konnte man aber nicht von dem Eis in seinen Augen behaupten. Dieses jagte ihr nämlich eine Gänsehaut über den Rücken.

Dabei war Mousse doch gar nicht hier…
 

„Saotome! Hierfür wirst du leiden!“

Fast auf den Punkt mit Shampoos Gedanken jagte dieser Kampfschrei über den Hof. Dicht gefolgt von einer Schwadron an Wurfmessern, die auch dem mental Langsamsten ankündigten, wer hier in kriegerischer Absicht vorbeikam.

Mühelos tanzte Ranma um die Messer und wich dem Sprungkick Mousses zur Seite hin aus.

Ohne an Geschwindigkeit zu verlieren – das gestreckte Bein noch immer erhoben – verwandelte der halbblinde Amazone den Sprung- in einen Drehkick.

Ranma bewies aber erneut, dass er schneller war.

Und so tauchte der bezopfte Kampfsportler unter dem Angriff hindurch und landete einen Hacken in Mousses ungeschützten Bauch.

Getreu seinem gefiederten Alter Ego hob dieser ab, spie im Flug seinen Luftvorrat aus und landete rücklings und röchelnd auf dem Boden.

Unter anderen Umständen wäre der Kampf hiermit zu Ende gewesen.

Die hiesigen Umstände waren jedoch fern von normal. Mousse war nämlich richtig wütend.

Also war der männliche Amazone ruckzuck wieder auf den Beinen und verlor keine Zeit den Angriff fortzuführen. So schleuderte er zwanzig Ketten gleichzeitig auf seinen Feind – der diesen ohne Probleme auswich.

Zähneknirschend sprang Mousse zurück, um die Entfernung zwischen ihnen zu erhöhen und um mehr Projektile werfen zu können.

Ranma gab ihm erst gar nicht die Chance, sondern setzte ihm wie ein Raubtier nach und ließ seine Fäuste fliegen.

Schlag um Schlag hämmerte auf den langhaarigen Jugendlichen ein, als er vergeblich zurückwich und Ranma doch an ihm klebte wie eine Zecke – eine sehr kräftige, schnelle Zecke.

Mousse schnaubte nach der zehnten oder elften Rückwärtsrolle, die er in kurzer Folge nacheinander ausführte. Kaum berührten seine Füße den Boden, da tauchte Saotome auch schon wieder mit zurückgezogenen Fäusten auf.

Diesmal war es allerdings der Amazone, der den ersten Schlag tat.

„Hackuo Ken!“

Sein Ausruf war gefolgt von einer rasenden Bewegung seines rechten Armes.

Nichtsdestotrotz schaffte es sein Gegner im letzten Augenblick zurückzuweichen, allerdings nicht mehr ganz so lax wie noch wenige Momente zuvor.

„Nicht schlecht – beinahe hättest mich gehabt Entchen.“

Ranmas Grinsen sprühte vor Arroganz.

Dann senkten sich die Mundwinkel und die Arroganz machte einem gewissen Erstaunen Platz. Betont langsam sah der Kampfsportler an sich herab und beäugte das daumengroße Loch in seinem Hemd.

„Okay Kumpel – jetzt reicht’s.“

Ranma ließ seine Knöchel knacken und funkelte den Amazonen finster an.

Grinsend setzte er einen Fuß vor, spannte seine Muskeln und brachte seine Fäuste vor sich.

Mousse imitierte die Geste in seiner Facon und ließ mehrere Wurfmesser zwischen seinen Fingern aufblitzen.

Shampoos Einschreiten allerdings ließ ihn hadern.
 

„Ihr aufhören! Shampoo wütend!“

Damit versprach sie nicht zu viel. Selbst die Unsportlichsten bemerkten das blaue Leuchten, das ihre Konturen umgab. Dabei sah die junge Amazone wie ein farblich verwirrtes Glühwürmchen aus.

Zornig wechselte ihr Blick von ihrem Landesmann zu ihrem Verlobten.

Während der erste bockig wegsah, erwiderte der zweite ihren Blick ohne zögern.

„Und – was willste dagegen machen Sprachgenie?“

Shampoos Augen verengten sich.

Es gab nicht viel, womit man sie emotional treffen konnte. Schließlich war sie eine Amazone und ihr damit einhergehender Stolz ließ sie abfällige Kommentare jeder Art überhören.

Ihre unrühmliche Sprachpraxis zählte leider nicht dazu.

„Du wiederholen“, presste Shampoo hervor.

Sie wusste nicht, was in Ranma gefahren war. Aber alles besaß seine Grenzen.

Er mochte zwar ihr Verlobter sein, aber ein solches Verhalten ging eindeutig zu weit.

„Du hast’n Problem mit’n Ohren? – scherzhaft schlug Ranma mit der Faust in die hohle Hand, ehe er fortfuhr – Ach, DESWEGEN sprichste so erbärmlich japanisch.“

„Saotome! Wie kannst du es wagen, ich werde…“

Mit einer harschen Geste brachte Shampoo ihren chinesischen Verehrer zum Schweigen.

Das hier war jetzt ihre Angelegenheit.

Wie es den Anschein hatte, musste sie ihren Zukünftigen disziplinieren.

Entschlossen begab sie sich in Kampfstellung und zog ihre Arme nach links unten und rechts oben. Ihren rechten Fuß setzte sie vor.

„Oh-ho. Geht das Sparring aufs Haus?“

Die Amazone ignorierte den Spott und stürzte auf ihren Verlobten zu.

Sie hätte nie gedacht, dass sie Ranma einmal an seinen Platz verweisen müsste. Aber wie es schien, steckte selbst in dem rückgratlosesten Mann ein primitiver Rest Aufmüpfigkeit.
 

Akane Tendo konnten ihren Augen nicht trauen.

Das ihre Sicht besser war, als die von Mousse half dabei auch nichts.

Denn was gerade eben vor sich ging, war einfach nur irrsinnig.

Heute Morgen hatte Ranma doch noch so normal gewirkt und dann wurde er auf einmal zur Intelligenzbestie. Als würde das nicht reichen, griff er Shampoo an, beleidigte diese sogar und wollte sich dem Anschein nach mit dieser prügeln.

Ratlos sah sie zu Ukyo, die das Schauspiel mit gerunzelter Stirn mitverfolgte.

Ohne es zu wissen, echote sie Shampoos vorherigen Gedankengang.

Was ging hier nur vor?

Plötzlich stürmte die Amazone auf Ranma zu, nur um kurz vor ihm um die eigene Achse zu wirbeln. Dieser Drehbewegung folgten auch ihre Arme, die wie die Ränder eines Kreisels nach ihrem Verlobten schlugen.

Unnötig zu erwähnen, dass er diesen lachend auswich.

Gleiches galt für die nachgesetzte Handkante und dem Sprungkick.

Dafür traf der Tritt Ranmas, der die lavendelhaarige Kriegerin durch die Luft katapultierte.
 

Shampoo kam mit einem unfemininen Grunzen auf.

Das hatte verdammt wehgetan!

Dafür würde sie ihrem Verlobten – Ranma hin oder her – die Hölle heiß machen. Auch wenn sein Name ‚Wildes Pferd’ bedeutete, so war er definitiv zu wild für sein eigenes Wohl.

Sie würde ihm das schon noch begreiflich machen.

Zornschnaubend sah sie auf und wünschte sich im nächsten Moment, genau DAS nicht getan zu haben.

So wäre ihr nämlich erspart geblieben, Ranma auf sie zuschießen zu sehen. Was üblicherweise von ihrer Seite aus für Jubel gesorgt hätte, nahm sich als nicht ganz so schön aus, wenn der Ansturm ihres Verlobten von dessen zurückgezogener Faust begleitet war. Umso erstaunlicher war, dass die Faust niemals Kontakt machte - zumindest nicht mit ihr.

Ranmas Schlag war nämlich in Mousses Handteller zum Erliegen gekommen.

Nichtsdestotrotz hatte es den Amazonen einen Meter zurückgeschoben.

„Niemand rührt meine Shampoo an!“, keuchte er.

„Dann nehm’ ich halt mit dir Vorlieb“, antwortete Ranma.

Ehe sich der Chinese versah, entlud ihr Verlobter eine regelrechte Schlagserie auf Mousse, der seinerseits viel zu nahe war, um ausweichen zu können.

Fäuste knallten wie Gewehrschüsse auf seinen Körper ein und ließen seine Gliedmaßen hilflos zucken. Noch dazu konnte er nicht zurückweichen – wie Shampoo mit Entsetzen feststellte -, denn Ranma hatte den Spieß umgedreht.

Die Hand mit der Mousse Ranmas Schlag abgefangen hatte, hielt ihr Verlobter nun unerbittlich fest und kettete den halbblinden Amazonen damit unweigerlich an sich. Eine Flucht war also unmöglich und obwohl Ranma schon längst gewonnen hatte, ließ er nicht vom Chinesen ab.

Shampoo hatte genug gesehen.

Hastig sprang sie auf, bereit ihrem Kindheitsfreund zu Hilfe zu kommen und brach unerwartet zusammen. Überrascht probierte sie es erneut und bemerkte, dass ihre Beine nicht mehr reagierten.

Ungläubig sah sie auf und in die kalten Augen Ranmas, der noch immer unermüdlich auf Mousse einhieb und ihr nebenbei zuzwinkerte.
 

Fernab des Chaoss verweilte eine Gestalt im Schatten des Schulgebäudes.

Seine Augen hielt er gegen die Sonne verengt und verfolgte das Massaker mit düsterer Miene mit.

Noch konnte er nicht eingreifen.

Erst wenn die beiden Chinesen außerhalb der Reichweite Saotomes waren, konnte er tätig werden. Er mochte zwar nicht viel mit diesen Ausländern zu tun haben, aber wenn es sich vermeiden ließ, so sollten das Mädchen und der Junge nicht weiter zu Schaden kommen.

Wie sich zeigte, musste er nicht lange warten.

Schließlich ging der Chinese nach über zwei vollen Minuten an Schlägen zu Boden.

Jetzt oder nie – seine Zeit war gekommen seine Berufung zu erfüllen.

Respektive, dass war was er plante, doch kam ihm jemand unerwartet zuvor.
 

„Ranma?“

„Ja?“

Der Angesprochene klopfte seine Hände ab und drehte sich lächelnd um.

Der Hammer setzte dem Lächeln ein Ende und schickte ihn unsanft in die Bewusstlosigkeit.

Auf das einsetzende Murmeln achtete Akane gar nicht weiter.

Sie hielt den Griff ihres Hammers und fühlte das Zittern in ihren Fingern.

Was war hier nur los?

Wieso hatte ihr Verlobter so die Kontrolle verloren?

Seit wann kämpfte Ranma so aggressiv und böse?

Befremdet musterte sie den Körper zu ihren Füßen und sah dann zu Shampoo und Mousse.

Mousse war Mousse – sozusagen. Sein Gesicht war blutig, angeschwollen und erste blaue Flecken zeichneten sich darauf wie misslungene Faschingsschminke ab.

Shampoo war über ihn gebeugt, schüttelte ihn und herrschte ihn auf Chinesisch an.

Ukyo trat neben sie.

„Was war das eben?“

Ukyo begegnete ihrem Blick.

„Kein Schimmer. Sieht aus wie’n neues Problem, wenn du mich fragst.“

Akane nickte dazu. Ja, wenn das kein Problem war, was dann?

„Ukyo?“

„Hm?“, gab diese geistesabwesend zur Antwort.

„Hilfst du Shampoo und Mousse?“

Überrascht merkte die Köchin auf und nickte unsicher.

„Shampoo bringt ihn sonst noch versehentlich um.“

Ukyo riskierte einen Blick in Richtung der beiden Amazonen, sah wie Shampoo den ohnmächtigen Jungen durchschüttelte und nickte bestimmt.

„Danke.“

Mit diesen Worten packte Akane ihren ohnmächtigen Verlobten, zog ihn sich über die Schulter und verließ den Schulhof.

Es genügt zu sagen, dass sie wie Moses durch ein Meer ging. Nur bestand dieses Meer aus erschrockenen Schülern, die sich eilig nach rechts und links teilten.
 

Ryoga gähnte herzhaft.

Sie saß im Dunkel des Restaurants, eine Cola vor sich auf dem Thresen und in ihre Dienstmädchenuniform drapiert.

Wie üblich kam sie sich reichlich dämlich in diesem Aufzug vor.

Aber was sollte sie machen?

Ihre Chefin bestand darauf. Anscheinend kam das Kostüm gut an – zu Ryogas Leidwesen, insbesondere bei der männlichen Bevölkerung – und brachte Kunden ins Restaurant.

Ryoga seufzte leise.

Was Ukyo wohl gerade machte?

Wahrscheinlich langweilte sie sich in der Schule.

Die Göttin schmunzelte.

Ja, dass klang ganz nach ihr – schon seltsam, was man so über andere Menschen herausfand, wenn man ein paar Wochen mit ihnen zusammenlebte.

Alte Vorurteile stellten sich als falsch heraus und man baute neue auf.

So war Ryoga einst davon ausgegangen, dass Ukyo sehr dominant und brutal war.

Das stimmte so nicht ganz.

Sie war einfach ein Mensch, der dir unmissverständlich klar machte, dass es gesünder war ihren Worten Folge zu leisten.

Das lief zwar aufs selbe hinaus – Ukyo meinte aber, dass es besser klang.

Und Ryoga würde sich hüten, etwas anderes zu behaupten.

Sie hing schließlich an ihrem körperlichen Wohl.

Deswegen vermied sie es auch, sich außerhalb des Furos in einen Mann zurückzuverwandeln. Sollte Ukyo ihre wahre Identität je herausfinden, so würde sie auch ihre Göttlichkeit nicht vor der Rache der Köchin schützen.

Es war schon merkwürdig.

Da war sie jetzt eine Göttin und benahm sich doch wie ein Schwein – theoretisch gesprochen.

Überhaupt hatte dieses Szenario nicht wenig Unähnlichkeit damit, was in der Vergangenheit zwischen ihr und Akane vorgefallen war.

Wie es schien, lief nicht nur sie, sondern auch ihr Leben gelegentlich im Kreis.

Das Klingeln des Telefons schreckte sie aus ihren Gedanken auf.

Gemächlich erhob sich das Halbmädchen, schlenderte um die Theke und griff nach dem Hörer.

„Ja, hier Hibiki Ryoga. Willkommen bei Ucchan’s dem Okonomiyaki-Himmel.“

Herrgott – wie sie diesen Spruch hasste!

„Hallo Ryoga. Wie schön, dass ich dich gleich an das Telefon bekomme.“

„H-Hey warte mal. Kasumi?“

„Genau. Ich hoffe ich störe nicht?“

„K-Keineswegs. A-Aber woher weißt du, dass ich hier arbeite?“

Kurz herrschte Stille am anderen Ende der Leitung.

„Könntest du mir wohl einen Gefallen tun?“

„Einen Gefallen? Sicher. Aber um nochmal auf meine Frage…“

„Das ist aber nett von dir Ryoga.“

„Ehehehe… G-Gern geschehen. A-Aber was ist’s denn?“

Kampfgeräusche setzten im Hintergrund ein.

Irgendjemand beschwerte sich sehr laut und sehr unschön.

Glas ging zu Bruch und das Platschen von Wasser erklang.

„Ranma geht es nicht so gut. Könntest du morgen vielleicht vorbeikommen?“

„Eh - warum ich?“

„Weil du Ranmas bester Freund bist natürlich.“

Bester Freund? Nicht, wenn sie etwas mitzureden hatte!

Was sie anscheinend nicht hatte, schließlich sprach sie hier mit Kasumi Tendo.

„Okay – ich komme.“

„Das ist aber nett von dir Ryoga. Dankeschön und bis morgen.“

„Bis morgen.“

Das Klicken im Telefon beendete das Gespräch und Hibiki legte auf.

Na, dass konnte ja heiter werden. Immerhin war morgen Samstag – das hieß, dass vormittags ohnehin frei war und sie – also sie und Ukyo - das Restaurant erst gegen Spätnachmittag öffnen würden.

Vielleicht konnte sie sich ja auf eine nette Prügelei mit Ranma einlassen?

In den letzten Wochen war sie nicht wirklich zum Trainieren gekommen und da käme ihr eine nette Schlägerei gerade recht, um die steifen Muskeln zu erwärmen.

Ryogas Augen weiteten sich.

Sie hatte ganz vergessen nachzufragen, woher Kasumi von ihrer Arbeitstelle wusste! Geschweige denn, woher die älteste Tendo-Schwester das Wissen nahm, dass die weibliche Ryoga Hibiki auch der männliche Ryoga Hibiki war.

Die Türglocke erzitterte und bimmelte einladend.

Sie entschloss sich derartige Fragen auf morgen zu verschieben.

Damit sah Ryoga auf, spürte eine Explosion an Schmetterlingen im Bauch und unterdrückte den Drang dumm zu grinsen. Es fiel ihr sehr schwer.

„H-Hey, w-w-wie w-war d-dein Tag?“

So stolz war sie darauf die Frage nonchalant herausgebracht zu haben, dass sie Ukyo erst gar nicht wirklich in Augenschein genommen hatte. Jetzt allerdings sah sie den Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Chefin.

„Ist was passiert?“

Ukyo nickte, seufzte und ließ sich auf einem Hocker an der Bar nieder.

Ryoga wusste, dass es nur eine Person gab, die Kuonji zusetzen konnte.

„Er hat Mousse und Shampoo verprügelt.“

„W-W-Wie bitte?“

Verblüfft glotzte sie Ukyo an.

„Und was war bei dir so?“

Ryoga konnte ein Zucken ihrer Mundwinkel nicht unterdrücken.

„Ein Anruf… nur ein Anruf…“
 

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Nachwort des Autors:
 

Unverhofft kommt oft.

Ich hoffe, dass gilt nicht nur für Kapitel 6 – das ich nun doch früher fertig bekam, als ich plante -, sondern auch für den Inhalt, der diesmal eindeutig aktionlastiger und hoffentlich überraschender als die vorherigen Kapitel ausfiel. Als kleiner Bonus ist dieses Kapitel auch weit größer, als es eigentlich werden sollte. Na ja, kann man nichts machen.

Jetzt beginnt nämlich die eigentliche Story.
 

Normalerweise probiere ich ja die Übersetzungen – bzw. eine bildliche Beschreibung – von den japanischen Dingen, die ich nenne, im Text mit einzubinden.

Diesmal gelang mir das aber nicht immer, deswegen erläutere ich nochmals das, was unklar sein könnte.
 

Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

Kampai: Hierbei handelt es sich um den japanischen Trinkspruch. So wie wir in Deutschland „Prost“ oder die Amerikaner „Cheers“ grölen, sagen die Japaner „Kampai“.
 

Ni Hao: Das müsste zwar den meisten Fans von Ranma-1/2 ein Begriff sein, ich erläutere es aber trotzdem. „Ni Hao“ ist Shampoos Standard-Phrase und bedeutet soviel wie „Hallo“.
 

Hackuo Ken: Ein absoluter Klassiker. Hierbei handelt es sich um eine der einmal und dann nie wieder eingesetzten Techniken. „Hackuo Ken“ oder auch der „Schlag der Schwanenfaust“ erfordert einen Nachtopf in Schwanenform, den der Verwender mit erstaunlicher Präzision und Schnelligkeit dazu verwendet, seinem Gegner einen harten Schlag zu verpassen. Davor und danach wird der Nachtopf versteckt – da es eine Technik von Mousse ist, versteckt dieser den Nachtopf in seinen voluminösen Ärmeln.
 

Viel Spaß,
 

euer Deepdream.

Verdammt!

Mousse schlug die Augen auf und der Schmerz auf ihn ein. Unter dem unverwechselbaren Charme hunderter Fäuste verteilte sich sein körperliches Leid über ihn und entlockte ihm ein heiseres Röcheln.

Hatte ihn seine geliebte Shampoo einmal wieder zum Training missbrau…, eh zu Rate gezogen? Immerhin fühlte es sich ganz so an.

„Herrlich“, raunte er und blinzelte ins Zwielicht, das es irgendwie schaffte am herabgelassenen Rollo – das er ohnehin nicht sehen konnte - vorbeizukommen. Jedes Blinzeln stieß viele, kleine Lanzen in seine Schmerzzentren.

Das verleitete ihn dazu wie jeder andere Mensch in dieser Situation zu reagieren. Er zog eine Grimasse, was ihm natürlich auch nicht half. Stattdessen walzte Schmerz um Schmerz wie seine übliche Abwascharbeit an ihm vorbei und ließ seine Zähne klappern.

Aber wenn seine Augenlider bereits derart schmerzten, wie ging es dann dem Rest seines Körpers?

Aufmerksam tastete er alle Stellen an seinem Körper gedanklich ab. Nach ein paar Minuten schloss er seine Untersuchung mit einem beruhigenden Urteil. Bis auf seinen Rücken und Bauch schien soweit eigentlich alles in Ordnung zu sein.

Also tat er das nächstgelegene und versuchte seinen Körper in eine bequemere Position zu bringen, die seinen Rücken wohlmöglich entlastete.

Es genügt zu sagen, er fand keine.

Zwischen den Schmerzstößen entsann er sich allerdings auch daran, was wirklich vorgefallen war. Vor seinem inneren Auge spielten sich die Szenen in brillanter Bildqualität ab – nicht dass das ein Trost für ihn wäre.

Erneut verfolgte er Ranmas Attacke auf Shampoo, durchlebte seinen erfolglosen Versuch seine Geliebte zu rächen und ihre Ehre wiederherzustellen. Jeder blaue Fleck an ihm diente zur Erinnerung daran und da er keinen der Flecke erkennen konnte, meldeten diese sich hilfreicherweise per Schmerzfunk bei ihm.

Mousse seufzte schwer. Erneut war er von seinem Erzrivalen geschlagen worden, doch diesmal nicht nur in körperlicher Hinsicht. Er war es schließlich gewohnt Holzstäbe auf, Teller an und Waschzuber über den Kopf zu bekommen, da kam ein zusätzlicher Schlag hier und da einer Massage gleich.

Nebenbei erwähnt, konnte er mit dieser Art von Erniedrigung leben. Hey, er war schließlich ein Amazone, da lernte man das noch vor dem Laufen. Erniedrigungen waren ein fester Bestandteil des Alltages im Amazonendorf. Man stand auf, man frühstückte, bekam einen Tritt, arbeitete, trainierte, bekam einen weiteren Tritt, aß zu Mittag, verrichtete Feldarbeit, bekam – um die Kontinuität zu erhalten - einen dritten Tritt und das ging so weiter und so fort. Je nach Interessenslage der jeweiligen Amazone konnten Tritte auch gegen Hiebe, Kopfnüsse und geworfenen Töpfe substituiert werden.

Mousse lächelte nostalgisch und unterdrückte ein Winseln. Das Lächeln erstarrte allerdings nur zu schnell, als er sich seiner Niederlage entsann – und dass der Schmerz schneller nachließ, wenn er sein Mundwinkel nicht so sehr beanspruchte.

Ja, heute hatte Saotome ihn wirklich gedemütigt.

Da war die bereits erwähnte körperliche Demütigung noch die geringste. Aber seine Shampoo weder rächen noch wirklich beschützen zu können, schmerzte ihm am stärksten.

Erneut seufzte er tief und rasselnd.

Er war wirklich erbärmlich, geradezu kümmerlich. Kein Wunder, dass weder Shampoo noch Saotome ihn ernst nahmen - die eine nicht als möglichen Verlobten, der andere nicht als würdigen Feind.

Schnaubend stieß der Amazone seinen Atem aus und seine Augen weiteten sich, als eine Sekunde später ein zweiter Atemstoß folgte. Schlagartig drehte er seinen Kopf, grinste spastisch unter den unzähligen Phantomnadeln, die sich in seinen Hals bohrten und biss sich gequält auf die Unterlippe. Den Schmerz drängte er mit metaphorischen Keulenschlägen zurück.

Ächzend spähte er ins Halbdunkel.

Was das wohl war?

Angestrengt kniff er die Augen zusammen.

Hm, blau oder lila, in etwa menschengroß und den Geräuschen nach atmete es.

Es war also ein Mensch - wahrscheinlich.

Diese Überlegung führte ihn aber schon zum nächstgelegenen Gedanken.

Was machte die Person neben seinem Bett?

Die einzige Erklärung, die ihm logisch erschien, war das er oder sie – man durfte ja noch hoffen – Bettwache für ihn hielt.

Probeweise verengte er erneut die Augen, konnte aber ebenso wenig wie zuvor erkennen. Was sich allerdings als auch nicht weiter verwunderlich ausnahm, wenn man seine Sehstärke von sechs Dioptrien berücksichtigte.

Schließlich verwechselte er im Kino ja sogar den männlichen mit dem weiblichen Hauptdarsteller, wenn seine Brille fehlte. Erstaunlicherweise tat sie das ständig - also fehlen quasi.

Mousse seufzte und gab es schlussendlich auf, die Identität der mitleidigen Seele herauszufinden.

Es war ja nicht so, als ob er sich bei besagter Seele über diese Geste beschweren wollte - dumm wäre er. Ehrlich gestanden, war er gerührt, dass ihm jemand Gesellschaft leistete - wenngleich die Person auch eingepennt war.

Er hätte nur eben gerne gewusst, wer ihm diesen Dienst tat - und dabei schnarchte.

Na ja, was soll’s.

Still lächelte er und unterdrückte ein weiteres Mal ein Jaulen.

Ob sein Gast morgen früh noch immer an seinem Bett sitzen würde?

Schön wär’s ja, aber er bezweifelte es.

Überhaupt hatte er sich in seiner Zeit hier in Japan zu häufig auf den Beistand anderer Leute verlassen. Dadurch war er schwach geworden, eine richtig feiges Huhn, eine dumme Gans, ein gefallener Star, ein...

Verärgert rutschten seine Augenbrauen zusammen. Woher kamen die ganzen Assoziationen und wieso waren es immer nur Vögel?

Genug von der Selbstanklage - ab dem heutigen Tag war er neu geboren!

Ein unmerkliches Flackern erfasste seine Pupillen. Es war ein Feuer, das einigen Menschen unter dem Terminus ‚Entschlossenheit’ bekannt war. Alle anderen nannten es Wahnsinn.

Von nun an würde er wieder richtig trainieren. Er durfte sich nicht Shampoos Zukünftiger nennen, wenn er sie nicht einmal beschützen konnte. Deswegen würde er von nun an jede freie Stunde in sein Training stecken! Er würde solange schwitzen, werfen, springen und rennen bis er Saotome herausfordern konnte.

Selbst, wenn das hieß, dass er alle Übungen während des Auslieferns auf dem Fahrradsattel durchzuführen hatte!

Er würde Shampoo zurückgewinnen. Nein, er würde sie sich verdienen!

Diesmal war sein Lächeln entschlossener Natur – das entband ihn allerdings nicht vom Schmerz wie er sogleich feststellte.

Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig.

Für die nächste Zeit musste er sich das Lächeln abgewöhnen UND hart trainieren. Wobei ihm letzteres wohl noch leichter fallen dürfte.

„Dummer Mousse…“, murmelte das Phantom neben ihm und säuselte niedlich.

Es genügt zu sagen, dass Mousses Lächeln diesmal alle Vorstellungen sprengte – leider auch seine Schmerzzentren, wenn der nachfolgende Schrei einen verlässlichen Hinweis abgab.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 7 – Verdammt!
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Kasumi legte den Telefonhörer auf. Aus dem Dojo drang noch immer das wütende Zetern Ranmas.

Unbekümmert davon wanderte sie zurück in die Küche.

Wo hatte sie nur das Gemüse hingetan?

Das Geräusch von Schlägen hallte durchs Anwesen, draußen erklang das Flattern von Vögeln und Onkel Genma redete beruhigend auf Ranma ein.

„Du nichtsnutziger Sohn! Wo ist deine Disziplin geblieben!“

„Vielleicht haste die ja auch vertickt?“

„Als ob ich meinem einzigen Kind so etwas antun könnte!“

„Als ob? STÄNDIG wäre wohl treffender!“

Ranma wirkte irgendwie unruhig. Das hatte Kasumi schon kurz nach dessen Heimkehr gemerkt.

Kaum war der Verlobte ihrer jüngsten Schwester nämlich aufgewacht, regte er sich bereits lauthals auf. Dabei war das doch so schädlich fürs Herz. Zumindest stand das in den Büchern, die Doktor Tofu ihr auslieh.

Wahrscheinlich hatten Ranma und seine Freunde nur mal wieder zu heftig miteinander getollt und einer hatte sich wehgetan. So war es gewiss.

Tobend stürmte Ranma an ihrer Küche vorbei und zog seine Kampfaura wie eine rote Wolke hinterher. Den purpurroten Streifen an dessen Wange beäugte das Mädchen seelenruhig, während sie ihre Utensilien aus den Schubkästen kramte.

Es würde Ranma sicherlich gut tun, einmal wieder mit Ryoga zu spielen.

Die beiden hatten sich doch schließlich so gern.
 

Genma Saotome kroch aus dem Teich. Sein Fell war nass, es war schwer und im Moment sehr unbequem zu tragen. Ähnlich einem SEHR dicken, SEHR haarigen Pelzmantel, der SEHR durchnässt war.

Dementsprechend fühlte er sich auch SEHR mürrisch, als er nach seiner aufmüpfigen Brut Ausschau hielt.

Grunzend schob er seinen schweren Körper zur Terrasse, wo bereits sein alter Freund Soun das Gô-Brett aufstellte. Vergnügt platzierte der schnurrbärtige Mann mehrere Spielsteine darauf und sah dann auf.

„Etwas nicht in Ordnung Saotome?“

[Der Junge benimmt sich komisch.]

„Komisch? Wie meinst du das alter Freund?“

[Er hat ein Rückgrat bekommen.]

„Nun ja Saotome. Die meisten Menschen werden mit einem geboren.“

Der Panda starrte seinen Freund nur vielsagend an.

„Ach Saotome. War doch nur ein Witz. Mach’ dir mal keine Sorgen.“

[Wenn du meinst.]

Trotzdem konnte es sich das Teilzeit-Tier nicht verkneifen hier und da einen Blick zur Treppe zu werfen. Denn auf seine makabere Weise liebte Genma Saotome seinen Sohn tatsächlich.

Schließlich verfolgte er die Idee mit der Heirat ja nur deswegen mit solchem Eifer, weil er davon ausging, dass alles was für ihn selbst gut war, auch für seinen Sohn gut wäre.

Warum Ranma das allerdings nicht verstand, entzog sich Genmas Einsicht.
 

Nabiki war gut gelaunt. Dieser Umstand entsprach zwar nicht einem Ding der Unmöglichkeit, war aber ebenso wie manches seltene Naturspektakel eben recht selten zu beobachten. Umso erstaunlicher war es, dass sie dieses Gefühl für jeden sichtbar auf dem Gesicht trug – in Form eines Grinsens. Vorausgesetzt jemand wäre dermaßen wahnsinnig sie auszuspionieren oder dämlich genug direkt durch ihre Tür zu treten.

Der Grund für ihre Freude war simpler Natur. Er war grün, dünn und quadratisch.

Der heutige Kampf Ranmas gegen die Amazonen hatte die Kassen klingeln lassen. Das letzte Mal hatte sie zur Ankunft des bezopften Wunders und dessen erster Auseinandersetzung mit Kuno einen solchen Betrag verdient.

Man musste den Leuten nur etwas liefern, was niemand erwartete. In solchen Situationen konnte man die Schüler am besten auspressen - und für Nabiki Tendo waren ihre Schulkameraden allesamt Zitronen und Orangen. Bisher hatte sie noch keine Kokosnuss darunter gefunden – sollte das aber mal der Fall sein, so würde sie diese auch noch knacken.

Natürlich erklärten ihre schönen Abzock-Strategien nicht Ranmas untypisches Verhalten. Aber eine Erklärung dafür konnte erstmal warten. Jetzt wollte sie den unverhofften Geldsegen genießen.

Es klopfte an ihre Tür.

Unwirsch wirbelte sie in ihrem Bürosessel herum.

Wer störte sie denn da in ihrer guten Laune?

Nochmals klopfte es, diesmal bedeutend drängender.

„Ja, ja. Herein, wenn’s Eintreten nicht zuviel Mühe macht.“

Verblüfft begegnete sie zwei eiskalten Augen, die sie als Ranmas identifizierte.

Der Verlobte ihrer Schwester stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und lächelte sie unterkühlt an. Nabiki konnte sich nicht helfen – sein Lächeln erinnerte sie an jemanden.

Nicht ohne Überraschung stellte sie fest, dass es sie an sich selbst erinnerte.

„Was ist Saotome?“

Dieser zog mokierend die Augenbrauen hoch.

„Wie? Was soll denn sein Nabiki?“

„Na, dass sagst du mir entweder oder scherst dich zum Teufel.“

Unerwartet verfiel Ranma in einen hysterischen Lachanfall.

Hatte Saotome nun völlig den Verstand verloren?

Zweifelnd musterte sie den jungen Mann und lauschte auf sein schallendes Gelächter, das sich mehrfach überschlug ehe es in seiner Lautstärke abnahm.

Amüsiert rieb er sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln und feixte.

„Humor hattest schon immer, muss man dir zugute halten, nich’?“

Nabikis Zweifel fiel allmählich ab und machte aufrichtigem Argwohn Platz. Ranma benahm sich sonst nicht so. Er war ein einfältiger, arroganter, manchmal netter und unbeholfener Junge.

Aber dieser Umgangston entsprach nicht diesem Ranma. Irgendetwas ging hier vor.

„Was willst du Saotome?“

„Oho – woher die Kälte Nabiki? Ich dacht’ nur, ich statt’ dir mal ’nen Besuch ab.“

„Einen Besuch?“

„Genau, nichts als ’nen kleinen Besuch beim Geldscheffler der Familie.“

Nabikis Augenbrauen zogen sich in einem knappen Anflug von Rage zusammen.

„Wiederhol’ das Saotome.“

„Echt mal, sitzen hier alle auf’n Ohren? Shampoo war heut’ genauso drauf.“

„Bevor oder nachdem du ihr eine gelangt hast?“

Ranma nahm eine nachdenkliche Pose an und grinste höhnisch.

„Das ist ’ne verdammt gute Frage. Viel kann aber nicht kaputt gegangen sein.“

„Verlass’ mein Zimmer Saotome. Oder die halbe Schule kriegt Nacktbilder deiner hübscheren Seite.“ Die mittlere Tendo lächelte bedrohlich und zeigte dabei Zähne. Jetzt hatte sie ihn am Hacken.

„Dann lass’ sie mich zumindest aussuchen, ’kay? Soll ja ’n bissel Fleisch mit drunter sein, nich’?“

Nabikis Augenlider schossen wie Rollladen auf.

Hatte sie sich gerade verhört?

„Wie meinen?“ Sie wusste, dass es ein dummes Verhalten war. Denn aus irgendeinem Grund wollte Ranma sie verunsichern und hiermit bewies sie ihm, dass er mit seinem Vorgehen Erfolg hatte.

Etwas stimmte hier überhaupt nicht!

„Du weißt schon. Fleisch, also nackte Haut, diskrete Körperstellen und so weiter und–so–fort.“ Die letzten Worte dehnte Ranma und zwinkerte ihr anzüglich zu.

„Wenn das witzig sein soll Saotome…“

„Witzig? Also dein Spruch anfangs war’n Kracher. Aber ich – witzig? Und das von der Herrin der Rhetorik und Manipulation? – Ranma deutete eine übertriebene Verbeugung an – Zuviel der Ehre.“

„Raus! Raus aus meinen Zimmer!“

In falscher Fürsorge trat der Verlobte ihrer Schwester auf sie zu.

„Aber, aber Nabiki. Wo sind deine Manieren? Deine gepflegten Gedankenspielchen?“

Die mittlere Tendo fühlte sich in eine Ecke gedrängt und musste zugeben, dass es kein angenehmes Gefühl war. Sie verspürte ein unangenehmes Kneifen in ihrer Magengrube, das sie überrascht als Angst identifizierte.

Jedoch Angst vor dem treudoofen Möchtegern-Ehemann ihrer Schwester zu haben, war doch lächerlich. Oder?

Ranmas Augen funkelten sie wie Gletscher an und ließen sie selbst wie Eis unter einer Spitzhacke zersplittern. Ihr Magen verkrampfte sich zunehmend unter Ranmas Blick.

„Ranma, wo…?“

Unerwartet kam ihr jemand zur Hilfe.
 

Akane beäugte die Konfrontation völlig konfus.

Was ging hier vor sich?

Ranma stand Nabiki nonchalant gegenüber und grinste diese noch immer unverwandt an. Ihre Schwester wirkte äußerst ernst und reichlich unerfreut über Ranmas Anwesenheit. Die Szene hätte aus einem billigen Italo-Western stammen können, eine Art High-Noon im Zimmerformat.

„Ranma?“, fragte Akane schließlich vorsichtig.

Ohne sich zu ihr umzudrehen, antwortete er in seinem saloppen Tonfall.

„Ja ’kane?“

„Ist alles in Ordnung?“, hakte sie nach.

Erst jetzt drehte sich Ranma ihr zu und lächelte sorglos.

„Och ja, Nabiki wollt’ nur’n bisschen quatschen, nich’?“

Feixend warf er ihrer Schwester einen Blick zu und verließ den Raum.

Die mittlere Tendo dahingegen starrte noch immer angespannt auf die Tür, fast wie als erwarte sie, dass Ranma nochmals zurückkäme. Aber warum sollte er das?

Ihr Verlobter mied niemanden mit solcher Sorgfalt wie ihre ältere Schwester.

Oder anders ausgedrückt, kam Nabiki in Ranmas Angsthierarchie gleich unter Katzen.

Apropos Nabiki, diese krallte sich inzwischen nur noch halbherzig in ihre kurzen Hosen und wirkte schon bedeutend entspannter.

„Alles okay Nabiki?“

Ihre Schwester blickte finster auf, fast so als hätte sie die jüngste Tendo gerade erst wahrgenommen.

„Akane.“

„J-Ja?“

„Sei vorsichtig.“

Nach diesem kryptischen Ratschlag drehte sich Nabiki wieder zu ihrem Tisch und schien fast sofort in ihre Unterlagen vertieft. Als das Piepsen des Taschenrechners begann, seufzte Akane und gab es auf, etwas Konkreteres aus ihrer Schwester herauszubekommen.

Leise schloss sie die Tür hinter sich, lehnte sich dagegen und seufzte ein weiteres Mal.

Sie brauchte nicht Nabikis Antwort – sie wusste auch so, dass es an Ranma liegen musste.

Etwas stimmte nicht mit ihm.
 

Ranmas Füße trugen ihn direkt ins Badezimmer. Dort angekommen entledigte er sich seiner Kleidung und ballte zornig die Fäuste.

Was war nur los mit ihm? Woher stammte diese unkontrollierbare Gehässigkeit und Wut?

Fragend schaute er in den Spiegel, doch seine Reflektion enthielt sich einer Antwort.

Nicht, dass ein Spiegelbild antworten könnte. Schön wäre es aber trotzdem gewesen.

Er probierte sich an seinem – ihm so eigenen – Grinsen und fand, dass es ihm schwer fiel es überzeugend vorzubringen.

Er fühlte sich nicht mehr so recht in Kontrolle über seinen Körper und Geist. Irgendetwas ging in ihm vor – nur hatte er echt keine Lust herauszufinden, was das genau war.

„Erstmal ins Furo…“, sprach er sich gut zu und senkte den Fuß bereits hinein, da hielt er inne.

Akane würde ihn dumm und dämlich kloppen, wenn er sich vorher nicht abwusch.

Mit einem Schnauben setzte er sich auf den Hocker und übergoss sich mit eiskaltem Wasser.

Da erfasste ihn plötzlich ein merkwürdiges Kribbeln.

Es war zwar nicht so, als ob es nicht immer kribbeln würde, wenn er sich verwandelte. Diesmal jedoch fühlte er sich wie ein Hähnchen auf dem Grill, anstatt wie ein Fisch unter Storm.

Ranmas Stirn runzelte sich.

So gesehen waren beide Varianten nicht sehr angenehm.

Das Mädchen goss sich einen weiteren Zuber voll kalten Wassers über den Kopf. Vielleicht vertrieb das ja solche komischen Überlegungen.

Kribbeln war Kribbeln. Es bestand also kein Grund zur Sorge.

Sonst war sie ja auch nicht der Typ fürs Abwägen und Denken und so. Sie zog es vor die Dinge anzupacken und dann Kleinholz aus ihnen zu machen.

Alles im Leben war ein Kampf – das war eine Lektion, die ihr Vater ihr mit der Flasche und den ersten Schlägen gegeben hatte – und sie war Ranma Saotome. So einfach war die Sache.

Denn egal wie dämlich die Herausforderung, sie gewann immer!

Macht das sie im Umkehrschluss dämlicher als den Herausforderer?

Erneut kräuselte sich ihre Stirn und sie beschloss, dass ein weiterer Zuber gar nicht so schlecht klang.

Ein drittes Platschen später, wusch sie sich eilig ab und versuchte das merkwürdige Kribbeln zu ignorieren. Dass besagtes Kribbeln die Zurückhaltung eines Ameisenhaufens im Frühling aufwies, erleichterte die Sache nicht unbedingt. Aber da Ranma Saotome in allem der Größte – im Augenblick die Größte - war, konnte sie auch ohne weiteres der größte Ignorant sein. Ironischerweise hatte sie DAS bereits häufig genug unter Beweis gestellt.

Kaum war sie sauber, sprang sie in den warmen Furo und spürte das Wasser über sich zusammenschlagen.

Schön wieder ein Mann zu sein. Wärme durchströmte seine Muskeln, verlief sich an seinen Armen herab zu den Schultern und breitete sich über seinen Brüsten aus.

Hey. Halt. Stopp! Brüste?

In bester weiblicher Hysterie spähte Ranma auf ihre beachtliche Oberweite, die noch immer einladend zur Schau hing. Dass das eigentlich gar nicht mehr der Fall sein dürfte, schien diese nicht wirklich zu stören - Ranma jedoch schon.

„Was is’ hier los, was zum Teufel?!“

Fast wie auf Kommando setzte ein zweites Kribbeln ein und versetzte ihren Körper widerwillig in seinen Ausgangszustand. Oder anders gesagt, praktizierte die bezopfte Kampfsportlerin die wohl wirkungsvollste Diät aller Zeiten.

Ihre Brust flachte ab, wurde härter und muskulöser. Die Arme, die vorhin noch so streichelzartweich waren, bekamen Konturen und zeichneten den Bizeps ab. Er war wieder ein Mann.

Erleichtert atmete Ranma aus.

Der Krampf, der kurzzeitig sein Herz erfasst hatte, fiel davon ab und hinterließ das frenetische Pochen von Blut in seinen Ohren.

„Oh Mann, ich dacht’ schon, ich wär’ wieder in diesem Körper – er schaffte es genug Abscheu in das letzte Wort zu legen, um es mit Malaria und schottischen Nationalspeisen auf eine Stufe zu stellen – gefangen. Hab’ ich nochmal’ Glück gehabt.“

Wenige Minuten später hatte er das Ereignis bereits erfolgreich verdrängt. Es brachte nämlich nichts sich mit Vergangenem aufzuhalten, dafür kam zuviel Neues. Zumindest war das in seinem Leben der Fall.

Denn – mal ehrlich – jeder, der Zeit besaß über sein Leben zu sinnieren, hatte doch nur Langeweile.

Und dabei handelte es sich um ein Gefühl, das Ranma nicht einmal im Ansatz kannte.

Pfeifend erhob er sich aus den Fluten, griff nach dem Froteehandtuch und rubbelte sich ab. Sobald er halbwegs trocken war, wickelte er es sich um den Unterleib und tänzelte zum Spiegel.

Kaum stand er davor und richtete seinen Zopf, da setzte das Kribbeln ein weiteres Mal ein. Diesmal allerdings ungleich stärker als die vorherigen Male. Nicht unähnlich Saffrons Flammenhölle breitete sich eine irrsinnige Temperatur auf seiner Haut aus.

Stumme Schreie verließen seinen Mund, als er vornüberkippte und sich übers Emailebecken lehnte.

Was ging hier ab?

Die Augen halb geöffnet, blinzelte er in den Spiegel wie als erwartete er von da eine Antwort zu erhalten. Umso erstaunlicher war es, als er diese auch erhielt.

Denn kaum nahm er sich selbst auf der Oberfläche war, da zerrte ein besonders scharfer Schmerz an seinem Körper – und verwandelte ihn zurück in seine weibliche Hälfte.

Damit endete es allerdings nicht.

Seine Augen gingen für den Bruchteil einer Sekunde in Flammen auf, ließen das Halbmädchen schmerzerfüllt krächzen und auf den Fliesen zusammensacken.

Ihre Finger krümmten sich, spreizten sich und krümmten sich erneut – fast wie bei einem Aerobickurs im Fegefeuer. Anstatt mit trommelfellbelastendem Techno, wurde sie jedoch mit brennenden Peitschenhieben gequält.

Wobei sie – rein theoretisch – die Peitschenhiebe dem Techno vorziehen würde.

Im Augenblick allerdings hätte sie auf beides verzichten können, drängte mühevoll Tränen zurück und versuchte sich zu bewegen. Um Hilfe schreien wollte – und konnte – sie nicht.

Sie war schließlich Ranma Saotome, Männer unter Männern und Erbe des Musabetsu Kakuto Ryu.

Ganz egal, dass sie im Augenblick besser bestückt als die meisten echten Mädchen war.

Nicht, dass ihr Machodenken in dieser Lage viel brachte.

Aber es war schön sich alles das einzureden und damit von den Qualen abzulenken.

Und dann plötzlich – so rasch wie er kam - war der Schmerz fort.

In einer Mischung aus Verblüffung und Misstrauen rappelte sie sich auf und wartete ab.

Keine falschen Hoffnungen machen. So oder so ähnlich sah ihr Kerngedanke aus.

Bislang hatte jedes ihrer Probleme mehr als nur ein paar Minuten Aufmerksamkeit benötigt. Grundlegend war sie die meisten ihrer Probleme bis zum heutigen Tage nicht losgeworden.

Ein deprimierender Gedanke, fürwahr.

Als sie allerdings nach groben fünf Minuten noch immer weder Schmerz noch diese seltsame Überhitzung verspürte, erlaubte sie sich durchzuatmen und wischte ein paar Tränen – eh, Schweißtropfen natürlich! – von den Wangen.

Wie es schien, blieb ihr keine Wahl. Sie musste die alte Hexe konsultieren. Vielleicht konnte Cologne ihr ja weiterhelfen?

Ranmas Gedankengang folgte dem Schicksal eines Autos ohne Benzin. Er machte einen ungeplanten Halt.

Hatte sie heute nicht angeblich Shampoo und Mousse verprügelt?

Ihre Stirn zog sich kraus. Doch, je mehr sie darüber nachdachte, desto stärker verfestigte sich die Erinnerung.

Sie hatte die beiden wirklich in Grund und Boden gehämmert.

Seltsamerweise ging ihr jedwede Reue darüber ab.

Aber sie hatte doch ein Mädchen geschlagen! War das denn nicht etwas Schlechtes?

Irritiert stierte sie auf ihre rechte Hand, die sich wie von allein zur Faust krümmte.

„Pah!“

Die Amazone hatte das verdient. Immerzu aufdringlich und mit einem Dialekt wie Yoda gesegnet, konnte sie froh sein, dass Ranma sie nicht schon längst zurück nach China getreten hatte.

Ein Grinsen legte sich über ihre Lippen und sie stand zuversichtlich auf.

Dann begann das Kribbeln erneut.
 

Akane war verschwitzt, hatte Staub an den Handkanten und fühlte sich unwohl. Das lag daran, dass sie kurz zuvor im Dojo trainiert hatte und jetzt vor dem Badezimmer wartete.

An und für sich störte sie das nicht.

Was sie störte, war, dass sie jetzt bereits seit einer halben Stunde hier wartete.

Schließlich riss ihr – nicht wirklich dicker – Geduldsfaden und schnappte wie eine wütende Schlange nach ihrem Zorn. Der meldete sich auch gleich darauf zu Wort.

„Beeil’ dich endlich mal! Ich steh’ mir hier die Beine in den Bauch du Idiot!“

Stille antworte aus dem Inneren des Badezimmers.

Kein Tapsen, keine gespielten Beleidigungen, kein „Ich komm’ ja schon!“.

Akane wurde allmählich besorgt.

Aber trotzdem, sie konnte ja wohl schlecht so einfach ins Bad stürmen. Wer weiß, vielleicht war Ranma ja nur…

Ja – was? Unter Wasser, taub, ertrunken?

Zaghaft näherte sie ihre Hand der Türklinke und drückte das kühle Messing zaghaft herab.

Vorsichtig stupste sie gegen die Tür und schob sie vorsichtig auf.

Stückchen für Stückchen vergrößerte sich der Spalt.

Dann schlug die Tür urplötzlich zu, federte Akanes Hand zurück, so dass diese sie unrühmlich im Gesicht traf und die jüngste Tendo feierlich auf ihrem Hosenboden Platz nahm.

„RANMA!“

Wie auf Kommando öffnete sich die Tür diesmal von selbst und eröffnete den Blick auf Ranmas bessere Hälfte – obwohl dieses Statement natürlich fragwürdig war.

Akanes Kiefer klappte herab. Wäre er nicht zwangsläufig angewachsen gewesen, so wäre er ihr wahrscheinlich äußerst schmerzhaft in den Schoß gefallen. Nicht, dass er das nicht vorhätte, so wie er an ihren Muskelfasern zerrte.

Vor ihr stand Ranma, soviel stimmte.

Aber es konnte nicht Ranma sein.

Denn keinen halben Meter entfernt, stand ein Mädchen mit flammend rotem Haar, das sich in einem Zopf bis hinab zu ihrem Steißbein ergoss. Wie züngelnde Lava glühte es ihr entgegen und kontrastierte mit den gletscherblauen Augen seiner Besitzerin.

Das an und für sich entsprach durchaus dem Ranma, den sie kannte – abzüglich des Zopfes mit Überlänge.

Was jedoch überhaupt nicht ins Bild passte, war der laszive Lederaufzug, der sich an den Körper ihres, eh ihrer Verlobten presste. Im Detail setzte sich dieser aus einem glänzenden Top, einem an der Hüfte großzügig geschnittenen Rock und darunter befindlichen Shorts zusammen. Allesamt waren die Kleidungsstücke schwarz und aus weichem, sinnlichen Leder, ebenso ihre Sandalen, die sich in – welche Überraschung - Lederbändern wie Schlangen um ihre Unterschenkel wanden.

„R-R-R-Ranma?“

Die Angesprochene hob den Kopf und grinste animalisch.

„Willstes herausfinden?“
 

Soun saß seinem alten Freund gegenüber. Beide starrten konzentriert auf das Brett zwischen ihnen, auf dem sich mehrere flache Steine tummelten. Im Moment überwiegte weiß – was auch sehr gut zum Verwender dieser Farbe passte.

Aber wo er schon mal bei Übergewicht und Weiß war, konnte er auch ruhig einen Gedanken an Saotome opfern. Denn jedes Mal, wenn er aufsah, ertappte er seinen Kumpan dabei wie dieser zu den Treppenstufen schielte.

Jeder der Genma Saotome kannte, hätte es nie vermutet, aber der alte Panda liebte seinen Sohn tatsächlich. Natürlich auf eine Weise, die das Wort LIEBEN Lüge strafte. Aber so war Genma eben und schon immer so gewesen. Anders kannte Soun ihn nicht.

Das erschwerte natürlich auch die Beziehung zwischen seinem alten Freund und dessen Sohn, was wiederum nicht gerade vom negativen Einfluss Nerimas erleichtert wurde.

Soun seufzte und rieb sich den Hinterkopf.

Wie kam es, dass hier in Nerima nichts einfach zu sein schien?

Die Kinder stritten sich, ihre Freunde waren entweder verliebt oder verhasst und Herausforderer kamen – kaum das Ranma mit seinem Vater durch die Tür getreten, respektive getragen worden war – wie die unerklärlichen Wetterumschwünge, die auch erst mit Ranmas Ankunft begonnen hatten.

„Saotome?“

Der andere Mann lugte auf.

„Ja Tendo?“

„Könntest du mir wohl den schwarzen Stein zurückgeben?“

„Oh – aber natürlich Soun alter Freund.“

„Danke Saotome.“

Beide lächelten – der eine wissend, der andere gequält.

Ein Schrei drang durch das Haus, dröhnte durch Mark und Bein, ließ die Spielsteine erbeben, die Zähne der Männer aufeinander klappern und dann kehrte ganz langsam Stille ein.

„Saotome?“

„Hm?“

„Sollen wir nachsehen?“

Genma blickte nachdenklich auf. Dann blickte er auf das Gô-Brett und darauf zu Soun.

Der erwiderte den Blick, hielt diesem ganze drei Sekunden stand und widmete sich sodann auch wieder dem Spielbrett.

Im nächsten Augenblick kam Akane heruntergestürmt, bremste vor den beiden Männern ab und holte tief Luft.

„Ranma ist ein Perverser!“, brüllte sie bedeutungsvoll.

„Aber Mäuschen, das sagst du doch immer“, beschwichtigte Soun seine Tochter.

Nicht, dass diese etwas davon hören wollte.

„Nein Paps, du verstehst das nicht. Er IST ein Perverser.“

„Und das sagst du auch ständig.“

„Paps! Er ist ein Mädchen und…“

„Das wissen wir auch – nicht wahr Saotome?“

Der Angesprochene nickte behäbig und musterte Akane verständnislos.

In eben diesem Moment knarrten die Treppenstufen.

Souns Neugierde wechselte von seiner Jüngsten zu der Treppe. Wahrscheinlich würde von eben dort jetzt Ranma herabsteigen, puterrot und sich über Akane beschweren. Beide würden meckern, sich beleidigen und schließlich würde Ranma sagen…

„Yo Machoweib.“

Genau das würde er sagen und… und… und…

Souns Gedankenapparat setzte aus. Für eine qualvolle Sekunde sah es so aus, als würde sein Herz dem Beispiel folgen – schlug dann allerdings weiter. Das ersparte ihm dennoch nicht den Schock.
 

Genma erging es nicht anders. Sein Gesicht war aschfahl – optimistisch ausgedrückt.

Dieser Umstand war sicherlich nicht untypisch für Japaner, die generell eher von blassem Hautton waren. Nichtsdestotrotz war der Saotome-Patriarch nur selten so blass gewesen.

Er entsann sich da zwar eines Ereignisses, in das seine Frau und das Aufdecken eines gewissen Fluches bei einem gewissen Sohn verwickelt gewesen waren; doch selbst zu diesem Zeitpunkt hatte er mehr Gesichtsfarbe besessen.

„W-W-W-W!“, gab er stotternd zum Besten.

Auf dem untersten Treppenabsatz stand Ranma.

Immerhin wollte Genma das – NICHT – glauben.

Sein Sohn, eh Tochter sah nämlich seinem Sohn, eh seiner Tochter wie er ihn, eh sie kannte überhaupt nicht ähnlich.

Praktisch heißt das, dass er sich selbst in seinen schlimmsten Albträumen nicht hätte vorstellen können, dass der stolze Erbe des Musabetsu Kakuto Ryu einmal in Leder modeln würde! Selbst Großmeister Happosai wäre nicht auf eine solche Idee gekommen – obwohl er den neuen Kleidungsstil sicherlich begrüßen würde.

„R-Ranma! Was soll das! Willst du deinen alten Vater beschämen!?“

Das Mädchen begegnete seinem Blick und lächelte schief.

„Oh-ho! Beschämen? Na, du wirst wohl wissen, wovon du sprichst – bist ja schließlich Experte drin, nich’?“

„Ich glaub’, ich hab’ dich in letzter Zeit zu häufig von der Leine gelassen. Diesen Fehler werde ich heut’ korrigieren.“

Ranmas Antwort bestand aus einem zweiten Lächeln, diesmal geradewegs boshaft.

„Ah – jetzt wird’s interessant. Wusste zwar nicht, dass du auf so was stehst, aber auch gut du alter Sack.“

Genma stockte in seiner Bewegung. Gerade hatte er sich erhoben und auf sein Kind zu bewegt, da erreichten ihn Ranmas Worte und er erstarrte.

„W-Was soll das Ranma? So habe ich dich nicht erzogen. Ich war kein Musterbeispiel für einen Vater, aber SO habe ich dich nicht großgezogen. Entschuldige dich gefälligst.“

Der Saotome-Spross schnaufte abfällig und legte den Kopf schief.

„Ach Alterchen, du checkst es nicht, oder?“, begleitend mit der rein rhetorischen Frage begann Ranmas feuerrotes Haar tatsächlich Feuer zu fangen. Ihre Augen glühten kälter denn je.

„Ranma macht ein Nickerchen und jetzt bin ich hier.“

Genmas Augen verengten sich zu Schlitzen und er öffnete den Mund, doch Soun kam ihm zuvor. Die Stimme seines alten Kameraden war kühl und besonnen, ganz so wie das in früheren Tagen der Fall gewesen war.

„Wer bist du dann, wenn nicht Ranma?“

Gespielte Erleichterung tanzte über die Miene des Rotschopfes.

„Endlich fragt mal einer. – ein unirdischer Wind blies durchs Anwesen, ließ die Blumen in den Vasen tanzen und ihren hüftlangen Zopf flattern, während das Grinsen auf ihren Lippen größer und bedrohlicher wurde – Ich bin eine Dämonin. Eine Dämonin zweiter Klasse, zweiter Kategorie mit unlimitiertem Zugriff. Mein Fachgebiet ist Wehmut. Meine Name ist – Verdammt!“

Ein Platschen zerstörte die Dramatik des Moments.

„Du meine Güte, tut mir leid Ranma.“
 

Die platschnasse Dämonin spähte aus gesenkten Augenlidern zu Kasumi. Die großherzige Haushälterin lächelte unschuldig und hielt einen Eimer in der einen und einen Wischlappen in der anderen Hand.

„Elende Sterbliche, du wagst es mich zu verhöhnen?“

„Trockne dich doch bitte ab Ranma. Ansonsten machst du am Tisch alles nass. Das wäre doch schade, oder?“

Verblüfft beobachtete der höllische Rotschopf das Mädchen.

War die nicht mehr ganz in Ordnung?

„Ich bin eine Dämonin zweiter Klasse, verbeuge dich vor m…“

„Froteehandtücher sind oben Ranma. Beeil’ dich, sonst isst dir dein Vater noch alles weg.“

Jovial lächelte das gute Herz des Hauses und ging beschwingt ihrer Wege, der Eimer klapperte höhnisch mit.

„Ja was zum…“, murrte die Dämonin ungläubig, hatte aber nicht viel Zeit sich zu wundern.

„Also Verdammt, was hast du mit meinem Sohn gemacht?“

Perplex sah das Höllenwesen auf.

Hatte sie hier irgendetwas verpasst?

„Wie bitte?“

„Du hast mich schon gehört Verdammt, was ist mit meinem Sohn?“

Verdammt? Verdammt? Was hatte der für ein Problem?

Erst dann dämmerte der Dämonin die Erkenntnis und sie ließ die Schultern hängen. Soviel zum Thema ruhmvolle Wiederkehr.

„Sie missverstehen, mein Name ist…“

„Ja, ja, Verdammt. Ich hab’s kapiert. Aber wo ist mein Sohn?“

„Der ist in mir, der schläft und ich heiße…“

„Verdammt! Ich weiß, dass du Verdammt heißt! Ich will meinen Sohn verdammt nochmal!“

„Ich heiß’ nicht Ver…!“

Erneut traf sie ein Schwall eiskalten Wassers ins Gesicht.

Fassungslos spähte die Dämonin ein zweites Mal in die unschuldige Miene der Haushälterin.

„Das tut mir leid Ranma. Jetzt sollest du dich aber wirklich mal abtrocknen.“

„Verdammt, verdammt, verdammt!“, brüllte die Dämonin zornig.

„Wir wissen wie du heißt!“, brüllte Genma nicht leiser.

„Ich heiße nicht Ranma und auch nicht…!“

Ein schwerer Gegenstand traf den Rotschopf von der Seite und schleuderte sie zu Boden. Einige Meter entfernt stand Akane, die schwer atmete und den Dämon anfunkelte.

„Hör’ auf zu brüllen du Perverser!“

Benommen hielt sich die Dämonin den Kopf. Also, SO hatte sie sich ihre Weltübernahme nicht vorgestellt.

„Verdammt auch eins, was sollte das denn?“

„Musst du ständig deinen Namen wiederholen!“, meckerte Genma von rechts.

„Benimm’ dich gefälligst!“, schnauzte Akane von links.

Soun unterstrich beide Aussagen mit nachdrücklichem Schweigen.

Und die Dämonin fühlte ihr Nervenkostüm zerreißen.

„Nehmt mich gefälligst ERNST!“

Kaum schallte das letzte Wort über ihre Lippen, da schleuderte sie ihre Arme wuchtig in beide Richtungen und verteilte ein paar harmlose Funken in der Luft.

Die knisternden Flammenzungen, die daraufhin das Parkett entlangjagten, waren allerdings alles andere als harmlos.

So wichen Akane und Genma nur in allerletzter Sekunde den Feuerwalzen aus, die sich an ihnen vorbei und durch die Außenwände des Anwesens brannten.

„S-Soun?“, Genmas Stimme zitterte merklich.

„J-Ja Saotome?“

„D-Das müssen w-wir doch n-nicht zahlen, oder? S-Sind doch h-hübsche Nebeneingänge, o-oder?“

Soun richte einen ungläubigen Blick auf seinen alten Kamerad, wollte sich dazu durchringen etwas – irgendetwas - zu sagen, schüttelte dann aber bloß den Kopf.

Es hätte ohnehin keinen Sinn.
 

„Hört mir gefälligst zu! – quengelte die Dämonin, führte aber sofort weiter aus - Diese Behausung wird mir als Unterschlupf dienen, im Gegenzug werde ich euch an den Rand eurer erbärmlichen Existenz und mit mir unvorstellbares Chaos bringen.“ Ranma kicherte selbstgefällig.

Souns Miene blieb neutral.

„Junges – Fräulein, entschuldigen sie. Aber wo genau ist der Unterschied zum vorherigen Ranma?“

„Eh…“, repondierte die Dämonin ein wenig hilflos und war von einem Augenblick zum nächsten von der Katze zur Maus geworden.

Trotzdem, in ihrem Fall konnte selbst die Maus noch beißen; und ihre Wunden brannten.

„Genug des Unsinns. Ihr werdet mir unterstehen und ich…“

„Essen ist fertig, bitte zu Tisch.“

Fassungslos verfolgte das dämonische Rothaar mit wie ihr Publikum abwanderte und sich an den Tisch setzte. Bald schon begann eifriges Geplapper, das Scheppern von Tellern und die zweite Schwester drängte sich mit einem „Könnt’ ich mal? Danke auch.“ auf der Treppe an ihr vorbei.

„A-Aber…“

„Ranma, setz’ dich doch bitte. Das Essen wird sonst kalt“, ermahnte Kasumi sie.

„A-Aber ich…“

„Ranma“, tadelte Kasumis Ton sie mit der ganzen verheerenden Wucht eines Wattebausches.

Die Dämonin ließ die Schultern hängen und schlurfte zum Tisch, wo sie sich neben dem Mädchen mit den blauen, kurzen Haaren niederließ. Es war genau das Mädchen, das vorhin diese – fragend sah sie zu der Stelle, wo das Projektil aufgekommen war – Samurairüstung nach ihr geworfen hatte. Warte mal, Samurairüstung?

Ungläubig glotzte sie zur Seite und erhaschte das finstere Starren Akanes, das augenblicklich münzgroße Löcher in sie bohrte.

Waren hier denn alle verrückt? Sie war eine waschechte Dämonin und keinen kümmerte es?

„Bedien’ dich doch Ranma“, echote die engelsgleiche Stimme der ältesten Tochter.

Allerlei bösartige Ideen zogen durch das Bewusstsein der Höllenbrut. Sie könnte jetzt den Tisch entflammen lassen, sie könnte das Haar der mittleren Tendo ansengen oder sie könnte wohlmöglich sogar Kasumi beleidigen.

Ein „Dankeschön“ später bediente sie sich am Essen.

Teufel auch eins, war sie erbärmlich.

Die Dämonin ließ die Schultern noch ein wenig tiefer sinken und seufzte kläglich, dann aß sie weiter.
 

Der nächste Morgen war klar, keine Wolke am Horizont zu sehen und die ersten Vögelchen zwitschern bereits friedlich über den Dächern der Häuser.

Teig brutzelte vergnügt auf einer Herdplatte, warf Blasen und wurde behände gewendet.

Lächelnd sah Ukyo auf die Uhr hinter sich und gähnte, ehe sie sich erneut dem Okonomiyaki und dem hellen Sonnenschein zuwandte.

Gestern Abend hatte sie noch eine kleine Unterhaltung mit Ryoga geführt.

Etwa darüber, wohin ihre Bedienung denn heute genau gehen wollte.

Eingangs war besagte Bedienung konsequent dagegen gewesen IRGENDETWAS preis zu geben.

Nachdem Ukyo Ryogas Zunge allerdings ein wenig ‚gelockert’ hatte – bei dem Gedanken daran erwärmten sich ihr sogar selbst die Wangen -, war die Göttin erstaunlich redselig geworden.

Schön zu sehen, dass der weibliche Charme auch bei Mitgliedern der eigenen Rasse zog.

Auf jeden Fall hatte Kuonji herausbekommen, was sie wissen wollte. Unerwähnenswert, dass sie nicht gerade glücklich über Ryogas Zusage an Kasumi war.

Außerdem war sie doch recht verwundert, warum die Tendo-Schwester ausgerechnet Ryoga wählte. Schließlich kannten diese und Ranma sich doch kaum.

Nebenbei verstand sich die Göttin nicht allzu gut mit ihrem Verlobten – rückblickend aus durchaus nachvollziehbaren Gründen –, zudem war besagter Verlobter im Moment nicht so ganz er selbst.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Ukyo noch keine Ahnung wie Recht sie damit behalten sollte.

Die Treppe knarrte.

Grinsend wandte Ukyo sich dieser zu, während sie – ohne hinzusehen – die Okonomiyaki in die Luft schleuderte und auf zwei vorplatzierte Teller beförderte. Derartiges konnte sie im Schlaf.

Ehrlich gestanden, beherrschte sie das Okonomiyaki-Backen tatsächlich im Schlaf. So war es ihr nicht selten passiert, dass sie versucht hatte, ihr Kopfkissen knusprig und kross zu backen. Hinbekommen hatte sie es, jedoch stellten sich die schwarze Farbe und der Geschmack verbrannter Wolle als eher unappetitlich heraus.
 

Ryoga roch das Aroma des Okonmiyaki bereits auf der zweiten Etage und folgte diesem blind – tatsächlich lief sie wirklich mit geschlossen Augen.

Mit jedem Meter, den sie sich näherte, wurde der Geruch umso verführerischer – und erschlagender. Nicht, dass sie Ukyo auf den zweiten Punkt hinweisen würde.

Schließlich war Ukyo insbesondere auf ihre kulinarischen Künste stolz. Vielleicht war es ja dieser Stolz der ihre Gerichte so gut schmecken ließ?

Ja, wahrscheinlich lag es daran, denn ihre Küche war genauso speziell wie Ukyo selbst.

Man merkte, dass dieses komische Mädchen, bei allem was sie tat, eine gewisse Liebe zum Detail an den Tag legte.

Apropos Liebe…

Wie standen Ukyo und sie nun zueinander?

Die vorletzte Nacht hätte sie vielleicht noch als ‚Unfall’ werten können, obwohl es schon ein sehr prekärer und intimer Unfall gewesen wäre. Aber das Ukyo sie gestern Abend erneut geküsst hatte, gab ihr zu denken.

Die Ereignisse von vorletzter Nacht gaben ihr zwar auch zu denken, aber in gänzlich anderer Hinsicht - und benötigten daher besondere Aufmerksamkeit.

Ob Ukyo sie wohl mochte?

Unter glühenden Wangen verließ Ryoga das Treppenhaus – und lief beinahe in den Dreh- und Angelpunkt ihrer Überlegungen hinein.

„Oh. Oh! H-H-H-Hallo U-Ukyo. G-G-G-Guten M-M-Morgen!“, kämpfte die Junggöttin tapfer hervor.

Ukyo ihrerseits verdrehte nur die Augen, deutete wortlos auf die zwei Teller, auf denen bereits Okonomiyaki dampften und spazierte mit leichtem Hüftschwung zum Tisch. Ryoga folgte brav hinterher - natürlich ausschließlich um sich nicht zu verlaufen.

Kurz quietschten die Stuhlbeine übers Holz, dann saßen beide auch schon und aßen.

Für eine Weile herrschte Stille – natürlich konnte es so nicht bleiben.

„Und?“, fragte Ukyo.

„Hm?“, fragte Ryoga zurück.

„Wann geh’n wir?“

„Jetzt dann am b…“

Der Sprachverlauf der Göttin in Ausbildung erlebte eine unerwartete Eiszeit.

„W-W-Wie bitte? Wir?“

„Jupp“, gab Ukyo grinsend zur Antwort und schob sich ein Stück Okonomiyaki in den Mund.

„Eh-eh! Auf-keinen-Fall! Wer weiß wie Saotome drauf ist? Ich lass’ ihn nicht in deine Nähe.“

„Oh-ho, machste dir etwa Sorgen um mich?“, lächelnd beugte Ukyo sich ihrer Bedienung entgegen.

Ryoga reagierte entsprechend und lief rot an.

„N-N-Nein. N-Nur nicht, d-dass du d-dich an ihn r-ranwirfst.“

„Ach Ryo-ga-chan, weshalb sollte ich das denn?“, flötete die Braunhaarige zuckersüß.

„Als ob ich eine Göttin wie dich aufgeben würde.“ Das zusätzliche Zwinkern ließ Ryoga verschämt seitwärts blicken und brachte ihr Blut erneut in Wallung.

„L-L-Lenk nicht ab! Du kommst nicht mit.“

„Oh doch, ich komm’ mit!“

„Tust du nicht!“

„Tu ich doch!“

„Nein!“

„Doch!“

Keine fünf Zentimeter entfernt voneinander verharrten beide Kontrahentinnen. Jede von ihnen halb über Tisch und Essen gelehnt.

Dann wurde Ukyo mit einem Mal ganz ruhig – und feixte.

Ryoga wusste spätestens in diesem Moment, das etwas stank. Und das war nicht das Okonomiyaki, trotz der Tatsache, dass sie dessen Geschwister jeden Tag mehrere Stunden lang roch. Ganz zu schweigen, ernäherte sie sich auch noch davon und das tagein, tagaus.

Keiner hätte ihr verübeln können – obwohl streicht das, Ukyo würde es ihr verübeln! -, wenn sie sich beim bloßen Anblick der Teigfladen übergeben müsste.

Nicht, dass sie bei ihrem eng angesetzten Arbeitsplan Zeit dafür hätte. Manchmal fand sie ja nicht einmal drei Minuten für die Toilette!

„Also einverstanden? Super, ich wusste du würdest mir zustimmen.“

„W-W-Wie? Was?“, stotterte die überrumpelte Junggöttin, doch Ukyo war schon mit ihrem geleerten Teller zur Spüle verschwunden und eilte kurz darauf die Treppe hoch.

Ominös knarrte jede Stufe in Ryogas Ohren.

„Ja aber… wie?“

Verdattert blinzelte das Halbmädchen von dem Platz ihr gegenüber zur Spüle und von dort zum Treppenhaus.

Wie kam es, dass niemand ihr zuhörte, geschweige denn ihren Willen respektierte?

Unter einem müden Seufzen ergriff sie ihre Stäbchen, teilte ein Stück vom inzwischen erkalteten Okonomiyaki ab und führte es mit einem „Na dann, guten Appetit!“ an den Mund.

Zehn Zentimeter – es rumpelte in der Etage über ihr.

Sechs Zentimeter – die oberste Stufe der Treppe knarrte.

Drei Zentimeter – die unterste Stufe knarrte.

Ein Zentimeter – die Stäbchen verharrten.

Es genügt zu sagen, dass Ryogas Frühstück ab da zum Abschied winkte und einsam auf den Teller zurückfiel. Dafür wurde die Junggöttin unter Protestrufen am Handgelenk aus dem Ucchan’s geschliffen. Ein Stupsen drehte das Schild auf GESCHLOSSEN und eine Schlüsseldrehung ließ das Schloss befriedigend klacken.

„Mein Frühstück!“

„Du kriegst später eins!“

„Jetzt ist es aber morgens – ich will es jetzt!“

„Sei nicht so sein Baby!“

„Ich bin kein Baby!“

„Dann komm’ gefälligst mit!“

„Aber mein Frühstück!“

„Da hast du’s. Schon wieder beschwerste dich!“

„Tu ich nicht!“

Ins warme Zitronengelb der Sonne getaucht, blieb das Ucchan’s hinter dem streitenden Pärchen zurück. Ein paar Vögel stimmten wie zum Abschied ein Pfeifkonzert an, das die beiden Mädchen jedoch zugunsten ihres Wortwechsels ignorierten.

So trugen ihre Füße die Köchin und die Göttin unweigerlich zum Tendo-Dojo.

Was sie dort allerdings erwarten würde, entzog sich jeder gesunden Vorstellung. Daher war es gut, dass sie sich erst gar nicht weiter damit beschäftigen.

Denn hiermit hatten die beiden nur den ersten Schritt auf einer sehr merkwürdigen Odyssee gemacht - eine Odyssee, die Ryogas sonstige Reisen wie Trips in den Streichelzoo aussehen lassen würde.

Schlag auf Schlag.

Obwohl es noch früher Morgen war schien die Sonne bereits strahlend hell und grell herab. Die Kois im Teich schenkten dem Wasser ein Aroma von Fischsuppe und das Gras stand reglos im Garten.

Es herrschte völlige Windstille und es drohte ein schwüler Tag zu werden.

Kasumi sah nach draußen und lächelte die Welt an. In ihrem Falle lächelte die Welt sogar zurück.

So rührte sie vergnügt den Reis im Topf, huschte zum Schneidebrett und von dort zum Kühlschrank und vice versa. Heute würde ein aufregender Tag werden, da war sie sich ganz sicher.

Von oben her dröhnte bereits das Rumpeln vereinzelter Schritte.

Akane war also aufgewacht.

Hierauf folgte eine kurze Stilleperiode, die ausschließlich durch Kasumis stetes Rühren gestört wurde – nicht das stören das richtige Verb hierfür wäre.

Kasumi konnte selbstverständlich niemanden stören. Sie konnte nur im Hintergrund eine Geräuschkulisse bilden, für die man jeden anderen ins Krankenhaus befördern würde, sie jedoch freundlich anlächelte und dann seiner Wege ging, um ihr nicht allzu sehr zur Last zu fallen.

In Ermangelung eines besseren Wortes war Kasumi eine Friedensquelle. Egal wer das Tendo-Dojo auch in Flammen setzte, herausforderte oder Akane entführte – stets stellte man sich zuerst bei ihr höflich vor.

Die älteste Tendo mochte das. Denn solange jemand höflich fragte, hatte sie natürlich nichts dagegen, wenn Freunde zum Spielen kamen. Ansonsten würde Akane und Ranma noch langweilig werden. Und junge Leute brauchten ja soviel Spaß und Unterhaltung.

Lächelnd strahlte sie die Sonne an und die Sonne strahlte zurück.

Ein hartes Knallen von oben erweckte Kasumis Unmut.

In der Praxis senkte sich ihr Lächeln von ‚engelsgleich’ zu ‚engelsgleich mit dem Verlust einer Feder’. Aufmerksam neigte sie den Kopf und lauschte.

Sie musste nicht lange lauschen.

Ein Geräusch wie eine Feuerwerksexplosion ertönte und beförderte etwas mit einem lauten Platschen in den Teich. Außerdem keifte jemand aus dem Fenster der zweiten Etage.

Hatte Onkel Genma wohl Ranmas pubertäre Stimmungswechsel vergessen?

Verständnislos - so verständnislos wie Kasumi nur sein kann – schüttelte sie den Kopf und hörte das feuchte Trapsen von Schritten. Herr Saotome sollte wirklich mehr Rücksicht auf Ranma nehmen, jetzt da dieser sich endlich ein wenig auslebte.

Sicher, sein neuer Kleidungsstil war etwas merkwürdig, aber so waren junge Leute nun mal die Tage.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 8 – Schlag auf Schlag.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Eine Etage höher entließ die Dämonin ein Keuchen. Ihre Wangen waren rot und in ihre Augenlider zwischen Schlaf und Wachsein fixiert.

Unbeschreiblicher Zorn züngelte in ihrem Brustkorb und ebendieser Zorn schlug mit einem Kriegshammer gegen die Barrieren ihrer Vernunft.

Wie gerne hätte sie diesen alten Idioten gebraten. Der Wunsch danach war beständig größer geworden.

Erst meckerte der Alte gestern Abend und meinte, sie könnte ruhig mal wieder zum Jungen werden. Als sie diesen Vorschlag ‚feurig’ ablehnte, probierte er sie im Schlaf mit warmen Wasser zu übergießen.

Und wie als wäre gestern nichts vorgefallen, da weckte er sie heute Morgen – mit einem Tritt! Im Anschluss schwadronierte er etwas von Training und Männlichkeit, aber davon hatte sie kaum mehr etwas mitbekommen.

Vielmehr hatte sie allen ihren aufwallenden Zorn zurückdrängen müssen, um ihren Unterschlupf nicht schon am ersten Tag bis auf die Grundmauern niederzubrennen.

Ein solcher Ausrutscher könnte nämlich Aufmerksamkeit erregen.

Wenn sie Pech hätte, würde sogar die oberste Stelle das erfahren – was sehr schlecht wäre. Schließlich tat sie diesen Ausflug ohne jede Genehmigung.

„Ranma, Akane – es gibt Frühstück. Kommt doch bitte runter.“

Missbilligend starrte der Rotschopf zu Boden und hätte im Augenblick nur zu gerne eine Flammenwalze in das untere Stockwerk gejagt.

Sie konnte dieses Mädchen nicht ertragen! Sie war freundlich, höflich, geduldig und lächelte mit der Vehemenz einer Statue.

WAS war diese Göre?

Ein Paar Füße in einem Paar weißer Socken drangen in ihren Sichtbereich ein. Unwirsch fegte der Blick der Höllenbrut hoch und ins Gesicht des Störenfrieds – und wurde gelangweilt ignoriert.

„Kommst du endlich? Kasumi wird sonst noch ungehalten.“

Es war wieder dieses blauhaarige Mädchen, diese Akane. Wenn die Erinnerungen ihres Körpers stimmten, so war das die Verlobte des Jungen.

Vielleicht konnte sie sich ja einen Spaß mit dieser erlauben?

Gedacht - getan.

Sie legte ein extra laszives Lächeln auf, dehnte den Kragen ihres Ledertops etwas und fächelte sich Luft zu. In jeder Sekunde war sie darauf bedacht, möglichst viel von ihrem Ausschnitt zu zeigen.

Gänzlich unbeeindruckt wartete ihre angebliche Verlobte, die Arme verschränkt.

„Wenn du jetzt fertig bist, können wir dann runter gehen?“

Verdutzt musterte die Dämonin die unverfrorene Sterbliche.

„A-A-Aber…“

„Ranma oder wie auch immer du dich jetzt nennst – es tut mir leid dich zu enttäuschen, aber es gibt niemanden in diesem Haus, der nicht mindestens einmal deine Brüste gesehen hätte.“

„Oh.“

„Kommst’ jetzt?“

„O-Okay.“

Schweigend folgte die Dämonin dem Menschenmädchen und kam sich unbeschreiblich dumm vor. Da war ihr dämonisches Blut endlich in einem Körper erwacht und dann ausgerechnet in dem eines völligen Opfers des Wahnsinns.

Wie sollte sie die Weltherrschaft übernehmen, wenn man sie noch nicht mal in diesem Haus ernst nahm?

Sie kam sich vor wie eine Karikatur dessen, was sie anstrebte zu sein – sozusagen vom Weltenherrscher zum Pantoffelputzer.

Eine verbissene Miene verbreitete sich auf ihren Lippen.

Oh nein, sie würde sich schon durchsetzen. Sie würden noch alle vor ihr kauern!

Sie war immerhin eine Dämonin zweiter Klasse, zweiter Kategorie mit…

„Fisch?“

Genau, sie war eine Dämonin zweiter Klasse, zweiter Kategorie mit Fisch.

Fisch?

Konfus sah sie sich um und wurde ihrer Umgebung gewahr.

Sie saß am Tisch, die anderen ebenfalls.

Fragend blinzelte sie zum freundlich lächelnden Mädchen mit Pferdeschwanz, das sie soeben angesprochen hatte.

„Wie meinen?“

„Möchtest du Fisch Ranma?“

„Eh – nein. – es traf sie ein tadelnder Blick von Kasumi – Nein danke, meine ich natürlich.“

Zufrieden nickte Kasumi und bediente sich sodann selbst.

Gequält seufzte die Höllenbrut auf. Niemand würde eine Dämonin wie sie respektieren, die sich von Menschen herumkommandieren ließ.

Verschlagen musterte sie die Tischgesellschaft. Sie musste ein Exempel statuieren.

Irgendetwas Böses musste ihr einfallen, etwas infernalisches, diabolisches, etwas…

Augenblicklich schnappte sie ihrem so genannten Vater den Fisch weg und verschlang ihn mit einem Happs. Missgünstig sah sie seitwärts und war völlig überrumpelt, als Genma seine Arme um sie schlang und sie an sich presste.

„Mein Sohn ist wieder zurück! Soun, Akane, Nabiki, Kasumi – mein Sohn ist wieder da!“

Hilflos stürzten die Augen der Dämonin von dem Dicken, der sie hielt, zu dessen hageren Freund und zu seinen drei Töchtern. Sie nickten alle unisono.

„H-Hey!“, protestierte sie schwach, wurde aber von Genmas Liebesbeweisen – im wörtlichen Sinne – erdrückt. Also tat sie das nächstbeste; sie verpasste ihm einen Kinnhacken.

Zornig schnaufend sah sie vom Teich, in dem er gelandet war zu den anderen Anwesenden.

„Ich-bin-nicht-Ranma!“, dröhnte ihre Stimme und ihre Augen brannten wie Frostbeulen.

Die Tendos aßen unbekümmert weiter.

Schließlich war Soun der erste der Stellung bezog.

„Schön zu sehen, dass das gestern nur eine Phase war Ranma. Könntest du jetzt wohl wieder etwas Normaleres anziehen?“ Der Ton des Tendo-Patriarchen klang unbekümmert und freundlich.

„Ja aber…!“

„Sei von nun an besser vorsichtig Saotome“, riet Nabiki, lächelte beunruhigend und verschwand die Treppe hinauf. Ihre Essstäbchen zielten allerdings geradewegs auf den Rotschopf.

„W-Was?“

„Entschuldige dich heute gefälligst bei Mousse und Shampoo und lass’ diese perversen Avancen, kapiert?“

„A-A-Aber…“

Ihr dünnes Stimmchen wurde erneut in Grund und Boden gestampft, diesmal von Kasumi.

„Das freut mich aber Ranma, dass es dir wieder besser geht. – kurz verharrte ihr Sprechfluss und sie legte den Zeigefinger an die Lippen – Du bekommst außerdem Besuch. Ryoga und Ukyo werden vorbeikommen.“

Unschuldig lächelte der Engel des Hauses den Dämon am Tisch an und begann abzuräumen.

„W-Wie? Was zum Teufel ist ein Ryoga? Und ich bin NOCH IMMER ein Dämon! Übergeht mich nicht!“

„Sicher, sicher“, säuselte Soun und nahm seine Zeitung auf, breitete sie aus und verschwand hinter dem großformatigen Papier.

Ranma – oder vielmehr die korrumpierte Variante – stellte den Sichtkontakt zum ältern Mann jedoch rasch wieder her. Und zwar, in dem sie die Kritik an erhöhten Reperaturkosten, das Eintreffen hunderter Tiefgebiete über Nerima, die allergische Reaktion eines Transvestiten auf Insektengift und die Gesuchanzeige für den Victoria-Secret-Katalog Nr. 134 in Flammen steckte.
 

Soun starrte verblüfft auf seine Zeitung. Oder zumindest dorthin, wo das Wetter gestanden hatte. Dann wechselte sein Blick von der linken zur rechten Hand. In beiden hielt er jeweils eine Todesanzeige und den nächsten Termin für die Papierabfuhr.

Erst eine volle Minute später widmete er sich dem Aggressor.

In kühlem und überlegenem Ton stellte er unerbittlich fest.

„Die war neu.“

Ranma reagierte mit eine gehässigen Grinsen.

„Und? Was willst du dagegen machen?“

Das Tendo-Dojo bot von außen einen adretten Anblick. Es war sehr traditionsbewusst errichtet worden und zeigte keinerlei Zeichen von Verfall.

Augenblicklich spielte das Sonnenlicht übers Dach, spiegelte sich auf den Fenstern und beschien den friedlichen Hintergarten mit dem Koi-Teich.

Mit einem femininen Schrei landete Ranma in ebendiesem Teich.

Soun Tendo seinerseits lächelte, ignorierte die beleidigten Proteste der platschnassen Dämonin geflissentlich und machte sich auf die Suche nach einer weiteren Zeitung.
 

Die Dämonin kochte – und mit ihr die Fische im Wasser.

Wie konnte dieser Sterbliche es wagen Hand an sie zu legen?

Knurrend ballte sie eine Faust und schlug auf die Teichoberfläche, woraufhin eine Miniatursturzflut nach allen Seiten hin wegsprengte. Verärgert hüpften die Koikarpfen in der verbliebenen Pfütze auf und ab.

Ihre Rache würde fürchterlich sein! Sie würde die Leute mit ungenießbarem Essen quälen, ihre Wände einreißen, Todesdrohungen verkünden und diese Blauhaarige entführen.

Oh ja, solchem Leid waren diese Sterblichen noch nie zuvor begegnet!

Genüsslich schmunzelte die Dämonin, streckte ihren Rücken durch und stapfte aus der Senke hervor, da warf sie plötzlich den Kopf herum.

Verkniffen starrte sie zur Begrenzungsmauer und anscheinend dadurch hinaus. Ein schwacher Wind tanzte an ihr vorbei und ließ ein paar lose, rote Strähnen wie wütende Schlangen flattern. Ihre Augenbrauen rückten zueinander, ihre Finger begannen unmerklich zu zittern und vereinzelte Flammenzungen leckten ihr nervös übers Haar.

Ihr Grinsen aber war breit und teuflisch.

Wie hatte die älteste Tendo-Schwester nicht so schön gesagt?

„Besuch“, raunte Ranma, ließ ihre Knöchel knacken und die Flammen auf ihren Haarspitzen tanzen. Sie freute sich schon jetzt darauf - ihr wurde bereits richtig warm ums Herz.
 

Indes gingen Ryoga und Ukyo nebeneinander her – und das alles andere als einträchtig.

So ignorierten sie sich entweder, zischten einander an oder Ryogas Magen grummelte plakativ.

Obwohl die Sonne ihr bestes tat, um die beiden zu erfreuen, schaffte besagtes ‚Pärchen’ es trotzdem in den Minusgraden der Fröhlichkeit zu bleiben. Dieser Miesmut lag nicht allein daran, dass der Junggöttin ihr Frühstück abging; wenngleich ihr Bauch schon bei der bloßen Nennung von Okonomiyaki Salti schlug.

Es war vielmehr einem Unwohlsein zuzuschreiben, das so alt war wie die meisten vom Menschen ausgebildeten Instinkte. Es war eine Empfindung, die geradezu ins Megaphon schrie: Dreht euch um! Hier gibt’s nichts zu sehen!

Unnötig zu erwähnen, dass sowohl Ryoga als auch Ukyo so konstant wie stur auf das Tendo-Dojo zuhielten. Zwar stellten sich ihnen die Härchen auf dem Rücken durchaus auf; aber man wurde kein Kampfsportler, ohne der Gefahr mehrfach ins Auge zu blicken, sich zum Schnürsenkelbinden zu bücken und ein Handvoll Sand ins besagte Auge zu werfen.

Oder anders gesagt - sie ließen sich nicht weiter von den Signalen ihrer Körper abbringen.

Ebensowenig von dem berühmtberüchtigten Schlechten Gefühl, das wie eine C4-Detonation ihre Mägen misshandelte.

Trotzdem hätten spätestens die Vogelschwärme, die sich hektisch in alle Richtungen verströmten und in Kolonien, hoch über ihren Köpfen, ihr Heil in der Flucht suchten, ein Hinweis sein sollen.

Nichtsdestotrotz standen ein Mädchen und ein halbes wenig später vor dem Eingang zum Anwesen der Tendos.

„Ukyo?“

„Hm?“

„Dass ist das erste Mal, das ich durch dieses Tor gehe“, bemerkte Ryoga scherzhaft

„Ich weiß. Warum erwähnst du’s?“
 

Weitaus weniger scherzhaft sackte dem Neomädchen eine Schlammlawine aufs Herz. Ihr zitternder Zeigefinger war keine drei Zentimeter vom Klingelknopf, sie selbst keine drei Schritte vom Grundstück und ihr Schicksal keine drei Gedankensprünge von Ukyo entfernt.

Wie gut für die orientierungslose Gottheit, das ihr der Himmel seine Unterstützung entsandte.

So wurde ihr Fauxpas von niemand anderem als der Göttin des Hauses ausgebügelt.

„Ah Ryoga! Und Ukyo ist auch dabei. Schön, dass ihr euch Zeit genommen habt.“

Verblüfft blickte das Okonomiyaki-Duo zum Engel des Hauses, der soeben das Tor geöffnet hatte. Ryoga sah zu Ukyo und Ukyo zu Ryoga.

Die unausgesprochene Frage hing im Raum, ob denn der jeweils andere bereits geklingelt hätte. Woraufhin beide nur mit einem hilflosen Schulterzucken antworten konnten.

„Kommt doch rein, Ranma freut sich sicherlich euch zu sehen.“

Da man auf eine solche Aussage nichts repondieren kann und sich das bei Kasumi ohnehin erübrigt, folgten die Jugendlichen dem älteren Mädchen.

In gemäßigter Geschwindigkeit wurden sie durchs Haus geführt, begegneten dem kalkulierenden Blick Nabikis und nickten den ewigen Gô-Spielern auf der Quasi-Veranda zu.

Plötzlich blieb Kasumi stehen und nur ein abrupter Halt von den Gästen verhinderte eine Kollision.

„Hallo Ranma, sieh’ mal, du hast Besuch.“

Breit grinsend drehte sich der Rotschopf um und ihre Augen funkelten wie hunderte Eiskristalle. Trotz der warmen Sonne, lief Ryoga ein kalter Schauer über den Rücken und ein ungekanntes Grauen überfiel sie.

Augenblicklich – kaum, dass sie in die Augen des Rotschopfes sah – wusste sie, dass DAS nicht Ranma war. Wer oder was es auch war, hatte in etwa soviel mit Ranma gemein wie sie selbst.

Und bei Gott, dass war nicht viel. Immerhin hoffte sie das.

Unbewusst trat Ryoga einen Schritt zurück und knirschte mit den Zähnen. Hastig schüttelte sie den Kopf, aber die schwarzen Dämpfe verschwanden nicht. Ebendiese wirbelten nämlich jetzt um Ranmas Körper und schnappten wie tausende Schlangen in Richtung der Junggöttin.

Litt sie jetzt schon an Wahnvorstellungen?

Neben ihr hörte sie Ukyo aufgeregt nach Luft schnappen. Also hatte sie sich doch nichts eingebildet!

Wenn selbst Kuonji auffiel, dass ihr Verlobter eine eigenartige – eigenartig lebendige - Aura abgab, so halluzinierte die junge Göttin ja vielleicht doch nicht?

Zugegeben, so gesehen, war Saotomes Aura noch das Geringste, was bisher an diesem eigenartig war. Ranmas ganzer Lebensstil, einschließlich seiner sozialen Kompetenzen qualifizierte als eigenartig. Ganz zu schweigen von dessen Ignoranz, Arroganz, Stumpfsinnigkeit,…

Aber eine Hasstirade auf die Quelle ihres ewigen Unglücks hatte hier nichts zu suchen.

Dafür war die Situation zu ernst. Das konnte sie jetzt – da sie sich wirklich auf die Luft und ihre Umgebung konzentrierte – geradezu körperlich fühlen.

Ryoga linste seitwärts und erfasste Ukyos Gesicht, auf dem sich noch immer Schock widerspiegelte.

„Ukyo? Alles in Ordnung?“

Argwöhnisch spähte die Göttin zweiter Klasse zurück zu dem Rotschopf und fixierte deren beunruhigendes Lächeln. Es war ein so bekanntes Lächeln, das sie diesmal jedoch mit einer dunklen Vorahnung erfüllte.

„L-L-L-L-L…“, brabbelte Ukyo derweil neben ihr her.

„L? L-was?“

„Ranchan trägt Leder!“

„Oh“, konstatierte Ryoga hierauf und nahm ihren Rivalen etwas genauer unter die Lupe. Woraufhin sie in ihrem Gesicht deren Haarfarbe annahm und gekünstelt hüstelte.

„Was? Sag’ bloß, dir is’ das nicht aufgefallen?“, beschwerte sich Ukyo.

Ryoga beschloss hierauf nichts weiter zu antworten.

Denn Göttern sei gedankt, musste sie das auch nicht. Ranma kam ihr nämlich zuvor.
 

„Wen haben wir denn da?“, flötete die Dämonin und stemmte einen Arm in die Hüfte.

Mit schiefgelegtem Kopf musterte sie die beiden Neuankömmlinge.

Das Mädchen – Ukyo Kuonji riet ihr der Verstand des Körpers – stellte keine größere Gefahr dar. Sie mochte zwar ein Kampfsportler sein, aber konnte sich schon früher nicht mit ihrem Wirt messen. Umso geringer waren ihre momentanen Chancen auf Erfolg.

Das andere Mädchen dahingegen war geradezu in heiligem Licht gebadet. Diese konnte eine ernstzunehmende Herausforderung darstellen. Sie war nämlich eine Göttin.

„Nachdem ihr beide so schweigsam seid, erlaubt mir mich vorzustellen. – der Dramatik wegen reizte die Dämonin den Moment etwas aus – Ich bin... Verdammt!“

Und wie es der Zufall wollte, wurde sie einmal wieder unterbrochen. Erstaunlicherweise von einem verirrten Eimer voller Wasser.

Es schien fast, als zöge dieser Körper das an!

Glühend vor Zorn wandte die Höllenbrut ihren Kopf und starrte den Schuldigen an. Pardon, die Schuldige.

Unbekümmert kehrte Kasumi auf die Terrasse zurück, einen Korb trockener Wäsche unterm Arm und ein gütiges Lächeln auf den Lippen.

Kurz neigte die Dämonin dazu ihre spirituellen Muskeln spielen zu lassen, aber dann bewog diese nervige innere Stimme sie dazu, ihr Hauptquartier zu berücksichtigen. Wenn sie das Dojo jetzt in Flammen setzte, bekam sie es mit mehr Publikum zu tun, als sie haben wollte.

Also atmete sie tief durch und widmete sich erneut ihrem Besuch.

Wobei der erwähnte Besuch sie ein wenig ungläubig in Augenschein nahm und einander fragende Blicke zuwarf.

Schnell beschloss sie die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.

„Ich bin Dämonin zweiter Klasse, zweiter Kategorie mit unlimitiertem Zugriff. Meine Spezialität ist Missmut und mein Name…“

Nervös blickte sich die Höllenbrut um. Erst, als sie sich abgesichert hatte, fuhr sie fort.

„Mein Name ist…“

Aus dem Nichts traf sie ein Eimer am Kopf, schleuderte sie zu Boden und überschüttete sie einmal wieder mit eiskaltem Wasser.

Triefend und dampfend ballte sie eine Hand zur Faust.

„Es reicht! Ich hab’s dicke! Bis hier hin! Ich jag’ euch in die Hölle!“
 

„Keine Chance.“

Verblüfft über die reflexartige Antwort, starrte Ryoga die Dämonin an.

Die nun ihrerseits mit verkniffenen Augen zurückstarrte.

„Du wagst es mir zu widersprechen?“

„Ich wage auch ganz andere Dinge!“

„Dann biste herzlich dazu eingeladen!“

„Danke auch!“

Ein Räuspern stahl Hibikis Aufmerksamkeit, die sie sodann an ihre Chefin richtete.

„Ukyo?“

Die Okonomiyaki-Bäckerin stand noch immer neben ihr, war aber völlig verstummt. In ihren Augen tanzte Unglauben und ihre Fäuste zitterten lautlos.

„Ukyo?“, hakte Ryoga behutsam nach, nur um deren bitterbösen Blick zu ernten.

„Was soll DAS?“, begleitend hiermit deutete das einzige echte Mädchen auf ihren Verlobten, eh ihre Verlobte, die sich damit begnügte genüsslich zu feixen.

In einer beschwichtigenden Geste hob die Junggöttin die Hände und lächelte – wie sie hoffte – beruhigend.

„Ich hab’ keine Ahnung?“

Nicht, dass ihre ehrliche Antwort dabei half.

„Du hast keine Ahnung, weshalb mein Verlobter mit einem Mal eine korrumpierte Domina ist?“

„Ja?“, bot Ryoga an und zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„Wofür hab’ ich eine Göttin, wenn sie noch nicht mal so was weiß?“

Jetzt wurde die Stirnbandträgerin sauer.

„Ach so – jetzt bin ich also dämlich? Und meine Künste im Bett genügend dir auch nicht? Probier’s dann doch mal mit der Domina da, du scheinst ja sehr an ihr zu hängen!“

„Typisch! So typisch, immer bringst du das gleiche Argument!“

„Ach ja?“

„Ja!“
 

Perplex verfolgte die Dämonin die Szene.

Nahm sie hier denn überhaupt jemand ernst? Es genügte ja nicht, dass die Leute auf diesem Anwesen sie für eine wenig interessante Jahrmarktattraktion hielten. Aber das selbst die ultimative Gegengewalt zu ihr – eine waschechte Göttin – sie zugunsten eines Liebesstreites ignorierte, ging eindeutig zu weit.

„H-Hey Leute?“, probierte sie höflich und wurde ignoriert.

Beständig feuerten Köchin und Göttin Beleidigungen aufeinander ab. Im Augenblick wirkte das Pärchen beängstigender als die Dämonin, die ihrerseits zunehmend entnervter wurde.

„Habt ihr’s bald?“, keifte sie nun entrüstet.

Keiner antworte ihr. Man nahm sie ja nicht einmal wahr! Zu abgelenkt schienen die Mädchen, als dass sie sich mit der Höllenbrut aufhielten.

Okay, dann würde sie deren Interesse eben anderweitig wecken.

Vorfreudig flackerten Funken über ihr Haar, segelten herab aufs Gras und schwärzten es wo immer sie auftrafen. Die Luft oberhalb ihrer Handfläche flimmerte undeutlich wie über Asphalt im Sommer.

„Fangt!“

Mit der bedeutenden Ausnahme, dass die nachfolgende Flammenwalze keine optische Täuschung war – und dass das Schlimmste, was man sich auf flimmerndem Asphalt holen kann, Blasen sind.
 

Ryogas Sakkijutsu – oder anders gesagt, ihr Äquivalent zum Martinshorn – plärrte urplötzlich los. Während ihre Augen sich gerade mal erst weiteten, war sie bereits längst auf Ukyo zugestürzt und beförderte ihre beiden Körper gemeinsam aus der Gefahrenzone.

Dass das ein weiser Entschluss gewesen war, bewies die kohlefarbene Schneise, die sich keine Sekunde später von Ranma zur Terrasse, durchs Gô-Brett und die Front des Hauses gebrannt hatte.

Zornig warf Ryoga einen Blick zur Dämonin, die ihrerseits grinsend verharrte.

„Jetzt Zeit für mich?“

Ryoga fletschte ihre Reißzähne.

„DARAUF kannste wetten!“

Knurrend richtete das Neomädchen sich auf, fegte ein paar Strähnen aus dem Sichtfeld und begab sich in Kampfstellung.

Eine Hand an ihrem Seidenärmel ließ sie innehalten. Unwirsch sah sie zurück und in Ukyos Gesicht. Diese schüttelte nur betont den Kopf.

Langsam und wackelig zog sich das Mädchen an der Göttin hoch, atmete tief durch und adressierte sodann ihren dämonisierten Verlobten.

„Was ist mit dir passiert Ranma?“

Die Dämonin seufzte enerviert und spähte uninteressiert auf ihre Fingernägel.

„Ein letztes Mal erklär’ ich’s noch, ’kay?“

Ryogas kalte Miene und Ukyos intensiver Blick indizierten deren ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Ihr beide kennt den Fluch dieses Körpers, nicht wahr?“

Die Art und Weise, in der das unheilige Wesen sprach, machte klar, dass sie die Antwort darauf wusste.

Indes wurde die Junggöttin ein wenig panisch. Ihr Bauchgefühl versprach überhaupt nichts Gutes!

Als sie Ranmas Augen begegnete, grinste deren Eigentümerin selig und zwinkerte der Bedienung wissend zu – wie als wollte sie sagen: Du kennst den Fluch sogar noch besser, gell?

Ryoga wurde mit einem Mal ganz anders.

Deswegen war Ukyo die einzige, die zustimmend nickte.

„Diese Quelle entstand nicht, weil ein Mädchen dort ertrank. – das Grinsen des Dämons wurde zynisch – Sondern ich.“

Damit fing ihr Haar Feuer und das Flimmern von vorhin erfasste ihren ganzen Körper, angriffslustig setzte die Dämonin einen Fuß vor und winkte Ryoga näher.

„Lust auf ein Höllentrip?“, spottete der Rotschopf und lächelte einladend

Ryogas Miene war unverändert geblieben und sie schüttelte Ukyos Griff um ihren Ärmel sachte ab.

„Aber…“

Die Göttin schüttelte sanft den Kopf.

„Kein-Wort. Okay? Ich kämpfe, halt’ du dich zurück.“

„Aber!“

„Bitte Ukyo. Halt dich zurück. Nur diesmal.“

Widerwillig nickte die Köchin und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.

Dankend nickte das Halbmädchen zurück und wandte sich wieder ihrem Gegner zu.

„Eine Frage noch“, stellte Hibiki fest und ließ ihre Handgelenke abwechselnd knacken.

„Recht neugierig, eh? Na gut, eine letzte noch.“

„Ist Ranma von dir besessen?“

Nachdenklich tippte die Dämonin mit ihrem Zeigefinger an die Lippen.

„Nicht ganz. Seine ganze Essenz ist mit meiner Energie durchzogen. Meine Kontrolle über ihn kannst du als Besessenheit bezeichnen. Aber die dämonischen Kräfte? Ne.“

Unerwartet lächelte die Göttin, knackte zum Abschluss ihre Fingerknöchel und brachte ihre Fäuste nach vorn.

„Sehr gut. Dann muss ich mich ja nicht zurückhalten.“
 

Soun und Genma sahen auf den Garten hinaus und verfolgten das Geschehen.

Es war schließlich nicht so, als ob sie etwas anderes tun könnten. Immerhin war ihr Gô-Brett nunmehr Kleinholz. Nein, streicht das. Kleinholz konnte man zumindest noch zum Einheizen verwenden, allerdings war nicht einmal mehr dafür genug vorhanden.

Deprimiert wechselten die beiden Patriarchen vereinzelte Blicke, ehe sie aufseufzten.

„Weißt du Saotome, ich mochte dieses Brett.“

„Nicht nur du Tendo, nicht nur du.“

„Es war so fein gearbeitet und die Steine so glatt.“

„Oh ja, dass waren sie. So glatt, dass sie einem fast aus den Fingern rutschten.“

„Das taten sie, nicht wahr Saotome? Ja, dass taten sie.“

Melancholisch fixierten sie den Aschehaufen, der ihrer Melancholie mit – nicht wirklich unerwarteter - äscherner Ignoranz begegnete.

„Saotome?“

„Hm?“

„Was hältst du von Shôgi?“

Einige Minuten sinnierte Genma über diese Frage und rieb sich das Kinn.

„Wir könnten’s mal wieder probieren.“

Soun lächelte wie ein Haifisch beim Anblick einer Sardelle.

„Aber du weißt doch sicher Saotome, das du mich nicht besiegen kannst, oder?“

„Abwarten Tendo, abwarten.“

Und so ging der legendäre Kampf zwischen den beiden Schwesterschulen des Musabetsu Kakuto Ryu weiter – wenngleich auch nur auf dem Spielbrett.
 

Etwas ernsthafter verlief die Auseinandersetzung zwischen Himmel und Hölle im Hintergarten.

Die ersten Sekunden hatten beide Kontrahenten ausschließlich ihren Gegner unter die Lupe genommen. Jeder von ihnen bedacht darauf, eine wesentliche Schwäche im Stil oder der Stellung des anderen zu finden.

Es dauerte nicht lange, da griff der erste auch schon an.

Der Angreifer war Ryoga und ihre Faust schnellte wütend voran. Ranma federte in den Knien, spreizte ihre Beine zu einem Spagat und wartete bis der Arm der Göttin unter ihr vorbeisegelte. Dann klammerte sie sich mit ihren Fingern darin fest und schlug ihre Beine vor sich zusammen – mit Ryogas Kopf dazwischen.

Der Treffer war hart. Soviel musste sich die himmlische Gestalt eingestehen, als es in ihren Ohren surrte und sie unbeholfen zurückstolperte. Indes hatte Ranma mit einem geschickten Rückwärtssalto etwas Distanz zwischen sie beide gebracht.

„Oooooh. Das gefällt mir“, schmunzelte die Dämonin und führte mit kindlichem Interesse mehrere Tritte in die Luft aus.

Ryogas Groll wuchs, doch sie drängte ihn bestimmt zurück. Es war wahrscheinlich ihrer neuen Einsicht – namens Logik und Geduld - zu verdanken, dass sie den größten Fehler in ihren bisherigen Kämpfen begriff.

Wenn sie kämpfte, wurde sie zum Berserker.

Das Problem war, dass jeder Berserker nur eine begrenzte Ausdauer besitzt.

Ranma aber war wie der Regen. Entweder war der Regen zu schnell, zu langsam oder scheinbar überall. Genau so war Ranma. Du glaubtest ihn zu treffen und doch verfehltest du.

Und ihre ewige Rage hatte sie dem gegenüber blind gemacht.

Also schnaufte sie gepresst durch und brachte beide Fäuste hinter sich.

Erneut katapultierte sie sich vorwärts. In drei schnellen Sprüngen stand sie vor Ranma, rutschte auf die Knie und stieß ihrem Gegner die Beine weg.

Das überraschte Keuchen quittierte sie mit einem Lächeln, ergriff im Vorbeirutschen die hochgeschleuderten Beine und zog Saotome mit sich.

Den Gesetzen der Gravität folgend knallte die bezopfte Dämonin auf die Wiese und schlitterte hinter Ryoga her.

Kaum war die Rutschpartie vorbei, da rollte die Göttin sich ab und verhielt in einer Defensivposition. Trotzdem gönnte sie sich ein kleines Grinsen.

„Ist das alles? Ranma hat wesentlich mehr drauf als du.“

Die Dämonin erwiderte das Grinsen unerwartet.

„Scheint als müsst’ ich etwas mehr geben, eh?“

Erneut trat der Rotschopf mehrfach in die Luft, wechselte das Standbein und trat nochmals zu. Als sie damit augenscheinlich zufrieden war, führte sie mehrere Hiebe mit ihren Fäusten aus, mischte ein paar Tritte hinein und verwandelte sich alsbald in einen Hurrikan aus Schlägen.

Nach der kleinen Vorführung verharrte sie, schüttelte ihre Gliedmaßen aus und warf Ryoga einen herausfordernden Blick zu.

„Jetzt dürft’s klappen.“

Argwöhnisch festige die Göttin ihre Verteidigung und wartete ab.

Sie musste nicht lange warten.

Während Ranma einen Moment vorher noch fünf Meter entfernt stand, war sie gleich darauf bereits in Hibikis Deckung.

Dem Hammerschlag von oben wich die Dämonin flink seitwärts aus, tänzelte um Ryoga und rammte dieser ihr Knie von hinten in den Oberschenkel.

Sofort reagierte Ryoga mit einem Ausfallschlag, unter dem sich Ranma allerdings wegduckte und mehrere Schläge in ihren Bauch verteilte. Ein weiteres Mal versuchte sich die Junggöttin mit einem vernichtenden Hammerschlag zu wehren, doch verschwand Ranma kurzerhand zwischen ihren Beinen und schwang sich daraufhin hoch.

Was dann folgte, war eine Attacke, der Ryoga nie zuvor begegnet war. Denn ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, als Ranma sie lernte und das erste und einzige Mal anwandte, war sie – wie so häufig – unterwegs gewesen.

„Haku Dato Shin Shô!“

Ein kleines Sturmfeuer an Schlägen entlud sich in Hibikis Rücken, ließ deren Augen aufgehen und sie grunzend vorwärts stolpern.

Gerade noch fing sie sich und vermied es zu fallen. Ihr Rücken pochte trotzdem leidenschaftlich.

Was zum… Himmel war das gewesen?

Ihr war Ranmas Kachu Tenshin Amaguriken bekannt – kein Wunder, bedachte man wie häufig sie am anderen Ende der Attacke gestanden hatte. Allerdings war ihr diese Variante gänzlich fremd.

Und vor allem – warum tat das SO weh?

Ihre Rückenmuskulatur fühlte sich rau an und protestierte gegen jede Bewegung.

Was war das für eine Technik?

Düster musterte Ryoga ihren Rivalen und begab sich direkt in die Offensive. Unter einem Grollen setzte sie auf Ranma zu und verteilte einen Hagel von Schlägen – denen ihre Gegnerin entweder auswich oder an ihren Armen abgleiten ließ. Indes war die Dämonin nicht weniger aktiv und teilte ihrerseits emsig aus.

Auf diese Weise flogen für die nächsten Minuten Schlag um Schlag, Tritt um Tritt und mitunter die vereinzelte Kopfnuss. Doch je weiter der Kampf fortschritt, desto mehr dämmerte es Ryoga..

Sie verlor – mal wieder.

„Verdammter Mistkerl bleib’ stehen!“, knurrte sie und hieb erneut auf besagten Mistkerl ein, nur um erneut zu verfehlen.

„Seh’ ich so dumm aus?“, lächelte der Dämon, krümmte sich um die Schläge und verpasste Ryoga für jede Übertretung des Sicherheitsabstandes ein paar harte Tritte ins Gesicht.

Dieses Spiel ging solange weiter, bis die Göttin schließlich zurückwich und ihren Atem sammelte. Heiß und bebend zischte die Luft zwischen ihren Zähnen hindurch.

„Ist das alles?“, echote Ranma Ryogas Spruch und legte neckisch den Kopf schief.

Ein letztes Mal schnaufte die Bandanaträgerin durch, stählte ihren Körper und sprang in einem mächtigen Satz auf die wenig beeindruckte Dämonin zu.

Wie nicht anders zu erwarten, wich Saotome mit einem kleinen Schritt rückwärtig aus und zog schon das Bein für einen weiteren Tritt zurück.

Womit sie anscheinend nicht gerechnet hatte, war, dass der Grund und Boden zu ihren Füßen explodieren und sie empor schleudern würde.
 

Reflexartig nahm sie den Arm vors Gesicht, um ihre Augen vor dem Dreck und den Steinsplittern zu schützen. Zornig zischte sie und konsultierte die Kenntnis ihres Körpers.

Bakusai Tenketsu, eh?

Mit einem Mal kam aus der Staubwolke unter ihr die Gestalt Ryogas gesprungen.

Ächzend neigte die Dämonin den Kopf zur Seite und entging knapp dem Kinnhacken, allerdings nicht der unmittelbaren zweiten Faust, die sich ihr in den Magen bohrte.

Unschwer zu erraten, dass das nachfolgende rasselnde Keuchen aus ihrer Kehle stammte. Kraftlos taumelte sie durch die Luft, kam ungeschickt auf und schlitterte übers Gras.

Das dumpfe Klatschen von Sohlen auf ebendieses Gras folgte keine zwei Sekunden später und so wich der Dämon nur durch ein rasches Abstoßen vom Untergrund dem Tritt Ryogas aus.

Grazil packte sie dafür Hibikis Bein und trat der Göttin im Gegenzug ein weiteres Mal ins Gesicht, woraufhin diese mit tränenfeuchten Augen zurückstolperte.

Wie es schien, hatte sie die kleine Göttin etwas unterschätzt. Das war ein Fehler, den sie nicht wiederholen würde. Immerhin besaß diese Göttin dieselben Wurzeln wie ihr jetziger Wirtskörper.

Denn so wie Kasumi die purpurnen Tätowierungen auf den Wangen der Dämonin hatte sehen können, so nahm diese auch den Schatten des Junges in der Göttin wahr. Und ein erneutes Konsultieren der Kenntnisse ihres Körpers hatte ihr einiges offenbart – unter anderem die makaberen Essensgewohnheiten ihres Alter Egos, aber auch weitaus produktiveres -, etwa dass es sich bei der Göttin in Wirklichkeit um ihren ältesten Rivalen handelte.

Die Dämonin konnte ein Grinsen nicht ganz verkneifen. Die Situation war ja auch zu perfekt.

So fand der Kampf Gut gegen Böse zwischen zwei Kindheitsfeinden statt. Wenn das mal kein Stoff für eine Erzählung wäre!
 

Ryoga atmete schwer und rieb sich das Kinn. Kritisch beäugte sie die Bluttropfen, die auf ihrem Handrücken klebten und starrte dann zu Ranma.

Nur war diese verschwunden.

Hastig hechtete Hibikis Blick von links nach rechts und sie lauschte auf ihren Gefahrensinn. Doch so bemüht sie auch lauschte, blieb ihr sechster Sinn stumm.

Nervös ließ das halbe Mädchen ihre Augen schweifen. Jedes Rascheln bedachte sie mit einer hektischen Drehung ihres Körpers, aber sobald sie die Stelle fixierte, kam das Geräusch bereits von anderer Stelle.

Dieser Feigling!

„Traust du dich nicht mir wie – abrupt stockte sie und räusperte sich – eine FRAU entgegenzutreten?“

„Doch“, flüsterte jemand in ihr Ohr und trat ihr in die Kniekehle.

„Verdammtes Ass, ich werde dir wohlmöglich wehtun!“

„Wohlmöglich?“, flüsterte es von ihrem anderen Ohr und ein weiterer Tritt traf die zweite Kniekehle.

Unsanft kippte Ryoga vorwärts und verwandelte ihren Fall in letzter Sekunde in eine Rolle. Mit zitterenden Beinen stand sie auf – und fiel beinahe wieder um. So allmählich hatte sie die Schnauze voll hiervon! Der übliche Ranma ging ihr schon gehörig auf die Nerven. Diese Version allerdings war noch viel teuflischer – irgendwie selbsterklärend -, hinterhältiger – ein Dämon muss schließlich sein Image bewahren – und gerissener – nicht wirklich schwer.

In kurzen Worten mochte Ryoga die Dämonin noch weniger als ihren Erzrivalen.

Und DAS wollte etwas heißen.

„Komm’ endlich raus!“

„Kannste haben.“

Überrascht wirbelte Hibiki herum, war aber doch zu langsam, um den Schlaghagel ins Gesicht abzufangen. Ihr Konter wurde geschickt umgangen, indem Ranma sich unter ihrer Achsel hindurch auf ihre Schultern schwang und ihre Waden um Ryogas Kopf klemmte.

Sehr fest und sehr ausdauernd klemmte, muss hier dazu gesagt werden.

Das zusätzliche Gewicht der Dämonin war es allerdings nicht, was die Göttin taumeln ließ. Es war das Kappen ihrer Luftzufuhr, das Ranma mit diesem Trick erzielte.

Fröhlich kicherte die Höllenbrut über ihr und beugte sich zusätzlich nach hinten, um den Druck auf Ryogas Halsschlagader zu erhöhen.

Auf diese Weise nahm es keine fünf Sekunden in Anspruch, ehe die Göttin in die Knie ging und ihre Finger schwach in Gras und Erde krallte.

Derweil räkelte sich die dämonische Präsenz geradezu am stillen Röcheln ihrer Gegnerin, die so langsam unter ihrer – zwar banalen, aber wirkungsvollen - Hebeltechnik den Geist aufgab. Ob dieser nun heilig oder nicht war, würde Ryoga in dieser Situation auch nicht wirklich weiter weiterhelfen.

Schwärze legte sich wie eine stickige Wolldecke über sie, die Luft schmeckte abgestanden und ein pelziges Gefühl überzog ihre Zunge. Ihre legendäre Stärke wich der eine neugeborenen Kätzchens.

Über sich hörte sie das melodische Kichern Ranmas, den Gesang des Wassers aus dem Teich neben ihr und ein störendes Zischen in der Luft - fast so wie bei einem mechanischen Bienenschwarm.
 

Die Dämonin lächelte auf ihr Opfer herab.

„Wie peinlich auf diese Weise abzutreten. – nachdenklich legte der Rotschopf einen Finger an die Lippen, während sie die Welt kopfüber betrachtete - Aber immerhin ist’s besser als’n Kochtopf, nich’?“

In ihrem Amüsement beging sie jedoch den größten aller Fehler. Sie vergaß ihre Umgebung.

Und so bemerkte sie das heraneilende Zischen fast zu spät. Wie gut für sie, dass es das Wort fast gab.

So stieß sie sich gerade rechtzeitig von der semi-komatösen Ryoga ab, um drei Mini-Spathulas durch die Stelle fliegen zu sehen, die sie soeben noch okkupiert hatte.

Wütend warf sie den Kopf herum und erblickte das Menschenmädchen, das gemeinsam mit der Göttin angekommen war. Ukyo hieß sie, war anscheinend eine der vielen Verlobten ihres Wirtskörpers und ging ihr bereits jetzt gehörig auf die Nerven.

Wie gut, dass sie genau das richtige Mittel besaß, um ihrer Rage Abhilfe zu verschaffen.

Im einen Augenblick war sie da – im nächsten verschwunden.

Und wiederum im nächsten stand sie genau vor dem langhaarigen Mädchen, grinste diese breit an und zog ihre Faust für einen ordentlichen Schlag zurück.

Umso verwunderter war sie, als dieser keine fünf Zentimeter vor dem Gesicht der Köchin erlahmte. Argwöhnisch blinzelte sie zu ihrem Handgelenk, das fest von fünf Fingern umklammert war.

Dem Prinzip der Völkerwanderung folgend verteilte sich ihr Blut dorthin, wo mehr Platz war und ließ die Druckstellen zunehmend weißer werden.

Von den Eisenfingern zuckelte ihr Blick über den Arm, blieb kurz an der schönen Qualität der Seide hängen und landete letztendlich auf der forschen Miene Ryogas.

Ehe deren Faust sie unbarmherzig niederstreckte.

Allerdings ließ die Göttin ihr gar nicht erst die Zeit Bodenkontakt herzustellen, sondern zog sie an ihrem Ledertop zurück zu sich. Nur, um sie daraufhin in einer einzigen, brutalen Bewegung einzuebnen und zwar Kopf voraus in die Erde.

Es genügt zu sagen, dass sich die Dämonin schon mal frischer gefühlt hatte.
 

Das wusste auch Ryoga und gönnte sich ein selbstzufriedenes Grinsen, ehe sie den Rotschopf auf Augenhöhe zog. Kurz schüttelte sie das Halbmädchen mit Lederfetisch und atmete erleichtert aus, als diese sich – bis auf das vereinzelte Röcheln – nicht rührte.

Erst dann erlaubte sie sich nach Ukyo zu sehen.

„Was sollte das?“, herrschte die Bedienung ihre Chefin an.

„W-Wie bitte? Was sollte was?“, repondierte diese ihrerseits ungehalten.

„Ranma hätte dich treffen können!“, schnauzte Hibiki

„Wenn eine gewisse Frau Großmaul von Fangzahn besser aufgepasst hätte, wäre es nie soweit gekommen“, rechtfertigte Kuonji.

„Ach – jetzt bin ich wieder Schuld?“

„Na du wolltest es ja unbedingt im Alleingang durchziehen!“

„Weil ich nicht will das du in Gefahr kommst!“

„Ich kann schon auf mich aufpassen!“

„Ach ja?“

„Ja!“

„Gut, wenn du dar…“, begann Ryoga, stockte dann allerdings.

Ganz langsam sah sie zurück zu ihrer eigentlichen Kontrahentin – und stierte in deren grinsendes Gesicht.

„Yo!“, grüßte diese und schleuderte ihre Fäuste nach vorne.

Was sich hieran anschloss, war ein wahnsinniges Stakkato von Hieben, das Ryoga wuchtig gegen Wange, Nase, Stirn und Kiefer traf. Hunderte Treffer gleichzeitig verzeichnete die Göttin in weniger als acht Sekunden. Schmerzerfüllt stöhnte sie, als das bereits so stark in Mitleidenschaft gezogene Gesicht erneut Bekanntschaft mit Ranmas Knöcheln schloss.

Damit endete Saotomes Angriff jedoch noch lange nicht.

Geschickt ergriff diese Ryogas Schultern, federte ein wenig in den Beinen und trat dann unvermittelt beidseitig in die Hüftgelenke der Göttin.

Die darin befindlichen Kapseln protestierten kreischend unter der enormen Belastung und nahmen ihr jeden klaren Gedanken. Um diesen Druck irgendwie abzuschwächen, beugte sich Ryoga vorwärts und tatsächlich setzte Ranma ab – allerdings nur, um ihr mit dem Knie in die Wange zu schmettern.

Unter einem leidvollen Grunzen stolperte Ryoga rückwärts und wurde mehrfach in den Bauch getroffen. Sobald sie den Kopf vorbeugte, traf sie auch schon das nächste Knie.

Ihre Schmerztoleranz war überlastet. Sie mochte sich schon häufig mit Saotome geprügelt haben, aber diese Schlagabtausch stellte alles bisher da gewesene in den Schatten.

Sie kippte hintenüber.
 

„Lass Ryoga in Ruhe!“

Ukyo hatte genug gesehen. Egal was ihr diese Idiotin auch sagte, sie würde nicht dabei zusehen wie ihre… Bedienung grün und blau geschlagen wurde. Das war immer noch ihr Job!

Apropos Job – sie musste der Göttin doch kein Krankengeld zahlen, oder?

Solcherlei Überlegungen verschob sie auf später, stürzte vor und hieb mit der Spathula zu. Immerhin hätte sie das gerne, doch hatte sie da anscheinend ihren korrumpierten Verlobten unterschätzt.

Dieser, eh diese war nämlich jäh empor gehüpft und – um sozusagen eins draufzusetzen – auf der Fläche ihres Kampfspachtels gelandet. Dort hockte die Dämonin nun und grinste keck.

„Wer wird sich denn da einmischen?“, raunte sie Ukyo zu und zwinkerte schelmisch.

„Ich!“, schnaubte die Kampfköchin, ließ ihre Waffe los und versetzte der Höllenbrut eine gerade Rechte.

Erstaunlicherweise traf ihre Faust.

Nicht, dass das einen Unterschied machen würde, denn der Rotschopf stand nur kalt lächelnd vor ihr und leckte sich über die Lippen.

„So. Jetzt bin ich dran“, verkündete sie gefährlich still und schenkte Ukyo ein bedrohliches Lächeln, das jählings verschwand.

Irritiert legte die Dämonin den Kopf schief und seufzte gespielt. Ihren Ellbogen, der keine Handbreit vor Ukyos Nase zum Halt gekommen war, senkte sie langsam.

Erschrocken wich die Kuonji-Erbin zurück.

Sie hatte den Angriff überhaupt nicht kommen sehen!

Aber - warum hatte Ranma diesen abgebrochen?

Eine schmerzerfüllte Stimme diente sogleich als Antwort hierauf.

„L-Lass’ Ukyo i-in Ruhe.“
 

Ryoga fühlte sich gar nicht gut. Überhaupt nicht gut.

Ihr war schummrig, wurde ständig schwarz vor Augen und sie hatte – von allen Dingen auf der Welt! – Hunger. Vielleicht hätte sie mal lieber doch auf ihr Frühstück bestanden.

Der Rotschopf drehte sich ihr zu und Hibiki verlor keinen Augenblick, um erneut anzugreifen.

Sie machte sich keine Illusionen. Sie hatte bereits zuviel eingesteckt, um Ranma durch reine Technik besiegen zu können. Was sie benötigte, waren Tonnen an Hufeisen, um das Kampfesglück zu wenden!

Trotzdem – eventuell konnte sie ja das Überraschungsmoment retten?

Deswegen war es auch mit voller Entschlossenheit, das sie ihre Faust zum Schlag hob und niedersausen ließ. Möglicherweise würde ja alles glatt laufen?

Tatsächlich rührte sich die Dämonin nicht einmal. Sie bot ergo die perfekte Zielscheibe.

Spätestens hierbei hätten der Göttin Zweifel kommen müssen.

Sie war jedoch viel zu müde, erschöpft und angenervt, um weiter als bis zum nächsten Happen Essen zu denken.

Das sollte sich als schwerer Fehler herausstellen, denn ehe sie sich versah, hatte Ranma erneut zugegriffen. In einem perfekten Judowurf schleuderte die Dämonin sie zu Boden, ließ allerdings nicht los. Stattdessen kam ihr Fuß auf Ryogas Schultergelenk nieder und raubte ihr kurzzeitig völlig den Atem. Damit verbunden verdrehte der Rotschopf noch ihr Handgelenk und strapazierte damit nicht nur dieses, sondern zuzüglich das in ihrem Ellbogen.

Anders gesagt, war Hibiki hiermit effektiv festgenagelt.

Zähneknirschend probierte Ryoga ihren Arm zu befreien und erlitt nur einen plötzlichen, heißen Schmerz im Arm. Geschockt sah sie zu Saotome auf.

Das war Jiu Jitus! Seit wann beherrschte Ranma die Schule der Sanften Kunst?

Erneut rührte die Göttin ihren Arm und konnte nur einen Schrei unterdrücken.

Sie war fixiert!

Egal wie sehr sie sich auch anstrengte, sie würde sich nur selbst verletzen.

„Weißt du – begann die Dämonin über ihr und lächelte auf sie herab -, ich bin recht erstaunt. Ehrlich gesagt, hätte ich nicht gedacht, dass dieser Kampf so lange dauern würde. Kompliment an deine Ausdauer.“

„I-I-Ich werd’ dich verletzten“, knurrte sie.

„Wünscht’ dir wohl, eh?“, schnurrte das verteufelte Mädchen und lachte, wobei sie simultan Druck auf Ryogas Gelenke gab.

Deren Augen wurden augenblicklich mit Tränen überflutet und ihre Eckzähnchen bohrten sich in die Unterlippe.

„Gutes Mädchen, schön liegen bleiben. – kurz kämpfte Widerwillen übers Gesicht der Dämonin – Oder sollte ich lieber JUNGE sagen?“

Wenn die körperlichen Schmerzen bisher nicht schlimm gewesen wären, so war es diese Aussage, die Ryoga wie eine Dampframme erwischte.

„Du Mis-Mistück“, grollte sie.

Schmunzelnd warf Ranma den Kopf zur Seite und starrte in Ukyos Richtung. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, als sie neben der Köchin das blauhaarige Mädchen vorfand.

„Hey Ukyo, willst du deinem FREUND nicht zu Hilfe kommen?“

„Freund?“, echote die Köchin verständnislos, indes Akane vor ihr schützend Position bezog.

„Ranma, hör’ auf damit! Lass’ sie in Ruhe!“
 

„Ruhe? – repondierte die Dämonin und kicherte – Ruhe ist das letzte, was ich möchte. Ich will Chaos!“

Amüsiert sondierte sie den Ausdruck auf Kuonjis Gesicht, der sich allmählich von Unverständnis zu Bestürzung wandelte.

„W-Was meinst du mit Freund?“, fragte die Köchin schließlich.

Ranma verdrehte Ryogas Armgelenk fröhlich, entlockte dieser ein Grunzen und linste verspielt in den sonnigen Himmel.

„Sag’ mir nich’, dass du die Musterung IHRES Stirnbandes nicht bemerkt hättest?“ Neugierig schielte sie zur Kampfköchin und weidete sich an deren Miene.

„Das kann nicht sein!“, behauptete diese.

„Oh? Denkste? Was meinste dazu Ryoga?“ Gleichsam mit der Frage legte die Dämonin noch ein bisschen mehr Druck auf den Arm der ewigen Wanderin. Jene reagierte nur mit einem gequälten Grunzen und enthielt sich einer Antwort.

„Na ja, wenn du still sein willst.“ Gleichmütig zuckte die Dämonin die Achseln und grinste zu Ukyo hinüber.

Diese wiederum ignorierte den Rotschopf völlig und starrte anklagend zur Bandanaträgerin und unbezahlten Arbeitskraft. Ihr schienen wirklich die Worte zu fehlen.

Freudig beschloss der Dämon noch eins drauf zu setzen und rieb sich die Hände – natürlich nur mental, denn physisch hätte es keine gesunden Auswirkungen Ryoga loszulassen; zumindest nicht für sie.

„Lasst’s mich mal so sagen, dass selbst ihr Holzköpfe es kapiert. Ryoga und Ryoga sind ein Herz und eine Seele.“ Nicht minder selig lächelte sie und zwinkerte Akane zu, deren Augen plötzlich sehr weit wurden.
 

Die jüngste Tendo schnappte nach Luft.

Sie erinnerte sich augenblicklich daran, wann Ranma diesen Spruch zuletzt gesagt hatte. Es war bei diesem Match gegen Kodachi gewesen, da ihr Verlobter das stolz verkündet hatte.

Damals hatte sie als eine der wenigen den Witz dahinter verstanden. Nicht, dass sie es als sonderlich lustig empfunden hätte.

Nichtsdestotrotz wusste sie, dass Ranma mit diesem rhetorischen Spagat auf seinen Fluch anspielte. Aber wenn er, eh sie jetzt bei Ryoga genau dieselben Worte verwendete, konnte das doch nur heißen, dass…

Fassungslos spähte sie zu der gedemütigten Göttin. Tatsächlich fiel ihr erst jetzt der gelbe Stoff auf, der zwischen ihren Haaren hindurchblinzelte. Gleiches galt für ihre Eckzähne, die sich dem Mädchen – Nein, dem Jungen! – in die Unterlippe bohrten.

Wie konnte das sein? Seit wann besaß Ryoga einen Fluch wie Ranma? Und überhaupt…

Mit einem schlechten Gefühl schielte sie seitwärts und erfasste Ukyos Profil.

Dieses sprach Bände über deren Gedanken.

Also hatte Ryoga ihr ebenso wenig davon mitgeteilt, dass ‚sie’ in Wirklichkeit ein ‚er’ war.
 

Ryoga zog den frischen Geruch des Grases und das erdige Aroma des Bodens auf. Ihre Augen hielt sie geschlossen und unterdrückte die Tränen.

VERDAMMT!

Der Tag, vor dem sie sich seit jeher gefürchtet hatte, war gekommen. Sie war aufgeflogen, enttarnt und gedemütigt worden. Genau wie in allen ihren Horrorvorstellungen war es Ranma, der ihrem Herz den Todesstoß verpasste. Anders als in ihren Vorstellungen von damals war dies nicht vor Akane und sie kein Schwein.

Eventuell machte es das aber sogar noch schlimmer. Denn obwohl sie ein Mensch, nein, eine Göttin war, fand sie sich unfähig dieses Schicksal abzuwenden.

Sie selbst hatte vorgehabt Ukyo das Geheimnis ganz langsam, sozusagen portionsweise zu enthüllen. Aber natürlich hielt sich das Leben nicht an den Wünschen seiner Passagiere auf. Das Leben war ein Zug, der seine Haltestellen selbst bestimmte – oder eventuell ließ er ja auch einen Hibiki ans Steuer. DANN war dieser Zug sogar noch unberechenbarer.

Ryoga grunzte erneut, als sie den Versuch unternahm aufzustehen. Und erneut übte Ranma Druck auf ihre Gelenke aus und ließ sie bitter aufstöhnen.

Selten hatte sie ihrem Rivalen ernsthaften körperlichen Schaden zufügen wollten. Heute allerdings würde sie für nichts mehr garantieren.

Ein weiteres Mal hatte Ranma – wenngleich es vielleicht auch nicht ganz seine Schuld sein mochte – ihr Leben zerstört. Diesmal aber würde er, eh sie nicht so leicht davon kommen!

Aber um Rache zu üben, musste sie sich erst befreien.

„Aber wie?“, murrte sie und ihr Gegner legte den Kopf interessiert schief.

„Was sagtest du Ryoga?“

„N-Nichts, w-w-was d-dich was a-anginge.“

„Ryoga, Ryoga. DAS ist der Grund, weshalb du keine Chancen bei den Mädchen hast. Du schweigst einfach zu viel. Es is’ ganz allein deine Schuld, dass Ukyo sauer is’. Mal ehrlich, ein fremder Typ in ihrem Haus, der sich als Bedienung ausgibt? Also Mut haste.“

Zornig ballte die Göttin eine Faust.

Sie musste sich aus dieser Lage befreien – UND Ranma den Schädel einschlagen. Ja, dass musste sie auch. Falls möglich bald und gründlich.

Sie brauchte Kraft und diese Kraft musste sie in sich suchen. Irgendwie musste sie ihre Nemesis besiegen. Verzweifelt biss sie die Zähne zusammen und machte sich schon bereit ihren Arm zugunsten ihrer Freiheit zu opfern, da stoppte sie.

Was war das für ein Geräusch?

Ein Rauschen drang an ihre Ohren. Es war das Geräusch tausender Wasserfälle in einem Regentropfen. Ungetrübt und kraftvoll stürmte die Welle an Tönen durch ihr Bewusstsein und ließ sie die Welt um sich herum vergessen.

Plötzlich hörte sie noch etwas anderes. Unter großer Anstrengung drehte sie den Kopf zum Teich und lauschte. Tatsächlich konnte sie das Wasser wispern hören. Es war der Gesang des Wassers, der ihr zurief. Es war genau der Gesang, den sie schon zuvor mitbekam, als Ranma ihr die Luftzufuhr abgedrückt hatte.

Aber was half ihr das? Es war ja nicht so, als könnte sie mit Wasser werfen!

Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.

Obwohl werfen klang gar nicht mal so schlecht, wenn sie sich’s recht bedachte.

Bemüht unterdrückte sie alle Empfindungen – was verdammt viele waren - und konzentrierte sich auf einen Zeitpunkt, der nun schon Wochen zurücklag. Es war ihr an diesem leidigen Tag nach ihrer Verwandlung passiert; und zwar im Bad der Tendos.

Mal sehen, ob das zweimal klappte.
 

Der Dämonin wurde so allmählich langweilig.

Anstatt verschiedener Vorwürfe war die Okonomiyaki-Bäckerin völlig still geblieben und auch Akane begnügte sich damit, ihr sporadisch böse Blicke zuzuwerfen.

Außerdem bot die Göttin unter ihr keinerlei Widerstand mehr auf. Enttäuscht seufzte der Rotschopf.

Sollte sie ihrer Gegnerin einfach den Arm brechen und den Kampf fortführen?

Kurz erwog sie dies, ließ den Vorschlag aber rasch fallen. Das wäre doch jämmerlich.

Da kämpfte sie seit eineinhalbtausend Jahren das erste Mal wieder gegen eine Göttin und dann sollte dieser Kampf so enden?

Sie wollte ein opulentes Finale. Himmel und Hölle sollten aufeinander treffen, alles in Schutt und Asche verwandeln und das Böse sollte zum Schluss knapp über das Gute triumphieren.

So oder so ähnlich hatte sie sich das ausgemalt.

Aber das hier enttäuschte sie einfach nur.

Na ja, brechen wir ihr halt den Arm.

Lässig verdrehte sie die Hand noch ein wenig mehr, lauschte auf den Protest der Knorpel und Knochen und drückte noch ein klein – wenig – mehr.

Dann traf sie etwas von hinten, das sich wie ein Kleinbus anfühlte und katapultierte sie meterweit von ihrem Opfer fort und Gesicht voran ins Gras.

Irritiert warf sie einen Blick zurück und zog die Augenbraue hoch.

Ja, woher denn…?

Neben ihr lag ein Wanderrucksack und obenauf geschnallt ein roter Bambusschirm. Unschuldig ruhte die Monstrosität eines Gepäckstücks keinen halben Meter von ihr und verhielt sich ansonsten bedeckt und schweigsam. Es war schließlich nur Gepäck.

Zornig schnaubte die Dämonin und verfolgte ihre Flugstrecke zurück zum Ausgangspunkt. Dort erhob sich ihre Kontrahentin, bewegte ihren starren Arm und funkelte sie finster an.

Der Dämon grinste.

Na vielleicht würde es ja doch noch interessant werden?
 

Ryoga knurrte kehlig.

Erst jetzt nachdem der Schmerz ihren Arm verließ und einer wohltuenden Taubheit Platz machte, begriff Ryoga die Tragweite der letzten Minuten.

Ein Kloß setzte sich in ihrem Magen ab, als sie den Kopf wandte. Der letzte Rest Hoffnung – der wirklich nur mehr ein Rest war – verließ sie, als sie Ukyos Augen begegnete.

Ryogas Welt brach von einem Moment zum nächsten in sich zusammen. Sie mochte zwar die ganze göttliche Enzyklopädie intus haben – auf eine solche Situation bereitete sie das ganze Wissen aber doch nicht vor.

Hilflos wich sie dem anklagenden Starren ihrer Chefin aus und schrumpfte zusammen.

„Ach komm’ Kumpel, andere Mütter haben auch schöne Söhne.“

Hibikis Stimmung schlug mit der Trägheit eines Sektkorkens unter Hochdruck um.

Anders gesagt; sie war fuchsteufelswild und genau so wirbelte sie auch zu ihrem Rivalen herum.

„Du Miststück! Ich werde dir größtmögliche Schmerzen bereiten! Nimm dich in Acht!“, zischte Ryoga.

„Und das Anschnallen nicht vergessen – danke für die Warnung“, feixte der Rotschopf und positionierte sich locker.

Augenblicklich war die Junggöttin auf den Füßen, die Fäusten geballt.

Gelangweilt wippte der Dämon dahingegen hin und her und gähnte herzhaft.

„Weißte, bis jetzt war’s ja ganz lustig und so. Aber wenn du nicht mehr drauf hast, gib’s auf.“

Hibiki knirschte mit den Zähnen.

Ihre Disziplin schwamm wohl oder übel unter ihren Füßen weg.

Unbeirrt davon führte die Höllenbrut fort.

„Du bist ’ne Schande für die Vertreter von oben. Du kämpfst wie’n Barbar, nich’ wie ’ne Göttin.“ Diese Aussage akzentuierte die Dämonin mit herausgestreckter Zunge.

Der letzte Überlebende von Ryogas Disziplin wurde kreischend von imaginären Wellen fortgerissen.

Die Bandana-Trägerin sah rot. Und zwar VIEL zu VIEL rot!

Ihrem Instinkt folgend krümmte sie Rücken und Schultern und brachte ihre Hände auf Augenhöhe nebeneinander. Das Flimmern ihres Chi begann unmerklich an ihrem Unterbauch und krabbelte von da aus über ihren Körper wie grünlicher Dunst. Zwischen ihren Handflächen aber sammelte sich giftgrünes Licht.
 

Ukyo saß kraftlos auf der Wiese. Neben ihr hatte Akane Stellung bezogen und warf nervöse Blicke von ihr zum Kampf.

Und was tat sie selbst?

Nun, sie versuchte ihr Weltbild zu reparieren, das soeben einen hübschen Schlag abbekommen hatte. Da half nämlich kein Kleben.

Ungläubig musterte sie das süße Mädchen keine Wutschrei entfernt. Dieses Mädchen sollte der cholerische Antikompass sein? Es sollte sich bei ihr um den Trottel handeln, der zu dumm war, einen einfachen Plan zu verfolgen?

Dieser ungeschliffene Kerl sollte eine Göttin sein?

Und was noch viel wichtiger war, er, eh sie hatte mit ihr geschlafen!

Kuonji wusste nicht, ob sie bei dem Gedanken lachen oder weinen sollte. Ausgerechnet der schüchternste Junge ganz Nerimas, ausgestattet mit dem Selbstvertrauen einer zertretenen Fliege, war ihr erstes Mal gewesen.

Noch dazu war auch sie sein erstes Mal und dass obwohl die Köchin wohl das einzige Mädchen war, dem gegenüber er, eh sie überhaupt kein Interesse bekundet hatte.

Was ging hier bitte vor sich?

Hätte im Augenblick weniger Weltuntergangsstimmung geherrscht, so hätte sie Akane wohl um ein Aspirin gebeten. Das hier waren einfach zu viele Informationen über einen zu kurzen Zeitraum. Es war so, als ob man tausend Zutaten auf ein Okonomiyaki täte. Es war totaler Irrsinn, es war unnachvollziehbar und allem voran unprofitabel!

Ukyo seufzte und schloss die Augen.

Wofür sollte sich auch weiterstarren? Da war nichts, was sie an diesem Mädchen nicht schon einmal gesehen hätte. Nicht, dass sie sich daran erinnerte irgendetwas gesehen zu haben. Aber letztendlich bleibt Mitgefangen auch Mitgehangen.

Ein Gefühl, nicht unähnlich einem Elektroschock erfasste ihren Bauch, boxte ein paar Mal kumpelhaft und verpasste ihr dann einen Hacken.

Konfus warf die Okonomiyaki-Bäckerin Blicke in die Runde.

Was war das für ein Gefühl gewesen?

Ihr suchenden Blicke fanden ihre ‚Liebhaberin’, die geradezu Wut und Depression wie Feuerwerkskörper zu Sylvester versprühte. Aber von ihr ging dieses Gefühl nicht aus.

Dann fanden ihre Augen Ranma und das kleine, selbstsichere Lächeln auf deren Lippen.

„Shishi…“

Schnell wechselte Ukyos Fokus von der Dämonin zur Göttin – und somit sah auch sie, weshalb erstere lächelte. Das Licht zwischen Ryogas Händen nahm keine Form an.

„-hokodan!“

Die gesammelte Energie verpuffte in einer farbigen Wolke und stürzte ziellos zu Boden, wo sie ein paar Grashalme zum Wippen brachte. Mehr bewirkte die Attacke allerdings auch nicht.

An solchen Startproblemen schien die Dämonin nicht zu leiden.

Ranmas rechter Arm warf weiße Funken in die Luft, als sie diesen vor riss. Unwesentlich später schoss eine glühende Feuerwalze auf Ryoga zu.

Die Göttin zweiter Kategorie stand erstarrt da und verfolgte verständnislos mit wie die die Flammen auf sie zurollten, das Gras filettierten und gleiches mit einer gewissen Göttin beabsichtigten.

Ukyos Denken nahm eine Auszeit, ihre Unentschlossenheit verdampfte angesichts des Feuers und so ergriff sie ihre Spathula, ehe sie vorwärts explodierte.
 

Ryogas Körper war stocksteif.

Nicht einmal ein Sturm hätte sie bewegen kennen. Zugegeben, selbst an einem guten Tag wäre das dem Sturm sehr schwer gefallen.

Die Feuerzungen preschten auf sie zu, trockneten ihre Kehle aus und ließen sie merkwürdigerweise an gebratenen Schinken denken.

Dann passierte es – und es passierte zu schnell.

Etwas sehr hartes katapultierte sie aus dem Weg des Feuers, indes das tobende Rot wie ein gedopter Schnellzug davonschoss.

Benommen sah Ryoga der Brandspur nach und zurück zu deren Ausgangspunkt. An einem Punkt parallel zu ihm ruhte eine angeschmolzene Spathula und kokelte vielsagend vor sich hin.

„U-U-U-U-Ukyo?“

Weitäugig spähte sie zu Ranma, die ihrerseits verblüfft auf die Waffe stierte.

„D-Das war so nicht geplant! Sie kam mir in die Quere – von ganz allein!“, protestierte die Dämonin hektisch.

„Du h-hast sie – du hast sie auf dem Gewissen!“, konstatierte Ryoga und ihre Stimme brach.

„K-Können vor lachen, ich hab’ nich’ mal eins!“

Die himmlische Kampfsportlerin fixierte das Metall nur fassungslos.

Göttin oder nicht – heute würde sie ihr Versprechen einlösen und Ranma Saotome umbringen.

Umbringen, umbringen, umbringen hallte es nach.

Ihre Eckzähne schnitten in die Unterlippe, ein Damm tief in ihr ächzte ein letztes, vergebliches Mal ehe er brach und eine Eiseskälte erfasste sie.
 

Kasumi stand in der Küche.

Ihre Lippen glichen einer geraden Linie. Kurz hob sie das Messer und hieb auf ihr wehrloses Opfer ein. Der Rettich war entzwei und die Küchenuhr hielt unversehens an.

Abwartend beobachtete die älteste Tendo-Schwester die stillstehenden Zeiger.

Ein wütendes Zischen entkam dem Wasserhahn, es folgte weißer Dampf und eine mittelstarke Sturzflut.

„Du gute Güte.“

Kasumi drehte den Hahn zu.

Zufrieden kehrte sie an ihr Schneidebrett und zum Rettich zurück.

Unvermittelt sprühte ein zweiter Wasserfall aus dem Hahn in Becken.

„Du bist aber lebhaft heute Herr Wasserhahn.“

Erneut drückte sie den Regler herab und kappte damit den Zufluss.

Eine Ebene über ihr begann ein ominöses Geräusch. Alsbald war es ein leises Rauschen.

Es war ein leises Rauschen, das etwas gegen sein begleitendes Adjektiv hatte und deswegen beständig lauter wurde.

Besorgt beugte Kasumi ihren Kopf aus der Küche und sondierte wie das Wasser die Treppe herunterkam und verschiedene Shampooflaschen mittransportierte.

Vater und Herr Saotome sahen Ranma und Ryoga derweil mit entgleisten Gesichtszügen beim Spielen zu. Dabei waren die Männer so abgelenkt, dass sie ihr davontreibendes Shôgi-Brett geflissentlich ignorierten.

Hinter ihr rumpelte die Wasserleitung und spuckte ihre spritzende Ladung auf Edelstahl.

„Jetzt aber wirklich Herr Wasserhahn“, mahnte Kasumi und hob missbilligend den Zeigefinger.

Sie wurde ignoriert – wie sie bald selbst bemerkte – und so setzte sie sich auf einen Küchenstuhl und beschloss den Wasserspaß ‚auszusitzen’.

Es war schon komisch.

Da heißt es: Alle Wege führen nach Rom.

Aber die Variante mit ‚Alle Wasser in den Garten’ war ihr neu.

Na ja, die Pflanzen freuten sich bestimmt trotzdem.
 

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Anmerkung des Autors:
 

Whew – was für ein Kapitel. Noch dazu eines mit gehöriger Überlänge wie ich zugestehen muss.

Nichtsdestotrotz bringe ich es in all seiner Glorie und Größe heraus, denn ich habe schließlich einen ‚Zeitplan’. Außerdem hoffe ich, dass IHR – also ihr werten Leser – einem größeren Kapitel nicht ganz abgeneigt sein werdet.
 

Außerdem hoffe ich, dass der Kampf zwischen Ranma und Ryoga soweit in Ordnung ging. Ich bin nämlich ein strenger Verfechter des „Glaubens der drei Kampfbeschreibungen.“

Was das im Klartext heißt?

Ganz einfach.

Man kann einen Kampf dynamisch, detailliert oder dilettantisch beschreiben.

Ich persönlich bevorzugte die detaillierte Variante, also nicht nur:

Ryoga greift Ranma an. „Ich bring’ dich um.“ Ranma besiegt Ryoga.
 

Ich möchte, dass ein Kampf gut nachvollziehbar ist, als Plattform für wichtige Ereignisse dient und mit coolen Wendungen und Techniken protzt. DAS ist für mich ein Kampf.

Und ich hoffe, dass ich auch genau DAS hinbekommen habe.

Ein Urteil überlasse ich allerdings euch Lesern. ;-)
 

Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

Kachu Tenshin Amaguriken = Diese Technik kennt jeder. Es ist nämlich Ranmas erste Amazonentechnik. Hierbei schlägt man eigentlich nur sehr schnell auf sein Ziel ein.

Das Geheimnis dieser Technik ist allerdings, dass man so schnell ist, dass der Gegner gar nicht folgen – ergo auch nicht Ausweichen – kann.
 

Haku Dato Shin Shô = Dies ist eine der Angriffssequenzen aus der Umisenken oder auch dem Schlag der tausend Ozeane. Um ehrlich zu sein, empfinde ich sowohl den deutschen Namen, als auch den englischen Namen als recht unschön – und vor allem verdammt schwer hervorzustammeln.

Diese Attacke basiert hauptsächlich darauf, den blinden Punkt des Gegners – also seinen Rücken – für den Angriff zu suchen, nachdem man sich zwischen dessen Beinen durchgezogen hat. Und was dann passiert? Eine sehr gründliche Massage.
 

Viel Spaß,
 

euer Deepdream.

Wie Feuer und Wasser...

Cologne gähnte und nahm einen tiefen Zug von ihrer Pfeife. Das helle Holz glänzte im einfallenden Sonnenlicht, indes sich der Rauch aus dem Kopfstück hervorkräuselte. Aus den Augenwinkeln schielte sie abwechselnd zum Telefon und zur offenen Tür.

Je nachdem, wo sich gerade mehr regte.

Zu ihrem Missfallen regte sich gar nichts.

Hierin lag auch der Grund für ihre Langeweile.

Langweile, das war ein Gefühl, dass Cologne hasste. Es hielt ihr nämlich sprichwörtlich den Spiegel vor die verschrumpelte Nase.

Viel gesehen, erreicht und erlebt zu haben, wies nämlich einen großen Nachteil auf.

Welcher das war?

Es blieb am Schluss nur wenig übrig, was die schläfrig gewordene Neugier noch wecken konnte.

Simultan mit dieser althergebrachten Wahrheit entstieg ihrem Hals ein weiteres Gähnen.

Ja, ja, die liebe Neugierde.

Das war ein Trieb, den man auch mit zweihundert Jahren noch nicht stillen konnte. Sie schlief zwar ein und verkroch sich wie eine alte, mürrische Katze – schlussendlich behielt sie aber immer ein Auge offen.

Es war Colognes große Schwäche, dass war ihr so klar wie ihre Herkunft.

Ihr abenteuerlicher Wissensdurst hatte sie viel im Leben gekostet und ihr besagtes Leben eher häufig als selten erschwert.

Doch mal ehrlich, in ihrem Alter hatte man entweder einen Laster oder lag – philosophisch gesprochen - unter einem. Happi war ja wohl das beste Beispiel dafür!

Der alte Knochen besaß heute noch mehr Energie im kleinen Finger als die meisten Jungspurte im ganzen Körper. Überhaupt, ging es um hübsche Höschen, dann war Energie gar kein Ausdruck mehr - dann wurde er zur Naturgewalt.

Gewiss, mächtig mochte er sein.

Allerdings war er aber auch abartig und pervers.

Nun gut, dass war er bereits in jungen Jahren gewesen, - gleiches galt für sie mit ihrer Neugierde; und beide Fehler zusammen war keine gute Mischung gewesen! - aber über die Jahrzehnte hatte er ein gewisses Talent für seine ‚Interessen’ aufgebaut. Bei Gott, er hatte eine Kampfkunst daraus gemacht!

Eine Etage über ihr polterte es lautstark und das dreimal, sehr hart und von drei Schmerzschreien begleitet. Es unterbrach ihre Überlegungen.

Lethargisch paffte sie an ihrer Pfeife – und verdrehte die Augen.

Es schien, als ob der Tellerwäscher erwacht war.

Hatte sich aber auch ganz schön Zeit gelassen das Jungchen.

„Dumme Ente loslassen, sonst Shampoo süßsauer machen!“

Hach ja, die Lebendigkeit der Jugend. Voller Elan zu kämpfen, zu lieben und zu…

„Aber Sham…“

Ein weiteres Poltern folgte, erschütterte die Becher und Tassen in den Schränken und wurde von einem gequälten Wimmern begleitet.

Ja, zu kämpfen, zu lieben und zu STREITEN.

Ihre verschrumpelten Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.

Es war schön zu sehen, dass ihre Schützlinge wieder fit für ihre täglichen Albereien waren. Nachdem Shampoo sich gestern ausgeschwiegen hatte und Mousse nicht wirklich ansprechbar gewesen war, hatte sie auf eine Bericht verzichtet.

Doch sie wusste, dass etwas vorgefallen sein musste.

Genüsslich zog sie an der Pfeife und stieß eine Wolke aus Rauch aus.

Na ja, eventuell würde sie schon noch rauskriegen was dieses etwas war.

Beiläufig warf sie einen Blick aus der offenen Tür.

Aus dem ‚beiläufig’ wurde rasch ein ‚milde interessiert’ und zwar als ihre Augen einer weiteren Unterhaltungsquelle des Viertels fündig wurden.

Es war dieser Kunojunge. Reich, verzogen und arrogant glaubte er Miyamoto Musashi selbst zu sein. Dabei war das einzige was er war ein Idiot. Dafür war er immerhin darin einer der Größten.

Amüsiert gackerte die Alte, als der Kendoist in Gedanken versunken in einen Laternenpfahl lief. Verdattert wich er einen Schritt zurück und maß die Säule mit Blicken – ehe er den Bokken von der Seite zog und schräg nach der Steinsäule schlug.

Ohne abzuwarten ging er weiter.

Nicht unerwartet rutschte der Laternenpfahl langsam entzwei und das obere Stück verabschiedete sich auf den Asphalt.

Als sich der untere Teil des Pfahls allerdings zehn weitere Male teilte und zu Boden glitt, zog Cologne die Augenbrauen hoch.

Wann hatte der Tölpel so viele Schläge angebracht?

Argwöhnisch hielt sie Ausschau nach dem Hobbysamurai, doch fehlte da schon jede Spur von ihm. Die tiefen Runzeln auf ihrer Stirn verbrachten das Unvorstellbare – sie runzelten sich noch mehr.

Hierzu nahm sie einen tiefen Zug von ihrer Pfeife, schmeckte den feinen Rauch auf ihrer Zunge und atmete zwischen krausen Lippen aus.

Wie es schien, würde ihr Wunsch doch noch erfüllt werden.

Interessante Zeiten standen vor der Tür. Wer war sie, dass sie diese nicht auf ein ausgedehntes Schwätzchen einlud?
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 9 – Wie Feuer und Wasser...
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Ryoga starrte auf die Grashalme zu ihren Füßen. Ihr Atem schwemmte heiß und rhythmisch über die Lippen, vor und zurück.

Immer wieder zischte die Luft über ihre Zähne wie Wasser über Fels. Ihr Temperament kühlte das jedoch nicht.

In ihr spie Gischt feurig gegen die Klippen ihrer Geduld, brachte sie zum Bröckeln und ihr Herz zum Tosen.

Sie war so voller Zorn und Trauer, dass ihren Mund kein Wort verließ. Nichts wollte sich von ihrer Zunge lösen, jedes Wort klebte daran wie nasses Papier.

Schnaufend setzte sie einen schweren Schritt nach vorne, ihren Kopf weiterhin gesenkt und die Arme an den Seiten baumelnd, die Hände zur Faust geballt.

Sie wollte Rache. Sie wollte Vergeltung. Sie wollte Saotome umbringen.

Ein kehliger Schrei strapazierte ihre Stimmbänder, entlud sich in die vormittägliche Luft und ließ ihren Gegner zögerlich zurückweichen.

Es folgte ein zweiter Schritt, der diesmal in einem sanften Platschen endete – und ein dritter, bei dem es spritzte. Beim vierten und fünften begann ein Kribbeln an ihren Schläfen, das sie mit einem einzigen Gedanken niederrang. Dieser Gedanke war RACHE.

Das Kribbeln wurde rasend, drängend und protestierte. Es war wie eine Durchgangssperre.

Und genau den Effekt einer Durchgangssperre bei einem Hibiki hatte sie auch - also keinen.

Störrisch durchstieß Ryoga die Limitierung ohne zu begreifen, dass es auch genau das war.

Es war eine Limitierung – und keine unwesentliche.
 

Die Dämonin fixierte ihre Gegnerin und fühlte sich dabei alles andere als wohl.

Das mochte einerseits an den unausgesprochenen Todesdrohungen liegen, die die Göttin in jeden ihrer Schritte legte.

Das mochte andererseits daran liegen, dass sie allmählich kalte Füße bekam.

Letzteres war durchaus wörtlich der Fall, denn egal wohin sie auch sah, breitete sich eine Wasserschicht im Garten aus, versenkte die Gräser und füllte den Teich auf. Als Konsequenz – schließlich stand sie in ebendiesem Garten – bekam sie kaltes Wasser an die Füße. Das sie Sandalen trug, half dem nicht gerade.

Über solche Unannehmlichkeiten hätte sie ja noch hinwegsehen können...

Leider galt selbiges nicht für den weißen Nebel, der um ihre himmlische Feindin aufzog.

Durchsichtig und doch unleugbar umfing er das andere Halbmädchen wie ein Sturm, bauschte ihr Haar auf und hinterlegte ihre bedrohliche Erscheinung mit einem netten Spezialeffekt.

Apropos Haar, jenes wurde – in Ermangelung eines besseren Wortes – durchflutet und zwar von einem fiebrigem Türkis wie es nur das Meer selbst kannte.

„Oh verdammte…“, murmelte die Dämonin und wich noch ein bisschen weiter zurück.

Gerade rechtzeitig, um den ersten Blick auf die Augen ihres Gegenübers zu erhaschen.

Sie waren von einem Braun, dass vom Alter tausender Bäume, der Geburt der Steine und den Erinnerungen der Erde selbst sprachen.

Außerdem glühten sie sehr unangenehm.

Wie sich im nächsten Moment zeigte, waren die Augen nicht das einzige was an Ryoga unangenehm geworden war.
 

In entschlossenen Schritten setzte Hibiki auf ihren Kindheitsrivalen zu. Sie spürte eine ungekannte Kraft in ihren Gliedern, die sie wie ein Monsun durchdrang. Myriaden an Tropfen reinster Energie schlugen in ihrem Inneren auf und füllten eine Leere, von der sie nie etwas geahnt hatte.

„RANMA!!!“

Die Faust zurückgezogen machte sie einen Satz, zog Nebelschleier nach und schlug in einem gewaltigen Hieb zu.

Der Schlag verfehlte zwar, der Untergrund riss aber trotzdem in alle Himmelsrichtungen auf und katapultierte Schlammbrocken durch die Luft.

In akrobatischen Meisterleistungen wich die Dämonin den Projektilen aus und trat ihrerseits hart zu. Diesmal traf ihr Kick allerdings nicht sein Ziel – sondern Ryogas Unterarm.

Dahinter grinste die Göttin ihr Reizzahngrinsen, packte mit der freien Hand zu und schleuderte den Dämon hoch. Jedoch hielt sie nicht viel davon Ranmas Fußgelenk loszulassen, anstelle dessen knallte sie den Rotschopf mit Schwung zu Boden und lauschte auf das erstickte Keuchen ihrer Kontrahentin.

Ohne Absetzen schleuderte sie das andere Mädchen nochmals hoch und erneut nieder. Und wie beim ersten Mal folgte ein gequältes Keuchen, als Saotome auftraf.

Es ist nämlich eine Sache einen Kopfsprung in den Pool zu machen, eine ganz andere mit dem Äquivalent von 60 Tonnen auf eine flache Schicht kühles Nass befördert zu werden.

Ryoga wusste das, es kümmerte sie aber nicht sonderlich.

Was sie kümmerte, war der gegnerische Axtkick der sie auf die Nase traf und die Dämonin aus ihrem Griff befreite.

Zornig grollte Hibiki und zog ihre Fäuste vor.

Saotome würde büßen! Viel zu lange hatte sie den Typen von der Schippe gelassen! Er sollte schon längst unter den Toten weilen. Sie war viel zu sanftmütig zu ihm gewesen und jetzt kassierte sie die Rechnung dafür.

Wie naiv sie doch gewesen war!

Er wäre eine Dämonin geworden? So ein Quatsch! Man konnte nicht von einem Dämon besessen sein, ohne selbst einen im Herzen zu tragen!

Die kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, die sie auf die – raren, aber trotz allem vorhandenen – Momente verwies, in denen Ranma nicht nur ein eigensinniger, impertinenter Zeitgenosse gewesen war, ignorierte sie gekonnt.

Ihre Fäuste schossen vorwärts, ihre Knie hieben ein und ihre Kopfstöße trafen – nicht.

Egal welche Variation sie probierte, die Dämonin wich dennoch behände aus.

Zähnefletschend hieb sie von oben herab und spürte Ranmas Finger um ihre Unterschenkel. Noch ehe sie das richtig mitbekam, befand sich die Dämonin bereits in ihrem blinden Punkt – namentlich ihrem Rücken und entlud eine Kaskade aus Schlägen.

Wenig stilvoll, aber dafür umso effizienter verlagerte Ryoga ihr Gleichgewicht und ließ sich nach hinten fallen – die Absicht Saotome unter sich zu begraben im Sinn.

Allerdings war Ranma schon längst wieder fort.

Eilig richtete sich Hibiki auf und wartete. Ihr Gegner aber war verschwunden. Nicht, dass er es bleiben würde.

„Komm’ raus Saotome!“

Nervös huschten ihre Augen von links nach rechts, ruckte sie ihren Körper in immer neue Richtungen. Doch alles was sie sah, waren diese verdammten Wasserkreise die sich konzentrisch ausbreit…

H-Hey, warte mal!

Zielsicher fand sie mit einem knappen Umblick sechs verschiedene Punkte, an denen etwas – oder besser jemand – die Oberfläche berührt hatte. Ihre Fänge bleckend wartete sie und starrte aufmerksam umher.

Hastig wirbelte sie nach rechts und fand den ersten Wasserkreis vor, auf den in den nächsten Sekunden mehrere weitere folgten. Hiervon ausgehend spähte sie nach links und ihr schien tatsächlich ein guter Stern.

Ein frischer Wasserkreis breitete sich soeben aus.

Diesmal verlor Ryoga allerdings keine Zeit und hetzte nach links – und zwar dorthin, wo sie Ranma erwartete.

Hastig hieb sie Zeigefinger voran auf den Untergrund ein und fühlte ihn unter sich explodieren. Matsch und Wasser peitschten durch die Luft.

Ohne Pause ließ sie ihre Augen wirbeln und ihr Grinsen wurde breit und – in Ermangelung eines konträren Begriffes – diabolisch.

„Das könnte jetzt SEHR wehtun!“, spie sie hervor und sprang kräftig ab.
 

Die Dämonin hörte den Ruf, doch war sie augenblicklich zu beschäftigt den Dreck aus den Augen zu wischen und gleichzeitig das Tuch festzuhalten. Denn ohne Tuch gab’s auch kein Umisenken und bei dem beunruhigenden Motivationsschub ihres Gegners brauchte sie jeden erdenklichen Vorteil, den sie kriegen konnte.

Dumm nur, dass der Rotschopf wegen ihrer Quasi-Unsichtbarkeit nicht damit rechnete einen Tritt in die Hüfte zu kassieren.

Genau den erhielt sie aber – und so flog sie auch recht ungeschickt für einige Meter, ehe sie hart und schmerzhaft aufkam.

Immerhin ersparte ihr Ryogas Eifer den dazugehörigen Schrei; ihr blieb nämlich gar keine Puste dafür.

Denn ihr Rivale ließ es sich nicht nehmen ihr sofort nachzujagen und sie in einem brutalen Schulterstoß niederzureißen.

Kaum traf sie den Boden, da rollte sie ab und sprang auf die Beine.

Immerhin wäre sie das gerne, hätte sie da nicht jemand an den Beinen gehalten und sie erneut unästhetisch niedergeschmettert.

Wasser stob ihr ins Gesicht, drang in ihre Nasenlöcher und verschwemmte ihre Sicht.

„Sehr schmerzhaft Ranma, sehr schmerzhaft kann es werden“, höhnte Ryogas Stimme über ihr. Sie vernahm kein Platschen und doch ahnte sie, dass die Göttin nahe war.

Der Dämon fauchte und ließ Flammen übers rote Haar tanzen.

Okay, die kleine Göttin wollte die Samthandschuhe ausziehen?

Konnte sie haben!
 

Ryoga empfand, so unerklärlich es auch für sie selbst war, Freude.

Es war nicht die Freude, die sie erlebt hatte, als Ukyo für sie kochte.

Es war nicht die Freude, die sie erlebt hatte, als Ukyo sie küsste und alles Weitere unwichtig wurde.

Letztendlich war es keine Freude, die diesen Titel auch verdiente.

Diese Freude war ein verrottendes, stinkendes Ding, das einen wie der faulige Apfel im Obstkorb an seine Anwesenheit erinnerte. Es war ihr ganz persönlicher Apfel, denn er nannte sich Rache und sie würde ihn kosten.

Zornig fegte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln und biss sich auf die Unterlippe.

Ukyo war tot! Nur wegen diesem verdammten Mistkerl! Keine paar Meter von ihrem Standpunkt war ihre Chefin gestorben, den Flammen zum Opfer gefallen – und DAS, obwohl Ukyo wusste, welches Geheimnis Ryoga ihr vorenthalten hatte.

Trotz ihres unverzeihlichen Vertrauensbruchs hatte Ukyo ihr das Leben gerettet.

Mühevoll erstickte sie ein Schniefen und konzentrierte sich auf den reglosen Leib ihrer Gegnerin.

Jetzt war nicht die Zeit für Trauer.

Jetzt war es Zeit ihrer Rivalität ein Ende zu bereiten.

Denn so flink und gewitzt Ranma Saotome auch sein mochte, auch sie beging Fehler.

So war Ryogas Angriff nur dadurch gelungen, dass Ranma durch den aufgespritzten Schlamm kenntlich geworden war.

Sicher, sie hatte Saotomes Kleider schlammbraun färben wollen, um diese dadurch besser erkennen zu können. Aber einen solchen Erfolg hatte sie sich eigentlich nicht erhofft.

Nämlich hatte ihre Kontrahentin ein schlammbraunes, großes Tuch vor sich hergetragen und diesen Umstand nicht einmal wirklich zur Kenntnis genommen.

Ranma war zwar noch immer kaum wahrnehmbar gewesen. Das Stück Stoff hatte als Orientierungspunkt jedoch völlig genügt.

Etwas so dreckiges war ja auch schwer zu übersehen.

Den Rest hatte ein guter Kick in die Seite erledigt.

Und nun würde sie ihrer Nemesis ein Ende bereiteten.

Entschlossen trat sie vor – und bemerkte zum ersten Mal, dass es nicht platschte.

Verwirrt sah sie zu Boden und musterte das Wasser, das ihr entgegenschimmerte. Dann sah sie zu ihren Füßen und dazwischen das Wasser hindurchschimmern. Probeweise hob sie einen Fuß und ihre Vermutung bestätigte sich.

Sie lief auf dem Wasser!

Damit hatte sie ehrlich gestanden nicht gerechnet – Göttin hin oder her. Aber letztendlich tat es auch nichts zur Sache.

Ob sie nun wie Jesus über Wasser oder wie Indiana Jones hindurchwatete, machte keinen Unterschied für sie. Ihr Ziel lag – durchweg wörtlich – vor ihr und sie würde es gleich erreichen.

Eine Reise von Jahren würde heute ihr Ende finden.

„Der Schmerz könnte sehr stark werden!“, drohte sie, zog den Arm zurück und schlug zu.

Keine Sekunde bevor ihre Faust Kontakt herstellte, war Ranma rückwärts gerollt und stieß sich in einem Handstand weg von ihr.

Auf diese Weise verfehlte auch Ryogas hastig nachgesetzter Fußfeger sein Ziel, der geradewegs unter Ranma hinwegsegelte und das Wasser aufschäumte.
 

Die Dämonin feixte innerlich.

Jetzt war sie mit Austeilen an der Reihe!

Ihren Handsprung verwandelte sie mit einem Krümmen ihres Rückens und dem Herabschwingen ihrer Beine in einen Doppelfußtritt gegen Ryogas Stirn.

Kaum war dieser gelungen, da stieß sie sich auch bereits vom Kopf der Göttin ab, vollführte einen Salto und kam drei Meter entfernt auf.

Voll teuflischer Freude besah sie sich ihre Gegnerin, die benommen den Kopf schüttelte.

Aber das war nicht genug – noch lange nicht.

Aus dem Augenwinkel schielte sie zum Sakurabaum, der diesen Teil des Grundstücks dominierte. Es war ein hochgewachsener Kirschbaum und bis auf einige grüne Blätter längst kahl.

Für ihr Vorhaben allerdings war er ideal.

Denn erst als sie mit dem Gesicht im Matsch lag, begriff sie wie das hatte kommen können. Es war das verflixte Wasser, das der Göttin zeigte, wo sie war!

Im Rückschluss musste sie die Wasseroberfläche meiden – so einfach war das.

Wie gut, dass das taktische Denken ihres Wirts zumindest hierin herausragend war.

Mit einem Grinsen lockerte sie ihre Arme, trat ein paar Mal in die Luft und sprang hoch.

Mal sehen wie die himmlische Nervensäge mit ihrer neuen Idee klarkam?
 

Argwöhnisch begutachtete Ryoga die Dämonin und ballte keuchend Fäuste.

So allmählich ging dieses Gefecht an ihre Ausdauer. Die vielen Schläge ins Gesicht schmerzten und ihre Wangen, die Stirn und Nase zwiebelten. Auf ihrer Zunge lag der eiserne Geschmack von Blut.

Wie gerne wollte sie ihrem Rivalen sogleich dessen Grinsen von den Lippen wischen! Wie sie so da stand, Lockerungsübungen machte und sie damit verhöhnte – alles das ging Hibiki an die Substanz und Selbstbeherrschung.

Trotzdem musste sie sich zusammenreißen, ihre Kräfte sammeln und die Atmung stabilisieren.

Besagte Atmung verschnellerte sich jedoch unversehens, als Ranma urplötzlich hochsprang und erneut verschwand.

Mühevoll schüttelte die Göttin ihre Erschöpfung ab, atmete kräftig durch und beobachtete das ungestörte Wasser - das jedoch auch ungestört blieb wie sie verständnislos feststellen musste.

Wo war Ranma?

Die Frage klärte sich alsbald. Denn kaum, dass sie sich dem knorrigen Kirschbaum zuwandte, sprang ihr Alarmsystem an. Zu spät nahm sie die Hände vors Gesicht und stolperte hektisch zurück.

Die Dämonin war wieder aufgetaucht und das genau vor ihr, noch dazu mit einem Hagel von Amaguriken-Schlägen im Gepäck. Der erzeugte Wind peitschte ihr Gesicht und nur knapp blieb besagtes Gesicht vor den Knöcheln, die keine fünf Zentimeter vor ihrer Nase die Luft malträtierten.

Natürlich blieb das nicht so, immerhin hatte Saotome mehr als einmal bewiesen, wer von ihnen beiden der schnellere war.

Die Antwort bekam Ryoga auch diesmal auf dem Silbertablett.

Mehrere Schmerzzentren wurden gleichzeitig stimuliert, als die ersten Knöchel trafen. Erst nach einigen schnellen Schlägen gegen Wange und Stirn, nahm die geschundene Göttin die Arme vor die Augen.

Jeder Hieb setzte tausende Feuer – die meisten rein symbolischer Natur - in ihrem Herzen, brachte sie der Niederlage näher und raubte ihr die Kraft.

Ein weiterer Schlag aus Hunderten zischte auf sie zu und fast hätte sie es nicht bemerkt.

ES, das war ein merkwürdiges Gefühl, das sie erfasste noch bevor es die Faust tat.

Erstaunt begriff sie, dass sie das Gefühl nicht nur diesmal empfand – sondern bei jedem Schlag, der sich ihr näherte.

Die nächste Faust rauschte heran und Ryoga schloss hinter ihren Armen die Augen. Ihr Verstand aber war wach und wartete.

Sie musste nicht lange warten. Denn augenblicklich war das Gefühl da und Hibiki tat etwas, was für sie völlig untypisch war.

Sie wich aus – und zwar erfolgreich.

Dafür nahm sie den nächsten Hieb entgegen, der in ihren Bauch hämmerte, wandte sich allerdings rechtzeitig nach rechts und entging dem Schlag gegen die Schulter.

Ihr Atem spülte unregelmäßig über ihre Lippen, als sie sich hektisch an den Hieben vorbei wand und notfalls mit ihren Armen blockte.

Dieses Schlagfeuer erstreckte sich über mehrere Sekunden und wurde schließlich von der Dämonin abgebrochen, die mit einem Satz nach hinten etwas Distanz zwischen sie beide brachte.

Wie es schien war Ryoga nicht die einzige, die der Kampf mitgenommen hatte. Denn der Brustkorb des Rotschopfes hob sich nicht minder – ein Aspekt, dem Ryoga in ihrer akuten Stimmungslage nichts abgewinnen konnte – und ihre Wangen glühten beinahe so rot wie ihr Haar.

Kein Wunder, immerhin war der Amaguriken auf einen schnellen Erfolg hin ausgelegt. Es ging darum den Kontrahenten mit einem Stakkato aus Schlägen innerhalb von Sekunden niederzuringen.

Ryoga Hibiki war allerdings kein Gegner, bei dem ein paar Sekunden genügten. Das war damals schon nicht der Fall und heute noch viel weniger.
 

Akanes Finger zitterten, als sie auf ihre Hände herabsah. Von da aus blickte sie verständnislos auf den überfluteten Rasen und erspähte die Spathula, die sich wie eine windschiefe Palme erhob.

Wenige Meter daneben standen sich ihr Verlobter und ihr bester Freund gegenüber, bereit einander auseinander zu nehmen.

Die Luft knisterte förmlich zwischen den zwei Vertretern von Himmel und Hölle.

Zum einen war da Ryoga, die gebeugt und voller animalischem Zorn jede Sekunde zu explodieren drohte – und dabei ‚ungöttinnenhafter’ gar nicht wirken konnte.

Zum anderen war da Ranma, die lässig grinste, Flammen aufzüngeln ließ und provokativ posierte – während das Wasser zu ihren Füßen verdampfte.

Wie hatte es nur so weit kommen können?

Fragend sah sie zur Spathula, doch das Metall lächelte ihr nur müde zu und enthielt sich einer Antwort. In diesem Fall verhielt es sich nicht unähnlich seiner Besitzerin.

Ukyo.

Sie und die Köchin waren nicht unbedingt das, was man beste Freundinnen nennen würde. Ehrlich gestanden, war der Kalte Krieg im Vergleich zu ihrer Beziehung miteinander eine Kuscheltherapiegruppe.

So gesehen könnte man sie beide als gute Feindinnen bezeichnen. Wenn man es etwas weniger euphemistisch formulieren wollte, so konnte man auch sagen: Ich mag dich nicht; du weißt das, ich weiß das – ich steck’ den Hammer weg, du die Spathula, okay?

Doch jetzt auf Ukyos Lieblingsaccessoire zu blinzeln und die Kampfköchin fehlen zu sehen, versetzte ihrem Herzen einen ungesunden Ruck.

Wo war sie gewesen, als Ukyo Kuonji vorstürmte und Ryoga zur Seite stieß?

Sie hatte nur da gestanden. Verblüfft, verängstigt und war in etwa so nützlich gewesen wie ein angestoßener Zeh.

Sie warf einen Blick hinter sich und entdeckte ihren Vater und Herrn Saotome, die erstarrt in den Garten spähten. Bei ersterem fehlten die Tränen und der zweite suchte nicht sein Heil in der Flucht – jeder von ihnen hatten also einen Schock erlitten.

Von Nabiki fehlte jede Spur. Wahrscheinlich hatte sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und das Chaos hier draußen ausgesperrt.

Wenn Akane sich das so recht bedachte, klang das ganz verlockend.

Abrupt flammte Zorn in ihr auf.

Auf keinen Fall würde sie sich verkriechen. Sie war ein Kampfkünstler so wie Ranma, so wie Ryoga, so wie Ukyo…

Sie hatte eine Pflicht zu erfüllen; und diese war Unschuldige zu beschützen. Wenn sie also ihrem Verlobten in den Hintern treten musste, um diesem Anspruch gerecht zu werden, so würde sie das auch. Ukyo hatte sich nicht gescheut, also würde sie das auch nicht.

Entschlossen trat sie vor, unterdrückte das Zittern ihrer Glieder und – stoppte.

Für einige Sekunden starrte sie nur dumm, erst dann riss sie sich zusammen und guckte aufrichtig dämlich.

Keine vier Meter entfernt trieb das braune Shôgi-Brett der Väter. Das allerdings war nicht, was ihre Aufmerksamkeit – und zu gleichen Teilen ihren Unglauben – erregte.

Es war das DING, das zur Hälfte obenauf und im Wasser lag.

Es war eine kleine Puppe und sie sollte verdammt sein – natürlich nicht wörtlich -, wenn ihr dieses Szenario nicht bekannt vorkam.

Eilig hastete sie von der Terrasse in den durchwässerten Hintergarten, sackte im weichen Boden ein und watete zum treibenden Brett.

Die beiden Antagonisten - wenige Meter entfernt - schienen das gar nicht weiter wahrzunehmen. So gelangte Akane auch ohne große Mühen, von den nassen Socken einmal abgesehen, zu dem Objekt und griff ohne viel Federlesen zu.

Ein Windzug kräuselte die Wasseroberfläche, beschwörend schwemmte das kühle Nass gegen ihre Fußknöchel und ein Schauer überfiel sie.

Keine Frage. Sie hatte sich nicht geirrt.

Es war kein Wunder, dass ihr die Puppe und die Situation so bekannt vorkamen.

Schließlich war die Puppe Ukyo – und ihr, Akane Tendo, war vor einiger Zeit genau dasselbe passiert.

Mit zitternden Fingern drückte sie die Mini-Ukyo an sich und stolperte ungeschickt zurück zur Veranda.

Ihre Füße funktionierten auf Autopilot, denn im Augenblick waren ihre Gedanken ganz wo anders und gezeichnet von Unordnung. Ihre Gesichtszüge waren entgleist und ihre Hautfarbe aschfahl.

Doch eine Erkenntnis bahnte sich den Weg durch Akanes überarbeiteten Denkapparat, zerhackte das Dickicht aus verwirrten Lianen und bekämpfte die Boa der Ablenkung.

Ukyo war nicht tot.

Ukyo war eine Puppe.
 

Die Dämonin hatte die Faxen dicke. Zwar mimte sie noch immer den nonchalanten Bösewicht, doch A) ging ihr diese Rolle so allmählich gehörig auf die Nerven und B) verspürte sie keine Lust mehr auf dieses schweißtreibende Duell.

Wie hatte ihr alter Lehrmeister nicht einst so schön gesagt?

Dauert eine Angelegenheit zu lange, verkürze einfach ihre Ursache.

Doch, das klang wie eine gute Idee.

„Hey Ziellose! Wie wär’s, wenn ich dir mal zeig’ wie echte Metagewalten kämpfen?“

Ryoga fauchte zur Antwort und der bläuliche Nebel der ihre Gestalt umgab, flackerte herrisch wie eine Flamme aus Saphirstaub.

Langsam hob der Dämon ihre rechte Hand und streckte den Arm durch. In der nächsten Sekunde zuckten bereits mehrere Funken darüber hinweg, tanzten in der Luft wie brennende Glühwürmchen und akkumulierten sich in einem Gefühl der Hitze innerhalb ihrer Handfläche.

„Und jetzt fang!“

Kaum hatte das letzte Wort ihre Lippen verlassen, da schoss auch schon eine Flammenwalze übers Gras und verdampfte alles Wasser zwischen sich und der Göttin.
 

Ryoga ahnte schon was kam, ehe sich das Feuer aus dem Boden wand. Um diese Technik zu ignorieren, war sie bereits zu häufig Zeuge ihrer Anwendung gewesen.

Sie würde einfach ausweichen und dann…

Überrascht stellte sie fest, dass der Gedanke ihre Beine nicht erreichte. Nein, dass war falsch. Der Gedanke drang durchaus zu ihren Beinen durch, nur störte das ihre beiden Extremitäten nicht sonderlich und so - wedelten diese ihren Befehl fort wie lästige Fliegen.

„Nicht gut!“

Als die Flammen zwei Meter vor ihr waren, erfasste sie eine Eiseskälte, die sich in ihre Arme bohrte und ein Chor aus Stimmen – insofern das Wasser eine Stimme, geschweige denn mehrere besaß! – hämmerte in ihr Bewusstsein wie ein Eispickel.

Aber was zum Teufel raunten die Stimmen?

Noch eineinhalb Meter…

Wie? Buch? Sie las kein Buch! Sie war am Kämpfen, gottverdammt!

Noch ein Meter…

Wie? Kein Buch? Natürlich las sie kein Buch! Sah sie so aus?

Noch ein halber Meter…

Wie? Ach so hoch, nicht Buch! Hoch? Wie hoch? Arme?

In Ermangelung hilfreicherer Vorschläge folgte Hibiki dem Rat der Wasserstimmen. Was dann geschah, übertraf ihre Erwartungen allerdings bei weitem.

Nicht, dass sie wirklich viel erwartet hatte.

Kaum riss sie die Arme hoch, da barst ein Schwall Wasser empor und knallte mit einem ohrenbetäubenden Zischen in die Feuerwalze.

Das Feuer verpuffte zu einer Wolke aus Dampf, die sich detonationsartig ausdehnte und Ryoga hustend zurückstolpern ließ.

Ja was zum Geier war DAS gewesen?

Mit dem rechten Arm schirmte sie ihre Augen von dem heißen Wasserdampf ab und ignorierte das schwache Nachbrennen des Dampfes auf ihrer Haut.

Als sich die Wolke legte, eröffnete sich ihr der Blick auf ihre Kontrahentin.
 

Ja, wie jetzt?

Verblüfft verfolgte der Rotschopf das Schauspiel mit, sah wie ihre mächtige Attacke von einer hyperventilierenden Pfütze ausgelöscht wurde und konnte es nicht fassen.

Es war nicht so, als ob sie ignorant genug wäre, um zu glauben unbesiegbar zu sein.

Allerdings hätte sie diesem Frischling nie zugetraut ihre Kräfte so rasch zu meistern!

Okay, dass machte die Angelegenheit komplizierter.

Wie sollte sie die Ursache nun verkürzen?

Ihr arrogantes Grinsen fand seinen Weg zurück auf ihre Lippen.

Ja doch, so sollte es klappen.
 

Noch bevor Ryoga begriff was vor sich ging, schlug sie schon eine Rolle vorwärts.

Als sie einen Blick zurückwarf, sah sie kurzzeitig die Wasserfläche brodeln, die sie soeben okkupiert hatte. Nur um mitzuverfolgen wie das überflutete Gras einer Flammensäule Platz machte, die sich sodann für drei Meter in die Luft bohrte, ehe sie in ein Meer aus Funken erstarb.

Also – das war neu!

Erneut schlug ihr Sakkijutsu an, bimmelte hektisch in ihren Ohren und tatsächlich konnte sie das Wasser unter ihren Füßen kreischen hören.

Eilig sprengte sie nach rechts, rollte sich über Schulter und Hüfte ab und sah einen weiteren Quadratmeter gepflegter Vorstadtmoorlandschaft in Flammen aufgehen.

DAS war knapp gewesen!

Wie lange konnte sie diesen Attacken ausweichen?

Das Wasser meldete sich bereits wieder zu Wort und Hibiki sprang einen guten Satz zurück, so dass sie ‚hinter’ statt ‚in’ Flammen stand.

Obwohl sie den drei Angriffen entgangen war, stand ihr der Schweiß auf der Stirn und ihr Atem briet ihre Lungenflügel. Die ganze heiße Luft garte sie förmlich von innen heraus!

Sie musste sich was einfallen lassen.

Und dabei wollte sie Ranma Saotome doch einfach nur die Knochen brechen! Warum konnte das Leben nicht einfacher sein? War es denn nicht gerecht, dass sie ihren Rivalen für seine Tat büßen ließ?

Sie wollte ihn doch einfach nur plätten! Herrgott, war das zuviel verlangt?

Warte mal – plätten?

Ihre Überlegungen kamen zu einem quietschenden Halt und rempelten gegen eine unvorhergesehene Eingebung. Es war eine Eingebung, bei der sie sich nicht wirklich sicher war, ob es ihre eigene war oder ein weiterer Ratschlag des flüssigen Elements.

Aus dem Augenwinkel huschte ihre Pupille übers Schlachtfeld und blieb an einem Krater hängen, der etwas sorgfältiger aussah, als Ryogas Resultate.

Besagter Krater war ja auch immerhin der Koi-Teich.

Hm, Krater, Teich?

Alarmiert stürzte sie vorwärts, als sich ihre Sandalen kurzzeitig entzündeten und kam erstaunlich schmerzlos auf dem Wasser auf – das sich seltsamerweise wie Gelee anfühlte, weniger wie; nun ja; Wasser.

Leicht panisch ruckte ihre Aufmerksamkeit zum Teich zurück.

So irrsinnig es auch klang, sie wusste, dass darin die Chance lag Ranma zu bezwingen.

Aber was konnte ihr ein vermaledeiter Teich schon lehren?

Was half ihr diese Pfütze, dieser aufgefüllte Krater?

Und plötzlich kapierte sie, als sie genau zwei Kois darin umher schwimmen sah.

Es würde riskant werden.

Aber wie heißt es nicht so schön?

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
 

Akane starrte auf die Puppe in ihren Händen.

Sie war das Spiegelbild Ukyos, da gab es keinen Zweifel.

Es war schließlich Ukyo selbst, auf die sie im Moment herabblickte.

Der Puppenkörper war in eine Miniaturausgabe der Okonomiyaki-Uniform gekleidet und das einzige was zur Vervollständigung fehlte, war eine Spathula auf dem Rücken.

Behutsam strich die jüngste Tendo ein paar Strähnen aus dem Gesicht der Puppe und spähte in das ruhige, niedliche Gesicht.

„Das wird teuer.“

Erschrocken blickte Akane nach links zu ihrer älteren und korrupteren Schwester.

Nabikis Gesicht spiegelte ihren Missmut über den Zustand des Gartens wider, doch in ihren Augen schimmerte kühles Kalkül.

„Paps, Herr Saotome?“

Fragend sah die mittlere Tendo hinter sich und in die starren Gesichter der beiden Männer.

Als sie von dort keine Auskunft erhielt, wandte sie sich zurück zu ihrer kleinen Schwester.

„Du weißt nicht zufällig, was hier vor sich geht, oder?“

Nabikis Stimme implizierte eine feine Balance aus Interesse und Sarkasmus.

„Ranma ist eine Dämonin, Ryoga eine Göttin, beide sich am umbringen und Ukyo eine Puppe“, resümierte Akane knapp und entließ ein geplagtes Kichern.

Abschätzig spähte Nabiki auf die Puppe in den Händen ihrer Schwester, legte den Kopf schief und schüttelte frustriert den Kopf.

„Wenn euch schon langweilig ist, könnt’ ihr dann nicht was anderes machen? Wie wär’s mit NORMALEN sportlichen Aktivitäten? Oder Schach? Oder Lesen?“

Verständnislos erwiderte Akane Nabikis Blick.

„Müsst’ ihr denn immer gleich Himmel und Hölle in Bewegung setzen?“

Mit einem rasselnden Seufzen zuckte Akane die Schultern und grinste halbherzig über die Anspielung.

„Du – Farbunfall, hast du Angst vor einem männlichen Kampf?“

Akane verschob ihre Aufmerksamkeit auf die junge Göttin, die sich soeben an einer Beleidigung erprobt hatte.

Wie es schien, sprang die Dämonin darauf an.

„Wie war das?“, gekränkter Stolz vibrierte in ihrer Stimme mit wie ein Hochhaus bei einem Erdbeben.

„Du, eh… feiges Huhn! Kannst wohl nichts einstecken, eh? Trau’ dich doch her!“

Verärgert stoben Flammenzungen über den langen, roten Zopf ihres Verlobten. Das dämonische Mädchen schien ernsthaft gekränkt von den Kommentaren.

So wie sie sich benahm, könnte man fast denken, dass der Dämon tatsächlich Ranma wäre -

denn nur Ranma konnte derart eingeschnappt auf so unbeholfene Beleidigungen reagieren.
 

Der Rotschopf schäumte vor Zorn. Ironischerweise wusste sie selbst nicht weshalb.

Was interessierte es sie schon, was eine Göttin sagte? Pah!

Aber dennoch kam sie nicht umhin verärgert zu sein – um es mal höflich zu formulieren.

Diese kleine himmlische Ratte wollte sie also kränken? Gut, dafür würde sie die Göttin ins Krankenhaus bringen! Bevorzugt wäre die Leichenhalle.

Aus dem Stand beschleunigte sie, spritzte übers Wasser und landete den ersten Schlag.

Auf den ersten folgten hundert weitere, denen ihre Gegnerin panisch auswich oder die sie einsteckte.

Diesmal aber würde sie das freche Gör nicht so leicht davon kommen lassen.

Niemand beleidigte sie! Immerhin war sie Dämonin zweiter Klasse, zweiter Kategorie mit unlimitiertem Zugriff!

Immer heftiger flogen ihre Fäuste und immer häufiger landete sie harte Treffer gegen ihre Kontrahentin, die beständig zurückwich.

Ja, DAS hatte sie jetzt davon! Genug des Spiels, sie hatte sich bereits viel zu lange von dieser Entschuldigung für eine Göttin aufhalten lassen.

Oh ja, sie würde dieser Scharade ein Ende bereiten und allen beweisen, wer hier die Stärkste war. Mental feixte sie und hämmerte unverdrossen ein.
 

Schlag um Schlag ratterte auf das Mädchen mit dem Bandana ein und doch hielt die Göttin still dagegen. Nur noch ein wenig. Ein klein wenig länger.

Gleich hatte sie die Dämonin da, wo sie sie wollte.

Ein Hieb traf sie an der Augenbraue, ein weiterer an der Schläfe, dem gegen ihr Kinn entging, den gegen ihre rechte Wange kassiert sie.

Ihre hochgezüchtete Belastbarkeit war am Limit. Jeden Hieb spürte sie inzwischen zur Gänze, was mitunter daran lag, dass sie überall am Körper Prellungen aufwies.

Ihre Kraft war nur mehr ein Schatten ihrer einstigen Stärke und ließ nichtsdestotrotz weiter nach.

Ihre Geschwindigkeit war – um es auf den Punkt zu bringen – von ‚mittelmäßig’ auf ‚erbärmlich’ herabgesunken.

Es war einzig dem merkwürdigen Gefühl zuzuschreiben, dass sie noch stand. Das Gefühl warnte sie nämlich noch immer vor jeder sich nähernden Faust und so konnte Ryoga immerhin probieren auszuweichen.

Nicht, dass das viel brachte. Aber es war besser als nichts.

Ein besonders harter Schlag – oder vielleicht waren es zehn? – traf ihre Nase und ließ sie taumeln. Damit endete es aber nicht, als sich ihr ein Fuß in die Magengrube bohrte und sie sich hustend vornüberbeugte. Sogleich nahm sie einen Kniestoß gegen das Kinn in Empfang, wodurch ihr Kopf hoch geschleudert wurde und sechs schnelle Schläge trafen sie im Anschluss gegen die Stirn.

Einer der letzten Treffer erwies sich zugleich als der letzte Tropfen, der das Fass zum Überschwappen brachte – und Ryoga Hibiki, Göttin zweiter Klasse, dritter Kategorie mit limitiertem Zugriff kippte kraftlos um.
 

Keuchend starrte der Dämon auf ihren Gegner.

Sie hatte gesiegt.

Ihr war unklar wie lange der Kampf gedauert hatte, aber es fühlte sich an wie ein Millennium.

Jeder ihrer Muskeln war überstrapaziert, Milchsäure schoss unter Hochdruck durch das entzündete Fleisch und Adrenalin wurde durch die Venen zu ihrem Herzen zurückgepumpt.

Die schimmernde Schweißschicht wischte sie sich mit dem Handrücken fort.

Letztlich war der Kampf doch noch episch gewesen.

Wer weiß, eventuell würde sie die himmlische Nervensäge ja vermissen?

Ein sardonisches Grinsen zog über ihre Lippen.

Nein, wahrscheinlich doch nicht.

Lässig schüttelte sie ihre Hand aus, massierte den Oberarm und richtete ihre Finger schließlich auf die niedergestreckte Göttin.

„Viel Spaß beim Barbecue!“, höhnte der Rotschopf und sammelte Hitze in ihrer Hand.

Jetzt würde es eine himmlische Party geben!

Das einzige was störte, war, dass das Grillfleisch antwortete.

„Sorry, ich bevorzuge es kalt.“

Mit diesen Worten hob die Göttin ihre Hände in die Luft und ließ sie zurück aufs Wasser brettern – und die beiden Kontrahenten sackten innerhalb von Sekunden mehrere Meter in die Tiefe.
 

Wimmernd knackten die Erdschichten, zu denen das Wasser bisher noch nicht durchgedrungen war. Meterweise Erde und Geröll wurde hinauf katapultiert.

Für die versammelten Zuschauer sah es aus, als würde ein Vulkan in ihrem Hintergarten ausbrechen – mit dem kleinen, aber wichtigen Unterschied, dass dieses Exemplar eine Schlammlawine spuckte und nicht etwa Lava.

Ryoga bekam davon nicht viel mit, denn sie war im Auge dieses Vulkans.

Verzweifelt klammerte sie sich an die Reste ihres entfliehenden Bewusstseins und versuchte sich auf den Schmerz zu konzentrieren.

Gott sei dank, gab es davon mehr als ausreichend.

Steine boxten ihr in den Rücken und knallten gegen ihren Hinterkopf, traktierten Arme und Beine. Wie ein Kuscheltier im Schnellwaschgang wurde sie von allen Seiten geprügelt.

Das einzige was sie tröstete war, dass es Ranma nicht anders ergehen würde.

Dumpf grunzend landete sie auf dem Rücken und spürte im nächsten Augenblick kaltes Wasser daran herabfließen.

Die Grube war gegraben.

Zähneknirschend erhaschte sie einen Blick auf Saotome, die grimassierend auf dem Rücken lag und flache Atemstöße von sich gab. Voll hilfloser Wut tanzten Flammen über ihr Haar, erstarben jedoch rasch, da Ranmas Zopf – so wie der Rest von ihr – zum Löwenanteil im Wasser lag.

Die Kois waren in der Grube.

Mit verbissener Miene mobilisierte Ryoga ihre letzten Kräfte. Unter einem Schmerzensschrei setzte sie sich auf und holte gequält Luft und ließ sich vom Wasser kühlen, dass ihr im Sitzen inzwischen bis zur Hüfte reichte.

Zu ihrem Leidwesen war die Dämonin auch nicht gerade faul, kniete bereits wieder und spießte sie mit erbosten Blicken auf. Aber zumindest sah man ihr die Spuren der letzten Eskapade an.

Schlamm kleisterte ihr Gesicht, ihre Klamotten waren gerissen und erlaubten tiefe Einblicke und – Ryogas persönlicher Favorit - ihr Arm hing in einem ungesunden Winkel herab.

„Jetzt oder nie“, keuchte die Göttin und rappelte sich – abgestützt an einer der schlammigen Grubenwände - auf, während Lanzen aus Eis und Feuer an jeder Faser ihres Seins stachen.

Ryoga Hibiki wusste nicht wie die Hölle war, hiermit aber erhielt sie einen guten Vorgeschmack und verlor fast das Gleichgewicht vor Schmerz.

Das einzige was sie auf den Beinen hielt, war, dass Ranma ebenfalls stand.

Nun also zum letzten Schritt ihres Plans.

Für die Dauer eines Wimpernschlags heulten ihr die Stimmen des Wassers ins Ohr, verdichtete sich der Nebel um ihre Glieder und schoss dann in alle Himmelsrichtungen davon. Kaum war das geschehen, da peitschte heftiger Wind auf und trieb das kniehohe Wasser in der Grube und gleichermaßen das auf dem Grundstück auseinander.

Jetzt oder nie…

Zitternde Hände streckten sich zu ihren Seiten aus und Schweiß lief ihr trotz des Bandana in die Augen, ihre Knie schlotterten und doch hielt sie stoisch die Stellung.

Wie ein Orkan kehrte der Wind in die Grube zurück, wirbelte wie ein hysterischer Derwisch um Ryoga und verlosch als feiner Nebel um ihre Gestalt.

Dann brauste die Flut auf die Grube zu.

Grashalme wurden von der plötzlichen Strömung aus der Erde gerissen, verschiedenste Gegenstände – darunter auch das umgekippte Shôgi-Brett – wurden unbarmherzig fortgespült und in einem Funkeln von tausenden Sternen bäumte sich das angezogene Wasser am Rand der Grube auf. Einem Leviathan gleich reckte es hunderte schäumende Hälse empor, regnete tausende Tropfen Wassers herab und glitzerte im Sonnenlicht.

„Ich hoffe du kannst schwimmen“, lächelte Ryoga matt und schlug die Augenlider zu.

Dann zog sie ihre Arme zusammen und das Wasser stürzte mit einem brüllenden Tosen auf Dämonin und Göttin hernieder.

Der letzte Schritt ihres Plans…

Die Grube füllte sich.
 

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Anmerkung des Autors:
 

Das neunte Kapitel ist fertig gestellt.

Ich muss gestehen, selten habe ich derart fiebrig an etwas über zehn Seiten gesessen. Mehrfach habe ich ganze Passagen gelöscht, eventuelle Witze herausgelöscht und das Geschehen mitunter aus einer ganz anderen Perspektive verfasst.

Letztlich habe ich es aber doch geschafft – und ich bin verdammt glücklich.^^

Noch ein Kapitel und ihr habt es vorerst ausgestanden.

Das nächste Kapitel wird nämlich Nummer 10. und zugleich den Abschluss von „Oh Mann, Ryoga!“ bilden.

Ist das aber dann das Ende? Stehen nicht noch viel zu viele Fragen für ein Kapitel offen?
 

Was passiert von hier an mit Ukyo?

Wird Mousse seinen Entschluss nach hartem Training weiterverfolgen?

Lernt Shampoo akzeptables Japanisch?

Was ist mit Kuno?

Und letztlich – wie ergeht es den beiden Vertretern von Himmel und Hölle?
 

Können alle Fragen im nächsten Kapitel geklärt werden?

Ehrliche Antwort? Ich fürchte nicht.^^°
 

Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

Miyamoto Musashi = Es heißt, er wäre der wohl größte Samurai in der Geschichte Japans gewesen. Zudem galt sein Kampfstil als unbesiegbar, da er bereits mit 29 Jahren über 60 Duelle – mitunter gegen die berühmtesten Samurai seiner Zeit bestritten und allesamt für sich entschieden hatte. Anders als Kuno – der als klassischer Kendoist lediglich eine Waffe verwendet – war Musashi dafür berühmt mit zwei Waffen gleichzeitig zu kämpfen.

In Duellen jedoch verwendete auch er nur eine Waffe.

Ein weiterer Aspekt, der interessant sein dürfte, ist, dass er den besten Samurai seiner Zeit, Sasaki Kojiro, angeblich mit einem Bokken besiegt hätte. ;-)
 

Sakkijutsu = Das Prinzip schilderte ich zwar im letzten Kapitel bereits, aber aus Vorsichtsgründen gehe ich nochmals kurz darauf ein. Das Sakkijutsu ist der so genannte Sechste Sinn der Kampfsportler, der sich durch ein hohes Maß an Training über viele Jahre ausbildet. Dieser Sinn dient dem frühzeitigen Entdecken von Gefahrenquellen und ermöglicht scheinbar unmenschliche Ausweichmanöver.
 

Viel Spaß,
 

euer Deepdream.

Doppelt hält besser.

Die Welt bog sich – und das in mehrere Richtungen gleichzeitig.

Erst krümmte sie sich nach rechts, dann zuckten einige Farbkleckse vorbei, polterten über grelle Lichtreflexe und machten einen Kopfsprung ins Dunkel.

Auf diese mentale Achterbahn hin eröffnete sich ihr der Schmerz, der mit der Wucht eines 10-Tonnen Gewichts zuschlug.

„ARGH!“

Als ihr schwammiges Bewusstsein begriff, dass bereits ein bloßer Schmerzenschrei zu weiteren Schmerzen führte, war ihr Reflex verständlich.

„ARGH!“

Das sie ihm nachgab, war trotzdem nicht allzu klug.

„ARGH!“

Ein wuchtiger Hieb, der ihren Kopf dem Empfinden nach durch solides Holz hämmerte, machte der Wiederholungsschleife ein jähes Ende. Hibiki versank erneut im wohligen Dunkel.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 10 – Doppelt hält besser.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Besorgt musterte Kasumi das narkotisierte Mädchen und pflückte geistesabwesend einzelne Holzspäne aus deren Haar. Indes warf sie der jüngsten Tendo tadelnde Blicke zu, woraufhin Akane beschämt den Kopf senkte.

Sie hatte dem Mädchen schon so häufig gesagt: Nicht so übermütig sein!

Und siehe da, jetzt musste Nabiki schon wieder die Reparaturfirma herbestellen.

Der Engel des Hauses seufzte und platzierte einen kalten Waschlappen auf Ryogas Stirn.

Neben der Göttin regte sich ein zweites Stöhnen.

„Akane?“, lächelte Kasumi zuckersüß.

„Natürlich Kasumi“, grinste Akane gequält, hob den Hammer und ließ ihn herabsausen.

Das zweite Stöhnen stoppte unvermittelt.

„Herr Saotome, könnten Sie wohl Vater hereinholen. Er steht nun schon die ganze Zeit auf der Veranda.“

Der Panda warf dem sanftmütigen Mädchen einen Blick zu, der viel darüber aussagte, welche Erfolgschance er sich ausrechnete, zuckte aber letztendlich behäbig mit den Schultern.

Seine schweren Schritte verhallten auf dem Weg zur Terrasse.

„Nabiki?“

„Eh-he?“, grollte diese von ihrem Platz auf dem Sofa, den Kopf kraftlos über die Lehne geworfen.

„Könntest du wohl die Versicherung anrufen? Ich weiß nicht mehr so recht, ab welchem Gesamtschaden wir in der Versicherungsklasse aufsteigen.“

Die mittlere Tendo schielte zu ihrer älteren Schwester, rappelte sich mühsam auf – solche Ereignisse waren für Nabiki Tendo immerhin gleichbedeutend mit Blutverlust – und torkelte benommen zum Telefon in den Nebenraum.

Somit waren Kasumi und Akane alleine. Immer vorausgesetzt man schloss eine bewusstlose Göttin, eine komatöse Dämonin und eine Puppe ohne Bewusstseinszustand aus der Gleichung aus.

„Also…“, setzte Kasumi an und lächelte.

„Also…?“, retournierte Akane zweifelnd.

Kurz setzte eine unangenehme Stille ein, die der Engel des Hauses jedoch alsbald brach.

„Akane, hatte Ranma in letzter Zeit Alpträume?“

„Alpträume? – die Angesprochene runzelte die Stirn – Also nicht das ich…“

Ehe sie den Satz beenden konnte, schlug die Erinnerung an die letzten Tage zu.

„Also, Ranma meinte gestern, er hätte was Komisches geträumt.“

„Hat er dir gesagt, wovon er träumte?“

Hieraufhin schüttelte Akane betrübt den Kopf und schielte zu ihrem Verlobten.

Derweil rieb sich die älteste Tendo nachdenklich am Kinn und nahm die Dämonin ihrerseits in Augenschein.

Dem Rotschopf war es nicht besser ergangen, als der Göttin.

Beide waren mit schmerzhaft aussehenden Kratzern und Schürfwunden übersät. Das war auch der Grund, weshalb Kasumi Akane angewiesen hatte, beide Kämpfer beim leisesten Anzeichen von Bewusstsein zurück in die selige Ohnmacht zu schicken. Nichtsdestotrotz kam sie nicht umhin Akanes Übereifer zu tadeln. Schließlich sollten die Göttin und Dämonin nur für eine Weile schlafen, nicht bis aufs Weitere.

Sorgfältig brachte sie ihre Musterung zum Abschluss. Neben den erwähnten Kratzern und Schürfwunden, gesellten sich noch zahlreiche blaue Flecken hinzu, die Landkarten auf den Körpern der Bewusstlosen zeichneten. Zudem hatte Ranmas Arm ein knackendes Einrenken gefordert.

Unschwer nachzuvollziehen, dass der Dämon davon aufgewacht war.

Wie gut, dass Akane mit ihrem Hammer zur Stelle war.

„Akane?“

„Hm?“, gab ihre kleine Schwester zur Antwort, die Augen auf ihren Verlobten gerichtet.

„Könnte ich deine Hilfe haben?“
 

Nur mit Mühe riss Akane die Augen von ihrem Verlobten fort und schenkte ihrer großen Schwester ein Nicken. Im Gegenzug lächelte diese erleichtert und deutete mit dem Finger zur Küche.

„Holst du mir kurz einen kleinen Eimer mit Wasser?“

Verdattert zog Akane eine Augenbraue hoch – und sah Nabiki damit zum Verblüffen ähnlich -, stand aber trotzdem auf. Das Wohnzimmer verließ sie allerdings nicht, ohne einen letzten, fast sehnsüchtigen Blick auf Ranma zu werfen.

Dann entschwand sie in die Küche und Kasumi seufzte.

„Böse Dämonin. Einen solchen Ärger hast du meiner Familie gemacht. Du weißt doch sicher, dass das nicht nett war, oder?“

Die bewusstlose Dämonin antwortete mit potentem Schweigen.

„Dann freue ich mich aber, dass du mir zustimmst.“

Freudig lächelte die älteste Tendo-Tochter und strahlte die schlummernde Höllenbrut an.

Kasumi hatte man zwar gesagt, dass Schweigen Zustimmung bedeutete.

Allerdings musste wohl einer ihrer Eltern vergessen haben, sie darauf hinzuweisen, dass selbiges nicht auf Bewusstlose zutraf.

Im Ebenbild der Unschuld griff sie hinter sich an den Pferdeschwanz, fummelte dort mit ihren Fingern und innerhalb weniger Sekunden wickelte sie ein weißes Papierröllchen aus ihrem Haar hervor.

Bedächtig rollte sie es auf, hielt es beidhändig fest und strich es mit ihren Zeigefingern glatt.

Kantige Falten verknitterten das Papier, doch es würde genügen.

Ein unrhythmisches Platschen näherte sich ihr von hinten an und Kasumi wandte sich zu Akane um, die mit einem fünfzehn Liter Eimer Wasser ankam. Fröhlich spritzte kühles Nass aufs Parkett, erregte den Unmut des Holzes und würde es in den nächsten Stunden quellen lassen.

Kasumi seufzte innerlich.

Immerhin besaß Akane ein gutes Herz und den rechten Willen. Das Einschätzen von zu viel und genau diese Menge konnte ja noch kommen. Eventuell – irgendwann einmal.

Für die Außenwelt sichtbar belegte Kasumi ihre Lippen erneut mit ihrem engelsgleichen Lächeln und winkte die jüngste Tendo näher zu sich.

„Sehr gut Akane. Nun nimm das hier.“

Kritisch beäugte die Adressierte das Stück Papier in den Händen ihrer älteren Schwester und nahm es mit ruhigen Fingern entgegen. Schließlich wollte sie es nicht einreißen, denn alles was von Kasumi kam, war auf seine Weise eine Reliquie.

„Und jetzt tauche es doch bitte in den gefüllten Eimer.“

Verblüfft erwiderte Akane den Blick der ältesten Tendo wie als wollte sie nicht glauben, was sie da hörte. Tatsächlich konnte sie es nicht glauben.

Die Halbwertszeit von Papier in Wasser war ja nicht wirklich die Größte. In den Händen Akane Tendos war die Zeit sogar noch geringer.

Das wusste Akane – betrüblicherweise - nur zu gut.

„Traue dich ruhig. Es wird nichts passieren, was nicht passieren soll.“

Kurz argwöhnte die Erbin des Tendo-Dojos wegen der merkwürdigen Worte, tauchte das Papier dann aber beherzt ins Wasser.

Womit sie nicht rechnete war, dass sich das Wasser schlagartig erhellte.

Fast so, als hätte man Glühwürmchen hinein geschmissen, wurde der Schatten der Eimerwände aus dem Wasser gesaugt und eine unnatürliche Klarheit breitete sich aus.

„W-Wie, was?“

„Ganz ruhig kleine Schwester.“

Sanft presste Kasumi Akanes Hand tiefer ins Wasser und hielt sie dort; sanft aber bestimmt.
 

Augenblicklich prickelte Akanes Haut und sie zuckte erschrocken zusammen. Ganz langsam glitt die Helligkeit auch über ihren Handrücken, floss zwischen ihren Fingern hindurch und ins Papier.

Das Kribbeln wurde intensiver und hätte Kasumi ihre Hand nicht herabgedrückt, so hätte sie diese spätestens jetzt aus dem Eimer gezogen. So aber blieb ihr nichts übrig, als die seltsame Empfindung – ähnlich der eingeschlafener Füße, wobei Füße natürlich nicht schlafen; dafür können sie allerdings riechen – zu ertragen.

Gleich darauf vergaß sie ihr Unbehagen, denn das leere Papier nahm Farbe an, die sich darauf wie mit unsichtbaren Pinselstrichen verteilte. Scharf gesetzte Striche zuckten über die weiche Glätte von Weiß und hinterließen verzwirbelte Kanji.

Dann war es vorbei und Kasumi nahm den Druck von ihrer Hand.

Für einige Sekunden beließ sie die Hand noch darin, dann riss sie den Arm zurück wie als hätte sie ihr eigenes Essen berührt.

Weitaus weniger toxisch waren die Reaktionen auf ihre Haut, die bis auf eine schwache Röte völlig normal wirkte. So verhielt es sich aber nicht mit dem Zettel.

Er glühte nicht wirklich, aber er wirkte heller als seine Umgebung und schien ein schwaches Licht auszustrahlen. Ganz besonders fiel das einem auf, wenn man die schwarzen Schriftzeichen ansah.

In kindlichen Strichen prägten sie das Papier und sahen eher wie die Kunst eines schaffensfreudigen Vorschülers als die eines… ja, wessen aus?

Fragend bestaunte Akane den Talisman in ihrer Hand und wog ihn abschätzig hin und her. Man konnte schließlich nie wissen, ob dem Papierstreifen nicht irgendwelche negativen Effekte innewohnten. Akanes Erfahrungen mit Magie waren schließlich nicht besser als die Ranmas – ganz zu schweigen von denen mit Magie UND Ranma.

„Und jetzt lege ihn Ranma auf die Stirn.“

„Huh, wen?“

„Den Talisman.“

„Was ist damit?“

Kasumis Lächeln wurde gezwungen.

„Lege den Talisman auf Ranmas Stirn – okay?“

„Oh.“

Zögerlich musterte Akane ihren Verlobten und biss sich auf die Unterlippe.

Vor ihr am Boden lag ein schutzloses Mädchen, ihre Haut war gesprenkelt mit blauen Flecken; von den grünen, gelben und lilafarbenen einmal abgesehen; und ihre Kleidung gerissen. Dieses Mädchen war eine Dämonin, hatte Ukyo in eine Puppe verwandelt, beinahe ihren besten Freund umgebracht – und sie war ihr Verlobter.

„Du machst es mir wirklich nicht leicht, hm?“

Für einen Augenblick ließ Akane ihre Deckung fallen und entblößte ein warmes Lächeln als sie dem Rotschopf eine Strähne von der Nase strich.

Dann schlug besagter Rotschopf die Augenlider auf – und Akane mit eben der Hand zu mit der sie ihren Verlobten zuvor noch liebkoste.

Entschlossen wandte sich die jüngste Tendo zu der ältesten um.

„Wird ihm das helfen?“

Kasumi stimmte ein kleines Nicken an und schenkte Akane ein zuversichtliches Lächeln.

Letzteres nahm Akane zur Aufforderung, atmete tief durch und patschte den Talisman kraftvoll auf die Stirn der Dämonin.

Leider tat sie das ein wenig zu kraftvoll. Deswegen war es nicht weiter verwunderlich, als Ranmas Kopf eine Etage tiefer landete und der Fußboden des Wohnraumes eine neue Delle erhielt.

„Akane?“

„Eh-he?“

„Ich dachte du wolltest ihm helfen?“, flötete Kasumi.

„Kasumi!“, quengelte Akane.
 

Genma Saotome ignorierte die Geräuschkulisse aus dem Haus und gesellte sich zu seinem langjährigen Freund und Trainingskameraden.

Währenddessen kaute er am Bambus, den er wenig zuvor hastig aus dem Wasser gefischt hatte. Wohl gemerkt aus dem Wasser, das nun zwei Drittel des ehemaligen Hintergartens okkupierte.

„Saotome?“

„Grmph?“

„Mein Garten.“

„Grmph?“

„Ist das mein Garten?“

„Grmph!“

„Der Teich. E-Er ist w-weg.“

„Grmph! Grmph!“

Irrtiert starrte Soun Tendo über seine Schulter zurück.

„Du meinst, der Teich wäre nur größer geworden?“

„Grmph!“

Mutlos vergegenwärtigte sich der Hausherr den Zustand seines Gartens.

„So kann man das wohl auch betrachten.“

Dann brach er in Tränen aus.
 

Ranma warf einen ersten Blick an die Decke über ihr. Als sich dort nichts regte, rieb sie sich geschäftig die Nase.

Keine Sekunde später beschlagnahmte Akane ihr Sichtfeld, ergriff sie an den Schultern und schüttelte sie wie ein Barkeeper den Mixbecher. Dass das bei Akanes nicht unbeachtlicher Stärke mehr als eine lockere Schraube löste, dürfte auf Ranma Saotome wohl ohnehin keinen Einfluss mehr haben – erwähnenswert ist es trotzdem.

„W-W-W-W-A-A-A-A-S-S-S-S?“

„Ranma? Geht’s dir gut?“

„Wieso nicht?“

„Bist du wieder Ranma?“

„Wer sonst?“

„Wie heiß’ ich?“

„Machoweib?“

Ranmas letzte Antwort wurde von Akane stürmischer Umarmung erstickt. Mit dem Pathos einer Ertrinkenden vergrub ihre Verlobte das Gesicht in ihrer Schulter.

Und alles was Ranma tun konnte, war Blinzeln und Kasumi fragende Blicke zuzuwerfen.

Letztere allerdings erwies sich als ähnlich hilfreich wie ein Bananensplit nach einem Schlangenbiss.

Die älteste Tendo stand nur besonnen da, lächelte unbekümmert und imitierte den Stereotyp jeder Heiligen. Nur noch ein Heiligenschein fehlte.

Also blieb Ranma wohl nur eine Wahl.

„Aka-Akane!“

Zur Antwort schluchzte das Mädchen noch lauter und drückte sich hingebungsvoll an den Rotschopf.

„Ak-Akane! Was is’n los? Hab’ ich was verpasst?“
 

Akane Atem stockte.

Das lag einerseits am eigenen hysterischen Schluchzen.

Andererseits wünschte sie sich, die Frage überhört zu haben.

„Was’n ’kane?“

Ihr Verlobter starrte sie verständnislos an. Nicht, dass das unüblich war.

Es war im Grunde erstaunlich, wenn Ranma für etwas anderes als Kampfsport Verständnis aufbrachte. Doch – eine Ausnahme gab es.

Essen. In rauen Mengen.

Für Essen hatte Ranma immer einen Platz unter seinem Herzen – und zwar im Magen.

„’kane?“

Akane schluckte und hob ihren Kopf, um Blickkontakt herzustellen.

Sie hatte keine Ahnung, was sie ihm sagen sollte. So recht hatte sie ja selbst nicht begriffen, was vorgefallen war. Da war einfach zuviel passiert, als dass man es in einer Kurzmitteilung raffen könnte.

Außerdem konnte sie ja wohl schlecht damit herausplatzen, dass…

„Du warst besessen, spieltest mit Ryoga, Ukyo ist jetzt eine süße Puppe – und der Garten ist auch noch umgegraben und gewässert. Danke übrigens.“

„Gern geschehen Kasumi, aber…“, erwiderte Ranma und stolperte über die zugeworfene Information.

Währenddessen konnte Akane nur den Kopf schütteln, den Himmel um Hilfe anflehen – und Kasumi verdattert anglotzen.

Ranmas Ausbruch folgte im nächsten Moment.

„W-W-W-W-Was hab’ ich?“

Perplex starrte das bezopfte Mädchen von Kasumi zu Akane und vice versa. Nichtsdestotrotz schien das ihre Frage nicht zu beantworten. Vielleicht packte Ranma ja auch deswegen zweitere an den Schultern und schüttelte sie aufmunternd durch – nicht unähnlich Akanes eigener Vorstellung wenige Minuten zuvor.

Da sich das bei einem – echten – Mädchen aber nicht gehörte, verpasste Akane ihrem Verlobten dafür eine massive Kopfnuss.

„V-Verdammt, DAS tat weh ’kane!“

„Das sollte es ja auch!“

„D-Du M…“
 

Ranma sparte sich die Puste, atmete tief durch und ordnete ihre Gedanken.

„Akane, bitte sag’ mir, dass das nur’n Witz is’.“

„Es ist nur ein Witz?“

„Geht’s auch etwas überzeugender?“

Unsicher schüttelte ihre Verlobte den Kopf und starrte zu Boden.

„Herrgott, ich pack’s nich’! Jetz’ auch noch so’n Mist! Ich prügelte mich mit ’nem Möchtegerndrachen, ’nem Kerl mit Gottkomplex und jetzt bin ich auch noch von ’nem Dämon besessen!?“

Kasumi sah von ihrem Platz aus auf, nickte strahlend und widmete sich dem Zusammensammeln diverser Kleinigkeiten. Etwas des Geschirrs, einiger Holzstäbchen und dem einen oder andere Schraubverschluss – leider ohne dazugehörige Shampooflasche.

„Na herrlich, kann’s denn noch schl…“

Der Stein der Erkenntnis rollte ein Stückchen weiter, fiel aus dem zweiten Stock von Ranmas Oberstübchen und landete zielsicher auf dem großen Zeh des Verstehens.

Hinter Ranmas Stirn reihten sich vier Buchstaben als Leuchtlettern aneinander.

U-K-Y-O.

„Ukyo!“

Hart knallten Ranmas Handflächen aufs Holz, das sich wimmernd beschwerte.
 

Akane linste widerwillig auf und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf ein rosafarbenes Kissen, das Ranma zuvor überhaupt nicht aufgefallen war. Eventuell war das dem Umstand zuzuschreiben, dass ihr für gewöhnlich nicht so viel seltsames widerfuhr.

„U-Ukyo?“

Langsam kroch die Kampfsportlerin auf allen Vieren zum Kissen, das auf dem Wohnzimmertisch postiert war. Darauf ausgebreitet, befand sich eine Puppe – kaum eine Elle lang. Die Puppe war gekleidet in einen blauen Überwurf, dekoriert mit den Kanji für Okonomiyaki. Darunter trug sie schwarze Leggings und ein Bandolier um die Schulter komplettierte die Uniform.

„D-Das is’ doch unmöglich.“

Von hinten platzierte Akane ihre Hand auf ihrer Schulter und drückte bestärkend zu.

„Ranma?“

„J-a“, dehnte diese ihre Antwort hinaus und glotzte dabei die Puppe hilflos an, ehe sie sich zu einem erstaunlich klaren Gedanken durchrang.

„Ak-Akane?“

„Hm?“

„Das is’ U-Ukyo, richtig?“

„Hm.“

„Sei ehrlich – war das ich?“
 

Akane musterte ihren Verlobten besorgt. Als Ranma ihr das Gesicht zuwandte, konnte das sonst so burschikose Mädchen nur schüchtern nicken.

Sie wusste nicht, woher Ranma diese Erkenntnis gekommen war.

Aber das war ihr eigentlich auch egal. Was ihr ans Herz ging, war wie Ranmas Schultern sich senkten und ihre Finger sich aneinander zu Fäusten ketteten.

„Wie du damals.“

Akane nickte abermals stumm. Ihr war genau dieser Gedanke gekommen, als sie Ukyos Puppenkörper entdeckt und wenig später gerettet hatte.

Plötzlich schien neues Leben in Ranma einzukehren.

„Dann können wir auch was machen!“

Entschlossen sprang Ranma in die Höhe und hieb mit der Faust in die Luft.

„Und ob wir was machen können. Auf geht’s!“

„Und wohin Ranma?“, fragte Kasumi unschuldig – und Ranmas Statur sackte zusammen wie Zucker unter Regen.

In einer Geste außergewöhnlicher Konzentration legte Kasumi indes den Zeigefinger an die Unterlippe und summte leise.

Akane indes wechselte ihre Aufmerksamkeit zwischen Ranma und Kasumi hin und her. Ihr Verlobter starrte bockig aufs Parkett – und dabei fast Löcher ins Holz; tatsächlich begann das Holz undeutlich zu qualmen.

Ihre ältere Schwester schien ernsthaft über das Problem nachzudenken – und ihre Unterlippe zu massieren.

Und sie selbst?

Nun, sie stand, respektive saß recht unnütz herum und hatte keinen Schimmer wie sie helfen konnte. Irgendwie kam ihr dieser Zustand sehr bekannt vor.

Leise tropfte Wasser aus der Küche und vage konnte man das Wimmern ihres Vaters und das Grunzen Herrn Saotomes vernehmen. Das alles wurde unterlegt von dem sonoren Summen ihrer Schwester.

„Ranma?“, merkte Kasumi schließlich auf.

„Ja? Ja? Ja?!“

„Könntest du wohl kurz den Wasserhahn in der Küche zudrehen?“

„W-Wie?“

„Könntest du…“

„H-Hab’ schon verstanden, alles klar.“

Mit forschen Schritten verließ der junge Saotome das Wohnzimmer. Die Dielen schmatzen unter ihren Tritten.

Im nächsten Augenblick stoppte das behäbige Tropfen und Ranma schleppte sich zurück in den Raum, wo sie neben Akane Platz nahm.

„Warum fragst du nicht Großmütterchen Cologne?“

„Cologne? Du meinst die alte Hexe?“

Kasumis fröhliches Lächeln unterstrich ihren Vorschlag.
 

Kurz wog Ranma Kasumis Rat ab und verbuchte ihn als nützlich. Nicht allerdings, ohne Akane einen kurzen Blick zuzuwerfen und ihre Reaktion auf den Ratschlag zu prüfen.

Ihre Verlobte zuckte mit den Achseln und zwang sich zu einem halbherzigen Lächeln – sie hatte also einen Freischein.

„Na dann los!“

Enthusiastisch sprang Ranma in die Höhe, wirbelte um die Achse und setzte den rechten Fuß vor. Sonderlich weiter kam sie auch nicht und stolperte stattdessen nach hinten.

„Huh?“

Wie sie im nächsten Moment feststellte, lag das an einer Hand, die sie am Zopf zurückgehalten hatte. Und diese Hand gehörte ihrer Verlobten.

„Was’n ’kane? Hab’ was zu tun.“

„Willst du wirklich so raus gehen?“

„So?“

Behutsam führte Akane Ranmas Zopf vor deren Nase – und entlockte Saotome damit einen schulmädchenhaften Schrei.

Die Reaktion war auch nicht weiter verwunderlich. Immerhin stand ihr roter Zopf in Flammen und unzählige Feuerzungen schlängelten sich darum wie Ranken um eine Säule.

„Ich krieg’ ’ne Glatze! Ich seh’ bald aus wie mein Alter!“

„Trottel“, ein sanfter Hieb auf den Hinterkopf riss Ranma aus ihrer Panik.

„Dein Haar brennt. Es verbrennt nicht.“

Für einige Sekunden herrschte Stille, die Ranma schließlich durchbrach.

„Puh, dann passt’s ja. Ich machte mir da fast Sorgen. Hehe.“

Kurz lachte der Rotschopf und Akane stimmte ins Lachen ein.

„WARUM brennt mein Haar!?“

„Was weiß ich? Warum trägst du noch immer DAS?“

Auf besagtes DAS deutete Akanes Zeigefinger und so wanderte Ranmas Blick an ihrem Körper herab.

Zuallererst fiel ihr auf, dass sie augenblicklich weiblich war. Das hatte sie jedoch schon vorher anhand des roten Haares bemerkt.

Was jedoch wesentlich stärker ins Auge sprang als ihr Vorbau, war ihr neues Outfit.

Kühl schimmerte ihr das Leder entgegen und die Flammen ihres Zopfes spiegelten sich umso heißer darauf.

Hätte Akane ihren Verlobten nicht im nächsten Augenblick festgehalten, so hätte Ranma sehr bald wieder Bekanntschaft mit dem Parkett geschlossen.
 

Ryoga gähnte – und bereute es sogleich.

Ihre Lippen fühlten sich an, als hätte man sie als Nadelkissen verwendet.

Nein, falsch, es war mehr als hätte sie Seeigel geküsst; und zwar ein ganzes Bataillon.

Gequält schlug sie die Augenlider auf und erstarrte.

Ihre Gesichtszüge entgleisten zu einer Grimasse aus Unglauben und Zorn – und letztlich zu einer des Schmerzes.

„RANMA!“

Ebenjener Rotschopf saß nämlich über sie gebeugt und lächelte sie keck an.

„Wie geht’s?“

„Du w-wirst vermeintlich g-große Schmerzen erleiden.“

„Is’ das ’ne Drohung?“

„E-Eher ein V-Versprechen!“

„Ranma, Ryoga hört auf! Ich habt euch für heute schon genug geprügelt.“

Fassungslos lugte Ryoga zu Akane, die ihrerseits die Arme bestimmend verschränkt hatte.

„Genug? Genug?! ER, SIE… ES hat meine F – ich meine es hat Ukyo getötet!“

„Mal langsam Alter, sie is’ doch gar nich’…“

In einem beispiellosen Beweis ihrer Willenskraft richtete Ryoga sich auf und knallte dabei – nicht ganz versehentlich – gegen Ranmas Stirn.

„Ryoga! Hör’ auf! Ranma ist wieder normal!“

„Normal? Wann war der Kerl denn je normal?“

„Ey – das nehm’ ich persönlich!“

„Ach halt doch die Klappe!“

„Ihr beide seid jetzt still! Auf der Stelle!“

„Aber!“, protestierten besagte „beide“ lauthals.

Akanes stechender Blick genügte allerdings, um wieder Stille einkehren zu lassen.

„A-Aber Ukyo!“

„Liegt da.“

Abermals lenkte Akane ihren Finger auf den Tisch, worauf das Kissen und obenauf die Puppe lag.

Der Anblick genügte, um jeden weiteren Protest Hibikis im Keim zu ersticken. Völlig benommen torkelte das Pseudo-Mädchen auf das Kissen zu und ließ sich kraftlos auf die Knie fallen. Ihre Augen aber verließen die Puppe nicht für eine Sekunde und selbst ihre Augenlider klammerten sich fest, um ja nicht herabzurutschen.

„U-U-Ukyo?“

Behutsam stupste die Göttin das Püppchen an – und zog den Finger sofort zurück.

Das war Ukyo. Keine Frage.

Zu unverkennbar war die Aufmachung, zu unvergleichlich dieses angedeutete Grinsen, zu unerträglich der Okonomiyakigeruch.

„RANMA!“

Wutentbrannt wirbelte Ryoga herum UND genau in Akanes Hammer, der sie verdattert zurücktaumeln ließ.

„Aus, hab’ ich gesagt. Keine Schlägereien mehr!“

„A-Aber Ukyo…“

„Ihr beide werdet ihr helfen, kapiert?“

„A-Aber…“

„Ihr BEIDE. Verstanden Ryoga?“

Akanes unerbittlicher Blick lag auf der Göttin des Frohmuts und wirkte mit der Subtilität eines Elefanten im Tütü. Also verstörend und doch schwerwiegend.

„Das krieg’ ich auch allein’ hin, dafür brauch’ ich unsren Partysnack hier nich’.“

„Partysnack? Saotome!“

„Ryoga!“

„Aber Akane…“

„Schweinebacke!“

„Ranma!“

„Du kannst dir glatt meinen Namen merken!“

„Saotome!“

„Ranma!“

„Akane?“

Die Dreierdiskussion nahm ein jähes Ende mit zwei kurzen Hammerhieben.

Seufzend heftete Akane ihren Hammer und besah sich die beiden bewusstlosen Mädchen.

„Idioten.“

Mit Mühe unterdrückte sie ein Schmunzeln, strich sich ein paar Strähnen aus den Augen und rief zu ihrer älteren Schwester in die Küche.

„Kasumi?“

„Ja Akane?“

„Könntest du wohl Cologne anrufen. Ich glaub’ es wär’ nicht schlecht, wenn wir sie vorwarnen.“

„Aber sicher doch Akane.“
 

Cologne balancierte auf ihrem Stab, maß die kochenden Nudeln kritisch und warf einen Blick hinaus auf den kristallblauen Himmel.

Egal wie alt man auch war. Ein solches Wetter erfrischte die Glieder, belebte die Geister und machte Lust auf einen ausgedehnten Spaziergang – oder eine Prügelei, je nachdem was näherlag.

Außerdem war es noch dazu so ruhig, dass man glauben könnte Vögel, Passanten und Jugendliche hätten sich Schlafen gelegt.

Wie gut, dass sie es besser wusste.

Und lag das auch nur daran, dass die älteste Schwester der drei Tendo-Geschwister vorhin angerufen hatte. In ihrem säuselnden Tonfall hatte sie ihr drei Punkte vorgetragen.

1. Ranma war eine Dämonin.

2. Ryoga war keine Dämonin. Sie war nämlich eine Göttin.

3. Und Ukyo war eine Puppe.

Ja, es schien, als würden wieder interessante Zeiten ins Haus stehen. Nerima tolerierte eben keine Langeweile, ebenso wenig wie Colognes Neugierde.

Jetzt musste sie nur noch herausbekommen, was der Kuno-Junge und Shampoos Widerwillen darin ihren Verlobten zu besuchen damit zu tun hatten. Vielleicht machte das alles dann sogar Sinn?

Ihre krause Stirn zog sich noch ein Stückchen krauser.

Nein, sehr wahrscheinlich würde es das nicht. Die Dinge hier in Nerima machten nie Sinn.

Darin lag ja gerade Nerimas Anreiz.

„Tellerwäscher, kümmer’ dich kurz um die Nudeln. Ich hab’ was zu tun.“

Mousse schielte sie argwöhnisch von der Seite an.

Immerhin schien es das zu sein, was er eigentlich vorhatte.

Nur schielte er leider die Katzenstatue auf dem Fensterbrett an.

Das störte zwar den Effekt, aber wenn er die Figur für sie hielt, bemerkte er auch nicht ihre baldige Absenz. Möglicherweise kam er sich ja dann ernst genommen vor? Wer war sie, dass sie ihm diese Illusion zerstörte?

Bedächtig verließ sie die Küche hin zum Gastraum und musterte die flinke Bedienung, die lächelnd von Tisch zu Tisch flitzte.

Shampoo war ihr ganzer Stolz. Die junge Amazone besaß großes Talent, sie war entschlossen und stolz auf ihr Amazonen-Erbe. Problematisch war nur, dass sie allem voran ein Dickschädel war.

Genau wie sie es früher selbst gewesen war.

„Shampoo?“

Die quirlige Amazone kam zum Stillstand, visierte die Sprecherin an und tippte sich an die Stirn.

„Ja Urgroßmutter?“

„Könntest du wohl kurz Mousse aushelfen?“

Eine Grimasse aus Widerwillen, Abneigung und widerwilliger Abneigung kreuzte das Gesicht ihrer Urenkelin. Auf Colognes strenges Befehlslächeln hin war sie allerdings rasch überredet und verschwand mit wehender Schürze in der Küche.

„Das Restaurant ist hiermit geschlossen.“

Die drei Besucher blickte irritiert auf, verließen aber rasch das Etablissement. Bei den Langsameren half der eine oder andere angedeutete Stockhieb.

Wahrlich, ihre Überredungskünste waren noch immer von einschlagendem Erfolg.

Amüsiert gackerte die Alte und hüpfte zur Tür hinaus. Mit einem Stups wendete sie das Schild auf [Geschlossen] und verharrte.

Verwirrt linste sie über die Schulter.

Sie hätte schwören können, dass da Stimmen gewesen waren. Sehr hektische Stimmen, die sehr laut miteinander stritten.

Uninteressiert zuckte sie mit den schmalen Schultern. Wahrscheinlich hatte sie es sich nur eingebildet.

„RANMA!“

„Ver-da-mmt Ry-og-A!

„Akane kannst du austricksen aber nicht mich!“

„Sagt das derselbe Trottel, der auf meine Verkleidungen hineinfällt?“

„RANMA!“

Amüsiert drehte sich Cologne in die Himmelsrichtung, aus der die Schreie sie ereilten.

Ihr Amüsement machte Bestürzung Platz, als sie die Verfolgungsjagd mitverfolgte, die die beiden Partizipanten geradewegs zu ihr führte.

Der Verfolgte war Ranma – respektive die Verfolgte. Zudem zog ihr Haar eine Funkenspur durch die Luft und die Geschwindigkeit ihrer Reaktionen übertraf jede bisherige Darbietung ihrer Fähigeiten. Ebendiese Reaktionen ließen die bezopfte Kampfsportkoryphäe nämlich zwischen zahlreiche Lampenpfosten hindurchhüpfen, die ihre Verfolgerin hinterher schleuderte.

Die Verfolgerin war ein hübsches Mädchen mit nachtschwarzem Haar, einem zornesroten Gesicht und nebenbei steckte sie in einem seidenen – und sehr freizügigen – Outfit.

Ein weiterer Laternenpfahl verfehlte Ranma und stürzte in eine angrenzende Gartenmauer.

Doch – DAS musste Ryoga sein.
 

Ranma wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte.

Zugegeben, dass wusste sie die meiste Zeit über auch nicht. Dennoch probierte alle naselang jemand sie unter die Erde zu bringen. Ironischerweise bekam das mancher sogar hin.

Wie gut, dass sie nie liegen blieb, ansonsten könnte einer auf die Idee kommen, die Doppeldeutigkeit der Aussage auszuschöpfen – und sie daher permanent einzuebnen.

Ranmas Gedanken wurden von einem weiteren Laternenpfahl unterbrochen, der wiederum etwas anderes zerbrach – und zwar die Mauer zu ihrer Linken.

„Hey Ryoga, reg’ dich ab! Sind dir die Sicherungen durchgebraten?“

„Saotome, bleib stehen! Akane kann dich nicht mehr beschützen!“

„Beschützen? Pah! Sie kann ja nich’ mal auf sich selbst aufpassen!“

„Du wagst es auch noch sie zu beleidigen?“

„Reg’ dich ab! Ich dacht’, du stehst auf Ukyo?“

„Ukyo? Ukyo?! Du hast sie umgebracht!“

„Quatsch – sie is’ doch jetz’ ’ne Puppe. Is’ Akane doch auch schon passiert.“

„Du wagst es Ukyos Leid durch den Schmutz zu ziehen?“

„Wer sagt’n, dass sie leidet?“

„Es ist ganz allein’ deine Schuld!“

„Verdammt auch – das war der Dämon, nich’ ich!“

„Deine Ausreden will ich nicht hören!“

„Alles andre aber auch nicht!“

Ryogas nächste Antwort ging in einer gewaltigen Explosion von Stein unter, die sich keine fünf Schritte vor dem streitenden Paar abspielte. Staub und Schutt prasselte auf die beiden nieder.

Ranma fing die spitzen Splitter auf, Ryoga ließ sie an sich zerbröseln.

Ein Räuspern alarmierte die Kämpfer und lenkte die ungeteilte Aufmerksamkeit auf die Person in der Staubwolke, die mit einem beständigen Tok-Tok näher kam.

„Alte Hexe!“, grüßte Ranma ungestüm.

Der Schlag trieb den Rotschopf ungespitzt in den Boden.

„C-Cologne?“, probierte es Ryoga diplomatischer.

Die stechenden kleinen Augen fixierten sich auf die Göttin zweiter Klasse und musterten sie eingehend, bis sie an ihrem Haaransatz verharrten.

„Bist also tatsächlich Ryoga. – ein schallendes Gackern erfüllte die ramponierte Nebenstraße – Na kommt erst mal rein.“
 

Fragend berührte sich der ewig verlorene Junge an der Stirn und erspürte den Stoff ihres Bandana. Dann blickte sie seitwärts zu der bewusstlosen Gestalt.

Zutreten oder –schlagen? Zuschlagen oder –treten?

Das war hier die Frage.

Zu einer Antwort kam Ryoga jedoch nicht, als Cologne sie beide hereinrief.

„Kommt endlich!“

Also blieb Hibiki nichts anderes übrig, als ihren ungeliebten Erzrivalen über die Schulter zu schmeißen und ins Neko Hanten zu tragen.

Drinnen war alles noch genauso wie Ryoga es in Erinnerung hatte. Überall klebte der Duft chinesischer Gewürze, die Stühle standen ordentlich an den Tischen und Zeichnungen der Ländereien Chinas zierten die Wände.

Unsanft rammte die Göttin ihre Last auf einen der Stühle und nahm auf dem daneben Platz. Cologne ihrerseits setzte sich ihnen gegenüber.

„So Jungs, ich geh’ mal davon aus, dass ihr keinen Schimmer habt wie es hierzu kam. Stimmt’s?“

Ryoga schüttelte daraufhin nur den Kopf. Ranma indes schnarchte leise.

Eine Kopfnuss von Hibiki beendete diesen Zustand unlängst.

„Hey, was soll das?“

Ryoga schwieg dazu und nickte nur zu Cologne.

„Nachdem jetzt alle anwesend sind, können wir ja beginnen.“
 

Bevor Cologne allerdings ansetzte, warf sie noch einen forschenden Blick über die Schulter zur Küche. Sie konnte nur hoffen, dass Shampoo drinnen blieb. Denn der Anblick ihres Verlobten in dieser Aufmachung konnte nicht gut für ihre geistige Gesundheit sein.

Apropos, dass führte sie gleich zur ersten Frage.

„Du bist jetzt also eine Dämonin?“

Die Frage richtete sie mit scharfem Blick an Ranma, die trotzig schmollte und die Arme verschränkte.

„Warum muss es immer was Weibliches ein? Könnt’ ja ’n Dämon sein, aber ’ne Dämonin?“

Das beantwortete zumindest schon einmal eine ihrer Fragen.

„Brennt dein Zopf deswegen, zukünftiger Schwiegersohn?“

„Brennt? Mein Zopf brennt?“, skandierte Ranma.

„Idiot! Er brennt schon die ganze Zeit!“, knurrte Ryoga hilfreich.

„Brennt? Oh ja, stimmt, er brennt ja“, versicherte Ranma, jetzt bedeutend ruhiger.

Soso, ihr Schwiegersohn war jetzt also eine Botin der Hölle.

Was hieß das jetzt allerdings für ihr geistiges Wohl?

„Bist du noch immer unter der Kontrolle des Dämons?“

„Huh?“

„Hörst du noch immer die Stimme des Dämons?“

„Eh-eh“, bestärkend schüttelte Ranma den Kopf.

Das machte die Sache interessant. Ein Dämon ohne den Willen eines Dämonen Böses zu tun, konnte ein wichtiger Verbündeter für ihr Dorf werden. Immer vorausgesetzt der Rest des Dorfes akzeptierte die Mitgliedschaft des Feindes in der Gemeinschaft.

„Na immerhin etwas. Sonst hätten wir ein Problem.“

„Problem?“, konstatierte Ryoga und zog die Augenbrauen interessiert hoch.

„In der Tat, denn wir Amazonen trainieren nicht zum Spaß an der Freude. Unser beständiges Training verfolgt ein ganz gewisses Ziel.“
 

Ranma spürte das es bessere wäre nicht zu fragen. Sie fragte trotzdem.

„Was für’n Ziel?“

Hierauf hob Cologne den Blick und starrte ihr kalt in die Augen.

„Wir jagen und töten Dämonen.“

Auf diese bedeutungsschwangere Aussage hin setzte Stille ein.

„Oh – und das heißt?“

„Das heißt, dass der einzige Grund, weshalb dein Kopf auf deinen Schulter anstatt vor deinen Füßen liegt, der ist, dass du deinen stoischen Dickkopf beibehalten hast.“

„Oh – das ist gut.“ Ranma gönnte sich ein unsicheres Lächeln, das jedoch gleich abfiel.

„Hey, ich bin kein Dickkopf!“

Cologne überging Ranmas Einwand und widmete ihr Interesse Ryoga, die still auf ihrem Stuhl kauerte.

„Und du bist nun eine Göttin?“

Ohne Aufzusehen antwortete Ryoga.

„Göttin zweiter Klasse, dritter Kategorie mit limitiertem Zugriff. Göttin des Frohmuts, Ryoga Hibiki, steht zur Verfügung.“ Das Ganze kredenzte Hibiki noch mit einem sardonischen Grinsen.

„Frohmut?“, hierzu zog Cologne eine Augenbraue hoch, entschied sich aber nicht weiter ins Detail zu gehen.

„Und – Kasumis Aussage zufolge – habt ihr euch geprügelt. Und du – sie deutete auf Ryoga – hast sie – ihr Finger wanderte zu Ranma – besiegt?“

Augenblicklich war Saotome aktiver Teil der Unterhaltung.

„Unser Kampfferkel? Mich besiegen? Pah!“

„Saotome!“

„Ruhe! Ihr beide! Ihr seid nicht zum Spaß hier!“

Das wussten die beiden nur zu gut und so wurde die Stimmung bedeutend ruhiger.
 

Schließlich war es Ryoga, die mit der Sprache herausrückte.

„Es geht um Ukyo. Sie ist – Sie ist – Sie ist…“

„…ein Puppe“, ergänzte Ranma geflissentlich und wurde sogleich von Hibiki niedergestarrt.

Derweil lehnte sich die alte Matriarchin in ihrem Stuhl zurück und warf einen nachdenklichen Blick an die Decke.

Sie hatte ihrer Urenkelin und deren Verehrer sorgfältig zugehört, als diese von ihrer Auseinandersetzung mit den Phoenix-Menschen berichteten. Shampoo war von ihnen versklavt worden und Mousse hatte an der Seite Ranmas und Ryogas den Kampf aufgenommen.

Ein Aspekt, der dabei fast untergegangen war, war die Dehydrierung Akanes gewesen. Oder in anderen Worten: Akanes Verwandlung in eine kleine Puppe.

Vielleicht ließ sich daraus ja was Nützliches ableiten?

Aber halt, zuerst sollte sie sich etwas weitaus wichtigeres überlegen.

Weshalb sollte sie eigentlich dabei helfen, einer Rivalin ihrer Urenkelin neues Leben einzuhauchen?

Kurz beschaute sie sich Ryoga, die noch immer böse Blicke mit Ranma austauschte.

Cologne kam ein guter Gedanke.

„Ryoga?“

„Hm?“

„Ich denke, ich kann euch helfen.“

Überrascht glotzte die junge Göttin die alte Schachtel an.

„Wirklich? Das – Das ist ja klasse!“

„Allerdings geht das nicht ganz so leicht.“

Ryogas Enthusiasmus nahm einen schweren Schlag und ihre Schultern fielen.

Dafür war Ranma sofort mit Feuer und Flamme – durchaus wörtlich – dabei.

„Wie könn’n wir Ucchan helfen?“

„Ranma, du, als Shampoos Zukünftiger bekommst jederzeit Hilfe von uns Amazonen. Das weißt du. Ryoga jedoch besitzt keine Verbindung zu uns. Daher ist es schwer die anderen Dorfvorsteher davon zu überzeugen, dass es gut wäre unserem verlorenen Jungen hier zu helfen. Göttin hin oder her.“

„Hä?“, repondierte Ranma intelligent.

Ryoga jedoch knirschte mit den Zähnen und nickte geschlagen.

„Einverstanden. Was muss ich machen?“

Cologne grinste. Sie liebte es, wenn sich die Dinge so leicht zusammenfügten.

„Ein Loyalitätsschwur reicht vollkommen. Da du eine Göttin bist, wird uns deine Hilfe somit ewig erhalten bleiben.“

„Okay. Dafür hilfst du allerdings Ukyo!“

Cologne nickte und rieb ihre runzligen Lippen zu einem Schmunzeln aneinander.

„Ewig?“, unterbrach Ranma ihren kurzen Moment der Zufriedenheit.

Cologne erwiderte Ranmas fragenden Blick mit einem Lächeln.

„Ganz genau – ewig. Das gilt für Ryoga und auch für dich.“
 

„Oh.“ Fragend sondierte Saotome die Miene ihres alten Schulkameraden und Erzrivalen. Es genügt zu sagen, dass Ryogas Gesicht Bände sprach – und keine Seite davon wäre eines Lächelns würdig.

Es stimmte also, was die alte Schachtel sagte. Sie und Ryoga würden ewig leben?

Das war harter Tobak. Vor wenigen Tagen noch ein normaler Mensch – so normal wie es für Ranma Saotomes Verhältnisse möglich war – gewesen zu sein und heute eine unsterbliche Dämonin zu sein, war selbst für sie eine Umstellung.

„Wir können also nich’ mehr draufgehen?“

Hierauf schüttelte Cologne bestimmt den Kopf.

„Es ist ein Unterschied, ob du ewig lebst und ob du unsterblich bist. Ihr lebt ewig. Ihr seid aber nicht unsterblich.“

Jetzt war Ranma noch verwirrter. War denn ein Gott oder Dämon nicht unsterblich?

Cologne schien ihr ihre Unsicherheit anzumerken.

„Eine tödliche Verwundung kann dir noch immer ein Ende setzen. Es ist jetzt nur wesentlich schwieriger einen von euch beiden dauerhaft außer Gefecht zu setzen. Ihr heilt schneller, ihr seid widerstandsfähiger. Nur wenige Waffen und Techniken könnten euch ernsthafte Schäden zufügen.“

Das klang doch gar nicht mal so schlecht. Hatte der Vorfall also doch was Gutes gehabt?

Es fiel Ranma schwer das zu glauben. Immerhin war ihre überweltliche Seite alles andere als männlich.

Und überhaupt – was sogar noch wichtiger war – was war mit Ukyo?

„Hey alte Hexe, wie hilfste Ukyo jetz’?“

Auf den Stockhieb folgte eine Erklärung.

„Ich selbst kann nicht helfen. Aber ich habe mich belesen.“

„Belesen?“, hakte Ryoga nach, jetzt wieder voll beim Gespräch dabei.

„In der Tat; und es ist interessant, was sich so alles in 3000 Jahren Amazonengeschichte ansammelt.“

„Das da wäre?“, drängte Ryoga ungeduldig.

Zwischen halbgeöffneten Augenlidern spähte Cologne zu der Göttin.

„Lasst es mich so sagen. Es gibt Türen zwischen dem Hier und dem Jenseits.“

„Und?“

„Und jene ermöglichen den Übergang ins Jenseits. Daher nennt man sie ja auch Türen.“

„Und?“

„Herrgott, ihr müsst so eine Tür finden. Dann könnt ihr probieren Ukyo zu helfen.“

Es war an Ranma sich erneut einzuschalten.

„Ja aber, genügt denn nicht dieses Wasser von dem Reifungsdingsbumbs bei Saffron? Akane hat’s doch auch geholfen.“

Cologne gönnte sich ein Grinsen.

„Nicht schlecht zukünftiger Schwiegersohn. Du beginnst deinen Kopf für andere Sachen als nur zum Essen zu gebrauchen.“

„Hey…!“

„Deswegen muss ich dich enttäuschen. So einfach klappt’s nicht. Kasumi sagte mir, du warst es, die Ukyo verbrannt hat.“

„Gar nich’ war, ich…“

„Du warst besessen. Schon klar. Worauf ich hinaus will ist, dass es ein Unterschied ist, ob man von normalem oder verfluchtem Feuer berührt wird.“

„Verflucht?“

„Genau. Ebenso wie die Gegenwart einer Göttin heilen und in einem Kampf die Wende bringen kann, so sind die Angriffe eines Dämons vernichtend und vergiftend. Ein Dämon zerstört nicht nur. Er vernichtet.“

„Und – das heißt?“

„Normalerweise wäre Ukyo tot. Das überhaupt was übrig ist, überrascht mich.“
 

„Die Spathula.“

Die Augen der Alten und der Dämonin wanderten zu Ryoga, die verloren auf ihrem Stuhl saß.

„Ukyo’s Spathula steckte im Boden.“

Hierauf lehnte sich Cologne zurück und presste die Lippen aufeinander.

„Kluges Mädchen.“

„Hm?“

„Ukyo hat zwar nichts gegen die Hitze ausrichten können, aber sie schützte sich mit ihrer Waffe gegen das Feuer. Sie wurde also nur ausgetrocknet, nicht eingeäschert.“

„Also is’ es doch so wie bei ’kane?“

Cologne schüttelte den Kopf.

„Hast du nicht zugehört? Das Feuer ist trotz allem auf Vernichtung ausgelegt. Daher trocknete die Hitze sie nicht nur aus. Sie verbrannte auch ihre Lebenskraft.“

„Eh? Und wie füll’n wir die wieder auf?“

Colognes Augenbrauen zogen sich geschäftig zusammen.

„Dafür müsst ihr schon ins Jenseits. Eure neuen Identitäten dürften dafür recht hilfreich sein.“

Wie in einem Nachgedanken fügte sie noch hinzu.

„Vielleicht könnt ihr dort was ausrichten? Vielleicht aber auch nicht.“

Ryogas Pupillen sackten erneut zu Boden. Da hatte sie sich doch ernsthaft Hilfe und Rat erwartet, aber alles was sie bekam, war eine Märchengeschichte von Türen ins Jenseits. Einfach klasse, mit ihrem Orientierungssinn verwechselte sie ja bereits den Aufzug mit der Abstellkammer. Wie sollte sie da ein Portal in die Welt der Toten finden?

„Nun lasst mal nicht die Schultern hängen. Ein paar Tipps hab’ ich schon noch. Hab’ ja nicht umsonst einige hundert Jahre auf’m Buckel.“

Wenig erwartungsvoll fixierte Ryoga die Matriarchin.

„Fast hätt’ ich’s vergessen, aber es gibt Anzeichen für die Anwesenheit eines solchen Übergangs.“

„Dann spuck’ mal aus alte H…!“, intonierte Ranma und bekam den Stock unsanft zu spüren.

Nach einem missbilligenden Blick zu ihrem zukünftigen Schwiegersohn wandte sich Cologne wieder dessen Kamerad zu. Ryoga schien in dieser Angelegenheit der bessere Ansprechpartner zu sein.

„Diese Türen haben den unschönen Nebeneffekt, dass sie sehr viel Energie benötigten. Daher sammeln sie fast ständig. Ziehen Lebensenergie aus Wolken, Bäumen und Tieren.“

„Und?“

„Und da sie nur selten benutzt werden, geben sie einen Großteil der Energie auch wieder ungenutzt an ihre nähere Umwelt ab. Es wird also alles in der Nähe mit Energie durchdrungen.“

„Und?“

„Die meisten Pflanzen gedeihen dadurch prächtig, den Tieren geht es gut – allerdings wirkt es auf Menschen wie eine Überdosis Kaffee; jeden Tag des Jahres, jede Stunde des Tages, jede Sekunde der Minute.“

Bestürzt betrachtete Ryoga die alte Frau.

„In anderen Worten, die Leute knallen durch. Die überschüssige Energie wird in alles Mögliche gepumpt, die Realität verzerrt sich für diese armen Kerle.“

„Das klingt ja übel und der Wartungsdienst sollte dringend mal was dagegen machen, aber wo soll man so jemanden finden? Derjenige müsste ja total beklopp…“

Ryogas Ansprache stockte. Ihre Gehirnwindungen sprühten Gedankenblitze, die von einer Synapse zur nächsten hüpften, Salti schlugen und die Erkenntnis dämmerte.

„Das ist ein Witz.“

Cologne schmunzelte genüsslich und holte ihre Pfeife hervor, die sie sogleich behutsam zu stopfen begann.

„Was is’n? Fällt dir jemand ein?“, meldete sich Ranma zu Wort und schielte gelangweilt zu Ryoga.

„Lass’ es mich so sagen Saotome. Ich hab’ eine gute Ahnung, wo wir hin müssen.“

Mit diesen Worten schob Ryoga den Stuhl zurück, dankte Cologne mit einer tiefen Verbeugung, packte Ranma sodann beim Zopf und zog diese hinterher, ohne deren Proteste auch nur eines Schlages zu würdigen.

Sie hatten verdammt viel zu tun – und noch viel mehr vor sich.

Diesen Entschluss gefasst, stieß Hibiki die Tür zur Straße auf, zerrte Ranma mit sich und warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Tendo Dojo – oder zumindest dorthin, wo sie es vermutete.

Wenn sich ihre Vermutung als korrekt erwies, so würden sie und Ranma eine lange Reise vor sich haben - eine sehr lange Reise.

Doch das schuldeten sie Ukyo. Das schuldete sie Ukyo.
 

Mousse verengte die Augen zu Schlitzen. Das lag nicht daran, dass er gerade schlecht sah. Er sah immer schlecht. Es war eher der Tatsache zuzurechnen, dass der Amazone konzentriert lauschte.

Er hatte nämlich das ganze Gespräch mitgehört.

Vorhin noch war Shampoo in die Küche gekommen, hatte ihn giftig in Augenschein genommen und dazu angewiesen die Teller zu waschen, während sie das Abtrocknen übernahm. Wenige Minuten später jedoch klingelte das Glöckchen an der Eingangstür und zwei weibliche Stimmen erklangen im Gastraum.

Die Stimme der alten Mumie antwortete unlängst.

Woher aber war ihm eine der weiblichen Stimmen so bekannt vorgekommen?

Diese Frage löste sich in Wohlgefallen auf, als er Shampoos starre Figur registrierte. Die junge Amazone war in ihrer Bewegung gefroren, quetschte das Wischtuch mit der Linken und die Scherben eine Tellers in der Rechten.

Dann – schneller als er Shampoo je hatte agieren sehen – flüchte sie aus der Küche und verschwand die angrenzende Treppe hinauf. Das Schlagen ihrer Zimmertür hallte bis hinab in die Küche. Erst im nächsten Augenblick begriff Mousse die Ursache hinter ihrem Verhalten. Da erst erkannte er nämlich die Eigentümerin der einen Stimme – oder sollte er besser den Eigentümer sagen?

Es war Saotome.

Seinen ersten Impuls, kopfüber in den Gastraum zu stürzen, hatte er mühevoll unterdrückt. Die letzte Niederlage war ihm noch zu gut im Gedächtnis geblieben. Daher hatte er abgewartet – und viel Interessantes herausgefunden.

Jetzt galt es nur noch zu bestimmten, was genau er mit dem Wissen anstellen sollte.

Auf den Lippen des Amazonen zeichnete sich ein sinisteres Lächeln ab.

Doch, ihm schwante bereits etwas vor.
 

Derweil sich IM Neko Hanten weitreichende Ereignisse anbahnten und DAVOR zwei Kämpfer ihren ersten Schritt entgegen einer langen Odysee taten, herrschte unerwarteter Friede im Hause Tendo.

Die vormals geflohenen Vögel waren zurückgekehrt und stimmten probeweise ihren Gesang an, Kasumi spazierte summend und mit dem Schrubber bewaffnet durch die Räume, Soun beklagte das Übermaß an Teich und Genma kaute gelangweilt seinen Bambus.

In dieser Ruhe nach dem Sturm störte nur das angestrengte Ächzen einer Person. Diese Person war Akane, die ihr Möglichstes tat, um die Schäden auszubessern, an denen sie nicht ganz unschuldig war. Namentlich die Dellen, die sie dem Parkett zugefügt hatte.

Stumm und anklagend starrte sie dabei die Miniatur-Ukyo an.

Aus der Diele hallte noch immer die Stimme Nabikis, die nun schon seit geschlagenen zwei Stunden mit der Versicherung verhandelte – und die Verhandlungen wohl noch für weitere zwei Stunden durchstehen würde.

Das neutrale Abstreiten jedweder Betrugsversuche von Seiten Nabikis und Kasumis wohlklingendes Pfeifen bildeten einen seltsamen musikalischen Hintergrund für einen seltsamen Tag und für die seltsame Tätigkeit, der sie augenblicklich nachging.

Es stellte sich nämlich als bedeutend schwerer heraus, eingesunkene Holzbretter zu straffen als sie zu demolieren.

Das ihr währenddessen die Puppe höhnische Blicke zuwarf, half dem Ganzen nicht wirklich.

„Guck’ mich nicht so an. Ich bin nicht schuld hieran!“

Die Puppe starrte beständig.

„Verdammt, Ranma hat’s nicht böse gemeint.“

Die Puppe starrte eindringlich.

„Nein, ich wusste auch nicht das Ryoga Ryoga ist!“

Die Puppe starrte besänftigt.

„Oh Mann, ich werd’ noch ganz irre. Ich trink erst mal was.“

Mit diesen denkwürdigen Worten erhob sie sich und machte sich auf zum Kühlschrank, aus dessen Bauch sie den gekühlten Orangensaft herbeisehnte. Sie brauchte irgendetwas um ihre geschundenen Nerven zu beruhigen. Orangensaft tat da Wunder, insofern sie ihn nicht selbst gepresst hatte.

So verließ sie das Wohnzimmer mit dem Ziel ihren Durst zu stillen.

Daran lag es wohl auch, dass ihr die unmerkliche Bewegung entging. Man nahm sie nämlich nur wahr, wenn man ganz genau hinsah. Denn wem fiel schon auf, wenn sich kleine Puppenfinger zu einer Faust ballten?
 

ENDE – Buch I
 

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Anmerkung des Autors:
 

Im Normalfall erwartet man spätestens an dieser Stelle ein paar einprägsame Worte. Leider habe ich mir nicht wirklich etwas zurechtgelegt, daher widme ich mich einfach mal dem Wesentlichen.

So beschränkte ich mich darauf ein paar Gedanken mit euch zu teilen. Mit euch? Ja, euch Lesern.

Weshalb möchte ich das tun? Nun, dass ist leicht.

Die Existenz dieser Geschichte ist nämlich ebenso euer Verdienst wie sie meiner ist.

Wäre da nicht euer ständiger Fluss an Interesse, eure beachtenswerte Kritik und letztlich eure bekundete Vorfreude auf das jeweils nächste Kapitel gewesen – ich hätte dieses Projekt nie bis zum Ende des ersten Buches gebracht.

Überhaupt ist es mein größtes Laster, dass ich viele meiner Geschichten unvollendet lasse. Ich mach’ das nicht aus Absicht oder bösem Willen. Es fehlt mir nur einfach an der nötigen Motivation, um mich aufzurappeln. Ich denke, viele von euch werden das verstehen.
 

Umso erstaunter bin ich über das Erreichen dieses vorläufigen Endes.
 

Noch dazu, da diese Geschichte ursprünglich ein Produkt einer langen Nacht gewesen war. Nie hätte ich mir erträumt, dass dieser wahnwitzige Oneshot mein bislang größtes und erfolgreichstes Projekt werden würde.

Das ist es nämlich.

Mit 12 Einträgen in Favoritenlisten und bisher 52 Kommentaren ist dieses kleine Werk mein absoluter Höhepunkt. Irgendwie unglaublich. Noch dazu war es doch nur eine fixe Idee…
 

Dafür bin ich euch allen unendlich dankbar, denn ihr habt mich dazu beflügelt viele Stunden an dieser Geschichte zu verbringen. Eure aufmunternden und hilfreichen Worte waren es, die mir die Kraft gaben, die Augenlider noch eine Weile länger aufzusperren.
 

Im Einzelnen möchte ich mehren Personen danken, die dies hier möglich gemacht haben.
 

1. Kiavalou: Meine Vertraute und Freundin, die wertvolle Zeit dafür opferte, dass ich mich meinen Flausen hingeben und euch Kapitel um Kapitel präsentieren konnte.

2. Mark Soul: Dir möchte ich für deine ausschweifenden Kommentare danken, die mir – insbesondere, da sie von einem Schreiber mit deiner langjährigen Erfahrung kommen – sehr wertvoll sind und mich in meinem Tun bestärken.

3. MichiruKaiou: Deine fortwährenden und durchweg positiven Rezensionen ließen mich des Öfteren grinsen und im Größenwahn die Gipfel der Schreibkunst erklimmen.

4. elina: Wenngleich ich Menschen wie dich auch nie verstehen werde, die sich frühmorgens an den Computer setzen, um eine unausgegorene Geschichte wie meine zu lesen – ich möchte dir trotzdem für dein lebhaftes Interesse danken.

5. Ghost6: Als mein beständigster Kommentator hast du dir meine Anerkennung verdient. Egal welchen Quatsch ich auch schreibe, du kommentierst ihn trotzdem. Und allem Anschein nach gefällt er dir. Ich hoffe, dass bleibt so.

6. Spike: Lass’ es mich so sagen: Du rockst! Ich hätte nie gedacht, dass jemand so verrückt sein könnte, seine Zugfahrtzeit mit meinem kreativen Murks zuzubringen. Du tust es. Das kann ich zwar nicht verstehen, aber es schmeichelt mir dennoch. Außerdem hältst du nie hinterm Zaun mit deiner Meinung und verplättest mir Fehler und Mängel ganz offen. Danke dir für diese Ehrlichkeit! Sie hilft mir ein besserer Autor zu werden.

7. Hinji: Auch du bist einer meiner vielen Spiegel, denn an deinen Worten spiegelt sich der Wert meiner Geschichten. Allem Anschein nach verdienen sie demnach das Prädikat: Besonders wertvoll. Für deinen Überschwang und dein Interesse möchte ich dir einen herzlichen Dank aussprechen. .
 

Bis dahin,
 

euer Deepdream

Voll von der Rolle.

Ein Gruppe Tauben trieb gemächlich durch die Lüfte. Sie tauschten sich dabei heiter und gackernd über luktrative Rastplätze und die steigende Qualität der Futterkörner aus. Geschmeidig bewegten sich die Vögel in einer Geschwindigkeit dahin, die sich nur mit einem Schlagwort erklären ließ: Instinkt.

Dumm nur das aller Instinkt nichts nutzt, wenn die Regeln der Natur von außergewöhnlichen Kampfsportlern mit leidlich mehr Kraft als Verstand gerne mal über den Haufen geworfen werden.

So schlug Taube #4 ein letztes Mal mit ihren hellgrauen Flügelchen, lauschte dem Raunen des Windes und prallte sodann geräuschvoll in eine der berüchtigsten Gestalten Nerimas hinein. Es war eine durch und durch weibliche Ranma Saotome, ihres Zeichens Teufelin zweiter Klasse und eingepackt in eine gewagte Lederaufmachung.

Während die Taube also einen zweiten Flugmodus ausprobierte – Sturzflug genannt –, setzte besagtes nicht gänzlich weibliche Wesen ihren Weg fort. Schreiend und lärmend und Federn spuckend.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 11 – Voll von der Rolle…
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Nerima.

Das ist kein Ort, an dem Ordnung herrscht.

Herrgott, jeder Mensch mit dem Verstand einer angefahrenen Pferdebremse wäre schon längst umgezogen. Das lässt wiederum Rückschlüsse auf den IQ oder Überlebenswillen der Bewohner zu…

Nichtsdestotrotz gibt es überall auf der Welt diesen hartgesottenen Menschenschlag. Manche leben unterhalb eines Vulkans und beschweren sich über die Kälte des Winters, andere verzehren Fastfood ohne den Rattenschwanz – mitunter sehr wörtlich – an Zutaten abzuprüfen.

Es bleibt also festzuhalten: Nerima ist gefährlich und dessen Einwohner eigenartig.

Einer dieser Einwohner teilte sich soeben den Luftraum mit der aufgebrachten Verwandtschaft der abgeschossenen Taube.

„Hey, was is’n? Verdammt! Autsch! Nicht dort, nein, autsch!“

Ranma konnte ihr Pech wirklich nur verfluchen. So gesehen war ihr Pech sowieso ein Fluch und zwar nur einer von vielen. Manchmal fiel es ihr schwer zu bestimmen, von was sie mehr hatte. Verlobte oder Flüche?

Na, vielleicht wusste ihr Vater die Antwort darauf…

Unter ihren Füßen näherte sich die Erde, respektive der Dächerwald Nerimas. Wie ein Flickenteppich aus Blau, Rot und Braun schimmerten die Ziegel ihr entgegen und boten sich als Landeplatz an.

Wer war sie, dass sie ein so großzügiges Angebot ausschlug?

So wie sie es vor vielen Jahren von ihrem Vater gelernt hatte –- „Der Sprung ist kein Problem mein Junge.“ „Aber Papa, wo ist der Boden?“ „Unwichtig Sohn; und jetzt spring!“ – zog sie die Beine an. Kaum dass ihre Füße in Kontakt mit den Schindeln kamen, drückte sie die Beine durch und federte nach vorne.

Schwungvoll katapultierte es sie über den Dachrand, woraufhin sie eine Luftrolle schlug und zielsicher auf der Straße aufkam.

Was jeden normalen Mensch umgebracht hätte, bekümmerte Ranma nicht im Mindesten. Anstelledessen war sie tief in Gedanken – oder immerhin so tief wie Ranma Saotome in seiner Gedankenwelt versinken kann, circa knöcheltief also.

„Schweinchen is’ aber sauer“, schmollte der Rotschopf und seufzte gepresst.

In einer lässigen Geste warf sie ihren flackernden Zopf über die Schulter. Das Teil war zwar etwas ungewohnt, aber nachts sicher ungemein praktisch!

Doch zurück zum Thema – Ryoga war sauer.

Okay, dass war beileibe kein Neuzustand. Diesmal jedoch konnte sie die Beweggründe dahinter fast nachvollziehen.

Schließlich wäre sie auch nicht wirklich glücklich, wenn ihr Machoweib im Jenseits wäre. Kein Wunder, Akane würde ihr sprichwörtlich die Hölle heiß machen...

Trotzdem hatte Ryoga ihrer Meinung nach völlig überreagiert.

1. Hatte sie nur vorgeschlagen, kurz einen Happen zu vertilgen. Als Stärkung sozusagen.

2. Hatte sie instinktiv das Ucchan’s bestimmt; da wartete der wenigste Ärger auf sie.

3. Hatte sie Schweinefleisch empfohlen, da Okonomiyaki nur auf diese Weise schmeckte.

Gedanklich schritt Ranma ihre Liste ab und entdeckte ein paar Kleinigkeiten, die vielleicht nicht ganz so taktvoll gewesen waren. Okay, zugegeben, streicht das.

Sie hatte einen Öltanker ins Feuer geschippert.

„Menno“, murmelte sie und sah sich in ihrer Umgebung um. Es war schon schwer genug die Lage des Tendo-Dojo zu bestimmen, allerdings selbiges bei Ryoga zu schaffen, glich einer Unmöglichkeit.

„P-chan?“, rief der Rotschopf aus und lauschte aufmerksam. Ihre eigene Stimme antwortete ihr als Echo, mehr jedoch nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn das geklappt hätte. Also musste sie es wohl oder übel auf die herkömmliche Weise probieren.

Mit hängenden Schultern schleppte sie sich voran, auf der Suche nach Ryoga oder einer Schneise der Verwüstung – je nachdem worauf sie zuerst stieß.
 

Ryoga ballte eine Faust und streckte den Laternenpfahl neben sich nieder. Sie schäumte vor Wut. Dieser – Dieser – Dieser Saotome, sie könnte ihn umbringen. Nein, sie würde ihn umbringen!

Dabei hatte sie ihm doch glattweg vergeben…

Okay, dass war gelogen. Sie konnte ihm schon wegen Brot nicht vergeben, da wog das Ableben ihrer Chefin ungleich schwerer. Das Ranma unbekümmert blöde Witze riss, setzte dem ganzen noch die Krone auf.

Hätte sie ihm nicht eben schon eine verpasst, so würde sie’s wahrscheinlich jetzt tun.

Sicherlich hatte dieser Unhold das alles geplant. Jetzt nämlich saß sie hier in der Fremde fest, ohne jede Ahnung wo ihr Ziel war.

Die Göttin grollte tief.

Es war keine Zeit zum Verzweifeln. Sie besaß eine Agenda und diese würde sie durchziehen.

Entschlossen stürmte sie voran, die Augen feurig und der Wille eisern.

Letzteren würde sie noch bitter nötig haben.
 

Tatewaki Kuno saß auf der Veranda.

Diese Feststellung ist natürlich falsch. Tatewaki Kuno sitzt nicht, er platziert sich.

Außerdem platzierte er sich nicht einfach auf den harten Dielen, sondern machte es sich in einem hochluxuriösen Lehnstuhl bequem.

Neben ihm ruhte auf einem Hocker ein großes Glas Eistee und auf seiner Nase eine schwarze Sonnenbrille.

Er war zwar ein nobler Samurai, aber er war kein völliger Idiot – obwohl viele ihm das Gegenteil attestierten.

Tatewakis Meinung nach war er regelrecht dazu verpflichtet den Reichtum zu nutzen, der ihm zur Verfügung stand. Wenn er außerdem schon in einer Ära des Überflusses und der Annehmlichkeiten lebte, wer war er, dass er diese nicht aus vollen Zügen genoss?

Also ließ er sich die Sonne auf den Pelz brennen und bei Bedarf durfte der treue Sasuke ihm Wind zufächern.

Das Leben war doch herrlich…

„Ho-Ho-Ho-Ho-Ho!“

...abzüglich einiger Kleinigkeiten, die Geld nicht bereinigen konnte.

Obwohl – war postnatale Abtreibung hierzulande gesetzlich zulässig? Er hatte gut Lust, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.

„Wertester Bruder, nunmehr entschwinde ich zu meinem geliebten Ranma.“

„Nur zu erfreulich liebste Schwester. Beileibe, dort magst du auch verbleiben.“

Die Antwort seiner Schwester begrenzte sich auf ein Schnauben, ehe sie kichernd davon sprang. Kuno seufzte und schob sich die Sonnenbrille auf die Stirn.

Wie kam es, dass er der einzig Normale in der Familie war?

Für eine Sekunde setzte das Trällern der Vögel aus und Tatewaki hätte schwören können, dass ihn die Tiere seltsam ansahen. Im nächsten Augenblick flöteten sie jedoch scheinbar unbekümmert weiter.

„Meister, ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Sasuke.

„Fürwahr. Im besten Zustand befinde ich mich. Kein Schaden soll in deiner Sorge liegen, doch ergeht es mir vortrefflich.“

Der Diener nickte beiläufig und fächerte fort.

Bis auf das Geräusch des Palmwedels herrschte Stille. Zwar könnte Tatewaki schwören, dass er seine Schwester noch immer kichern hören konnte – aber das war wahrscheinlich nur ein Streich seines Unterbewusstseins.

Er hoffte es inständig.

Nichtsdestotrotz wünschte er sich Gesellschaft herbei.

In letzter Zeit waren ihm weder die holde Akane Tendo, noch das feurige Mädchen mit dem roten Zopf begegnet. Ob sie sich seiner nicht würdig fühlten? Mochte das der Grund für ihr Fernbleiben sein?

Geistesabwesend angelte der Kenodoka nach seinem Eistee. Seine Hand tauchte ins Leere.

Verblüfft wandte er den Kopf und glotzte den Hocker an, der sich seinerseits zitternd von ihm wegbewegte. Überhaupt, nicht nur der Hocker zuckelte herum, sein Lehnstuhl folgte dem Beispiel.

„Sasuke?“

„J-J-J-J-J-a-a-a-a M-M-M-e--i-s-t-e-r K-K-K-K-u-n-o?“, stotterte der Ninja kriecherisch. Insofern jemand kriecherisch stottern kann.

Tatewaki schenkte seinem Bediensteten einen eigenartigen Blick und verfolgte mit wie sein Diener ebenso wie die anderen Objekte über die Veranda zitterte. Das besaß schon fast wieder Stil.

„Irrt es mich oder geht Seltsames vor sich?“

„S-S-S-i-e i-i-i-r-r-e-n n-n-n-i-c-h-t M-M-M - “

„Hätte mich auch zutiefst verwundert“, konstatierte der Kuno-Erbe und erhob sich aus seinem Liegestuhl. Sein Blick huschte nicht ohne Neugier umher.

„Sasuke?“

„J-J-J-a M-M-M - “

Tatewaki seufzte, packte seinen Diener bei den Schultern und stellte ihn neben sich auf festen Boden. Eigentümlicherweise zitterte dieser nämlich kaum. Das Epizentrum schien im Haus zu liegen.

„Mein Bokken.“

„H-H-H-H-i-e-r M-M-M - “, stotterte Sasuke und zauberte hinter seinem Rücken das Holzschwert hervor. Nebenbei erwähnt stotterte er noch immer; mussten wohl die Nachfolgen sein.

Entnervt ergriff Tatewaki den Heft der Waffe und starrte herausfordernd auf die Schiebetür. Merklich bebte diese im Rahmen und die Papiermembran vibrierte wie ein Tamburin.

Es folgte eine unerwartete Explosion aus dem Inneren des Hauses, die selbst den gestandenen Tatewaki Kuno respektvoll zurückweichen ließ. Sasuke dagegen warf es von den Beinen auf den Hosenboden – ihm fehlte einfach die Klasse seines Meisters.

„Wer wagt es mein Domziel ins Unheil zu stürzen? Wer immer du bist Unhold, Tatewaki Kuno ist ein - “

Eine erneute Explosion unterbrach die stolze Rede. Bevor Kuno die Chance zu einem Neuansatz erhielt, folgte eine dritte Detonation aus dem Hausinnern.

„Sasuke?“

„J-J-J-a M-M-M - “

„Kundschafte die Lage aus“, befahl er und ignorierte gekonnt das fortlaufende Beben in der Stimme seines Haus-, Hof- und Kammerdieners.

„A-A-A - “

„Sasuke“, behaarte Tatewaki und musterte seinen Getreuen streng.

„J-J-J-J-a M-M-M - “

„Welch’ schändliches Untier wagt es nur mich zu attackieren?“, sinnierte Kuno und legte den Kopf schief. Doch so sehr er ihn sich auch zerbrach, er kam trotzdem auf keine Lösung. Das war eigentlich nicht verwunderlich. Schon viele Leute haben Tatewaki Kuno beinahe wörtlich den Kopf zerbrochen – geholfen hat es trotzdem nicht.

„Wo - “

Es krachte.

„- ist - “

Es krachte erneut.

„- der - “

Zur Abwechslung klirrte es.

„- Ausgang?“

Passend zum letzten Wort stürmte ein Mädchen [d]durch[/d] die Schiebetür des Hauses auf die Veranda. Ihr Anblick war wild und ihr Haar zerzaust – nichtsdestotrotz wirkte sie auf Kuno wie eine Göttin.

Ihr Haar war von einem verführerischen Schwarz, ihre Augen von einem erdigen Braun, ihre Lippen glänzten so verheißungsvoll – und sie glotze ihn weitäugig an. Letztgenannter Aspekt trieb einen Pfahl in seine gedanklichen Ausführungen.

„Holde Maid, lasst mich euch befragen, welchen Grund es für eure hiesige Anwesenheit gibt?“, hakte der Möchtegern-Patriarch nach und zeigte sich ungewohnt strikt.

Grundlegend verstand er seine Reaktion selbst nicht so ganz.

Hier stand eine unschuldige, schmerzhaft süße Blume vor ihm und er fiel ihr nicht um den Hals? Was war nur mit ihm los – war er krank?

„Geschafft! Ich pack’s nicht! Ich hab’s doch echt geschafft!“, gackerte das Mädchen und warf vergnügt den Kopf zurück.

„M-M-M - “

„Ja, Sasuke?“

„S-S-S-o-l-l i-i-i-c-h T-T-T-e-e v-v-v - “

„Mach’ das Sasuke. Nur zu. Ich widme mich derweil unserem Gast.“

Der Minininja nickte pflichtbewusst und verschwamm zu einem Schemen, ehe er vom Erdboden verschwand. Irgendwo in einem nahen Baum raschelten die Blätter und jemand jaulte schmerzerfüllt.

Kuno entließ einen Stoßseufzer und rieb sich die aufkommende Migräne aus den Schläfen.

In letzter Zeit ging viel Merkwürdiges vor sich. Ihm wollte es nicht so recht gelingen daraus schlau zu werden – er ahnte jedoch, dass es etwas mit dem glühenden Kästchen zu tun hatte, das er vor einigen Tagen in seiner Kammer vorgefunden hatte.

„Das Portal!“, schleuderte ihm das Mädchen mit einem Mal entgegen. Ihr Blick bohrte sich mit beängstigender Intensität in seinen.

„Mit Verlaub, doch was - urgh!“, würgte der Kendoka, als ihn der bezaubernde Engel von den Füßen hievte und dem Himmel ein Stückchen näher brachte – allerdings nicht ganz so wie Tatewaki es sich erhofft hatte.

„Wo – ist – das – Portal?“, zischte die Schwarzhaarige und entblößte interessante Reißzähnchen. Jeder intelligente Mensch hätte hierin eine Drohung wahrgenommen; Tatewaki nicht.

„Ich vermag euch nicht ganz zu folg - “, setzte der ahnungslose Kendoist unbekümmert an, doch wurde er dafür fordernd durchgeschüttelt. Außerdem konnte er sich nicht ganz helfen, die Situation kam ihm eigenartig bekannt vor.

„Spuck’s aus, wo ist das Portal?“, fauchte das unbekannte Mädchen verärgert und schleuderte ihn zu Boden. Das Mädchen war ungeduldig, soviel ließ sich spekulieren.

Der Schwertkämpfer linste zum Himmel. Wie kam es das alle Begegnungen der weiblichen Art für ihn nur auf eine Sache hinausliefen? – und zwar auf Schmerzen.

Mühsam rappelte er sich auf und brachte sein Schwert vor sich.

Er ließ sich schon viel gefallen und gerade bei hübschen Frauen besaß er eine erhöhte Toleranzgrenze; doch was zu viel war, war zu viel. Verkloppt zu werden und das auf eigenem Haus und Boden war selbst für ihn höchst unakzeptabel.

„Unterlasst sofort eure Gewalttätigkeiten oder ich sehe mich gezwungen euch meine Überlegenheit zu demonstrieren“, drohte er und funkelte das Mädchen an.

Das Mädchen funkelte nur ungehalten zurück.
 

Ryogas Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt.

Das lag nicht etwa daran, dass sie sich für circa zwei Stunden durch Nerimas Untergrund gebohrt hatte. Das lag ebenso wenig daran, dass sie immer mal wieder ein „P-chan!“ aufgeschnappt hatte. Es lag auch ganz bestimmt nicht daran, dass sie den Tod auszutricksen gedachte.

Es lag einfach nur daran, dass Tatewaki Kuno sich ganz genauso verhielt wie er sich immer verhielt.

In ihren Augen: Wie ein Idiot.

Eigentlich wollte sie nur zum Portal. Leider wohnte Tatewaki Kuno quasi daneben, was wiederum seinen Geisteszustand und den seiner Familie erklärte. Cologne hatte es ihr und Ranma schließlich erklärt.

Während Flora und Fauna unter der abgegebenen Energie aufblühten, verloren Menschen den Verstand. Und mal ehrlich, wer konnte in dieser Hinsicht mit den Kunos konkurrieren?

Die Antwort: Selbst in Nerima nicht viele.

Nachdem das geklärt war, stand eigentlich nur noch ein Punkt auf ihrer Liste. Sie musste in Erfahrung bringen, wo sich das Portal befand.

Natürlich hätte ihr der Kuno-Erbe knapp antworten können und alles wäre in Ordnung – aber sie sprach hier schließlich von Tatewaki.

Was tat er also?

Er quatschte um den heißen Brei und forderte sie letztlich zum Kampf.

Doch wenn es ein Kampf war, den er wollte, so würde er diesen auch bekommen.

Sie hatte es eilig und würde sich nicht zurückhalten. Das tat sie nicht bei Ranma und ebenso wenig würde sie das bei dieser Witzfigur, die zwischen ihr und ihrem Ziel stand.

Göttin hin oder her – jetzt würde es eine himmlische Abreibung geben.
 

Tatewaki schüttelte vergeblich den Kopf.

Es fiel ihm irgendwie schwer diesen heute so recht klar zu bekommen. Im Endeffekt heißt das: Zwei Stimmen hallten hinter seiner Stirn wider. Die eine befahl ihm die Waffe niederzulegen und das Mädchen stattdessen zu umarmen – die andere Stimme nannte ihn einen Idioten und ermahnte ihn die Waffe ja oben zu lassen.

Zur Abwechslung lauschte er der zweiten Stimme.

Es sollte sich zeigen, dass das eine weise Entscheidung war. Kaum einen Augenblick später hetzte die fremde Schönheit auf ihn zu und holte weit mit der Faust aus.

Was hierauf geschah, nahm Tatewaki nur als Melone wahr.

Warte mal – Melone?

Tatsächlich schien sich eines der grünen Ungeheuer der Hand des Mädchens bemächtigt zu haben! War die holde Maid letztlich eines dieser Ungeheuer?

Eine irrationale Panik – obwohl diese bei Tatewaki Kuno nicht das einzig irrationale darstellte – aktivierte sich in seinem Unterbewusstsein. Der Befehl an seine Nerven war eindeutig und brüllte lauthals zum Angriff!

Kunos Körper folgte der Aufforderung und sollte Ryoga sehr wörtlich den Wind aus den Segeln nehmen.
 

Die Göttin mit Wegfindungsschwierigkeiten wusste nicht wie ihr geschah.

Gerade noch war sie in der Luft, um ein wenig Verstand in Kuno zu prügeln – so vergeblich der Versuch auch war -, da knallte sie im nächsten Augenblick auch schon vier Meter entfernt auf und pflügte für einen weiteren Meter durchs Gras. Verdutzt blinzelte sie hoch zu den weißen Wölkchen.

Das kam jetzt – unerwartet.

Gelenk rappelte sie sich auf und schätzte ihren Gegner neu ab.

Wie hatte er sie treffen können? Sie könnte schwören, dass da noch ein paar Zentimeter zwischen ihr und dem Schwert gewesen waren. Vor allem aber spürte sie den Hieb noch immer und Gott weiß – oder auch nicht -, sie war hart im Nehmen.

Der Zahnstocherschwinger vis-à-vis erwiderte scheinbar gleichmütig ihren Blick.

Ryoga knurrte kehlig.

Sie hasste arrogante Kämpfer. Allen voran hasste sie Ranma. Nichtsdestotrotz musste selbst dieser vor Kuno den Hut ziehen – niemand war selbstübezeugter als der Kuno-Erbe.

Hibiki zögerte keine Sekunde länger.

Von einem Wimperschlag zum nächsten stand sie wieder, katapultierte sich vorwärts und hämmerte auf den Möchtegern-Musashi ein. Der erwartete Aufprall von Fleisch auf Fleisch blieb jedoch aus.

Dafür hätte die Attacke nämlich treffen müssen, was sie nicht tat.

Denn so unglaublich es auch schien, Kuno blockte und zwar tat er das mit seinem blöden Bokken. Das Trainingsgerät hätte unter der Wucht ihres Schlages zersplittern müssen wie eine reife – Melone?

Warte mal, wie kam sie jetzt auf Melone?

Sie schnaubte unwirsch.

War ja auch egal, ob nun Melone oder eine andere Frucht. Das Ergebnis hätte dasselbe sein müssen, blieb allerdings aus. Logisch ließ sich das nicht erklären.

Unter der Faust eines Hibiki brachen die Dinge. Dabei war die Natur des Materials eher zweitrangig und konnte von Holz über Knochen bis zu Felsgestein hin rangieren.

Das etwas nicht brach, widersprach somit der Hibikischen Weltansicht auf fundamentale Weise.
 

Kuno selbst nahm die Situation wie ein typischer Kuno auf.

Im Klartext heißt das: Kuno entspricht Überlegenheit, Sieg ist unausweichlich.

„Holde Maid, wollt ihr euren Überschwang nicht bremsen? Euch mag großes Ungemach ereilen, insofern ihr auf eine Konfrontation fortbesteht.“

Seine Warnung wurde von der feurigen Kämpferin in den Wind geschlagen. Anstelledessen setzte sie wie eine Wildkatze auf ihn zu und offenbarte dabei eine fast animalische Wildheit - und eine Melone als rechten Fuß.

Die Melone darf man in dieser Hinsicht nicht vergessen!

Zielsicher hieb der Kendoist gegen die Unterseite von Ryogas Sandale, stieß die Junggöttin beträchtlich zurück und verharrte. Letztlich vermochte er der Blüte dennoch kein Blatt zu krümmen.

Was war er doch für ein edles Geblüt? Die Schönheit zu schützen und zu hüten, war nun mal seine Aufgabe. Wofür besaß er denn sein überragendes Können, seinen Charme und Verstand, wenn nicht für ebendiesen Zweck?

Seine Selbstbeweihräucherung wurde unlängst von einer aufgebrachten Ryoga unterbrochen. Die adrette Wildkatze war stur in ihrem Bestreben – wollte sie etwa letztlich ein Date mit ihm? Die Faust – Kunos Sicht: Melone – blockte er beinahe geistesabwesend mit dem Holzschwert und hieb ihr schon fast tadelnd auf den Kopf.
 

Ryoga biss ins Gras.

Kurzerhand spuckte sie es aus und unterdrückte den Schauder angesichts des eigentümlichen Geschmacks. Ihr Haupt brannte, so als hätte man in ihrem Haar ein Feuerchen gelegt. Unter einem Stöhnen befühlte sie sich die Kopfhaut und zuckte zusammen.

Das tat ja echt weh!

„Wertes Fräulein, möchtet ihr mir nun den Grund für euer Hiersein in gewählter Form und klarem Inhalt schild – urgh!“, stöhnte der Kendoka und gesellte sich zu Hibiki aufs Gras.

Verwundert linste die Göttin zweiter Klasse, dritter Kategorie mit limitiertem Zugriff eine Etage höher – und glotzte in Ranmas feixende Visage.

„Yo P-chan“, grüßte der Rotschopf.

„Ranma“, grollte die Schwarzhaarige.

„Urgh“, stöhnte der Kendoist.

Der letzte Kommentar und das plötzliche Ende des Kampfes wurden verständlich, wenn man sich die Lage in aller Gemütsruhe betrachtete. Einerseits war da Ryoga, die am Boden lag.

Andererseits war das Kuno, dem es nicht anders erging. Letztlich war da Ranma, die a) stand und das b) auf Kunos Haupt.

„Bedank’ dich halt mal“, scherzte die Dämonin und erntete ein wütendes Schnauben.

„Wofür?“

„Hab’ dir geholfen“, offerierte Saotome.

„Hast dir Zeit gelassen“, ergänzte Hibiki.

„Kuno is’ K.O.“

„Und wir dürfen warten.“

Ranma verdrehte die Augen und tapste von Tatewakis Schädel herunter. Eine Hand in die Hüfte gestützt und den Kopf geneigt, verfolgte sie Ryogas Bemühungen zurück auf die Beine zu kommen.

„Wie hat’n der dich geplättet?“, spöttelte die Dämonin.

„Kein Schimmer. Seine Schwertschläge haben mich nicht mal berührt.“

„Dafür biste aber ziemlich alle.“

Die ewige Wanderin enthielt sich eines Kommentars. Ganz Unrecht hatte Ranma da nicht. Es war wirklich eine Schande von Kuno – von allen Leuten - besiegt zu werden. Wären es Taro oder Zitrone gewesen, so hätte sie damit leben können. Beide besaßen monströse Kraftreserven – bei mindestens einem vom beiden war das wörtlich zu nehmen.

Jedoch vom Prügelknaben Furinkans eingetütet zu werden, grenzte an Spott.

„Was willst’n eigentlich hier?“

„Portal“, grunzte Ryoga lakonisch.

„Eh?“

„Das Portal ist hier, bei den Kunos. Bin mir sicher.“

„Wie kommst’n drauf?“, hakte Ranma interessiert nach. Probweise stupste sie gegen den bewusstlosen Kendoisten – keine Reaktion.

„Das Portal macht Menschen verrückt. Klare Sache also“, bot die Stirnbandträgerin an.

„Denkste?“

„Ich bin sicher.“

„’kay. Also wart’n wir jetz’ bis er aufwacht?“

„Ganz genau – wir warten bis er aufwacht, weil du ihn ausgeknockt hast.“

„Ach, jetz’ bin ich wieder Schuld dran?“

„Wer sonst, habe ich ihn ausgeknockt?“

Ein spitzbübisches Grinsen fand seinen Platz auf Ranmas Gesicht.

„Nein, hast du nicht. Ganz bestimmt nicht.“

„Da hast du’s. Ich - “, Ryoga stockte und wurde rot vor Zorn. „RANMA!“

„T-T-T-e-e?“, näselte jemand unvermittelt.

„Eh?“, repondierten die zwei unechten Mädchen und glotzten zur Seite. Unmittelbar neben ihnen hatte sich Sasuke aufgestellt und hielt ein Tablett mit zwei Porzellantassen und einer Kanne hoch.

„Das is’ Service“, frohlockte Ranma und kippte sich eine Tasse über den Kopf. Dort wo die Flüssigkeit auftraf, leckten Rinnsale aus Feuer über den Körper. Dampf strömte in die Umgebung und war dabei so heiß, dass Hibiki die Augen abschirmen musste.

Im nächsten Augenblick war es auch schon vorbei und vor ihr stand ihr verhasster Kindheitsrivale. Prüfend musterte dieser seinen Zopf und lächelte erleichtert.

Der verblüffte Hausninja machte keine Anstalten die verbliebene Tasse zu schützen, als Ryoga danach griff und sie über sich entleerte. Im Fall der Göttin verlief der Prozess der Rückverwandlung wesentlich unspektakulärer.

Ihr Aussehen änderte sich im Bruchteil einer Sekunde. Eben noch Seide und zartes Fleisch – im nächsten Augenblick rauer Stoff und Muskeln.

Nicht weniger erleichtert als sein Kollege, atmete auch Ryoga auf.

Es fühlte sich so unbeschreiblich gut an zurück in seiner Geburtsform zu sein. Es war zwar weitaus schlimmer ständig Schwein zu haben als seine Männlichkeit einzubüßen, nichtsdestotrotz war er bevorzugt männlich.
 

Tatewaki stöhnte schmerzerfüllt auf.

Sein Kopf dröhnte wie als hätte man Steine darüber zerbrochen oder wie als wäre ihm jemand draufgesprungen. Letzteres war natürlich völlig absurd.

Wer würde schon dem Erben des Hauses Kuno auf den Kopf springen?

Die aufkommenden Erinnerungen trat er aus wie ein Flämmchen auf Stroh. Es qualmte noch ein wenig, ehe die sechste Wiederholung einer Kopftritts à la Saotome völlig ausgelöscht war.

Gerade diesen Saotome wollte er überhaupt nicht sehen.

Er war die Geisel seiner Existenz, dieser düstere Zauberer!

Er verhexte die schönsten Mädchen und machte sie zu seinen Gespielinnen.

Er schlug ihn im Kampf mit immerneuen Tricks und Hexereien.

Er stand in seinem Garten und grinste –

„Saotome! Hexer, Zauberer, welche Hinterhältigkeit führt dich in mein Refugium?“, bellte der Kendoist und griff nach seinem Bokken. Auffällig unauffällig kickte Ryoga diesen außer Reichweite.

„Yo Kuno! Wir brauch’n da was.“

„Insofern deine bloße Präsenz mir nicht bereits zuwider wäre, wie sollte meine Wenigkeit deinem schändlichen Tun zu nützen vermögen?“, forschte der Krieger und nahm Haltung an. Es geziemte sich nicht für einen Kuno jemandem zu Füßen zu liegen.

„Wir suchen ein Portal. Eine Art Durchgang oder so was ins Jenseits. Es sollte hier rumstehen“, informierte Hibiki und hielt trotzig die Arme verschränkt.

„Selbst wenn ich wüsste, wovon ihr da sprecht, so würde ich, Tatewaki Kuno, euch stoppen. Nichts Gutes kann davon kommen, Unholden wie euch freies Schaffen zu gewähren.“

„Ranma, denkst du, dass war ein Nein?“, grinste Ryoga und knackte die Knöchel.

„Jupp, klang so“, kommentierte Ranma und trat einen großzügigen Schritt auf Kuno zu.

Es genügt zu sagen, dass die nachfolgende Befragung gründlicher als vielleicht nötig stattfand. Auf jeden Fall zeigte sich Tatewaki daraufhin erstaunlich kooperativ.

Wenige Minuten später stand das Trio daher in Tatewakis Zimmer.

„Das ist es“, murmelte der Kendoka und deutete auf die Schatulle aus schwarzem Marmor. Eigenartige Reliefen zogen sich über die Oberfläche und je länger man draufstierte, desto größer wurden die Kopfschmerzen.

„Komischer Kasten“, stellte Ranma wissenschaftlich fest und streckte seinem Spiegelbild die Zunge raus. Kuno versuchte derweil Haltung zu wahren – was schwer war, angesichts seiner beiden Gäste.

„Jenes erlesene Kästchen stellt ein Kuno-Erbstück dar, also halte deine Zunge im Zaum Saotome“, mahnte Kuno. Wahrscheinlich war jedoch nicht mal Tatewaki selbst klar, worauf sich seine Warnung im Detail bezog.

„Klar, klar Kuno“, winkte Ranma gelassen ab und probierte weiterhin die Schatulle zu hypnotisieren.

Ryoga wandte sich derweil an den Eigentümer.

„Was ist drin?“

Zur Antwort traf ihn ein schockierter Blick.

„Niemandem, nicht mal einem Kuno, ist es gestattet, dieses Behältnis aus seiner Ruhe zu reißen“, führte der Schwertschwinger aus und nickte dabei wichtig.

„Dann sind wir halt die Ersten“, seufzte Hibiki und packte den Deckel.

„Halt du Na – urgh!“, zielsicher setzte ein Tritt von Seiten Ranmas dem Einwand ein Ende und Tatewaki machte sich mit dem Boden bekannt. Anscheinend waren die beiden sowieso längst alte Freunde.
 

Ryoga hatte die Faxen dicke vom Warten.

Ukyo zählte auf ihn! Da war keine Zeit zum Zaudern und Hadern, er musste entschlossen durchgreifen. Genau das tat er dann auch und köpfte die Schatulle kurzerhand.

Mit einem Klacken brach das Schloss entzwei und der Deckel fiel aufs Parkett. Neugierig spähten die beiden Jungs hinein.

Was sie vorfanden war nicht weiter ungewöhnlich.

Es war eine Rolle, augenscheinlich aus Pergament, knittrig und vergilbt. So behutsam wie möglich entrollte der orientierungslose Kämpfer das Schriftstück – es spricht für die Qualität des Materials, dass die Rolle das überstand - und nahm die Spuren von Federkiel unter die Lupe.

„Und – was steht da?“, stocherte Saotome neugierig und kletterte seinem Kindheitsfreund dabei fast auf die Schulter. Ryoga ignorierte ihn bestmöglich.

„Prszmä Ngred Tsök - Bob?“

„Und – das heißt?“

Ryoga zuckte verzweifelt mit den Schultern.

„Kein Schimmer. Ich kenn’ einige Sprachen und Dialekte, aber das ist was ganz andres“, posaunte der Teilzeit-Gott und riss das Dokument nahezu auseinander. Ein Kopfstück Ranmas unterbrach den Panikanfall.

„Frag’n wir doch die alte Mumie“, bot sein Kindheitsfeind an und Ryoga wog den Vorschlag ab. Er hasste es zwar auf den Rat der Amazonenmatriarchin zuzugreifen, doch blieb ihm wohl nichts anderes übrig.

Aber wie viel Zeit das schon wieder kostete!

Er spürte bereits die Wut hoch kochen. Wer weiß wie es seiner Chefin ging und welche Qualen sie nur wegen ihm durchleiden musste?

„Na dann geh’n wir ma - “, setzte Ranma an, doch eine Hand am Fußgelenk unterbrach ihn.

„N-Nicht so sch-schnell Saotome. D-Die Rache d-des Himmels ist l-langsam, aber s – urgh!“
 

Ryoga hatte weder Zeit noch Lust auf Tatewakis Geschwätz. Wenn dieser Depp sie hindern wollte, dann konnte er ihnen den Kauderwelsch ja vorlesen!

Gedacht, getan.

„Der Himmel – isst Fisch?“, entgegnete der Kendoka entgeistert und beäugte den Stirnbandträger so, als hätte dieser das Manuskript verfasst. „Welcher Irrsinn ist d - “

„Du kannst das lesen?“, hakte Hibiki nach und Kuno nickte zaghaft.

„Dann - lies weiter!“, forderte Ryoga ekstatisch und irgendetwas in seinen Augen animierte den Schwertfuchtler dazu Folge zu leisten.

Es könnte am göttlichen Glanz gelegen haben.

Eventuell war es aber auch nur das fieberhafte Glitzern eines Irren.

Für Kuno bestand da anscheinend nicht viel Unterschied und so las er laut weiter.

„Der Himmel isst Fisch. Die Sandale kneift. Man nehme Salz, wenn die Alte keift?“, verstört rieb sich Kuno die Schläfe. Ryoga motivierte ihn allerdings rasch zum Weitermachen.

„Holz brennt, Wasser dampft, wo der Bär pennt und der Himmel stampft.“

Eine plötzliche Erschütterung ging durchs Anwesen und schüttelte die drei Jugendlichen von den Füßen. Die Bücher in den Regalen stürzten zu Boden und im ganzen Haus zerschlugen Objekte aus Glas.
 

Ranma war an Chaos gewöhnt.

Im Grunde war sein ganzes Leben davon bestimmt und so nahm er auch diese Situation nonchalant auf. Um ihn herum erbebte das Haus und ein unheimliches grünes Licht filterte durch die Papierwände.

„Yo Kuno.“

„Was ist du Elend - “

„Schrank“, stimmte Saotome kleinlaut an, kaum das besagter Gegenstand auf den Kendoka gestürzt war. Mit einem Achselzucken wich Ranma seinerseits einem Bücherschrank aus und schielte zu Ryoga.

„Was jetz’?“

„Wir gehen raus“, brummte Hibiki entschlossen und näherte sich dem Licht.

Egal wie miserabel sein Orientierungssinn auch sein mochte, diesem Leuchtsignal konnte selbst er folgen.

So schritten er und Ranma auf den Ausgang zu und schoben nach kurzem Zögern die Papiertür auf. Kaum geöffnet, da strömte ein schwüler Wind auf sie ein.

Im Garten war ein haushohes Tor aus neongrünem Licht entstanden. Der Bogen war aus Erde und Gras geformt, doch der Durchgang selbst wirkte wie eine moderne künstlerische Interpretation eines Spiegels.

Jeder normale Mensch hätte sich bei diesem Anblick unterm Bett versteckt – oder eine Zwangseinweisung beantragt. Die beiden Kämpfer erwogen weder die eine noch die andere Alternative.

„Du, Ryoga?“

„Hm?“

„Lady’s first.“

„Sehr witzig Saotome, sehr witzig.“

Kurz fassten die Jungs ihren Mut an der Wurzel, schlugen ihren Überlebensinstinkt nieder und sprangen durchs Portal ins Unbekannte. Was hierauf folgte, hätte jede Achterbahn und deren Besucher vor Neid erblassen oder vor Angst sterben lassen.

Hierzu sollte erwähnt werden: Weder Ryoga noch Ranma waren je Achterbahn gefahren.

Hierzu sollte angefügt werden: Weder Ryoga noch Ranma wollten je Achterbahn fahren.

Fahr doch zur Hölle!

Die Sonne stand auf ihrem Zenit, die Vögel pfiffen und auch sonst kündigte nichts davon, was soeben zwei Kilometer Luftlinie entfernt vor sich ging. Nichtsdestotrotz runzelte sich die Stirn einer gewissen Matriarchin eines archaischen Amazonenstammes aus den finstersten Winkeln Chinas.

Im Augenblick blätterte die alte Frau in der Tageszeitung, aufgeschlagen war der Wetterbericht. Ihr kritischer Blick wechselte zwischen Druckerschwärze und Panoramafenster hin und her. Ein amüsiertes Schnauben verließ ihren Mund.

Nach schwerem Niederschlag sah das allerdings nicht aus!

Fast wie um ihrem Gedankengang neues Futter zu geben, trugen einige Tauben einen ihrer Artgenossen durch die Lüfte. Das gute Tier war wahrscheinlich einem Sonnenstich erlegen – oder aber ziemlich heftig gegen irgendetwas gestoßen.

Gegen was wohl?

Während Cologne dieses Schauspiel noch mit gemischten Gefühlen verfolgte, knallten eine Etage höher die Türen. Auf den Unwissenden hätte die Geräuschkulisse ähnliche Empfindungen hinterlassen wie eine Abrissbirne mitten im Wohnzimmer; und das nicht als extravaganter Einrichtungsgegenstand.

Klang ganz so, als ob ihre Großenkelin sauer war. Woran es wohl diesmal haderte?

„Mousse!“

Im ersten Stock polterte etwas, das sich verdächtig nach einem Zentner eiserner Waffen anhörte, allem voran Messer und Ketten. Ihre Tasse bebte vergnügt im Takt der fallenden Mordgeräte.

„Mousse!“

Die Treppenstufen jammerten erbärmlich unter den Tritten einer kleinen Naturgewalt, als die man Shampoo ohne jede Übertreibung bezeichnen konnte.

„MOUSSE!“

Die Flügeltür zur Küche flog auf und ein Schopf kobaltblauen Haars hüpfte ihr entgegen. Grimmig linste das Mädchen umher, zwei Bonboris in den Händen und zu allen Schandtaten bereit.

„Nicht das ich mich einmischen möchte, Shampoo, aber was sollen die Waffen?“

„Mousse nicht da. Shampoo suchen!“, konstatierte die junge Amazone unumwunden und suchte die Tische und Stühle ab, so als würde sich der Tellerwäscher darunter verstecken.

„Und dafür benötigst du Waffengewalt?“, Cologne zog eine Augenbraue hoch und musterte ihre Großnichte belustigt.

Shampoos Gesicht nahm einen interessanten Rotton an und die Bonbori knirschten in ihren Händen. Alleine diese Tatsache war schon abstrus, schließlich war Shampoo kaum 1,60 groß. Diese massiven Eisenkugeln unter dem Druck ihrer Hände knirschen zu hören, entsprach im Vergleich einer Biene, die gegen ein Auto flog und damit einen Crash provozierte.

So gesehen war es kein Wunder, dass im hiesigen Umland kaum Autos fuhren.

Ohne sich weiter zu rechtfertigen, schnaubte das Mädchen und verließ mit bedeutungsschweren Schritten das Neko Hanten. Augenscheinlich verzichtete sie auf ihr Fahrrad, denn kaum stand sie draußen, sprang sie bereits durch die Lüfte auf eines der Dächer.

„Die Jugend von heute, so voller Elan“, sinnierte die Alte und nippte an ihrem Tee. Noch mal jung zu sein, dass wäre doch was...

Ja, in der Tat, dass wäre was – und zwar ein Gräuel! Beäugte sie sich die verqueren Zustände, verwoben mit Eifersucht und Starrköpfigkeit unter ihren Schützlingen, dann fiel es ihr sehr schwer an die Vernunft im Menschen zu glauben.

Natürlich wusste sie es besser, als an die Vernunft im Menschen zu appellieren. Vernunft war nur ein Konzept, dass sich jemand ausgedacht hatte, nachdem er A wie ‚Stein’ und B wie ‚Zeh’ in einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang gesetzt und daraus seine Konsequenz gezogen hatte. In anderen Worten: Er schrie, trat dagegen und schrie nochmals. Auf diese Weise war wohl auch der Bakusai Tenketsu entstanden.

Ein eigentümliches Gefühl sprengte ihre Überlegung und fast fiel ihr die Tasse dabei aus der Hand. Teilnahmslos blinzelte die Matriarchin in die Ferne, ehe sie sich allmählich fing und am Tee schlürfte.

„Das Portal, sie haben es gefunden – oder der Tee ist schlecht.“ Die Alte legte den Kopf schief und grübelte über die plötzliche Eingebung. Nach einigem sorgfältigen Abwägen - und ausgiebiger Kontrolle der Verpackung - entschied sie sich dann doch für ersteres.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 12 – Fahr doch zur Hölle!
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Tatewaki hörte die Engel singen; leider nur im übertragenen Sinn. Das mochte daran liegen, dass er unter einem Regal lag und sein Hinterkopf pochte.

Zudem fühlte er sich, als ob sich das Gewicht der Welt über ihm entladen hätte – tatsächlich war es nur das Wissen der Welt in 68 Bänden. Im Augenblick thronten die 100 schlimmsten Katastrophen auf seinem Haupt.

Aufgeschlagen war der Ausbruch des Vesuvs.

Doch, dass klang wie ein Vorschlag. Er bekam nämlich selbst gute Lust dazu auszubrechen und zwar in einen züchtigen Wutanfall!

Grunzend stieß er die Wälzer von sich und kroch unter dem Bücherregal hervor. Sein Rücken dankte es ihm mit ungesunden Knackgeräuschen. Der Rest des Körpers folgte dem Mitteilungsbedarf des Rückens aus Solidarität, knackte also aus ganzem Herzen mit und ließ ihm die Augen übergehen.

Egal wie – hierfür würde Saotome büßen! Und Hibiki würde ebenfalls nicht ungeschoren davonkommen. Warte mal, warum ungeschoren? Schnell schüttelte Tatewaki den Gedanken ab; er erinnerte ihn zu sehr an seinen derangierten Vater.

Nichtsdestotrotz stand fest, dass beide Kämpfer ab sofort einen Platz auf der Roten Liste innehatten. Er persönlich würde sie draufsetzen und unterschreiben. Falls nötig sogar in Schönschrift!

„Hohohohoho! Wertester Bruder, welches Ungemach befiel unser Heim?“

Seine – entgegen vielfacher Beteuerung - ungeliebte Schwester stand im Türrahmen und besichtigte das Durcheinander. Es schien sie nicht wirklich zu stören. Daher gönnte er sich eine kleine Gedankenpause, bevor er zur Antwort ansetzte.

„Werteste Schwester, dein zukünftiges Graue – ich meine, dein zukünftiger Gemahl stattete uns einen Besuch ab.“

„Fürwahr? Mag es sein, dass er sich meiner Hingabe entsonnen hat?“, frohlockte das Mädchen und faltete die Hände vor der Brust. Sie schwebte augenscheinlich in anderen Sphären. Leider war das nicht erst seit Kurzem der Fall.

„Lass es mich neusprachlich formulieren, werteste Schwester: Er schlug ein wie eine Bombe“, skandierte der Kendoka und fügte hitzig dazu: „Ganz zu schweigen von diesem elenden Hibiki.“

„Unwichtig mein Bruder, erstatte mir Bericht über den Verbleib meines Liebsten, meines Ranma“, bedrängte ihn Kodachi und er wich panisch zurück. Für heute hatte er seinen Soll an Gewalt und Prügel erfüllt, herzlichen Dank auch.

„Sofern mir bekannt: Im Jenseits“, repondierte er und machte sich daran das Bücherregal aufzurichten. Sasuke würde unter den hölzernen Monstrositäten zusammenbrechen. Das wäre zwar ein amüsanter Anblick, aber die Regale waren teuer.

„Sodann werde ich ihm folg - “, die junge Dame stockte und musterte ihn entgeistert. „Mögest du letztgenanntes wiederholen?“

„Sicher, werte Schwester. Augenblicklich dürfte dein Zukünftiger sich zu seinesgleichen gesellt haben. Es heißt, in der Hölle sei noch Platz.“

Kodachi ging nicht auf den Spott ihres Bruders ein. Stattdessen stampfte sie aufgebracht davon und zischte Flüche. Wahrscheinlich war er besser damit beraten, in nächster Zeit einen großen Bogen ums Abendessen zu machen.

Der Schwertfuchtler seufzte gepresst und inspizierte den Bücherteppich zu seinen Füßen. Befremdlicherweise befand sich unterhalb der Bücher tatsächlich ein Teppich – und auf diesem waren wiederum Bücher abgedruckt. Da rede mal einer von Ironie.

Seine Vorfahren mussten in der Tat eigenartig gewesen sein.

Doch selbst falls dem so war, daran konnte er wohl nichts ändern. An seinem ganz persönlichen Problem namens Saotome jedoch ließ sich das eine oder andere bewerkstelligen.

Dieser Kerl war sein ganz persönlicher Fluch – und ließ keine Gelegenheit dazu aus, Kuno diesen Umstand einzubläuen. Immer und immer wieder aufs Neue.

Deprimiert schweifte Tatewakis Blick.

Wenn er jetzt nur noch wüsste, ob er S wie Saotome zu K wie Katastrophe oder P wie Problem stellen sollte…
 

Ryoga fühlte sich gar nicht gut. Als er die Augen aufschlug, verstärkte sich dieses Gefühl sozusagen schlagartig und entlockte ihm ein trocknes Würgen. Betäubt rollte er sich auf den Rücken und verfluchte das helle Licht, das ihm durch die Augenlider piekste.

„Mir ist so - “

„ - schlecht“, ergänzte eine zweite Person neben ihm.

Gequält linste Hibiki nach rechts und fand dort einen schwarzen Zopf, samt Besitzer vor. Dem Anschein nach war Ranma die kleine Achterbahnfahrt ebensowenig bekommen – insofern seine bleiche Gesichtsfarbe ein verlässlicher Indikator war.

Mühsam rappelte sich der Stirnbandträger auf und schielte durch die befremdliche Umgebung. Einerseits war diese nämlich strahlendweiß und andererseits völlig leer, ausgenommen eines kleines Tisches, an dem eine gebeugte Gestalt kauerte.

In Ermangelung weiterer Optionen packte er Ranma beim Zopf – worauf dieser mit einem schwachen Wimmern reagierte – und schliff seinen Kameraden zu Gestalt und Tisch. Wie sich bald zeigte, türmten zwei massive Ordnerstapel links und rechts neben einem alten Kerl mit polierter Glatze. Außerdem verwies eine Plakette an der Stirnseite darauf, dass es sich hierbei um [Die Verwaltung] handelte.

Ziemliche Personaleinsparung.

„Entschuldigung, wissen Sie wo wir - “, setzte Ryoga an, besann sich dann aber eines Besseren. Er wollte nicht dümmer rüberkommen, als es sein musste. Das tat er sonst schon zur Genüge. „Sagen Sie, sind wir im Jenseits?“

Der Mann am anderen Ende des Tisches spähte unüberascht auf und schob seine Brille über den Nasenrücken; welcher nebenbei bemerkt gewaltig war. Überhaupt war Ryoga nie zuvor jemand unter die Nase gekommen, der einen so gewaltigen Zinken vorzuweisen hatte. Das musste der Mount Everest aller Riechkolben sein!

„Wonach sieht’s denn aus Jungchen?“, spöttelte der Kerl und lehnte sich im Stuhl zurück. Über den Rand der Brille funkelte er Hibiki an. Nervös zog Ryoga seinen alten Kindheitsfeind neben sich auf Augenhöhe und ließ diesen am Zopf wie eine spastische Marionette baumeln.

„Urgh!“

„Dein Freund sieht nicht gut aus - “

„Der sah schon schlimmer aus“, beruhigte der Stirnbandträger.

„Nun denn, wenn du meinst. Sterben kann er ja nicht mehr“, lachte der Mann und scheiterte daran seine Mundwinkel hochzuziehen. Diese blieben wie festgetackert. Er war offensichtlich schon jahrelang Bürokrat.

„Eigentlich – sind wir gar nicht tot. Wir wollen da eher einen rückgängig machen. Ich meine – einen Tod“, stammelte Ryoga und stimmte etwas unsicher ins Lachen der Langnase ein.

Prompt verstummte dessen Gelächter.

„Wie meinen?“

„Wir sind durch ein Portal gekommen und wollen meine – ich meine eine Freundin wiederbeleben. Er hier - ist eine Dämonin und ich eine Göttin und – Ranma jetzt sag’ du auch mal was!“

„Urgh!“

„Na toll“, beschwerte sich Hibiki und rüttelte am Zopf. Der Anhang wackelte wie ein Baum, an dem sich ein Elefant reibt, also augenscheinlich enthusiastisch, aber keineswegs freiwillig.

„Du siehst nicht aus wie eine Göttin, dass weißt du schon?“

Ryoga seufzte und sondierte den Raum, respektive die endlose Weite, die nur dann ein Raum gewesen wäre, wenn sie auch Wände hätte – die so vom Bauherrn wahrscheinlich nicht vorgesehen waren.

„Wasser?“, meinte er resignierend.

Unterm Tisch zauberte der glatzköpfige Greis ein Glas hervor und das leise Schwappen verriet, das ebenjenes gefüllt war. Heldenhaft nahm es Hibiki entgegen und atmete tief ein und aus. Er sammelte sich, hob das kühle Nass an – und kippte es über Ranma.

Die Verwandlung trat sofort ein und nach einem Spektakel wie Lagerfeuer und Terpentin, giftete eine feurige Dämonin ihren Begleiter an. Ihre Wortwahl komplettierte ihr temperamentvolles Aussehen.
 

„Leute, ich will im Jenseits ja nicht über Zeit jammern, ihr seid aber trotzdem arg spät“, bemerkte eine unbekannte Frauenstimme und die beiden Jugendlichen nahmen die Hände von der Gurgel des jeweils anderen – zugegebenermaßen mit Widerwillen. Der Bürokrat atmete nur erleichtert aus.

„Urd! Kennst du die beiden?“, herrschte der Alte daraufhin und seine Nase bebte vor Zorn. Der Rest des Körpers folgte zwar deren Beispiel, doch bei weitem nicht so eklatant. Die Größe macht’s eben doch.

„Vom Hörensagen“, gab die mysteriöse Frau zur Antwort. „Der da oben hat sie mir zugeteilt und du weißt ja, er kennt kein Ach, muss das sein? Ich würde eigentlich lieber Fernsehgucken“, plauderte die exotische Schönheit und warf silbrig schillerndes Haar über die Schulter. Eine schon fast bronzefarbene Haut und ein wohlproportionierter Körper rundeten einen Anblick ab, der für außerordentlich viele männliche Schmerzensschreie gesorgt hätte.

Man bedenke allein die Zahl von Männern, die rein zufällig auf einer Leiter stehen, Auto fahren, Nägel in die Wand schlagen oder als Zahnarzt tätig sind – bei letzterem wären es allerdings nicht seine Schreie.

„Lasst euch mal von Enma nicht die Laune verderben. Ihr habt eine Menge vor euch“, informierte die Göttin und stemmte die Fäuste in die Hüften. „So könnt ihr allerdings nicht gehen.“

„Wieso? Wir sehen doch…“, Ryogas Ausführung kam zum Stillstand, ehe sie quietschend fortzog, „Zumindest ich sehe doch normal aus.“

Das „Hey!“ von Ranma überging der Stirnbandträger geflissentlich und verschränkte zufrieden die Arme vor der Brust. Es ging einfach nichts über einen kleinen, verbalen Seitenhieb, um die eigene Stimmung zu erhellen.

„Ganz im Gegenteil meine kleine Göttin, gerade deine Anwesenheit wird für Probleme sorgen.“

„Probleme?“, hakte Hibiki nach und stemmte sich gegen die Wand aus Spitzfindigkeiten. Seit seiner Gottwerdung gingen im derartige Kommentare nämlich gehörig gegen den Strich. Obwohl es immer noch besser war, als die Hälfte der Zeit als mobiler Schinken zu verbringen.

„Ihr werdet ’ne ganze Etage tiefer müssen, um eure Freundin aus diesem Schlamassel rauszuholen. Stellt euch das mal nicht zu einfach vor. Apropos, das müsste dir unangenehme Fragen und uns besagte Probleme ersparen.“

In einem – zumindest den jungen Männern – unangenehmen Schauspiel förderte die Frau aus den dunklen Winkeln ihres Ausschnitts ein schwarzes Tuch hervor. Scheinbar endlos zog es sich in die Länge bis es letztendlich als Stoffballen in Ryogas Händen landete.

„W-Was ist das?“

„Gehörte ’nem Shinigami. Die Kapuze versteckt deine göttliche Ausstrahlung. Du musst die Robe allerdings ständig tragen, kapiert?“, konstatierte die Schönheit und stierte den Orientierungslosen an.

Dieser stierte ehrfürchtig zurück.

„Du hast einen Totengott besiegt? Einen echten?“

Anders als bei Ranma, hatte Ryoga zu seiner Beförderung einen saftigen Wissensschub dazubekommen, weswegen ihm drei Dinge glasklar waren.

1. Es gibt keine alternative Uniform. Und nein, es gibt auch keine Ausnahmen.

2. Der Job ist unbezahlt. Sorry, Kumpel.

3. Begegnest du einem Shinigami, lauf’! Im Falle, er verfolgt dich – lauf’ schneller!

„Na ja, weißte, die spielen einfach ein schreckliches Poker. Lassen das ganze Blatt offen, setzten alles und grinsen ständig.“

„Wart’ mal, besteh’n die nich’ nur aus Knochen?“, warf Ranma vorsichtig ein und erntete einen beleidigten Blick von Urd.

„Du hast es erfasst! Aber macht es das besser? Neee. Die lieben Herren sind zwar total durchschaubar, aber die Miene bleibt stoisch.“

Indes die Norne der Vergangenheit über Falschspiel, Falschgeld und falsche Zähne monologisierte, tauschten sich Ranma und Ryoga stumm aus. Das einstimmige Ergebnis ihrer wortlosen Unterredung war ernüchternd.

Die Alte war total verrückt.
 

Enma versuchte die fortlaufende Unterhaltung auszublocken – ein vergebliches Unterfangen. Dabei hatte er gar nicht genügend Zeit, um sie überhaupt vergeuden zu können! Sein Job erforderte Gewissenhaftigkeit und Beständigkeit, der Strom an Seelen riss schließlich nie ab.

Jeder wollte mal.

„Habt ihr’s dann bald?“, rügte er schlussendlich die Norne der Vergangenheit, die soeben in phantasievollen Handbewegungen demonstrierte, was genau sie gerne mit dem einen oder anderen Shinigami anstellen würde.

Allein der Anblick gestaltete sich bereis als schmerzhaft.

„Schon klar“, winkte Urd ab und trat vom Tisch zurück, die ehemals Sterblichen hintendran. Derweil durchfurchte der Sekretär des Jenseits das Büro des Jenseits, um das Pult des Jenseits – er unterbrach seinen Gedankengang und filterte.

Im Grunde brauchte er doch nur einen blöden Knopf zu drücken!

Frustriert stieß er die Aktenstapel beiseite, wobei diese bedrohlich schwankten, betätigte beherzt den Knopf und mit einem BLING durchschlug ein obsidianfarbener Aufzug den Boden. Wie ein sehr hässlicher Ölfleck auf einem sehr weißen Hemd, stand die Kabine im Raum und zog alle Blicke auf sich.
 

Die Reisenden bedachten den Aufzug mit einer Herzlichkeit, die man für plattgefahrene Katzen reserviert. Als die Schiebetüren auch noch auseinanderwichen und dabei schallend lachten, traten die Jugendlichen einen betonten Schritt zurück.

Möglicherweise war das auch dem ausgefallenen Design zuzuschreiben.

„Nach dir Ryoga.“

Panisch glotzte der Angesprochene zu seiner teuflischen Begleiterin.

„Kommt nicht in die Tüte! Wo zur Hölle soll das Ding überhaupt hingehen?“

„Die Antwort geht auf dein Konto, kleine Göttin“, witzelte die Norne und grinste voll unheiliger Freude.

„Hölle? Was soll’n wir inner Hölle?“, beschwerte sich Ranma und hob trotzig die Nase.

„Damit ihr eure Freundin vollständig wiederherstellen könnt, müsst ihr drei Prüfungen bestehen. Und das tut ihr in der Hölle. Ergo, müsst ihr dort hin. Soweit klar?“

„Bin ja nich’ blö – urgh!“, gekonnt stieß Hibiki seine Gefährtin auf die Seite.

„Wird das denn funktionieren?“

„Klar, mein Wort drauf.“

Nunmehr voller Enthusiasmus stürzte Ryoga ins Innere der Kabine, die mehr als nur eine latente Hommage an H.R.Giger darstellte. Es war auf jeden Fall unbestreitbar, dass der Architekt ein ungesundes Interesse an Röhren und Gebilden besaß, die man so in keiner Kanalisation und auf dem Rest der Welt wohl ebenfalls nicht vorfinden würde.

„Isses überhaupt sicher?“, forschte die Dämonin und erhaschte Urd dabei wie sie den Ausschnitt lüpfte. Das beanspruchte den interessanten Effekt, Ranma von so unwichtigen Dingen wie ihrem Lebenserhaltungstrieb abzulenken.

Kulant stieß die Göttin den Rotschopf in die Kabine und winkte nochmals zum Abschied.

„Nicht vergessen, die Robe“, rief sie noch zischen Tür und Angel, beziehungsweise zwischen den Schiebetüren hindurch. Leise kichernd schlossen sich diese, ehe sie mit einem ohrenbetäubenden Knall zusammenschlugen.

Der Knall besaß anscheinend ganz besondere Ambitionen, denn er fegte tongewaltig über die weiße Ebene und schleuderte der Ältesten der Götterschwestern das Haar über die Schultern. Hinter ihr stürzten die Ordnerstapel in sich zusammen.

„Du Enma?“

„Hä, was?“

„Enma?“

„Hast du was gesagt?“

„Hörst du mich überhaupt?“

„Du hast doch was - “

„Was hast du - ?“
 

Inzwischen rumpelte der Aufzug in die Tiefe. Atmosphärisch erklang das Schnappen von Dingen, die sich nicht nur entfernt wie Tragekabel anhörten. Nicht ängstlich, nur sehr, sehr verunsichert lauschte Ranma dem Treiben über ihnen. Trunken von Heldenmut bekam Ryoga nichts davon mit.

Saotome rezitierte indes eine Lektion ihres Vaters.

Dinge waren solange Dinge wie man nicht wusste, was sie waren. Unwissenheit mochte zwar nicht vor Strafe schützen, aber verdammt, sie ließ dich bedeutend ruhiger schlafen. So blieben Dinge einfach nur Dinge und wurden nicht etwa Stahlkabel von wenigen Zentimetern Dicke, die eine Kabine über einem gähnenden Abgrund in der Luft halten.

Diese Lektion ist ganz besonders dann wichtig, wenn man sich selbst im Inneren besagter Kabine aufhält.

Ein Rucken ging durch den Aufzug und Ranma kreischte nicht ganz so männlich wie sie es sich gewünscht hätte, Hibiki würgte nur vielversprechend.

Sie haben das Untergeschoss erreicht. Bitte steigen Sie jetzt aus.

Die Dämonin schielte seitwärts zu ihrem Freund und Feind. Es heißt, man soll seine Freunde nahe halten, seine Feinde aber noch näher. Wie genau sollte sie dann mit Ryoga verfahren? Ihn sich auf den Rücken schnallen?

Ihr Kamerad hatte bereits Umhang und Kapuze übergeworfen und damit sein etwas grünliches Gesicht verborgen. Ein ungemütliches Schlottern ging durch Ranmas Körper, als sie ihn anlinste und eisige Kältewellen von ihm wegrollten.

Gehört wohl zum Aufzug dazu, resümierte Saotome, als sie in ihre hohlen Hände hauchte.

Unter einem gequälten Ächzen öffneten sich die Schiebetüren vor ihnen und entließen sie in eine Höhle aus grauschwarzem Granit. Imposante Reliefen schmückten die Wände und zeigten auf den ersten Blick kunstvolle Darstellungen sportlicher Aktivitäten.

Auf den zweiten Blick drängte sich dem Betrachter allerdings die Frage auf, ob zum Speerwerfen ein Körper am spitzten Ende des Speers gehört. Auch der Rest der Dekoration wusste zu überzeugen, da sogar die Topfpflanzen mehr Zähne als ein Hai aufwiesen – selbst dann noch, wenn man die ausgefallenen mitzählte.

Die einzige Ähnlichkeit zwischen dem ersten Raum und diesem hier, war ein Bürotisch. An ebenjenem saß ebenfalls eine Gestalt, war allerdings weiblich und dachte scheinbar gar nicht daran, diesen Umstand zu verstecken. Zugegeben, die Erfolgschancen dafür hätten sowieso nicht gut ausgesehen.

Bei der Pförtnerin handelte es sich also nicht etwa um einen Hund namens Zerberus mit Identitätskrise – bei drei Köpfen kommt das häufiger vor, als man glauben mag -, sondern um ein athletisches Mädchen, das den Bikini zwar nicht erfunden hatte, aber eine sehr eigene Version davon besaß.

Nebenbei erwähnt trug sie die Bademode nicht im herkömmlichen Sinn. Um das Verb tragen korrekt verwenden zu können, fehlte es einfach am nötigen Stoff. Rasch setzten Ranma und Ryoga ihre Musterung fort und blieben an ihrem Haar hängen.

Besagtes Haar glühte nämlich wie Magma. Tatsächlich simulierten einige schwarze Flecken sogar verkohltes Gestein – obwohl simulieren vielleicht nicht ganz das richtige Wort dafür war.

Freudig sah die Pförtnerin auf und Ranma erstarrte zur Salzsäule.

„Hallo ihr beiden, kann ich euch helfen ~ nya?“, grüßte sie unerwartet fröhlich. „Kann ich euch was anbieten? Tee, Kaffee, Feuerzangenbowle?“

„Eh, nichts. Nein – danke?“, erwiderte Ryoga übertölpelt und das Mädchen zog eine Schnute.

„Na ja, was soll’s ~ nya. Wie kann ich euch denn sonst zu Diensten sein ~ nya?“

„I-I-Ich u-u-und m-mein, i-i-ch m-mein’ m-meine S-S-Salami - “, stotterte Ranma und erntete einen schiefen Blick des falschen Sensenmanns.

„Wir sind hier, um jemanden – zurückzuholen. Jemand eh, verblichenen“, hakte Ryoga ein und rammte der bibbernden Ranma die Rückhand ins Gesicht. Die Rezeptionistin der Hölle blinzelte, behielt aber sonst die Fassung.

„J-ja, ja! Hier haben wir’s ~ nya. Eine Genehmigung für die drei Prüfungen. Ausgestellt auf Ranma Saotome, Dämonin zweiter Kategorie, zweiter Klasse mit unlimitiertem Zugriff. Spezialität: Missmut. Und – Ryu Chibi, Shinigami ~ nya.“

Bei der Verunstaltung seines Namens – er war weder Drache, noch war er klein - knirschte Ryoga mit den Zähnen, unterließ allerdings jeden Protest. Währenddessen murmelte Ranma etwas von Katzen und zuckte im unfreiwilligen Halbschlaf.

„Das sind wir“, bestätigte Hibiki widerwillig und erntete ein erfreutes Nicken der Dämonin. Ihre geschlitzten Pupillen funkelten ihn schelmisch an und ihre Eckzähnchen strahlten Gefahr aus – will heißen für seine pubertäre Hormonlage. In Saotomes Fall sah die Sache da etwas anders aus.

„Einfach geradeaus hinter. Könnt ihr gar nicht verfehlen. Viel Spaß ~ nya!“, flötete das höllische Empfangskomitee und Ryoga zog schleunigst fort und Ranma am Zopf hinterher.

Mehrere Minuten des Herumirrens, einige Pflanzen mit Warnplaketten [Denken Sie daran, eventuell könnten Sie das Futter sein!] und intensiver Geräuschbeschallung später, – der ganze Mix, bestehend aus dem Kreischen von Fledermäusen, dem Rasseln von Ketten und einigen DJs, die ihr Handwerk einfach nicht verstanden – verharrte das ungleiche Paar vor einem gigantischen Torbogen.

Um dessen Größe annähernd zu beschreiben, könnte man selbstverständlich farbenfrohe Metaphern oder unverständliche Höhenangaben benutzen. Im Grunde aber reicht die Feststellung aus, dass weder Ranma noch Ryoga demjenigen begegnen wollten, der sich hier den Kopf stößt.

Wahrscheinlich entsprang der Bogen sowieso nur dem teuflischen Bedürfnis nach Protzerei – hey, man konnte schließlich noch hoffen.

„Ukyo, gedulde dich, ich komme“, tönte Hibiki entschlossen und deutete in die Dunkelheit des Korridors vor ihm. Er würde dem Bösen selbst entgegentreten, hunderte Feinde bezwingen – notfalls sogar Akanes Essen verzehren, wenn er seiner Chefin dadurch neues Leben würde einhauchen können.

„Ä-he-m“, räusperte sich seine feurige Gefährtin vorwurfsvoll und rieb ihre gerötete Nase. Die männliche Göttin seufzte und ergänzte leidenschaftslos.

„Und Ranma hilft auch.“

Mutig betraten die Wanderer zwischen den Welten den düsteren Korridor. Vor ihren Augen zog sich der Gang in eine unabsehbare Tiefe und das Ende war selbst mit viel Phantasie nicht zu erahnen.

Unnatürlich schnell verschwanden sie im Dunkel, bis bald nur noch ein glühender Schopf roten Haars durch die Schwärze tanzte.
 

Kasumi legte den Kopf schief – und die Welt schnappte nach Luft.

Als sich ihr Gesicht aufhellte, spülte der angehaltene Atem als Brise durch die Nische. Die Welt war spürbar erleichtert.

„Sicherlich, Großmütterchen Cologne. Ich werde es ihnen ausrichten.“

Es klickte, als die Älteste der Tendo-Schwestern den Hörer auflegte und gedankenversunken in die Wohnstube zurückkehrte. Ihr Zeigefinger ruhte auf der Unterlippe.

„Was ist denn Schwesterchen?“, fragte Nabiki von ihrer Position auf der Couch aus. Momentan blätterte sie lustlos in einer Zeitschrift, in der die Anwesenheit des Yen-Zeichens nicht auf die erste Seite beschränkt blieb. Zwischen ihren Lippen wippte ein Kartoffelchip.

„Ranma und Ryoga sind im Jenseits.“

Der Kartoffelchip fiel unrühmlich aufs Heft. Kuhäugig schielte die mittlere Tendo zu ihrer ältesten Schwester. Ihr Appetit hatte sich von einer Sekunde zur nächsten verflüchtigt.

„Sie sind tot?“, umschrieb sie fassungslos und zerknautschte die Zeitschrift in der Hand.

„Du meine Güte, nein. Sie sind nur zu Besuch.“

Für einen langen Augenblick musterte Nabiki ihre Schwester. Okay, schön die Ruhe behalten und dass übliche Sicherheitsprotokoll durchlaufen lassen. Oberste Priorität: Wahrung der geistigen Gesundheit.

1. Gedankenapparat deaktivieren.

2. Tief inhalieren.

3. Zeitschrift senken.

4. Informationsverwertungssystem – in Fachkreisen auch Gehirn genannt – wiederhochfahren.

„Schwesterchen, du weißt schon, dass man nicht eben so ins Jenseits reinschneit und dann wieder abhaut.“

„Ach Nabiki, du kennst die beiden doch. Ranma und Ryoga sind so lebhaft, die beiden hält es sowieso nirgends“, meinte Kasumi und lächelte nachsichtig. Hieraufhin entließ die fiskusorientierte Tendo ein geplagtes Seufzen und rieb sich die Schläfe.

Lebhaft – das war dann wohl das Stichwort.

Wahrscheinlich wäre es klüger, wenn sie die Erklärung übernahm. Wollte sie die Hütte nicht mit einer Massenpanik in Schwung bringen, so sollte sie die Lage besser schnell entschärfen und in eine harmlose Verpackung stecken.

„R-Ranma? J-Jenseits?“, stammelte eine weinerliche Stimme.

Verflixt. Schon zu spät!

„Wahahahaha – mein Schwiegersohn ist tot, sein bester Freund ist tot, seine Kindheitsfreundin ist tot, die Kois sind tot - “

[Die Kois leben noch], konterte Genma.

Kurz hielt Soun inne, bevor seine Augen erneut vor Tränen überströmten.

„ – und mein Garten, der Teich ebenso, das Gô-Brett - “

„Daddy! Ich bin mir ziemlich sicher, dass die letzten drei Dinge nicht mal sterben können.“

„Wahahahahaha!“, klagte Soun.

„Nabiki, jetzt sieh nur. Du hast Vater zum Weinen gebracht“, mahnte Kasumi.

„Ich? Der hört doch gar nicht mehr auf!“, beschwerte sich Nabiki empört.

„Grmpf“, kommentiere Genma und biss in den Bambus.

Akane jedoch brillierte durch Abwesenheit. Dass heißt nicht, dass sie uninteressiert am Schicksal ihres Verlobten und dessen Freundes wäre. Es war vielmehr so, dass sie im Augenblick drängendere Probleme hatte.

Das Größte davon war erstaunlich klein, nicht mal einen Unterarm lang. Zudem trug dieses Problem eine Okonomiyaki-Uniform, sah einer gewissen Köchin recht ähnlich, war angeblich leblos – und nebenbei erwähnt, war es fort.
 

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Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

H.R.Giger = Bevor ihr jetzt zu googlen beginnt, bei ihm handelt es sich um einen österreichischen Künstler. Er zeichnet und modelliert und ist insbesondere für seinen Beitrag zum Film Alien bekannt. Seine Kunstwerke sind – etwas eigen, aber recht interessant.
 

Schöne Grüße,
 

euer Deepdream

Training und Tortur.

Akane schlafwandelte zur Schule.

Gehen setzt nämlich ein bewusstes Verwenden der Füße voraus, von dem im Fall der jüngsten Tendo nicht auszugehen war. Sie stolperte vielmehr blindlings voran und forderte ihr Glück somit auf Schritt und Tritt heraus.

Wand und Weg mit halbgeschlossenen Augen zu unterscheiden, war nämlich schon schwer genug. Wenn auf diesen Augen auch noch der Kampf jedes Partylöwen - Rot gegen Weiß - in die nächste Runde geht und es so aussieht, als ginge Rot durch K.O. in Führung, na ja, dann pokerte man nicht mehr mit dem Glück, sondern mit der Unfallversicherung.

Nach den gestrigen Ereignissen war Akanes Zustand allerdings keine Überraschung. Zum einen hatte sie die erstaunlich lebhafte Puppe nicht auffinden können, zum anderen war da die Quasi-Seance, der sie beiwohnen durfte.

Am gestrigen Abend war sie jenseits der guten Laune in die Wohnstube getreten, nur damit ihr eine schnauzbärtige Sprinkleranlage um den Hals fiel. Auf ihren verdutzten Blick hin, erläuterte Herr Saotome die Situation.

Leider waren ihre Sprachkenntnisse in Sachen Panda arg eingerostet – es bestand also ein Problem in der Verständigung. So war es letztlich an Nabiki hängen geblieben, ihr die Neuigkeiten mitzuteilen.

Eine mittelschwere emotionale Katastrophe, Kilos an Keksen und Tausenden beruhigenden Worten Kasumis später, trapste sie in ihr Zimmer, schlug die Tür zu und lag den Rest der Nacht wach. In Gedanken hing sie dem Schicksal ihres Verlobten und ihres gemeinsamen Freundes bis in die frühen Morgenstunden nach.

Dementsprechend ermattet, hatte sie morgens in gemeinsamer Runde am neuen Esszimmertisch gesessen. Nebenbei hatte sie in die Essstäbchen gebissen, den Tee auf den Tisch geschüttet und schließlich Herrn Saotome die Reisschüssel zugeschoben.

Sie war einfach nicht bei der Sache.

Und jetzt stand sie auf dem Schulgelände und vor ihr posierte Tatewaki Kuno in all seiner Herrlichkeit, die er bedauerlicherweise als einziger wahrzunehmen schien.

Ihr müdes Grummeln – Übersetzung: Hau’ ab! – deutete er wie üblich anders und eröffnete mit einer imposanten Rede. Leider begrenzte deren Sinn sich für Normalsterbliche auf zwei Zeilen.

1. Ich liebe dich.

2. Geh’ mit mir aus.

Zum ersten Punkt würde Akane sagen: Interessiert mich nicht.

Zum zweiten Punkt würde sie antworten: Selbst, wenn du der letzte Mensch auf der Welt…

In simplen Worten: Nein.

„Akane Tendo, dein lieblicher Anbl – bei Gott, du siehst schrecklich aus!“

Die jüngste Tendo stutzte für einen Moment. Alsbald entrückte sie ihre Lippen jedoch zu einem widerwilligen Grinsen. Sie war noch zu müde, um richtig sauer zu werden und aus Tatewakis Mund klang dieser Kommentar dann doch eher komisch.

„Danke für die Blumen Kuno.“

„Blumen? Welche Blumen?“

Leider vergaß sie ständig mit wem sie hier redete.

Ausgelaugt schlurfte sie weiter, an dem rätselnden Kendoka vorbei und ins Innere der Schule. Ihr stand ein einschläfernder Tag bevor, da war sie sich sicher.

Nur gut, dass sie nicht gewettet hatte. Die Wette hätte sie nämlich verloren.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 13 – Training und Tortur.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Mousse gähnte herzhaft. Seit er gestern Nachmittag aus dem Neko Hanten ausgebüchst war, hatte er kein Auge zugetan. Rache kannte keinen Schlaf. Wäre nur schön, wenn er selbiges von sich behaupten könnte.

Ein weiteres Mal spannte es seinen Kiefer und beinahe hätte er den Chorus trampelnder Füße überhört. Alarmiert spähte er umher und stählte seinen Blick. Leider brachte das – bei ihm - herzlich wenig und so bemerkte er die flinke Bedrohung erst, als sie ihm freundlicherweise ins Gesicht trat.

„Morgen Jungchen!“, trällerte der braune Punkt und hüpfte unbekümmert davon. Der Amazone dagegen kippte hintenüber und starrte himmelswärts, alle Viere ausgestreckt.

Für die Dauer einer Sekunde wog er seinen Entschluss nochmals ab.

Er könnte jetzt einfach nach Hause zurückkehren, ein paar Teller abwaschen – wobei ein paar eine durchaus vage Größenordnung darstellte – und sich eine gesunde Mütze Schlaf gönnen.

Er könnte diesen gesundheitsschädlichen, unformulierten Plan in den geistigen Papierkorb befördern und seinem üblichen Tagewerk nachgehen. Er könnte zur Abwechslung seinen Kopf sinnvoll gebrauchen!

Etwas tief in ihm rebellierte und die Gestalt eines Mädchens erschien vor seinem inneren Auge, das gütigerweise keine Brille benötigte. Ihr Anblick glich dem eines Engels, der Harfe mit Hellebarde verwechselt hatte.

Mousse atmete tief ein und aus. Um ihretwillen musste er es versuchen!

Prompt schnellte er hoch und taxierte die umliegenden Dächer. In der Ferne vernahm er ein widerwärtiges Gackern, dem er sofort nachsetzte. Präzise fanden seine Füße die Dachschrägen und nach kurzem Federn katapultierte es ihn bereits wieder durch die Lüfte.

Vor ihm hüpfte ein dunkelbrauner Flummi und er war bestrebt, diesen dingfest zu machen. Allerdings tat er das nicht aus Gründen der Nächstenliebe, somit würde die Horde an Lüstlingsklatschern heute leer ausgehen. Ein verkrüppelter Perversling wäre seiner Zielsetzung hinderlich.

Geschickt warf er einige Ketten in die Richtung, die er als die richtige vermutete. Die Ketten knufften die Luft, mehr aber nicht. Der braune Punkt verschwand und noch ehe Mousse sich über dessen Verbleib wundern konnte, knallte ihm etwas in den Rücken.

Der Amazone ging unsanft nieder.

„Na Jungchen, was darf’s sein?“

Mousse kniff die Augen zusammen. Seine Mission war von außerordentlicher Wichtigkeit. An ihr hing der Ballast seiner Zukunft, baumelte daran wie ein Sandsack unter den Tritten Saotomes.

„Meister Happosai - “

„Großmeister Happosai, Jungchen, auf das Groß vor dem Meister leg’ ich wert.“

Mousse rang um Fassung. Irgendwo tief in seinem Inneren fand er sie sogar.

„Großmeister Happosai - “, Mousse zwang seiner Zunge das notwendige Sakrileg ab, „ - ich möchte euer Schüler werden.“

Abrupt herrschte Ruhe über den Dächern Nerimas.

Deswegen stoppten die Vögel noch lange nicht in ihrem Zwitschern, ebenso wenig hörten Hunde damit auf, Wolken, Passanten und Blumen anzukläffen; sie alle gingen ihrem Tagewerk nur bedeutend leiser nach.

Der Rauch kräuselte sich schwerfällig aus dem Pfeifenkopf hervor. Happosai entließ ein Spitzenhöschen samt BH in die Luft und begutachtete sein Rauchzeichen.

„Wozu?“, fragte der Alte und grinste.

„Der Dämon Saotome muss aufgehalten werden. Es ist meine heilige Pflicht ihn – urgh!“, polterte Mousse bäuchlings auf den Dachschindeln und bekam eine Hieb auf den Hinterkopf. In einem mühelosen Rückwärtssalto hüpfte Happosai vom zuckenden Leib und paffte unbeeindruckt an der Pfeife.

„Was für’n Dämon?“

„Ranma! Er griff Shampoo an! Selbst Colonge erkennt ihn als den Bösewicht, der er ist!“, ereiferte sich der sehbehinderte Kämpfer und feilte dadurch etwas an den Tatsachen herum. Ein paar unbedeutende Späne Wahrheit konnten ruhig fallen, seiner Ansicht nach.

„Cologne sagste?“, hakte der Greis nach und erntete ein überschwängliches Nicken. „Und dafür willste unter mir trainieren, eh?“

„So hätte ich mir’s gedacht“, stieß der Kämpfer todesmutig hervor.

Zugegeben, er ging hier gerade einen Pakt mit dem Teufel – oder dem nächstbesten Ersatz dafür - ein. Aber braucht es nicht ein Übel, um ein zweites auszumerzen?

„Mal seh’n Jungchen. Erst hilfste mir ’n wenig.“

Hieß das: Ja, ich werde dich trainieren?

Oder: Ja, ich werde dich traktieren?

Bei dem selbsternannten Großmeister des Musabetsu Kakuto Ryu konnte beides der Fall sein, wohlmöglich sogar gleichzeitig. Mousse war sich dessen bewusst.

Triumph oder Tritte – es gab keine dritte Alternative.

Der Lehrmeister im Amazonenlager hatte ihm das eingebläut. Obwohl dieser es eher auf die sinnvolle Verwendung des Wortes ‚Alternative’ und nicht auf die Vermittelung von Lebensweisheiten angelegt hatte.

Na ja, was soll’s? Er nahm sich den Spruch dennoch zu Herzen.

Daher würde er nicht eher ruhen, ehe Ranma Saotome, Feind aller Frauen, Verführer und Dämon, besiegt zu seinen Füßen lag!

Vollkommen im Pathos gefangen, entging Mousse das Feixen Happosais. Wahrscheinlich war das sogar gut so, denn sonst hätte es sich der Tellerwäscher rasch anders überlegt.

So nahm das Schicksal jedoch seinen Lauf und wenn man angestrengt lauschte, hörte man es über den Dachgiebeln sogar leise kichern. Vielleicht war das aber auch nur Happosai; wobei die beiden Entitäten in diesem Fall durchaus austauschbar waren.
 

„A-Auf keinen Fall!“, protestierte der langhaarige Aushilfstellerwäscher und verschränkte die Arme. Zur Antwort erhielt er einen gutmütigen Hieb mit der Pfeife und zerschlug die Dachziegel unter seinem Kinn. Wie gut, dass er derartiges von Zuhause gewohnt war. Diesen Umstand als gut zu bezeichnen, war da natürlich Ansichtssache.

„Jungchen, du wolltest ’nen Meister – dann musste dafür was tun. Also tust du, was - ich - sage“, stellte die kampferprobte Miniaturgewalt fest und deutete auf ein unscheinbares Gebäude.

Korrektur: Es wäre unscheinbar gewesen, hätte sich nicht unbedingt ein Sportplatz daneben befunden. Zuzüglich liefen gerade einige Sportlerinnen provokativ ihre Runden.

„Aber mit Training meinte ich eigentlich - “

„Jungchen, ERST kommt’s Vergnügen, DANN das Training. Womit ich natürlich mein Vergnügen meine“, belehrte Happosai.

Die Antwort seines potentiellen Skla-, eh Schülers kürzte er durch einen saftigen Pfeifenhieb auf einige jaulende Schmerzbekundungen ab. In manchen Ländern hätte man das als Misshandlung gewertet. Wie rückständig!

Happosai nannte es Erziehung.

Nachdem der Brillenträger sich vom Klaps erholt hatte, bekam er die nötige Ausrüstung vorgelegt. Besagte Ausrüstung setzte sich aus einem Tuch zusammen – und sonst nichts anderem. Das Tuch legte man über den Kopf und band es unterhalb der Nase zusammen.

So demonstrierte es Happosai und so machte es Mousse nach.

Es genügt zu sagen, dass sich die Küchenhilfe erstaunlich dämlich vorkam. Okay, dass war er gewohnt. Jetzt fühlte er sich noch zusätzlich wie ein Höschendieb und in dieser Disziplin hatte er eigentlich keine Erfahrung sammeln wollen.

Besser auf Nummersicher gehen.

Verstohlen streifte er eine seiner Masken über. Die Dinger sahen zwar nicht vertrauenserweckend aus, aber er wollte schließlich keinen alten Damen über die Straße helfen. Zudem benötigten die alten Damen, die er kannte, nicht wirklich Hilfe.

Die meisten von ihnen konnten das ganz gut selbst und wenn doch ein Auto mit ihnen kollidierte – na ja, schade um den Wagen.

„Los Jungchen! Keine Müdigkeit vorschützen“, munterte der Gnom ihn auf und fegte ihn mit einem Pfeifenhieb übers Dach gen Umkleidekabine. Unnatürlich leise landete der Amazone auf ebenjener und hielt den Atem an.

Es schien ihn keiner bemerkt zu haben.

Wer weiß, möglicherweise war ein 1,70-großer Jugendlicher in weißer Robe und befremdlicher Maske chinesischer Herkunft – sowohl Maske als auch Jugendlicher - gar nicht so auffällig? Ein Spatz segelte an ihm vorbei, zwinkerte recht perplex und knallte geräuschvoll in einen der umstehenden Bäume.

„Soviel dazu“, Mousse seufzte gepresst und forschte das Gebäude nach einem unauffälligen Zugang aus. Das er hierzu kopfüber von der Dachrinne hing, schien dabei ein eher unnötiges Wagnis zu sein. Aber hey, er hatte einen Ruf zu verlieren!

Letztlich fand er das geeignete Schlupfloch und zwar ein speerangelweitoffenes Fenster. Klammheimlich linste er hinein und fand gähnende Leere vor.

Tatsächlich gähnte die Leere natürlich nicht, sie schwieg vielmehr. Die Leere ist gut darin zu schweigen, dass mag daran liegen, dass sie 1) keinen Mund – oder etwas rüssel-, tentakel- oder staubsaugerähnliches aufweist und 2) unbestimmten, also nicht weiblichen Geschlechts ist.

Gerade letzterer Punkt erscheint in dieser Hinsicht als sehr plausibel.

Mousse gingen derartige Überlegungen – Pardon! - am Bürzel vorbei und so schwang er sich elegant ins Innere der Umkleide. Verwaist lag sie da und schimmerte im Licht der einfallenden Sonnenstrahlen.

Der Raum war geradezu mystisch in seiner Stille, -

„Beeil’ dich gefälligst!“

- wenn da nicht ein perverser Sack gewesen wäre, der passenderweise sein Säckchen mit Mädchenunterwäsche füllen wollte. Zudem war er selbst der Depp, der dem Alten dabei unter die kurzen Arme griff.

Unerfreut fing er den zugeworfenen Stoffsack und wandte sich ans erste Schließfach. Er konnte geradezu das [Hände weg!] erahnen, das in die Oberfläche geritzt war.

Probeweise setzte er die Brille auf und überprüfte seine Vermutung.

Tatsache, da stand wirklich [Hände weg!] und noch allerlei andere Dinge waren sehr graphisch angedeutet und ergaben eine sehr ungesunde Zukunftsprognose. Insbesondere den männlichen Freuden würde augenscheinlich Abhilfe geschafft werden.

Etwa Wassertrinken, Händeschütteln und die Fernbedienung eigenständig verwenden – denn mit gebrochenen Fingern gestalteten sich derartige Kunststücke im Regelfall als überraschend umständlich.

Insofern man diese Tätigkeiten mit den Zehen ausführen kann, nun, diesen Fall haben die Frauen in weiser Voraussicht berücksichtigt und ebenfalls bildlich festgehalten. Es lässt sich mit Sicherheit behaupten: Zehen sind nicht so elastisch wie in den Kritzeleien angedeutet.

Neu beflügelt warf der Kämpfer die Türen auf und ohne hinzusehen, wühlte er in den Taschen nach den ‚erlesenen Schätzen’. Was er hier tat, sprach gegen jahrelange Prügel, stundenlange Regelsätze und noch mehr Prügel. In seinem Heimatdorf wäre das hier Suizid.

Hey, dann waren Japan und China vielleicht doch nicht so unterschiedlich…

In aller Hektik packte Mousse die Unterwäsche in den Sack, ignorierte den sinnlichen Stoff zwischen den Fingern und führte dieselbe Routine noch zwölf weitere Mal aus, ehe ihn der Meister zu sich pfiff.

Geschwind drückte er Happosai die Beute in die Hände und machte sich dran, die Umkleidekabine schnellstmöglich zu verlassen. Womit er nicht gerechnet hatte war, dass ihn der garstige Greis mit einem Schmunzeln zurückstieß.

„Ne, ne Jungchen. Wer soll denn den schönen Ladys Gesellschaft leist’n?“

„L-L-Ladys?“, stammelte der Amazone.

Betont langsam drehte er sich um und hörte jeden Wirbel im Hals schnackeln – Vorahnung?

Betont langsam hoben die Sportlerinnen ihre Bewaffnung und ließen die Stiele knacken – Vorfreude?

Betont langsam zählte er rückwärts und überraschend schnell stürzte er an der zornigen Meute vorbei zur Tür – Vorsichtsmaßnahme!

Im Sprint trafen ihn nichtsdestotrotz eine Vielzahl von Objekten an einer Vielzahl von Orten – manche Orte nahmen sich als höchst unangenehm aus; manche als weitaus schlimmer – und genauso vielfältig waren die Flüche, die ihm mit auf den Weg gegeben wurden.

Kopflos taumelte er ins Freie, wich einem Baseball aus und rettete sich mit einem Satz auf einen der Bäume. Ein Knirschen in der Krone über ihm, deutete eine zweite Anwesenheit an und so blinzelte der Halbblinde hinauf. Er wünschte sogleich, er hätte das nicht getan.

„Nich’ so Jungchen, du sollst schon mit ’n Mädels spielen“, tadelte der Knacker, ehe er eine Punktlandung auf dem Haupt des Tellerwäschers hinlegte und damit dessen Gleichgewicht umverteilte.

Selbst das behände Armruder-Manöver konnte ihn jetzt nicht mehr retten – obwohl Mousse es trotzdem fleißig probierte.

Sein Verhängnis war und blieb die Damenwelt, soviel musste er gezwungenermaßen einsehen. Kaum machte er rücklings Bodenkontakt, war er bereits von grinsenden Frauen umgeben. Grinsende Frauen bedeuteten selten etwas Gutes. Das taten sie weder daheim im Dorf, noch hier in der so genannten Zivilisation. Da bildeten diese Exemplare keine Ausnahme.

Es kam wie es kommen musste.

Schmerzhaft.
 

Keine 150 Meter entfernt, kaute Akane Tendo an ihrem Bleistift und beäugte dieselben Wattewolken, auf die zur gleichen Zeit ein gewisser Amazone stierte – in der Hoffnung, dort vorreserviert zu haben.

Der Lehrer plauderte derweil selbstvergessen von Formeln, Zahlen und Buchstaben. Was alle diese miteinander zu tun hatten, ließ sich nicht im Ansatz erahnen. Das mochte daran liegen, dass Akane heute sowieso nicht aufpasste.

Sie übernahm, sozusagen, die Pflichten ihres Verlobten in der Klasse. Nicht aufpassen, einschlafen und sich langweilen. Sie musste zugeben, irgendwie lagen ihr diese Aufgaben gefährlich gut.

„Hey, Akane!“, raunte es vom Nebentisch und Akane drehte den Kopf zur Seite. Ihre Augen erfassten ihre Freundin Yuka. Diese gestikulierte in einem Versuch von Geheimtuerei, den man zu Recht als solchen bezeichnen konnte – allerdings nicht als mehr.

„Hm?“, murmelte der Wildfang und gähnte herzhaft.

Geschwind warf Yuka ihr ein Zettelchen zu und die jüngste Tendo fing es mühelos auf. Nach einem knappen Blick zur Tafel vor, okkupierte sie sich mit dem Inhalt des Schnipsels. Daraufhin legte sich ein gequältes Lächeln auf ihre Lippen.

[Ranma?]

Akane biss sich auf die Unterlippe. Was sollte sie antworten?

Probeweise setzte sie den Bleistift auf die freie Fläche, unterhalb des Schriftzugs ihrer Freundin.

[Im Jenseits…]

Sie zog die Stirn kraus. Vielleicht war die Wahrheit doch ein wenig zu krass, bedachte sie sich ihre eigene Reaktion zu den Neuigkeiten.

Training? Das war eigentlich immer die Antwort bei Ranma. Warum also nicht auch diesmal?

[Todernstes Training…]

Hm. Das kam dem Ganzen schon näher und war nicht halb so direkt. Außerdem war das einzige, was Ranma überhaupt ernst nahm, sein Training. So gesehen, log sie nur ein bisschen.

Rasch kritzelte sie das letzte Schriftzeichen zu Ende und rutschte dabei versehentlich ab.

Na ja, was soll’s?

Yuka würde es schon lesen können.

Sorgfältig faltete sie das Zettelchen zusammen und warf es in Richtung ihrer Freundin. Die Luftpost suchte sich nur leider genau diesen Moment aus, um auf ihre elementaren Grundrechte zu beharren.

Ergo darf ein Stück Papier nur dann erfolgreich durch die Luft katapultiert werden, wenn es sich dabei um a) einen Papierflieger oder b) grüne Scheine mit Wasserzeichen handelt. Da Letztere bei Schülern eher selten anzutreffen sind, fasste Fall a).

Auf diese Weise segelte die Botschaft unzufrieden zu Boden und dieser Umstand wäre sicherlich keinem aufgefallen, wenn es dabei geblieben wäre.

Als eine Druckwelle allerdings Akanes und Yukas Tisch, deren Stühle und die beiden Mädchen in entgegengesetzte Richtungen schleuderte, stand für die Erbin des Tendo-Dojos eine Sache fest.

Heute war einfach nicht ihr Tag.
 

„Das ist so verdammt – autsch! – dunkel hier!“, beschwerte sich eine aufgebrachte Stimme männlicher Herkunft. Ein glühender, roter Zopf tanzte neben der Geräuschquelle.

„Mecker’ nich’. Bist halt zu düster drauf.“

„Ach? Und du bist die Leuchte, was?“

Eine schon beinahe amüsierte Stille setzte ein, in der das glühende, feuerrote Anhängsel betont auf und ab hüpfte. Für einige Sekunden hielt diese Ruhe sogar an.

„Ja, ja. Schon klar, reib’s mir nur unter die Nase, Saotome.“

„Sach ich was?“

„Ach, halt’ doch die Klappe. Vielleicht hast du ja dann ’ne zündende Idee und wir sehen zur Abwechslung, wo wir hinlaufen!“

„Hilft bei dir eh nich’. Außerdem warst’s doch du, der’s so verdammt eilig hatte.“

„Verdammt? Verdammt - Hölle - Dämon. H-Hey, warte mal! Gutes Stichwort. Zaubre uns doch eine Fackel oder so“, meinte der Stirnbandträger plötzlich und stolperte ungeschickt durch die Dunkelheit.

Es wird häufig gesagt, manche Dunkelheit wäre dick genug zum Schneiden. Das traf hier nicht zu. Jedes Messer wäre nämlich schon beim Anblick der Schwärze stumpf geworden.

Ein Schnippen ließ Ryoga aufmerken.

Es klang verdächtig nach etwas, dass geradezu Fortschritt schrie und Hibiki demnach nicht wirklich bekannt war. Außerdem roch es irgendwie verkohlt.

„Was zum - “

Mit einem Mal sprang eine Stichflamme neben ihm in die Höhe und tauchte die Umgebung in einen karmesinen Rotschimmer, der den Ehrgeiz eines Vulkans an den Tag legte. Geblendet stolperte der orientierungslose Wanderer zurück und blinzelte zwischen den Fingern hindurch.

„Yo Ryoga, zieh’ dir das rein!“, johlte Saotome indes heiter.

Hibiki fand nicht die Zeit, sich den neuesten Trick seines Erzrivalen ‚reinzuziehen’. Das mochte daran liegen, dass Ranma in ihrem Enthusiasmus seine Robe mitangezündet hatte. Daher wirbelte er nun wie ein verirrtes Glühwürmchen im Kreis.

Okay, dadurch wurde es eventuell ein klein wenig heller, allerdings einer gewissen Göttin zweiter Klasse leidlich wärmer – und zwar nicht ums Herz. Mit rußgeschwärzter Schleppe kam die Gottheit zum Stehen.

„S-Sa-Saotome“, knurrte Hibiki und erst da sah Ranma von der Flamme auf, die in ihrer Hand brannte. Nun kann man Ranma Saotome vieles vorwerfen, aber keinen mangelnden Überlebensinstinkt.

Ihr Vater hatte einige Dinge in der Erziehung sichergestellt. Einerseits dass besagter Überlebensinstinkt bestmöglich ausgeprägt war, andererseits dass sein Sohn schnell genug rennen konnte, um diesen Instinkt auch erfolgreich umzusetzen.

Man kann daher behaupten, Ranma hatte ihre Lektion gelernt.

Dumm nur für die Dämonin, dass ihr Rivale zumindest in dieser Hinsicht autodidaktisch veranlagt war – oder anders gesagt, er war erstaunlich gut zu Fuß, wenn er sauer war.

So stellten die beiden Kämpfer eine eher ungewöhnliche Interpretation des olympischen Fackellaufs zur Schau: Ranma im Eillauf voraus und Ryoga samt Bandanaschwarm hinterher.

Immerhin hatten sie jetzt Licht.
 

Kuno Tatewaki hob die Hand zum Klopfen. Noch ehe diese das Portal berührte, schwangen die schweren Flügeltüren bereits ächzend auf. Natürlich ächzten nicht die Angeln selbst, dafür waren ebenjene viel zu gewissenhaft geölt.

Es war der Miniaturninja, der in einem erbärmlichen Kraftakt zehrte und zog und seine Anstrengung lauthals zum Ausdruck brachte.

Der Kendoka nickte nur beiläufig und spazierte fort ins Innere seines Zuhauses. Unter den Sandalen klackte der Steinweg und in den Bäumen putzen sich Vögel das Gefieder. Es wäre ein paradiesischer, kleiner Ort gewesen –

„Hohohohohoho…“

– wäre da nicht das irre Kichern seiner Schwester, das übers Dach zu ihm herüberschallte. Mit hängenden Schultern setzte er seinen Weg fort und tat sein möglichstes dabei, die Kakophonie zu überhören.

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Wobei man in der Regel weniger hörte und sah, als man sagte.

Hierbei handelte es sich um eine Methode, die vielen Kunos im Verlauf der Jahrhunderte die geistige Gesundheit erhalten hatte. Immerhin ging der Clan selbst davon aus. Die meisten Fremden äußerten sich nämlich nur sehr kryptisch zu dem Thema oder antworten ohne den Umweg über die Sprache – also mit der Faust.

Na ja, daran konnte man wohl nichts ändern.

Tatewaki näherte sich gedankenversunken dem Haus.

Die Tür – wie auch zuvor das Tor – öffnete sich wie durch Magie und mit einem nur zu menschlichen Ächzen. Tatewaki zollte der keuchenden Geräuschquelle keinerlei Aufmerksamkeit und schlenderte durch die düsteren Hallen.

Zu beiden Seiten flankierten ausgefallene Skulpturen und Porträts die Wände. Samurais mit Brillen, Cowboyhüten und Bananen statt Katana konnten dem Anwesen sicherlich Leben einhauchen, keine Frage. Dem Hauch haftete jedoch der milde Mundgeruch von Wahnsinn an.

Kuno beachtete die ‚Kunstwerke’ nicht weiter und stieß stattdessen die Tür zu seinem Zimmer auf. Augenblicke später, trafen ihn warme Sonnenstrahlen, da die Schiebetür zur Veranda offenstand.

Die Unordnung war beräumt. Die Bücherregale standen, der Boden glänzte, der Teppich war farbenfroh und die Schatulle – warte mal, wo war die Schatulle?

Überrascht ließ Tatewaki den Blick kreisen und musste feststellen, dass besagtes Kästchen fehlte. Seltsam, dabei hätte er schwören können, dass es hier herumlag. Nachdem ihn die Schatulle vor ein paar Nächten aus dem Schlaf gerissen und mit blauen Blitzen getoastet hatte, verspürte er keine Lust sie unbeaufsichtigt zu lassen.

Hm…

Hatte er sie versehentlich zum anderen Krempel geworfen, der im Keller seines traurigen Daseins fristete?

Kuno legte den Kopf schief und verschränkte nachdenklich die Arme.

Um dieser Frage sprichwörtlich auf den Grund zu gehen, müsste er sich in die Katakomben des Anwesens vorwagen. Dort würde er gefährliche Fallen überwinden, seinen Weg durch Irrgänge finden und tonnenweise Staub einatmen müssen – oder er konnte…

„Sasuke?“

„J-Ja Meister?“, näselte eine Stimme aus dem Schatten.

„Dürstet es dich nicht nach Abenteuer?“

Der Gesichtsausdruck des Ninja sprach eine deutliche Sprache. Außer man war ein Kuno, dann folgte man natürlich dem Familiencredo: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

Wobei man in der Regel natürlich weniger hörte und sah, als man sagte.
 

Ein kehliges Seufzen verließ den Mund, verzwirbelte sich mit Pfeifenrauch und stieg in den hereinbrechenden Abend hinauf. Der lange Schatten des Schicksals kratzte sich an der Nase und starrte auf den Schüler herab.

Der Schüler seinerseits starrte entsetzt hinauf.

„Biste etwa schon alle, Jungchen?“

„G-Gnade, bitte, Gnade. K-Keine Besen, keine Besen mehr.“

Happosai schmunzelte und ließ sich im Schneidersitz nieder. Amüsiert spielten seine Augen über die fernen Giebel, die bereits vom Abendrot eingeholt wurden.

Hach ja, dass weckte Erinnerungen.

Tagelange Jagden über die Dächer fremder Städte, bei Regen, Sonnenschein und Schnee zischten ihm hinter der Stirn umher. Orientalische Kostbarkeiten, BHs aus feinster Seide und perlenbestickte Höschen entlockten ihm ein Lächeln.

Das Wimmern störte ihn allerdings.

„Hör’ auf zu jammern. Hast sowieso noch ’ne Menge vor dir.“

„G-G-Gnom“, befand der zusammengestauchte Amazone und erntete das Gegacker des Alten.

„Zeig ’n bissel mehr Respekt“, verstärkend klopfte der Alte seine Pfeife auf dem Kopf des Tellerwäschers aus und schüttelte dessen Gehirn ordentlich durch.

„Morgenabend hol’ ich dich ab. Mal seh’n, ob du dann zu mehr Nutze bist, als zu dieser peinlichen Vorstellung.“

„W-W-Was?“

„Und weil’s dein erster Tag is’, bring ich dich sogar nach Hause“, verkündete der Meister und warf sich Mousse unsanft über die Schulter. „Und da beschweren sich meine Schüler doch glatt über mich und mein’n, ich wär’ böse. Unvorstellbar sag’ ich dir.“
 

Shampoo wusch die Teller. Heißer Dampf stieg ihr entgegen, schlich ihr um die Augen und kitzelte in ihrer Nase. Weißer Schaum juckte auf ihrem Handrücken.

Sie konnte gar nicht beschreiben, wie sehr sie Abspülen hasste.

Zum einen verabscheute sie dieses penetrante Shampooaroma – nein, DAS war kein Witz -, zum anderen hatte sie noch immer so ihre Probleme mit der japanischen Sprache.

Außerdem, wozu eine fremde Sprache lernen, wenn die Körpersprache doch international Gültigkeit besaß? Da gab es so nette Ausdrucksarten wie Hieb, Kuss und Zerschmettern, wobei die dritte Option etwas mehr Engagement voraussetzte.

Im Augenblick aber, würde sie nicht davor zurückschrecken, von zwei der drei Optionen bei ihrem Kindheitsfreund Gebrauch zu machen.

Kleiner Tipp: Kuss bekam auf dem Treppchen weder Gold noch Silber.

Ein Scheppern von draußen, versetzte sie sofort in Alarmbereitschaft und mit gezogenen Bonbori trat sie die Hintertür auf.

Aufmerksam begutachtete sie das Gässchen, um auch für alles gewappnet zu sein.

Der vorbeirollende Mülltonnendeckel sorgte bei ihr dann allerdings doch für Verwunderung.

Behutsam tapste sie ins Dunkel und fand dort einen malträtierten, jungen Mann im Müll vor.

Wie ein sehr extravaganter König auf einem sehr eigensinnigen Thron, saß er im Mülleimer und brabbelte wirres Zeug. Der Anblick hatte zwei Reaktionen zur Folge.

Einen mächtigen Tritt gegen die Tonne und danach eine Frage im Befehlston.

„Wo du waren, dummer Mousse?“

Der ‚dumme Mousse’ stöhnte informativ und beließ es bei dieser Aussage.

Mit einem süßen Schnauben packte die kleine Amazone ihren Verehrer über die Schulter, trug ihn in die Küche und füllte einen Topf mit heißem Spülwasser. Kurz zögerte sie.

War das Wasser nicht verschwendet?

Sie zuckte mit den Achseln. Manchmal musste man eben einfach Opfer bringen.

Die Brühe kippte auf den Ermatteten und entlockte ihm ein Wimmern, das man sonst nur bei sehr erbärmlichen Hunden vorfindet. Vorausgesetzt dieser sehr erbärmliche Hund hat drei Tage nichts zwischen die Zähne, fünf Tage Regen aufs Fell und eine kostenlose Kastration obendrein gekriegt.

„Sh-Shampoo, mein Engel. I-Ich muss träumen“, säuselte der Chinese und bekam zum Dank einen Tritt. „Ein Alptraum, ein Alptraum.“

Das Mädchen nickte zufrieden. Das war schon eher nach ihrem Geschmack.

„Shampoo wiederholen. Wo du waren?“

„H-Hast du mich v-vermisst, liebste Sham - urgh!“

Die Amazone entfernte ihren Bonbori nur widerwillig vom Kopf des langhaarigen Idioten. Manchmal fragte sie sich ernsthaft, ob man ihren Intellekt an ihrer Sprache maß? Manchmal war sie überzeugt, dass sie es nicht wissen wollte.

Anscheinend hatten ihre Überredungsmethoden keinen Zweck. Der Kerl blieb stur. Gut, zugegeben, er war nahezu bewusstlos, aber entschuldigte das seine Dickköpfigkeit?

Hm, im Grunde schon.

„Mousse, abwaschen!“, bedeutete sie ihm mit einem unerbittlichen Fingerzeig und verschwand offenbar rasend vor Wut aus der Küche.

„J-Ja Shampoo…“, hallte es der exotischen Schönheit hinterher.

Zwei stechende Augen verfolgten wie das Mädchen hinter der Theke hervortrat. Und obwohl die lavendelfarbenen Haare das Gesicht gut verbargen und der Schatten sein übriges tat, saß dort doch ein erleichtertes Lächeln auf den Lippen.

Cologne ihrerseits saß im abgedunkelten Gastraum und verengte die Augen zu engen Schlitzen, was zugegebenermaßen nicht leicht war. Schließlich war sie chinesisch UND alt, beides Faktoren, die ihre Spuren hinterlassen hatten.

Die runzligen Lippen der Alten verzogen sich, doch bei den Lichtverhältnissen war es schwer zu bestimmen, ob nach oben oder unten. Nun, der ahnungslose Tellerwäscher würde die Antwort darauf schon sehr bald erfahren.
 

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Ein neues Kapitel, ein paar Mal korrigiert, überschrieben, auf den Kopf, dann wieder auf die Beine gestellt und letztlich bin ich ganz zufrieden. Jetzt hoffe ich natürlich, dass es euch ebenfalls gefallen wird.^^

War das Vorgängerkapitel hauptsächlich auf Ranma und Ryoga fokussiert, so hinterlässt der Steinwurf der Veränderung nun auch in Nerima seine Spuren. Neue Beziehungen werden geknüpft, neue Ereignisse werden eintreten und fern von alledem, sind die beiden Rivalen auf der Suche nach Ukyos Heilmittel und ahnen nichts davon...
 

Schöne Grüße,
 

euer Deepdream

Richtig grottig.

Manche Menschen sprechen vom Schicksal und seiner Unberechenbarkeit. Dabei klingt das nicht selten so, als wären beide Dinge miteinander liiert und würden demnächst ihre Verlobung anstreben.

In Ryoga Hibikis Fall war dieses liebreizende Pärchen längst geschieden.

So besaß die Göttin zweiter Klasse, dritter Kategorie mit limitiertem Zugriff zwar ein Schicksal wie jedermann, nur war ihres alles andere als unberechenbar. Für gewöhnlich reichte es ihm am Morgen die Augen aufzuschlagen und schon konnte er bestimmen, ob es ein schlechter Tag für ihn wurde.

Im Allgemeinen fiel die Entscheidung sehr einfach aus. Und auch sehr betrüblich.

Seine Gefährtin stöhnte zum zigsten Mal neben ihm auf und stellte damit seine Geduld auf den Prüfstand. Ranma konnte einfach nicht die Klappe halten. Das war ihm schon länger klar gewesen, aber noch nie zuvor so deutlich geworden.

Nach circa einem Tag in diesem stickigen, düsteren Tunnel war er vollauf bedient und hatte eine gute Ahnung bekommen, weshalb man diesen Ort Hölle getauft hatte. Es war einfach unerträglich! Wobei die Hitze, Dunkelheit und der mangelnde Sauerstoff eher sekundäre Probleme darstellten…

Ryogas Gedankengänge erlahmten so plötzlich wie seine Füße. Der Rotschopf folgte seinem Beispiel und legte zusätzlich den Kopf in den Nacken.

„’s aber verdammt groß!“, resümierte Saotome neben ihm.

„Uh-hu“, stimmte Ryoga zu. Ihm ging ganz ähnliches durch den Kopf.

„’s noch größer, als das Tor vorn“, ergänzte Saotome erstaunt.

„Uh-hu“, stimmte Ryoga aufs Neue zu. Auch diesmal blieb ihm nichts hinzuzufügen.

„Und da soll’n wir durch, eh?“

Ryoga beschaute sich die marmorierte Oberfläche des Portals. Die unterste Schicht war so schwarz, dass kein Waschmittel der Welt daran etwas hätte ändern können. Darüber kleckerte blaues Gestein wie Zuckerguss, so als hätte sich ein aufgebrachter Koch mit einer gewaltigen Tortenspritze betätigt.

Beeindruckend.

Ob der Koch wohl Akane kannte?

Die Dämonin zu seiner Seite trat auf die Pforte zu und berührte diese selbstbewusst. Unerwarteterweise geschah nichts. Probeweise trat auch Ryoga näher und stupste das Tor an. Ein massiver Schlag weißer Funken stob auf und schleuderte ihn meterweit zurück.

„Yo P-chan, alles klar? Riechst ’n bissel verkohlt.“

Ein Husten drang aus der rauchenden Robe.

„Hasse – dich – Saotome.“

„Dann passt’s ja“, repondierte Ranma nur gutgelaunt und wandte sich dem Portal zu. Von diesem ging jetzt ein sanftes Glühen aus, das die Umgebung in einen hellblauen Schimmer tauchte.

„Hast’n Lichtschalter gefunden. Alle Achtung Ryoga.“

„Halt’ – Halt’ einfach die Klappe Saotome.“

Leicht angekokelt gesellte sich der Wanderer neben die Dämonin und beide nahmen die neue Aktivität unter Augenschein. Irgendetwas an der Göttin musste das Tor – in Gang gesetzt haben oder so.

Mochte es ihm gegen den Strich gehen, diese Situation bedurfte Raffinesse.

Ranma derweil kratzte sich am Hinterkopf, wobei ihr glühender Zopf hin und her schwang. Ohne ein Wort zu verlieren, trat sie kräftig das mächtige Portal. Es rührte sich nicht. Dafür zitterte das Trittbein der Dämonin wie jemand, der winters seine Jacke vergessen und sich aus der Wohnung ausgeschlossen hat.

Ryoga verfolgte das Schauspiel teils ungläubig, teils amüsiert. Sicher, Saotome konnte sie beide soeben zum Tode verurteilt haben. Gleich könnte eine Heerschar ungeheurer Kreaturen über sie herfallen, die Erde könnte aufklaffen oder Akanes Gerichte das letzte Gericht halten. Es war trotzdem unbestreitbar lustig dabei zuzugucken, wie Ranma fluchend auf einem Bein hüpfte.

Abgesehen vom Resultat gefiel ihm die Idee allerdings ganz gut.

Hierzu muss vermerkt werden, dass Raffinesse bei den meisten Hibikis auf eines hinausläuft: Sie starten den Kampf ohne Schrei.

Schwungvoll holte Ryoga aus und rammte seinerseits die Faust gegen das Portal. Der Effekt war unverkennbar und doch unnütz. Für einen kurzen Moment schüttelte es das Portal wie einen Hund voll Flöhe, dem diese mit einer wirkungsvollen Elektroschocktherapie ausgetrieben werden sollen. Dann erstarrte es spöttisch.

„Ryoga...“

„Was?“, knurrte der Kämpfer und schüttelte seine taube Hand.

„Ziehen.“

„Was?“, der Angesprochene stutzte, die Hand zitterte stur weiter.

„Da steht: Ziehen“, meinte Ranma und deutete auf das Schild, auf halber Höhe des Portals. Besagtes Schild glänzte im Schein der provisorischen Handfackel, die die Dämonin mit sich trug und die Gravur verkündete in der Tat [Ziehen].

„Oh.“

Verwirrt taumelte die männliche Göttin zur Seite, als Ranma heftig am Tor ruckte und dieses quietschend aufging. Ein dünner Streifen grünlichen Lichts strömte hervor, dicht gefolgt von einer Flut aus Bodennebel.

Noch ehe das Portal genug Platz zum Durchschlüpfen bot, standen die beiden Kämpfer bereits kniehoch im wabernden Nebelschwaden. Eilig schlüpften sie hindurch und blieben wie angewurzelt stehen.

Eine - Höhle?
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 14 – Richtig grottig.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Die Klinge glänzte, zischte durch die Luft und traf ins Schwarze.

Oder zumindest in den Rettich, der daraufhin entzweite. Behände wurde das Manöver wiederholt und der Rettich wurde ein weiteres Mal kürzer.

Es war Kasumi, die hier lebenslustig das Mittagessen zubereitete und dabei ein Liedchen auf den Lippen hatte. Im Verbund mit ihr trällerten die Vögelchen, grinste die Sonne und tanzten die Schmetterlinge vor dem Fenster.

„Ä-he-m.“

Die Tendo-Älteste überging das Räuspern und lauschte den Vögelchen.

„Ä-he-m.“

Diesmal ignorierte sie es zugunsten der freundlichen Sonne.

„Ä-HE-M.“

Für einen Augenblick noch kitzelten die Schmetterlinge ihre Neugier. Dann seufzte sie und drehte sich zu ihrer kleinen Schwester um, die mit verschränkten Armen im Türrahmen stand.

„Ja Akane?“

„Ich habe das Klassenzimmer gesprengt.“

„Das ist aber nicht sehr nett von dir“, rügte Kasumi und schnitt den Rettich.

„Mit einem Zettel“, ergänzte Akane.

„Du meine Güte – “

Die Erbin der Tendo-Kampfschule nickte bestimmt und setzte zum Sprechen an.

„ – ich habe den Reis noch gar nicht gekocht.“
 

Das Blauhaar ließ die Schultern hängen und seufzte.

Mal ganz im Ernst, was hatte sie erwartet?

In Fällen wie diesen blieb ihr nur eine Wahl, wenn sie ernst genommen werden wollte. Sie mochte es nicht auf diese Methode zurückzufallen, aber Kasumi zwang sie dazu. Also musste sie die ultimative Technik der Tendo-Kampfschule für Schlägereien aller Art einsetzen.

„Bitte-he-he-he“, quengelte die stolze Kampfschulerbin und zupfte an der Schürze ihrer Schwester. Jede Faser ihres Seins war darauf konzentriert, so erbärmlich und mitleidserregend wie nur eben möglich zu wirken.

Bei dieser mystischen Technik handelte es sich um eine Variante des Dämonenkopfangriffs ihres Vaters. Was so einfach aussah, setzte eine empfindliche Kontrolle der Aura und Gefühlswelt voraus. Nur einige wenige aus der Familiendynastie meisterten die Technik und kaum einer so meisterlich wie die jüngste Tendo.

Akane verabscheute die Technik dennoch – obwohl sie ihren Zweck zugegebenermaßen erfüllte.

„Stand denn etwas auf dem Zettel?“, erkundigte sich ihre ältere Schwester.

„Na ja, es war eine kurze Nachricht an Yuka.“

„Hast du darin Worte wie Zerstörung, Erdbeben oder Katastrophe verwendet?“, hakte Kasumi lächelnd nach und Akane stutze.

„N-Nein. Nicht wirklich.“

„Hm“, konstatierte Kasumi und zerhackte den Rest des Rettichs in seine Einzelteile; ohne dabei hinzusehen oder sich sonst wie darauf zu konzentrieren. Der Zeigefinger ihrer linken Hand ruhte gewohnheitsgemäß auf der Unterlippe.

„Schreib’ doch mal kurz eine Kleinigkeit auf.“

„O-kay“, antwortete Akane verständnislos, schritt aber zur Tat.

Mit Stift und Papier bewaffnet, kehrte sie zur Verwalterin des Hauses und Haushalts zurück.

„Und jetzt notier’ doch bitte dieselbe Botschaft wie bei Yuka.“

Die Kampfkünstlerin in der Familie zuckte die Achseln und kritzelte die Schriftzeichen nieder. Sie händigte es über.

„Deine Kalligraphie ist – eigen“, bemerkte die älteste Schwester und nötigte sich ein Lächeln ab. Akane ignorierte den Umstand. Schönschrift war eben noch nie ihre Stärke gewesen.

„Und genauso hast du die Nachricht verfasst?“

„Ich bin am Schluss ein wenig abgerutscht, aber ansonsten – ja, so habe ich’s notiert.“

„Abgerutscht?“ – Kasumi stockte – „Du meinst hier?“

„Ich bin ja schon wieder abgerutscht“, rief Akane verärgert.

Kasumi tippte sich an die Unterlippe, ehe sie unerwartet das Fenster aufriss und den Zettel nach draußen schleuderte. Der Wind war so freundlich und verpasste dem Schnipsel einen ordentlichen Schubs weg vom Haus.

Kaum machte der Fetzen Bodenkontakt, hatte sich ein Quadratmeter Gras in Luft aufgelöst. Obwohl – ein wenig davon, war noch übrig. Zugegeben, kaum erkennbar so verbrannt wie es war, aber dennoch vorhanden.

„Herrje. Dabei dachte ich, du würdest nach Papa gehen.“

„W-W-Was? Kasumi. Der Garten. Der Schnipsel. D-Der Garten!“

„Weißt du Akane. Ich glaube, wird haben eine Menge zu bereden.“
 

Mousse unterdrückte ein Wehklagen. Ihm war danach, mit jedem einzelnen dreckigen Teller Tontaubenschießen zu veranstalten, aber die Alte würde ihn dafür umbringen.

Nichtsdestotrotz liebäugelte er mit der Idee. Man konnte schließlich noch träumen.

Kein Wunder, schließlich brannte ihm der Schaum auf den Händen. Wäre er nicht so abgehärtet, hätten die Mädchen ihm – und seinen Händen – wohl gestern den Rest gegeben. Sie waren zwar nicht gebrochen, aber Gottweiß, sie schmerzten auch so.

Unter Tränen wusch er den nächsten Teller ab.

Wie gerne hätte er sich jetzt hingelegt, alle Viere von sich gestreckt und einfach nur die Augenlider gesenkt…

Er seufzte und stieß eine Schüssel in die Fluten und wirbelte den Schwamm drüber. Mit Schwung schleuderte er das Geschirr zu seinen Artgenossen, wo es zielsicher auf zwei Tassen und drei Tellern zum Ruhen kam.

Gähnend packte er das Froteetuch und rubbelte sich die Hände ab.

Ausgelaugt und erschöpft wandte er sich um.

Jetzt wollte er nur noch ins Bett und sich eine Mütze voll Schlaf gönnen. Der bloße Gedanke weckte bereits Dankbarkeit in ihm. Mit einem Lächeln trat er aus der Küche, schaltete das Licht aus und kam hinter der Theke hervor.

„Tellerwäscher.“

Er erstarrte und für einen Augenblick imitierte sein Herz dieses Verhalten. Sein Überlebensinstinkt war jedoch schnell genug, um diesem rechtzeitig einen Kick zu verpassen, damit es wieder in die Gänge kam.

„Alte Mum - “, sprach er und bekam den Stab auf den Kopf.

Als er aufblickte, balancierte die alte Matriarchin über ihm und starrte auf ihn herab. Der Anblick war genug, um Mousse sein Schicksal verfluchen zu lassen. Zum einen war die Greisin nun wirklich keine Augenweide, zum anderen bedeutete dieser Blick nichts Gutes.

„Ich hätte ein paar Fragen an dich. Und du wirst sie beantworten. Verstanden?“

Es gibt Zeiten, da spielen Männer den Helden.

Es gibt Zeiten, da benutzen sie ihren Kopf.

„K-Klar“, antwortete er und erntete ein zufriedenes Nicken der alten Frau.

Während er sich aufklaubte, hüpfte Cologne an einen der Tische. Zwei Stühle standen bereit und vermittelten Mousse den Eindruck, dass das keine spontane Unterhaltung werden würde.

„Was ist zwischen Shampoo und Ranma vorgefallen?“

„I-Ich weiß nicht, was - “

Die Verengung ihrer Augen genügte, um den Amazonen zur Räson zu rufen. Es wäre glatter Selbstmord etwas zu leugnen oder vorzuenthalten.

„Ich und Shampoo, wir wurden von Saotome an seiner Schule angegriffen.“

Hierzu zog Cologne eine Augenbraue hoch, hüllte sich allerdings in Schweigen.

„E-Er erhob die Hand gegen Shampoo. Ich griff an und - “

„ – du wurdest geschlagen“, stellte die Matriarchin fest und Mousse knirschte mit den Zähnen. „Davon kommt also Shampoos Zurückhaltung.“

Der Krieger sagte dazu nichts. Ihn ärgerte die Selbstverständlichkeit, in der die Greisin seine Fähigkeiten kleinmachte. Doch es stimmte, er hatte darin versagt Shampoo zu beschützen.

„Du willst meine Enkelin rächen, oder?“

Überrascht blinzelte die Küchenhilfe auf und nickte zaghaft. Argwöhnisch lauschte er den Worten der Herrin des Amazonenstammes und mit jedem Wort wurden seine Augen größer.

Sicher, dadurch sah er auch nicht klarer.

Trotzdem schien es, als hätte sein Blick etwas erfasst.
 

Ranma und Ryoga ließen ihre Augen schweifen.

Wände aus kaltem Fels engten die Grotte auf beiden Seiten ein. Sie waren derart krumm und schief, dass jede anständige Wand den Vergleich mit ihnen gescheut hätte. Aus Gründen der Rücksichtnahme musste man sie daher als Schrägen bezeichnen.

Ebenjene mündeten gemeinsam in einer gewölbten Höhlendecke aus der sporadisch Stalaktiten hervorwuchsen. Der Anblick glich dem Gebiss eines alten Mannes, der nicht viel von Zahnprothesen hielt – oder noch nichts davon gehört hatte.

Das ungleiche Paar verharrte indes auf einer Steinterrasse, von der aus man den gewaltigen unterirdischen See überblicken konnte. Es klang unfassbar, aber sie standen inmitten einer Grotte.

Phosphorisierendes Gestein schenkte der Höhle ebenjenen grünen Schimmer, den sie beide vorhin schon bemerkt hatten und zu ihren Füßen wabberten Nebelschleier. Selbige Nebelschleier tanzten ebenso übers Wasser, welches sich bis zum anderen Ende der Grotte erstreckte. An besagtem Ende befanden sich, dem Anschein nach, eine zweite Terrasse und ein wuchtiges Tor.

Ryoga bestaunte noch die düsteren Fluten, als seine Kameradin bereits drauflosging. Selbstbewusst trat Ranma bis zum Rand vor und spähte in die schwarze Tiefe. Bedeutend zögerlicher schloss sich Hibiki an. Für eine Weile verharrten die Gefährten so, ehe Saotome den Zeigefinger hob.

„Ich glaub’, ich hab’s.“

Fragend schielte der Stirnbandträger zu seiner Partnerin.

„Wir soll’n bis zum andren Ende“, erläuterte die Dämonin stolz und nickte dazu bekräftigend. Ryoga für seinen Teil kratzte sich den Hinterkopf und kräuselte die Stirn.

„Klingt zu einfach.“

„Ach, jetz’ komm’! Bist immer so’n Pessimist.“

„Das nennt man Erfahrung.“

„Haste Angst?“, näselte Ranma und kitzelte ein Grollen aus Hibikis Kehle.

„Von wegen! Vor dem bisschen Wasser fürchte ich mich nicht.“

„Isses dir auch nich’ zu tief?“, stocherte Saotome.

„Dann zeig’ doch mal wie tief der Tümpel ist, wenn du so große Töne spuckst!“

Die Dämonin zuckte mit den Schultern und feixte belustigt. In ihrer Hand hüpfte ein weißer Funke auf, der sich widerwillig zu einem kleinen Feuerball formte und auf Tennisballgröße anwuchs.

Kritisch verfolgte Ryoga die Prozedur und zog die Augenbrauen hoch, als sein Kindheitsrivale das Projektil in die flüssige Düsternis jagte. Wie ein Leuchtfeuer tauchte es ab und stieß viele Meter tief, ehe es erlosch.

„Verdammt tief“, skandierten beide nicht gerade erfreut. Verständlicherweise hatten sowohl Ranma als auch Ryoga ihre Aversion gegenüber Wasser – insbesondere in der kühlen Form. Sofern sie es also meiden konnten, waren sie nicht unglücklich.

„Kannste uns nich’ rüberbring’n? Bist doch ’ne Göttin und so.“

Der Stirnbandträger schüttelte den Kopf.

„Als Mann geht das nicht. Und Urd meinte, ich soll mich nicht verwandeln.“

Hierauf entließ Saotome einen Stoßseufzer und schnipste ihren lodernden Zopf zurück.

„Na dann mal lo - “

Ein ungesundes Rumpeln erschütterte den Untergrund zu ihren Füßen und warf sie fast von selbigen. Verwirrt schauten sich die Kampfsportler um und suchten nach der Quelle der Erschütterung.

Eine winzige Blase zerplatzte an der Wasseroberfläche.

Synchron lugten die Gefährten dorthin und sogleich zerplatzte eine zweite Blase, es folgte eine dritte und eine vierte. Dann setzte das Rumpeln erneut ein, nur diesmal weitaus spürbarer.

Unter hörbaren Schlucken stierten die Jugendlichen in die Tiefe, die sich so düster ausnahm wie zuvor. Immerhin wäre das sehr wünschenswert gewesen.

Stattdessen flammte ein schwaches Glühen auf.

„H-Hey, vielleicht isses nur mein Feuerball - “

Ein zweites Glühen erschien neben dem ersten.

„ – oder vielleicht auch nich’.“
 

Beunruhigt ging Ryoga auf Distanz zum See. Neben ihm tat Ranma dasselbe.

Irgendwie konnte er das ungute Gefühl nicht abschütteln, dass sie etwas geweckt hatten, was bis vor kurzem noch Mittagsschlaf hielt und jetzt äußerst aufgebracht war. Hibiki kannte das nur zu gut. Einmal hatte er ein Wildschwein alleine deswegen ausgeknockt, weil es seine Schlafstätte verwüstet UND ihn aufgeweckt hatte.

Aus den wenigen Blasen war inzwischen ein Brodeln geworden.

Mit einem Mal stieg ein Dröhnen aus dem Wasser und ein mächtiger Schwall des kühlen Nasses spritze in die Höhe. Wie in einem dicken Ballkleid – wobei nicht zwingend das Ballkleid selbst dick war – schwemmte Schaum an der Fontäne herab und dazwischen schimmerte ein Geflecht aus Schuppen und Zähnen.

Der sagenumwobene Yamata no Orochi streckte sich in die Höhe.

„Ach du heilige - “

„Untersteh’ dich Saotome!“

Ein paar große, scharfe Augen erfassten ihn und die Dämonin und sein Kehlkopf leistete Überstunden, während das Gehirn den Anblick verarbeitete.

„R-Ranma?“

„Eh-he?“

„Ist f-für dich.“

Den panischen Blick Ranmas nahm der Wanderer gar nicht wahr, da sich bereits eine zweite Fontäne aus den Fluten erhob, dicht gefolgt von einer dritten. Wild und unbarmherzig schlugen die Wellen über den Rand der Terrasse zum Testament der Urgewalt.

Das Brüllen der Kreatur brachte Ryoga zum Erzittern.

Es lag nicht daran, dass er ein Angsthase wäre. Das war er nicht.

Es war jedoch schwer die Fassung zu behalten, wenn eine Bestie mit Zähnen so lang wie Unterarme zum Angriff bläst.

Genau das tat der Kopf dann nämlich auch – er griff an und zwar den Pseudo-Shinigami.

Gewaltige Kiefer schossen auf ihn zu, vor Geifer blitzende Zähne und eine lange Zunge vollendeten den Terror und Hibiki überlegte sich, wann er zuletzt seinen Hund gefüttert hatte.

Allerdings war Checkers, Gott sei dank, ein kluger Hund. Sie würde auch ohne seine Besuche auskommen. In der Regel musste sie das sonst auch.

Unerwartet wurde er zur Seite gestoßen und erhaschte aus dem Augenwinkel Ranma, die gerade noch auswich und ihm trotzdem feixend das Victory-Zeichen zeigte.

Verdammt, jetzt schuldete er Saotome schon wieder einen Gefallen!

Instinktiv rollte er ab und bereits im nächsten Moment näherte sich ihm ein zweites Maul, dem er mit einem senkrechten Sprung entging. Plötzlich durchbrach ein vierter Kopf die Wasseroberfläche wenige Meter neben ihm, in freudiger Erwartung samt offenen Kiefern.

Ryoga tat das was er am Besten konnte.

Er schaltete seinen Kopf aus und reagierte.

So zog er in rascher Abfolge mehrere Bandana und schleuderte sie aus dem Handgelenk gegen den Orochi. Einem Schwarm unerfreuter Bienen gleich, die sich dem neugierigen Bären annehmen, schossen die gelbschwarzen Stirnbänder auf das Ungeheuer zu.

Der kurze Schmerz war genug, damit das Maul sich schloss und Ryoga obenauf – statt mittendrin – landete.

Als der Überlebenskünstler, der er war, verlor er keine Sekunde und rammte der Kreatur die blanke Faust aufs Oberhaupt. Das Biest verdrehte benommen die Augen und noch bevor Hibiki Okonomiyaki sagen konnte, ereilte ihn ein zweites Maul von links.
 

Ranma Saotome, Dämonin zweiter Klasse, zweiter Kategorie mit unlimitiertem Zugriff war ganz in ihrem Element.

Der Luftkampf war eine der Spezialitäten des Musabetsu Kakuto Ryu und sie selbst ein beneidenswertes Naturtalent. Sie konnte Wurfmessern im Flug ausweichen und kaum ein Gegner hielt länger den Abstand zum Boden als sie. Okay, ausgenommen Taro in seiner Monsterform, aber der schummelte!

Um diesen Grad der Perfektion zu erreichen, hatte ihr Vater fleißig in die Hände gespuckt und sich eine Trainingsmöglichkeit dümmer als die andre ausgedacht. So war Ranma seinerzeit von Bienen, Wölfen, Katzen – ein beliebtes Mittel – und Frauen – weniger beliebt - gejagt worden.

Geschickt platzierte Ranma einen Fuß auf der Nase des Drachen, stieß sich von da ab und beobachtete vergnügt wie ein zweiter Kopf in den ersten hineinraste. So groß und kräftig das Biest auch war, sie hatte es schon einmal zu Fall gebracht.

Na ja, die anderen hatten mitgeholfen und dann war da noch der Reisschnaps und…

Auf jeden Fall hatte sie dem Orochi schon einmal getrotzt und würde es auch ein zweites Mal tun. Wäre doch gelacht!

Obwohl ihr nach lachen nicht ganz zumute war, als ein Kiefer voll rasiermesserscharfer Zähne an ihr vorbeisauste und die Luft in handliche, kleine Scheiben schnitt.

Langsam hin oder her, bei sieben Köpfen stellte das legendäre Ungetüm nichtsdestotrotz eine Herausforderung dar und man musste ständig auf der Hut sein. Ein Flammenstoß zischte vorbei und eine meterlange Zunge angelte nach ihr.

Zugegeben, jetzt wurde es schwieriger.

Natürlich gab es trotzdem keinen Grund zur Sorge.

Ranma Saotome verliert schließlich nie.

Wie’s dagegen Schweinchen erging, war eine ganz andre Frage. Immerhin war Ryoga eher vom bodenständigen Schlag der Kampfkunst und es weniger gewohnt zu Luft auf Gegner zu treffen.

Na ja, er würde schon nicht gefressen wer –

Ranmas Gedankengang machte einen Hüpfer, stotterte und knallte in einen imaginären Baum, denn was sie zu Gesicht bekam, war gar nicht gut und randvoll mit unschönen Souvenirs, die jedes Küchenmesser in den Schatten stellten.
 

Ein kleiner Schatten trapste durch den Korridor. Die Bewegungen waren ungeschickt und in etwa so präzise wie die Einschenkversuche eines betrunkenen Blinden.

Nichtsdestotrotz sah man der Gestalt ihr Bemühen um Lautlosigkeit an. Ein Ninja mit zwei gebrochenen Beinen und Tourettesyndrom hätte es zu würdigen gewusst.

Verschwörerisch blickte sich die Puppe um.

Sie hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging. Weder war ihr klar, was mit ihrem Körper los war, noch weshalb sie nicht reden konnte. Überhaupt, wo war sie hier? Dieser Ort war so verdammt riesig!

Eilig huschte sie weiter und prallte unvermittelt gegen ein Hindernis.

Ungeschickt fiel sie auf ihre vier Buchstaben und sah hoch – und noch ein wenig höher und noch ein wenig höher und noch ein wenig höher. Hoch über ihr ragte das Antlitz einer Riesin, die erstaunt zu ihr herabblinzelte.

Noch ehe Ukyo die Lage richtig begriff, war sie auch schon aufgenommen und auf Augenhöhe gehoben worden.

„Du meine Güte, wo kommst du denn her? Akane sucht dich schon seit gestern.“

Perplex blinzelte Kuonji zurück und legte den Kopf schief.

„Akane!“, rief die älteste Tendo-Tochter und schon bald eilte die Jüngste herbei.

„Ja, was ist denn Ka – oh“, sprach die Kampfkünstlerin und erblickte die Puppe in den Händen Kasumis. Sofort wechselte die Ukyo-Miniatur die Besitzerin und der Blauschopf seufzte erleichtert.

„Wo hast du sie nur gefunden Kasumi?“

Der Engel des Hauses lächelte fröhlich und neigte den Kopf.

„Sie ist mir entgegengelaufen.“

Akane stutzte – verständlicherweise. Dann unternahm sie eine eingehende Musterung der Puppe, die sie ihrerseits finster anstarrte und abwartend die Arme verschränkte.

Hätte Ukyo Bodenkontakt gehabt, so hätte sie mit dem Fuß getappt. So blieb ihr allerdings nichts übrig, als ungeduldig dreinzublicken und ihren Körper sprechen zu lassen.

Akanes Ohnmacht bewies zwei Dinge.

1. Egal wie vielen Eigenartigkeiten du in deinem Leben begegnest, du hast nie alles gesehen.

2. Eine verärgerte Körperhaltung sagt mehr als tausend Worte. Selbst in Miniatur.
 

„WAH!“, entkam es Ryoga, als der Orochi sich ihm von der Seite her wie ein Truck näherte. Obwohl Ryoga Hibiki sicherlich weniger Ehrfurcht vor einem Lastwagen hatte, als vor dieser Bestie. Der Truck würde sich immerhin eindellen und ihn eventuell ein paar Meter durch die Luft schleudern – was sich nicht weiter schlimm ausnahm. Er würde aufstehen und den Staub von den Klamotten klopfen; und eventuell den Fahrer verkloppen bevor der sich aus dem Staub machte.

Beim Orochi verhielt sich das etwas anders.

Dieser Laster besaß nämlich Zähne und einen Schlund, in dem sonst nur junge Mädchen und Alkohol hineinpassten. Sollte er sich jetzt geehrt fühlen, dass das Wesen ihn trotzdem fressen wollte?

Ryoga entschied sich zu einem klaren Nein.

„Bakusai Tenketsu!“, gellte es und er rammte den Finger in massiven Fels. Doch egal wie massiv der Fels war, die Reaktion war immer dieselbe.

Ein Hagel aus Schrapnell traf auf ihn, der Großteil aber passierte ihn unbehelligt. Selbiges ließ sich nicht vom Orochi behaupten, dem eine Wolke aus Felssplittern zuschoss und die seine Barthaare empfindlich kürzte.

Die männliche Göttin in Ausbildung wartete nicht ab, was jetzt passieren würde. Anstelle dessen flüchtete er in die einzig freie Richtung – geradeaus über den See.

Da es mit dem Wasserwandeln nicht so ganz klappte, wendete er die herkömmliche Methode an. Er lief an der Wand entlang und stieß seine Füße dafür hart gegen den Stein, der unter den Tritten bröckelte.

Der warme Atemhauch des Ungetüms kitzelte seine Nackenhaare und dessen mächtige Fänge rieben hungrig aufeinander. Hals über Kopf stürzte Ryoga voran. Er wollte schließlich nicht als Fast Food enden. Endlich hatten er und ein Mädchen sich angenähert und jetzt sollte ein überdimensioniertes Fabelwesen mit den Vorlieben eines alten Mannes, ihm den Coup versauern? Kam nicht in Frage!

Er legte noch einen Zahn zu – und hätte sich für das Wortspiel knüppeln können.
 

Ranma derweil hatte so ihre eigenen Probleme. Von Größe, Gewicht und Schärfe ähnelten sie denen Ryogas erschreckend, leider waren sie im Doppelpack vorrätig.

Zwei der Köpfe, sie taufte sie A und B, – den zweiten wegen der prominenten Beule - jagten ihr hinterher und drohten sie mit den Kiefern zu packen. Es war alleine ihrer Geschwindigkeit und Agilität zu verdanken, dass sie noch an einem Stück durch die Gegend sprang.

Die Biester sahen zwar nicht so aus, als würden sie teilen – aber hey, wer weiß? Vielleicht waren die Dinger ja solidarer als sie schienen?

Besagte Solidarität stellten die Köpfe sogleich unter Beweis, als sie die Dämonin gleichsam in die Zange nahmen, womit ebenjene durchaus noch klargekommen wäre. Was die Sache hektischer gestaltete, war der plötzliche Rachen, der sich aus den schwarzen Fluten vor ihr hob.

Das sah nicht gut aus.

Noch ehe die Überlegung die Synapse wechselte, agierte Saotome instinktiv. In anderen Worten verbog sie sich entsprechend einer Brezel und bekam es damit irgendwie hin, dem Zuschnappen der Kiefer zu entkommen.

Dort endete ihre akrobatische Meisterleistung allerdings lange nicht.

Noch im Flug warf sie sich herum, ihr glühender Zopf flatterte im Flugwind hintendran und ihre Füße setzten auf – und zwar auf der schuppigen Stirn. Es wurde Zeit für ein paar höllische Kopfschmerzen.

„Kachu Tenshin Amaguriken!“

Das Stakkato an Schlägen rieselte auf den Schädel nieder, schneller als es die Hände einkaufssüchtiger Frauen beim Sommerschlussverkauf vermochten. Grunzend knallte der Kopf auf die Wasseroberfläche und setzte sein Nickerchen unter Wasser fort.

„Bist ’n Kopf kürzer, eh?“, verhöhnte Ranma den Orochi und wurde sogleich daran erinnert, dass dieser nicht nur Köpfchen besaß – sondern gleich mehrere.

Ihre zwei Verfolger waren nämlich nicht auf den Mund gefallen und schickten ihr ein knochenschüttelndes Brüllen entgegen. Tatsächlich spürte sie das Beben sogar an der Wand, an der sie Halt gesucht – und gefunden - hatte und nun eiligst entlang wetzte.

In ihrer Hand sammelte sich derweil heiße Luft. Es war allerdings längst nicht genug, um den legendären Drachen mit der Wimper zucken zu lassen. Für diesen Gegner brauchte sie ein ganz anderes Kaliber. Irgendetwas in Richtung Saffron wäre gut.

Hinter ihr holten die verbliebenen Köpfe rapide auf. Im Grunde war es kein Wunder, schließlich tänzelte da ein wahrer Leckerbissen vor ihren Gaumen. Ranma konnte es ihnen also nicht verdenken – wohl aber verübeln.

Als einer der Köpfe einen Probebiss nahm oder es zumindest versuchte, trat die Dämonin in Aktion.

„Guten Appetit“, rief das Halbmädchen plötzlich, sprang von der Schräge ab und wirbelte zu ihrem Gegner herum – und aus ihrer Hand schleuderte sie einen lodernden Feuerball gen Orochi. Kopf A erlitt einen Volltreffer, verkokelte sich die Barthaare und hustete eine schwarze Wolke aus. B entging dem Feuerball jedoch und schoss auf den heißen Happen zu.

Umso erstaunter war er, als sein Essen mit einem Mal auf Geratewohl verschwand und doppelt verblüfft, als die Mahlzeit auf seinem Haupt wieder auftauchte. Die Verblüffung war kurzlebig und ein Kauchu Tenshin Amguriken ließ ihn Engel – oder das dämonische Gegenstück dazu – sehen.
 

Eifersüchtig spähte die Göttin zur Dämonin.

So eine Schande! Ranma kam besser mit dem Orochi klar als er. Dieser elende, schummelnde…

„Wargh!“, brüllte die Bestie.

„Du mich auch!“, warf Hibiki mitsamt einem Bandana zurück.

Die Kreatur verbiss sich einen weiteren Kommentar und versuchte anstelle dessen, sich in Ryoga zu verbeißen. Dessen vereinzelte Bandanas und Sprünge erschwerten die Jagd allerdings ein wenig.

Nichtsdestotrotz musste der Stirnbandträger nur allzu bald feststellen, dass die Kreatur weitaus schneller war als er. Gerade noch rechtzeitig schrill sein Sakkijutsu an. Vor Schreck verlor der Junge den Halt und rollte die Schräge herab, während das Maul auf ihn zustürzte.

In ebenjenem Moment vernahm er es wieder.

Es war dieses leise Flüstern, das ihm in seinem Kampf gegen den korrumpierten Ranma unterstützt hatte. Unwissentlich glühten kurz zwei zitronengelbe Dreiecke auf seinen Wagen auf und genauso wie damals folgte Ryoga dem Rat der raunenden Stimmen. Er streckte die Hand aus.

Unbeeindruckt hielt der Orochi auf ihn zu, nur um kurz vor ihm dümmlich aufzugrunzen, bevor sich seine Augen kreuzten. Über die schuppige Stirn rutschte Hibikis Wanderrucksack und obenauf geschnallt der rote Bambusschirm.

Ryoga fing beides überrascht und brachte den Schirm vor sich.

Das Ungeheuer war noch nicht besiegt. Sein Schnauben dröhnte in den Ohren des Wanderers und die großen Augen fixierten sich auf ihn. Es war ein legendärer Moment, Mensch gegen Monster. Ihre Blicke trafen einander unerbittlich und rangen darum, den Willen des jeweils anderen zu brechen. Die Luft war geradezu elektrisiert.

Hibiki beendete den Moment damit, dass er dem Orochi den Schirm an den Kopf warf.

Antiklimatisch sank die Kreatur zurück in die Tiefen.

Verblüfft nahm er seine Waffe auf, die zu schwerfällig zum Rutschen war und deshalb liegen geblieben war. Er hätte nicht gedacht, dass der Kampf so schnell zu Ende sein würde. Hey, vielleicht hatte er ja doch zur Abwechslung Glück?

Augenblicke später durchbrach derselbe Kopf den Wasserspiegel und stürzte ihm entgegen.

Also doch kein Glück.

Diesmal war Hibiki gefeit. So sprang er rechtzeitig empor, traf die Nase mit einem Tritt und schleuderte sich in die Höhe gen Höhlendecke. Das benommene Biest schüttelte kurz den Kopf, bleckte die Zähne und folgte unversehens nach.

Präzise rammte Ryoga die Schirmspitze in den Granit überkopf und hing plötzlich von der Decke wie ein Affe – oder ein Partyhäppchen. Kommt ganz drauf an, ob man es von Menschen- oder Orochiperspektive betrachtete

Den Schirm halb in die Decke gebohrt, ließ der Kampfkünstler seinen Indexfinger folgen. Hieraus ergab sich ein regelrechter Steinschlag, der auf und an ihm vorbeiprasselte.

Der Yamata no Orochi wusste nicht WIE ihm geschah, als sein Partyhappen in einer Gerölllawine unterging. Als er wusste WAS ihm geschah, war es schon zu spät.

Ryoga befasste sich nicht weiter damit, er hatte längst ein neues Problem an der Hand. Es war nass, tief und genau unterhalb seiner Position. Hastig spannte er den Schirm auf und fing einen Teil des Abwärtsmomentums ab.

An seinem Kurs änderte das nicht viel.

Er würde gleich in die Fluten fallen und wenn der Orochi nicht so gnädig war, ihn sofort aufzufressen, würde er hautnah herausfinden, was Dämonen in der Regel mit Göttinnen anstellen.

Es half nicht unbedingt, dass ihm kein Szenario in den Kopf kam, das ohne Beulen, Schmerzen und schlechte Musik auskam.

Dieses Schicksal wurde ihm – Ironie sei Dank – von einer gewissen Dämonin und Gefährtin erspart, die ihn unsanft auf die Schräge kickte. Torkelnd machte der Bandanaträger Bodenkontakt und hielt sich gerade so auf den Beinen.

Dagegen setzte Ranma mit einer Leichtigkeit auf, die Ryoga förmlich die Nase zeigte. In Saotomes Fall spottete jede Geste jeder Beschreibung!

„Ranma! Was sollte das?“

„Musst dich nich’ bedanken Schweinebacke“, warf diese fröhlich zurück und wich dem Bambusschirm aus, der sogleich die Luft malträtierte.

„Deine Tage?“

Noch bevor die Unterhaltung eskalieren konnte, meldete sich der Orochi zurück. Wider Erwarten griff er nicht an. Mehrere Beulen auf mehreren Köpfen, einige Zahnlücken und angesengte Barthaare erklärten den Umstand ohne viele Worte.

Trotzdem kam es überraschend, als die Häupter unversehens in die Tiefe verschwanden. Eins nach dem anderen hinterließ nur Blubberblasen an der Wasseroberfläche.

„Das – war’s?“, skandierte Ryoga und legte den Kopf schief, behielt den Schirm aber fest im Griff. Ihm war so, als hätten sie eine Kleinigkeit vergessen. Aber bei den unzähligen Gegnern, die sie gemeinsam schon besiegt hatten, konnte einem das eine oder andere Detail durchaus entfallen.

„Wieder gewonnen“, posaunte die Dämonin mit ihrem berüchtigten diplomatischen Geschick und stemmte die Fäuste in die Hüften. Es hätte Hibiki nicht verwundert, wenn der Orochi alleine deswegen eine Zugabe gegeben hätte.

Daher war er auch nicht – nicht wirklich - verwundert, als die Grotte zu Schaukeln begann. Ungeduldig spie der See Wasser auf die Schräge, donnerte und wütete wie ein Tier. Gischt schäumte in weißen Kronen auf und ein Schädel teilte das Wasser.

Der Hauptkopf öffnete seine Augen, groß wie Tische und glotzte sie beide blutunterlaufen an. Dann brüllte er und sein Brüllen ein Brüllen zu nennen, wäre untertrieben gewesen.

Vielmehr hämmerte es in ihren Ohren und bearbeitete ihre Trommelfelle wie – nun ja, Trommeln.

Weder Ryoga noch Ranma hatten je von Diskotheken gehört. Jetzt konnten sie im Grunde froh sein, sollten sie überhaupt je wieder etwas hören. Außerdem wären sie nach DEM Urschrei nur davon enttäuscht.

So standen sie nämlich wie angewurzelt da und beäugten dümmlich den Drachenkopf von der Größe eines Busses. Die Scheinwerfer, pardon, Augen waren halbgesenkt und das beängstigende Reiben seiner Beißerchen aneinander war zwar zahntechnisch nicht astrein, erzeugte dafür Atmosphäre.

Und dann brach die Hölle los.

Trotz der enormen Größe rasten die Kiefer auf die Kämpfer zu und nur knapp wichen diese dem tödlichen Ansturm aus. Als der Kopf gegen die Schräge knallte, erbebte die Grotte in ihren Grundfesten und riss Ryoga fast wieder von den Beinen.

Geschwind zog er drei Bandana ab, brachte sie in Schwung und feuerte die hübschen Rasierklingen auf die Bestie. Unnütz schnippten die Projektile von der dicken Haut ab und trugen nur noch zum Zorn des Drachen bei.

Der Spruch: Wer’s nicht im Kopf hat, hat’s in den Beinen – besaß besondere Geltung für die Hibiki-Dynastie. Er fand Anwendung in ihrem Orientierungssinn, begleitete ihre Wanderungen und schlug sich letztlich in ihrer bevorzugten Fortbewegungsweise nieder.

Daher war Ryoga Hibiki nicht ungeübt darin, die Beine in die Hand zu nehmen – obwohl er es vorzog, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben.

Sei dem wie es sei. Er war flink – der Orochi war ungleich flinker.

Unterm Knirschen von Fels und dem Raunen der Bestie überholte ihn deren Atem. Sofort fühlte er sich an einen zufälligen Kneipenbesuch – seine Besuche waren immer dem Zufall überlassen, sowohl ob er ankam als auch wie lang er blieb – in Shinjuku erinnert.

Dann wurde mit einem Mal alles dunkel und das Maul schloss sich.
 

Ranma Saotome kannte keine Angst. Sie war schließlich die Beste, wovor sollte sie sich also fürchten? Das leise Miau im Unterbewusstsein ignorierte sie geflissentlich.

Als ihr Erzrivale aus Kindheitstagen allerdings im Schlund der Kreatur verschwand, ergriff Ranma das Grauen.

Wie sollte sie das nur Akane erklären?

Panisch hetzte die Dämonin dem Orochi hinterher, der nur noch schwerfällig vorankam und setzte zum Sprung an. Die Pupillen des Drachen kreuzten sich, als der lodernde Leckerbissen auf dessen Nase landete.

„Spuck – ihn – aus!“, befahl sie und unterlegte jedes Wort mit einem Sturm aus Tritten.

Wutschnaubend schüttelte die Kreatur den Kopf und es hätte Ranma gewiss davon gefegt, wenn sie sich nicht geistesgegenwärtig an die Barthaare des Ungetüms geklammert hätte.

„Spuck – ihn – aiaiaiaiaiai!“

Ihre zweite Solo-Stampede kam nicht ganz so gut an, als das Monster den Kopf zurückriss und nach unten schnellen ließ. Diesmal rutschten ihr die Haare zwischen den Händen hindurch und sie wurde ins Wasser katapultiert.

Triumphierend stierte das Wesen auf sie herab und stürzte auf sie zu – und stoppte unvermittelt. Ein dumpfes Röcheln drang aus seinem Mund und ein sichtbares Zittern erfasste die Kiefer.

Erstaunt beobachtete die Erbin des Musabetsu Kakuto Ryu wie das Maul langsam aufging.

„RYOGA!“

„URGH!“, antworte ebenjener, die Beine gegen die teppichlange Zunge und den Rücken samt Rucksack gegen das vordachgroße Palatum gestemmt. Mit hochrotem Kopf schob er den Rachen noch ein wenig weiter auseinander.

Dem Drachen wurde es augenscheinlich zuviel und er spuckte den widerspenstigen Happen aus. Zu Ryogas zweifelhaftem Glück kam er nicht im Wasser auf – zu seinem Pech kopfvoran auf der Schräge.

Indes war die Dämonin aus den Fluten entstiegen und zog einen Dunstwall hinterher. Wie es schien, war ihr Zopf nicht das einzig hitzige an ihr.
 

„Schwein gehabt, eh?“, bemerkte Ranma und quetschte Dampf aus ihrem Zopf. Ryoga streckte ihr nur kraftlos die Faust entgegen. Er war völlig ausgelaugt von dem letzten Kraftakt und in keiner Stimmung für einen Streit. Er fühlte sich, als hätte man ihn in eine Autopresse gesteckt und dabei ordentlich durchgeschüttelt.

Außerdem bezweifelte er, dass er ohne seine göttliche Beförderung etwas bewirkt hätte. Zwar hatte er in seiner Geburtsform keinerlei Zugriff auf die höhere Gotteskraft, die Stärkung seiner Leistungsfähigkeit war aber vollauf vorhanden.

Nichtsdestotrotz taumelte er inzwischen an der Neige zum Kollaps.

„Mousse wär ’ne bessre Unterstützung.“

„Huh?“

„Die Blindschleiche hätt’ den Orochi immerhin abgelenkt. Du dagegen - “, ließ Saotome ausklingen und feixte.

„Also wenn du Ärger suchst - “

„ – such ich mir ’nen würdigen Gegner. Schon klar“, meinte die Dämonin und unterstrich ihre Aussage mit einer lässigen Geste.

Ryogas Knöchel knackten. Er wusste, dass es klüger wäre sich zusammenzureißen. Er wusste, dass der Orochi die oberste Priorität darstellte. Er wusste überhaupt weitaus mehr als früher.

Leider wusste er ebenfalls, dass er keine Geduld besaß.

„RANMA! Bereite dich vor zu sterben!“

Rasend vor Zorn hämmerte Ryoga seinen Schirm gegen seine Rivalin, die amüsiert auswich und ihm die Zunge herausstreckte. Unbeirrt hieb der Wanderer nach seiner Nemesis und sprang ihr hinterher, als diese auf den Drachen zusetzte.

Das Ungetüm reagierte recht ungehalten, als die Dämonin erneut auf ihm landete und sofort wegrollte. Denn dort, wo es sie hingetragen hatte, knallte jetzt ein Schirm mit ungebremster Wucht nieder.

Der Drache verdrehte in einem Anflug von Komik die Augen und platschte auf den Wasserspiegel, der augenblicklich in meterhohe Wellen zersprengte.

In all seiner Rage entging Ryoga völlig das kalkulierende Glitzern in Ranmas Augen.

„Ätsch-Bätsch, als Mädchen biste gefährlicher!“

„Dir geb’ ich gefährlich!“, raunte der Wanderer und schleuderte seinen Schirm. Lachend katapultierte sich Ranma darüber und stampfte mit den Füßen auf die Stirn des verlorenen Jungen.

Okay, jetzt reicht’s!

Wenn er diese Landplage so nicht traf, dann eben anders. Seine Stimmung machte einen Sturzflug und eine Welle negativer Gefühle durchflutete sein Herz, das keuchend darunter versank. Das Atmen fiel ihm schwerer, seine Schultern fielen herab und er kreuzte die Arme schützend vor der Brust.

„Shin… “

Ein grünliches Flackern wirbelte um ihn auf und Energie floss dick wie Sirup durch jede Faser seines Seins.

„…Shishi…“

Der Kopf der Kreatur senkte sich einen halben Meter tiefer ins Wasser, das seinerseits von einer unsichtbaren Kraft auf Distanz gehalten wurde. Ranmas Ächzen verhallte fast lautlos.

„…Hokodan!“

Die Umgebung wurde in ein grünes Licht getaucht. Rasendschnell schoss die Lichtsäule in die Höhe, wuchs und wuchs und rammte gegen die Höhlendecke, die knirschend Widerstand leistete. Nichtsdestotrotz bohrte sich die perfekte Version des Brüllenden Löwen in den Fels hinein.
 

Und genau in diesem Augenblick handelte Ranma, federte in den Knien und ließ sich vom Sog nach oben reißen. Mehrere Meter überbrückte sie in wenigen Sekunden, kam sich vor wie in der Wäscheschleuder und grunzte dumpf, als die Energiewelle zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrte.

Der Aufprall auf ihren Rücken ähnelte dem Schulterklopfen eines schwergewichtigen Elefanten – mit äußerst stämmigen Füßen.

Kometengleich schoss die Kampfsportlerin herab und zog eine Spur aus Funken und Flammenzungen hinterher, die wohl nicht mal sie selbst bemerkte. Stattdessen flatterten ihre Arme überkopf und mit verschränkten Fingern hinterher. Ihr Blick war angespannt.

„Spezialtechnik der Musabetsu Kakuto Ryu: Kurate!“

Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass an diesem Tag die Urgroßmutter aller Kopfnüsse verteilt wurde – und dem Orochi zu Recht ein längeres Schläfchen bevorstand. Tatsächlich sackte der Kopf unter dem Treffer derart tief unter Wasser, dass meterhohe Kaskaden in die Luft spritzten.

Das Kampfsporttalent ließ ihrem benommenen Kameraden keine Zeit zur Besinnung, warf ihn sich stattdessen unsanft über die Schulter und stieß sich unter Aufwendung aller Kräfte in die Höhe. Unter ihr prallten die Wassermassen in einer ohrenbetäubenden Kakophonie zusammen und die Ausläufer dieses Zusammenstoßes peitschten sogar noch ihre Sohlen.

Ranma wusste schon, weshalb sie für gewöhnlich das Meer mied.

Hart kam sie mit ihrem Bündel auf der zerklüfteten Terrasse auf. Der Zufall wollte es so, dass der Orochi den Kampf zunehmend ans andere Ende der Grotte verlagert hatte. Dafür war Saotome nun sehr dankbar, denn mitten im See fehlte es bedauerlicherweise an solidem Untergrund.

Unter erschöpftem Gelächter reckte Ranma die Faust zum Himmel – oder zur Steindecke; wie man’s nimmt – und warf ihren Passagier ab.

Nichts und niemand besiegte Ranma Saotome.

„D-Du hast das geplant?“, röchelte es von ihren Füßen her. Breitgrinsend lugte Ranma herab und vollführte das Victory-Zeichen.

„Yo!“, verkündete sie stolz und bekam zum Dank den Schirm in den Bauch.

„D-Die Rechnung“, grollte Ryoga.

Für eine Weile ruhten die Jugendlichen auf dem harten Boden und sehnten sich nach einem Futon, einem Bett oder etwas weichem Gras.

„Woher wusstest du, dass das klappt?“, meinte Hibiki schließlich und schielte zum halben Mädchen.

„Wusste ich nich’“, repondierte Ranma lachend. Ihr Lachen war kurzlebig, denn mit einer Faust im Gesicht lacht’s sich schlecht.
 

Stockend kehrten die Lebensgeister zurück und die zwei rappelten sich schwerfällig auf. Der ewige Wanderer taumelte etwas unterm Gewicht seines Rucksacks, riss sich allerdings am Riemen. Würde noch fehlen, dass er vor Saotome Schwäche zeigte.

Tollpatschig und schief stolperte er auf das Tor zu.

Für einen Moment blieb er ehrfürchtig davor stehen – oder was auch immer man als Stehen definieren möchte. Sagen wir, er blieb nicht-ganz-stehen-fiel-aber-auch-nicht.

Die Ehrfurcht hielt ganze zwei Wimpernschläge.

Dann ließ er den Bambusschirm ohne viel Federlesen niedersausen und schreckte überrascht zurück.

Wir gratulieren Ihnen zur bestandenen ersten Prüfung. Präsentiert von Folter & Knecht, ihr Fachmann für Überredungsversuche und -erfolge.

Ryoga wechselte einen langen Blick mit seiner Kameradin.

„Nicht fragen?“, bot er an.

„Nich’ fragen“, stimmte Ranma zu.

Entschlossenen Schrittes wandelten sie durchs Tor, das sich quietschend aufschob. Unvorbereitet für alles, was kommen möge und mit genug Selbstüberschätzung, um es trotzdem anzugehen.
 

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Hallo liebe Leser.

Ranma und Ryoga stellten sich ihrer ersten Prüfung und wer hätte das gedacht – gegen den Yamata no Orochi höchstselbst. Wie werden die nächsten Herausforderungen an die beiden Gefährten aussehen?

Ich verspreche nur eins, es wird jetzt richtig knallig und heiß!^^
 

Zu einer anderen Sache in eigener Sache hätte ich noch eine Kleinigkeit zu sagen. Ich weiß zwar nicht, wem ich die Nominierung verdanke, aber ich möchte mich bei dem oder der Unbekannten herzlich dafür bedanken.

Das erste Buch Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie. wurde zum Yual gewählt. Unglaublich, oder?^^°

Darüber freue ich mich selbstverständlich und gelobe, mich auch bei Buch II fleißig reinzuhängen.
 

Das jedoch führt mich zu einem zweiten, etwas unerfreulicheren Punkt.

In letzter Zeit ist die Kommentarzahl meiner Kapitel rapide gesunken. Einzig die treue MichiruKaiou hält mir die Stange, wofür ich ihr über alle Maßen dankbar bin.

Nichtsdestotrotz stößt mich die Entwicklung in eine Grube voller Zweifel.

Ist mein Schreibstil schlechter geworden?

Habt ihr die Nase voll von meiner Idee des Humors?

Interessiert euch die Geschichte nicht mehr länger?

Sind die Charaktere OOC?
 

Ich würde mich sehr über Feedback zu diesen Fragen freuen. Egal welcher Art. Obwohl vielleicht keine Flames, die überlassen wir lieber Ranma.^^°
 

Versteht mich nicht falsch – ich bin nicht kommentargeil.

Bis zu dieser Geschichte bekam ich schließlich kaum Kommentare. Ich war soweit daran gewöhnt. Dann auf einmal kamen der unerwartete Erfolg und die Freude darüber, dass ich Leser hatte, die meine Fanfiktion gerne lasen.

Das war ein schönes und bestärkendes Gefühl wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt.

Schließlich wuchs diese Geschichte nur deshalb zu solcher Größe, weil ihr Leser Interesse gezeigt und mir dadurch Motivation gespendet habt. Und wie ich schon so oft betonte, diese Geschichte ist daher sowohl mein als auch euer Verdienst.
 

Deswegen möchte ich das Allerbeste daraus machen und dafür benötige ich eure Hilfe.

Dankeschön bereits im Voraus.^^
 

Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

Yamata no Orochi: Der legendäre Drache findet seinen Platz in vielen Legenden Japans und ist ein gern verwendetes Motiv für Manga und Anime. So griff auch Rumiko Takahashi auf ihn zurück und platzierte auf seinem Kopf den Saft des Lebens. Im Manga traten Akane, Ranma, Ryoga und Shinnosuke gegen die Bestie an und besiegten sie, um Shinnosuke mithilfe des Safts zu heilen. Näheres ist nachzulesen im Band 26 des Manga.
 

Musabetsu Kakuto Ryu: Die Kampfschule, der Ranma und Akane angehören. Die Alles-ist-möglich-Kampfschule-für-Schlägereien-aller-Art zeichnet sich durch Finten, die Verwendung diverser Techniken und die Zurückhaltung eines Kindes vor der Keksdose aus.
 

Bakusai Tenketsu: Ryogas berühmteste Technik. Es handelt sich um die einzige Amazonentechnik in seinem Repertoire und er erlernte sie direkt von Cologne. Der Anwender stößt hierzu seinen Zeigefinger in hartes Material, entsendet einen Ki-Impuls in die sogenannte Bruchstelle und das Objekt detoniert.
 

Shin-Shishi-Hokodan: Die perfekte Version des Brüllenden Löwen, Ryogas Energieattacke. Während die Energie im Manga als kränklich-grün beschrieben wird, ist sie im Anime mal blau, mal rot. Ihr Effekt ist verheerend und macht diese Technik zu einer der Stärksten der ganzen Serie. Der Anwender entlädt sein KI, das daraufhin als Lichtsäule nach oben steigt und ihn katatonisch zurücklässt. Die geballte Energie rast dann geradewegs zu Boden und zermalmt alles in mehreren Metern Umkreis. Aufgrund des katatonischen Zustands des Anwenders bleibt dieser verschont.
 

Kurate: Eine Eigenkreation, die im Grunde nichts anderes als „Schlag auf den Kopf“ bedeutet. Aus offensichtlichen Gründen fand ich den Titel ganz einprägsam.^^° Ein ähnliches Manöver setzte Ranma auch im Kampf gegen Ryoga ein, nachdem dieser den Shishi-Hokodan erlernte.
 

Schöne Grüße,
 

euer Deepdream

Klein aber "Oho"!

Ein neuer Morgen brach über Nerima herein.

Noch etwas scheu entsandte die Sonne ihre Strahlen und erntete Grummeln und Verärgerung seitens der werktätigen Bevölkerung. In drei von vier Fällen drehten sich die Betroffenen um. Der vierte Teil gähnte, verfluchte den Tagesanbruch und drehte sich erst anschließend um.

Ukyo zählte weder zu Gruppe 1, noch zu Gruppe 2. Sie war die ganze Nacht über schlaflos geblieben. Stattdessen hatte sie die Zimmerdecke über sich solange angestarrt, bis sie das Gefühl bekam, dass diese zurückstarrte.

Als die Sonne scheu durch die Gardinen spähte, setzte sich die Puppe mit einem Nicht-Seufzen auf. Ein Nicht-Fluch lag auf ihren Lippen und sie streckte die Arme, um ihre Müdigkeit aus den Gelenken zu quetschen.

Ihr Blick wanderte über den Rand der Schublade hinweg, in der ihr Kasumi das Nachtlager eingerichtet hatte. Ein dickes Kissen diente ihr als Matratze, ein Froteetuch als Zudecke.

Schmollend stierte sie zum Mädchen, das drei Meter entfernt in ihrem Bett schlief. Selbst wenn Ukyo Schlaf gefunden hätte, sie hätte ihn alsbald sowieso verloren.

Akane war gefährlich.

Das war ihr zuvor gar nicht klar gewesen. Nach einer Nacht im selben Zimmer sah sie den Blauschopf aber im ganz neuen Licht – augenblicklich im Sonnenlicht. Nachts jedoch glichen die Manöver, Verrenkungen und Tritte dem Zorn eines Teufels.

Derjenige, der sich das freiwillig antat, musste Masochist sein.

Eine Dimension tiefer nieste ein junger Mann.

Geschickt setzte die Puppe über den Schubladenrand, vollführte eine Flugrolle und kam beidfüssig auf. Okay, so wäre es schön gewesen. Die Wahrheit war, dass sie über den Rand taumelte, die Gliedmaßen zappelten und sie zuguterletzt auf den Hintern plumpste.

Hatte gar nicht wehgetan.

Das Puppengesicht verzog sich schmerzhaft.

Okay, okay – war gelogen! Schon gut, schon gut!

Tapsig näherte sie sich der Schlafstätte der jüngsten Tendo. Vor dem Bettkasten blieb sie stehen und starrte daran hinauf wie an der Chinesischen Mauer. Ihre kleinen Finger ballten sich zu Fäusten.

Ha! Das wäre doch gelacht.

Sie beugte die Knie, federte hart und sprang ab. Auf halber Höhe endete ihr Abenteuer und sie purzelte zu Boden.

Wehe, wenn jetzt einer lachte!

Ukyo ließ sich nicht unterkriegen. Entschlossen hüpfte sie nochmals und packte das Bettlacken. Mühelos kletterte sie daran hoch. Ihre bloße Armkraft genügte dazu völlig, was sie ehrlich gestanden erstaunte.

Auf der Matratze angekommen, schlenderte sie bis auf Augenhöhe ihrer Rivalin.

Probeweise zupfte sie an einer Strähne und das Mädchen rümpfte die Nase. Schwungvoll drehte Akane sich um und zog die geschrumpfte Köchin hinterher. Damit endete es noch lange nicht. Kaum auf der anderen Seite aufgetroffen, drückten zwei Arme wie Walzen sie an den Brustkorb ihrer Gastgeberin.

Flach wie ein Brett – Ranma hatte gar nicht so Unrecht.

Emsig stemmte sich Ukyo gegen die Umarmung und zu ihrem Erstaunen hielt sie gegen Akanes Stärke an. Selbiges schien auch der schlummernden Prinzessin aufzufallen, als sie den Druck erhöhte. Kuonji nahm die Herausforderung an.

Ihrerseits steckte sie alle Kraft in diesen Wettkampf und unter großer Mühe erreichte sie einen Stillstand. Vielleicht war es die drohende Niederlage, vielleicht wurde die jüngste Tendo einfach nur wach – auf jeden Fall schlug Akane die Augen auf.

Sie blinzelte in ein gegenüberliegendes Paar, das sie wortlos angiftete.

Akanes Schrei hallte durchs ganze Haus, Nabiki verschluckte fast die Zahnbürste, Herr Saotome seinen Bambus und Soun erlitt ein ähnliches Schicksal wie Nabiki – nur sein Missgeschick war von Erfolg gekrönt.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 15 – Klein aber "Oho"!
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Die Situation am Frühstücktisch war in Ermangelung eines treffenderen Wortes – interessant.

Genma für seinen Teil kaute auf Bambus, Nabiki stahl amüsierte Blicke und Soun versteckte sich auffällig unauffällig hinter seiner Zeitung. Sein Husten verriet, dass die Zahnbürste noch feststeckte.

Kasumi derweil lächelte und bediente die Hausbewohner. Akane schielte zu dem Platz neben ihr.

Dort saß nämlich eine angemiefte Puppe auf drei Kissen und verschränkte bestimmt die Arme.

„K-Kasumi, reichst du mir d-die Sojasoße?“, fragte Soun.

Noch bevor die Älteste der Aufforderung nachkommen konnte, stupste Ukyo das Fläschchen an. Dieses schoss über den Tisch wie als hätte es noch nie etwas von Schwerkraft gehört und stoppte zwei Zentimeter vor der Reisschüssel Souns. Verblüffenderweise kippte es sodann die restlichen zwei Zentimeter, träufelte ein paar Tropfen schwarzer Flüssigkeit und kippte in seine Ausgangssituation zurück.

„D-Danke.“

Die Puppe nickte nur.

Die Atmosphäre war offensichtlich angespannt. Selbst ein Mensch mit der Ignoranz Genmas realisierte diesen Umstand und konzentrierte sich innig auf die Verwertung des Bambus.

Akane fischte mit ihren Stäbchen nach etwas Fisch – Ukyo beobachtete sie.

Akane näherte ihre Stäbchen ihrem Mund – Ukyo beobachtete sie.

Akane kaute gewissenhaft – Ukyo beobachtete sie.

„Es reicht! Was willst du?“, schnauzte die jüngste Tendo und ihre Augen spieen Funken.

Die Puppe erwiderte den Blickwechsel nicht weniger hitzig.

„Akane?“, mischte sich Kasumi in den Konflikt.

„WAS?“

Die Augen des Hausengels verengten sich ganz leicht. Akane schluckte und senkte den Kopf.

„Du hast Ukyo doch sicherlich gesagt, wo Ryoga und Ranma sind – oder?“

Die Kampfsportlerin lief rot an.

Kasumi wandte sich daraufhin an die Kampfköchin, die sie ihrerseits zwischen Neugier und Entnervung beäugte. In ihren Händen quetschte sie ein Essstäbchen.

„Die beiden wollen dir helfen.“

Ukyo verengte die Augen und schwieg vielsagend.

„Dafür sind sie ins Jenseits gegangen und - “

Das Essstäbchen zersplitterte in seine Einzelteile.
 

Zur selben Zeit dinierte Tatewaki Kuno an einem Tisch aus japanischer Eiche und genoss den Blick hinaus auf ein stolzes Regiment aus Blumen.

Seine Schwester taufte die zarten Blüten Fehlschläge. Das mochte daran liegen, dass man nach deren Genuss noch im Vollbesitz aller Kräfte, Sinne und des Verstandes war. Seiner Schwester ging das Konzept nicht auf, dass Blumen zu etwas anderem als zur Zerstörung des Zentralnervensystems ihrer Gegner nützlich waren.

„Fürwahr, welche Verschwendung“, sinnierte er und nippte am Kaffee.

Im nächsten Moment spie er die schwarze Brühe aus, unterdrückte ein Würgen und nahm einen tiefen Schluck aus der Vase. Er röchelte noch zweimal, ehe sein flatterndes Herz zur Ruhe kam.

Dabei hätte er schwören können, dass das schwarze Gesöff Kaffee war!

Wie es den Anschein vermittelte, wurde seine Schwester stets einfallsreicher.

Vornehm trocknete er sich mit der Servierte die Lippen. Einen Rest Stil musste er sich behalten.

Unterm Tischtuch hustete es.

Für die Dauer eines Wimpernschlags war Kuno ernsthaft verwundert. Als er das Tischtuch lüpfte, enthüllte sich ihm der Anblick eines schmutzigen, kleinen Zwergs.

„Sasuke?“

„J-Jawohl Meister Kuno“, näselte die Stimme kriecherisch.

„Wie kommt es, dass ich dich unterhalb des Tisches vorfinde.“

„Falltür“, gab der Ninja zur Antwort.

Kuno rieb sich das Kinn. Das erklärte natürlich alles.

„Ich darf davon ausgehen, dass deine Suche von Erfolg gekrönt war.“

Der Ninja hustete eine Wolke aus Staub hervor. Tatewaki wartete geduldig.

„Die Schatulle, sie ist fort.“

Kunos Brauen kreuzten sich und der Samurai lehnte sich im Stuhl zurück. Er glaubte seinem Diener. Einerseits war Sasuke selbstmörderisch loyal, andererseits wusste er, was ihn erwartete, wenn er es nicht war. Selbstmord wäre in diesem Fall ein Segen.

Wo aber konnte das Kästchen hingekommen sein? Welcher kranke Geist konnte sich dessen bemächtigt haben? Schließlich ruhte in diesem Kästchen nicht nur Heil, sondern gleichsam Verderben. Zwar hatte man ihm den genauen Inhalt verschwiegen, die Bettgeschichten seiner Mutter waren ihm jedoch im Gedächtnis geblieben – sehr zu seinem Leidwesen.

Er musste den Übeltäter finden oder es konnten schlimme Dinge passieren. Schlimmer als Saotome, schlimmer als Tatewakis Vater, schlimmer noch als Kodachis Kaffeeersatz. Geistesabwesend führte er die Tasse an die Lippen.

Sein Gesicht lief grün an.

Er hasste sein Leben.
 

„Kochen?“

Akane schaute erstaunt zu Ukyo. Die Puppe starrte kuhäugig zurück und war zu geschockt, um an Flucht zu denken. Ihr ganzer Körper war steif vor Angst.

Kasumi lächelte nur nachsichtig und nickte.

Die jüngste Tendo konnte ihr Glück gar nicht fassen. Ihre ältere Schwester wollte ernsthaft, dass sie kochte? Das war das erste Mal seit – hm, DAS war das erste Mal.

Akane ließ sich von dem ernüchternden Gedanken nicht die Stimmung vermiesen. Viel zu lange hatte sie auf die Chance gewartet, sich im Dschungel der Messer, Kochtöpfe und Zutaten zu beweisen. Die Zeit war gekommen!

Das Blauhaar unterdrückte ein Kichern und schielte zur verängstigten Kuonji.

Kasumi hatte nur eine Bedingung aufgestellt, nach der sie sich zu richten hatte. Zu jedem Zeitpunkt musste Ukyo anwesend sein.

Pah, als ob sie das nötig hätte.
 

Die Küche qualmte – höflich umschrieben.

Nur zwei Dinge trennten sie von einem Brand: 1. Das Fehlen von Flammen und 2. die Tatsache, dass sich noch immer etwas darin regte. Zugegeben, es war keiner der Hausbewohner, doch etwas erwies sich als hartnäckig genug, um die toxischen Dämpfe zu überstehen.

So gesehen, war das nicht wirklich beruhigend, schließlich handelte es sich dabei um Akanes missglücktes Experiment. Ukyo weigerte sich, dieses – dieses DING als Mahlzeit zu bezeichnen.

Die Kampfköchin schüttelte nur betäubt den Kopf.

Wie war das möglich? Wie konnte man Gulasch, einen stinknormalen Gulasch, derart ruinieren? Wie brachte man es fertig Wasser anbrennen zu lassen?

Sie schielte perplex zur jüngsten Tendo, die betreten vor sich hin schmollte.

Dieses Mädchen war ein Alptraum. In ihrer Unfähigkeit trotzte sie selbst den Naturgesetzen!

Kasumi bestellte derweil etwas am Telefon.

Für absehbare Zeit würde die Küche nämlich Speerzone sein. Wer nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden wollte, biss lieber ins Gras oder - im Fall Herrn Saotomes – in Bambus.

„Ich gebe nicht auf.“

Die Puppe starrte Akane voller Unglauben an. Bitteschön? Was hatte sie gesagt?

„Und wenn’s mich umbringt, ich koche etwas essbares.“

Ukyo vergrub das Gesicht in den Händen.

Mädchen, wenn hier einer jemanden umbringt, wirst du das sein – und zwar uns!

Kuonji kippte sich etwas Sake in den bereitgestellten Fingerhut und schluckte das Gesöff auf Ex. Ihr Blick fiel nach draußen über die Veranda. Einer der Kois sprang froh und munter aus den Fluten, glitzerte im Sonnenlicht wie eine Münze und fiel zurück in seinen Wunschbrunnen.

Wie es wohl Ryoga und Ranma erging? Wahrscheinlich brachten die sich gerade gegenseitig um, anstatt ihre Mission zu erfüllen. Die beiden waren wirklich zwei Trottel.

Und sie war die Dritte im Bunde – warum sonst hatte sie sich in den einen wie den anderen verschossen? Deprimiert schenkte sie sich erneut ein. Diesmal nippte sie nur dran und beobachtete aus dem Augenwinkel wie der Rauch aus der Küche weniger wurde. Er schlängelte sich wie um eine unsichtbare Spirale und stieg über ihren Kopf hinweg nach draußen.

Akane hustete trotzig und bewies damit die Art von Reife, die Nerima-Jugendliche von normalen Jugendlichen unterschied. Zugegeben, die Jugend in Nerima unterschied sich nicht nur hinsichtlich dieses Aspekts. Zertrümmerte Dächer, eingetretene Türen und anderweitige Massenschäden bezeugten das.
 

Mousse rieb sich die Augen und vergaß wie eh und je die Brille aufzusetzen.

Daher ist es nicht ungewöhnlich, dass er die Person neben sich erst sehr spät bemerkte. Ein Knacken ihrer Fingerknöchel verriet sie dann doch.

Der halbblinde Amazone drehte sich zur Person. Er bekam eine auf den Hinterkopf. Er drehte sich in die andere Richtung. Diesmal knuffte ihn jemand in den Bauch.

Er setzte seine Brille auf.

„Shampoo!“

„Dummer Mousse sein im Weg. Brauchen Kasten“, stellte die Kriegerin lakonisch fest und ihr Verehrer rückte geschwind zur Seite. Er hätte es zwar gerne auf eine Umarmung drauf ankommen lassen, aber sein Körper protestierte vehement gegen den Vorschlag.

Das Mädchen schnaubte, schlenderte an ihm vorbei und stellte sich auf die Zehenspitzen, um an die Lieferkiste heranzureichen. Es gelang ihr nicht so ganz.

Ohne nachzudenken – das tat er häufiger – griff er nach der Kiste und hielt sie Shampoo entgegen. Dass das eine sehr dumme Idee war, spürte er sogleich. Die Faust traf gerade und sie traf hart. Auf Amazonen-Art stellte das sozusagen eine Begrüßung dar, zumindest für seinesgleichen.

Stolz reckte das Mädchen die Nase in die Höhe.

Tatsächlich reckte sie die Nase derart hoch, dass sie den Stuhl übersah. In einer klassischen Romanze wäre das jetzt der Moment gewesen, in dem der Mann die Frau seine Träume auffängt, beide sich wie gebannt ansehen und ihre Lippen sich nähern…

Das wäre natürlich langweilig. Wie gut, dass man sich daher in Nerima befand.

Ergo fing der Halbblinde zwar seine Angebetete, kassierte dafür allerdings eine Kopfnuss. Zu Shampoos Entschuldigung muss man festhalten, dass die Attacke diesmal unabsichtlicher Natur war. Es war vielmehr ihr Training, das den Balanceverlust auszugleichen versuchte und dabei etwas übers Ziel hinausschoss.

Sei es wie es sei, beide knallten an der Stirn gegeneinander und sahen Sterne. Mousse, für seinen Teil, würde jene Himmelskörper sogar noch länger betrachten können. Shampoo half ihm dabei – ausgiebig.

Während der Brillenträger zu Boden rutschte, drehte die Amazone ihm den Rücken zu und marschierte stolz aus der Küche. Dass ihre Wangen dabei wie Hochöfen glühten, merkte sie wahrscheinlich selber nicht.
 

Ranma amüsierte sich köstlich.

Sie liebte Mangas. Es war eines ihrer wenigen Hobbys neben der Kampfkunst. Dementsprechend vergnügt blätterte sie die Zeitschrift durch und kicherte mitunter. Natürlich würde sie das später dementieren – sie kicherte schließlich nicht. Kichern ist unmännlich, sie – lachte.

Genau, sie lachte!

Ryoga war gar nicht amüsiert.

Das mochte daran liegen, dass er zusammen mit seiner Nemesis die Frau retten durfte, die er liebte. Natürlich könnte sein Unmut auch daran gelegen haben, dass Saotome genau den Manga las, den er selbst angepeilt hatte.

Vielleicht war das Problem auch einfach, dass er hier in einem Warteraum saß und die Displayanzeige über dem Tor [Bitte warten] verkündete. So hatte er sich die Hölle echt nicht vorgestellt. Es gab sogar einen Ventilator!

Neben dem Ventilator lag eine Auswahl von Zeitschriften aus, darunter mehrere Manga. Es gab daneben noch Getränkeautomaten – sie nahmen Seelensplitter, eine Währung von der Ryoga noch nie etwas gehört hatte – und eine leise Musikbeschallung klimperte dezent im Hintergrund.

Gerade lief: On the highway to hell.

Hibiki stampfte mürrisch auf. Ihm war langweilig, er war genervt und wollte die letzten zwei Prüfungen absolvieren. Ukyo litt gewiss Höllenqualen – die Ironie in dieser Behauptung entging ihm völlig – und wartete auf ihren Retter.

Ranma kicherte vergnügt und Ryoga ließ den Kopf hängen.

Korrektur: Auf ihre Retter.

Welche Qualen musste das Mädchen wohl im Augenblick erleiden? War sie gefangen, wurde sie gefoltert?

Eine Dimension über ihm hickste eine Puppe vergnügt, hob den Fingerhut und kippte hintenüber.

Hibiki nickte sich zu. Er würde sie von ihrem schrecklichen Schicksal erretten.
 

Ranma spähte von ihrem Manga auf.

Dem Trottel ihr gegenüber war sicher gar nicht aufgefallen, dass sie seit zwei Minuten auf derselben Seite verharrte. Ryoga war so in seinen Illusionen einer Heldentat gefangen, dass er selbst einen Elefanten im Raum übersehen würde.

Saotome grinste und schüttelte den Kopf.

Man merkte, dass ihr alter Kumpel keine Ahnung hatte, was eine Rettungsaktion nach sich zog. Das Retten selbst war noch der angenehmste Teil. Du prügeltest dich mit ein paar Typen, tauscht ein paar coole Sprüche aus und beschützt die Jungfrau in Nöten.

So betrachtet, lief das wie in den Märchen ab.

Was etwas anders funktionierte, war das nachfolgende Drumherum.

Häufig erntete man als Retter nämlich Schläge, Beschwerden – allseits beliebt: Warum hat das so lange gedauert? – und letztlich Undank. Nicht ungern hätte Ranma dieses Wissen geteilt. Der Stirnbandträger würde ihm aber nicht zuhören, -

Ranma seufzte.

- dass tat Ryoga nämlich nie.

Ein helles Pling! ließ die Kampfsportkoryphäe aufmerken. Der Text an der Anzeige hatte sich geändert und verkündete nun in blutroten Zeichen [Bitte eintreten].

Saotome legte den Manga beseite, streckte ihre Glieder und näherte sich dem Tor. Neben ihr folgte Ryoga und gemeinsam blieben sie vor dem irgendwie deplazierten Portal stehen. Dieses hier ähnelte vom Aufbau her dem ersten Tor.

Der Hintergrund war ebenfalls wieder pechschwarz, diesmal war der mineralisierte ‚Zuckerguss’ jedoch von weißer Farbe. Behutsam drückte Ranma gegen das Tor, das sich daraufhin quietschend aufschob. Neben ihr kratzte sich Ryoga verwirrt den Kopf.

Die Dämonin beschaute sich ihrerseits die neue Landschaft – oder hätte das gerne.

Leider bauschte ihre dichter Nebel ins Gesicht, in den sie und ihr Kamerad zögerlich eintraten. Gedämpft hallten ihre Schritte auf Stein wider.

„Ranma?“

„Hm?“, meinte die Kämpferin und schielte zum alten Reißzahn.

„Das kommt mir hier irgendwie bekannt vor.“

Ranma kämpfte mit sich. Sie probierte es ehrlich und zog jede vorhandene Reserve zu Nutze. Diesen Kampf verlor sie allerdings – sie konnte einfach nicht die Klappe halten.

„Ach echt?“

Das Knirschen von Zähnen verklang in ihren Ohren. Als vorbildlicher Freund und Kamerad hätte sie nun schweigen können. Es hätte ja bereits genügt sich einen Meter von Ryoga zu entfernen und ihm Zeit zum Abkühlen zu lassen.

Schade nur, dass Genma Saotome in all seiner Erziehung einen unwesentlichen Punkt des Lebens ausgelassen hatte – er nannte sich soziale Kompetenz.

Davon besaß sein Sohn nämlich denkbar wenig.

„Mach’ dir nix draus. Ey, wer weiß? Vielleicht find’n wir ja ’n Lagerfeuer von dir?“
 

Ryoga Hibiki war kein geradliniger Mensch. Die Natur hatte sich für ihn und seine Familie etwas Besonderes ausgedacht und ohne ihr Einverständnis umgesetzt. Das Projekt war dem Anschein nach ein Prototyp geblieben.

Die Rede war von seinem Orientierungssinn.

Es gestaltete sich nämlich äußerst schwierig geradlinig zu sein, wenn man die meiste Zeit über im Kreis läuft – insofern man nicht durch die Luft katapultierst wird. In diesem Fall war sogar Ryoga dazu fähig in einer Linie von A nach B zu kommen.

Aber finde mal einen, der ihn die ganze Zeit durch die Gegend kickt.

Der Stirnbandträger ballte die Fäuste.

Er hatte das zweifelhafte Glück einen solchen jemand bereits gefunden zu haben. Ranma kickte ihn gerne durch die Gegend und wenn eine Mauer im Weg war – was soll’s? Dann geht’s eben mitten durch.

Auch in anderer Hinsicht ließ Saotome keine Chance aus, auf ihm herumzutrampeln. Die ständigen Kommentare, Beleidigungen und Witze gingen ihm gehörig auf die Nerven. Noch dazu war diese Ausgeburt der Hölle so verdammt gut in der Kampfkunst.

Noch eine Bemerkung und er würde die Dämonin in den Boden rammen, draufstampfen und – nur um sicher zu gehen – nochmals zutreten. Hey, warum eigentlich auf die Bemerkung warten?

Bevor Hibiki agieren konnte, bremste Ranma plötzlich ab.

Sehr langsam drehte sich der Rotschopf zu ihm und wirkte mit einem Mal gar nicht so selbstsicher. An und für sich wäre der Anblick Balsam für seine Seele, leider traf Saotome das Unglück nie allein. Für üblich sparte sich das Pech eine Portion für Ryoga Hibiki auf.

„Hier is’ Nebel.“

„Ja - “

„’s windig.“

„Da - “

„Wir steh’n auf Fels.“

„Unterbri - “

„Wird sind im Gebirge.“

„Ja und?“, polterte der ewige Wanderer aufgebracht.

Ranma zuckte vielsagend mit den Schultern.

„Kenn’ den Ort irgendwoher. Weiß nur nich’ woher.“

Ryoga musterte die Dämonin argwöhnisch. Ihm kam der Ort ebenfalls bekannt vor, aber wie Saotome vorhin so treffend andeutete - das war nicht wirklich eine Seltenheit. Tatsächlich besaß er selbst meist keinen blassen Schimmer, wo überall er bereits gewesen war.

Trotzdem – dieser Ort war eigenartig bekannt. Die schroffen Felsen, der harte Untergrund und der klirrende Wind, fast erwartete er sich noch ein paar Affen dazu…

Warte mal, Affen?

Ein kalter Schauer überfiel die Göttin und er schaute zu Ranma, die seinen Blick auffing.

„Du denkst doch nicht - “

„ - was ich denke?“

Die beiden Kampfsportler drehten die Köpfe und starrten geradeaus in den Nebel vor ihnen, aus dem sich die Form eines eigenartigen Felsens herauslöste. Selbst ein Mensch mit wenig Phantasie, konnte den Stein mit einem Kessel verwechseln.

Das Knirschen von schweren Sohlen ließ die beiden kurz zusammenzucken. Dann drehten sie sich um – und trafen einen alten Bekannten.
 

Das Abendrot kroch über Nerima, heftete sich an die Dächer und sprang von Garten zu Garten. Jedes Liebespärchen wäre bei diesem Anblick dahin geschmolzen. Da man hier allerdings nie seine Ruhe hatte und ständig irgendwelche Kampfkünstler und –kuriositäten herumirrten, hielt sich die Zahl solcher Pärchen in Grenzen.

Stattdessen stand Mousse stolz und entschlossen auf dem Dach des Neko Hanten. Über den Rand seiner Brille beobachtete er das Schauspiel und genoss wie der laue Wind durch sein Haar kämmte.

Dann seufzte er, rückte die Brille zurecht und sah sich den Sonnenuntergang an, anstatt ihn zu vermuten.

Er hoffte nur, dass ihm Shampoo nicht auf die Schliche kam. Es wäre denkbar schlecht für sein Ansehen bei ihr, wenn sie von seinem neuesten Zeitvertreib erfuhr. Bei Saotome wäre das alles selbstverständlich kein Problem – aber bei Mousse wurde es an die große Glocke gehangen, wenn er einem perversen Greis bei seinen Miederbeutezügen half.

Der Amazone stutze.

Irgendetwas gab der Aussage einen negativen Anklang.

Bevor er Zeit fand den Fehler in seiner Überlegung auszumerzen, bekam er eine Pfeife auf den Kopf. Wimmernd ging er in die Knie.

„Jungchen, behalt’ deine Umgebung im Auge“, witzelte der Alte vergnügt und sprang voran. Mousse grollte und folgte. Ihm blieb schließlich keine Wahl. Nicht nur hatte er sich geschworen Saotome zu besiegen, jetzt band ihn auch noch ein gewichtiges Versprechen dran.

Geistesabwesend setzte er über die Dächer hinweg.

Abgelenkt wie er war, übersah er jedoch eine Kleinigkeit. Namentlich eine Pfeife, in die er geradewegs sprang und den Troll, der sich köstlich darüber amüsierte.

„Jungchen, immer aufpass’n. Kannst deinen Gegner nich’ aus den Augen lassen.“

Mousses Augenbraue zuckte. Wie er doch solche Anspielungen hasste!

„Heute beweiste mir, dass du loyal bist.“

„Loyal?“

Der Gnom nickte wichtigtuerisch und verschränkte die Ärmchen.

Als Amazone war er es gewohnt den Boden zu küssen, auf den andere traten. Bei Frauen war das eine Sache, - hey, mitunter trugen sie Röcke! – bei einem Giftzwerg wie Happosai eine Qual.

„Bring’ mir einen BH - “

Mousse grinste. Das klang ja fast einfach.

„ – von der liebreizenden Shampoo.“

Das Grinsen gefror.

Er sollte ausgerechnet die Person bestehlen, für die er den ganzen Quatsch auf sich nahm? Da rede mal einer was von einer Prise Ironie – das hier war ein ganzer Salzstreuer voll!

„Kommt nicht in Frage“, trompete der Krieger bestimmt und starrte den Winzling nieder.

Einen Augenblick später lag er zu Füßen besagten Winzlings und lugte zu diesem auf.

„Schrecklich undankbar die Jugend heutzutage. Da bietet man ’n wenig Hilfe und dann so was!“, Happosai machte große Augen und heulte Krokodilstränen. Der Anblick war einfach unerträglich.

„Ich tu’s, ich tu’s ja“, murrte der Amazone und stieß einen Seufzer aus.

Er war ja so was von geliefert. Und wenn er Pech hatte, passte er alsbald in eine der Lieferkisten.

Nichtsdestotrotz hüpfte er den Weg zurück, den sie gekommen waren. Weshalb hatte ihn der Alte eigentlich von zu Hause fortgelockt, wenn er letztlich doch dorthin zurückkehren sollte?

Mousse grinste sardonisch.

Wahrscheinlich wollte sich der Knacker nur nicht mit Cologne anlegen. Dass dafür gar keine Gefahr bestand, konnte der Gnom natürlich nicht wissen. Und je weniger Leute davon wussten, desto besser.

Wenn es nach der alten Schabracke ging, so hatte das Gespräch gestern Nacht ohnehin nie stattgefunden. Die Vereinbarung zwischen ihnen stand trotzdem und bestärke ihn in seinem Training unter Happosai.

Nahezu lautlos landete der Amazone auf dem Dach des Neko Hanten. Er verlor keine Zeit damit einen Plan zu schmieden. Je schneller er das hier hinter sich brachte, desto größer waren seine Überlebenschancen.

Vor kurzem war Shampoo mit einer Lieferung aufgebrochen. Es galt die Gunst der Stunde zu nutzen. Geschickt hangelte er sich an der Dachrinne zu Shampoos Fenster, stieß es mit den Füßen auf und schwang sich hinein.

Auf Zehenspitzen schlich er zum Schrank. Natürlich war er nicht so blöd diese Chance nicht auszunutzen. Hey, er war immerhin noch ein gesunder, junger Mann! Ergo beäugte er das Zimmer seiner Angebeteten mit großen Augen.

Die Höhle seiner Löwin wies mehrere Photos an den Wänden auf – auf zwei von diesen war er sogar drauf, einmal am Boden und einmal mit ihrem Fuß auf dem Kopf – und dann war da noch ihr Bett, nebst dem aufgezählten Schrank.

Vor letzterem kam er zum Stehen und holte tief Luft.

Um das nötige Training zu erhalten, muss er das machen. Wenn er das machte, befleckte er Shampoos Ehre. Um Shampoos Ehre wiederherzustellen, musste er ihre Ehre beflecken…

Herrgott, mussten die Dinge immer so kompliziert sein?

Er schüttelte den Kopf und zog die Schublade auf.

Geblendet von der Verheißung schürzte er die Augen und wandte zusätzlich den Blick ab. Im Grunde hätte es genügt die Brille abzunehmen – leider waren seine Gedanken gerade ganz woanders.

Mit zitternden Fingern griff er hinein und zauberte einen hellblauen Büstenhalter hervor. Zarte Spitze kringelte sich um die Ränder und der Begriff ‚Verführung’ schien darauf eingeprägt.

„Verzeih’ mir Shampoo, meine Edelste, meine Schönste, meine - “

„Aiya! Bin zurück!“

Mousse Miene gefror zu einem starren Lächeln.

Nein, bitte alles bloß das nicht!

Er schielte zur Tür, die noch verschlossen war. Doch die Treppenstufen kündigten bereits von ihrer rasanten Besteigung und dem Unglück, dass sie mit jedem Schritt näherbrachten.

„Ich bin so was von tot.“

Hastig sprang er ins einzig verfügbare Refugium – in den Schrank.

Die Tür zum Zimmer wurde aufgestoßen und hereinmarschiert kam die quirlige Amazone. Ein Ritz zwischen den Flügeltüren des Schranks erlaubte ihm einen gewissen ‚Einblick’. Er schluckte. Wenn sie ihn jetzt fand, brauchte er keine Finger mehr, um seine verfügbaren Tage auf Erden abzuzählen.

Aber immerhin konnte es unmöglich schlimmer kommen…

Shampoo zog sich die Bluse aus.

Es kam schlimmer…

Als nächstes folgte ihre Seidenhose, die aufs Bett flog.

Immerhin bekam er noch einmal den Himmel zu sehen…

In Gedanken bereits mit dem Leben abgeschlossen, erwartete er ihre nächste Aktion. Man musste keinen Hochschulabschluss besitzen, um zu wissen, welche das sein würde. Sie brauchte Kleidung, also würde sie sich dorthin wenden, wo es welche gab.

Zum Schrank.

„Shampoo!“

Die delikate Hand des Mädchens stoppte wenige Zentimeter vor dem Griff. Wie in Zeitlupe krümmten sich die Finger und zogen sich zurück. Die junge Amazone seufzte entnervt.

„Ja Urgroßmutter?“

„Ich muss dich mal kurz sprechen.“

„Sicher Urgroßmutter.“

Lustlos stieg die exotische Schönheit zurück in ihre Kleider und verließ den Raum. Ihre Tür schloss sich mit einem leisen Klack. Mousse stakste kurz darauf aus dem Schrank. Sein Gang war steif und er selbst aschfahl.

Er hatte dem Tod ins Angesicht gesehen – und verdammt, für den Tod lohnte es sich echt zu sterben.
 

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Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

Seelensplitter: Den meisten Anhängern Rumiko Takahashis dürften diese hübschen, rosafarbenen Steinchen etwas sagen. Es handelt sich um die Bruchstücke des Shikon no Tama, also des Juwels der Vier Seelen. Und keine Sorge, dass war nur eine Anspielung dem Humor wegen - Inu Yasha bleibt also außen vor. Ich hasse nämlich Multi-Crossovers.^^°
 

Schöne Grüße,
 

euer Deepdream

Vorsicht: Scharf!

Cologne schlürfte Kräutertee.

Daheim im Amazonendorf wurde gemunkelt, dass das zerriebene Grünzeug die Nerven beruhigte. Ihre Zunge kräuselte sich unter dem bitteren Geschmack wie eine Schnecke unter Salz und sie hielt mit Mühe an sich. Fast hätte sie die Brühe wieder ausgespuckt.

Kein Wunder, dass die anderen Ältesten aussahen wie faltige Affen – DER Geschmack musste ja Spuren hinterlassen. Weitere Gedanken zu diesem Thema zerstreuten sich, als ihre Urenkelin den Gastraum betrat.

Der Haarschopf kam um die Ecke in aller seiner kobaltblauen Pracht. Unter der Mähne funkelte ein Paar wacher Augen, die kurz vorm Zufallen waren. Sie hatte die junge Amazone auf mehrere Liefertrips geschickt, quer über Nerima verteilt. Jetzt war Shampoo soweit müde und erschöpft.

Sehr gut.

„Shampoo, ich möchte etwas mit dir besprechen.“

„Was das sein Urgroßmutter?“, fragte das Mädchen und ließ sich an einem der Tische nieder.

„Es betrifft Ranma - “

Die Amazone erstarrte und der Tisch knackte beängstigend. Ein Lächeln wie ein brechender Gletscher auf den Lippen, wandte Shampoo sich ihr zu. Auf einen normalen Menschen hätte diese Gesichtsverspannung angsteinflössend oder beunruhigend gewirkt – so nicht auf Cologne.

Die Alte nippte am Tee und würgte das Gesöff herunter.

„Was denn sein mit Ranma, Shampoo nicht wissen.“

Für die Greisin war ihre Enkelin so leicht zu lesen, wie für manch anderen ein Buch. Ein Buch, das vorrangig aus Bildern und fettgedruckten Lettern à la Kochtopf, Kuchen und Kopfnuss bestand.

Cologne seufzte und sah ihre Urenkelin ernst an.

„Shampoo, sag’ mir was passiert ist.“

Die Amazone senkte den Blick bis dieser unter ihren Haarsträhnen verborgen lag.

„Woher wissen?“

„Ich habe Mousse gestern in der Küche abgepasst, der Tellerwäscher wusste nicht wie ihm geschieht.“

Das Mädchen schnaubte, sagte jedoch nichts. Diesmal ließ die Matriarchin ihr die nötige Zeit und wartete ab. Heute würden keine Gäste mehr kommen, sie hatte vorhin das Schild umgedreht.

„Warum von Shampoo wissen wollen?“

„Du weißt warum“, meinte die Alte nicht unherzlich, dafür aber unerbittlich. Sie konnte ihrer Urenkelin die Sache nicht ersparen. Es war notwendig und unangenehm. Ihre Zunge fühlte sich wieder wie eine alte Schnecke an, diesmal sogar ohne Tee.

„Ranma geschlagen hat Shampoo“, flüsterte das Mädchen und hielt den Blick gesenkt. Die Tischkante wurde zwischen ihren Fingern zerrieben, doch die Greisin entschied sich, die junge Kämpferin nicht darauf hinzuweisen.

Es war an der Zeit etwas Feingefühl zu beweisen – die Schäden konnte sie Shampoo auch später noch vom Lohn abziehen.

„Du weißt, was das bedeutet.“

Der kobaltblaue Schopf hüpfte in der Andeutung eines Nickens. Unnatürlich laut klingelten die Glöckchen im Haar und ließen die folgende Stille umso erdrückender wirken.

„Shampoo wissen.“
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 16 – Vorsicht: Scharf!
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Ranma und Ryoga sahen sich einem Alptraum gegenüber, den sie lange hinter sich geglaubt hatten. Sie waren wieder auf Horaisan und derselbe dichte Nebel wölkte um sie herum. Zäh wie Sirup teilte er sich und was vorhin nur eine Silhouette gewesen war, enthüllte sich als Krieger in voller Rüstung.

Der Prinz der Jako-Dynastie kam vor ihnen zum Stehen. Sein Grinsen war sinister.

„Wen haben wir denn da? Wolltet ihr mir den Kaisui-fuu abspenstig machen, dann kommt ihr zu spät!“, posaunte der Jugendliche und verschränkte die Arme.

Ryoga fasste sich.

Die Erkenntnis war so furchtbar wie unfassbar.

Es existierten letztlich doch Gestalten, die arroganter als Saotome waren!

Man nehme da etwa den Drachenempörkömmling als schlechtes Beispiel. Sein Ego war so erdrückend wie die Mittagsschwüle im Sommer und seine Texte so nervig wie ein Schwarm Mücken. Zugegeben, er konnte Bergmassive in Schutt und Asche legen – dass berechtigte ihn wahrscheinlich zu solchen Extravaganzen.

Glücklicherweise gab es dann noch solche Witzgestalten wie Kuno. Die meiste Zeit über schwadronierte ebenjener aufgeblasen wie ein Luftballon und wenn es ans Kämpfen ging, sah er die Radieschen von unten. Vorausgesetzt man konnte unter der Erde was erkennen, von wegen fehlender Beleuchtung und so.

Der Schwachkopf hatte bei ihrer letzten Begegnung sowieso nur Glück gehabt. Es hieß ja nicht umsonst, dass die dümmsten Bauern die dicksten Kartoffeln hätten. Irgendwann musste selbst Kuno somit mal eine Knolle ziehen…

„Wollt’n nur ’n paar Schuppen polieren. Ne, nich’ die in deinem Haar.“

Hibiki schielte verdattert zu Ranma. Seine Kameradin grinste nur abfällig und stemmte eine Hand in die Hüfte. Fast schien es so, als wollte sie die Person provozieren, die ihr beinahe einmal Kopf und Kragen gekostet hatte. So wahnsinnig konnte Saotome doch gar nicht sein!

Obwohl…

„Du wagst es mich zu verspotten, Fremde? Dafür wirst du meine Macht zu spüren bekommen.“

„Klar doch, nur her damit“, höhnte die Dämonin und zwinkerte dem Prinzen zu. Dieser folgte der Einladung nur zu bereitwillig.

„Hito Ryu-Zahn Han!“

Leider schickte er einen Stoßtrupp an Klingen reinsten Chis vornweg. Besagte Klingen erwiesen sich als flink und mindestens so scharf wie sie aussahen. Was sonst schnitt Stein wie heiße Butter?

„Verdammt Ranma, wie ich dich hasse!“, protestierte Ryoga, bevor er halsbrecherisch zur Seite sprang. Mehrere Schneisen rissen sich gleich darauf in den Untergrund.

Grunzend rutschte der Stirnbandträger über harschen Fels und verfluchte sein elendes Schicksal. Es genügt zu sagen, dieses Schicksal zog einen Zopf – die obligatorischen Rattenschwänze wären hier fehl am Platz - an Problemen nach sich.
 

Ranma musste niesen.

Wenn jemand von Problemen sprach, so hatte sie da ihre ganz eigenen vorzuweisen. Namentlich einen zornigen Prinzen, der so ganz und gar nicht den Prinzen aus den Märchen entsprach. Dieser Prinz hier hatte 1) kein Pferd, 2) war er nicht nett und 3) gab es keinen Kuss. Gut, zugegeben, aufs Küssen konnte sie beileibe verzichten, aber warum jeder Prinz mit ihr handgreiflich werden musste, wüsste sie schon mal gern.

Was hatte sie den Typen denn getan?

Ihr Gehirn sprang im Kreis und bewarf sie mit einer Müllwagenladung an schlechten Erinnerungen.

Schon gut, schon gut! War eine dumme Frage.

Nichtsdestotrotz war es unfair! Herb klebte ihr wie besessen an den Fersen, während Schweineschnitzel seine Ruhe hatte. Aus dem Augenwinkel schielte sie zu ihrem Kameraden. Unfassbar! Sie rannte um ihr Leben und der Kerl lag auf dem Boden und gönnte sich ein Schläfchen! Also echt, da wird doch das Ferkel in der Pfanne verrückt!

Sehr viel mehr Zeit zum Zetern blieb ihr nicht. Einige glühende Klingen bedurften ihrer Aufmerksamkeit und brachten alle ihre Brüder und Schwestern mit sich. Leider waren sie augenscheinlich eine Großfamilie – eine große Großfamilie.
 

Zu gerne hätte Hibiki sich zurückgelehnt und die Show genossen.

Er entließ ein Stoßseufzen.

Bedauernswerterweise konnte er sich den Luxus nicht gönnen, so sehr er den Anblick einer panischen Ranma auch im Herzen bewahrt, gehegt und gepflegt hätte. Auf seinen langen Wanderungen hätte er dann etwas zum Zeittotschlagen, wenn sich schon nichts anderes dazu anbot.

„Wäre zu schön gewesen.“

Entschlossen stürmte der Stirnbandträger voran und rammte seinen Finger keinen Meter von Herb in den Boden – oder so ähnlich war der Plan gewesen. Der Erbe der Jako-Dynastie kam ihm zuvor. Ein gut platzierter Kick gegen das Kinn schleuderte Ryoga Hals über Kopf zu Boden und dass noch bevor er seine Technik einsetzen konnte.

Ranma ließ den Moment allerdings nicht ungenutzt verstreichen und setzte auf Herb zu, solange dieser abgelenkt war.

„Kachu Tenshin Amgurik-urgh!“

Was zuerst den Anschein machte, als ob Saotome ihren Text vergessen hätte, enthüllte sich bei näherer Betrachtung als Faust im Bauch – in ihrem Bauch. So wurde die kurzatmige Dämonin im einen Moment von Herb gestützt und im nächsten von einer mächtigen Druckwelle zurückgeworfen.

„Ihr wolltet mir entgegentreten und das ist bereits das Maß eurer Kräfte? Erbärmlich!“

„Sagt ’n Hobby-Cosplayer!“, keuchte Ranma schnippisch zurück.

Der Prinz hielt sich nicht mit langen Vorreden auf, sondern sprang stattdessen in die Lüfte – und verharrte dort kurz, ehe er auf die beiden Kämpfer zuschnellte. Unter ihm gruben sich konzentrische Krater in den Boden; ein Effekt, der den Ryu Sai Hisho umso spektakulärer und tödlicher gestaltete. Die Technik des Fliegenden Drachen erwies sich diesmal als ebenso gefährlich wie beim ersten Zusammentreffen mit dem Drachenprinzen.

Ranma wurde von mehreren Explosionen durch die Luft katapultiert und kam qualmend, aber noch immer meckernd auf. Ihr Haar zog eine dunkle Rauchfahne hinterher. Ryoga meckerte nicht minder.

„Warum konntest du nicht einfach die Klappe halten? Einmal, nur einmal sollst du still sein!“

„Pah, so kämpf’ ich halt. Und gegen dich klappt’s doch auch“, pöbelte Saotome auf ihre unnachahmliche Weise, präsentierte ihre Zunge und zog ein Augenlid herab.

„Du - “

Der aufkommende Streit wurde kulant von Herb unterbunden. Ein zweiter Sturzflug brachte den Boden zu ihren Füßen zum Explodieren und ließ korngroße Bruchstücke wie Konfetti herabrieseln. Ein normaler Mensch hätte das als Niederschlag bezeichnet – sei es auch nur, weil ihn der Schrapnell höchstwahrscheinlich wirklich niedergeschlagen hätte.

Ryoga hingegen hob nur schützend die Arme. Ranma tanzte geschickt aus dem Weg des Schrapnells. Zwischen Staubwolken und Nebel kreiste drachengleich die Gestalt Herbs. Er spie zwar kein Feuer wie der Orochi, zum Bedauern der Beteiligten wog sein Arsenal an Techniken den Mangel aber mehr als auf.

Hibiki verengte die Augen und echote einen Gedanken, der Saotome so sicher ebenfalls gekommen war. Gesetz dem Fall Saotome konnte denken.

Der Gedanke war nicht neu und schon viele Menschen haben ihn gedacht. Man findet ihn bei Singles, die sich an ein Mädchen ranmachen wollen, nur um zu spät zu bemerken, dass der Bodybuilder daneben ihr Freund ist. Man findet ihn bei Männern, die nach einer Sauforgie in einem fremden Bett aufwachen, nur um zu merken, dass der warme Körper nebenan alles ist – nur nicht weiblich.

Der Gedanke ist sozusagen ein Klassiker und lautet wie folgt: Ganz so hab’ ich mir das nicht vorgestellt.

Als der Drachenprinz ein drittes Mal angeschossen kam, reflektierte sich die Lebensweisheit auf beiden Gesichtern. Die Jugendlichen nahmen die Beine in die Hand und mussten eine weitere Weisheit des Lebens lernen. Willst du leben, meide gefährliche Orte, gefährliche Personen und gefährliche Hobbys.

Leider lernte man solche Dinge immer erst dann, wenn es bereits zu spät war.

Zeitgleich mit der Eingebung rammte eine Energiekugel Ryoga in den Boden und zerknirschte umliegenden Fels in mehreren Metern Umkreis. Es fühlte sich an wie eine sehr gewissenhafte Massage – vielleicht ein wenig zu gewissenhaft, um nicht zu sagen schmerzhaft.
 

Mousse sprang durch die Lüfte und nutzte die kalte Abendluft, um den Kopf zu kühlen. Er war noch ganz verdusselt von der Show, an der er teilhaben durfte. Wie häufig kam es schon vor, dass Gefahr und Freude so nahe beieinander lagen?

Blöde Frage.

Bei Shampoo waren Gefahr und Freude Siamesische Zwillinge.

Egal jetzt, auf jeden Fall hatte er sich nichts zu Schulden kommen lassen und den Blick bestmöglich abgewandt…

Der Amazone seufzte.

Wem wollte er hier was einreden? Er war ein gesunder, junger Mann mit nur zu natürlichen Bedürfnissen. Wenn dann noch die Liebe seines Lebens involviert war, gab’s kein Halten mehr.

So gesehen, hatte er sich recht gut zusammengerissen.

Alle Achtung…

Er hätte sich gerne selbst auf die Schulter geklopft – Happosai war allerdings schneller. Außerdem ebnete dessen Klopfen den halbblinden Amazonen ein weiteres Mal in die Dachziegel ein, über die er soeben noch gelaufen war.

„Was haste mir ’n schönes mitgebracht, Jungchen?“

Wortlos reichte der Tellerwäscher in den linken Ärmel und zog einen Büstenhalter hervor, der in seiner Herrlichkeit sogar ohne Model auskam. Immerhin entsprach das Happosais Betrachtungsweise, insofern Mousse den überlangen Speichelfaden richtig deutete.

„Alle Achtung, nich’ schlecht. Vielleicht wird ja noch was aus dir“, lobte der Knacker und ließ sich auf seine vier Buchstaben plumpsen. Vergnügt nahm er einen Zug an der Pfeife.

Indes rappelte sich der Amazone schwerfällig auf.

„Hast mir deinen Hang zur Kunst bewiesen, Jungchen. Jetz’ is’ deine Loyalität gefragt.“

„Loyalit-urgh!“, fragte Mousse und wurde von einem Pfeifenhieb gestoppt.

„Unterbrich nich’ deinen Meister. Ein Schüler, der nich’ lauscht, bleibt so einfältig wie er is’.“

Der Halbblinde konnte sich nicht helfen. War das eine Beleidigung?

„Als nächstes zeigste mir, dass ich mich auf dich verlass’n kann. Wennste das packst, biste dem Rang als Schüler ’n Stück näher.“

Mousse seufzte. Das hieß noch mehr Arbeit, noch mehr Dresche und die gackernde Pest am Hals. Das war ja so was von klasse und nahm augenscheinlich kein Ende.

„Biste bereit? Die Nacht is’ noch jung.“

Der Tellerwäscher zuckte die Achseln. Was konnte er schon verlieren?

Rasch warf den Gedanken übern Haufen, trat mehrfach mental zu und stampfte den kümmerlichen Rest zu Staub. Danach wedelte er die Krümel in alle Himmelsrichtungen auseinander.

Man konnte in dieser Hinsicht nie sicher genug gehen.

„Folg’ mir“, befahl der Gnom und schoss über die Dächer davon.

Mousse hatte alle Mühe dranzubleiben. Irgendwie schaffte er es dann doch. Leider war das ein arg zweifelhafter Erfolg, den er schon sehr bald bereuen sollte. Da er das Training unter Happosai sowieso bereute, war es dann vielleicht doch nicht ganz so schlimm.

Ohne Mousses Wissen hockte ein Mädchen keine fünf Dächer entfernt herum und hielt nach einem perversen Unterwäschezwerg und Kampfkunstgroßmeister Ausschau. Fortuna wollte es so, dass sie in die andere Richtung spähte, als das Paar über die Dächer entschwand. Zornig sprang das Mädchen weiter und ein Paar weiblicher Attribute hüpfte fröhlich mit.
 

Ryoga kletterte unter dem Geröll hervor.

Noch ehe er etwas sah, wusste er bereits das Saotome noch heil und soweit am ganzen Stück durch die Welt turnte. Man könnte sagen, Ranma hinterließ so ihre Spuren – in Form zweier Füße, die Hibiki an der Stirn trafen und in den Krater zurückwarfen.

Verdammter, elender –

Fünf rasiermesserscharfe Klingen verfehlten seine Nase um Haaresbreite und hetzten dem Rotschopf hinterher.

– zur Abwechslung nützlicher Saotome.

Eine Sekunde später folgte der Drachenprinz höchstpersönlich und sprang über ihn hinweg. Er kam in seinem Sprung nicht weit. Es könnte an Ryogas Hand um sein Fußgelenk gelegen haben. Mit ungeminderter Wucht schleuderte der Stirnbandträger seinen Gegner in den Fels und kletterte aus dem Krater heraus.

Jetzt gab’s Revanche.

Ein harter Kick aus der Hüfte warf ihn zu Boden und der Prinz setzte mit einem Axttritt nach. Die Ferse traf knapp neben Hibikis Wange auf und weckte unschöne Erinnerungen an Horaisan. Allen voran den Abstecher ins Jenseits, der zum Glück nur ein Abstecher geblieben war.

Ryoga hatte keine Lust darauf, die Angelegenheit auf einen Langzeitaufenthalt auszudehnen.

Bevor Herb zu einem weiteren Angriff ansetzen konnte, sprang Ranma diesen bereits von hinten an. Es sprach für die Kampferfahrung des Drachenprinzen, dass er den Tritt der Dämonin rechtzeitig zu blocken vermochte. So verharrte ihre Sohle am Armschutz.

„Du Gewürm!“, komplimentierte der Krieger und versetzte Saotome einen Hieb ins Gesicht.

„Bakusai Tenketsu!“, brüllte Ryoga auf und attackierte seinerseits.

Es war nicht der Untergrund, in den er seinen Finger bohrte. Es war der Rücken seines Gegners, in dem sein Finger landete. Im Konkreten: In der Rüstung.

Ebenjene platzte wie eine reife Kokosnuss vom Torso des Prinzen ab und entblößte den abgetragenen Leinenstoff darunter. Sehr viel mehr Zeit blieb dem Wanderer nicht zum Bewundern hoheitlicher Unterwäsche. Ein Ellbogen traf ihn an der Nase und die Kraft dahinter genügte, um den Stirnbandträger über den Boden schlitterten zu lassen.

Unter einem schmerzerfüllten Stöhnen kam Ryogas Rutschpartie zum Stillstand.

Wie kam es, dass er trotz Bruchstellentraining und Göttinnenwerdung überhaupt noch Schmerzen empfand? Irgendwann musste sein Körper doch mal genug davon haben, oder?

Mühsam setzte sich der Kampfsportler auf, quiekte und rollte seitwärts. Ein Hito Ryu-Zahn Han pflügte neben ihm durch den Fels. Und die imposante Gestalt Herbs ballte bereits neue Energie zusammen, um sie ihm entgegenzuschleudern.

„Hey Süße!“

Aufgebracht stierte Herb über die Schulter zurück zum Rotschopf.

„Du wagst es?“

„Yo!“, bestätigte Saotome, lachte und bekam dafür die Rechnung serviert.

„Hito Ryu-Zahn Han!“, rief der Musk aus und streckte die Arme weit. Was daraufhin auf Ranma zusteuerte, war keine Armee von Energieschwertern. Es war eine ganze Nation und jeder ihrer Bürger hatte ein Hühnchen zu rupfen.

„Nich’ gut!“

Ryoga Hibiki verspürte einen Anflug von Bewunderung, als er mitverfolgte wie seine Rivalin zwischen den glühenden Klingen hindurchsprang, hinwegrollte, herumwirbelte und kurzum der Erdanziehungskraft trotzte. Ranma setzte ihr gesamtes Können dazu ein, am Leben zu bleiben und irgendwie schaffte sie es – um eine Nasenlänge. Zu Saotomes Leidwesen zählte ihre Nase eher zur Gattung der niedlichen, aber kurzen Stupsnasen.

Der Stirnbandträger kämpfte sich hoch und zog eine Grimasse.

Die wenigen Volltreffer, die er abbekommen hatte, pochten und stachen. Was mehr pochte und stach als die blauen Flecke, war allerdings sein Ego.
 

Ranma Saotome ist männlich. Ranma Saotome ist unbezwingbar. Ranma Saotome ist der…, eh die Beste. Diese hübschen Sprüche hatte Genma jahrelang in den Kopf seines Sohnes geprügelt – durchaus wörtlich. Letztlich hatte der Erbe des Musabetsu Kakuto Ryu die Lehrsätze gekaut, geschluckt und verdaut.

Sie definierten wer Ranma Saotome war.

In keinem dieser Sprüche kam vor, dass Ranma Saotome um sein…, eh ihr Leben rannte und seine…, eh ihre Überlebenschancen verschwind gering waren, Tendenz fallend. Klar gab es die Saotome-Geheimtechnik, die essentiell nur aus Davonlaufen, Fortlaufen und Weglaufen bestand. Trotzdem war sie es gewohnt, ihre Gegner überlegen und zielsicher auszuknocken.

Leider gab ihr Herb keine Zeit dazu. Stattdessen schien es, als wäre dieser drauf und dran sie in Stücke zu hacken – und dass mit wachsendem Erfolg.

Sie verdankte es einer Mischung aus Zufall, einer satten Portion Glück und einem klein wenig Geschick, dass sie der Detonation unter sich auswich. Sie war noch zu verdutzt, um der zweiten Explosion etwas entgegenzusetzen. Die Druckwelle schleuderte sie hoch und genau in die Flughöhe Herbs, der sie mit einem rechten Hacken begrüßte.

Die Dämonin knallte ungebremst auf dem Fels auf, prallte ab und rutschte zwei Meter.

„Und nun bringe ich dich zum Schweig - “

Mit einem schrillen Surren kamen die Bandana in Kontakt mit der Hoheit und Prinz Herb brachte hektisch die Armschützer hoch. Zwei der Stirnbänder blieben im Rüstungsteil stecken, zwei weitere streiften seinen Brustkorb und hinterließen blutige Striemen.

Der Absender wirbelte bereits zwei neue Bandana um seine Finger.

„Ich würde es ja sehr begrüßen, wenn du Saotome die Klappe stopfst. Aber leider brauch’ ich ihn noch.“

„Damit hast du dein Schicksal besiegelt“, beschwor Herb und ließ seine Finger strahlendweiß glühen. Die Erde erzitterte schwach und der Kesselfelsen bröckelte.

Ryoga zuckte dazu mit den Schultern und schenkte dem Prinz ein erbärmliches Lächeln.

„Kann auch nicht viel schlimmer werden.“

Der Prinz fackelte nicht länger und schleuderte eine Konzentration weißen Chis auf die männliche Göttin. In ebendiesem Augenblick ließ Ryoga die Bandana fallen und rollte sich unter dem Projektil hindurch. Während das Chi hinter ihm in einem grellen Feuerwerk explodierte und ihm einen Hagel an Steinen nachwarf, sprang der Kampfsportler vorwärts und ergriff den Rotschopf.

Dann rammte er einen Finger in den Untergrund.
 

Mousses Augenbraue zuckte.

Das tat sie nicht häufig. Zumeist lohnte sich der Aufwand nämlich nicht, da man sie hinter den dicken Brillengläsern ihres Besitzers ohnehin nicht bemerkte. Heute saß die Brille auf der Stirn des Besitzers, also machte die Augenbraue eine Ausnahme.

„Das ist ein Witz.“

Es war keine Frage – es war eine Drohung.

Happosai zeigte sich davon unbekümmert. Dafür war er ja schließlich Happosai. Der grässliche, kleine Mann mochte Angst vor Männerunterwäsche haben – aber vor allem anderen? Keineswegs. Dieser perverse Schurke war in seiner Kühnheit so legendär wie in seiner Schamlosigkeit.

Nicht selten fielen beide Aspekte bei ihm zusammen, etwa als er einer Ordenspriesterin während der Messe den Büstenhalter stahl. Wie er aus dem Kloster und der geballten Macht von achtzig, wütenden Nonnen entkam, lässt sich heute nur noch erahnen. Allerdings ist das eine andere Geschichte…

„Jungchen, wenn ich Witze mache, vergeht dir das Lachen.“

Mousse glaubte Happosai aufs Wort.

„Beweis’ mir deine Loyalität!“, donnerte der kleine Wüterich.

„Aber - “

„Es is’ eine wicht’ge Angelegenheit. Würdige gefälligst die Herausforderung!“

Der Amazone ersparte sich jeden weiteren Kommentar.

„Kriegst sogar ’ne nette Uniform“, verkündigte Happosai stolz.

Mousse beäugte den braunen Lumpen argwöhnisch und warf ihn sich über.

„Wo?“, meinte er daraufhin niedergeschlagen.

„Da isses“, tönte der Zwerg stolz und deutete in eine Ecke seiner Dachkammer.

Mousse seufzte gequält und spähte sich in dem zwielichtigen Zimmer um. Ganz so hatte er sich die Höhle des Löwen nicht vorgestellt, zumindest nicht ganz so unordentlich. Außerdem hingen überall Damenmieder an Wäscheleinen, die durch den ganzen Raum gespannt waren. Passte man nicht auf, so verhedderte man sich in ihnen – in den Wäscheleinen; nicht der Unterwäsche.

„Und ich soll wirklich - “

Happosai nickte streng.

„Also putzen“, konstatierte Mousse und erarbeitete sich das Vertrauen seines Meisters.
 

Es heißt: Nur Fliegen ist schöner.

Wer immer sich den Spruch aus den Rippen geschnitzt hat, kann was erleben!

Im Moment bekam Ukyo ein gutes Gefühl dafür, wie es sein musste zu fliegen. Sie flog nämlich – und sie flog schnell. Außerdem qualmte ihre Uniform und der Geruch von Angebranntem klebte in ihrer Nase fest.

Der Puppe folgten eine Rauchwolke aus dem Inneren der Küche und eine benommene Akane, die tollpatisch heraustaumelte. Auf den Außenstehenden musste die jüngste Tendo nicht ganz zurechnungsfähig wirken. Für Ukyo war sie das auch nicht.

Niemand der Eier in die Mikrowelle stellte und diese zum Detonieren brachte, war in irgendeiner Weise zurechnungs- oder nur entfernt küchenfähig! Das Mädchen war doch eine Zumutung! Zudem waren nicht nur die Eier hochgegangen, sondern die Mikrowelle aus zweifelhaftem Zugehörigkeitsgefühl ebenfalls.

Die resultierende Explosion war der Grund, weshalb Ukyo Kuonji, Köchin, Kämpferin und neuerdings Puppe, den Luftraum des Korridors und Wohnzimmers unsicher machte. Freundlicherweise wurde sie von Kasumi aufgefangen und landete in deren Einkaufskorb. Missmutig lugte sie über den Rand hinweg.

Die angeschwärzte Gestalt Akanes betrat als nächstes den Raum und hustete zwei Rauchwolken aus.

„Akane, ist etwas schief gegangen?“, fragte die älteste Tendo-Schwester und kniete sich am Wohnzimmertisch hin. Die Jüngste folgte dem Beispiel.

„Ich krieg’s einfach nicht hin.“

Ukyo nickte vielsagend.

„Ist es denn so schlimm Akane?“

„Ich – Ich denke, ein klein wenig bin ich besser geworden.“

Ukyo schüttelte vehement den Kopf.

Das glaubt sie doch selbst nicht! Wenn Akane in irgendwas besser geworden war; bitteschön, worin war das? Darin die Küche abzufackeln? In dieser Hinsicht war die jüngste Tendo seit jeher ein Naturtalent. Verdammt, sie war so gut darin Leute zu vergiften und Küchengeräte zweckzuentfremden, dass sie daraus eine Kampfkunst machen könnte!

„Mach’ dir nichts daraus kleine Schwester. Wenn du nur fleißig übst und auf Ukyo hörst, wirst du bald schon gut kochen können“, lächelte Kasumi und streichelte Akane sanftmütig über den Kopf.

Kuonji spürte eine Welle der Verzweiflung.

Hören? Als ob Akane auf sie hören würde! Das Mädchen war so übereilig und unaufmerksam, dass sie Zucker mit Salz, Honig mit Essig und Messerspitze mit Messerschneide verwechselte. Außerdem konnte sie sich als Lehrerin so viel echauffieren wie sie wollte, Akane bemerkte sie ja kaum – kein Wunder, schließlich konnte sie ja nicht mal mehr sprechen!

„Du hast Recht Kasumi. Ich probier’s einfach noch mal.“

Ukyos Gesicht wurde bleich – kein leichtes Unterfangen bei einem Puppenkörper.

Wenn sie jetzt niemand stoppte, würde sie gleich etwas tun, was sie später nicht bereuen würde.

Unverhofft kommt oft und so stoppte sie tatsächlich etwas. Es war ein dumpfes Rumpsen von oben.

Überrascht sah die Puppe auf, als etwas Staub herunterrieselte.

„Herrje, Großväterchen Happosai ist ja so lebendig für sein Alter.“

„Und wie“, grollte Akane und linste feindselig zur Decke hoch. Könnten Blicke töten, so hätten sich ihre durchs Holz bis in die Dachkammer, durch einen perversen Greis und anschließend durchs Dach selbst gebohrt.

Ukyo war zur Abwechslung derselben Ansicht und nickte grimmig. Der alte Knacker war lebendig für sein Alter? Gut und schön – soviel ließ sich im Kopfumdrehen ändern!

Leichter gedacht als getan, denn leider wies Happosai die Eigenschaften einer Kakerlake auf. Zum einen war er flink und klein, zum anderen widerlich und unheimlich resistent. Der allgemeinen Forschermeinung nach sollen Kakerlaken sogar Nuklearexplosionen überleben können. Sie würde nicht ganz so weit gehen und behaupten, dass der Greis das ebenfalls wegstecken würde.

Dafür hatte er allerdings seine eigene Miniaturversion davon in petto und knauserte nicht damit, diese einzusetzen. Flächenschäden und Krater über ganz Nerima verteilt, erzählten hierzu eine äußerst bildliche Geschichte.
 

Mousse rieb sich mit dem ausgefransten Ärmel den Schweiß von der Stirn.

Irgendwie hatte er es vollbracht und Happosais Saustahl ausgemistet. Spinnenweben, groß wie Badetücher, hatte er fortwedelt und notfalls kleingehackt. Staubflocken, dick wie Melonen, kullerten um seine Beine herum und schienen ein Eigenleben zu besitzen. Er hatte die Dinger regelrecht mit einem Schmetterlingsnetz jagen müssen.

Und in dieser gesundheitsschädlichen Atmosphäre thronten Stapel von Heften, Büchern, Schriftrollen und anderem Ramsch – allesamt durcheinandergeworfen und unübersichtlich über den Boden drapiert.

Nach dreistündiger Arbeit konnte man das Parkett erkennen, ohne sich dazu durch fünffache Schichten wühlen zu müssen. Mousse könnte schwören, dass durch diesen Dreckteppich keine Kugel gekommen wäre! Diese Unordnung hätte sich mit jeder Kevlarweste messen können.

Der Perverse hatte ihn derweil beaufsichtigt.

In anderen Worten hatte der alte Sack Unterwäschekataloge durchstöbert, vereinzelt aufgeblickt und Anweisungen geblafft. Happosai war wirklich prinzipientreu. Er verhielt sich gestreng dem Prinzip: Es ist die schönste Arbeit jemandem beim Arbeiten zuzugucken.

Wie gerne wäre er, Mousse, einmal in der Situation, in der er derjenige war, der zuguckt. Stattdessen war er immer der, der schuften und sich abplagen musste. Wäre er nicht im Amazonendorf aufgewachsen, hätte ihn diese Tatsache bestimmt empört.

Er war die männliche Cinderella und Happosai stellte großzügigerweise die dazugehörigen Lumpen. Dadurch kam er sich nicht nur vor wie ein Bettler, er sah noch dazu wie einer aus. Den Rest steuerte die millimeterdicke Staubschicht bei, die sich auf seinen Wangen und Händen abgesetzt hatte.

Der verschrumpelte Gnom ging mit Kennermiene durch die Loft.

Er schnupperte, schnüffelte und inspizierte jede Ecke und jeden Winkel des Zimmers. Wäre er nicht so absolut unordentlich, hätte man ihm vorwerfen können, penibel zu sein. So wäre das jedoch reiner Hohn.

„’s in Ordnung. Nich’ schlecht muss ich sagen. Hattest viel Übung bei der alten Dame?“

Mousse nickte.

Er hatte viel Übung bei Cologne. Er hatte sogar ausgesprochen viel Übung - mehr noch als er eigentlich brauchte oder überhaupt haben wollte. Leider interessierte das mal wieder keinen.

„Was’n das?

Der Halbblinde merkte auf. Happosai hielt irgendein vermodertes Papier hoch. Angewidert schüttelte der Greis die Hand und schielte verächtlich zu Mousse. Der Blick versprach nichts Gutes.

„Das nennste aufgeräumt? Dabei liegt so ’n Schund hier rum?“

„Als ob der neben dem restlichen Schu - “

So gerne der Amazone seinen giftigen Kommentar zu Ende gebracht hätte, der Großmeister des Musabetsu Kakuto Ryu erwies sich als schneller. Mousse hätte nie vermutet, dass ein zusammengerollter Papierfetzen so eine Durchschlagskraft besaß.

Hieran wurde die Lebensunerfahrenheit des Amazonenkriegers deutlich. Schließlich ist dem zivilisierten Homo sapiens klar, dass es nichts Gefährlicheres als eine Zeitung gibt. Die Botschaften, die sie enthält, trüben die Stimmung und fördern die Selbstmordrate. Zusätzlich trifft sie in gerollter Form gerne Köpfe – entweder aus Eigenantrieb nach Abwurf des Zeitungsjungen oder bei Manualbetrieb in den Händen des Chefs, des Lehrers, der Frau, etc.

Ächzend kratzte sich Mousse vom Boden auf.

Der Gnom stand gebieterisch über ihm und paffte energisch an der Pfeife.

„Du Nichtsnutz bist meine Zeit zwar nich’ wert, aber ich drück’ nochmal ’n Auge zu. Für heut’ kannste gehen, aber beim nächsten Mal schick ich dich auf ’ne richtige Mission.“

„R-Richtig?“, stotterte der Amazone und erntete ein Feixen Happosais.

„Ganz genau mein Junge – richtig.“

Der nachfolgende Hieb katapultierte die Küchenhilfe aus dem Fenster, über mehrere Dächer und zielsicher kopfvoran in eine Mülltonne. Mousse seufzte in der Düsternis des stinkenden Behälters und zappelte nutzlos mit den Füßen. In den Händen krallte er den Papierfetzen.

Ihm stank die Situation ganz gewaltig und das lag nicht allein an der Tonne. Zweifelsohne konnte er sich mit dem Gedanken trösten, dass ihn die Ratten nicht bissen. Warum sollten sie auch? Er erfüllte schließlich den Dresscode.
 

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Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

Herb: Er ist Prinz der Jako-Dynastie. Einer seiner Vorfahren besiegte einst einen Drachen und warf diesen in die Nyannichuan, also die Quelle des ertrunkenen Mädchens. Aus dieser eigensinnigen Verbindung ging Herbs Blutlinie hervor.

Herb selbst weist das umfangreichste Wissen aller Charaktere auf, wenn es um Chi-Techniken geht. Des Weiteren ist er ein erfahrener Krieger, der nicht davor zurückschreckt, seine Feinde für immer aus dem Verkehr zu ziehen. Neben Ranma ist er der einzige Protagonist, der sich bei Kontakt mit kaltem Wasser in ein Mädchen verwandelt. Bei seinem Versuch einen Affen in die Nyannichuan zu werfen, rächte sich dieser damit, den Prinzen ebenfalls hineinzuschubsen.

Näheres kann in Band 24 des Mangas nachgelesen werden.
 

Horaisan: Das Horai-Gebirge ist der finale Schauplatz, auf dem Ranma, Ryoga und Mousse gegen Herb und seine Vasallen, Zitrone und Minze, antreten. Bezeichnend für diesen Ort sind die dichten Nebelschwaden, die aggressiven Affen und ein kesselförmiger Felsen, in dem der Kaisuu-fuu verborgen ist.

Im letzten Gefecht zwischen Ranma und Herb bricht das gesamte Gebirge unter der Belastung des Kampfes zusammen.
 

Jako-Dynastie: Die Jako-Dynastie oder Musk haben die Philosophie des Kung-Fu auf die nächste Ebene gehoben. Anstatt nur Tiere nachzuahmen, pflanzen sie sich mit menschgewordenen Tieren fort. Die Kinder weisen dann Merkmale des jeweiligen Tieres auf. Etwa die Schnelligkeit eines Wolfs (Minze) oder die Stärke eines Tigers (Zitrone).
 

Kaisui-fuu: Der Kaisui-fuu ist der Kessel, durch den der Fluch des Chiisui-ton gebrochen werden kann. Das magische Wasser des Chiisui-ton sperrt den Verfluchten in seiner Fluchform ein. Das Wasser aus dem Kaisui-fuu löst diese Speere wieder.
 

Hito Ryu-Zahn Han: Hierbei handelt es sich um eine Spezialtechnik Herbs. Er entfesselt damit einen Sturm von Klingen feinster Energie, die mühelos durch Stein, Holz und alles andere schneiden. In ihrem Effekt sind sie also mit Ryogas Stirnbändern zu vergleichen, nur sind Klingen ungleich schärfer und damit tödlicher.
 

Ryu Sai Hisho: Eine weitere Spezialtechnik Herbs. Hierzu schwebt er in der Luft und stürzt einarmig auf den Gegner zu. Während dieser von dem direkten Angriff abgelenkt ist, lässt Herb Chi-Konzentrationen fallen, die ihrerseits vom Boden abspringen und so den ahnungslosen Gegner treffen. Der Ryu Sai Hisho funktioniert allerdings nur auf festem Land, auf Wasseroberflächen kann das Chi nicht abprallen.
 

Bakusai Tenketsu: (siehe Kapitel 4)
 

Kachu Tenshin Amaguriken: Ranmas berühmteste Technik. Der Anwender entlässt einen Schlaghagel auf den Gegner, der diesen überwältigt und im Zweifelsfall ausknockt. Das Geheimnis der Technik liegt in ihrer atemberaubenden Schnelligkeit, die den Kontrahenten völlig überfordert.
 

Schöne Grüße,
 

euer Deepdream

Absolut bombig!

Mousse krabbelte aus der Mülltonne hervor.

Etwas wackelig zuerst, dann jedoch zielsicher lief er gegen die linke Mauer. Verdattert taumelte er zurück, drehte sich in die andere Richtung und stolperte mit Enthusiasmus in die rechte Mauer. Der Amazone unterdrückte ein Seufzen – das entwickelte sich so allmählich zur Angewohnheit.

Aus den Tiefen der Flickenrobe förderte er eine Brille hervor und platzierte diese auf der Nase. Sofort erhielt die Welt ein paar mehr Geraden und Ecken, verschwommen blieb sie nichtsdestotrotz.

„Warum? Warum nur muss ich so gequält werden? Gebt mir ein Zeichen ihr Götter!“

Es knautschte in seiner Hand, als er diese gen Himmel stieß und ballte.

„Huh?“

Verblüfft hielt er sich das Papier vor Augen.

Warte mal, war das nicht der Zettel, wegen dem er aus Happosais Dachkammer geflogen war? Es gehörte sich ja nicht, in fremde Leute Angelegenheiten zu spähen – wie gut, dass der Knacker längst kein Fremder mehr war.

Neugierig rollte Mousse die Schriftrolle auf und begutachtete das vergilbte Papier für eine Weile. Zehn Sekunden später legte er den Kopf schief. Weitere zehn Sekunden später drehte er den Fetzen um 180 Grad.

Bingo!

Was sich zuerst als wüste Kinderkritzelei ausnahm, machte jetzt Sinn.

Okay, wofür lügen? Er verstand noch immer nicht wirklich, worauf das Geschmiere hindeuten sollte. Vielleicht sollte er sich die Schriftrolle einfach später in seiner Kammer zu Gemüte führen, sozusagen bei Licht unter die Lupe nehmen? Das bisschen gelbe Farbe am schwarzen Himmel erhellte weder den Inhalt einer Mülltonne, noch seine Stimmung.

Im Augenblick stank er, sah aus wie ein Landstreicher – ohne Pinsel oder Kübel – und fühlte sich überhaupt nicht in der Stimmung zum Herumrätseln.

Behände ließ er die Rolle übern Unterarm rollen und im Ärmel verschwinden.

Nun musste er zurück zum Neko Hanten. Hoffentlich entdeckte Shampoo ihn nicht, noch dazu in diesem Aufzug. Er wirkte so ungepflegt, man könnte ihn ja für einen anderen Menschen halt –

Hey, warte mal!

Ein konzentrierter Ausdruck beschlich Mousses Gesicht, als er im rechten Ärmel kramte. Nach wenigen Momenten wurde er fündig und förderte eine japanische Maske hervor. Es war dieselbe, die er beim Unterwäscheraub in der Mädchenumkleide verwendet hatte.

Sie war von einem unauffälligen Weiß und trug den kindlichen Anstrich einer Maneki Neko. Zwei geschlitzte Augen, eine Schnute und drei krude Striche auf jeder Wange. Das Ding hatte er damals aus Verlegenheit gekauft, nachdem sein Vorrat an eigenen Masken erschöpft war.

Er zuckte mit den Achseln und setzte die Maske auf. Verblüffenderweise fand seine Brille genug Hohlraum unter der Keramikverkleidung, ohne ihm das Blut aus den Wangen zu pressen. Das Ding sah dumm aus, zugegeben, aber nicht mal er selbst würde sich damit erkennen. Und nein, auch nicht MIT Brille.

Die Legende der Klauenden Katze war geboren.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 17 – Absolut bombig.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Shampoo verengte die Augen, der miserablen Lichtverhältnisse wegen und weil sie geradewegs umkippen könnte. Sie war erschöpft, sie war verärgert und sie war ein klein wenig besorgt. Die ersten zwei Sachen konnte sie sich leicht erklären.

Warum war sie erschöpft?

Mehrere Ausliefertermine durchzuführen, nebenbei die Gäste im Restaurant zu bedienen und dem blinden Trottel auf die Finger zu schauen, kostete einiges an Kraft. Sie hatte sich nach dem Training im Amazonendorf für alles gewappnet gefühlt. Urgroßmutter brachte sie schnell runter vom hohen Ross. Das Gastronomiegewerbe fraß alles an Kraft und Ausdauer, was sie sich in jahrelangem Training angearbeitet hatte und legte noch eins drauf.

Warum war sie verärgert?

Diese Frage ließ sich schnell erklären und dass sogar völlig wortlos. Hierfür musste sie nur an sich herabsehen, denn mit jedem Ausatmen hüpfte ihre nicht unerhebliche Oberweite unter der Bluse. Ihr einziger Büstenhalter hatte entweder Füße bekommen und war weggelaufen oder ein Paar anderer Füße war mit ihm weggelaufen. Sie wusste nicht recht, welche Version sie bevorzugte.

Und warum sie besorgt war?

Das Mädchen seufzte und beleckte sich die Lippen. Sie hatte keine Ahnung. War sie besorgt um Ranma? Die Amazone probierte sich ihren Ver – Ranma vorzustellen, aber es gelang ihr nicht so recht. Ständig überlagerte eine zweite Gestalt die des bezopften Kampfsportlers. Leider war die Person so unklar wie die Wegbeschreibungen des Schweinejungen.

Unter ihr rumpelte es.

Verblüfft spähte sie in die Gasse herab und entdeckte dort eine Person in weiter Robe. Für einen Augenblick hätte sie den Unbekannten beinahe mit Mousse verwechselt, doch die Robe des Fremden besaß den Charme von tausend und einer Schlacht – war also zerrissen, genäht, abermals zerrissen und anschließend geflickt. Das Kleidungsstück ein Kleidungsstück zu nennen, grenzte an Unverschämtheit.

Sollte sie ihn stellen oder gehen lassen?

Bevor sie sich zu einem Entschluss durchringen konnte, wurde ihr die Entscheidung abgenommen. Das Phantom holte Anlauf, federte in den Beinen und katapultierte sich in die Höhe. Grazil wie eine Ente – eh, Schwan setzte die Gestalt auf dem gegenüberliegenden Dach auf.

Von ihrer Präsenz hatte der Unbekannte scheinbar nichts mitbekommen, da er ihr unwissentlich den Rücken zuwandte. Dann sprang er davon.

„Siehst was Interessantes?“

Die Amazone fuhr zusammen und hieb mit einem Bonbori nach der Stimme. Einen Wimpernschlag später saß Happosai auf dem Bonbori, statt darunter begraben zu sein. Seine verrunzelten Lippen zogen an der Pfeife und die großen Augen glitzern schelmisch.

„Du Shampoo bestohlen. Geben zurück!“

Der Gnom machte ein betroffenes Gesicht.

„Du bist ja so gemei-hein! Dabei hab’ ich doch gar nix getan“, jammerte der Knacker und wich – ohne hinzusehen – dem nachfolgenden Schlag mit der zweiten Eisenkugel aus. Nach einem mühelosen Salto landete er hinter ihr. Das Mädchen bekam keine Zeit zum Reagieren.

Sofort klebte sich der perverse Großmeister an ihr Hinterteil und rieb sich zur Wiedergutmachung an ihr.

Die Amazone fauchte, schlug ziellos nach hinten und traf. Der Alte kam wie ein Hüpfball auf und landete auf den Füßen. Er erwiderte mit seiner gefürchteten Spezialtechnik: Schimmernde Krokodilsaugen.

„Shampoo wollen BH zurück! Jetzt!“, befahl die Kriegerin hitzig. Spöttisch hüpfte der Zwerg aus ihrer Reichweite und stellte sein Geschick unter Beweis. Jeder ihrer Schläge rüttelte die müde Abendluft wach, streifte den Alten aber nicht im Geringsten.

Dieser zeigte sich stattdessen so frech, dass er mitten im Gefecht in ihre Verteidigung brach und sich im Klammergriff an sie heftete. Für die lange Dauer von zehn Schlägen hielt sich der Greis fest und wich erst, als das Mädchen alle Kraft in einen Hieb setzte.

Besagter Hieb bohrte sich ins Dach und brachte die Schindeln wie Frösche zum Hüpfen.

„Du bist ja so lieb Shampoo. Nimmst dir Zeit, um mit ’nem alten Mann zu spielen. Wie kann ich dir nur danken?“, wimmerte der Knacker pathetisch und schluchzte hinter vorgehaltenem Arm. Das Attentat auf sein Leben ignorierte er geflissentlich.

„BH“, knurrte das Mädchen pointiert.

Wie verwundert war sie, als sie genau das bekam was sie verlangte. Nun, sicherlich nicht verwunderter, als wie wenn der Greis den Büstenhalter zur Waffe umfunktionierte. Ihre Faust band er ein und über die Handkante setzte er hinweg, schlang sich mit dem BH um den zweiten Arm herum und verknotete ihre Hände zur menschlichen Brezel.

Sprachlos blinzelte sie das Unterwäscheknäuel an.

„Bye-Bye“, frohlockte der Alte, klapste ihr zum Abschied auf den Hintern und schoss davon. Shampoo blieb mit hochrotem Kopf zurück. Sie zog, doch das Mieder saß stramm. Sie hatte zwei Optionen:

1. Heiler BH und verletzter Stolz.

2. Getretener Stolz und kaputter BH.

Das Mädchen schmollte und trampelte mit den Füßen auf.

„Happosai!“

Ihr Fluch hallte weithin über die Dächer und weckte Frauen in ganz Nerima, denen der Name ein Begriff oder Gräuel – nur zu häufig beides – war.
 

Ukyo warf sich herum und kam auf dem Bauch zu ruhen. Falls man in ihrer Lage von Ruhe sprechen konnte. Tatsächlich war sie viel zu unruhig, um ein Auge zuzubekommen. Ständig huschten ihre Gedanken zu einem bestimmten jungen Mann.

Zu ihrer Scham musste sie sich eingestehen, dass besagter Jugendlicher nicht viel von langen Haaren und flapsigen Sprüchen hielt. Außerdem war sie nicht mit ihm verlobt.

„Ukyo?“

Die Kampfköchin schielte über den Rand der Schublade und zu Akane. Im Vollmondlicht war die Verlobte ihres Verlobten – Gott, war das kompliziert! – gar nicht so unhübsch, wie Ranma allen Glauben machen wollte. Klar, ihr Typ wäre die junge Tendo nicht. Dafür fehlte es an Biss. Vielleicht ein wenig vampirmäßig…

Ukyos Wangen setzten einen Rotschimmer an.

Es stand wirklich übel um sie.

Dieser orientierungslose, unbedarfte Trottel hatte sie an der Nase herumgeführt. Dabei entkam er ohne Hilfe kaum den Fängen des Badezimmers! Noch dazu war er völlig deplatziert für den Job einer Göttin, denn wie besagt, konnte er sich nicht mal selbst helfen.

Ukyo gab ein Nicht-Seufzen von sich.

„Ukyo?“

Zur Bestätigung klopfte die Puppe gegen den Holzschrank.

„Hast du auch so ein ungutes Gefühl?“

Kuonji nickte. In der nächsten Sekunde besann sie sich und klopfte einmal für JA. Akane verstand die Antwort und ihr Gesicht wurde nachdenklich. Das einfallende Licht und die Tatsache, dass sich die Küchenmörderin ihr zugewandt hatte, vereinfachte diese Beobachtung.

In der nachfolgenden Stille kaute sich Akane auf der Unterlippe und drückte ein übergroßes, schwarzes Stoffschwein an die Brust. Ukyo konnte sich nicht helfen, dieses monströse Ferkel kam ihr verdächtig bekannt vor. Beinahe so, als wäre sie ihm schon mal irgendwo begegnet.

„Ich freue mich für dich.“

Wie meinen? Kuonji blinzelte ungläubig.

„Ryoga ist ein wirklich lieber Kerl - “

Und die Hälfte der Zeit ein Mädchen, besser ausgestattet, als sie selbst.

„ – er ist sanftmütig und freundlich - “

Und bedroht das Leben unseres Verlobten eins ums andre Mal.

„ – und geht für dich durch die Hölle.“

Und – dazu fiel ihr jetzt kein schnippischer Kommentar ein.

Ukyo beäugte Akane und setzte sich im Schneidersitz auf. Ganz unrecht hatte die junge Tendo ja nicht. Sicherlich, Akanes Bild der Welt war arg dichotom. Für sie gab es nur Tag und Nacht, Mann oder Frau, Perverser oder – Perverser. Hm, dummes Beispiel…

Akane kannte auf jeden Fall nur eine Seite Hibikis, aber diese Seite kannte sie gut. Letztlich hatte Ukyo diesen Charakterzug an der Göttin ebenfalls bemerken dürfen und ganz im Ernst, Ryoga war zu dämlich zum Schauspielern. Dieser Dummkopf war wirklich so wie er sich gab. Er könnte nicht lügen, wenn man ihm mit Erschießung drohen würde. Hätte wahrscheinlich eh keinen Effekt.

„Ob’s den beiden gut geht? Ranma ärgert Ryoga ständig und Ryoga kann sich auch nicht immer kontrollieren.“

Nicht immer kontrollieren? Die Kampfköchin enthielt sich eines Kommentars; ihre Stummheit gestaltete das glücklicherweise sehr einfach.

Akanes Seufzen war laut genug, um Kuonjis Gedankenwirbel zu durchbrechen. Der cholerischen Kampfschulerbin schien noch etwas andres auf dem Herzen zu liegen. Wahrscheinlich waren es nicht ihre kulinarischen Misserfolge, denn sie zeigte sich in diesem Bereich auffallend lernresistent.

Die Okonomiyaki-Bäckerin klopfte fragend.

Daraufhin schenkte ihre Rivalin ihr ein krampfhaftes Lächeln und wandte den Blick zur Zimmerdecke hoch.

„Meine Mutter wäre stinksauer.“

Ukyo merkte auf. Warum erzählte Akane ihr das? Seit wann waren sie beide überhaupt Freundinnen? Der alte Status Quo – Mir nix, dir erst recht nix! – gefiel ihr im Grunde ganz gut. Ungeachtet Kuonjis Unwillen erzählte die jüngste Tendo weiter.

„Sie war eine Miko. Papa lernte sie auf einer Trainingsreise in einem Tempel kennen, konnte aber nur wenige Tage dort bleiben - “

Ukyo konnte sich den Grund dafür bestens ausmalen. Dieser war klein, seine Haut ledern und man konnte ihn gut kicken. Nein, die Rede ist von keinem Fußball. Es ist vielmehr ein frecher Gnom, der sich Meister einer Kampfschule schimpft.

„Bald darauf verließ meine Mutter den Tempel und folgte ihm.“

Ukyo kannte diese Geschichte zur Genüge. Man sah sie im Kitschkino oder hörte sie in tränenkitzelnden Chansons. Herrgott, der Großteil ihres Lebens entsprach diesem einfallslosen Plot! Besagter Plot lässt sich meist so resümieren: Nachdem der edle Ritter fortgezogen war, brach die holde Maid die Zelte ab und folgte ihrem Angebeteten, um -

„ – ihn einen Kopf kürzer zu machen.“

Ganz genau, um ihn einen Kopf kürzer zu machen.

W-Wie bitte? Die Puppe starrte in unverholener Bestürzung zu Akane, die nur versonnen lächelte.

„Letzten Endes machte sie Happosai, Onkel Genma und meinen Vater dingfest. Am nächsten Tag forderte sie seinen Kopf oder die Heirat. Papa entschied sich für letzteres.“

Ukyo schluckte. Das kam ihr jetzt doch erschreckend bekannt vor.

Andererseits wurden Akanes Anwandlungen damit ein wenig verständlicher.

„Und jetzt ist mein Verlobter eine Dämonin“, es klang ein Lächeln in der Stimme der Kampfschulerbin mit und bewies, dass Akane doch einen Sinn für Humor besaß.

Die Köchin fuhr sich durchs Haar. Immerhin blieb ihr ein solches Problem erspart. Ryoga mochte ein Trottel sein, doch seine Arbeitsmoral war himmlisch. Okay, es konnte dran liegen, dass ihm sein Boss sonst die Hölle – oder war es den Himmel? – heiß machte.

„Denkst du den beiden geht’s gut?“

Ukyo klopfte zaghaft gegen das dicke Holz des Kleiderschranks.

Sie wüsste nur selbst zu gern, was die beiden Chaoten anstellten. Bestimmt ging’s ihnen blendend und ihre Möchtegernbedienung hatte sich nur wieder heillos verlaufen. Und wenn Ranma ihn kritisierte, flogen nur wieder die Fetzen.
 

Ryoga schleuderte das Stirnband in die Luft.

Keine zwei Sekunden später rieselten die Überreste als feiner Staub herab und wurden von einer Böe weggetragen. Die zornige Stimme Herbs hallte übers Schlachtfeld, begleitet von donnernden Explosionen.

Hibiki machte sich keine Illusionen. Sobald Herb sie aufspürte, waren er und Saotome Toast und zwar verkohlter. Ryoga hasste verkohlten Toast.

Der Drachenprinz wirkte nicht wirklich wie der Typ, der mit sich reden ließ. Und Diplomatie kannte er bestimmt nur auf dem Papier, das er feixend im Kamin verfeuerte.

Eine mächtige Erschütterung brachte den Fels links seiner Position zum Einsturz. Die Trümmer dreier weiterer Felsen lagen bereits übers Plateau verteilt und die Staubwolken schwebten noch immer unheilverkündend umher.

Die männliche Göttin starrte auf die Dämonin zu seinen Füßen. Ranma war fern der Wirklichkeit und träumte wahrscheinlich vom Essen und von Verlobten, mit denen er Akane betrügen konnte. Der heraushängende Speichelfaden deutete allerdings eher auf ersteres hin.

Unsanft schüttelte er den Rotschopf, der nur murmelte und ansonsten die Augen geschlossen hielt.

Ryoga näherte sich dem Ohr des Mädchens, holte tief Luft und raunte ihr dann ins Ohr. Der Effekt war unverkennbar und resultierte in einer rigiden Ranma mit weitoffenen Augen.

„Wo sind sie? Wo sind die behaarten Bieste - “

Hibikis Faust stoppte die Anflüge einer Panik. Schmollend rieb sich Saotome den Kopf, bevor sie sich beschweren konnte, hielt ihr Ryoga bereits die Hand vor den Mund. Er schüttelte in einer Weise den Kopf, die seine Halswirbel an vier Stellen zum Knacken brachte.

Die Nachricht kam an. Ranma Saotome hielt eine der wenigen Male in ihrem Leben die Klappe.

Die nahe Explosion eines weiteren Felsens half dabei nicht unwesentlich.

„Wir haben ’n Problem, nich’?“

Ryoga nickte dazu.

„Haste ’ne Idee?“

Ryoga schüttelte den Kopf.

„Bist’n Trottel.“

Ryoga nickte, fing sich und verpasste Ranma eine Kopfnuss.

Der absehbare Streit kam nicht einmal zum Keimen, als eine weitere Erschütterung durch den Untergrund jagte. Steinsplitter flogen als grauer Fächer über den Felsen hinweg, der ihnen als Schild vor den Augen des Drachenprinzen diente.

„Hat Herb irgendwelche Schwachstellen? Irgendwas das wir gegen ihn verwenden können?“

Saotomes Gesicht blieb für einige Sekunden blank; dann leuchtete es in einem Gedankenblitz auf.

„Brüste!“, konstatierte Ranma enthusiastisch.

Ryoga fielen fast die Augen raus.

„Du Mistkerl, wie kannst du ausgerechnet jetzt über so was fantasieren!“

„Doch nich’ so du Depp! Ich mein’, Herb wird ganz irre. Sieht der Brüste, könnt’ der nich’ mal mehr ’n Scheunentor treffen.“

Hibiki rieb sich die Nase. Er hasste es zwar Ratschläge von seinem Rivalen anzunehmen, aber das war eindeutig Saotomes Sparte. Hinterhältigkeit und Feigheit lagen den Saotomes einfach im Blut.

„Und wie nutzen wir dir Schwäche aus?“

Die Lippen der Teufelsbrut verzogen sich zu einem unsicheren Lächeln und ihre Hand wanderte zum Hinterkopf. Als sie auch noch nervös zu kichern begann, rieb sich Ryoga bereits die Schläfen.

Er war ja so was von geliefert.

Verlass’ dich auf einen Saotome und du bist verlassen. Er hätte es wissen müssen.

„Kommt heraus! Ich werde euch Gewürm zerstampfen!“

Als ob er oder Ranma darauf reagieren würden, für wie blöd hielt der Prinz sie eigentlich? Ryoga tauschte einen finsteren Blick mit Ranma. Die Dämonin schloss beleidigt den Mund und schmollte.

Er hätte es besser wissen müssen.

„Denk’ dir lieber einen guten Plan aus, als lauter Dummheiten anzustellen!“

„Pah, hab’ ich schon. Hältste mich für doof?“

„Als ob ich darauf antworten müsste“, repondierte Ryoga und zog – für ihn uncharakteristisch – die Nase hoch. Offensichtlich war er klüger als Saotome. Und sei es auch nur, weil er mitsamt seiner Beförderung mehrere Lexika hinter die Stirn gestopft bekam. Manchmal hatte er immer noch Kopfschmerzen von der Prozedur.

„Warte mal, du hast schon einen Plan?“, hakte die männliche Göttin irritiert nach und erntete ein überlegenes Grinsen Ranmas.

„Jupp“, grinste die Dämonin und streckte den Daumen hoch. Die Geste erfüllte ihren Zweck. Das unheilvolle Gefühl in Ryogas Bauch nahm zu – und das beträchtlich.
 

Die Luft durchzog noch der Geschmack von Stein und Staub, als drei Bandana auf Herb zusteuerten. Ohne mit der Wimper zu zucken, holte der Musk die Projektile aus der Luft. Alle drei wurden von einer Chi-Kugel verschluckt, durchgekaut und ausgespuckt.

Es blieb nicht wirklich viel von ihnen übrig.

Doch kaum das die Projektile flogen, folgte bereits Ryoga. Halsbrecherisch sprintete er auf den Monarchen zu, die Faust zum Schlag erhoben. Herb schenkte dem Versuch nur ein kaltes Lächeln, ehe er Energie in der freien Hand sammelte.

Die Situation glich einem Showdown aus einem alten, angestaubten Western. Es fehlte nur an Kugeln, Revolvern und schlechtsitzenden Hosen, die nach Pferderücken mieften.

Unmittelbar vor Herb stolperte Hibiki plötzlich und sein Indexfinger landete im Fels, der sogleich zu allen Seiten detonierte. Noch bevor der Drachenprinz seinem Unmut Luft machen konnte, stürzte aus der Staubwolke ein teuflisch grinsender Rotschopf hervor.

Der Hito Ryu-Zahn Han durchschnitt den Raum unterhalb der Dämonin, deren Grinsen Millimeter für Millimeter breiter wurde. Höhnisch tanzte ihre freie Brust vor Herbs Nase, die merklich anschwoll. So betrachtet kam es dem Prinzen zu Gute, dass Ranma lediglich wenige Sekunden in seinem Blickfeld verbrachte. Ihr Sprung trug sie nämlich über den Kopf des Drachenerben hinweg und in dessen blinden Winkel – seinen ungeschützten Rücken.

„Haku Dato Shin Shô!“

Herb brüllte in Rage, als hunderte, kleine Schläge in seinem Rücken landeten. Ein heißer Schmerz zuckte von Muskel zu Muskel und unterband jede Reaktion seinerseits. Ohne den Rotschopf zu sehen, wusste er dennoch, dass sie wie eine Katze grinste. Der Effekt ihrer Hiebe war vergleichbar mit einem Überspannungsschaden, der jedem Nerv den Strom abdrehte.

Im nächsten Moment brach auch schon der Stirnbandträger aus dem Staub hervor, Faust voran und ein Funkeln in den Augen. Und das war der Augenblick, in dem der Schmerz in Herbs Rücken nachließ und der in seinem Gesicht begann. Eine Umarmung mit einem Pkw bei 80 Km/h hätte nicht unsanfter sein können.

Unter dem vollen Drall des Hiebes peitschte der Körper des Kriegers über den Boden, überschlug sich und rammte mit ungeminderter Wucht in den kesselförmigen Felsen. Es mochte an den vorherigen Erschütterungen gelegen haben, vielleicht war es der Felsen auch nur leid für einen Kessel gehalten zu werden – das Resultat war dasselbe; er zerbröckelte und begrub den Prinzen mitleidlos unter sich.

Dort wo der Felsen gestanden hatte, erhob sich nun die glühende Form eines Portals. Unpassend wie ein Scheich im Fast-Food-Lokal nahm sich das Tor in der Einöde aus, völlig unbekümmert von dem tobenden Wind.

„Ranma Saotome verliert nie!“, posaunte der kleine Rotschopf und lachte zum Nebel hinauf, Zeige- und Mittelfinger in einer Siegespose gespreizt. Ryoga begnügte sich mit einem kleinen Reißzahngrinsen und einem Schulterzucken. Wieder waren er und Ranma um eine bedeutende Erfahrung reicher.

Je höher deine Gegner fliegen, desto tiefer fallen sie. Und wenn sie fallen, dann lehn’ dich zurück und genieße den Aufprall.
 

Mousse saß im Schneiderschnitz und begutachtete seine neueste Errungenschaft. Er musste feststellen, dass eine vergilbte, mottenzerfressene Schriftrolle auch unter Licht wie eine vergilbte, mottenzerfressene Schriftrolle aussah.

Ein chinesischer Fluch verließ die Lippen des Amazonen.

Hier und da ließen sich schon ein paar Schriftzeichen entschlüsseln und es befanden sich außerdem ein paar Skizzen auf dem Papier. Für einen kreativen Menschen wären das gewiss nützliche Hinweise gewesen, um auf irgendetwas Wichtiges zu schließen.

Mousse seufzte.

Leider gehörte er scheinbar nicht zu dieser erlesenen Gruppe kreativer Menschen.

Das seine Angebetete wie verrückt im Nebenzimmer stampfte und ordentlich Frust abließ, vereinfachte das Entschlüsseln nicht unbedingt. Bei diesem Lärm nachzudenken, glich dem Anschwimmen gegen einen Strom, gespeist von einem Wasserfall und um das ganze interessanter zu machen, kamen noch ein paar Einsschollen dazu.

Er brauchte irgendeinen Anhaltspunkt. Die Schriftzeichen waren zu krakelig und die Zeichnungen könnten einer Kinderhand mit Gicht entsprungen sein. Immerhin bewies das deren Echtheitsgrad. Happosai war schließlich alles – nur kein Künstler.

Ein lautes Poltern schreckte ihn auf.

Fuhr Shampoo jetzt die großen Geschütze auf? Der ganze Krach kam ja einer Explosion gleich -

Mousse stutze und beäugte die Schriftrolle nochmals.

Bingo! Da kam tatsächlich das Zeichen für Explosion vor und daneben stand etwas von Geschütz. Obwohl bei genauerem Hinsehen hieß das nicht Geschütz, sondern Geschoss. So allmählich wurde die Sache klarer und dass trotz seiner Sehschwäche.

Der Tellerwäscher hielt das Schriftstück etwas höher, damit die Funzel ein klein wenig mehr Licht drauf werfen konnte. Wer weiß, möglicherweise enthüllte sich ihm ja das Geheimnis?

„Happy? Happo? Happoda? Happodi?“

Mousse legte den Kopf schief.

Das klang wie ein dummer Kinderreim.

Nichtsdestotrotz begriff er so allmählich. Das Ganze war eine Art Bauplan; aber wofür?

Aufmerksam sondierte er das bräunliche Papier. Undeutlich fanden sich darauf noch ein paar Bleistiftskizzen. Kein Wunder, dass er sie erst nicht erkennen konnte. Sie waren völlig ausgebleicht! Der aufgezeichnete Gegenstand war rund. Er bestand des Weiteren aus mehreren Schichten, die aufeinander gelegt wurden. Und durch die Schichten hindurch wurde eine Lunte gezogen, die in den Kern und das Schießpulvergemisch führte.

„Happodi? Happodai? Happodaiki?“

Verbissen starrte er den Fetzen an und versuchte das letzte Schriftzeichen herauszubekommen. Es nagte an seinem Bewusstsein, denn der Begriff kam ihm bekannt vor. Ein besonders heftiges Rumsen ließ ihn zusammenfahren.

Diesmal war es allerdings nicht aus Shampoos Zimmer gedrungen, sondern von draußen und einem guten Stück Entfernung her. Nicht ohne Neugier blinzelte Mousse aus dem kümmerlichen Loch hervor, das er Fenster nennen durfte. Im Nachthimmel über Nerima flackerte die Gestalt eines Panda, kredenzt von dem schwindenden Leuchten einer Detonation.

Dasselbe Leuchten reflektierte sich in den Augen des Amazonen, der betont langsam auf die Schriftrolle in seinen Händen herabsah. Es hatte zwar ein paar Anläufe gebraucht, aber die Einsicht hatte soeben die Tür zu seinem Bewusstsein durchbrochen und war ihm auf den Schoß gesprungen. Jetzt wollte die Einsicht ausgiebig gekrault und gepflegt werden.

„Happo-Daikarin“, skandierte der junge Mann und lachte düster.

Es sah ganz so aus, als ob das Training unter Happosai unerwartete Früchte trug – und beileibe, dass waren keine KnallERBSEN.
 

Die kleine Schatulle wurde behutsam geöffnet.

Ihr Inhalt war seit Generationen ein gutbehütetes Geheimnis, das innerhalb weniger Tage zum zweiten Mal gelüftet werden sollte. Zumindest stimmte diesmal das Ambiente, mit Kerzenschein und abgestandener Dunkelheit in einem viel zu kleinen Raum.

Mehrere schlanke Finger legten sich um das Pergament. Mit einem Knistern wurde das gerollte Schriftstück ausgebreitet und danach begutachtet.

Es raschelte, als das Phantom den Zeigefinger darüber gleiten ließ.

„Der Himmel – isst Fisch?“

Die Person zog die Stirn kraus und rieb sich den Nasenrücken. Welcher kranke Geist hatte diesen völlig sinnlosen Satz erdacht?

„Die Sandale kneift. Man nehme Salz, wenn die Alte keift?“

Das Phantom schnaufte ärgerlich und lehnte sich im Stuhl zurück. Auf diese Weise gab’s kein Weiterkommen. Es bedurfte eines Experten in dieser Angelegenheit, eines Gelehrten der thaumaturgischen Künste, eines Aspiranten der Magie – kurzum: eines Versagers mit zu viel Zeit und eigenartigen Hobbys.

Doch woher sollte man einen solchen kümmerlichen Wurm nehmen und nicht stehlen? Die zwielichtige Gestalt stierte in das hilflose Flämmchen der Kerze, räkelte sich im Stuhl und nippte an ihrem Tee.

Ein böses Lächeln streichelte blasse Lippen.
 

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Halli-Hallo liebe Leserinnen, liebe Leser,
 

ein neues Kapitel ist fertig und ich muss gestehen, ich bin ein wenig unzufrieden. Die Qualität ist okay, der Kontext ist auf Witze abgepocht und auch sonst habe ich in diesem Kapitel alles ungebracht, was erzählt werden sollte.

Genau hier haben wir das Problem – das Kapitel ist zu kurz.

Ich bin kein Autor, der seine Geschichten unnütz streckt und dadurch verwässert. Das wäre euch und der Idee gegenüber unfair. Daher fange ich gar nicht erst damit an.

Es ist nur, dass ich selbst davon überrascht bin, dass der Kampf gegen Herb ein so rasantes Ende nahm. Es scheint, als hätte ich Ranma und Ryoga gehörig unterschätzt, eh?

Na ja, kann ich mir mit Herb wohl die Klinke in die Hand geben.^^°
 

Ich hoffe, ihr hattet trotzdem euren Spaß und freut euch bereits auf die nächsten drei Kapitel, mit denen der zweite Band der Oh Mann, Ryoga!-Reihe voraussichtlich abschließen wird.^^
 

Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

Maneki Neko: Die Maneki Neko ist ein Glücksbringer in Japan, den man – erstaunlicherweise – auch häufig in chinesischen Restaurants antrifft. Es handelt sich dabei um Katzenfiguren, die auf ihren Hinterläufen sitzen und eine Pfote heben. Je nachdem welche Pfote oben ist, winkt dem Besitzer Glück oder finanzieller Gewinn.

Außerdem werden auf Festen oft Maneki-Neko-Masken verkauft. Sie erfüllen dieselbe Glückswirkung und werden meist von Kindern getragen.
 

Miko: Eine Miko ist die japanische Variante einer Nonne. Ihr Arbeitsplatz ist ein Shinto-Schrein, in dem sie typische Arbeiten verrichtet und dem Priester in Ritualen assistiert.
 

Hito Ryu-Zahn Han: (siehe Kapitel 6)
 

Haku Dato Shin Shô: Hierbei handelt es sich um eine Angriffsequenz der berüchtigten Umisenken. Der Anwender greift hierbei den ungeschützten Rücken des Gegners an und entlädt dabei einen Schlaghagel in diesen. Die Schläge sind so präzise, dass Nervenbündel gezielt attackiert und überlastet werden.

Die Umisenken und Yamasenken wurden von Genma Saotome erfunden und versiegelt. Später lehrte Genma seinem Sohn Ranma die Umisenken, um gegen Ryu Kumons Yamasenken bestehen zu können. Für den Interessierten empfehle ich Band 28 des Mangas, in dem die Herkunft und die restlichen Bestandteile der Umisenken erklärt werden.
 

Happo-Daikarin: Die legendäre Bombe, kreiert vom kleinen Großmeister des Musabetsu Kakuto Ryu. Eine einzige Bombe besitzt genug Sprengkraft, um einen Kampfkünstler von Ranmas oder Ryogas Kaliber auszuknocken. Ähnlich erging es sogar Nylonstrumpf-Taro und dass obwohl seine Monsterform mindestens dreimal so viel wie Ryoga einzustecken vermag.

Sie zählt eindeutig zu einer der mächtigsten Techniken, die je erfunden und angewandt wurde.
 

Schöne Grüße und einen schönen Samstag,
 

euer Deepdream

Hieb- und stichfest.

„Déjà-vu“, brummte Ryoga und verschränkte die Arme vor der Brust.

Natürlich tat er das mit dem gebotenen Maß an Missmut und hibikischem Ärger. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, war die Robe des Shinigami ein Artefakt unschätzbaren Wertes. Sie funktionierte wie eine Klimaanlage – und vollbrachte woran modernste Technik scheiterte: Sie kühlte Ryoga Hibikis Temperament.

„Huh?“, kommentierte Saotome. Sie blinzelte von ihrem Manga auf.

„Ach, vergiss es.“

Die Wanderer zwischen den Welten saßen. Sie saßen genau dort, wo sie schon zuvor gesessen hatten. Es war derselbe Warteraum mit denselben Stühlen, sie wurden von demselben Ventilator befächert und es lagen dieselben Mangas aus. Und dieser dämliche Getränkeautomat schluckte noch immer keine Yen und beharrte stur wie ein Esel auf Seelensplitter.

Der Stirnbandträger schielte zur Digitalanzeige. Dort hieß es unverändert [Bitte warten] und so allmählich verursachten die neongrünen Ziffern ihm Kopfschmerzen. Außerdem wurde er zunehmend ungeduldiger, es stand ihnen schließlich die nur mehr letzte Prüfung bevor.

Hiernach würde er Ukyo ins Leben zurückholen. Als netten Bonus war er dann sogar Ranma los und konnte diese Hölle – der Witz übersprang ein paar Neuronen und fand ein trauriges Ende – hinter sich lassen.

Sollte er eine Ansichtskarte senden?

Aus dem Augenwinkel heraus beäugte er das Drehgestell. Dieses war stilvoll in die Wand eingelassen und ihm beim ersten Aufenthalt im Wartezimmer nicht wirklich aufgefallen. Postkarten hingen darin und verkündeten fröhliche Sprüche wie Wünschte du wärst hier oder Ich lieg’ auf der faulen Haut und lass’ mich braten.

Es war eine seiner Marotten immer und überall solche Karten zu kaufen und an seine Bekannten zu verschicken. Da er ohnehin nur drei Adressen auswendig konnte, minimierte sich der Arbeitsaufwand dabei erheblich. Gewöhnlicherweise schickte er ans Tendo-Dojo – entweder einen Erlebnisbericht an Akane oder eine Herausforderung an Ranma -, an Akari und sein eigenes Zuhause. Die Ansichtkarten für letzteres waren an Checkers adressiert.

Wobei, wenn er es sich recht bedachte, konnten Hunde überhaupt lesen? Ryoga kräuselte die Stirn. Er linste zu Ranma, die die Nase im Manga vergrub. Also wenn ein Saotome lesen konnte, dann konnte das doch wohl jeder Hund; sprichwörtlich. An wen sollte er auch sonst Briefe schicken?

Checkers war das einzige Familienmitglied, das über einen längeren Zeitraum hinweg im Haus blieb. Der Rest des Clans verlief sich bereits auf dem Weg zum Klo. Zugegeben, so herrschte auf Familienfesten ein reges Kommen und Gehen. Man traf Leute, von deren Existenz man gar nichts vermutet hatte. Etwa den Onkel, Opa oder den verschollenen Halbbruder.

Beim letzten Familienfest vor einem halben Jahr hatte Ryoga besagten Halbbruder kennen gelernt. Seine Mutter war früher mit einem anderen Mann zusammen gewesen. Dieser hatte sich als etwas exzentrisch herausgestellt – Ryogas Mutter: Total irre sag’ ich dir! – und war zudem noch ein armer Schlucker.

Dafür hatte sich Ryoga prächtig mit dem Sohn verstanden. Sie hatten sogar ähnliche Interessen.

Sie beide mochten Bandanas, bevorzugten einen direkten Kampfstil und hassten eine Person namens Ranma Saotome. Zufälle gab es, die gibt es gar nicht.

Diese schöne Erinnerung führte ihn zu einer weniger schönen. Sollte er Akari ebenfalls eine Nachricht zukommen lassen? Er kaute geistesabwesend auf der Unterlippe.

Nachdem er seiner Brieffreundin gegenüber einmal verlautbart hatte, was er eigentlich von Schweinen hielt, war diese nicht ganz so gut auf ihn zu sprechen. Ihr „Du Schwein!“ zu Beginn des letzten Briefs klang nicht wirklich wie ein Kompliment. Besser er ließ es. Man soll schlafende Eber ja nicht wecken.

„Welchen Manga liest du da eigentlich Saotome?“

Die Dämonin schaute auf und schnippte den lodernden Zopf beiläufig über die Schulter.

„Dragon Ball Z, warum?“

Er hätte jetzt etwas sagen können. Wenn er sich allerdings daran erinnerte mit wem er hier sprach, erübrigte sich jede Mühe. Manche Menschen sahen gerne Aktionfilme, eine zweite Gruppe schlief mit einem Revolver unterm Kopfkissen. Ranma zählte zur dritten Gruppe. Sein Leben war ein einziger Aktionfilm und er schlief auf dem Revolver.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 18 – Hieb- und stichfest.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Die kleine Puppe stolperte ins Bad. Schlaftrunken rempelte sie auf dem Weg dorthin gegen einen Schrank und die Badezimmertür. Akane war so freundlich die Klinke danach runterzudrücken.

Ihre kleinen Füße trugen sie zum Waschbecken, zu dem sie aus blutroten Augen hinaufstarrte. Ihr Gesichtsausdruck hätte dabei jeden Puppenmacher zu einem epileptischen Schock verleitet. Puppengesichter sollen Schönheit, Kindlichkeit und Unschuld ausdrücken – dieses Puppengesicht war einfach nur angemieft.

Kommentarlos half ihr Akane zum Waschbecken hoch und reichte ihr sodann eine Zahnbürste, die annähernd so groß wie Ukyo selbst war. Kuonjis Versuch sich damit die Zähne zu putzen, hätte gewiss für einige Lacher gesorgt – vorausgesetzt man hatte keine Verwendung mehr für die eigenen Augen, die dieses süße Püppchen sodann gezielt ausgestochen hätte.

Lustlos schrubbten die Mädchen ihre Zähne blütenweiß.

Bei nächster Gelegenheit musste Ukyo Happosai umbringen.

Sie war leichenblass – nicht unüblich bei einer Puppe - und die Schuld dafür trug der alte Perversling. Gestern Nacht hatte er einen seiner gedopten Knallfrösche im Haus gezündet und Herrn Saotome aus dem Dach gesprengt. Was der alte Panda auf dem Dachboden verloren hatte, konnte sie sich allerdings nicht erklären.

Irgendetwas verriet ihr, dass der quälende Gestank im Korridor etwas damit zu tun hatte. Auf ihren fragenden Blick hin hatte Akane nur unsicher gelächelt und etwas von Insektentod genuschelt.

Seltsam, kam ihr irgendwie bekannt vor.
 

Ranma gähnte ungnädig.

Dass man Damenhaftigkeit von ihr nicht zu erwarten brauchte, muss man an dieser Stelle nicht extra erwähnen. Das ein normaler Mensch – Piccolet Chardin III. und seine Sippe großzügig ausgenommen - den Mund derart aufreißen kann, hinterließ dennoch gemischte Gefühle beim Betrachter.

Ranma war langweilig.

Es war schon mal ganz schön sich ein wenig auszuruhen, den Körper baumeln zu lassen, - bevorzugt ohne Strick – und verlorene Kraftreserven aufzufrischen. Das änderte trotzdem nichts daran, dass ihr zutiefst und aus ganzem Herzen langweilig war.

Den Manga hatte sie vor Minuten zu Ende gelesen.

Son Goku hatte gewonnen – mal wieder. Manchmal kam es ihr so vor, als hätte der Zeichner sie als Vorbild für den stachelhaarigen Krieger verwendet. Immerhin war sie cool, witzig, sympathisch, bescheiden, unbesiegbar und voller Mut. Die kleine Dämonin seufzte. Die Selbstbeweihräucherung klemmte ihrer Langeweile auch nicht den Saft ab.

Minuten vergingen wie Stunden, Stunden wie Tage und Tage wie etwas, das sich wie alter Honig zog und mindestens genauso stank.

Konnte man ihr, Ranma Saotome, Mann unter Männern, Kampfsportkoryphäe und Pascha wider Willen das verübeln? Hey, sie war immerhin unter Genma aufgewachsen! Dort wo sie selbst nicht für Unfug sorgte, da bewies ihr Vater von wem sie dieses unleidige Talent herhatte.

Der Rotschopf faltete die Finger ineinander und streckte die Arme geräuschvoll durch. Ein knapper Blick zu Ryoga bestätigte ihre Vermutung: Mr. Reißzahn war wieder am Brüten. Vielleicht hätte er in die Quelle der Ertrunkenen Henne fallen sollen, dass wäre passender als ein Ferkel gewesen. Um ein richtiges Schwein zu sein, fehlte Hibiki einfach das Rückgrat – oder war es der Speck?

Ranma schnippte ihr brennendes Anhängsel über die Schulter zurück.

Irgendwann würde sich Ryoga nochmal wirklich den Kopf zerbrechen. Obwohl bei seiner Betonbirne da wenig Hoffnung bestand und selbst wenn, bei Ryoga hinterließ das keine bleibenden Schäden. Bei Ryoga hinterließ nichts bleibende Schäden.

Ranmas Gesicht klarte auf.

Ein guter Kommentar aus ihrem Munde und Ferkelchen war wieder sein altes, verärgertes, entnervtes und gewalttätiges Selbst. DANN war ihr nicht mehr langweilig. Beflügelt von ihrem Einfall Schritt das halbe Mädchen sofort zur Tat – und wurde von einem Pling! unterbrochen.

Blutroten Zeichen formten sich auf dem Display zu einem [Bitte eintreten].

Die finale Herausforderung wird Ihnen präsentiert von Arktiswind. Wir kühlen bis die Hölle zufriert!

Ranma und Ryoga warfen sich vielsagende Blicke zu und schritten zum Tor vor. Der daran wuchernde Kristall hatte erneut eine andere Farbe. Es war diesmal ein dunkles Rot, das man mit Sonnenbrand und Karottensalat verband. Kurzum, es wirkte nicht allzu beruhigend.

„Was denkste isses diesmal?“

„Nach den ganzen Bossgegnern?“, Ryoga rieb sich den Nacken und grinste. „Kuno?“

Für einen Augenblick stockte Ranma der Atem.

Ryoga Hibiki, Nachtschattengewächs und Schwarzseher, hatte einen Witz gerissen. Sensible Menschen nutzen solche Situationen und bauen das Selbstwertgefühl ihrer geprügelten Kameraden auf. Ranma Saotome war nicht sensibel. Trotzdem zwang selbst sie sich ein Lächeln ab.

Ryoga Hibiki war nämlich trotz a) den Morddrohungen, b) dem unerlaubten Aufenthalt in einem fremden Bett und c) den immerwährenden Streitereien einer ihrer engsten Freunde. Das sagte viel über ihre sozialen Fertigkeiten aus, leider hörte Ranma nur nicht zu.

Ohne viele Worte einigten sich die Kindheitsfeinde darauf, dass die Dämonin das Tor aufstieß. Das tat sie dann auch und wurde mit einem heiseren Quietschen belohnt. Rostspuren blieben auf dem Boden zurück.

„Nich’ viel Verkehr“, konstatierte der Rotschopf, wozu Hibiki zögernd nickte. War augenscheinlich schon lange keiner mehr da gewesen. Dem Gesetz der Steigerung nach gibt es stets eine größere Herausforderung. So folgt jedem Fisch ein Hai, jedem Schneeball eine Lawine und auf jedes Gerücht eine Talkshow.

Mit einem klammen Gefühl im Bauch traten die Kampfkünstler in einen Tunnel, an dessen Ende ein Licht glühte. Eine Glühbirne aber sah anders aus.
 

Akane lief neben ihrer Schwester her. Beiden Mädchen blieben noch gut zwanzig Minuten bis zum Unterrichtsbeginn, aber jede benötigte ebendiese zwanzig Minuten für ganz persönliche Angelegenheiten. Nabiki musste noch ein paar ihrer Schuldner höflich darauf hinweisen, dass Geld nicht auf Bäumen wuchs – sondern aus dem Stamm stammte, sozusagen – und Akane stand ihr morgendliches Treffen mit Kuno bevor.

Auf diese Weise trennten sich die Wege der Schwestern am Schultor. Während Nabiki im schnellen Schritt den Schulhof durchquerte, verharrte Akane und nahm präventiv die Arme hoch. Abwartend beäugte sie den Baum, hinter dem sich der Kendoka nur zu gerne verschanzte.

Es verging eine Minute, daraufhin eine weitere. Es tat sich noch immer nichts.

Verwirrt trat Akane auf den Baum zu und spähte dahinter. Sie war überrascht, als vom Hobby-Samurai jede Spur fehlte. Wo zum Geier war er? Kam er heute vielleicht nicht zur Schule?

„Holde Akane, welches Glück verschlägt dich an den Hort meiner Gedanken?“

Zu früh gefreut.

Verärgert wandte sich das Blauhaar zum Kendoka um – und stutzte.

Der junge Mann vor ihr trug kein Hakama. Er trug ebenso wenig einen kimonoartigen Überwurf. Völlig korrekt gekleidet stand er in der Schuluniform vor ihr. Nur der Bokken über seiner Schulter verwies auf seine Möchtegern-Samurai-Tendenzen.

„O-Oberschüler Kuno?“

„Fürwahr Akane Tendo, dieser stolze Name ist der meinige.“

„Du trägst die Schuluniform?“

„In der Tat. Als die Vögel mich morgens zum Tagewerk riefen, fühlte ich mich geneigt, mich in diesen Stoff zu hüllen. Tat ich falsch daran?“, fragte er in ehrlicher Verwirrung.

„N-Nein. Es ist nur – ungewohnt“, stammelte Akane und erntete ein freundliches Nicken des Schwertkämpfers.

„Nun denn, nur zu gerne würde ich mich dem Gespräch mit dir widmen, doch die Pflicht der Bildung ruft und ich gedenke zu folgen.“ Mit einer angedeuteten Verbeugung spazierte der Kampfkünstler an Akane vorbei in die Schule. Das Blauhaar blieb zurück und sah dem Jugendlichen kuhäugig nach.

Erst als die Schulglocke ertönte, besann sie sich und hetzte durchs Foyer, die Treppen hinauf und schlitterte in ihr Klassenzimmer. Außer Puste sank sie an ihrem Sitzplatz nieder und fächerte sich Luft zu.

„Alles in Ordnung Akane?“, fragte ihre Freundin Yuka.

„Hm-Hm. Kuno war heute nur echt eigenartig.“

„Nicht verwunderlich“, kommentierte Yuka und rieb sich mit dem Zeigefinger die Nasenspitze. Verwundert spähte Akane zu ihr.

„Na, in letzter Zeit ist doch wirklich vieles verrückt. Okay, verrückter als früher. Da wären Ranma und Ukyo, die verschwunden sind. Obendrauf kommt, dass das Ucchan’s geschlossen ist und sich der alte Lustgreis einen Lehrling angelacht hat“, erläuterte die Schulfreundin und zählte jeden Punkt an der Hand ab. „Wenn jetzt Kuno komisch wird, ich mein’ noch komischer wird, dann ist das nur das Sahnehäubchen.“

Akane kräuselte die Stirn.

Yuka hatte nicht Unrecht. Nerima war noch nie ein ruhiger Ort gewesen. Seit Ranma hier Stellung bezogen hatte, war es sogar noch verrückter geworden. Es folgten haufenweise Herausforderer, das Dojo musste jede Woche rundum erneuert werden und es gab immer wieder eine Zugabe.

Jetzt war Ukyo eine Puppe, Ranma und Ryoga überirdische Gestalten und sie selbst jagte Dinge mit einem Schriftzug in die Luft.

Die Sache stank doch zum Himmel!
 

Mousse lag auf der Lauer. Er war erschöpft vom Küchendienst. Die alte Schabracke hatte ihn mal wieder herumgescheucht und jede Arbeit übertragen, die sie finden konnte. Manchmal kam es ihm so vor, als würde sie sich die Arbeiten höchstselbst ausdenken, nur um ihn quälen zu können.

Ohne lange Vorrede: Er hatte keine Lust auf Happosai.

Leider hielt sein Sensei nicht viel von Einwänden und noch weniger von handgreiflichem Protest. Happosai hatte ihn kurzerhand aus dem Nekohanten entführt und ihn soeben auf ein Dach plumpsen lassen. Murrend richtete sich der Chinese auf und überblickte ein weitläufiges Gelände.

Die Gartenanlage war großzügig angelegt, es plätscherte und wucherte, wo man auch hinsah. Es gab sogar einen massiven Teich, in dem man ein Krokodil halten könnte.

Warte mal – da WAR ein Krokodil.

Erst jetzt fielen Mousse die massiven Umgrenzungsmauern auf, die Unbefugten den Eintritt verwehren sollten. Der junge Mann rieb sich den Nacken und lächelte gequält. Er hatte so eine Ahnung, dass er der Unbefugte sein würde.

„Heut’ steigste da ein und holst mir ’n Schatz.“

Der Amazone schluckte schwer.

„A-Aber, dass ist das Kuno-Anwesen“, stellte Mousse fest.

„Uh-hu. Cleveres Bürschchen.“

„Aber von w-wem?“

Der Großmeister des Musabetsu Kakuto Ryu grinste selbstgefällig.

Dem Anschein nach zufällig landete ein schwarzes Blütenblatt auf dem Handteller des Alten, wo dieser es abschätzig unter Augenschein nahm. Dann zuckten die stechenden Pupillen Happosais zum Tellerwäscher, der innerhalb weniger Wimperschläge aschfahl geworden war.

„Da haste deine Antwort. Viel Spaß Jungchen.“

Der Greis sprang mit lautem Gackern davon und überließ seinem Protegé die Bühne. Fassungslos schaute Mousse ihm nach und wandte die Augen erst ab, als seine Dioptrienzahl die Flagge hisste. Er konnte nicht glauben, dass er sich auf so was einließ.

Der junge Mann ballte die Hände in den Ärmeln der Robe und machte einen gewaltigen Satz. Noch wusste er es nicht, aber sein Training ging in die nächste Runde.
 

Tatewaki Kuno genoss die kühle Abendluft.

Einmal mehr saß er auf der Veranda in seinem Lehnstuhl und nippte an warmem Tee. Faul und schläfrig drehte der Dampf Kreise in der Luft und stieg zum Himmel hinauf. Am Horizont verschmolz die Sonne mit den Dächern.

Der heutige Tag war ein zutiefst seltsamer gewesen. Da war einerseits dieses Bedürfnis danach, sein geliebtes Hakama im Schrank zu belassen und sich anstelle dessen der Schuluniform zuzuwenden. Es erschien ihm irgendwie – normaler?

Welchen Grund aber hatte ein Kuno dafür sich ‚normal’ zu benehmen? Ein Kuno war von hohem Geblüht, es stand ihm demnach frei sich so zu gebärden wie er es als richtig erachtete. Und dennoch verhielt er sich konträr zu seiner Überzeugung.

War diese Schose schon arg eigenartig, so fand er für sein morgendliches Verhalten keine Worte. Seine geliebte, im – nicht so – Stillen verehrte Akane Tendo hatte völlig wehrlos und ahnungslos seiner gedacht und am majestätischen Baum gewartet. Dort, wo er sich sooft nach ihrer Hingabe und Zärtlichkeit verzehrte, hatte sie sich nach ihm gesehnt – und doch fiel der Wunsch sie in den Arm zunehmen von ihm ab. Er verspürte einfach kein Bedürfnis danach ihr seine Zuneigung kundzutun.

„Fürwahr ein Rätsel“, sinnierte er und lauschte den Vögeln.

Veränderte er sich wohlmöglich? Heftig schüttelte der Kendoka den Kopf. Was für ein himmelschreiender Unsinn! Er war perfekt, ein tadelloser Schwertkämpfer und einfühlsamer Poet, ein Mann nach dem sich die Frauen verzehrten. Er war kurzum –

„ – Tee, Meister Kuno?“

Ganz genau, er war Teemeister Kuno! Und jeder, der ihm das abstreiten wollte, würde…

„Huh?“

„Möchten Sie noch ein wenig Tee, Meister Kuno?“, näselte Sasuke und hielt die Porzellankanne nachdrücklich hoch. Seine Schnurrhaare zitterten nervös.

„Ja. Ja, Sasuke. Gerne.“

Der Diener füllte wie geheißen die Tasse auf und entschwand in die Schatten. Ein unterdrückter Schmerzensschrei und das Geräusch von Zeh gegen Holz zerstörte die Illusion eines fähigen Ninja.

Tatewaki ließ sich davon nicht beirren und nippte am Gebräu. Ein guter Tee.

Man merkte, dass er der Reichweite Kodachis bisher verwehrt geblieben war. Seine rechte Gesichtshälfte funktionierte noch einwandfrei und die Flüssigkeit blieb erholsamerweise im Magen.

Kunos Augenbrauen donnerten unversehens aneinander.

War da nicht eben etwas gewesen? Das Geräusch von flinken Füßen, die sich ihren Weg über Dachschindeln suchten? Der Kendoka verengte die Augen zu gefährlichen Schlitzen. Er kannte das Geräusch nämlich nur zu gut. Sasuke eilte öfter als nötig über die Dachschräge, um im Training zu bleiben.

Tatewaki konnte sich allerdings sicher sein, dass Sasuke im Haus war und nicht darauf.
 

Shampoo inspizierte ihr Umfeld.

Der Schein der untergehenden Sonne war hell genug, um die umliegenden Dächer klar zu erkennen. Was sie erkannte war, dass sich nichts regte. Das wiederum machte sie sauer.

Seitdem Cologne ihr den Auftrag gegeben hatte den Alten aufzuspüren, hielt Shampoo ständig Ausschau nach dem unterwäscheverrückten Zwerg. Das Problem war nur, dass wenn Happosai nicht aufgespürt werden wollte, er nahezu unsichtbar war – und Happosai wollte nur selten aufgespürt werden.

„Shampoo! Lang nich’ gesehen, eh?“

Aufgeschreckt schoss das Mädchen in die Höhe, verwandelte den Sprung in einen geschickten Salto und kam gefechtsbereit auf. Ein Grollen verließ ihre Kehle, als sie mit dem Bonbori auf den Gnom deutete.

„Shampoo wollen Rache! Shampoo schlagen!“

Der Großmeister legte hierzu den Kopf schief und lächelte unschuldig.

„Aber, aber Shampoo. Warum sollte ich dich denn schlagen wollen?“

Die Amazone knurrte verdrossen. Wie sie diese Sprache doch hasste. Kaum öffnete sie den Mund, kam irgendein Quatsch hervorgesprudelt und führte zwangsläufig zu Missverständnissen. Dabei war sie alles andre als dumm. Aber erkläre das mal jemandem, wenn dich bereits die Erklärung dumm klingen lässt.

„Hiya!“

Ihr Bonbori hämmerte ins Dach und Happosais Füße gegen ihren Hinterkopf. Daraus resultierte, dass Shampoo einen Überschlag und eine Bruchlandung machte. Schmollend und mit erhobenem Hinterteil lag sie in einem Debakel, das man nur nach Abstrichen als Dach bezeichnen konnte. Happosai paffte derweil vergnügt an seiner Pfeife und genehmigte sich einen Grabscher ans junge Hinterteil der Amazonin.

Ihr wenig ansehnlicher, dafür umso effektiverer Eselstritt brachte ihn immerhin auf Distanz.

„Fang mich, fang mich! Yahahahaha!“

Und mit dieser Bitte um Prügel schoss der Großmeister des Musabetsu Kakuto Ryu davon, eine kleine Chinesin mordlüstern auf den Fersen. Wo immer der Alte kurz verharrte, schlug ein Bonbori mit der Wucht einer Kanonenkugel ein und erbebten die Betten samt Besitzer darunter.

Trotzdem sahen die Bewohner der geschändeten Häuser tunlichst davon ab, sich zu beschweren. Das wäre höchst unklug, wer weiß, man könnte eine Antwort bekommen und noch dazu VON OBEN. In Nerima kommt nämlich nur selten etwas Gutes, sei es Regen, Schutt oder Kampfsportler.

Im Vorbeilaufen griff Shampoo die geworfene Eisenkugel auf und schleifte das enorme Gewicht hinterher, ehe sie den Bonbori vor dem Absprung überkopf hob. Erneut zielte sie und am Zenit ihres Sprungs schleuderte sie die Waffe auf den Greis. Flink wie eh und je wich Happosai mit einem schnellen Vorwärtsschritt aus. Auf dem erzeugten Wind – der verdrängten Luft zum Dank - ließ der Alte sich sogleich zum nächsten Dach tragen. Dass er dabei ein heiteres Gackern in die Nacht entließ, besänftigte Shampoo nicht wirklich.

Sie war nicht die beste Kriegerin ihrer Generation, um von diesem Zwerg zum Narren gehalten zu werden! Sie würde dem Unterwäschegnom Mores lehren und davon farblich abweichend, grün und blau prügeln. Immer vorausgesetzt, er fiel ihr sprichwörtlich in die Hände.

In dieser Facon verlief die Verfolgungsjagd über mehrere Dachgiebel hinweg. Happosai tänzelte über die Ziegel, Shampoo zerschmetterte sie. Das Mädchen warf ihre Bonbori, der Greis wich aus. Es war ein Katz-und-Maus-Spiel. Leider war die Maus in dieser Variante des Spiels verdammt wendig und keinesfalls bereit sich ihrer Strafe zu stellen. Die Katze dahingegen watschelte auf viel zu großen Pfoten hinterher und patschte entnervt nach ihrer Beute.

Unerwartet hielt der alte Mann an, vollführte einen Seitwärtsschritt und entging der Eisenkugel, die Shampoo vorausgeschickt hatte. Mit der Zweiten hieb das Mädchen simultan zu ihrer Landung auf den Greis ein, der die Attacke am Pfeifenkopf abgleiten ließ und ins Dach schickte.

Bevor das Mädchen irgendwie reagieren konnte, heftete sich Happosai bereits an ihre Oberweite und vergrub sein verschrumpeltes Köpfchen dazwischen. Shampoos entsetzter Wutschrei stachelte ihn förmlich an, die Kopfnuss dahingegen beendete seine Untriebe.

Bevor das Mädchen ihre Waffen wiederaufnehmen konnte, tippte sich der Alte bereits an die Stirn und katapultierte sich eiligst über die Dächer hinweg. War er vorhin eine flinke Maus gewesen, so war er jetzt eine flinke Maus, deren Schwanz in Flammen stand und die einen gehörigen Appetit auf Käse verspürte.

Das Mädchen seufzte und plumpste auf den Hosenboden.

Für heute hatte die Jagd keinen Sinn mehr. Wenn der Alte einen auf Ernst machte, war es nahezu unmöglich mit ihm gleichzuziehen. Weder im Kampf noch in der Geschwindigkeit brachte sie das zustande. Ihre Urgroßmutter hätte eine gesunde Chance dem Perversen eins auszuwischen, tat es aber nicht. Sie um ihre Hilfe zu bitten, hätte ebenso wenig Sinn.

Schließlich war es Cologne selbst, die ihr den unseligen Auftrag erteilt hatte: Fang Happosai.

Damit blieb ihr nichts übrig, als dem Übel jeden Abend aufs Neue ins Auge zu sehen. Sicher, es war ein solides Training, aber auf das Gegrabsche konnte sie nun wirklich verzichten.
 

Mousse schlich über die Dachschräge, behutsam niemanden zu alarmieren. Sobald er im Besitz des Zielobjekts war konnte ruhig die Hölle losbrechen, doch vor der Sicherstellung wäre das äußerst unpraktisch. Der Meister der versteckten Waffen lächelte versonnen.

Das erinnerte ihn an seine Zeit im Amazonendorf. Dort war es nicht untypisch für die Jungs sich im Frauendistrikt herumzutreiben, ohne Genehmigung versteht sich. Nur selten blieb dabei der Besuch einer heißen Quelle aus – und nur sehr, sehr selten ging es dabei um die Körperhygiene.

Hach ja, schöne Erinnerungen.

Ein Auffrischen des Windes holte ihn in die Gegenwart zurück.

Davon abgesehen, dass er sich auf dem Kuno-Anwesen befand, sah dieser Auftrag eigentlich ganz leicht aus. Den Schatz finden und sich klammheimlich davonmachen. In der Mädchenumkleide hatte er schlimmere Ängste ausgestanden und das Lynchen danach hatte die unschönere Seite der Nostalgie wachgerüttelt. Es sei gesagt, die Nostalgie ist ein Morgenmuffel und kein Kaffee der Welt kann sie besänftigen.

So betrachtet war es schon erstaunlich. Egal wie zivilisiert sich die japanischen Mädchen gaben, in den Tiefen ihrer Herzen waren sie dennoch waschechte Amazonen. Letztlich war es nämlich egal, ob du von einem Kampfstab oder einem Besen getroffen wurdest – beides ließ dich wünschen, nie entdeckt worden zu sein.

Der Teich unter ihm plätscherte und Midorigame, das Hauskrokodil der Kunos, beäugte den flinken Happen gierig. Wahrscheinlich hatte sich heute noch keine Nachbarskatze hierher verirrt.

Mucksmäuschenstill trippelte Mousse weiter und erstarrte. Hätte er keine Maske getragen, so wäre die Welt Zeuge eines überbordenden Grinsens geworden. Da hing der ‚Schatz’ an einem Wäscherad außerhalb eines Fensters, perfekt zugänglich vom Dach aus und unschuldig in einer Brise schaukelnd.

Das war ja schon zu einfach - kein Wunder also, dass es so nicht blieb.

„Welcher Narr wagt es, die Ruhe eines Kunos zu stören?“

Der Unterwäschedieb in Ausbildung rieb sich irritiert den Nacken. Sollte er zu dieser Aussage ernsthaft Stellung nehmen? Wer von ihnen beiden der größere Narr war, dürfte ja wohl klar sein!

Selbstüberzeugt und mit flatternder Robe schwang Mousse herum.

Der Kendoka stand seinerseits im Licht des Mondes und ein Bokken ruhte mit irreführender Lässigkeit auf seiner Schulter. Kuno lächelte überlegen und reckte die Nasenspitze.

„Finsteres Gesindel wie deinesgleichen scheint es vorzuziehen, die Kunst der Rhetorik dem Adel zu überlassen. Eine weise Entscheidung Assassine.“

Mousse verdrehte die Augen.

Das einzig finstere hier war der Zustand in Kunos Oberstübchen. Der Chinese ließ sich ja vieles nennen. Angefangen bei Tellerwäscher über dumme Ente bis zu Ente süß-sauer war alles vertreten. Zum Attentäter degradiert zu werden, wurmte Mousse dann doch.

Amazonen töten aus Stolz, Können oder weil sie einen schlechten Tag hatten – aber niemals töteten sie für Geld. Vielleicht musste mal jemand Kuno eine Lektion erteilen?

Mousse bereitete ein paar Ketten samt Gewichten vor. Die Sache würde ganz schnell gehen.

Kuno war zwar nicht schlecht, aber hier in Nerima war er ein Würstchen –

Rasendschnell peitschten die Ketten auf den Anführer des Kendoclubs zu. In Kürze würde er verschnürt und bewegungsunfähig herumrobben und seine schlechte Poesie verbreiten. Unerwartet huschte der Schatten eines Schwertes durch die Luft, die Ketten rasselten in zehn Zentimeterstückchen zu Boden.

- oder vielleicht hatte dieses Würstchen noch seine Beißerchen.
 

Der Blaue Donner der Furinkan Oberschule bedachte seinen Gegenspieler mit Verachtung und zusammengerückten Augenbrauen. Tatewaki Kuno war über alle Maßen missgestimmt. In Gedanken hakte der Schwertkämpfer die Ärgernis-Liste ab:

1. Er schätzte es nicht, wenn Fremde sein Eigentum durchquerten.

2. Er schätze es sogar noch weniger, wenn ebendiese Fremden es nicht einmal für nötig erachteten, ihn um Erlaubnis zu fragen.

3. Er schätze es überhaupt nicht, wenn besagte Fremde ihn auf seinem Eigentum so unerlaubt wie ungefragt angriffen.

In einer hinterhältigen Bewegung schleuderte ihm der düstere Geselle mehrere Wurfgeschosse entgegen. Doch beileibe, WAS für Wurfgeschosse das waren!

Ein Schwadron an Melonen bewegte sich auf direktem Kollisionskurs zu ihm. Eingangs schon hatte ihn sein Gegner damit überrascht. Da warf dieser Irre doch glattweg Melonen nach ihm, an diese er wiederum irrigerweise Ketten befestigt hatte! Wie konnte man nur eine derartige Obsession zu diesen Teufelsfrüchten hegen?

Ihm, dem glorreichen Erben der Kunolinie, waren Melonen ein Graus. Seit seiner Trainingsreise auf die sagenumwobene Meloneninsel weckten diese grünen Biester Gefühle der Raserei in ihm. Er musste sie förmlich zerhacken und spalten bevor er Ruhe fand. Gerade am Strand gestaltete sich dieser Reflex manchmal unangenehm.

In einer rasanten Bewegung holte er die sechs Melonen aus der Luft. Überraschenderweise erwiesen sich die bösartigen Vitaminkugeln als so stur, dass sie sich tief ins Holz des Bokkens bohrten. Fürwahr, dass waren Höllenkreaturen, gewiss mit dem Zauberer Saotome und seinem Lakaien Hibiki im Bunde!

Der Verhüllte kannte keine Rast und förderte alsbald blitzenden Stahl aus dem weiten Ärmel zu Tage. Kuno konnte nur lachen und hob die Nase noch ein wenig höher. Ihn, den Meister der Klinge, in der Schwerkunst herausfordern, glich dem Versuch einen Vogel im Fliegen zu übertrumpfen. Es war Irrsinn.

Die Erheiterung fiel von Tatewaki ab. War es denn zu fassen? An der Spitze des Schwertes lauerte doch wahrhaftig eine weitere Melone. Wutentbrannt blockte der Kendoka den Schwerthieb von Mousse mit dem Bokken und ließ sich auch von der Physik nicht in die Suppe spucken. Er spuckte selbst rein und zerbrach den Teller kurzerhand überm Kopf der Naturgesetze.

Das eiserne Schwert fiel zweimal zu Boden. Erst kam die Schneide auf, dann rutschte das Heft aus der Hand des Fremden.
 

Taktischer Rückzug!

Das lief überhaupt nicht wie geplant. Kuno sollte ein einfältiger und mindestens so unfähiger Samurai der Moderne sein. Es war nie die Rede davon gewesen, dass er von Tatewaki Prügel bezog! Diese Schmach würde er niemals überleben – vorausgesetzt er überlebte Tatewaki.

Der wandelnde Witz Nerimas konnte nur Glück gehabt haben, alles andere war ausgeschlossen! Kuno war nicht gut, er hatte einfach nur Glück und davon zuviel.

„Elender! Du wagst es mich mit jenen grünen Dämonen zu bewerfen? Und wäre dem nicht genug der Schande, da entehrst du die Klinge deines Schwertes durch die Trophäe eines dieser Teufel?“

„Huh?“, antwortete Mousse intelligent. Sofort durfte er einem Schwertschlag ausweichen.

Eins ums andre Mal sprang er zwischen den Hieben hin und her. Kuno war gnadenlos in seinem Ansturm.

Ein besonders aggressiver Hieb Kunos zwang Mousse dazu sich nach hinten zu lehnen. Genau das tat er dann auch und verlor in der Eile des sprichwörtlichen Gefechts das Gleichgewicht. Ohne den Zuckerguss jeder Grazie landete er auf den vier Buchstaben.

Und der Bokken raste auf ihn zu.

Unter anderen Umständen hätte er gelacht. Hey, es war schließlich nur ein Holzschwert. Allerdings war es ein Holzschwert, das sich nicht an die physikalischen Gewohnheiten von Holz gebunden fühlte. Es zerbröckelte Wände wie Konfetti!

„Takazume Ken!“

Die Stahlklauen an Mousses Schuhen trafen auf den Bokken und hielten ihn für zwei Wimperschläge in Schach. Diese wenigen symbolischen Körnchen in der Sanduhr der Zeit genügten, um sich schwungvoll vom Holzschwert abzustoßen, wegzurollen und irgendwie auf die Beine zu gelangen.

Erschöpft torkelte der Unterwäschedieb in Ausbildung seitwärts und schüttelte benommen den Kopf. Dabei hatte er noch gedacht, dass das locker werden würde. Stattdessen rang er hier um sein Leben und stand einem nahezu unbesiegbaren Trottel gegenüber.

„Warte mal.“

Hinter der Maske verengten sich seine Augen zu Schlitzen und seine Lippen formten eine niederträchtige Linie. Wer verlangte eigentlich von ihm, dass er den Holzkopf bezwang?
 

Besagter Holzkopf lächelte überlegen.

Ein Kuno war ein Samurai und als solcher dem Bauernvolk überlegen. Tatewaki wusste das, er war schließlich kein Idiot. Dennoch überraschte selbst ihn die Leichtigkeit, mit der er den Dieb zurechtstauchte. Es war ein erhebendes Gefühl, einem Schuft den Platz in der Welt zu weisen.

„En garde!“

In einer nahezu unsichtbaren Bewegung raste Kunos Bokken nieder – und verfehlte knapp! Das Phantom war linkisch ausgewichen und hatte einen Stab hervorgezogen. Gedachte dieser Unhold ihn, Tatewaki Kuno, damit auf Distanz zu halten? Lächerlich.

Das Lachen wurde dem Kuno-Erben auch diesmal empfindlich verleidet. Erneut drohte ihm der Fremde mit einer Melone, diesmal auf der Spitze des besagten Stabs. Tatewaki Kuno würde sich nicht verspotten lassen, niemals!

Unbarmherzig donnerte sein prächtiger Bokken gegen die scheußliche Höllenfrucht. Wie sehr er es doch genoss, dieses Geräusch berstender – Tonscherben? Verdattert stolperte Kuno zurück, doch der grüne, stinkende Rauch umwallte ihn innerhalb kürzester Zeit und ließ ihm keine Chance zur Flucht. Dieser Feigling gedachte ihn mit Tricks hinzuhalten?

Schnelle Füße hasteten an dem Oberschüler vorbei und dieser hieb blindlings in die wabernde Wolke, erwischte aber nichts. Wutentbrannt folgte Kuno dem Trampeln der Füße und stürmte geradewegs aus dem Rauch heraus. Und da lief er, der Übeltäter und näherte sich dem offenen Fenster zum Haus!

Wollte dieser Flegel einbrechen, wollte er sie berauben, wollte er – Kuno kniff die Augen zusammen und riss sie weit auf. Der Fremde wollte das geschätzte Mieder seiner weniger geschätzten Schwester entreißen; welcher Frevel! Er musste dem Unhold Einhalt gebieten!

Der Bokken rutschte zu Tatewakis Seite und der Fuß des Kendoka vor, dann griff er an.
 

Es waren wenige Meter, die ihn von dem blöden BH trennten. Es hätten ebenso Meilen sein können.

Unvermittelt explodierten Schindeln zu seiner Linken und Rechten. Im Stakkato verabschiedete sich der obere Belag des Dachs und aus allen Richtungen regnete es Schrapnell auf ihn.

„Oh verdammte - “

Der erste Treffer hämmerte ihm die Luft aus dem Mund, der zweite riss ihn mit dem Stil eines gerupften Hähnchens nieder. Fassungslos verfolgte Mousse wie der Luftdruck Löcher in die Hausfassade stanzte. Es glich einem Wunder, dass nur der BH am Wäscherad unberührt blieb. Vielleicht zeigte das Schicksal aber auch nur seine Zunge?

Das Knirschen von Sandalen rüttelte seinen Überlebensinstinkt wach und so rollte er schleunigst zur Seite, als der Bokken wenige Zentimeter neben ihm einschlug.

Er war ja so was von tot!

Kuno schien diese Zielsetzung mit dem Eifer eines Kreuzritters zu verfolgen. Mousse dagegen fiel es schwer sich als Entenbraten mit Apfel im Schnabel vorzustellen. Außerdem würde der Dampf seine Gläser beschlagen, nicht, dass er dann noch irgendeinen Nutzen für eine Sehhilfe hätte.

Einem Racheengel gleich hob Tatewaki die Waffe empor und Mousse musste hinter der Keramikmaske schlucken. Klar hatte er dem Tod schon mehrfach ins Gesicht gesehen, bei seiner Sicht war er wahrscheinlich mehrfach an Gevatter Tod vorbeigelaufen! Doch so grauenhaft die Situation war, ärgerte ihn trotzdem eines.

Statt an seine Walküre, seinen kriegerischen Engel, seine Inspiration zu denken, trudelte ihm nur das Wort ENTE durch den Kopf. Eine Ente, zwei Enten, drei Enten…

Anscheinend konnte nicht mal sein Tod ehrenhaft verlaufen. Wenn der Quatsch zumindest eine Bedeutung hätte, könnte er sich ja mit dem weißen Gefieder im Kopf abfinden. Aber was war der Sinn von Enten, wenn ein selbstgerechter Wahnsinniger über einem lauerte?

„Nimm’ das Lüstling!“

Ente, Ente, Ente, Ente. Ente? Plötzlich begriff er. Ente!

„Hakucho Ken!“

Blitzschnell schoss der Nachttopf vorwärts und rammte gegen den Bokken. Im nächsten Moment zerbrach die Keramikente in hunderte Stücke und Mousse befand sich nach einer Rückwärtsrolle zwei Meter entfernt von Kuno.

Der Kendoist aber war beharrlich. Wie radotierte er nicht immer so schön? Die Rache des Himmels war langsam, aber sicher. Mal sehen, ob er daran nichts ändern konnte. Einen Versuch war es schließlich wert.

Entschlossen stürzte Kuno auf ihn zu und holte zu einem vernichtenden Schlag aus.

„HARISEN!“
 

Die Attacke war so schnell, dass kaum ein Schimmer im Mondschein aufblitzte. Umso greller sprangen die Funken, als der Schwerthieb abgelenkt wurde. Der Anblick hatte etwas von einem Sägewerk, trockenem Holz und einer echt miesgelaunten Säge.

Unbeirrt tänzelte die Klinge des Kendokas ihren Reigen. Der Schwertstreich war abermals ein Schemen und pfiff durch die Luft; ein weiteres Mal wurde er knapp abgefangen. Die Funken erhellten die Nacht wie ein kleines Feuerwerk und Kuno kniff angestrengt die Augen zusammen.

Welche düstere Magie war das, die der Dieb sein Eigen nannte?

Besagter Dieb ging gebückt auf Distanz. Tatewaki schnaubte. Ein Kuno würde sich von solchen Taschenspielertricks nicht beeindrucken lassen. Ganz im Gegenteil: Er würde das Gesindel beeindrucken!

Bevor der tapfere Schwertkämpfer Taten auf Worte folgen lassen konnte, kam ihm der Vermummte entgegen – und zwar mit einem Schwarm an Melonen, die auf ihn zurasselten. Souverän hieb der Oberschüler das widerliche Grünzeug aus der Luft und wässerte das geplagte Dach mit fiktiven Vitaminen und imaginärem Fruchtfleisch. Unerbittlich hackte er auf die Teufelsfrüchte ein bis der Ansturm unvermittelt versiegte.

Als er stolz von seinem Werk aufsah, fehlte das erwartete Publikum und nebenbei das Fruchtmassaker zu seinen Füßen. Wie konnte das aber sein? Missmut zeichnete ihn, als er zum verteidigten Schatz spähte. Leider blieb nicht viel zum Spähen, da der Schatz inzwischen fehlte. Der Erbe der Kuno-Linie war geschlagen worden – ohne geschlagen worden zu sein.
 

Mousse lachte ungläubig und achtete darauf leise zu lachen.

Kuno hatte sich allen Ernstes davon ablenken lassen? Während der Trottel Ketten aus der Luft schlug, hatte der Chinese ein leichtes Spiel gehabt und den Büstenhalter in seine Gewalt gebracht. Obwohl es absurd klang, musste er dem Tölpel sogar dankbar sein.

„Harisen“, summte er vergnügt.

Er hatte eine brandneue Technik im Arsenal UND was für eine! Wer hätte für möglich gehalten, dass er aus der alten Hakucho Ken noch was machen könnte? Doch so wie steter Kampf den Körper schult, so scheint der Verstand früher oder später – nach einigen Startproblemen und gezielten Tritten - nachzuziehen. Und es stank nicht mal nach verbranntem Gummi!

Es war jetzt soweit, dass die Erschöpfung ihm die Beine wegzog und er aufs Hinterteil plumpste. Seine Arme waren schwer wie Blei und das war nicht, weil er Blei im Ärmel trug. Mühsam rückte er die Maske hoch.

Er war dem Verfechter schlechter Lyrik und zertretener Poesie mit Müh und Not entkommen. Weder Keramik noch Metall hatten den Schlägen Tatewakis widerstehen können, die Harisen aber hatte es vollbracht.

Eigentlich war die Harisen nur eine abgewandelte Hakucho Ken. Statt wie ein Vogelschnabel zu pieken, schlug er wie mit einem Flügel. Das Resultat konnte sich allerdings sehen lassen! Die verdrängte Luft hatte den Bokken erfolgreich auf Distanz gehalten und wie ein dünner Schutzfilm verhindert, dass die vernichtende Gewalt des Schwertesschlages den Nachttopf zerbrach.

Mousse rückte die Brille zurecht.

Erst die Happodai Karin und jetzt die Harisen – sein Training trug endlich Früchte.

So zufrieden war Mousse, dass er sich für die Dauer eines Augenblicks selbst vergaß. Als Resultat lachte er schallend und wie ein drittklassiger Bösewicht in die Dunkelheit.

Das war genau der Augenblick, in dem eines der ungeschriebenen Gesetze Nerimas fasste, die Zahnräder in Schwung und die Schicksalsmaschine zum Laufen brachte. Das Gesetz trägt den unbeeindruckenden Namen: Schlechtes Lachen.

Damit ist nicht gemeint, dass eine Person besser als eine andere lacht. Lachen ist tolerant und wie allseits bekannt ansteckend. Lachen kann dafür sehr böse klingen und wer sehr böse lacht, der lacht nicht sehr lange.

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Dauer des Gelächters mit der Gefährlichkeit des Helden korreliert, der den Bösewicht in seine Schranken verweist. Dabei ist es vollkommen egal, ob man wirklich böse ist oder lediglich so tut. Unähnlich dem Lachen, hält die Gerechtigkeit nur bedingt etwas von Toleranz.

Eine massive Explosion von Dachziegeln und Holzbalken unterstrich die These zweifach und setzte ein Ausrufezeichen dahinter. Geistesgegenwärtig klappte der Amazone die Maske zurück, ehe drei Wurfmesser im Schatten seines des rechten Ärmels aufblitzten.

Wo war der Angreifer?

Ein Kampfschrei von oben erregte seine Aufmerksamkeit und er ruderte kurzatmig nach hinten. Wie eine Walküre stürzte Shampoo auf ihn hernieder. Ihr verbliebener Bonbori grub sich vor die Füße des Unterwäschediebs. Der Drall der Attacke hob ihn auch sogleich von diesen und warf ihn zurück auf den Hintern.

Die exotische Schönheit erhob sich mit katzenhafter Grazie zu voller Höhe. Ihr Haar zog wie eine Myriade glänzender Schwerter hinterher und wirbelte zornig in einer Brise auf. Shampoo sah zum Sterben schön aus.

Er hatte nur eigentlich nicht vor den Löffel abzugeben – und auch keines seiner Schwerter, Messer oder Jo-Jos. Seine Verehrteste sah zudem nicht so aus, als wäre sie in Schmuselaune. Sie wollte ihn viel eher serviergerecht kurz und klein hacken!

„Wer du sein? Shampoo nicht kennen!“, fauchte das Mädchen und deutete mit ihrem Bonbori auf ihn. Der Chinese öffnete den Mund, haderte, klappte ihn zu. Dann überlegte er.

Wenn sie seine Stimme hörte, wusste sie wer er war. Wenn sie wusste wer er war, wäre sie höchst unerfreut. Wenn sie höchst unerfreut war, würde er für die nächsten Monate in keinem Zustand für ein Duell mit Saotome sein. Das Teufelchen auf der rechten Schulter gratulierte ihm zu dieser Einsicht, der Engel auf der linken Schulter atmete erleichtert auf und reichte dem Teufel die Hand.

Mousse verlagerte sich auf ein Schulterzucken.

„BH!“, intonierte das Mädchen unerfreut.

Fragend legte er den Kopf schief.

„Nicht deiner sein.“

Mousse folgte Shampoos Gletscherblick und starrte auf den schwarzen Büstenhalter in seiner Hand. Er schluckte tief und spähte zu seiner Angebeteten. Wie gerne würde er die Sache erklären, wenn er a) nur reden dürfte und b) eine Ahnung hätte, was er sagen sollte. So aufgewühlt war er vom Erfolg der Mission gewesen, dass er glatt vergaß den BH wegzustecken. Jetzt bekam er die Rechnung dafür und die Kassiererin war äußerst ungehalten.

Soviel wurde ihm klar, als Shampoo auf ihn zufegte. Soviel wurde ihm umso klarer, als sie den zweiten Bonbori im Galopp aufhob. Soviel wurde eindrücklich klar, als sie nach ihm schlug.

Zum Glück entging er dem Hieb. Zum Pech setzte das Mädchen nach und schleuderte eine ihrer Waffen in seine Richtung. Diesmal wirkte sich die Erschöpfung gravierend aus, er geriet ins Straucheln und nahm einen blauen Fleck von der Größe Südamerikas mit auf die Reise.

So taub wie Jungendlicher nach einem Metall-Konzert hüpfte sein Körper übers Dach und kullerte die Schräge runter. Die Regenrinne war so liebenwürdig ihn vor einem 5-Meter-Sturz in einen Dornenbusch zu bewahren.

Mousse war gelinde verwirrt. Die Spatzen, die gegen seine Maske piekten – er lag mit der Nase in ihrem Nest - schafften dem keine Abhilfe. Der Meister der versteckten Waffen achtete nicht weiter darauf. Er war zu sehr damit beschäftigt zu allen bekannten Göttern zu beten. Sicher, von Religion hielt er nicht viel, doch so eine Nahtod-Erfahrung besaß selbst auf ihn eine unleugbare Überzeugungskraft.
 

Die Joketsuzoku-Kriegerin grinste hämisch.

Es war ungemein erfrischend, wenn man nach einigen beschämenden Niederlagen auf ein schwaches Ziel traf. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie den Fremden fälschlicherweise für ein mögliches Problem gehalten. Das er sich stattdessen als Schwächling entpuppte, kam ihr ganz recht.

Was machte der da?

In der klassischen Dreh-dich-um-da-ist-was-ganz-ehrlich-Manier deutete der Vermummte hinter sie. Shampoo konnte nur verächtlich schnauben. Wer fiel schon auf solche Kinderspielchen rein?

„Shampoo!“

Dem Mädchen gingen die Augen über, als sich der kleine Perversling an ihr Hinterteil heftete. Empört schlug sie nach hinten, doch der Großmeister wich meisterhaft aus und fand sogar noch genug Zeit, seine faltige Wange an Stellen zu reiben, wo sie nichts zu suchen hatte.

Resolut ließ sich die Amazone nach hinten fallen.

Deprimiert ließ Happosai los, wich zurück, zog ein Augenlid herab und präsentierte seine Zunge.

„Bäh! Sowas von gemein.“

Nach einem letzten Schniefen sprang er vom Dach. Der Bonbori verfehlte ihn übrigens.

Erhitzt von der Begegnung der abartigen Art wirbelte Shampoo herum und freute sich schon auf die bevorstehende Abreibung – jetzt fehlte nur das geeignete Opfer.

„ARGH!“
 

Ukyo thronte auf der Mikrowelle. Das hatte zwei Gründe. So besaß sie einerseits einen guten Überblick über die Küche und andererseits verhinderte sie damit, dass Akane sich an besagter Mikrowelle vergriff. Leider funktionierte diese Methode nicht ganz so gut beim Herd, dem Messerblock oder dem Wasserkocher.

Akane hatte sogar den Toaster zum Explodieren gebracht! Das Mädchen war nicht am Kochen, sie war am Kämpfen! Die Küche war in ihren Augen nur ein Schlachtfeld und die verdorbenen Zutaten – besagte Zutaten waren interessanterweise erst nach Kontakt mit Akane verdorben – stellten die Gefallenen dar. Sie rochen jetzt sogar vergleichbar.

Kasumi hatte beim Abendessen vorgeschlagen, dass Akane doch mal Curry kochen sollte. Angeblich beherrschte die jüngste Tendo immerhin ein Gericht und dass wäre ebendieses. Wie sich Ukyo zeigte, war BEHERRSCHEN nicht ganz der Terminus, den sie selbst verwendet hätte. Denn wenn man ein Rezept beherrscht, passieren einem nur selten Fehler.

Wie etwa Chili mit Rattengift zu verwechseln…

Die Augen der Puppe verengten sich und sie hob gelangweilt eine Spathula.

Rasendschnell kam die Bedrohung näher, schoss heran wie eine Schlange und spreizte ihre Finger wie Kiefer – ehe Ukyos Miniaturspathula gegen die Knöchel donnerte und Akane aufheulte. Zornig blinzelte der Blauschopf auf.

„Warum denn jetzt wieder?“

Ukyo deutete vielsagend auf einen Karton, randvoll mit weißem Puder.

„Ja und? Das ist doch Salz!“

Ukyo hob mokierend eine Augenbraue und deutete nochmals auf den Karton.

„Was denn? Das steht doch – oh, Zucker.“

Ukyo seufzte gequält und vergrub das Gesicht im Handteller.

Akanes nächsten Vorgriff beendete sie trotzdem gekonnt mit einer Spathula.
 

Shampoo riss die Hintertür zum Nekohanten auf. Sie war zu wütend, um leise zu sein. So war es kein Wunder, dass sie kurzum vom Gelächter ihrer Urgroßmutter empfangen wurde. Die alte Dame saß auf einem Stuhl im Gästeraum, paffte ihre Pfeife und grinste bis über beide Ohren.

„Kein-Wort“, grollte die Amazone lakonisch und stapfte die Treppenstufen hoch.

Das seltsame Grinsen auf den Lippen Colognes fiel ihr daher gar nicht auf. Auf der obersten Treppenstufe verharrte das Mädchen, ballte eine Faust und fauchte, dass es die böseste und nasseste Straßenkatze vor Neid erbleichen hätte lassen.

Dann trat sie vor die unscheinbare Tür, hob die Hand – und klopfte sacht.

Von drinnen her rumpelte es hektisch. Einige Ketten klirrten und irgendetwas sehr schweres fiel polternd zu Boden. Es folgte ein Fluch, ein weiteres Poltern und ein abschließendes Klirren.

Ein etwas zerzauster Chinese öffnete die Tür und stutzte.

„Sh-Shampoo! W-Was für eine schö-schöne Überraschung.“

Das Mädchen stutzte nicht minder.

Hier stimmte etwas nicht. Seit wann fiel ihr der Idiot NICHT sofort um den Hals? Kritisch beäugte die Schönheit ihren Kindheitsfreund, der nahezu über sich selbst stolperte und in den Raum zurückwich. Na ja, was soll’s?

„Mousse haben Ketten für Shampoo?“

„Huh?“, entgegnete der Junge und legte den Kopf schief.

„Ketten für Shampoo“, drängte das Mädchen und kniff die Augen zusammen. Sie wurde allmählich ungeduldig. Gerne hätte sie es auf bewährte Amazonenart gemacht, aber sie benötigte Qualität und da war Mousse leider der geeignete Ansprechpartner.

„Ketten? A-Aber natürlich. Ich habe welche aus Gold, Silber…“

„Eisen!“, protestierte das Mädchen.

„A-Aber Shampoo, Silb-urgh!“

Die zierliche Faust entfernte sich aus Mousses Bauchraum und der Jugendliche hustete heiser. Das Gesetz der Schwerkraft schlug ihm kumpelhaft auf die Schulter und er fiel atemlos zu Boden.

Shampoo seufzte und kniete sich hin.

Sie musste jetzt alle Kraft zusammennehmen. Das würde echt schwer werden.

„N-Nicht dummer Mousse, du haben Ketten für Shampoo? Für Bonbori?“, flötete das Mädchen und quälte sich ein zuckersüßes Lächeln ab, das einen lawinenartigen Insulinschock bewirkte. Und so wie der Flügelschlag eines Schmetterlings zu einem Tornado am anderen Ende der Welt führen kann, so verzettelte sich irgendwo in England ein Adeliger bei seinem Tee und fluchte über sieben Löffel Zucker.

Mousse rieb sich geistesabwesend den Bauch.

Weit ernsthafter als vor fünf Sekunden kam er auf die Beine und tapste zum Kleiderschrank. Behutsam trat er zur Seite und bedeutete Shampoo dort zu bleiben wo sie war. Dann öffnete er den Schrank und eine Flut aus Metall ergoss sich aufs Parkett.

Für einen Moment war Shampoo sprachlos. Ihr Blick wanderte fassungslos von dem Berg an Waffen zu ihrem Kindheitsfreund und zurück. Sie kam sich vor wie unterm Christbaum!

„Das sehr – viel“, komplimentierte die junge Dame mit aufrichtigem Erstaunen. Unter dem Lob färbten sich Mousses Wangen rot und er rückte etwas näher zu Shampoo – die ihn sofort niederstarrte. Mousse ging wieder auf Abstand.

„Welche gut?“

Mit Kennermiene beugte sich der Junge über das Waffenarsenal und kramte geschäftig darin herum. Ein paar Schuriken flogen und bohrten sich in Wände, ein Breitschwert segelte haarscharf an Shampoo vorbei – selbst die abgebrühte Amazone wurde dabei blass – und ein paar Jojos rollten zwischen ihren Beinen hindurch.

„Da ist es ja!“

Verschreckt sah das Mädchen auf. Ihr Verehrer hielt ihr stolz ein Paar glänzender Ketten unter die Nase. An seinem glühenden Gesicht und dem schweren Atmen war klar erkennbar, dass es sich nicht um die leichtesten Exemplare handelte.

Pah, aber das störte sie nicht. Als Amazone kamen nur die härtesten aller Herausforderungen in Frage. Selbstzufrieden nahm sie die Ketten entgegen, wog sie und bedachte sie kritisch. Ein Lächeln blühte auf ihren Lippen und ihre Finger spannten sich ums Metall.

„Sh-Shampoo?“

„Hm?“, schnaubte das Mädchen.

„Wofür brauchst du die eigentlich?“

Kurz zögerte das Mädchen. Ihr folgendes Grinsen war dafür umso beängstigender.

„Ungeziefer“, säuselte sie und feixte. „Für Ungeziefer.“
 

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Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

Piccolet Chardin III.: Dieser junge Mann stammt aus dem Haus der Chardins und ist seines Zeichens Meister der französischen Kampfküche. Das klingt nicht nur lachhaft, dass ist es auch. Ranma verging seinerzeit allerdings das Lachen, als ihn Piccolet untern Tisch aß. Diese Familie weist nämlich die Besonderheit auf, über extrem breite und elastische Münder zu verfügen. Näheres ist nachzulesen in Band 16 des Mangas.
 

Dragon Ball Z: Der wohl populärste Manga aller Zeiten aus der Feder Akira Toriyamas. Der Hauptcharakter Son Goku kämpft hierbei gemeinsam mit seinen Freunden gegen Gegner, die geradezu STEROIDE schreien. Ein Feuerwerk der Muskeln und KI-Bälle.
 

Die Melonen-Insel: Die Melonen-Insel gilt als legendärer Trainingsort für Schwertkämpfer. Als Kuno diese Insel aufsuchte, verlor er dort zwar sein Gedächtnis, erlernte aber eine nahezu unbesiegbare Schwerttechnik. Mit dieser Technik konnte er seinen Feind Ranma nicht nur in Schach halten, er wurde zu einer regelrechten Bedrohung für diesen. Näheres ist nachzulesen in Band 19. des Mangas.
 

Takazume Ken: Die so genannten Adlerklauen sind eine Signaturattacke von Mousse. Diese Technik wird in jeder Generation nur einem Schüler der versteckten Waffen gelehrt. Hierbei werden scharfe Eisenklauen an der Unterseite der Schuhe montiert und durch ein kompliziertes Verfahren aktiviert. Auf diese Weise erhält der Verwender die nötigen fünf Zentimeter, um seinen Gegner doch noch eins auszuwischen oder das Steak bequem in kleine Fetzen zu reißen. Ganz wie’s beliebt.
 

Hakucho Ken: Der Schwanenschlag ist eine Angriffstechnik Mousses, bei der er einmal rasendschnell zuschlägt und seine Angriffshand nach erfolgter Attacke im Ärmel versteckt. Grund dafür ist der Nachttopf in besagter Hand, mit dem er seinen Gegner gezielt angreift und – trotz der Lächerlichkeit dieser Attacke – verheerenden Schaden anrichtet, vorausgesetzt er trifft.
 

Harisen: Eine neue Technik Mousses, die auf dem Prinzip der Hakucho Ken basiert.

Angetrieben von der Aussicht auf eine Zukunft als Braten, erfand der Meister der versteckten Waffen eine neue Technik. Die Harisen dient zum Parieren von Nahkampfangriffen und ermöglicht es, mithilfe der vom Nachttopf verdrängten Luft jede Art von Schlag abzuwehren – vorausgesetzt man ist schnell genug.
 

Schuriken: Hierbei handelt es sich um fernöstliche Wurfwaffen. Im Westen kennt man sie unter dem Synonym ‚Wurfstern’ oder ‚Ninjastern’. Tatsächlich nehmen diese Projektile allerdings verschiedene Formen an, darunter geschliffene Münzen oder kleine Dolche. Des Weiteren wirft man sie nicht nur, man benutzt sie auch im Nahkampf als Überraschungswaffe.
 

Schöne Grüße,
 

euer Deepdream

Feuer und Flamme.

Eine Regel des Lebens besagt: Iss Eiscreme.

Das mag auf den ersten Blick nicht viel Sinn ergeben. Selbst wenn man zweimal blinzelt und nochmals hinguckt, geht einem vielleicht noch kein Licht auf. Trotzdem steht fest, dass man beim Eisessen nur wenig falsch machen kann.

Man isst ja schließlich Eis und was so gut schmeckt, kann gar nicht schlecht sein.

Und selbst wenn: Wenn du Zeit hast Eiscreme zu essen, hast du weniger Zeit Dummheiten anzustellen. Ganz ehrlich, allein dafür lohnt es sich schon, oder?

Wie gerne hätte Ukyo jetzt ein Eis gehabt.

Wie gerne hätte sie auch vorhin ein Eis gehabt.

Nicht für sich, aber für das Mädchen, das nun beschämt auf die Tischplatte schielte. Denn hätte Akane mehr Eis gegessen und die Hände vom Kochtopf gelassen, könnte man die Küche vielleicht noch betreten – ohne Schutzanzug und Flammenwerfer versteht sich.

In einer Geste des Mitleids tätschelte Ukyo ihr die Hand und die jüngste Tendo lächelte ihr dankbar zu. Das Räuspern von der anderen Seite des Tisches ließ Akane wie Ukyo zusammenzucken. Soun und Genma wandten sich tunlichst ihrem Gô-Spiel zu.

Die Blicke der beiden Mädchen eilten zum Engel des Hauses, stolperten und erstarrten vor Schreck. Wer je mit Kasumi das Ich-starre-länger-als-du-Spiel gespielt hat, weiß weshalb.

Die Haushälterin des Anwesens gewann immer.

Ihr Lächeln stand auf Halbmast und ein mächtiges Unwetter kündigte sich an. Die ersten dunklen Wolken sammelten sich, tünchten den Horizont russschwarz und trugen mehrere Milliarden Volt im Gepäck.

„K-K-Kasumi, wir“ – Ukyo schlug Akane mit einer Minispathula auf die Finger – „eh, ICH mach’ das sauber. Versprochen. Hehehe.“

Die älteste Schwester aus dem Tendo-Trio lächelte dünn. Sie wechselte ihre Aufmerksamkeit zwischen den beiden Mädchen und legte nach mehreren, qualvollen Sekunden den Kopf schief.

„Das ist aber nett von dir Akane. Und wenn Ukyo mithilft, geht das ganz bestimmt noch schneller.“ Der sanfte Blick Kasumis streifte die Kampfköchin und Kuonji wurde unwohl. Hektisch bekräftigte die menschliche Puppe ihr vorausgesetztes Einverständnis. Lieber trotzte sie den Ausgeburten sagenhafter Talentlosigkeit, als Kasumis Musterung forthin ausgesetzt zu sein.

Akane folgte ihrem guten Beispiel: Sie stürzte hinterher.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 19 – Feuer und Flamme.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Noch vor kurzem gab es ein Licht am Ende des Tunnels.

Die Gefährten erwarteten sich davon drei mögliche Ausgänge. A) Eine Glühbirne. B) Ein überfüllter Mc Donald’s – die kamen schließlich überall hin. C) Eine sehr entgegenkommende U-Bahn.

Das Fehlen quietschender Bremsen schloss die U-Bahn oder aber eine Warnung aus. Das Fehlen quengelnder Kinder schloss Mc Donald’s aus oder aber deutete auf das Verfallsdatum hin, dass wohl reichlich hinfällig geworden war. Das Fehlen nötiger Atemluft, die man zum Schreien aufwenden musste, schloss bedauerlicherweise auch die Glühbirne aus.

Das Resultat sah daher so aus, dass eine aufreizende Dämonin und ein panischer Pseudo-Totengott um ihr Leben flohen. Damit hatten sie nicht ganz so viel Erfolg, wie ihnen lieb gewesen wäre.

Anhand dieser Situation zeigte sich einmal mehr der Unterschied zwischen den zwei Rivalen:

1. Ranma Saotome kennt keine Angst. Mancher Bewohner Nerimas akzeptiert diesen Umstand als unumstößliche Tatsache. Manch anderer hält Ranma für zu… uninteressiert, um das Wort Angst auch nur zu buchstabieren. Der Rest begnügt sich mit Achselzucken und nickt zu beidem.

2. Ryoga Hibiki kennt Angst. Böse Zungen behaupten, dass er in seiner Freizeit entweder vor der Welt davonläuft oder die Welt vor ihm. Das ist ganz davon abhängig, ob Ryoga sitzt oder unterwegs ist und eine Karte studiert. In letztgenanntem Fall dreht sich die Erde sogar verzweifelt in die andere Richtung.

„Ryoga!“
 

Ryoga blieb keine Zeit zu reagieren. Ein saftiger Tritt in die Seite schleuderte ihn fort und dort wo er gerade eben den Grund bewandelte, brannte eine Schneise der Verwüstung durch den Granit. Massiver Stein schmolz in Sekundenbruchteilen zu rotem Schlamm und zischte als Magmaregen durch die Lüfte. Es senkte sich eine Welle unerträglicher Hitze über Hibiki und dass obwohl er den überirdischen Umhang trug. Provisorisch wickelte er das Kleidungsstück enger.

Die spärliche Erfahrung, die er mit dem Artikel machen durfte, hatte ihm eines gelehrt. Das Teil kühlte. Es kühlte sogar so gut, dass man problemlos einen halben Gletscher mitschleppen konnte, ohne dass dieser Gefahr lief zu schmelzen. Selbstverständlich existierte nur eine handvoll Menschen, die einen halben Gletscher überhaupt zum Naserümpfen bringen konnten.

Ryoga Hibiki zählte dazu.

Das Geräusch mächtiger Schwingen schmetterte über ihm. Ryoga legte den Kopf in den Nacken und fühlte wie warme Luft gegen die Wangen peitschte. Stoisch wie ein Fels hielt der Wanderer stand und verfolgte die Landung der Gestalt.

Gemächlich sank das Wesen herab, verlor meterweise an Höhe. Dann schlug es ein letztes Mal mit den gigantischen Flügen und setzte auf. Der Stein knirschte trotzig, als sich der unwirkliche Körper aufbaute und ein abschätziges Lächeln über die Gesichtszüge glitt.

Ryoga Hibiki, Göttin des Frohmuts, stellte Blickkontakt mit Ranma Saotome, Dämonin des Missmuts, her. Ihre Mienen drückten wenig Wiedersehensfreude aus. Insbesondere Ranma sprang die Feindseligkeit wie Funken vom Zopf, der sowieso gerade mit Funken um sich warf. So gesehen passte das ganz gut.

Die Schwingen falteten sich mit einem Bauschen von Federn zusammen.

Der Phoenix alter Legenden stand ihnen einmal mehr gegenüber. Bereits die letzte Begegnung verlief eher unerfreulich. Betrachtete man es vor diesem Hintergrund, so konnte man den zwei Weggefährten ihre Unhöflichkeit nicht zur Last legen. Böse stierten sie Saffron an, den dies in etwa so bekümmerte wie wenn in China ein Fahrrad umfiel – vorausgesetzt es gehörte nicht Shampoo.

Ranma und Ryoga nickten sich wortlos zu. Sie begaben sich in Stellung.

Ranma hob die linke Hand nach oben, die rechte wanderte auf Hüfthöhe, geballt zur Faust. Der lebensfrohe Glanz in ihren Augen war einem gezügelten Feuer gewichen. Ryoga setzte einen Fuß vor, beugte das dazugehörige Knie und hob beide Unterarme als gerade Linie vors Gesicht. Ein dünner Nebelfilm stieg von der Robe auf, darunter ballten sich Muskeln.

Das Leben der Kampfkünstler kratze abermals des Messers Schneide, soviel war ihnen beiden klar. Und Kami selbst konnte bezeugen, dass diese Klinge alles andere als rostig war und ihr Gegner nichts an seiner gottgleichen Kraft eingebüßt hatte.

Kein Wunder: Aller guten Dinge sind schließlich Zahl drei und das Beste kommt sowieso am Schluss.
 

Morgenlicht filterte durchs Fenster.

Mousse hob widerwillig den Kopf. Eine Hand schälte sich aus der Weite des Ärmels, mit der er sich verträumt die Augen rieb. Kurz verharrte er. Anschließend setzte er die Brille ab und versuchte es nochmals. Er war wenig überrascht, als es diesmal funktionierte.

Der Amazone betrachtete den unförmigen Gegenstand. Es handelte sich um ein Gebilde, das man nur mit viel Toleranz noch als Kugel bezeichnen konnte. Besagte Eher-weniger-und-nicht-so-ganz-Kugel war mit vergilbten Leinen umwickelt. Stolz wie Oskar stand eine abgewetzte Zündschnur ab und wippte neckisch.

Mousse hatte es vollbracht. Die erste Happo-Daikarin ruhte in seinen Händen. Selbstverständlich war es nicht DIE erste Happo-Daikarin, doch war es die erste, die mit SEINEN Händen angefertigt worden war.

Das Sprengstoffgemisch war überaus komplex. Er hatte mehrere Versuche unternommen und den Großteil seines kümmerlichen Lohns verpulvert, – man erlaube ihm das Wortspiel – nach mehreren Fehlschlägen war die Mühe dennoch von Erfolg beschienen.

Der erste Schritt war getan. Jetzt folgte der Marathon.

Nun nämlich musste er den Sprengkörper mit Ki füttern; mit seinem Ki. Tat er das nicht, so blieb die Happo-Daikarin das, was sie war – ein überdimensionierter Knallfrosch.

So betrachtet war der alte Mann bewundernswert. Schließlich schleuderte er diese Dinger nahezu pausenlos herum und jeder Bombe folgte eine gellende Explosion. Mousse seufzte. Es würde Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bevor er die Technik in diesem Maß gemeistert hatte.

Es war so, als würde man in einen angestochenen Luftballon pusten. Pustet man nicht kräftig genug, füllt er sich nicht. Pustet man zu kräftig, fliegt er einem um die Ohren. Besonders bedauerlich ist das, wenn die Ohren mitfliegen.

Und pustet man nicht beständig, so entleert er sich.

Er musste also erst das Pusten trainieren, bevor die Happo-Daikarin testreif war. Happosai dagegen blies nicht nur mehrere Ballons synchron zueinander auf, nein, er pumpte sie auf die Größe eines Kleinbusses.

Der Tellerwäscher blinzelte aus dem Fenster, fast so als erwartete er, den betreffenden Gnom vorzufinden. Glücklicherweise wurde er enttäuscht.

Mousse hatte noch viel vor sich, wenn er Saotome mit dem Knallkörper überraschen und bestenfalls ausknocken wollte. Den ersten Schritt hatte er getan, war ein paar Male gestrauchelt, aber nicht gefallen. Jetzt durfte er losrennen und die Zeit folgte ihm wie ein kleiner Köter dem Postboten.
 

Ranma schoss von links heran, Ryoga von rechts. Es war die klassische Zangenmethode. In 9 von 10 Fällen unterlag der übermütige Bösewicht innerhalb weniger Sekunden und es herrschte fortwährender Friede im Reich XYZ. Leider stimmt es auch, dass die Wahrscheinlichkeit von 9 zu 10 in 10 Fällen 9 Mal eintritt.

Unter einem ohrenbetäubenden Tosen krachten Saffrons Flügel nieder. Ein brennendheißer Luftstrom ohrfeigte die heranrückenden Kämpfer. Während sie noch ihre Augen schützten, flitzte der Phoenix empor.

Er blieb nicht lange oben.

Den Grund dafür hielt er in den Händen. Besagter Grund glänzte, war unangenehm scharfsinnig und schnitt Dinge wie Butter. Hierbei lohnt es sich kaum auf den Begriff ‚Dinge’ näher einzugehen. Es wäre sinnvoller anzugeben, was die Kinjakan NICHT zu schneiden vermochte.

Ranmas Gefahrensinn war gut ausgeprägt. Daheim in Nerima genoss sie außerordentlich viel Übung. Diese Übung kam ihr nun zugute, als der Sakkijutsu anschlug und sie geradezu von den Beinen riss.

Ohne viel nachzudenken – dass war ja sonst auch nicht ihre Art – warf sich die Halbdämonin nach hinten, während die Klinge zwischen ihren gespreizten Beinen einschlug. Der Boden teilte sich und machte einer dünnen Rinne Platz.

Bevor Saffron nachsetzen konnte, fegten drei Bandana daher und hinterließen dünne Schnitte entlang seiner Rüstung. Der Phoenix neigte den Kopf zu Hibiki und entließ höhnisches Gelächter. Als der verlorene Junge einen zweiten Versuch starten wollte, unterbrach ihn eine Geste Saffrons. Es war eine schlichte Handbewegung, an deren Ende sich die Finger in Ryogas Richtung spreizten.

Die Luft knisterte nur kurz.

Es klang ganz wie der nervige Zuschauer in der Reihe vor dir, der an der interessantesten Stelle der ganzen Films Popkorn mampft. Zu Hibikis Nachsehen unterbrach das die Szene trotzdem nicht und unter einem tiefen Dröhnen entfachte sich eine Flammenwand, die im irrsinnigen Tempo auf ihn zuwalzte.

Bevor Ryoga ans Ausweichen dachte oder erwägen konnte, ob zwei Arme wohl einen geeigneten Lichtschutzfaktor aufwiesen, klatschte die Wand urgewaltig gegen ihn. Er wurde wie ein Tennisball davongefegt und die Flammen folgten ihm unaufhörlich.

Der Wanderer fühlte sich an einige seiner Herdabenteuer zurückerinnert, die er nicht als Koch, sondern Zutat ver- und irgendwie überlebt hatte. Hatte er je zuvor solche Schmerzen ausgestanden? Falls ja, so war er glücklicherweise gegen ausreichend Mauern geknallt, um die Erinnerung daran zu zerdeppern.

Die Flammenwand zeigte sich gänzlich unbeeindruckt angesichts ihres jahrtausendejahrealten Konterparts aus massivem Felsgestein. Dieser kam erwähnenswerterweise schnell näher und unter einem atemlosen „Urgh!“ schmettert Hibiki dagegen. Nebenbei bewies Ryoga anschaulich, dass ein hibikischer Dickschädel überall durchkommt.
 

Ranma wand sich fieberhaft. Hieb um Hieb der Kinjakan riss Schneisen in den Untergrund, über den sie tänzelte. Ihre Kleidung war zuvor schon von offenherziger Natur gewesen. Jetzt war sie kaum noch vorhanden und hing als gewagter Fetzen an ihrem Körper.

Knapp glitt die Klinge an ihrem Hals vorbei, schnitt drei Haarsträhnen ab und kostete Ranma damit mindestens drei Jahres ihres Lebens. Da sie sowieso unsterblich war, konnte ihr das egal sein. An ihrem Hals hing sie dennoch.

Die Klinge wirbelte um 180°. Diesmal biss sie die Zähne fest zusammen und hechtete über einen tiefen Hieb, der sie anderweitig für die Paralympics qualifiziert hätte.

Ihr alter Mann war ein Faultier, ein Lügner und nicht selten ein Trottel. Selbst er hatte jedoch seine klaren Momente. In einem dieser Momente teilte er mal wieder sein Wissen mit ihr:

Wenn dir jemand den Hintern tranchiert und sich zu deinem Hals vorarbeitet, tust du das einzig kluge. - Mich meiner Angst und meinem Gegner stellen? - Wo hast du den Quatsch her? Du rennst natürlich fort!

Waghalsig kickte sich Saotome am Kampfstab ab. Hieran schloss sich eine Pirouette an, an deren Ende Ranma einer Ballerina gleich aufsetzte – und wie ein Dieb flüchtete. Manchmal war Rückzug einfach die beste Idee, da hatte ihr Vater ganz Recht. Auf der Flucht kamen ihr zudem die besten Einfälle und die trugen nicht selten einen Plan im Gepäck.

Rennen zählte schon als erster Punkt des Plans. Weitere Punkte knüpften sich an den Erfolg des ersten Punkts an. Also flitzte sie mit Affenzahn außer Reichweite, obwohl ein Affengebiss ihre Reisegeschwindigkeit treffender umrissen hätte.

„Du feiger Landkriecher“, schallte es ihr hinterher.

Ohne sich umzusehen, wusste Ranma was auf sie zukam. Hastig stählte sie ihren Körper und wurde durch die Luft katapultiert. Unkontrolliert schleuderte es sie gegen schroffen Fels. Ihr Atem verabschiedete sich unter einem gequälten Seufzer und hinterließ ihr ein Vakuum als Andenken.

Kraftlos kippte sie zur Seite, ihre Gliedmaßen gehorchten nicht länger. So allmählich wurden ihr die Nahtoderfahrungen zuviel!

Mit halbgesenkten Lidern verfolgte sie das Herannahen zweier ornamentverzierter Stiefel.

Damals hielt sie den Zwillingsstab, den Gekkaja, in den Händen. Damals konnte sie dem Brathähnchen trotzen. Damals hatten eine Verkettung glücklicher Zufälle Akane, Ryoga, Mousse und ihr das Leben gerettet.

Alles das wurde der Erbin des Musabetsu Kakuto Ryu schlagartig bewusst, als Saffrons Füße vor ihr zum Stehen kamen. In bedeutungsschwangerer Stimme höhnte der Phoenix über ihr.

„Du bist meiner nicht würdig.“

Aus dem Augenwinkel verfolgte Ranma mit wie Saffron die Kinjakan zum Todesstoß hob.

„Sao - “

Der Herrscher des Phoenix-Berges stockte und musterte den Wurm zu seinen Füßen.

„ – tome - “

Noch immer zögerte das gottgleiche Wesen, das in seinen Händen geschliffenes Verderben trug.

„ – Spezial.“

Erst jetzt kam Leben in Saffrons Glieder und er zog die Waffe über die Schulter, holte Schwung für den vernichtenden Hieb. Es kam nur nie dazu.

„Mugamuchu-Ken!“
 

Ryoga schlug die Augen auf. Woher kam der markerschütternde Schrei?

Seine endlosen Reisen hatten ihn durch viele Landschaften geführt. Er war durch den meilenweiten Sand der Wüsten, durch kniehohen Schnee, unwegsame Dschungel und letztlich städtische Vororte geschlurft. Letztere zeichneten ein pittoreskes Bild.

Häuser und Gärten, die sowieso alle gleich aussahen, reihten sich aneinander und hinter jedem zweiten Zaun bellte ein Kläffer hysterisch die Wolken an. Dort gab es außerdem Postboten, die man in Wüsten, der Antarktis und dem Dschungel seltener antraf.

Und ebenjene Postboten, an denen Ryoga zerzaust vorbeiwankte, schlossen tagtäglich Bekanntschaft mit den kleinen, bellenden Bestien. Dieser Schrei eben klang ganz so, als hätten sich Hund und Zusteller soeben kennengelernt.

Mühselig stieß Hibiki das Geröll von sich. Er hätte nicht gedacht, dass er die Hitzewelle überleben würde. Geschickt wie ein toter Karpfen krabbelte er aus dem neu entstandenen Tunnel und blinzelte gegen einströmendes Licht an. Besagtes Licht strahle von einer heißen Quelle aus, über der Dampfwölkchen in sattweißen Flocken schwebten. Im Wasser schwemmten Reste des Kokons, aus dem der Phoenix vor kurzem entschlüpft war.

Und Saotome –

Ryoga kam nicht umhin sich die Augen zu reiben.

- hing an Saffrons Bein, krampfhaft darin verbissen. Der legendäre Phoenix wiederum versuchte die Plage abzuschütteln. Die Situation war überaus ernst, zugegeben. Ryoga hätte trotzdem gern gelacht. Leider war er im Augenblick mit Husten beschäftigt.

Es steckte sicher genug Felsstaub in seiner Lunge, um die nächsten Nächte staubtrocken zu gestalten. Wobei er hier tollkühn voraussetzte, dass Saotome und er das Zusammentreffen mit Saffron an einem Stück überstanden.

Er wurde doch auf seine alten Tage kein Optimist, oder? Ryoga rümpfte verächtlich die Nase, torkelte und kippte um. Nein, ganz sicher nicht. Einmal Regenwetter, immer Monsun!

Tief atmete er durch, schüttelte den Kopf.

Geübt zog er zwei Stirnbänder ab. Unter einem Ratschen löste sich Stoff und nach zwei Drehungen verschwammen die Bandanas zu einer gelbschwarzen Scheibe. Bald würde sein Vorrat erschöpft sein. Wie ärgerlich.

Hibiki holte aus, zielte und ließ los.
 

Ranma klammerte sich in Saffrons Wade fest. Das ihre Zähne dabei die Hauptarbeit übernahmen, strich sie aus ihrer Wahrnehmung. Der Geschmack würde sie auch so noch ewig heimsuchen.

Der Phoenix konnte ihre Zähne in seiner Wade nicht so einfach ignorieren. Wutschnaubend stieß er sie mit einem Tritt ab, der die Dämonin durch die Luft schmiss. Katzenartig kam Ranma auf allen Vieren auf und grinste den Phoenix an.

Der blöde Spruch verkümmerte auf ihrer Zunge, kroch zurück in den Rachen und krallte sich am Zäpfchen fest.

Es könnte an der Kinjakan gelegen haben, die ihr beinahe den Zopf und dranhängenden Rest gekappt hätte. Schneller als es die Natur vorsah, krabbelte Ranma rückwärts, dicht gefolgt von Saffrons stürmischen Hieben.

Apropos, was war das für ein Surren?

Das geflügelte Ungetüm jaulte gepeinigt auf und riss zwei Bandanas aus dem Unterarm. Jeden 08/15-Kampfsportler hätte dieses Manöver ins Krankenhaus befördert, Saffron brüllte lediglich zur Höhlendecke empor und erstrahlte in einer blendendhellen Korona. Unter den Augen der Kämpfer heilte die Wunde.

Ranma ließ es sich trotz des Spektakels nicht nehmen den Phoenix mit einem Sprungtritt am Kinn zu treffen, fünf schnelle Kicks gegen die Nase und vier weitere gegen die Stirn anzubringen und ihm geistreich die Zunge rauszustrecken. Bevor Saffron seine Meinung hierzu kundtun konnte, rammte Hibiki auch schon wie ein Bus ohne Bremsen von hinten in den geflügelten Feind hinein. Wer schon mal beobachtet hat, wie Faust und Sandsack korrespondieren, der erahnt wie sich der einseitige Schlagabtausch abspielte.

Der Phoenix ging auf Sturzflug. Seine Flügel ratschten über den Boden, Federn peitschten wie Konfetti auf. Mehrfach schlug er sich den Kopf, überschlug sich und donnerte geräuschvoll in die Felswand hinein, unter der er geräuschvoll begraben wurde.

Ryoga kam kurzatmig und gebeugt zum Stillstand. Seine Lippen umspielte ein schadensfrohes Grinsen. Geteiltes Leid ist eben doch doppeltes Leid. Neben den Wanderer gesellte sich die Dämonin. In einer geübten Geste schleuderte sie den Zopf zurück und lächelte selbstherrlich.

Zugegeben, dass tat Ranma unentwegt.

„Kinderspiel“, höhnte der Rotschopf.

„Beschwör’s nicht Saotome“, mahnte die Halbgöttin noch, da färbten die Trümmer sich bereits rot.

Stein knackte und regnete Sekunden später in nur zu flüssiger Form die Umgebung hernieder. Unter einem Wirbel aus Lava erhob sich die Gestalt Saffrons, die Schwingen ausgebreitet und die Kinjakan als schemenhafter Propeller überkopf gehoben. Mit einem Schnappen kam der Stab zum Stopp und der Herrscher des Phoenixberges deutete mit der Spitze voraus auf Dämon und Göttin.

„Hierfür sterbt ihr! Würmer wie ihr wäret besser in der Erde geblieben.“

„Reden schwingen kannste Spatzenhirn, haste auch was andres zu bieten?“, blaffte Ranma und kassierte einen Ellbogencheck von Ryoga. „Saotome, sprich für di - !“

Verflixt, schon zu spät!

Feuerzungen trieben auf sie zu. Es waren nicht zwei oder sieben, es waren so viele, dass es sich gar nicht lohnte zu zählen. Hibikis Finger bohrte sich in den Boden, spinnenwebartig teilten Risse den Fels voneinander ab und übermütig splitterte Stein aufwärts und traf auf Feuer.

Saotome stieß den chronisch Depressiven abermals mit einem Tritt zur Seite. Im nächsten Moment jagte das Feuer vorbei, verschluckte das Schrapnell und machte mehr als eindrücklich klar, wer hier die Hosen anhatte.

Ryoga durfte sich mit dem Rock begnügen.
 

„Lass’ mich mal ran du Kampfkotelette!“

Geschickt sprang Saotome von Hibikis Kopf ab und gewann damit an Höhe. Sie wollte schon länger etwas in der Art ausprobieren, aber ihr hatte die nötige Inspiration gefehlt. Nach der letzten Zwischenpause allerdings hatte es sie wie ein Blitz ereilt.

Es war so simpel!

Selbstsicher brachte sie beide Hände neben sich in Position. Kurz krümmten sich die Finger, dann krümmten sie sich ein wenig mehr. Unvermittelt wurden sie heftig auseinandergedrückt. Grund hierfür war das Flämmchen, das in Sekundenbruchteilschnelle zu einem Miniaturbuschfeuer heranwuchs.

Der tanzende Feuerball hüpfte wie ein Derwisch zwischen ihren Handflächen hin und her und schien mit jedem Wimpernschlag umso wilder zu werden. Ranmas Grinsen wuchs proportional.

„Nenshou Bibou!“

Ranma riss die Hände nach vorn und entfesselte das angesammelte Feuer. In einem prasselnden Strahl schossen die Flammen auf Saffron zu. Die Luft selbst vibrierte angesichts der konzentrierten Hitze, die ignorant wie ein Tourist im Ausland vorbeischrammte. Und mit der Wucht eines Straßenschuhs in einem japanischen Wohnzimmer brach das Feuer über den Phoenix herein.

Saffron verschwand in einem Flammenmeer.

Behände wie eh und je landete die Dämonin auf ihren Füßen – und knickte ein.

„Hast dich etwas übernommen, eh Saotome?“

„Pah, dafür habe ich das Hähnchen gegrillt.“

„Gegrillt? Mach’ lieber zur Abwechslung die Augen auf!“

Ranma tat wie ihr geheißen und spähte in die Flammen. War doch alles normal. Sie war toll, hatte mal wieder den Tag gerettet und jetzt konnten sie Ukyo wiederbeleben. Schweinchen konnte ruhig dankbarer sein.

Dann bemerkte sie es.

Etwas zuckte inmitten des Infernos und dem Halbmädchen schwante übles. Sicher, sie war mit ihren neuen Kräften noch nicht so ganz vertraut, doch ihrer Genialität konnte das Hühnchen doch wohl nicht beikommen!

„Aber es heißt doch Feuer mit Feuer bekämpfen!“, rechtfertigte sie sich schmollend.

„Das klappt nur in der Theorie du Depp, nicht in der Praxis! Nimm nicht alles so wörtlich!“

„Bist doch nur neidisch, weil ich so was gebacken krieg’ und du nich’.“

„Ranma!“

„P-chan!“

„IHR WÜRMER!“
 

Ein scharfer Windzug spaltete das Inferno wie einen reifen Kürbis. Nur ihre angeborene und hochgezüchtete Sturheit hielt die Kampfkoryphäen auf Beinen, die wie Pudding wackelten. Saffron entstieg der Glut gleich einem Rachengel, im Hintergrund leckten meterhohe Feuerzungen. Die Flügel versprühten einen Funkenteppich, der wie ein Schwarm elektrisierter Glühwürmchen herabregnete.

„Wie Phoenix aus der Asche.“

„Saotome?“

„Yo?“

„Halt einfach die Klappe.“

Unvermittelt erwischte ihn das stumpfe Ende der Kinjakan am Kopf. Achtlos wurde der Stirnbandträger beiseite geschleudert und stieß sich den Hinterkopf. Es war kindisch, dass wusste er. Trotzdem ärgerte es ihn, dass wieder einmal Saotome das vorsätzliche Ziel war.

Verdattert zog sich Ryoga hoch. Ihm war ganz schwammig in der Rübe vom Stoß gegen die Schläfe. Hätte ihn das Brathähnchen mit dem scharfen Ende erwischt, so könnte er sich jetzt problemlos in der ganzen Welt verlaufen – gleichzeitig.

Der junge Mann suchte seine Partnerin, der genau in diesem Moment ein Büschel Haar aus der Stirn geschnitten wurde. Saffrons Klinge wirbelte herum und streifte ihre linke Schulter. Während Ranma lauthals fluchte, kehrte die Kinjakan zum dritten Schlag zurück.

Diesmal sprang Ryoga dazwischen.

Grelle Funken sprühten auf. Die legendäre Waffe biss hart zu, ihre geschliffenen Zähne kitzelten das Ziel jedoch nicht einmal. Stattdessen schmeckten sie ranzigen, alten Stoff.

Es war Hibikis wettergegerbter Gürtel, der der Kinjakan entschlossen Paroli bot.

„Ranma“, grollte Hibiki und starrte Saffron in die Augen.

„Japp?“

„Jetzt wäre ’ne echt gute Gelegenheit für ’nen Plan.“

Der kräftige Wanderer hatte alle Hände voll zu tun. Einerseits musste er den Gürtel mit ausreichend KI vollpumpen, denn sobald dieser schlaff wurde, gab’s Geschnetzeltes. Andererseits befand er sich in einer schlechten Verteidigungslage, da Saffron den Vorteil der Reichweite hatte und dazu beide Hände benutzen konnte. Ryoga dagegen besaß gerade mal genug Fläche für eine Hand.

Das waren ja mal wieder tolle Aussichten.

„Yikes!“

Sollte er das Grand Finale überstehen, so würde er baldmöglichst einen Friseur aufsuchen. Außerdem wurde ihm die ganze Hitze allmählich zuviel. Er schwitzte sich ja zu Tode…
 

Ranma lief im Kreis. Immer und immer wieder.

Wer genauer hinsah, erkannte eine Spiralform, der die Dämonin folgte und die sie im Eiltempo ablief. Für denjenigen, der nicht genau hinsah, war es immerhin ein belustigender Anblick.

„Halt ihn noch kurz hin!“

„W-Was?“, stotterte ihr vertrottelter Kamerad, der die Kinjakan unter größter Mühe auf Distanz hielt. Das war ein Vorhaben, welches nur begrenzt von Erfolg gekrönt war. Das wiederum war ein Umstand, der Saotome die Sporen gab. Akane würde sie umbringen, wenn Ryoga hierbei draufging!

Zügig peitschte sie um die Kämpfer herum, duckte sich unter einem Hieb mit dem anderen Ende der Kinjakan hinweg und holte tief Luft. Das würde jetzt lustig werden.

„Schlag zu!“

Kurz blinzelte das Kampfschwein auf, ehe Verständnis dämmerte und seine Faust in einem gewaltigen Hacken nach oben schnellte.

„Hiryû Shôten Ha!“

Was jetzt geschah, war gänzlich unerwartet. Zumindest wenn man für Saffron sprach, der mit dem gewaltigen Sog nicht gerechnet hatte und plötzlich erfasst wurde. Brutal wurden seine Füße zurückgerissen und er selbst angehoben. Sein frenetisches Flattern konnte dem kaum etwas entgegenhalten.

In einem Funkenwirbel schoss Ranma empor, getragen von den tosenden Lüften. Die natürliche Hitze ihres korrumpierten Alter Egos genügte, um den Hiryû Shôten Ha auf sie ansprechen zu lassen. Bald schon würde sie auf dem höchsten, möglichen Punkt angelangen.
 

Obwohl er begriffen hatte, was Ranma von ihm wollte, war er vollkommen vom Effekt überrascht.

Beißende Winde schossen um ihn herum und vermochten es dennoch nicht die Robe des Shinigami zu durchstoßen. Er war völlig windgeschützt.

Für den Phoenix sah die Sache da etwas anders aus. Dieser kämpfte wutschnaubend gegen die Winde an und führte doch ein aussichtsloses Gefecht. Der Anblick hätte Ryoga nahezu erleichtert, wäre die Kinjakan nicht soeben mühelos durch den Gürtel gedrungen.

Knapp warf sich Ryoga zurück und plumpste auf den Hintern.

Saffron brüllte nur unartikuliert. Der Vogelmensch stemmte sich gegen den Sog und holte unter Krämpfen aus. Hibiki war nicht sicher, ob er sich freuen sollte. Irgendwie war er in der Prioritätenliste über Ranma gerutscht.

„Ryoga!“

Über die Schulter Saffrons erspähte der Stirnbandträger einen roten Punkt, der in den nächsten Momenten wuchtig gegen die Decke klatschen würde. Kurz erwog Ryoga diesen Eindruck mit ins Jenseits zu nehmen – bis er sich besann, dass er längst im Jenseits war.

„Stich zu!“

Hö? Zustechen?

Aus dem Augenwinkel erhaschte er die blitzende Kinjakan, die nun auf ihn zusteuerte. Er stand also vor der Wahl.

Tor 1: Jenseits auf schlimmer und ewig.

Tor 2: Er hörte auf Saotome.

Kurz zögerte er noch. Dann riss er ein Bandana vom Kopf, spannte es mit einem Ruck und rammte es mit aller Kraft in die Schulter Saffrons. Verdutzt spähte dieser auf das Textil und krähte auf. Er krähte nicht lange.

„Hiryû Kôrin Dan!“

Irgendjemand behauptete einmal, dass alles Gute von oben käme. Mal ganz im Ernst, was war das für ein weltfremder Trottel gewesen? Denn was von oben herabschoss, war – gelinde gesagt – suboptimal.

Blaue Energie jagte in einem ohrenbetäubenden Kreischen durch die Enge des Tornados und hielt auf den Phoenix UND auf Ryoga zu, der dummerweise unter dem Vogelmenschen stand. Der Hiryû Kôrin Dan näherte sich der kältesten Stelle im Inneren des aufgehitzten Tornados.

Dem Bandana in Saffrons Schulter.

Und auf dem Weg nach unten, wurde die umliegende Hitze konsequent eingesaugt und fütterte die Attacke bis sie als gewaltige Entladung auf Ungeheuer und Göttin herniederstürzte.

„Och nein“, fasste Ryoga die Situation prägnant zusammen. Sofern er noch weitere Worte verloren hatte, so gingen diese konsequent in der folgenden Apokalypse unter.
 

Ryu Kumon war kein glücklicher junger Mann. Er hatte viel in seinem Leben verloren. Da wäre seine Familienehre, nachdem das Dojo verarmt war. Da wäre seine Mutter, die seinen erfolglosen Vater verließ. Da wäre die Yamasenken, die sich als Vorwand zum Einbruch in fremde Häuser entpuppt hatte. Da wären die 300 Yen, die er für diese lauwarme Cola berappt und mit der er unter anderen Umständen nicht einmal eine Pflanze bewässert hätte.

„Hey Sie!“

Der Barkeeper warf einen unwirschen Blick auf den Teenager.

„Ja?“

„Die Cola ist brühwarm. Haben sie keinen Kühlschrank?“

„Doch, haben wir. Danke der Nachfrage.“

Für einen Augenblick stutzte Ryu. Er war es nicht gewohnt veräppelt zu werden. Diese Erfahrung war sozusagen neu und nicht unbedingt etwas, womit er sich anfreunden wollte.

„Jetzt hören Sie mal!“

„Tu ich doch. Sie können ruhig leiser sprechen.“

„Ich will ’ne kalte Cola!“

„Dann empfehle ich Ihnen, dass Sie sich eine kaufen.“

Okay. Das war’s. Er würde diese Gastronomie in Stücke zerlegen. Blieb viel von diesem Schuppen übrig, so genügte das Sägemehl für einen Zahnstocher. Hierfür musste er nur einmal die Arme spreizen und ein Kijin Raishu Dan würde alles in Sperrholz zerlegen.

Blöd nur, dass er den wichtigsten Grund für seinen Trübsal erfolgreich verdrängt hatte.

Er durfte die Yamasenken nie wieder anwenden.

Den Kampf mit dem Ekel Saotome hatte er damals verloren und damit auch das Recht die Yamasenken zu praktizieren. So betrachtet, war er ein Kampfsportler ohne Stil, ein Bananensplit ohne Banane, ein Buch ohne Buchstaben.

„Mein Leben ist so schrecklich!“

„Dann kann es nicht mehr schlimmer werden.“

„Ich bin ein Niemand.“

„Sie sind ein Jammerlappen, dass ist doch schon mal etwas.“

„Ich hasse Sie.“

„Das Gefühl beruht ganz auf Gegenseitigkeit.“

Während Ryu noch abwog, ob er den Barkeeper erwürgen sollte, - dafür brauchte es nicht viel Stil - hielt ihm der bärtige Mann ein Glas unter die Nase. Es war milchigtrüb und sah alles in allem unappetitlich aus.

„Ich versuche ständig dieses leidige Ding ansehnlich zu bekommen, aber es wird nicht besser. Wissen Sie was, das Glas erinnert mich an Sie. Man kann polieren wie man will, es wird ja doch nicht klarer. Einmal verfärbt bleibt es verfärbt. Das ändert sich nicht.“

Nach dieser Rede drehte sich der Barkeeper um und ordnete das Glas in ein Schränkchen ein. Ryu dagegen blieb sitzen. Sein Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. Jetzt musste er nur noch begreifen, was der Typ eigentlich damit meinte.
 

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Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

Mugamuchu-Ken: Ein weiterer Beweis für Ranmas spontane Kreativität. Die Mugamuchu-Ken oder Kopf-voran-Attacke besticht durch ihre Einfachheit. Der Anwender verbeißt sich kräftig in den Fuß/Unterschenkel/Zeh seines Kontrahenten – und lässt nicht mehr los.
 

Kinjakan: Eines der zwei legendären Artefakte des Phoenixberges. Es existiert ein zweiter Stab, der Gekkaja, der kühle Luft produziert und Dinge sogar zum Gefrieren bringen kann. Der Kinjakan dagegen dient Saffron zur Regulierung des Flammenausstoßes und kann Dinge unter Umständen in Flammen aufgehen lassen.
 

Nenshou Bibou = Der so genannte ‚Brennende Denkzettel’ ist eine Eigenkreation Ranma Saotomes. Ich gehe hier nicht ins Detail, was die Inspiration für diese Technik betrifft, aber ich gebe einen Tipp: Mehrere Hinweise sind im vorangegangenen Kapitel zu finden.
 

Hiryû Kôrin Dan = Eine Abbrevation des bekannten Hiryû Shôten Ha, welcher Ranma von Cologne gelehrt wurde. Hierbei saugt sich der entstandene Wirbelwind mit heißer Energie voll und der Anwender schleudert aus dem Inneren einen Hiryû Shôten Ha von oben herab. Auf dem Weg nach unten wird der Angriff zunehmend stärker, da die heiße Energie zur kalten Energie fließt.

Das Endresultat: Ein verdammt großer Ki-Blast jagt auf die einzig kalte Stelle im Inneren eines brennenden Infernos zu.
 

Yamasenken = Die Technik der 1000 Berge ist eine der zwei Zwillingstechniken, die Genma Saotome einst ersann. Sie ist das brutale Gegenstück zur subtilen Umisenken und wurde von Ryu Kumon praktiziert, ehe dieser in einem Kampf der Ehre gegen Ranmas Umisenken verlor.
 

Schöne Grüße,
 

euer Deepdream

Zuhause ist, wo Ärger ist.

Der Blick des nicht vorhandenen Beobachters schweifte über ein Dach wie jedes andere. An diesem kullerte das nicht vorhandene Paar Augen herab, landete in der Dachrinne und kugelte fünfzig Zentimeter nach rechts.

Dann ging’s abwärts.

Unten angekommen, rollte es ins Gras und blieb stecken. Hier wurde schon länger nicht gemäht, soviel war offensichtlich. Doch wenn man ein, zwei Schritte weiterging, - was zwei lose Augen schlecht können, eingebildet oder nicht – so betrat man plattgewalztes Gras. Jemand war offenbar sehr aktiv zu dieser frühen Stunde.

Die Sonne erhob gerade erst ihr müdes Antlitz und gähnte in die Welt hinaus. Ihre Strahlen streckten sich dabei ausgiebig in alle Richtungen. Doch zurück zu der eingeebneten Wiese, denn dort spielte sich interessantes ab.

Eine Strohpuppe stand inmitten des Hinterhofs. An mehreren Stellen war sie notdürftig zusammengeflickt und den Pfahl an den sie gebunden war, hatte man dreimal festgenagelt.

Das bewiesen mehrere Holzbretter, die kreuz und quer befestigt worden waren.

„Yaha!“

Dem wilden Kampfschrei folgte ein massiver Windzug, als sich der Schemen eines Schemens von links näherte. Der Dummy hatte keine Chance. Er wurde in der Mitte zerrissen, als die undeutliche Silhouette gegen ihn schmettert und mühelos weiterzischte.

Mousse ahnte es noch nicht, doch ihm stand einiges bevor.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 20 – Zuhause ist, wo Ärger ist.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Hikaru Gosunkugi war nicht unbeliebt. Er war schmächtig, leichenblass und besaß den Charme eines angefaulten Zombies, doch trotzdem war er nicht unbeliebt. Um unbeliebt zu sein, müssen einen die Leute erstmal wahrnehmen. Seine Mitschüler straften die jugendliche Vogelscheuche instinktiv mit Nichtbeachtung und die meiste Zeit über war diesem das auch recht.

Die einzige Ausnahme stellte Akane Tendo dar.

Sie war seine große Liebe und ein Mädchen für das es sich zu kämpfen, zu schummeln und zu zaubern lohnte. Letztgenanntes würde es ganz gerne mal probieren, wenn denn einer dieser Zaubersprüche mal funktionieren würde. Seine bezaubernden Kunststückchen endeten nämlich allesamt im König der Fettnäppchen.

Hikaru seufzte tief und ging an einer Gruppe Mädchen vorbei.

Die meisten Jungs wären peinlich berührt oder darauf bedacht möglichst cool zu wirken. Gos – wie er von denen genannt wurde, die ihn nicht völlig ignorierten, was, wie besagt, nicht viele waren – war weder das eine, noch das andere. Die Mädchen beachteten ihn überhaupt nicht.

Selbst wenn er auf einem Einrad, mit Partyhütchen und drei Elefanten im Schlepptau durch die Schulkorridore jagen würde, sähe ihm niemand nach. Erst recht kein Angehöriger des anderen Geschlechts.

Gos war darüber nicht wirklich traurig. Traurig konnte man nur sein, wenn man etwas verloren hatte, dass man vorher besaß. Man konnte ja beispielsweise schlecht betrunken sein, bevor man das berüchtigte ‚Bier zuviel’ bestellt hatte.

Vielleicht war der Hobbyokkultist deswegen so ungewappnet, als ihn etwas dünnes und unnachgiebiges umwickelte und in eine Abstellkammer zerrte. Kaum war der blasse Junge darin verschwunden, knallte die Tür zu.

Drei Sekunden später lief Happosai vorbei, gefolgt von einer Horde halbnackter Mädchen, wiederum gefolgt von Kahuna Kuno und hintendran Tatewaki Kuno und Akane Tendo.
 

„Ihr kriegt mich nicht, ihr kriegt mich nicht!“

„Bleib’ stehen du Perverser!“

„Da Kaikis brauch’n ’n Topfschnitt, ai?“

„Halt’ ein du Enttäuschung eines Vaters!“

„Worauf lass’ ich mich nur wieder ein?“

Akane stellte sich diese Frage wahrscheinlich schon zum zehnten Mal, seit sie sich der Verfolgungsjagd angeschlossen hatte. Als erstes war es nur Happosai, der wieder für Unfrieden sorgte. Das Trampeln aufgebrachter Mädchenfüße hatte Akane und den Rest der Klasse dann allerdings alarmiert. Dass der Schuldirektor mit von der Partie war, verdeutlichte die Schwere des vorliegenden Vorfalls. Happosai musste also fleißig zugegriffen haben.

Schließlich lief sogar Tatewaki am Klassenraum vorbei und fluchte seinem irrwitzigen Vater hinterher, den treuen Bokken an der Seite. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hatte sich Akane der seltsamen Prozession angeschlossen. Das Chaos schien an Nerima zu haften wie Kaugummi im Haar.

Ein aufgeregtes Zucken an ihrem Kleid ließ die jüngste Tendo aufmerken und sie sah an ihrem Rock herab, an dem Ukyo hing. Auffordernd starrte die kleine Puppe hoch zu ihr und Akane pflückte sie von sich und trug sie daraufhin auf der Schulter.
 

„Hierbei handelt es sich um die Le-tschi!-bensakten. Seht unter dem ge-tschi!-wünschten Verzeichnis nach und korrigiert die Ab-Ab-Ab-tschi-schlussziffer. Setzt sie vorzugsweise auf ei-ei-ei-tschi-nen späteren Wert, da euer Bemühen an-an-an-an-tschi-sonsten dem Tode geweiht ist.“

Ein Glucksen wie tausende, zeitgleich zu Boden fallende Nadeln kratzte an der Stille. Gefolgt von einem weiteren Niesen. Das rothaarige Mädchen und der schwarzhaarige Junge blickten die Kutte mit gebannter Dummheit an. Die hochaufragende Gestalt seufzte rasselnd, ehe sie sich zu ihnen herabbeugte. Sie nieste wichtig.

Es knackte spröde. Ein eiskalter Hauch wehte unter der Kapuze hervor. Ryogas Zunge tat längst weh, bevor er mitbekam, dass er sich drauf gebissen hatte. Ein knochiger Finger deutete auf sie beide und dann in die endlose Weite des ARCHIVS, einer übernatürlichen Hommage an die Bürokratie.

„Hatschi! Ich meine, geht nun.“

Ranma und Ryoga tauschten einen langen, bedeutungsvollen Blick miteinander. Schneller als ein Auge blicken kann, was die Dauer eines Augenblicks somit großzügig ausschließt, rannten sie vor dem Tod um ihr Leben. Die Ironie stießen sie auf ihrer Flucht grob aus dem Weg und zertrampelten jeden Protest.

Dabei waren sie soeben noch durch den säulengestützen Korridor gestürmt, um sodann in Tods Büro zu platzen. Und das auch noch ohne anzuklopfen. Es spottete jeder Logik, aber Ryoga konnte bezeugen, dass ihn die Augenhöhlen vorwurfsvoll angeblickt hatten.

Ranma blieb unfairerweise von der Musterung verschont. Soviel zum Thema: Gleichberechtigung!

Nachdem er ihre gemeinsame Bitte vorgestamm..., eh vorgetragen hatte, blieb Tod eine ganze Weile über still. Unterbrochen vom vereinzelten Niesen, versteht sich. Dann hustete er ein halbes Kilogramm Staub hervor, klopfte die Spinnenweben von der Robe und erhob sich knirschend vom Thron. Er klackte an ihnen vorbei und wies sie mit einer Geste an zu folgen. Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Schließlich geschieht es selten genug, dass der Tod einen zum Folgen „auffordert“ und sich nicht einfach... bedient wie ein Urlauber am Buffet.

Der Raum, den sie jetzt betraten, war kreisförmig aufgebaut.

Man stelle sich hierzu eine Geburtstagstorte vor, eine dieser mit Zuckerguss überhäuften, rosafarbenen Dinger, die niemand schön findet. Und jetzt stellt euch vor, dass die erwartete Strippern fehlt und an ihrer Stelle ein Finanzbeamter, der die angefallenen Schulden eintreibt, aus dem Kariesungetüm hüpft.

So in etwa ließ sich die Atmosphäre einfangen, die hier vorherrschte.

Gigantische Pfeiler schossen aus dem Boden hinauf zur Decke, die man irgendwo weit über ihnen vermuten durfte. Dunkelheit klebte in den Ecken und verbarg die Spinnen, die sich hier in meterlangen, weißen Wandteppichen verewigt hatten.

Zu sehen waren die Künstler nicht. War wahrscheinlich besser so.

„Ich hasse lesen“, maulte die Dämonin und rümpfte die Nase. Wie gerne hätte Ryoga hierzu einen dummen Kommentar abgegeben. Leider fiel ihm keiner ein. Es mochte daran liegen, dass ihm ebenfalls die Lust verging angesichts der Tonnen an Literatur, die sie vor sich hatten.

„Also gut. Fangen wir bei… K an.“

„Huh, wieso ’n K?“

„Wir wollen Ukyo wieder beleben…“

„Und?“

„Und ihr Nachname ist Kuonji.“

„Stimmt!“

Ryoga unterdrückte den Impuls sich die Haare zu raufen und steuerte auf die Regale zu. Glücklicherweise hing an jedem Schrank eine Kennzeichnung. Man kam sich schon so vor wie in der Bibliothek eines Größenwahnsinnigen, der mit ein paar gleichgesinnten Kumpels zusammengelegt hat. Ohne Beschilderung wären sie völlig aufgeschmissen. Die Dämonin schlenderte von links heran, die männliche Göttin von rechts. Auf diese Weise näherten sie sich den Akten.

„Kümmel… Knirsch… Kuh… halt, warte Kuh?“

„Kunst… der heißt doch tatsächlich Kunst… Kuchen… hm, ich krieg’ Hunger… Kahn… den kenn’ ich doch woher, oder?“

„Kaiser… König… fehlt nur noch der Bube… Argh!“
 

Ranma blinzelte von der Akte auf, die sie gerade inspizierte. Ihr Freund & Feind zertrümmerte sich soeben die Schädelplatte am Regal und war dabei sogar noch laut. In letzter Zeit wirkte Ryoga sowieso arg angespannt. Na, es gab nix, was ein wenig Saotome-Charme nicht wieder hinbekam. Obwohl es ihr manchmal so vorkam, als wären die meisten Probleme erst dank des Saotome-Charmes entstanden.

„Klingone… Küken… Kompott… boah, ich krieg’ jetzt aber wirklich Hunger.“

„Denk nicht immer nur ans Fressen! Such’ gefälligst Ukyo!“, schnauzte der Stirnbandträger neben ihr. Schmollend widmete sich die Dämonin den stummen Zeugnissen, die größtenteils nur noch aus Staub zu bestehen schienen.

„Hey Schweinebacke!“

„WAS?“

„Hier heißt einer Kunstwerk. Könnt’ glatt ich sein, oder?“

Ranma war schnell genug, um der Akte auszuweichen und nicht herauszufinden, ob auch Kilo drin war, wo Kilo draufstand. Kurz stoppte sie in der Arbeit und legte den Kopf in den Nacken. Das Ende der Regale war überhaupt nicht auszumachen. Was war also, wenn Ukyo nicht hier unten, sondern da oben steckte? Ein Schauder überfiel die Teufelin. In solchen Fällen hielt sie sich besser an den Rat ihres Vaters: Wer Zeit zum Denken hat, hat Zeit zum Handeln.

Zugegeben, man sieht, wo ihn das hingebracht hat. Aber Blödheit in kleinen Dosen ist vielleicht nicht immer die Schlechteste aller Ideen. Halt, warte, kommt irgendwie widersprüchlich rüber. Argh, zuviel Anstrengung der kleinen, grauen Zellen! Zurück zur Arbeit.

„Ich hab’s, ich hab’s!“

Erschrocken ließ Ranma die Akte Korn & Kümmel fallen und schaute zu Ryoga, der beschwingt umhertanzte, Pirouetten drehte und dabei ganz und gar nicht – wie würde es ihre Mutter ausdrücken? – männlich aussah. Als er auf sie zurannte und klare Anzeichen machte, sie zu umarmen, blockte sie den Versuch mit einem flinken Kick ins Gesicht.

Im selben Atemzug zog sie ihrem Kameraden die Akte aus den zuckenden Fingern und beäugte den Aufdruck. Kuonji Ukyo. Wer hätte geahnt, dass das so locker klappen würde? Ryogas Versuch nach der Akte zu fummeln, während sie ihn mit dem Fuß im Gesicht auf Abstand hielt, ignorierte die feuerrothaarige Schönheit mit langer Übung.

Behutsam neigte sie die Mappe und ließ ein einziges, sauberes Blatt hervorgleiten. Ganz oben stand so ein bürokratischer Nonsens, gefolgt von Ukyos Namen, Geburts- und letztlich ihrem Sterbedatum. Urgh, irgendwie gewöhnungsbedürftig das Ganze. Ranma wusste schon, weshalb sie sich um Behördengänge drückte.

„Wilschen!“

„Huh?“

Ryoga ruckte mit dem Kopf zurück und blitzte Saotome finster an.

„Will sehen!“

„Hier.“

Beiläufig hielt sie dem Wüterich das Dokument unter die Nase, der dieses großäugig anglotzte.

„Das ist es?“

„Jupp, sieht so aus.“

„Und – was tun wir jetzt damit?“

„Gute Frage. Aber der Knochensack hat doch was von korrigieren gesagt, also vielleicht da beim Sterbedatum was ändern?“
 

Ryogas Gefahreninstinkt schlug an. Das tat er immer, kurz bevor Ryoga eine große Dummheit beging. Meistens beging er sie trotzdem und bereute es daraufhin jede Nacht. Fünfundneunzig Prozent dieser Dummheiten waren auf ein und dieselbe Person zurückzuführen. Besagte Person stand keinen Meter entfernt und wartete auf eine Antwort.

Noch wog Hibiki ab, ob die Antwort wort- oder bizepsstark erfolgen sollte.

„Na, wenn du meinst“, pflichtete der Wanderer zögernd bei und die Dämonin schlug ihm fröhlich auf die Schulter. Ryoga konnte sich nicht helfen. Er kam von dem Gefühl nicht los, einen Pakt mit dem Teufel eingegangen zu sein.

Sicherheitsbewusst sprang die Ironie zur Seite, ehe sie von Hibikis fehlendem Feingefühl niedergetrampelt wurde. Die Leichtgläubigkeit kam dann allerdings unerwartet und walzte die Ironie entschlossen platt.

„Also löschen wir’s mal.“

„Hö?“

Mit Entsetzen verfolgte Ryoga wie Ranmas Fingerspitze die Zunge berührte, ehe sie damit über das Sterbedatum strich und die Tinte grob verwischte. Hibiki konnte nicht anders. Selbst der Engel auf seiner linken Schulter feuerte ihn an und warf mit Popcorn.

Die Faust flog und wurde kurz darauf von Ranma begleitet, die sich dreimal in der Luft überschlug, bevor sie weitere dreimal auf dem Boden denselben Prozess wiederholte. Benommen rappelte sich die Dämonin auf.

„Du – Du - Irrer! Du bist so dämlich, dass dir Athene glatt Nachhilfe geben würde!“, echauffierte sich der Wanderer und stampfte auf seine Nemesis zu. Besagte Nemesis ließ nicht lange mit einer Antwort auf sich warten.

„Hey, gar nich’ wahr. Wer is’ eigentlich Athene?“

„Argh!“

Unbeachtet von den zwei Streithähnen verselbstständigte sich das Blatt Papier. Ein ungespürter Luftzug pellte es vom Untergrund, wellte es auf und sog es in einer Spirale nach oben. Das es dabei hellblau aufleuchtete kurz bevor es verschwand, fiel nur einer Person auf. Die andere war zu beschäftigt.

„Du – Ryoga.“

„Was?“, der Angesprochene knetete seine Faust.

„Ähm – Blatt.“

„Was?“, Ryoga packte Ranma am ausgefransten Kragen.

„Ich, also – der Zettel.“

„Welcher Zettel?“, er funkelte seinen Kindheitsfeind an.

„Also, der von Ukyo.“

„Was ist damit?“, Hibiki präsentierte seine Beißerchen.

„Weg.“

„Hö?“, die Halbgöttin stutze.

„Der is’ eben verschwunden.“

„…“

„Jetz’ echt. Vorher war er noch da, jetz’ isser weg.“

„Saotome, ich hoffe für dich, dass das ein gutes Zeichen ist. Denn falls nicht…“

„Falls nicht?“

„Wirst du schon bald wieder hier sein.“

„Na ja, aber wir sind ja eh schon mal hier.“

„Allein.“

„Oh.“
 

„Da Kaiki.“

„Kuonji.“

„Süße!“

„Ahhh!“

„Autsch!“

Die Reaktionen waren geteilt. Vielleicht ist das gar nicht weiter ungewöhnlich, wenn ein Mädchen aus heiterem Himmel auf der Schulter ihrer Klassenkameradin auftaucht und den Gesetzen der Schwerkraft folgend ihre Trägerin zu Boden reißt.

Akane lag murrend auf dem Bauch, Ukyo quer über ihr, Kahuna Kuno stand mit gezückten Trimmern bereit, Tatewaki Kuno befand die Situation als eigenartig, Happosai für seinen Teil sprang auf beide zu und die Horde beklauter Mädchen sorgte dafür, dass er sein Ziel nicht erreichte.

„U-Ukyo?“

„Ähm, ja?“

„Nichts für ungut, aber… GEH VON MIR RUNTER!“
 

„Full House!“

„Pah, Royal Flash“, antwortete Enma-sama und rückte die schwarze Sonnenbrille höher. Fassungslos beschaute sich Urd das Blatt und schleuderte die Spielkarten auf den Tisch. Die Ordner hüpften bedrohlich und beugten sich über den Köpfen der beiden Spieler. Bedrohlicher als dieser Anblick sind nur zwei Dinge. Einmal ein missgelaunter Chef, der auf der Suche nach sehr bald sehr freien Mitarbeitern ist oder eine nicht minder missgelaunte Norne der Vergangenheit, die soeben drei Seelensplitter los geworden ist.

„Du hast doch geschummelt!“

„Mitnichten. Es ist zwar Klischee, aber lass mich zitieren: Vor dem Tod – das schließt den Mitarbeiterstab großzügig ein - sind alle gleich.“

Bevor Urd diese These austesten konnte, erklang ein winziger Laut.

„Pling?“, echoten die überirdischen Gestalten und warfen sich einen fragenden Blick zu.

Es schloss sich eine unsichtbare Welle verdrängter Luft an das Geräusch an. Die Götter wurden prompt von den Stühlen geworfen und die zwei Ordnertürme brachen über ihnen zusammen. Inmitten der endlosen Einfarbigkeit des Raums war ein schwarzer Punkt gesprossen. Wie der Schimmel unterm Waschbecken hob er sich vom Weiß der Wände, des Bodens und der Decke ab. Es war der Fahrstuhl.

Es war der Fahrstuhl, dessen Schiebetür sich kreischend aufschob und ihre Insassen freigab, die Hals über Kopf aus der Abnormität flüchteten und beim Versuch übereinanderfielen.

Fürs Erste blieben sie liegen.

Unter dem sprichwörtlichen Aktenberg deutete gequältes Stöhnen auf weitere Überlebende hin. Kein Schmetterlingsflügelschlag verging und die Ordner explodierten regelrecht in die Höhe, fast wie bei einem Vulkanausbruch. Nur ohne Lava und die coolen Lichteffekte.

Dafür verharrten die Sammelordner in der Schwebe, drei Meter über dem Bürotisch. Dann, urplötzlich, zogen sie eine enger werdende Schleife, die sich wirbelnd verjüngte und an dessen Ende sie in vier geordneten Stapeln aufeinanderplumpsten.

Urd schlug die Augen auf und kam auf die Beine. Natürlich ist diese Feststellung falsch.

Zwischen dem Prozess des Augenaufschlags und dem Wiederfinden ihres Gleichgewichts vergingen gefühlte Jahre bis Urd zudem den Aktenstaub ausgehustet, ihre Frisur gerichtet und ihr Kleidung zurechtgerückt hatte.

Ihr Rücken knackte beherzt. Die Frau warf ihr platinblondes Haar über die Schulter zurück und glitt auf die Neuankömmlinge zu. Hinter ihr ächzte Enma-sama beim Versuch auf seinem Thron Platz zu nehmen.

„W-Wir leben noch Ranma, o-oder?“

„Uh-huh. Glaub' schon. Hehe-argh!“

„Das lässt sich ändern.“

Die beiden Jugendlichen starrten zu ihr hinauf. Beide schluckten laut, ehe sie den Blick senkten. Urd war sich ihrer Wirkung auf das Trottelduo bewusst. Lächelten die Menschen beim Blick auf eine erheiterte Belldandy oder zwangen sich ein Lächeln bei einer naseweisen Skuld ab, so gefror ihr Lächeln beim Anblick einer wütenden Urd.

„Ich hoffe, ihr habt geschafft, weswegen ihr da runtergegangen seid. Denn wenn nicht, werdet ihr darum betteln wieder zurück zu dürfen.“

„W-Wir haben's geschafft. E-Ehrlich. Sag's ihr Ranma.“

„J-Ja. A-Aber sicher. K-K-Kinderspiel.“

Urd nickte zufrieden. Hatten diese beiden Tölpel also doch etwas zu Wege gebracht. Die Norne gönnte sich ein kleines Lächeln und die beiden Jungs, mitunter Mädchen, seufzten erleichtert auf und grinsten einander an. Im nächsten Moment spross das übliche finsteres Gewitterwölkchen zwischen den Rivalen.

„Tolle Idee, nehmen wir doch den Fahrstuhl?“

„Konnt' ja nich' wissen, dass du so doof bist den Abwärtspfeil zu drücken, wenn wir hoch wollen!“

„Woher sollte ich denn wissen, was man drücken muss?“

„Runter heißt runter du Depp, hast du in der Schule geschlafen?“

„Das muss ich mir nicht anhören. Nicht von dir!“

Urd räusperte sich. Und wurde überhört.

„Immerhin bringt der Schlaf was bei mir. Meine Verlobten wissen halt, was sie an mir haben.“

„Ach red' doch nicht! Bei dir hilft doch aller Schlaf nicht mehr!“

Urd knirschte mit den Zähnen, was selbstverständlich ebenfalls ignoriert wurde. Na gut, die Jungs wollten es auf die harte Tour. Fein. Sie bekämen die harte Tour. Lächelnd richtete sie sich an die Gefährten, doch ihre Stimme schnitt durch die umherfliegenden Worte wie ein Falke durch den Himmel.

„Nachdem ihr alles erledigt - “, Urd fixierte den Blick auf Ryoga.

„ - und du hier erstmal nix mehr zu suchen hast - “, sie schaute wieder beide an.

„ - macht's wie die Fliegen - “, führte sie weiter aus.

„Hö?“

„Huh?“

„ - und schwirrt ab“, schloss sie ihre Ansprache und riss beide Hände in einer imposanten Geste empor.

Grüne Funken prasselten aus den Handtellern in die Höhe und lange, gezackte Strahlen schossen von einem Funken zum nächsten. Ranma und Ryoga stellten sich die Nackenhaare auf. In der Luft machte sich der Geruch elektrostatischer Entladung breit. Hellgrüne und dunkelgrüne Blitze zischten um die Kämpfer und umkreisten sie zickzackförmig.

„Gute Heimreise“, flötete Urd und winkte.

Immer schneller und schneller tanzten grüne Flecken um Ranma und Ryoga, wurden heller und dunkler und zuguterletzt schwarz.
 

Mousse war unentschieden. Die Augen kritisch hinter der Brille verengt, schaute er mal nach links, mal nach rechts. Er nickte wichtig. Er schüttelte den Kopf. Er zuckte die Achseln.

„Hammer oder Axt?“

Unentschlossen stand er im Raum und beäugte sein Arsenal im sanften Licht der Mittagssonne. Die Nachricht hatte ihn nach nicht einmal einer Stunde Schlaf ereilt und war unsanft gegen seinen Kopf geprallt. Es war ein kleiner Ball gewesen, der, sobald man ihn öffnete nicht nur Unmengen farbigen Konfetti und eine unglaubwürdige Nachricht – Das Glück ist dir hold! - ausspuckte, sondern zusätzlich dazu einen kleinen Brief.

Es war eine Herausforderung. Es war ein Test. Es war eine Einladung zum Duell von Happosai.

Es war also ein weitere Belästigung.

Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Reserven zu inspizieren und sich für den Kampf zu rüsten. Für gewöhnlich sah Mousse nichts falsches in einer Herausforderung. Eine Herausforderung stellte eine ehrenhafte Aufforderung zum Kräftemessen dar. Oder sie diente dazu einen verhassten, polygamen Mistkerl in seine Schranken zu verweisen. Oder aber dazu an kostenloses Essen heranzukommen, wenn das Geld knapp und der Bauch leer waren.

Allesamt waren das gute Gründe.

Kam ein solches Schreiben allerdings von Happosai, so musste man auf der Hut sein. Es hießt ja nicht umsonst: Alles ist möglich. Happosai verdrehte diesen Grundsatz des Musabetsu Kakuto Ryu gerne so, dass er sich folgendermaßen übersetzte: Alles ist erlaubt.

Der anerkannte Tellerwäscher seufzte auf.

Gedankenversunken schob er den Fuß unter ein Schwert chinesischer Machart und schleuderte es in die wartende Hand, die die Klinge geschickt auffing.

Warum tat er sich das alles nochmal an? Wieso nahm er dieses Höllentraining auf sich, ließ sich tagtäglich verdreschen und gehorchte trotzdem den nicht nachvollziehbaren Befehlen eines pervertierten, greisen Gnoms?

Klar, die neuen Techniken waren eine Sache und dass das Training gewisse Früchte abwarf, war ebenfalls nicht zu verachten. War das allerdings Rechtfertigung genug?

„Shampoo Tür eintreten!“

Hach ja, hier war der Grund. Sentimental wandte sich Mousse der Tür zu und breitete die Arme zur Begrüßung aus. Zum Dank landete die Tür in seinem Gesicht und begrub ihn unter ihrer Fläche, einschließlich dem Gewicht seiner Jugendliebe, als diese darüber stolzierte.

„Mousse? Wo du sein? Mousse! Teller nicht allein waschen!“

Der Amazone erwog für einen Moment auf sich aufmerksam zu machen. Selbst er war nicht masochistisch genug, um diese Situation als erfüllend wahrzunehmen. Allein schon deshalb, weil es verdammt weh tat. Gerade rechtzeitig schaltete sich sein Verstand ein. Wie sollte er Shampoo erklären, dass er augenscheinlich zum dritten Weltkrieg rüstete? Seine sonstigen Spielgefährten waren schließlich außer Haus.

So ertrug er das Gewicht noch ein wenig länger und schnaufte erleichtert auf, nachdem seine Herzensdame die Treppe hinab verschwunden war. Atemlos schob Mousse die Tür von sich und förderte einen chinesischen Fächer mit dem Motiv einer Wildente hervor. Er wollte ja nicht behaupten, dass Shampoo zu viel auf den Hüften hätte. Ihre Figur gefiel ihm überaus, außerdem hing er an seinem armseligen Leben. Es war vielmehr so, dass sie nicht zu wenig auf den Hüften hatte. Insbesondere, wenn sie auf einem herumtrat.

Während er sich etwas Luft zuwedelte, sondierte er nochmals die Sammlung, die er sich in jahrelangem Eifer zugelegt hatte.

Größtenteils mochte es sich um Schrott, ausrangierte Waffen und Plunder handeln, den kein Flohmarkthändler freiwillig annehmen würde. Doch es war sein Schrott, seine ausrangierten Waffen und sein Plunder und er wollte verdammt sein, wenn ER nicht etwas damit anfangen konnte.
 

Die Schwärze wurde wie ein Tuch fortgerissen. Was zurückblieb war Sonnenlicht, Wind und der Ausblick auf den Swimmingpool der Schule aus der Vogelperspektive. Lauthals protestierend durchschlugen die ungleichen Kameraden die Wasserfläche und hinterließen zwei hochragende Fontänen, die für die Dauer eines Moments im Sonnenlicht funkelten und schimmerten.

Ryoga spürte die Verwandlung einsetzen.

Das Kribbeln der Magie durchwirkte seinen Körper, schrumpfte ihn, verschob seine Körperproportionen und ließ ihn das Wasser auf völlig andere Art erleben. Spielerisch und beruhigend umspülten sie die Wogen, schmiegten sich an ihre Glieder und lösten den Umhang von den Schultern. Auch verlor ihre Kleidung einmal mehr jeden praktischen Nutzen, wurde glatt und dünn und umwickelte sie wie ein Strudel.

Innerhalb weniger Sekunden war der Zauber vollendet und Ryoga Hibiki, Göttin zweiter Klasse, dritter Kategorie mit limitiertem Zugriff durchbrach die Wasserfläche.

Ein Rundumblick enthüllte ihr, dass ihre Ankunft nicht unbemerkt geblieben war. An den offenen Fenstern der Klassenräume hatten sich die Schüler versammelt, tuschelten und deuteten nach draußen. Vielleicht schauten sie aber einfach nur Ranma dabei zu wie diese einen Affen aus sich machte. Der Lederrock war bis fast auf Hüfthöhe aufgeschlitzt und das Top hing nur noch an einem Halter. Ihr roter Zopf rauchte trübsinnig vor sich hin, ihr Haar glühte nichtsdestotrotz wie eine überlastete Herdplatte.

In zwei kräftigen Zügen schwamm nun auch Ryoga an den Beckenrand und zog sich daran hoch. Sie wusste nicht wie, aber irgendwie hatte sie es geschafft. Sie war noch am Leben, hatte Ranma trotz deren nerviger Kommentare nicht umgebracht und sie waren beide zurück in der Welt der Sterblichen.

Jetzt zählte nur noch eins. Sie musste Ukyo finden! Es kamen ihr wie Jahre vor, dass sie die liebevolle Stimme ihrer Chefin gehört, ihr gütiges Lächeln gesehen und ihre freundlichen Worte vernommen hatte.

„Nehmt es weg, nehmt es weg, nehmt es weg!“

„Huh?“

Dort lief Ukyo. Neben ihr her lief Akane. Und beide waren auf der Flucht vor Happosai, der in gewaltigen Sätzen hinter den Mädchen her jagte, ab und zu einen Grabscher erzielte und dabei soviel Leidenschaft an den Tag legte wie die Horde Schülerinnen, die hinter ihm her war. Hintendran bekriegten sich Tatewaki und Kahuna Kuno, wobei der Vater Kokosnüsse warf und der Sohn diese mit gezielten Schlägen zurückschlug.

„Ukyo!“, rief Ryoga.

„Akane!“, rief Ranma.

„Hilfe!“, riefen die Mädchen.

Das Chaos von Nerima hatte sie wieder. Ryoga Hibiki war das egal. Endlich wieder würde sie Ukyo in ihre Arme schließen können, mit ihr Witze reißen oder einfach schüchtern stammeln oder in ihrer Nähe sein können. Tatsächlich war Ryoga so verzückt von diesen Gedanken, dass ihr ein nicht unwichtiges Detail völlig entglitt.

Die Mädchen flüchten auf den Pool zu. Damit flüchten sie auf Ryoga und Ranma zu, die gerade eben herausgekrochen waren. Daraus folgert sich, dass die ganze Truppe wie eine Herde wilder Ochsen auf die lädierten Kämpfer zuheizte.

Aus dem Augenwinkel erhaschte die Göttin den Blick der Teufelin, die ihr ein halbherziges Lächeln schenkte.

„Nerima hat uns wieder, eh?“

Ryoga grinste und zuckte die Achseln. Was soll man da sagen? Wo sie recht hat, hat sie recht.

„Nerima hat uns wieder.“
 

Urd legte die Füße auf den Tisch, verschränkte die Arme hinterm Kopf und lehnte sich im Stuhl zurück. Die Augen geschlossen und ein Liedchen auf den Lippen genoss sie die Stille. Hätte sie geahnt wie nervig dieser Support-Job werden würde, so hätte sie ihn kulant ihrer kleinen Schwester in die Schuhe geschoben. Bevor Skuld in ihrer Werkstatt völlig die Welt aus den Augen verlor, sollte sie mal ein wenig anpacken und Erfahrung sammeln.

Urd dagegen war eine altgediente Arbeitskraft, die sich auskannte und die inzwischen längst eine Beförderung verdient hätte. Stattdessen wurde sie mit einem so miesen Job abgefertigt. Immerhin konnte sie diese Etappe des Job zum Großteil beim Poker zubringen und Enma-sama war zwar ein schlechter Verlierer, aber dafür kein schlechter Spieler.

„Jetzt ein paar Jahrzehnte schlafen“, murmelte sie vor sich hin und gähnte.

Die Tür zu ihrem Büro hatte einst eine Klinke. Jetzt fehlte diese. Der Türrahmen hatte auch einst eine Tür. Im Augenblick flog diese noch durch den Luftraum über Urds Kopf und klatsche gegen die Wand hinter ihr.

Urd hob ein Augenlid und musterte die schnaufende Gestalt ihrer kleinen Schwester. Deren schwarzes Haar stand in alle Richtungen ab und in den zitternden Händen hielt sie ihren Hammer. Die Norne der Vergangenheit seufzte.

„Nein, du kriegst keinen Taschengeldvorschuss.“

„Du alte Vettel! Was hast du nur angerichtet?“

Urd setzte sich in ihrem Stuhl auf und warf Skuld über den Tisch einen grimmigen Blick zu.

„Wovon redest du eigentlich du vorlautes Gör?“

„Wie konntest du die beiden Tölpel nur allein gehen lassen?“, beschwerte sich die junge Göttin.

„Die kamen doch ganz gut zurecht“, rechtfertigte sich Urd und verschränkte trotzig die Arme.

„Das nennst du gut zurecht?“, und mit diesen Wort schleuderte Skuld ihrer älteren Schwester ein Dokument auf den Tisch, das diese sodann zu sich drehte. Es war eine Sterbeakte. Der Name der Verstorbenen lautete Ukyo Kuonji.

Urd schluckte hörbar und mit wachsender Bestürzung ließ sie ihre Augen über die Zeilen gleiten.

„Und? Was sagst du jetzt dazu?“, schnaubte die Norne der Zukunft.

Für einen gediegenen Augenblick starrte Urd noch auf den Zettel. Erfolgslos öffnete und schloss sich ihr Mund und machte einem gestrandeten Goldfisch dabei alle Ehre. Doch wer Urd kennt, der ahnt, dass es dabei nicht blieb.

Wenige Wimperschläge später posaunte ihr unartikuliertes Gebrüll durch die verwinkelten Gänge ihrer Abteilung.

Von dort aus nahm das Geräusch den Aufzug spährenabwärts und scholl nach einem ominösen "Pling! Sie haben Ihr Ziel erreicht..." zwischen zwei Aktenstappeln hindurch, die bebend erzitterten und wie baufällige Türme schwankten. Der aufgewirbelte Staub seinerseits stahl sich unter der beeindruckenden Nase Enmas davon und nahm abermals den Aufzug in Anspruch.

Doch wohin hat es den uralten Staub getrieben, mag der geneigte imaginäre Beobachter vielleicht fragen?

Ein bekuttete Gestalt, die auf den einprägsamen Namen TOD hört, könnte die Neugierde besagten Beobachters sicherlich befriedigen.

Ist schließlich nicht Gevatter Tod derjenige, der das Wissen uralter Kulturen hortet? Ist er nicht derjenige, der noch lange vor Enma weiß, wer wann und in welchem Zustand an die Pforte des Jenseitsverwesers klopft? Ist er nicht derjenige, der noch aus der kleinsten Lektion eines Sterblichen etwas für sich mitnimmt - und sei es auch nur die Seele ebenjenes armen Hundes?

Ganz gewiss hatte TOD diese Frage längst kommen sehen! Gleich würde er eine gewitzte und hintersinnige Antwort anbringen, die mindestens so viele Fragen aufwirft wie sie klärt. Das ist die Natur des Todes, denn er ist mysteriös, er ist nebulös, er ist schweigsam wie ein Grab!

"Hatschiiiii!"

...

Tja, immerhin ließ sich jetzt sagen, wohin genau sich der Staub verflüchtigt hatte.

Was sich mindestens genauso sicher feststellen ließ, wäre folgendes:

1. Ranma und Ryoga tendieren dazu Spuren zu hinterlassen. Meist bestehen diese aus zerstörungsgebundenem Chaos, Plänen, die gehörig ins Wasser fallen und Racheschwüren, die die Halbwertszeit des Elements Blei übersteigen.

2. Diesmal war ihnen zweifellos ein höllisches Meisterstück gelungen.
 

Der Geruch von Okonomiyaki umspielte die Nasen der Gäste. Da es nur drei Gäste und damit drei Nasen gab, blieb für jeden genug übrig. Mit den Okonomiyaki sah es da ganz anders aus. Ein Mädchen mit roter Mähne schaufelte ein Exemplar mit ungeheurer Schnelligkeit in sich rein, rülpste verhalten und packte den Teller auf den Stapel neben ihr. Den Klaps auf den Hinterkopf von ihrer Verlobten nahm die Teufelin kommentarlos entgegen und grinste verhalten.

Die Göttin nebenan wirkte dagegen regelrecht zurückhaltend.

Neben ihr ruhten lediglich drei Teller und am vierten Okonomiyaki zupfte das Teilzeitmädchen gedankenverloren, während sie der Köchin bei der Arbeit zusah. Ukyo fing ihren Blick auf und lächelte sie an, woraufhin Ryoga erschrocken die Augen auf ihre Mahlzeit absenkte.

„Un-schmatz was ist hie-schmatz in letzter Zei-schmatz so passiert?“

„Ranma, schlucke gefälligst runter, bevor du sprichst“, mahnte Akane und der Rotschopf winkte feixend ab.

„Na ja, die Kunos benehmen sich eigenartig. Aber das ist ja schon fast wieder normal“, befand Ukyo und Akane sprang ein: „Außerdem hat sich Happosai einen Lehrling zugelegt.“

Simultan spähten Ranma und Ryoga auf.

„Das ist doch nicht euer Ernst?“, meinte Hibiki ungläubig.

„Welcher Trottel würd' sich denn vom alten Ekel unterweisen lassen?“

Die Mädchen zuckten nur die Achseln.
 

Happosai paffte an seiner geliebten Pfeife. Manchmal war es ganz schön, wenn man es ruhig angehen ließ. Er war zwar noch kein alter Mann, aber ab und zu war ein Ruhepäuschen nicht zu verachten. Hinter sich vernahm er das Rascheln von Kleidung.

War der talentlose Nichtsnutz also aufgetaucht.

„Bist also gekommen Jungchen?“, meinte er ohne sich umzublicken. Er blies ein paar Rauchringe in die Luft und verfolgte mit wie diese größer und größer wurden und sich schlussendlich auflösten.

„Und ob. Ich bin bereit für eure Herausforderung.“

„Ach, biste das?“

Happosai richtete sich zu voller Größe auf. Er wusste selbst, dass es keinen merklichen Unterschied machte, ob er stand oder saß. Manche Kindergartenkinder waren größer als er. Dabei war er einst so ein gutaussehender, stattlicher Mann gewesen. Zumindest war er das in seiner Erinnerung. Und es lebte nur noch eine Person, die gegenteiliges bezeugen konnte. Obwohl es klüger war, wenn Cologne das nicht tat. Wer hatte sich schließlich einst in ihn verschossen?

„Hehehehehehe.“

„Meister?“

„Ach, du bist ja noch immer da?“

„Wo sollte ich sonst sein? Ich soll ja gegen euch kämpfen“, stellte der Junge verächtlich fest.

Happosai pustete ein Rauchwölkchen aus, das zaghaft die Form eines Unterhöschens annahm. Es war ein reizendes Stück, da musste er sich glattweg selbst loben.

„Jungchen. Wer sagte, dass du's wert bist gegen mich anzutreten?“

„Ja, aber Ihr...“

„Lies richtig du blinder Trottel.“

Der Chinese zog einen gefalteten Zettel aus dem Ärmel und überflog die Nachricht. Selbstgerecht deutete er mit dem Zeigefinger auf Happosai, zögerte und setzte nochmals seine Brille auf. Dann drehte er sich zu Happosai um und las den Zettel etwas eingehender.

„Aber hier steht etwas von einem Duell.“

„Schlaues Kerlchen. Duell – ja. Gegen wen, steht das da etwa drin?“

Mousse legte den Kopf schief und schlug mit der Faust in die Handfläche.

„Nein.“

„Schön, dass der Groschen fällt“, Happosai sog an der Pfeife und blickte in die Ferne. Auf seine faltigen Lippen kroch ein gehässiges Grinsen. „Du willst also deinen Kontrahenten?“

Mousse nickte unsicher.

„Dann lauf mal los. Da unten spurtet sie lang.“

Der Amazone schluckte hörbar und trat neben Happosai an den Dachrand heran. Hinter den Brillengläsern wurden seine Augen groß. Sprachlos zeigte er auf das Mädchen, das dort auf dem Zaun neben dem Kanal davonraste. Ihr kobaltblaues Haar peitschte im Wind hinterher.

„I-Ich kann doch nicht gegen... aber das ist doch...“

„Du sollst sie ja nicht niederschlagen. Für wen hältst du mich? Beweise mir, dass du was gelernt hast. Klau ihr... den BH. Wenn du das schaffst, können wir ernst machen.“

„Das ist doch ein - ahhhh!“

„Viel Spaß Jungchen!“, rief Happosai seinem davonfliegenden Schüler nach, die Pfeife noch immer zum Schlag erhoben und einen nostalgischen Ausdruck auf dem Gesicht. „Hach ja, sie werden so schnell flüge und verlassen das Nest.“

Gackernd hüpfte der Großmeister des Musabetsu Kakuto Ryu in die entgegengesetzte Richtung davon den Schrei seines Schülers im Rücken. Er wusste immerhin etwas, was sein Schüler nicht wusste. Shampoo hatte noch gar keinen neuen Büstenhalter.
 

Ukyo saß neben ihrer Bedienung im Restaurant. Morgen würden sie neu eröffnen und nach der langen Zeit erwarteten beide einen Riesenansturm. Ukyos Knie wippte aufgeregt und sie wand die Schultern. Immer wieder stahl sie Blicke zu Ryoga, die ihrerseits überall hinsah nur nicht zu ihr.

„Und – wie war's?“

„Öhm... hehehe... ja, also... hehehehe.“

„Argh! Ryoga, hör' auf zu stammeln.“

„A-Aber du bist wieder... da. Lebendig. Ich - “, das Halbmädchen hob schüchtern die Augen und lugte unter den Haarfransen zu ihr. „ - bin glücklich. Froh, dass du... wieder da bist.“

„Ich freue mich auch wieder normal zu sein. Ich – ach verdammt, was soll's?“

Um Taten auf Worte folgen zu lassen, ergriff die Kampfköchin ihre überrumpelte Bedienung an den Schultern. Es war kein unsanftes Manöver, aber ein bestimmtes. Ukyo schluckte trocken und schloss dann die Augen. Bereits im nächsten Augenblick trafen sich, voller Gefühl und Romantik, ihre Köpfe.

„Au! Du Esel! Warum hast du dich bewegt?“

„I-I-Ich – t-tut m-mir l-l-leid“, stotterte die Göttin mit hochroten Wangen und stupste die Zeigefinger gegeneinander. Ukyo strich sich das Haar aus dem Gesicht und hinter beide Ohren, dann fasste sie neuen Mut. Sie tastete nach Ryogas Hand.

„Ryoga?“

„Uh-huh?“

„Es ist... ich... Schön, dass du wieder da bist.“

Scheu linste die Göttin des Frohmuts auf. Ein Eckzahn bohrte sich ihr unsicher in die Unterlippe und die großen Augen suchten Ukyos Gesicht.

„M-Meinst du das er - “

Ryoga Hibiki kam nicht dazu den Satz zu beenden. Es lag nicht an einer gewaltigen Attacke, die die Erde zum Erbeben und den Himmel zum Aufklaffen brachte, auch war es kein mächtiger Schlag oder pfeilschneller Tritt, der ihr den Atem geraubt hätte.

Es war ein weiches Paar Lippen.

Für eine unbestimmte Dauer ließ Ukyo die Wärme des Kusses durch sich gleiten, ihr den Kopf verklären und das Herz hämmern und dabei hielt sie Ryogas Hand fest in ihrer. Erst als beiden die Luft auszugehen schien, lösten sich ihre Lippen voneinander. Beide puterrot und ohne Worte saßen sich auf den Barhockern gegenüber. In der Luft stand noch das Aroma des Okonomiyaki.

„I-Ich geh' dann mal d-duschen. R-Räumst du etwas auf?“

Noch bevor Ryoga hätte antworten können, sprintete die Kampfköchin bereits hinter den Thresen und die Treppe im Eiltempo hinauf. Erst im Bad blieb sie stehen, schlug die Tür zu und hielt sich die Brust. Ihr Herz trommelte so laut, dass sie es hören konnte. Was war nur in sie gefahren?

Natürlich, sie beide hatten schon unanständigeres angestellt, woran sie sich zwar nicht erinnerte, was sie nichtsdestotrotz peinlich berührte. Diesmal konnte sie dem Alkohol allerdings keine Schuld geben. Noch ganz dusselig vom Kuss stützte sie sich auf das Waschbecken. Was war nur mit ihr los?

War das Liebe?

Fragend schaute sie ihr Spiegelbild an, das ratlos die Schultern hob.

Erstmal duschen, danach würde die Welt schon wieder in den rechten Fokus rutschen. Sorgsam entkleidete sie sich und füllte den Bottich mit kaltem Wasser auf. Dreimal übergoss sie sich damit, fröstelte und biss die Zähne zusammen. Irgendetwas hatte an ihrem Rücken gezwickt. Doch egal was es war, jetzt war das komische Gefühl wieder verschwunden.

„Muss der ganze Stress sein“, befand sie und setzte einen Fuß in den Furo.

Kurz darauf ließ sie den zweiten nachfolgen. Genüsslich senkte sie sich in die wogende Hitze hinein und atmete tief ein und aus. Es gab nichts Beruhigenderes, als ein heißes Bad im Furo. Sich zu entspannen, zurück zu lehnen und die Flügel einfach mal treiben zu lassen.

Selig grinste Ukyo in den warmen Dampf hinein.

„FLÜGEL?“
 

ENDE – Buch II
 

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Ich wünsche euch allen eine gute und schöne Woche,
 

euer Deepdream

Feste feiern.

An manchen Tagen krabbelt man besser nicht aus dem Bett, geschweige denn man denkt daran die Wohnung zu verlassen. Manchmal bleibt einem allerdings auch keine Wahl. Sofern einem eine bliebe, wäre man dann ehrlich so blöd und würde sie nicht wahrnehmen?

„Ich will nicht, bitte!“

Ukyo schnaubte und arbeitete daran die Verkrampfung ihrer Finger – dieser Zustand wird oft als „Faust“, in der Mehrzahl „Fäuste“, betitelt - zu lösen. Unter Aufwendung aller erdenklicher Geduld, die sie mal mehr, mal weniger besaß, drehte sie sich zu ihrer Bedienung um. Was sie fühlte und was sie nach außen hin zeigte, hätte keine unterschiedlichere Sprache sprechen können.

„Och bitte Ryoga. Ich habe es doch schon versprochen und ich freue mich doch sooooo sehr drauf.“ Eine gestählte beleidigte Schnute™ und ein Paar großer, tränenfeuchter Augen wendeten sich dem Wanderer ohne Ziel zu.

Es ist eine nicht selten in Männerkreisen in Frage gestellte Weisheit, dass Frauen die sanfte Gewalt gemeistert hätten. Kurz gesagt: Frauen haben es nicht drauf.

Es ist nur so lange eine in Frage gestellte Weisheit wie keine Frau in der Nähe ist, um den Möchtegern-Chauvinisten eines Besseren zu belehren. Kurz gesagt: Wie war das Schatz?

„I-I... das is' nich' fair“, brummelte Ryoga und zog seinerseits eine Schnute, die Ukyo völlig unberührt ließ. Grinsend packte die Kampfköchin ihre Bedienung bei der Hand und zog sie aus dem Restaurant. Bevor es sich Ryoga anders überlegen konnte, schlug Kuonji auch schon präventiv die Tür zu. Nicht, dass eine Tür mehr als ein symbolisches Hindernis für einen Hibiki darstellte, aber mitunter genügt das ja bereits. Außerdem würde Ukyo ihm das vom Lohnzettel abziehen, wenn er die Tür demolierte.

„Es wird schon nicht so schlimm werden.“

Ryoga schenkte ihr einen ungläubigen Blick.

„Ach komm, Ranma freut sich bestimmt dich wiederzusehen.“

Der Ausdruck auf Ryogas Gesicht sprengte die wissenschaftlich anerkannte Ja-klaaaaar-Skala. Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass ganz besonders haltlose Äußerungen eine messbare Reaktion beim Gegenüber auslösen und tauften die Messlatte passenderweise nach der in 9 von 10 Fällen folgenden Antwort.

„Außerdem bist du schuld, dass wir zwingend dorthin müssen!“, skandierte die Köchin und linste finster zu ihrer Begleitung.

Damit wurde die Göttin des Frohmuts sehr, sehr unglücklich und senkte betreten den Blick. Fast tat es Ukyo leid die Sache erwähnt zu haben, aber es war ja nun einmal so. Natürlich war Ryoga nicht alleine für die Sache zur Rechenschaft zu ziehen. Ranma trug ein nicht minderes Maß an Schuld an ihrer... Situation.

Nervös drehte die Köchin ihre Schultern und glaube es fast rascheln zu hören. Selbstverständlich war das nicht mehr als eine Einbildung. Es nervte dennoch. Nur gut, dass sie rechtzeitig eine vorübergehende Lösung gefunden hatten.

Sie hoffte nur, dass das Problem bald beseitigt sein würde. Es war schließlich eine Sache, von dem Mann, eh... der Frau... eh, der göttlichen Gestalt, die einen liebt, ein Engel genannt zu werden. Einer zu sein gestaltete sich da ungleich problematischer.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! III – Alle guten Dinge sind drei.
 

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Kapitel 21 – Feste feiern.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Besagtes Problem begann vor nicht ganz einer Woche. Es begann mit der Rückkehr ihrer Bedienung und ihres Kindheitsfreundes von der Reise ins Jenseits. An diesem Tag war ihr ihr Leben zurückgegeben worden, das ihr durch eine Welle heißer Flammen zumindest zum Großteil geraubt worden war. So heiß war die Feuerwalze gewesen, dass nur die Zuflucht hinter der Spathula ihren Körper erhalten und diesem lediglich das Wasser entzogen hatte.

Nach dem Unfall war sie für die Dauer einiger Tage als Püppchen unterwegs gewesen und hatte ihren Hoffnungsbestand auf Lebenszeit für zwei Dinge aufgewendet und dabei wohl völlig aufgebraucht: Einerseits wäre das der Erfolg ihrer Freunde im Nachleben gewesen und andererseits ihr eigener Erfolg dabei Akane beizubringen, dass man Eier nicht in der Mikrowelle kochen sollte.

Glücklicherweise war immerhin ersteres von Erfolg gekrönt gewesen.

Nach der Willkommensfeier in ihrem Restaurant und einem kurzen, romantischen Moment in trauter Zweisamkeit mit Ryoga hatte sie sich ins Bad aufgemacht. Als sie jedoch im Furo saß und sich von den Strapazen der Woche erholen wollte, meldete sich sogleich eine neue Unannehmlichkeit zu Wort.

Flügel.

Weiße, zwei Spann weite Flügel, die aus ihren Schulterblättern wuchsen und dreieinhalb Stunden zum Trocknen benötigten. Da rede mal einer davon, dass lange Haare unpraktisch wären. Als ihr dieser Umstand klargeworden war, hatte sie natürlich streng rational und gefasst reagiert.

- „RYYYYYYYYOOOOOOGGGGGAAAAAA!“ -

Nun gut, vielleicht setzte sich das alles in ihrer Erinnerung ein wenig falsch zusammen.

Die Göttin war nicht minder panisch durch die Tür ins Bad gestürmt, bereit allen Heerscharen der Hölle entgegenzutreten, so sie denn etwas von ihrer Herrin wollten. Zum Dank bekam die wackere Heldin ein Shampoo auf die Nase, eine Seifenbuchse an die Stirn und eine Bürste gegen den Hinterkopf, als sie sich wegzudrehen versuchte.

Nachdem dieser Reflex aus dem Wege war, konnte man sich der Erörterung des Problems zuwenden.

- „Buhuhuhu, ich bin ein Hühnchen! Ich bin ein verdammtes Hühnchen!“ „Eh – a-aber ein sehr hübsches Hühnchen!“ -

Nach einer weiteren Tracht Prügel, die diesmal recht kurz ausfiel, nahm man sich des Gefieders ernsthafter an und beschloss das einzig Richtige zu tun, was es in einer solchen Lage zu tun gab.

- „Cologne!!!“ -

Die alte Frau galt nicht umsonst als eine der weisesten und welterfahrensten Gestalten, die es in Nerima geschweige denn im Weltenrund gab. Das selbst diese angesichts der heiligen Schwingen ihre Pfeife verlor, gab somit Anlass zur Besorgnis. In Ermangelung einer permanenten Lösung, die nicht mit viel roter Körperflüssigkeit und acht Kopfkissen voll frischer Federn auskam, gewährte die steinalte Matriarchin Zugriff auf einen von zwei verzierten Steinkrügen. Das halb Nerima sie für den Besitz und das Verschweigen dieses Besitzes standrechtlich erschossen hätte, schien die alte Vettel nicht wirklich zu bekümmern.

Es war somit Colognes Mildtätigkeit zu verdanken, dass Ukyo Kuonji zum Geburtstag ihres Kindheitsfreundes gehen konnte ohne dabei wie ein aufgescheuchtes Huhn von Versteck zu Versteck zu huschen. Auf diese Weise konnten sie und Ryoga sich ganz entspannt dem Tendo-Dojo nähern. Eben so entspannt wie man in der Nähe dieses unheilvollen Ortes sein konnte.

Im Lauf der Jahre war hier immerhin nicht wenig vorgefallen.

Manches davon war absurd wie die Konfrontation mit Prinz Krillin und der vertauschten Schriftrolle, manches herausfordernd wie die Sache mit Akanes Kampf-Doji, manches beängstigend wie die Angelegenheit mit Ranmas bösartigem Schatten gewesen.

Sie hatten hier so viele Dinge erlebt.

Und jetzt kehrten sie hierher zurück, doch diesmal um gemeinsam zu lachen, zu feiern und eine gute Zeit zu verbringen. Keiner von beiden glaubte ehrlich daran, dass es so ablaufen würde. Es war wesentlich wahrscheinlicher, dass Streitigkeiten ausbrachen und mehr Essen durch die Luft flog als verzehrt wurde. Auf seine Weise vermittelte allerdings selbst diese Vorstellung ein schönes und familiäres Gefühl.

Ryoga und Ukyo tauschten einen Blick und zogen jeder eine Grimasse.

Wie armselig war eigentlich ihr beider Leben?

Doch ganz in typischer Nerima-Manier würden sie sich auch dieser Herausforderung stellen und allen Unannehmlichkeiten trotzen. Glücklicherweise standen sie dem Wahnsinn nicht mehr solo gegenüber. Kurz lächelten sie einander verschüchtert an, ehe sie sich wieder auf das Wesentliche besannen.

Ranmas Geburtstag war nicht der einzige Grund für ihr Hiersein. Der andere Grund war...

„Ach herrje, Ryoga, Ukyo, ihr seid ja beide schon da“, sprach Kasumi und klatschte in die Hände. Mit einem freundlichen Wink bedeutete sie dem Pärchen zu folgen und geleitete sie durch den Vorgarten ins Innere des Anwesens.

Kaum hatten sie das Gebäude betreten, schlug ihnen ein Schwall verzückender Düfte entgegen. Es war nicht wirklich überraschend, dass diese von der Küche herstammten. Und auf ebendiese Räumlichkeit steuerte Kasumi gerade zu. Leider erreichten sie diese nicht, bevor ihre Anwesenheit wahrgenommen wurde.

„Da seid ihr ja endlich!“

Der Blick der Besucher hüpfte nach links und von dort die Treppenstufen einzeln hinauf. Am obersten Treppenabsatz stand breitgrinsend der Star des heutigen Tages und eilte in schnellen Sätzen die Treppe herab. Schwungvoll sprang er auf den kleinen Teppich vor der untersten Treppestufe und rutschte auf diesem bis knapp vor Ukyo und Ryoga – bevor seine Augen groß wurden und er geradewegs vorbeischlitterte und gegen die Wand neben der Tür knallte.

Verdattert setzte sich der junge Mann auf und schüttelte den Kopf. Danach drehte er sich um, rieb sich die Augen und deutete auf Ryoga. Sodann lachte er. Laut und hart und schallend. Das tat er solange bis ein gelbschwarzer Schurriken sich über seiner Haarpracht in die Wand bohrte.

„Öhm... hehehe... schön euch da zu haben Leute... eh...“

„Spuck's schon aus!“, grollte Ryoga.

„Na ja... eh... hübsches Outfit?“

Ryoga knurrte unterdrückt und machte damit klar, was er von dem Kompliment hielt. Er konnte Ranma seine Bestürzung dennoch nicht verdenken. Er selbst war befremdet und hätte er nicht eine so hohe Toleranz gegen peinliche Situationen aufgebaut, würde er genauso wie damals heulend davonlaufen.

Zum einen bildete er sich gerade ein, ein „er“ zu sein, was „er“ nicht war. Im Augenblick war „er“ eine „sie“, weshalb „er“ somit fortlaufend als „sie“ bezeichnet werden sollte. Dazu kam, dass „sie“ in gänzlich anderer Garderobe zugegen war, als man es sonst von „ihr“ erwartete.

Ukyo hatte ihr ein schwarzes Kleid mit aufgebauschten Ärmeln geliehen. Dazu kamen weiße Kniestrümpfe, schwarze Lackschuhe und ein schwarzer Haarreif neben ihrem typischen Stirnband im Haar. Ryoga hätte heulen können. Halt, warte... sie HATTE geheult. Nicht, dass das etwas an der Situation für sie geändert hätte.

Nach eingehender Inspektion ihrer Habe war Ukyo nämlich zu dem Entschluss gelangt, dass sie so nicht mit Ryoga zusammen auf die Party gehen würde. Auf Ryogas Vorschlag hin einfach nicht zu gehen, hatte Ukyo alles andere als herzlich reagiert. Im Anschluss hatte sie der Göttin eine Auswahl unter die Nase gehalten und nicht eher abgelassen, ehe Ryoga sich entschieden hatte.

Jetzt stand die Göttin des Frohmuts mit hängenden Schultern und süßem Schmollmund im Eingangsbereich des Tendo-Domizils und forderte Ranma mit bösen Blicken heraus. Bisher beherrschte sich Saotome allerdings noch ganz enorm.

„Also... was gibt’s für Geschenke?“, meldete sich der Erbe des Musabetsu Kakuto Ryu zu Wort und lenkte damit ungelenk auf eine anderes – weniger gefährliches - Thema um.

Ryoga seufzte und warf einen mürrischen Blick zu Ukyo, die ihm ihrerseits mit erheblichem Aufwand ihrer Augenbrauen und bohrenden Blicken Antwort gab.

„Ach, was soll's?“

Noch immer schmollend trat Ryoga auf Ranma zu, wendete beleidigt den Blick ab und förderte etwas hinter ihrem Rücken hervor. Es war ein kleines Päckchen, das denkbar ungeschickt in gelbes Geschenkpapier eingewickelt worden war. Kleine schwarze Schweinchen jagten sich darauf und wiesen eine nicht unerhebliche Ähnlichkeit zu P-chan auf. Auf Ranmas Starren hin deutete Ryoga mit den Augen zu Ukyo, woraufhin Saotome erstaunlich verständnisvoll nickte.

Dann öffnete Ranma das Päckchen...

Diese Feststellung war natürlich falsch. Ranma Saotome öffnet keine Päckchen. Er zerfetzt jedes Bisschen, das ansatzweise wie Papier aussieht und zerkleinert es dabei auf eine Größe, die es nahezu unmöglich gestaltet, die Überreste des Geschenkpapiers mit bloßem Auge zu erkennen. Vom Wegräumen ganz zu schweigen.

Dementsprechend hielt er in weniger als dem Bruchteil einer Sekunde ein schwarzes Paar niegelnagelneuer Slipper in der Hand. Es waren Schuhe, ganz genauso wie jene, die er trug. Aus großen Augen sah er zuerst zu Ryoga, dann zu Ukyo.

„Ryoga meinte, dass das was für dich wäre. Ich war da etwas unentschieden.“

Überrascht schaute Ranma zurück zu seinem alten Kindheitsfeind.

„Das ist... wow.“

Peinlich berührt scharrte Ryoga mit dem Fuß auf dem Parkett und spielte hinterm Rücken mit den Fingern.

„Na ja, ich dachte mir, da du immer die alten Tretter trägst, könntest du mal ein neues Paar gebrauchen oder so...“

„Das ist toll! Seit Oyaji mir die Dinger vor vier Jahren gekla..., eh besorgt hat, hatte ich kein anderes Paar!“, ereiferte sich Ranma und stockte. Kurz räusperte er sich, dann setze er erneut an. „Obwohl's natürlich nur 'n paar Schuhe sind. Sind nich' schlecht. Also, werden schon taugen.“

„Rrrrrranma...!“, grollte das Halbmädchen und würgte sogleich, als Ukyo sie am Kragen ihres Kleides zurückzehrte.

„Schön, dass du dich über dein Geschenk freust Ranma. Ich und Ryoga müssen ganz schnell... ähm, Kasumi helfen und dann treffen wir uns im Dojo, okay?“, warf Ukyo eilig ein und entlud somit die angespannte Atmosphäre.

„Oh. Geht klar Ucchan. Aber nehm Ryoga an die Leine, sonst verläuft... eh, sie sich noch.“

Ehe sich Ryoga hierzu eine Antwort hätte ausdenken, geschweige denn die Atemluft dafür hätte aufbringen können, wurde sie von Ukyo schon in die Küche abgeschleppt. Kasumi verschloss hinter ihnen die Tür und drehte sich dann mit ernstem Gesicht zu ihnen um.

„Wie geht es dir denn?“, als sie dies sagte, lag ihr sanftes Augenpaar ganz auf der Kampfköchin, die unsicher den Blick abwendete. Sie spürte den sanften Druck von Ryogas Hand in ihrer, nickte dem blau angelaufenen Mädchen dankbar zu und schaute wieder zu Kasumi.

„Cologne hat uns ja... ausgeholfen, deswegen geht’s. Aber... ich habe keine Ahnung, wieso das passiert und überhaupt“, setzte Ukyo an und ließ dann die Schultern hängen.

„Könntest du sie für mich zeigen?“

Stumm nickte Ukyo und näherte sich dem Waschbecken. Es war gut, dass sie zur Feier des Tages ein rückenloses Turtleneck-Top angezogen hatte. In einer geschwinden Bewegung drehte sie den Wasserhahn auf und tauchte ihren Handrücken unter den kalten Wasserstrahl. Sofort spürte sie das zusätzliche Gewicht, das aus ihrem Rücken hervorwuchs wie Frühlingsblumen, die es etwas zu eilig haben. Behutsam drehte sie sich zu Kasumi, bedacht darauf keinen der Töpfe oder der Kuchenplatten von der Theke zu fegen. Das war ihr bereits zu genüge daheim passiert.

Aufmerksam musterte die Tendo-Älteste die junge Kuonji, ging einmal nach rechts und einmal nach links, dann nickte sie entschlossen und lächelte. Draußen flog eine Taube vorbei, erhaschte einen Blick auf das Geschehen in der Küche und prallte geräuschvoll gegen den Kirschbaum im Hintergarten.

„Du bist ein Engel“, skandierte Kasumi.

Es war einer dieser herrlichen Momente, in denen die Schwerkraft scheinbar urplötzlich zunimmt und sich auf einen bestimmten Fleck konzentriert. Das Resultat sieht meist so aus, dass es das Opfer im Einflussgebiet des Schwerkraftfelds zu Boden wirft. Genau das geschah auch diesmal mit Ryoga und Ukyo.

Etwas zerrupft aussehend rappelten sich die zwei auf.

„Ähm... also, dass haben wir uns schon gedacht. Nur... tja, wieso?“, fragte Ukyo sichtlich erregt und legte die Flügel an, die ob ihrer erstaunlichen Größe nur knapp unter der Decke blieben.

„Möchtet ihr vielleicht einen Tee? Es könnte ein klein wenig länger dauern das zu erklären.“

Ryoga und Ukyo warfen sich einen korrespondierenden Blick zu, dann nickten sie und folgten der unausgesprochenen Einladung. Sie setzen sich an den heillos mit Süßigkeiten und Kerzen überladenen Tisch und lauschten.
 

Akane stand vorm Spiegel. Sie drehte sich einmal nach links und einmal nach rechts. Frustriert rubbelte sie sich durchs Haar und stieß einen Stoßseufzer aus. Hinter ihr grinste ihre ältere Schwester Nabiki.

„Das ist nicht witzig!“, schnauzte die Jüngste und betrachtete ihre Reflektion. Sie sah aus wie ein Clown. Der Lippenstift klebte scheinbar überall, nur nicht da, wo er haften sollte. Die Wimperntusche hatte es sich auf ihrer Stirn und den Wangen bequem gemacht. Was ihre Haare anging, so erwähnte man diese besser gar nicht.

Es war ein Desaster; es war ihr erster Schminkversuch.

Hier stand sie und wollte sich einmal schön machen für ihren Verlobten und Freund und dann das! Egal, was sie anstellte, es gelang ihr nicht die Kosmetik so aufzutragen, dass es nach etwas aussähe. Zugegeben, es sah doch nach etwas aus: Und zwar nach einem schlechten Witz!

Sie war kurz davor alles einfach hinzuwerfen, sich einen Kartoffelsack überzustülpen und so nach unten zu gehen. Da sie dafür zum einen zu stolz und zum anderen zu stur war, fiel diese Option natürlich grundsätzlich weg.

„Jeder Circus würde dich darum beneiden Schwesterchen.“

Akane zog einen Flunsch und stand gebeugt unter der Last ihres Ungeschicks. Nabiki kam nicht umhin zu grinsen. Es war ja auch zu schwer bei diesem Anblick nicht amüsiert zu sein. Damit hier kein Missverständnis auftritt, Nabiki ist kein schadenfroher Mensch. Sie ist geizig, geldgeil und hinterlistig, aber sie ist keineswegs schadenfroh. Sie genießt es lediglich, wenn Trottel in ihr Verderben rennen.

Da sie ihre Schwester jedoch als eine der wenigen halbwegs intelligenten Gestalten Nerimas erachtete – wovon es nicht wirklich viele gab - und sie zudem ihre Schwester war, blieb ihr wohl nichts anders übrig, als selbst Hand anzulegen. Mit professionellem Blick und geübter Hand bediente sie sich an Akanes Assortément, drehte das aufgewühlte Mädchen zu sich und schminkte sie schleunigst ab. Dann begann sie Wimperntusche, auf den Wangen etwas Rouge und zuletzt Lippenstift aufzutragen, befeuchtete anschließend den Kamm und ging damit durchs Haar ihrer kleinen Schwester.

Innerhalb von zehn Minuten drehte sie Akane zum Spiegel um und präsentierte dieser ein ganz erstaunliches Ergebnis, das nicht weiter vom Clowns-Abbild entfernt sein könnte, als eine Banane von einer Gurke.

„D-Danke Nabiki. Das ist toll. Ich - “

Von hinten legte Nabiki ihr eine Hand auf die Schulter und ihr den Zeigefinger der anderen Hand auf die Lippen.

„Pscht. Wenn das hier rauskommt, verliere ich meine Reputation.“

Mit einem Grinsen und einem Augenzwinkern wendete sich der mittlere Zögling der Tendos ab und verließ das Bad. Lächelnd blieb Akane zurück und bestaunte sich im Spiegel. Jetzt war sie doch noch bereit für die Party.
 

Mousse schaute in den Spiegel. Erst seufzte. Dann setzte er sich die Brille auf die Nase und seufzte noch lauter. Er hatte es nicht gern, doch heute musste er mit Brille aus dem Haus. Wie sonst sollte er das Veilchen erklären, das um sein rechtes Auge aufgeblüht war? Noch dazu durfte er keine Aufmerksamkeit auf sich lenken; nicht dass er befürchtete, dass Shampoo ihm diese schenken würde. Immerhin waren sie zu Ranma Saotomes Geburtstagsfeier eingeladen.

Er wusste nicht recht wie er auf das blaue Einladungskärtchen reagieren sollte. Es war das erste Mal seit Ranmas Besessenheit und Angriff auf sie beide, dass er seiner Nemesis gegenüberstehen würde. Er würde dem Mann begegnen wegen dem er dieses Höllentraining auf sich nahm!

Vor allem aber fragte er sich wie wohl Shampoo reagieren würde. Damals hatte Ranma die Hand gegen sie erhoben. So etwas wäre in ihrem Dorf undenkbar! Ein Mann, der seiner Zukünftigen Gewalt antat, wurde von allen geächtet.

Es war eine Sache, die Frau, die man liebt, im Kampf zu bezwingen. Sie danach jedoch in einem Streit oder etwas ähnlichem auch nur anzutasten, stellte eines der schlimmsten Vergehen dar. Ironischerweise galt das für den umkehrten Fall nicht...

„Mousse bald fertig sein? Wir los müssen!“, quengelte Shampoo vor der Badezimmertür. Mousse grinste gequält und sein Spiegelbild teilte sein Leid. Nochmals fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar und rückte die Brille zurecht. Shampoo durfte keinesfalls den blauen Fleck bemerken. Schließlich war sie diejenige, die ihm diese Blessur erst letzte Nacht beigebracht hatte.

Als Happosai ihm vor einer Woche befohlen hatte Shampoo im Kampf den BH zu stehlen, hatte er diesen Auftrag noch für einen Witz gehalten. Eigentlich hätte er es besser wissen müssen. Jetzt wusste er es immerhin besser. Seit diesem schicksalshaften Tag war er dreimal mit Shampoo aufeinandergetroffen und bisher hatte jedes Gefecht in einem Rückzug seinerseits geendet. Er wollte seine Shampoo schließlich nicht verletzten. Er wollte nur ihren BH!

Aber erkläre ihr das mal...

„Mousse!“

„Ich komme Shampoo“, gab er zur Antwort und öffnete die Badezimmertür. Kurz maß Shampoo ihn mit einem Blick unter dem sich seine Gesichtsröte verstärkte und nickte halbwegs zufrieden. Dann ging sie vor und er folgte wortlos.

So lief das meistens bei ihnen ab. Shampoo gab den Takt an und er fiel in den Rhythmus ein. Das war schon früher so gewesen und sie hatten diese Regelung beibehalten. Sie hätte ihm ohnehin jeden Gedanken an Widerstand ausgeprügelt, wenn er denn welchen geleistet hätte.

Auf diese Weise stahlen sie als Kinder den Reiskuchen, wenn Shampoo diesen unbedingt wollte. Was meist dahingehend endete, dass Shampoo mit der Speise flüchtete und er für eine satte Tracht Prügel zurückblieb.

Solche Situationen waren nicht selten vorgekommen. Und wenig erstaunlich ist, dass jede dieser Situationen ganz genauso ablief wie die vorangegangene - und eine jede damit endete, dass er für die nächsten Tage nicht ruhig sitzen konnte. Das Shampoo den Reiskuchen meist aufgegessen hatte, ehe er den Fängen der Erwachsenen entkam, ist hier wohl unnötig zu erwähnen.

„Bin wirklich ein Masochist.“

„Mousse was sagen?“

Panisch blickte Mousse auf und wedelte hektisch mit den Armen.

„Ahahahaha! Alles in Ordnung. Nix. Was sollte ich schon gesagt haben?“

Shampoo verengte missbilligend die Augen, öffnete kurz den Mund wie als wollte sie etwas anmerken, stolzierte dann aber doch ohne ein weiteres Wort weiter. Mousse für seinen Teil atmete erleichtert auf. War ja gerade nochmal gut gegangen.

Was tat er hier eigentlich? Er ging mit seiner Geliebten zu der Geburtstagsfeier des Mannes, der ihm besagte Herzensdame ausgespannt, ihn gedemütigt und besagte Dame sogar noch aus den Latschen gehauen hatte. Das Chaos von Nerima und die etwas anderen Regeln waren ihm durchaus bekannt. Sie waren ihm, genauso wie die Regeln des Amazonendorfs, schmerzhaft eingebläut worden. Doch selbst für seine Verhältnisse stellte Nerima nicht selten ein Pulverfass des Irrsinns dar – und bei Kami, durchgeknallte Geistesblitze gab es genug, um dieses Fass hochgehen zu lassen.

Wobei... hochgehen klang gar nicht einmal so schlecht...

Gerne würde er Ranma seine neueste Technik zum Geschenk machen und zwar auf nur allzu handfeste Weise. Diese Art des Geschenks wäre sicher ein Kracher.

Doch das würde die Überraschung nehmen, die er für Ranma geplant hatte. Noch musste er sich etwas gedulden, bald jedoch würde es soweit sein! Dann würde er als Sieger vom Platz gehen und Shampoo würde ihn endlich als würdigen Partner akzeptieren und sie würden glücklich sein bis an ihr Lebensende... oder eben so glücklich wie man es als männlicher Amazone in der Ehe sein kann.

Mousse sondierte seine Umgebung und schnaufte durch.

Er musste sich am Riemen reißen! Wenn er sich verriet, bevor die Zeit reif war, konnte alles nach hinten losgehen. Aus diesem Grund musste er mit der manischen Bösewichts-Lache vorerst sparsam umgehen und sich diese für's stille Kämmerlein aufheben.

Doch bald, sehr bald schon würde seine Zeit kommen, dann würde Shampoo sich an ihn schmiegen und ihm zärtlich zusäuseln...

„Mousse Laterne!“

„Hu-argh!“

Doch bis dahin war ja glücklicherweise noch etwas Zeit...
 

Tatewaki Kuno saß auf der Veranda und starrte auf den Teich hinaus. In den Händen hielt er einen blauen Umschlag. In geschwungenen Kanji stand darauf ein Name, sein Name. Was sollte dort auch sonst stehen?

Verträumt beobachtete er einen Spatz, der sich am Rand des Teichs niederließ, auf niedliche Weise den Kopf neigte und etwas Wasser aufschnappte. Apropos Schnappen...

„Haps! - Platsch!“

Midori-game hatte heute noch nichts zu sich genommen. Mit Ausnahme des einen oder anderen unvorsichtigen Kleintiers, wobei „Kleintier“ in diesem Fall von Spatz über Katze bis zu Kleinkind rangiert.

Er fragte sich ohnehin seit einigen Tagen, wo seine wenig vermisste Schwester hin entschwunden sein könnte. Der gute Sasuke hatte dem Anschein nach nicht viel Freude daran das Krokodil seiner Schwester zu füttern. Irgendwie verständlich, befand Tatewaki.

Am Horizont zog eine Wolke vorbei und der Kendo-Kapitän folgte geistesabwesend ihrer Bahn.

Zurück zum Thema: Seine Schwester war unauffindbar.

Niemand wusste, wo sie sich aufhielt. Niemand hatte eine Ahnung, was ihr zugestoßen sein könnte.

Und ehrlich gestanden, niemanden interessierte es. Auch ihm lag nichts ferner als diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen, so konnte er doch endlich einmal ausspannen.

Was also tun?

Nochmals öffnete er das Couvert, förderte den Zettel hervor und las eingehend die Einladung in seinen Händen. Wieso ahnte er nur, dass das keine gute Idee sein würde? Es mochte darauf zurückzuführen sein, dass Nabiki höchstselbst ihm diese Einladung überbracht und dabei gefeixt hatte. Das war nie ein gutes Zeichen.

Was erwartete er sich davon in dieses Haus voller Irrer einzukehren? Den Irrsinn hatte er doch hier schon zu genüge. Sollte er sich nicht viel lieber der Meditation und der Suche nach innerer Ruhe widmen? Er könnte den großen Werken des Sun Tsu oder des Miamoto Musashi auf den Zahn fühlen oder einige der Thesen des Konfuzius studieren. Er könnte den herrlichen Nachmittag mit Kendo zubringen. Oder aber er könnte...

Sein Blick wanderte unwillig zur Einladung.

„Ach Mist!“
 

Ukyo und Ryoga schauten Kasumi lange an, woraufhin diese zurückschaute – und lächelte. Es fiel einem denkbar schwer, jemandem wie Kasumi ins Gesicht zu sagen, dass sie unglaubwürdig klang. Das grenzte an Frevel. Ein weiterer Grund war, dass Ryoga sowieso keine bessere Erklärung einfiel. Es mochte daran liegen, dass die meisten seiner Lösungsansätze darin mündeten, Ranma Saotome in Grund und Boden zu treten, durch die Luft zu schleudern oder durch übertriebene Gewalteinwirkung frisch einzufärben.

Zweifelnd schielte er zu Ukyo, die mit gesenktem Kopf dasaß und eine Fliese zwischen ihren Füßen fixierte.

„Bist du dir sicher Kasumi?“

Das Mädchen nickte.

„Das bin ich Ryoga. Aus dem, was du mir berichtet hast, kann ich sehr sicher urteilen. Außerdem war Urd so freundlich mich über alles weitere aufzuklären“, meinte die Tendo-Älteste und schmunzelte das Halbmädchen warmherzig an. Ryoga spürte dennoch eine mittelschwere Lawine über ihren Rücken rasen.

Eine wütende Urd war nichts, was sie allzu schnell wiedersehen wollte.

„Ukyo ist jetzt also ein... Engel?“

„Ganz genau.“

„Und das ist sie, weil Ranma dieser dämliche Idiot...“

„Ryoga, es gehört sich nicht für eine Göttin so zu sprechen.“

„Tschuldige Kasumi.“

„Aber nicht doch. Solange du von nun an darauf Acht gibst.“

Die Göttin des Frohmuts schnaufte durch und sprach weiter.

„Und weil Ranma ihr Sterbedatum verrieben und dabei die Zeile völlig verschmiert hat – lässt sich kein neues Datum eintragen?“, Ryoga spürte wie sich bei der Frage eine Gänsehaut über ihren Rücken legte.

„Richtig“, lobte Kasumi sie.

„Und deshalb hat die höchste Stelle eingegriffen und das Ganze so hingebogen, dass Yggdrasil davon keinen Kurzen bekommt und Ukyo trotzdem auf der Erde verweilen darf?“

Kasumi tippte sich an die Unterlippe.

„Ich kenne mich damit nicht so ganz aus. Wir Tendos sind schließlich nur eine ehemalige Miko-Familie, aber ich denke, dass es so sein könnte.“

Ryoga ließ sich im Stuhl zurücksinken und vergrub die Finger in ihrer Mähne. Wer hätte das gedacht? Sie ahnte schon immer, dass etwas mit den Tendos nicht so ganz stimmte. Bereits deswegen, weil sie doch allen Ernstes einen Verbindung mit den Saotomes anstrebten. Wer holt sich schon freiwillig Ratten in die Speisekammer?

Cologne hatte sie zum Hintergrund der Tendos schon etwas aufgeklärt, doch die Bestätigung aus Kasumis Mund zu hören, war dann doch etwas anderes. Nicht, dass die Saotomes Ratten waren. Das wusste Ryoga schon vorher. Das mit dem familiären Hintergrund als Tempelwächter war ihr dagegen ziemlich neu. Verdattert starrte sie zur Decke hoch.

Kaum war sie zur Göttin geworden, schien sich ihr ganzes Leben zunehmend auf den Kopf zu stellen. Zuerst traf es Ranma, der zu einer Dämonin wurde. Es folgte Ukyo, die ihr Leben verlor und aufgrund eines Aktenfehlers eine neue Existenz als Engel zugesprochen bekam. Und jetzt waren die Tendos auch noch die Schutzherren eines uralten Schreins und auf diese Weise in direkter Verbindung mit den Gottheiten, denen Ryoga direkt unterstellt war.

„Und – was geschieht nun mit...“, Hibiki vermied es den Namen der Person auszusprechen, um die es hier ging. Ukyo wirkte bereits geknickt genug. Sie wollte nicht noch Salz in die Wunde streuen. Das überließ sie dann lieber Ranma und Akane, die im Versalzen wesentlich besser waren. Wobei es sich bei Akane aufs Kochen beschränkte.

„Urd meinte nur, dass sich Ukyo keine Sorgen machen sollte. Sie würde sich dann direkt bei dir“ - hierbei schaute sie Ryoga an und diese spürte eine zweite Lawine über ihren Rücken abgehen - „melden und alles bereden.“

„B-Bereden?“

„Ich soll mir also keine Sorgen machen, hm?“, warf Ukyo plötzlich ein.

Besorgt schaute die Göttin des Frohmuts zu ihrer Chefin und beobachtete verwundert den Wandel von Niedergeschlagenheit zu Starrsinn zu Übereifer. Mit fester Miene ergriff die Kampfköchin Ryogas Hand und zerrte das Halbmädchen mit einem Ruck in die Höhe.

„Einverstanden! Hat keinen Sinn die Köpfe in die Erde zu stecken. Wie wär's? Sollen wir dir etwas zur Hand gehen Kasumi?“

„Wir?“

Kasumi lächelte auf ihre ganz eigene Weise und nickte.

„Ja. Das wäre wundervoll Ukyo.“

„Wir?

„Ganz recht Ryoga – wir!“, grinste Ukyo und zeigte ihr ein übertrieben fröhliches Grinsen.

Unnötig zu erwähnen, dass Ryoga mit einem Mal Feuer und Flamme für die Idee war.
 

Man hätte eine Nadel fallen lassen können. Nicht etwa, weil man diese dann gehört hätte. Man verstand schließlich kaum die eigene Stimme, egal wie laut man brüllte. Und es brüllten eine ganze Menge Leute, die unbedingt verstanden werden wollten. So schien es zumindest.

Man hätte besagte Nadel fallen lassen können, weil es nichts ausgemacht hätte, wenn jemand draufgetreten wäre. Bei den bereits angefallenen blauen Augen und Beulen, die ein Teil der Besatzung mit sich rumtrug, erübrigte sich jede Vorsichtsmaßnahme.

Zu dieser fortgeschrittenen Stunde konnte ohnehin keiner mehr sagen, wer den Streit gestartet hatte. Eines aber war klar und zwar wer der Grund für den Streit war. Zweifelsohne war es das Geburtstagskind selbst, das sich soeben unter einem Wurfmesser wegducken und einen überdimensionierten Knallfrosch per Tritt nach draußen befördern musste. Erstaunlicherweise schien Ranma daran sogar seine Freude zu haben. Wer ihn kannte, war davon nicht verwundert.

Verstohlen schielte Ryoga zu der Schlacht, die sich inzwischen in den Hintergarten zum Koi-Teich und dem Sakurra-Baum verlagert hatte.

„Nein.“

„Aber ich habe doch gar nicht - “

„Ich sagte nein“, mahnte Ukyo und funkelte ihren Freund... eh, ihre Freundin finster an.

Ryoga antwortete besonders männlich, indem sie eine Schnutte zog und schmollte. Beleidigt ließ sie den Blick übers Schlachtfeld gleiten und nahm die Eindrücke in sich auf. Da wäre etwa Kasumi, die sich lebhaft mit Dr. Tofu unterhielt, indes dieser sich lebhaft mit Genma-Panda unterhielt und Versuche unternahm diesen zu umarmen, was Genma wenig zu würdigen wusste. Er war viel zu beschäftigt damit sich den runden Bauch vollzuschlagen und gleichzeitig das Gô-Brett im Auge zu behalten, auf dem Soun und er einmal mehr den grandiosen Kampf bestritten. Nodoka, Ranmas Mutter und so schwer es auch zu glauben war, Genmas Frau, bedachte die Versessenheit ihres Mannes mit einem strengen Blick und tadelte ihn bereits seit Beginn der Feier. Nabiki für ihren Part hatte es sich in einer Ecke des Dojos bequem gemacht, nippte an einem Sektglas und – man höre und staune – tauschte sich interessiert mit Kuno aus, der selbst hauptsächlich weise und mit gesenkten Augenlidern nickte. Man hätte Tatewaki in diesem Augenblick fast mit einem normalen Jugendlichen verwechseln können.

Wenn ihn bereits Kuno erstaunte, so fand er Shampoos Verhalten gänzlich unverständlich. Ryogas unruhiger Blick heftete sich an das kobalthaarige Mädchen, das immerzu Seitenblicke hinaus in den Garten warf und Ranmas Interpretation von „Fang mich – (du Depp!)“ mitverfolgte. Den ganzen Abend über hatte sich die Chinesin bedeckt gehalten, war ausgesprochen höflich und zurückhaltend gewesen und hatte bis jetzt die Finger von Saotome gelassen.

Ryoga Hibiki vermutete Böses in der Mache.

Unvermittelt spürte die Halbgöttin einen sanften Druck in ihrer Handfläche und schielte zu Ukyo, die mit ernstem Blick die Amazone fixierte.
 

Ukyos Augen suchten Shampoos Platz am Tisch, an dem die Amazone still und scheinbar ins Teetrinken vertieft saß. Kuonji kaute sich auf der Unterlippe. Es verhieß nichts gutes, wenn ihre frühere Rivalin sich so ganz und gar un-shampooisch verhielt. Offensichtlich war das auch ihrer Bedienung aufgefallen, die der Öfteren zweifelnd hinüberguckte.

„Was denkst du Ryoga?“

Die Göttin neben ihr trommelte sachte mit den Fingern der freien Hand auf dem Tisch, die Stirn nachdenklich gekräuselt.

„Keine Ahnung. Habe nur so'n unbestimmtes Gefühl, das heute noch irgendwas passiert. Nix gutes.“

„Ich weiß, was du meinst. Denkst du,“ kurz stockte sie und sprach dann leise weiter, „dass es mit der Sache in Furinkan zusammenhängt?“

Verwirrt musterte die Göttin sie und legte fragend den Kopf schief.

„Na ja, du weißt schon. Als Ranma so ausgetickt ist und Shampoo... na ja...“

Verständnis flackerte in Ryogas Augen auf und das himmlische Wesen neben ihr nickte besonnen.

„Auszuschließen ist es nicht. Aber so lange wird die Party ja nicht mehr dauern. Außerdem wird Shampoo nix Blödes unternehmen, wenn Ranma Geburtstag hat“, versuchte ihre Bedienung sie zu beruhigen und erzielte einen gänzlich umgekehrten Effekt.

Ukyo Kuonji war es gewohnt, dass Shampoo immer gerade das machte, was schlecht für alle Beteiligten außer für die Chinesin selbst war. Das Flittchen war eine waschechte Egoistin und daran würde nichts auch nur im Entferntesten etwas ändern.

Fast wie auf Kommando setzte Shampoo ihre Teetasse ab und begegnete Ukyos Blick. Die Kampfköchin schluckte, als sie den Ausdruck in den Augen der Amazone wahrnahm und augenblicklich verstand sie, was Shampoo heute hierher geführt hatte.

Die exotische Schönheit erhob sich vom Tisch und wartete bis alle Augen auf sie gerichtet waren. Selbst Ranma stellte seinen Fluss an Beleidigungen ab und hielt Mousse mit einem Tritt ins Gesicht auf Distanz, während er die abgefangene Happo-daikarin schleunigst über die Umgrenzungsmauer warf.
 

„Danke für einladen Shampoo“, sprach das Mädchen und ballte die Hände zu Fäusten. „Ich – Ich haben Wichtiges zu sagen, bitte zuhören.“

Die Stille war so vollkommen, dass man die Grillen im Garten zirpen hören konnte. Ein Koi empfand den Augenblick als ungemein passend und löste sich aus der Umarmung der Fluten, ehe er klatschend ins kalte Wasser zurückkehrte.

„Ranma.“

Das bezopfte Kampfsportgenie nickte dumpf, als Shampoo ihn mit einem kleinen, traurigen Lächeln fixierte.

„Kein Airen mehr.“

Kurz währte die völlige Stille, ehe ein Sturm an Stimmen losbrach, die wild durcheinander diskutierten. Shampoos Stimme war nicht mit von der Partie. Die Chinesin verließ das Dojo und betrat das Haupthaus, wo sie sich umgehend an der Garderobe zu schaffen machte. Schleunigst schlüpfte sie in ihre hellblaue Jacke.

„B-Bist du dir wirklich sicher?“

Shampoo neigte den Kopf nach links und musterte Mousse, der hinter ihr stand. Sein Gesicht war von Emotionen umwölkt wie der Olymp von Blitzen und dementsprechend unruhig tanzte er von einem Bein aufs andere.

„Shampoo sicher. Musste sein“, wie im Nachsatz fügte sie an, „Mousse glücklich?“

Mousse biss sich auf die Unterlippe, setzte zum Sprechen an und brach dann ab.

„Nicht wirklich. Du kannst dich unmöglich wohl hiernach fühlen. Du...“

Shampoo entließ einen Seufzer und ebnete ihre Faust in seinem Gesicht ein. Mousse verlor augenblicklich das Bewusstsein und machte sich mit dem Parkett vertraut. Lange blieb er dort nicht liegen. Sanft griff eine Hand zu, packte ihn am Kragen seiner Robe und zerrte ihn nach draußen. Die Tür fiel leise und doch ungemein bedeutsam ins Schloss.
 

Zurück im Dojo saßen die Gäste der Party wie versteinert am Tisch und schaute sich über diesen hinweg an. Fragende Blicke wurden ausgetauscht, das eine oder andere Räuspern erklang und letztlich war es die Hauptperson des Abends, die zum Sprechen ansetzte.

„Das ist das richtig versteh'... Shampoo hat mit mir Schluss gemacht? Mit mir?“

Die Gäste nickten einmütig zu dieser Feststellung.

„Ja aber... wie kann man mich sitzen lassen?“

„Ich wüsste da schon ein paar Gründ-urgh!“, raunte Ryoga und hämmerte im nächsten Augenblick mit der Stirn gegen die Tischplatte, dass die Tassen darauf nur so hüpften. Es mochte auf Ukyos Ellbogen in der Magengegend der Göttin zurückzuführen sein.

Nodoka erhob sich vom Tisch und stellte sich zu ihrem Sohn, dem sie beruhigend einen Arm um die Schulter legte.

„Ranma, du musst verstehen, dass die Mädchen auch ihre Wege gehen. Und nachdem du dich für Akane entschieden hast, musste Shampoo sich früher oder später zu dieser Entscheidung durchringen.“

Fassungslos starrte Ranma Saotome, größer Kampfsportler seiner Generation und Weiberheld ohne Vergleich seine Mutter an. Verstand sie denn nicht, was das bedeutete? Wenn Shampoo ihn verließ, so musste das auf einen Typen zurückzuführen sein. Da gab es keine andere Möglichkeit!

Und wer erdreistete sich attraktiver als Ranma Saotome zu sein?

„Aber wieso heute?“

Kuno meldete sich räuspernd zu Wort.

„Nicht, dass ich mich über alle Maßen in jene deine Belange einzumischen gedenke. Nichtsdestotrotz fühle ich mich dazu veranlasst dich auf den Fakt hinzuweisen, dass es sich bei deiner Wenigkeit um ebenjene handelte, die in großer Anzahl die amorösen Kontakte zu der liebreizenden Amazone zu vermeiden gedachte und eben dieser Entscheidung seitens der werten Tochter Chinas mit Glückseligkeit begegnen und somit dieses Ereignis als Geschenk höchster Güte auffassen sollte.“

Abermals machte sich Stille breit, in der die Grillen zirpten und ein Windhauch sich im Klangspiel am Türrahmen verfing.

„Hö?“, antworten Ranma und Ryoga und kratzten sich synchron am Hinterkopf.

„Das was Kuno-Baby hier vom Stappel gelassen hat, ist ganz einfach. Du hattest die Nase voll von Shampoo. Hast das häufig genug jedem gesagt, der's nicht hören wollte. Und jetzt biste sie los. Quasi als Geburtstagsgeschenk. Also freu' dich“, konstatierte Nabiki im professionellen Tonfall.

Hierauf ging ein Raunen durch die Gästeschaft begleitet von nachdenklichem Nicken.

Der Einzige, der nicht so ganz glücklich wirkte, war das Geburtstagskind.

„Ja... aber!“

Alle Augen fixierten ihn und Ranma stutzte. Was sollte er sagen? Sollte er herausposaunen, dass er unglücklich war, nicht mehr länger von Shampoo umklammert zu werden? Dann wäre er ja tatsächlich ein solcher Perverser wie Akane immer sagte. War er das am Ende vielleicht sogar wirklich?

Ranma ließ frustriert die Schultern hängen.

Für heute musste er klein beigeben. Doch eine verlorene Schlacht machte noch keine Niederlage aus. Er würde der Sache auf den Grund gehen! Konnte ja nicht angehen, dass er an Sexappeal verlor. Wie sollte die Frauenwelt hier in Nerima auskommen, wenn er sein makelloses Äußeres einbüßte?

„Rrrrranma?“

Der Besagte schaute zu seiner Verlobten, die gequält grinste und ihren geschätzten Holzhammer griffbereit hielt. Ein rotes Wabbern stieg von ihr auf und ließ ihr gelbes Kleid in einer ungespürten Brise tanzen. Sie sähe richtig niedlich aus, wenn sie nicht so unerträglich wütend wäre.

„Öhm – ja?“

„Du fragst dich also wie die Frauenwelt ohne dich auskommen soll, hm?“

Ranma schluckte. Hatte er etwa laut gedacht? Verzweifelt linste er zu Ryoga, die das Gesicht in den Händen vergraben hielt und einfach nur den Kopf schüttelte. Daneben zeigte Ukyo ihm nur ein mitfühlendes Lächeln und drückte symbolisch einen Daumen.

„Hehehe, also Akane, ich kann das... ja also...“

„Nun Ranma. Scheint ganz so, als müssten wir – die Frauenwelt – es einfach mal auf einen Versuch drauf ankommen lassen, hm?“

Ranma seufzte auf und feixte. Tja, immerhin endete sein Geburtstag noch mit einem richtig großen Knall. War ja auch was wert. Akane holte mit Schwung aus, den Blick verkniffen und die Lippen gespitzt und eben diesen Moment nutze Ranma, um sich zu ihr vorzubeugen und ihr einen schnellen Kuss aufzudrücken.

Dann gesellte er sich zu den anderen Sternen des heutigen Abends.
 

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Anmerkung des Autors:
 

Ich bin zurück... und das selbst für mich arg unerwartet. In den letzten, man muss ja schon fast sagen, Monaten hielt ich mich was das Schreiben anging recht bedeckt. Scheinbar hat sich da ordentlich etwas angestaut. Dieses Kapitel ging mir nämlich erstaunlich locker von der Hand und war innerhalb von zwei Tagen fix und fertig.
 

Tja, somit beginnt Buch III und hoffentlich wird es noch in diesem Jahr fertiggestellt.^^°
 

Ich werde mir auf jeden Fall alle nur erdenkliche Mühe geben. Im Gegenzug zähle ich auf euren Rückhalt und würde mich demzufolge über anregende Kommentare freuen. Als Autor will man schließlich wissen, ob seine Geschichten gelesen werden und wie sie den Lesern gefallen.
 

Betrachtet es als ein „Payback“ im doppelten Sinne. Ihr schenkt mir ein paar Worte und ich schenke euch dafür – hoffentlich^^° - umso bessere Kapitel, in denen eure Anmerkungen und Hilfestellungen Einzug finden werden.
 

Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit und freue mich euch an Bord von „Oh Mann, Ryoga – Alle guten Dinge sind drei.“ begrüßen zu dürfen.
 

Ein kleiner Glossar zum besseren Verständnis:
 

Prinz Krillin: Ein Movie-only Charakter. Er tritt in dem ersten der beiden (die Phoenix-OVA zähle ich einfach mal nicht als Film) Ranma-1/2-Kinofilme „Nihao my concubine“ auf. Es handelt sich bei ihm um einen Prinzen, auf der Suche nach seiner Braut. Wer die Braut ist, das bestimmt der zweite Teil einer Schriftrolle, auf der ein großes Geheimnis des Königshauses verewigt steht. Versehentlich gelangte Akane in den Besitz der Rolle und der Rest ist... tja, Geschichte.^^
 

Kampf-Doji: Man nennt ihn auch „Densetsu no Dôgi“ und es heißt, dass sein Besitzer durch ihn zum mächtigsten Kämpfer der Welt würde. Das dieses Gerücht nicht ganz unwahr ist, zeigte sich daran, dass Akane Ranma damit spielerisch in den Boden stampfte... mehrfach... jedes Mal... und ohne Ausblick auf Siegesmöglichkeiten von Seiten Ranmas her. Diese recht interessante Episode findet sich in Band 32 des Manga.
 

Ranmas Schatten: Die Geschichte dazu findet sich in dem gleichnamigen Band des Manga, also Nr. 28. In dieser Geschichte geht es darum, dass Ranma an eine magische Essenz gerät, mit der er sich von seinem Schatten ablösen und daraufhin gegen diesen antreten kann. Anfänglich freut sich Ranma nicht wenig über die Resultate, die er dabei erzielt. Doch der Schatten begnügt sich nicht damit als Ranmas Sandsack herzuhalten, sondern entwickelt alsbald eine eigene Persönlichkeit...
 

Oyaji: Die typische Art und Weise in der Ranma seinen Vater anspricht. Und genau das bedeutet dieser Ausdruck auch, also Vater... oder zumindest wäre es schön, wenn es das bedeuten würde. Stattdessen bedeutet Oyaji vielmehr etwas in Richtung „Paps“ oder „Pa“, ist also wesentlich informeller.
 

Sun Tzu, Miamoto Musashi, Konfuzius: Zu den dreien muss ich wohl nicht viel sagen. Es genügt ohnehin an dieser Stelle darauf zu verweisen, dass jeder von den dreien sich schriftlich verewigt hat. Der eine eloquenter, der andere prägnanter – um es höflich auszudrücken.^^°
 

Yggdrasil: Die berühmte Weltenesche aus der Edda und somit dem altnordischen Glauben. Einigen wird sie vielleicht eher aus dem Manga „Oh! My Goddess“ bekannt sein, aus dem ich hier ja nicht gerade wenige Elemente entleihe. Sie stellt in „Oh! My Goddess“ eine Art Zentralrechner der Realität dar, der beständig gewartet werden muss und das ist nun mal eine der Aufgaben der Göttinnen.
 

Miko: Mikos sind für gewöhnlich diejenigen Frauen im Shintô-Glauben, die die Pflege des Schreines und natürlich auch religiöse Tätigkeiten übernehmen. Auffällig ist ihre rotweiße Uniform, die sehr populär in Manga, Anime und natürlich auch auf Conventions ist.
 

Happo-daikarin: Hierbei handelt es sich um die Trademark-Technik des alten Ekels, auch bekannt als Happosai oder Großmeister des Musabetsu Kakuto Ryu - also der Schule für Schlägereien aller Art oder wie es im Englischen heißt "Anything goes martial arts". Die Technik stellt sich so dar, dass er einen runden Sprengsatz durch Ki-Infusion "füttert" und entzündet. Das Resultat ist dann meist ein ziemlicher Knaller.
 

Airen: Dieser Ausdruck dürfte jedem Ranma-1/2-Fan klar sein. Er bedeutet soviel wie „Ehemann“ und ist die Lieblingsanrede, die Shampoo für Ranma verwendet.
 

Fröhliche Grüße,
 

euer Deepdream



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Kommentare zu dieser Fanfic (31)
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Von:  MichiruKaiou
2008-07-21T15:51:56+00:00 21.07.2008 17:51
Erst einmal ein ganz großes SORRY, dass es mit meinem Kommentar mal wieder so lange gedauert hat >.<
Aber endlich hab ich die Story zu Ende gelesen und ich muss sagen, du lässt die Geschichte gut ausklingen.
Dieses Kapitel war nicht ganz so turbulent, aber das ist auch gut so. Wichtige Dinge werden noch geklärt, der Kampf der letzten Kapitel findet ein passendes Ende, aber trotzdem bleibt die Spannung erhalten.

Im Gesamten muss ich wirklich sagen, dass mich die Story sehr beeindruckt hat. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut du deinen Schreibstil in jedem Kapitel umsetzen kannst und immer wieder tolle, neue Formulierungen findest, die witzig, passend und bedeutungsgewichtig sind. Und das bei der Kapitellänge (die haut mich immer noch vom Hocker)!
An dieser Stelle auch ein großes Lob für deinen Zeitplan, trotz dieser enormen Länge kamen die Kapitel recht regelmäßig, das sieht man auch nicht alle Tage.

Die Idee der Story ist auch einfach nur super. Ich kann mir beim besten Willen keine vernünftige Parodie ausdenken, aber das hier passt einfach. Es ist witzig, es ist spannend, nicht zu überdreht, aber doch ist es übertrieben dargestellt, so wie eine Parodie eben sein muss. Die Charaktere haben neue Eigenschaften, neue Beziehungen zu einander und doch sind sie noch sie selbst, wie man sie aus der Serie kennt. Das finde ich wirklich super.

Der Cliffhanger hier am Ende kommt jetzt natürlich superfies, aber das sogar noch mehr 'Bücher' geplant sind, finde ich sehr interessant. Aus der Geschichte ist wirklich ein Großprojekt geworden und ich finde es toll, dass du das alles umsetzen willst^^
Auf jeden Fall auch vielen Dank für die Erwähnung am Schluss, es freut mich sehr, dass ich mit helfen konnte, dich zu solchen Leistungen anzuspornen^-^
Ich werde auch weiterhin dabei bleiben und würde mich auch freuen, wenn du mich benachrichtigen könntest, sobald du mit dem zweiten Teil anfängst, ich würde dann gerne die Geschichte weiter verfolgen.
Natürlich fänd ich es auch toll, wenn andere Ranma-FFs von dir fortgesetzt würden!

Noch eine Kleinigkeit: den Titel finde ich wirklich gut gewählt, obwohl er so simpel ist, er hat mich wirklich sofort angesprochen. Da die Story jetzt aber zu Ende ist, wäre es noch eine gute Idee, jetzt vielleicht doch noch eine Kurzbeschreibung zu bringen. Mich persönlich interessiert so ein kurzer Vorabeinblick in die Story doch immer sehr^^

Ich glaube, jetzt bin ich auch fertig XD

Du kannst wirklich stolz auf dich und deine Arbeit sein! In diesem Sinne bis zum nächsten Teil,

MichiruKaiou
Von:  Ghost6
2008-06-30T22:18:52+00:00 01.07.2008 00:18
Hi

Ein Offenes ende.
Ich hoffe du verlierst die Motivtion bei der Fortsetzung nicht.

Also das Kapittel war wieder lang, lustig und spannend und mit freuden hab ich es gelesen.

Deine stärken sind eindeutig deine unnachamlichen formelirungen dinge zu beschreiben...

wie zum beispiel sie erwies sich so hilfreich wie ein Banansplit nach einen schlangengift ist eine meiner favoriten. das hat bisher keiner geschafft dinge so zu beschreiben.
behalt dir das auch bei das zeichnet dich aus und sorg immer für lacher oder ein flug zum boden in animestil.

Gespannt werde ich auf deine fortsetzung warten.
kannste mir bitte bescheid geben wenn du des erste kapitel von drausen ist^^

schon erstaunlich was so eine oneshort und eine lange nacht für auswirkungen haben und so anwachsen können.

auch bedanke ich mich für die widmung am ende^^
*rot bin*
und wenn du weiterhin so viel qutsch wie diesen hier schreibst lese ich ihn sehr gerne^^

bis dann und bis zum nächsten mal

Ghost6
Von:  Daifudo
2008-06-30T19:15:25+00:00 30.06.2008 21:15
Super ff, bin schon gespant wies weiter geht ,mal sehen was du dir einfallen läst.Dein schreibstiel is einfach super jedes mal wen ich die geschichte lese denke ich ich stehe direckt daneben und würde es selber sehen
Von:  MichiruKaiou
2008-06-19T15:57:51+00:00 19.06.2008 17:57
Was soll ich sagen, das Kapitel überzeugt mal wieder durch packende Spannung und guten Schreibstil.

Bei dir bleiben wirklich immer Fragen offen stehen, die durch kleine Nebenszenen gestellt werden, das finde ich wirklich super! Deshalb bin ich gespannt, wie aufklärend Kapitel 10 sein wird.

Aber der Kampf war auch wieder gut beschrieben, auch die Beschreibung der Wassermagie fand ich sehr interessant.

Tja, mehr hab ich schon gar nicht mehr zu sagen, ich bin einfach nur auf das Ende gespannt^^
Von:  MichiruKaiou
2008-06-18T15:31:14+00:00 18.06.2008 17:31
Sorry, dass ich erst jetzt meinen Kommentar abliefere, aber für so ein langes Kapitel muss man sich ja Zeit nehmen. Hat mir heute die Mittagspause versüßt^^

Zunächst mal wieder ein toller Start.
Arme Ranma, wird von allen ignoriert. Find ich total klasse.
Ryoga und Uyko finde ich mit ihren Streitereien ja auch richtig gut.

Der Kampf war auch klasse. Richtig spannend und auch gut beschrieben, du hast wirklich schöne Details und tolle Techniken gebracht.
Aber sag mal, hat Ryoga in einem Kleid gekämpft O.o

Die Enthüllung, dass Ryoga Ryoga ist, kam auch super gut! Und dann der Satz, ich darf mal zitieren, "Das Leben war ein Zug, der seine Haltestellen selbst bestimmte."
Wie geil ist das denn?! Ganz ehrlich, das war meine Lieblingstelle!!!

Das Ende war auch richtig gut, es bleibt spannend. Ich denke ich weiß, was ich morgen in meiner Mittagspause machen werde ;)
Von:  elina
2008-06-11T06:00:28+00:00 11.06.2008 08:00
Ohayou! ^^°

Das Kapitel war richtig gut, auch wenn nicht so Action und Humor beladen, wie die davor. Dafür wurde endlich einiges klar... Auch wenn nicht alles (wer wr da an Mousse's Bett? Shampoo?? *tipp*)

Hatte Ranma etwa so wie ein blackout, als er sich so boshaft vernahm? Ich meine, dass er sich über sein Verhalten wundert, ist irgendwie... erstaunlich?

Mir hat's richtig gut gefallen, wie du die Situation mit der Dämonin-auftritt beschrieben hast! Die Szene war echt köstlich! Vor allem, die Sache mit "Verdammt" *immernoch lachen muss* Super!

Kasumi hat sich wieder von ihrer geheimnisvollen Seite gezeigt. Ich frage mich wirklich, WIE schafft sie das?

Nun ja, wie dem auch sei, ichbin richtig gespannt, wie's weiter geht und vor allem auf die Begegnung von Ranma und Ryoga ^^
Also dann,
bis zum nächsten Mal! ^^//
Von:  elina
2008-06-05T05:50:55+00:00 05.06.2008 07:50
Wahh, das war aber ein langes Kapitel! Bin aber trotzdem schneller durch, als gedacht ^^"

Ich fang schon an zu denken, dass diese komische evil Person Kasumi selbstpersönlich ist.. oder mindestens was vergleichbares.. so wie sie immer informiert ist.. ^^°

Die Sache zwischen Ryouga und Ukyo habe ich irgendwie erwartet, auch wenn nicht gerade auf diese Weise. Das die Köchin sich betrinkt und dann auch noch neue Horizonte erforscht... hihi.. War gut ^^

Das mit Kuno war auch lustig. Schade, dass er die neugebackene Göttin nicht gesehen hatte - das wär was! Andererseits, Glück für Ryoga..
Nabikis "Buy or die" fand ich einfach super..!

Was in der Schule passiert ist, hat mich nicht weniger überrascht als Akane und die anderen. Was es wohl für eine Gestalt da war? Der panda vielleicht? ^^"" Naja, das werde ich ja noch erfahren, oder?

Das Ende fand ich am besten. Es sind so viele Fragen nun offen ^^
Klasse Geschichte! Ganz ehrlich: respekt!

Dein Schreibstil gefällt mir immer besser, auch wenn einige Begriffe mir neu sind ^^" doch das lässt sich nicht vermeiden, und ich find es auch sehr gut so ^^

OK, dann bis zum nächsten Mal! ^^//
Von:  elina
2008-06-04T06:47:57+00:00 04.06.2008 08:47
Arme(r) Ryoga! So viel peinliche Sachen, die er bzw. sie erleben muss!

Aber einen triuphalen Moment hatte Ryouga schon! ^^ Das mit Ranma hat ja wunderbar geklappt *bei der Vorstellung immer noch lachen muss* echt großartig!

Ich war ehrlich gesagt überrascht, dass Ryouga sich im Bad nicht zurück verwandelt hatte. Das wär 'ne Katastrophe gewesen! (aber das kommt noch, ne?)

Sonst weiß ich nicht recht, was ich noch dazu schreiben sollte ^^"
Das Kapitel war sehr gut, lustig und macht neugierig aufs mehr!
Also, bis denne! ^^//
Von:  elina
2008-06-02T07:09:53+00:00 02.06.2008 09:09
hehe ^^
die Geschichte hat mich eindeutig in ihren Bann gezogen. Ich MUSS sie einfach lesen! (nur blöd, wenn man noch tausende andere Sachen zu tun hat...)

Ich bin zwar mit der Oh! My Goddess! Serie nicht wirklich vertraut, doch es stört mich nicht ^^ (was mich unendlich freut, sonst hätt ihc ja was verpasst und das will ich nicht)
Dieses Kapitel war Ukyo gewidmet (die Beschreibungen fand ich klasse!) und hat auch die Situation Ryougas aufgeklärt (er tut mir ehrlich keid, aber ich kann nicht anders als lachen ^^" gomenne Ryoga)

Was ich noch anmerken will - die kleinen Absätze bevor das eigentliche Kapitel beginnt. Das find ich wirklich super gelungen und sehr passend! Bin gespannt, wer dieser Bösewicht ist... (wer weiß, vielleicht ist er auch gar net so evil ^^°)

Nun.. mehr hab ich momentan nichts zu sagen (bzw. schreiben).
Bis zum nächsten Mal! ^^//
Von:  elina
2008-05-30T07:56:48+00:00 30.05.2008 09:56
*lach*
köstlich!

Also, ganz ehrlich, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen sollte! ^^°
Schon am Anfang musste ich lachen und das verging bis zum Schluß nicht. Dass Ryoga sich zurück in seine männliche Form verwandelt hat, hat mich sogar überrascht, aus irgendeinem Grund habe ich angenommen, dass es was anderes sein sollte, was ihn unter Umständen verwandeln könnte.
Respekt!
Es ist selten, wenn ich den Ablauf einer Geschcihte nicht vorhersagen kann ^^""""""""
(nein, ich bin nicht eingebildet... *drop*)
Die Überlegungen Ryougas (das arme Ding!), die verwirrende Präsenz des Göttlichen (was hat es wohl auf sich), Nabikis Verhalten (sie kommt lebendiger vor, als in Anime, aber das liegt wohl eher daran, dass sie dort eine etwas mindere Rolle spielt), Kasumi (ah, ja.. sie ist geheimnisvoll), das Go Spiel (hehe, so typisch für die beiden) und zu gutem letz - Ranmas eleganter Flug durch die Gegend (die Beschreibung, so passend - die fand ich einfach genial!)

Nun, ich bin wirklich gespannt, wie es weiter geht und was mit dem armen Ryouga passiert. dass er sich nun statt in ein Ferkel, in eine Göttin verwandelt, kann man wohl nur als Ironie bezeichnen, ne? ^^°
Bis zum nächsten Mal! ^^//


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