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Tell me the best way I could kill you & Back to reality

~ Yu Kanda x Tyki Mikk~
von

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~5~

Augenblicklich zog Lavi den Hammer und das Zischen schmaler Messer machte darauf aufmerksam, dass sich auch der verletzte Exorzist dem Kampf stellte. Schon einmal hatte sich diesem Akuma gestellt und seine Haltung zeugte weder von Kraft, noch von Entschlossenheit, ganz im Gegensatz zu seinem linken Nebenmann. Den Griff des Mugen fest umschlossen, studierte er seinen Gegner mit wachem Blick und Lavi fand sich in der befürchteten Lage wieder. Der Auftrag, den Exorzisten zu retten, stand auf Messers Schneide und er offenbarte eine gewisse Nervosität.

„Ich…“, knackend hob sich die Klaue, richtete sich auf den Verletzten, während das bestialische Grinsen nicht verblasste, „… nehme dich!“

Und ohne weitere Zeit zu vergeuden, beugte es sich hinab, machte sich daran, sich abzustoßen.

„Kanda!“ Fahrig rief Lavi den Namen des Jüngeren und in diesem Augenblick barst das Gestein unter den langen Krallen und der Akuma schoss auf sie zu. Zielstrebig in ihre Mitte und dem Exorzisten war keine Zeit gegeben, Gebrauch von seinen Waffen zu machen… doch Kanda hatte verstanden und er reagierte sofort. Die Bewegung des Akuma war kaum nachzuvollziehen und er fuhr herum, holte weit mit dem Schwert aus… noch während Lavi den verletzten Kollegen packte und zur Seite riss. Beinahe gleichzeitig schoss die Kreatur an Kanda vorbei und surrend ging die Klinge hinab, verfehlte den Leib und traf dennoch auf einen Widerstand. Das Bein des Akuma war es, durch den sich die schneidige Klinge fraß und dumpf brach das Gestein, als sie ungelenk und haltlos gegen eine nahe Mauer prallte.

Nur kurz hatte Kanda ihr nachgesehen, bevor sich Lavis Stimme erhob. Der Exorzist war gestolpert, seine Kräfte gingen zur Neige und er stützte ihn.

„Wir müssen ihn in Sicherheit bringen!“, rief er und Kandas Hände umschlossen das Schwert sicher.

„Ich lenke ihn ab!“

Rasselnd glitt der Schutt vom dürren Leib des Akuma, als sich dieser aufrichtete und ins Freie kämpfte. Lavi hatte kein Zögern gezeigt, den Exorzisten sicher ergriffen und ihn fortgezogen. Sein Leben galt es unter allen Umständen zu schützen. Das eigene stand an zweiter Stelle und er rannte durch einen schmalen Durchgang, während hinter ihm das Gestein bröckelte und Kanda die Stellung hielt. Der Akuma wirkte etwas überrascht. Schwer hatte die Klinge ihn verletzt und strauchelnd suchte er Halt auf den dünnen Beinen. Fahrig suchten seine Pupillen unterdessen die Umgebung ab und er schenkte dem jungen Mann wenig Aufmerksamkeit, als er die Fliehenden in der Nähe ausmachte. Kein Zögern… sofort setzte er sich in Bewegung und schnell registrierte Kanda, dass er es wirklich nur auf einen abgesehen hatte. Die Beine des Akuma bewegten sich in einem weiten Schritt und bogen sich tief hinab, setzten zum Sprung an und wurden gestoppt. Heftig wich der Akuma zurück, als sich die Gestalt des Exorzisten vor ihm erhob und mit einem kraftvollen Schlag hielt er den Akuma von seinem Vorhaben ab.

„Ich bin dein Gegner!“ Ohne ihm Zeit zu geben, folgte Kanda ihm und klirrend glitt die Klinge des Katanas ab den schwarzen Stacheln ab, als der Akuma den Arm in die Höhe riss, sie einfach zur Seite schlug und sich wirklich daran machte, an dem stolpernden Kanda vorbeizugelangen. Hastig bewegte er sich, bevor sich ein Fuß zwischen seine Beine streckte, ihm zum Straucheln brachte und sich ein Ellbogen zielsicher gegen seinen kurzen Hals rammte. Erneut ging er zur Boden, trocken umstiebte ihn der Staub, als er sich dort regte und sich zur Seite warf. Tief versenkte sich die Klinge knapp neben seinem Körper und ebenso schnell wurde sie wieder aus der Erde gerissen und gegen den Feind erhoben. Dieser schob sich zurück. Geduckt und fauchend tastete er sich nach hinten, wirr kreisten seine Pupillen und Speichel spie zwischen den langen Zähnen hervor, als er seinen Gegner anfauchte.

„Geeeeh!“, zischte er aufgebracht und drehte sich, als Kanda lauernd um ihn herum schritt, stets den Fluchtweg der Beiden im Rücken. „Dich will ich nicht!“

Eine leise Verbitterung zog an Kandas Lippen, als er das Mugen schwang, stehen blieb.

„Rede nicht“, forderte er ihn auf und hob die Klinge. „Komm her!“

Kaum hatte er ausgesprochen, sprang der Akuma auch schon auf. Sofort war Kanda bereit, doch seine Pupillen hetzten zur Seite, als die Kreatur an eine nahe Hauswand sprang, mit den Krallen Halt in dieser fand und sofort zum neuen Satz ansetzte. Ein Umweg… sie versuchte den Weg noch immer zu erreichen und nur kurz verfolgte Kanda ihre Hast, bevor er sich dem Boden zuwandte. Ein klobiger Pflasterstein war es, unter den er die Spitze des Stiefels stieß und in die Höhe trat. Wendig war seine Bewegung, in der er zu dem Weg herumfuhr, gleichsam den Stein ergriff und in derselben Bewegung mit ihm ausholte. Ausreichende Schnelligkeit und kaum hatte der Akuma nach dem zweiten Satz den Boden berührt, traf ihn die Wucht des Steines dumpf am Hinterkopf und er strauchelte zur Seite, prallte gegen die Wände und blieb benommen auf den Beinen. Und er hielt inne, obgleich er sein Ziel erreicht hatte. Es musste weh getan haben und starr richteten sich die Pupillen zurück. Entspannt streckte sich ihm eine Hand entgegen, winkte ihn heran und die Glieder schienen Kanda gute Dienste zu leisten, als er einen Fuß zurücksetzte, in die Knie ging und auch die zweite Hand um den Griff seiner Waffe schloss. Und endlich wurde ihm die Aufmerksamkeit geschenkt, die er benötigte, um den Exorzisten sicher zu wissen und der Akuma stürzte nach einem kurzen Zögern auf ihn. Ein Satz genügte, um ihn zu erreichen und dumpf schlugen ihre Leiber gegeneinander. Kraftvoll stemmte sich das Katana gegen die Klaue, die nach ihm stieß, wendig schlug er sie zur Seite, brach das Gleichgewicht des Gegners und versetzte diesem einen harten Tritt gegen das verletzte Bein, woraufhin sich ein qualvolles Zischen erhob. Doch die Schnelligkeit, mit der sich der Akuma dem Schmerz entwand, war beachtenswert und Kanda blieb kaum die Möglichkeit, Luft zu holen, als die andere Klaue ihn erreichte und er heftig unter ihr hinwegtauchte. Wenige Haarsträhnen sanken zu Boden, als er sich zur Seite schob, seine Augen den erneuten Angriff erfassten und seine Arme sofort reagierten. Abermals trafen die Klinge und die Klaue aufeinander, hektisch wich er zurück, als auch die Zweite auf ihn niederging und behäbig folgte der Akuma ihm, wich dem surrenden Hieb des Katanas aus, wirbelte herum und ein dumpfer Schlaf erfasste Kandas Bauch. Die Stacheln fraßen sich durch den Stoff seiner Uniform, erreichten seine Haut nur minder und doch nahm ihm die Wucht für einen Moment die Fähigkeit, zu atmen. Sein Gesicht verzerrte sich, hastig schlug sich sein Schwert gegen die erneut herannahenden Klauen und kurz stolperten beide auseinander. Röchelnd holte Kanda Luft, schnell erholte er sich und auch der Akuma vertiefte sich rasch in einen weiteren Angriff. Ein heftiger Kampf entbrannte und mit jeder Vorsicht ließ sich Kanda auf eine geringe Distanz ein. Spitz waren die Stacheln, denen er ausweichte oder mit der von der Uniform geschützten Haut begegnete. Das Haar peitschte in sein Gesicht, als er herumwirbelte, seine Klinge eine tiefe Furche zwischen groben Stacheln hinterließ und sich die Krallen gleichzeitig in seinem Oberschenkel versengten. Ein dumpfes Ächzen entrann ihm, als er das Bein durchdrückte, zischend räkelte sich der Akuma unter der eigenen Verletzung und mit einem wuchtigen Hieb durchstieß er Kandas Verteidigung, fand einen ungeschützten Punkt und schmetterte ihn zurück. Hart schlug Kanda gegen die Mauer. Das Gestein rieselte auf seine Schulter hinab und nachdem er stockend die Augen öffnete, stieß er sich ab, warf sich zur Seite und spürte das Donnern des Gesteins, als der Akuma die Mauer zerlegte. Eine flinke Rolle nach vorn, sicher führte die Hand das Katana mit sich und kurz darauf stand er wieder auf den Beinen, schüttelte kurz den Kopf und fühlte das wiederholte Stechen seiner Schulter. Er hatte es befürchtet und verschwendete keinen weiteren Gedanken daran, als er sich in Bewegung setzte, die Mauer erreichte und somit den Akuma. Kraftvoll schlug er auf ihn ein, drängte ihn zurück auf die breite Hauptstraße und

rutschte fast in dem dünnen Staub aus, der die glatten Pflastersteine bedeckte. Er schlitterte zur Seite, stolperte zurück und spürte den scharfen Luftzug der Krallen, die an seinem Gesicht vorbeizogen.
 

Lavi war nicht weit gekommen. Die Beine des Exorzisten hatten nach zwei Ecken nachgegeben und die Verletzung der Rippen entpuppte sich als weitaus gefährlich, als er vermutet hatte. Der Kampf tobte… Lavi hörte es unentwegt und keuchend hockte er neben dem Mann, griff nach dessen Mantel und riss ihn auf. Er durfte Kanda nicht lange sich selbst überlassen und rasch zog er den Stoff zur Seite, betrachtete sich die Wunde genauer und wurde sich der Tatsache bewusst, dass sie den Exorzisten, verbunden mit der Schwäche des Körpers, wehrlos machte. Er hatte schon stundenlang gegen diesen Gegner gefochten, bevor sie hier aufgetaucht waren und röchelte unter Kraftlosigkeit.

„Kriegst du Luft?“, erkundigte sich Lavi hastig, riss sich den Schal vom Hals und beugte sich über den Verletzten, der stockend nickte. Flink schob er den Schal unter seinem Rücken hindurch, zog ihn über die tiefe Wunde und zurrte ihn fest. Ein lauter Schrei drang aus dem Mund des Exorzisten und in der Aufregung registrierte er es kaum, rückte den festen Stoff zurecht und öffnete eine kleine Tasche an seinem Gürtel.
 

Soeben noch voll und ganz auf Kanda konzentriert, hielt der Akuma plötzlich inne und hastig riss sich sein Kopf in die Höhe. Sein Gegner jedoch, hatte nicht vor, ihm Zeit zu geben und rasch erreichte er ihn, holte weit aus und stolperte ins Leere, als sich der Akuma mit einem Sprung in die Luft erhob. Die dunklen Augen folgten ihm sofort, sahen ihn auf dem Dach aufsetzen und sofort weiterhasten. Mit einem weiteren Fluchtversuch hatte er nicht gerechnet und er stieß einen Fluch aus, biss die Zähne zusammen und stieß sich ab. Sprintend folgte er dem Akuma, rannte die Straße hinab, schlitterte in eine Gasse und erspähte den Schatten des Akuma über ihm. Laut schallte sein schneller Atem in der schmalen Gasse, die er hastend hinter sich ließ.
 

„Iss das!“ Lavi rollte eine kleine Kugel zwischen den Fingern, drängte diese an den Mund des Exorzisten und bereitwillig nahm dieser die Medizin an und hustete unter ihrer Bitterkeit.

„Die Schmerzen lassen gleich nach“, fuhr Lavi fort, betastete die Stirn des Mannes und fühlte die Hitze des Fiebers. Wenn ihm nun nichts mehr geschah, dann bestand keine Gefahr und der Auftrag konnte dennoch als erfüllt betrachtet werden. Aufgeregt keuchte Lavi, richtete sich auf und hielt in jeder Regung inne, als er sich der Stille bewusst wurde. Die Geräusche des Kampfes waren verstummt und er schluckte angespannt, starrte um sich und führte die Hand zum Oberschenkel, zum Hammer. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, als lautlos den Mund öffnete… und nach Luft schnappte, als sich ein fahriger Schatten über sie neigte. Zu spät!! Er fuhr herum, seine Finger umschlossen den Griff seiner Waffe und gerade hatte er dies getan, da stürzte der Akuma auf sie zu. Weniger Meter trennten sie und schneidig preschte die Kreatur auf sie zu, als eine surrende Klinge die Luft durchschnitt. Wie aus dem Nichts wirbelte das Schwert aus der schmalen Gasse und knackend versenkte es sich in der ausgestreckten Klaue des Akuma, ließ diesen sofort zurückweichen und sich krümmen. Nun erst, hatte Lavi den Hammer gezogen und sich aufgerappelt und nur kurz vernahm er hastige Schritte, bevor Kanda um die Ecke strauchelte. Er wirkte etwas mitgenommen deutlich waren ihm die Verletzungen anzusehen, die ihn jedoch nicht aufhielten.

„Danke!“ Schützend stellte sich Lavi vor den Verletzten und schreiend wurde die Klinge aus der Klaue gerissen und nach Kanda geschleudert, der ihr knapp auswich. Nicht weit entfernt versenkte sie sich in einer Fassade und flüchtig suchten Kandas Augen nach ihr, ohne, dass er sofort zu ihr eilte. Zuckend und gequält wand sich der Akuma vor ihnen und knapp trafen sich die Blicke der beiden jungen Exorzisten.

„Bring ihn in Sicherheit!“ Fahrig wies Lavi auf den Verletzten. „Ich löse dich ab und komme nach!“

„Ich kann noch kämpfen!“, widersprach Kanda jedoch und in diesem Momenten gelang es dem Akuma, sich aufzurappeln. Die Verletzungen machten ihm sichtlich zu schaffen und nur kurz schweiften seine Pupillen über die Gegner… bevor er sich abwandte, mit einem kraftlosen Sprung das tiefe Dach eines Schuppens erreichte… und zur Flucht ansetzte. Ungläubig wurde Lavi darauf aufmerksam und er nahm die Bewegung seines Nebenmannes nicht wahr, als er erleichtert nach Luft schnappte. Es war geglückt! Der Auftrag erfolgreich und der Exorzist in Sicherheit!

„Ka…“, er drehte sich zur Seite, erstarrte jedoch. „Kanda?!“

Eilig hatte dieser das Schwert ins Freie gerissen und als Lavis Ruf ertönte, bereits zur Verfolgung angesetzt. Er sprintete dem Akuma nach und dem Rothaarigen blieb das nächste Wort im Hals stecken. Verwirrt sah er Kanda hinter der nächsten Ecke verschwinden, wurde jedoch auf den Verletzten aufmerksam, der in diesem Moment aufkeuchte und kraftlos zur Seite rutschte.

„Verflucht!“ Verbittert schüttelte er den Kopf, kniete sich zurück zu dem Exorzisten und überzeugte sich kurz von seinem Zustand. Nur bewusstlos. Kurz fühlte Lavi seinen Puls, bevor er die Augen schloss, das Gesicht verzog und den Kopf schüttelte. Das war kein Bestandteil des Auftrages!! Das war es beileibe nicht! Kanda stürzte sich in die Gefahr und er konnte ihn nicht unterstützen, wenn er sich um den Exorzisten zu kümmern hatte! Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er riss sich von den Gedanken los, packte den Arm des Mannes und zog ihn sich über die Schulter. Er musste ihn fortschaffen… in Sicherheit bringen. Es fiel schwer, auf die Beine zu kommen und den schweren Körper mit sich zu ziehen. Welche Hilfe wäre Kanda hier gewesen! Mit zusammengebissenen Zähnen quälte er sich vorwärts, umfasste das Handgelenk des Mannes sicher und presste dessen Leib an den Eigenen. Der Weg zurück zur Brücke war weit und doch wartete dort die Rettung. In dem Zustand, in dem sich der Akuma befand, würde er sich keinen Menschenmengen nähern.

Verdammt, er wäre geflohen!!

Ächzend hievte er den Exorzisten höher, ging fast in die Knie und stemmte diese durch. Auf diese Art und Weise würde er eine Ewigkeit benötigen und tief in seinem Inneren hoffte er inständig, dass Kanda den Akuma verlor… vielleicht sogar wieder zu Verstand kam und ihn hier unterstützte, doch bald darauf dröhnte das Gestein nicht weit entfernt und er blieb kurz stehen. Der Kampf ging weiter… natürlich hatte Kanda den Gegner eingeholt. Aufgewühlt starrte der junge Mann um sich, lauschte der rasch zurückkehrenden Stille und verschwendete keine Zeit. Er bahnte sich seinen Weg durch die Trümmer, durch schmale Pfade und seine Bewegungen verloren einen Teil ihrer Nervosität, als das Lärmen des Kampfes ein für allemal zu verstummen schien.

War es beendet…?

Keuchend lehnte sich Lavi gegen eine Hauswand, versuchte den Mann zu festigen und senkte kurz den Kopf. Auch die Augen schloss er und rang nach Atem. Nur kurz, bis er sich abstieß und weiterging. Ein leises Grollen zog über den Himmel hinweg und kurz blickte er auf. Eine dunkle Wolkendecke zog sich über ihnen zusammen und er verdrehte die Augen und stieg über große Steine hinweg. Ein Regen fehlte ihm gerade noch.

Seine Gedanken brachen abrupt ab, als ein lauter Knall neben ihm ertönte. Plötzlich rauschte Staub vor seinem Auge und dumpf prasselte das Bauwerk zu Boden, als der schwarze Körper des Akuma eine Hausfassade durchbrach, knapp vor Lavi auf dem Boden aufschlug und weiterschlitterte. Nur kurz folgte Lavis Pupille der Kreatur und ihm entrann ein entsetztes Ächzen, als die gesamte Hauswand neben ihm nachzugeben schien. Er riss den Kopf zur Seite, sah die hölzernen Träger brechen und strauchelte zurück. Der Exorzist!!

Er verlor das Gleichgewicht, neben ihm brach alles in sich zusammen und hastig fuhr er herum, brachte sich zwischen die Wand und den Verletzten und stieß diesen von sich, als er sich seiner mangelnden Schnelligkeit bewusst wurde. Er konnte nicht ausweichen und hart schlug der Verletzte auf den Pflastersteinen auf, während dumpf das Geröll auf Lavi niederging. Schützend hob er die Arme über das Gesicht, stieß sich ab und sprang. Ein weiteres Stolpern behinderte ihn in dem Fluchtversuch und laut ächzte er auf, als ein Holzbalken auf sein Bein niederging. Abgefangen durch andere Trümmer, brach er den Knochen nicht, hielt das Bein jedoch unter sich eingequetscht und verbissen versuchte Lavi freizukommen, während der Staub wie Regen auf ihn niederging, ihn husten ließ. Im sandigen Staub erhob sich zuckend die dunkle Gestalt des Akuma und benommen erfasste er sie, während er sich wand, die Zähne zusammenbiss und laut fluchte. Dieser Auftrag nahm Wendungen, mit denen er sich nicht einmal in seinen düstersten Befürchtungen befasst hatte!

Er ballte die Hände zu verkrampften Fäusten, zerrte an seinem Bein und hielt nach dem Verletzten Ausschau. Reglos lag dieser dort… war jedoch von allem verschont geblieben. Das wuterfüllte Schnauben der Kreatur drang unterdessen an seine Ohren und abermals starrte er zu dem Schatten ihres dürren Körpers, erspähte jedoch auch einen Zweiten, der sich auf sie stürzte, sie zurückdrängte.

„Kanda!!“ Lavis Stimme erhob sich nur undeutlich in dem Rauschen des Schutts und verbissen stemmte er sich nach vorn. „Kandaaa!!“

Doch dieser schien ihn nicht wahrzunehmen und als sich der Staub legte, verfolgte Lavi, wie ein dumpfer Schlag seine Schulter traf, ihn zur Seite schmetterte und zu Boden gehen ließ. Hastig wischte sich Lavi den Staub aus dem Auge, wendete sich auf den Rücken und richtete sich auf. Eine jede Nervosität hatte ihn nun mit gutem Grund eingeholt und verbittert stemmte er sich gegen den Holzbalken, versuchte an ihm zu rücken, sich selbst zu befreien. Etwas anderes blieb ihm nicht übrig und der Kampf in seinem Rücken wurde fortgesetzt. Unter Schmerzen und verlassen von seinen Kräften, kam Kanda dennoch auf die Beine und in der Zwischenzeit schien jeder Wunsch nach Flucht in dem Akuma erstorben zu sein. Wahnsinnig stürzte er sich auf den Exorzisten und dieser schob sich an einem Pfeiler vorbei, wich zurück und suchte nach neuem Freiraum. Somit verschwanden sie aus Lavis Sicht und dieser ließ sich verzweifelt auf den Rücken fallen, setzte den anderen Fuß gegen den Balken, drückte dagegen und spürte endlich, wie er sich etwas regte. Er war so schwer und Lavi schloss die Augen, bäumte sich auf und setzte all seine Kraft in sein Bein. Nur stockend bewegte sich das Holz, nur langsam und doch kam er allmählich frei. Erneut zog das leise Grollen durch die dunkle Wolkenschicht und er ächzte erleichtert, als er sich aufrappeln und auf die Beine kommen konnte. Sofort sprang er über den Balken hinweg, eilte zu dem Verletzten und warf sich neben ihm auf die Knie. Es war ihm wirklich nichts passiert! Das Tuch saß noch immer fest, stoppte die Blutung und die Bewusstlosigkeit ließ ihn nichts von alledem wahrnehmen. Er betastete sein Gesicht, blickte dann jedoch auf und starrte in die Richtung, in der Kanda mit seinem Gegner verschwunden war.

Er begriff es nicht!!

Der Akuma war geschwächt gewesen, hatte kaum stehen können und dennoch wurde dieser Kampf ausgefochten?!

Er zog die Nase hoch, rieb sich das Gesicht und traf einen Entschluss. Auch Kanda hatte nicht weniger erschöpft auf ihn gewirkt. Seine Entschlossenheit könnte sich schnell gegen ihn wenden und er nahm sich vor, den Exorzisten an eine ruhige Stelle zu bringen… und sich anschließend um Kanda zu kümmern, ihm Verstand einzuflößen. Dieser Kampf war unnötig und es hätte durchaus passieren können, dass das Leben des Exorzisten dadurch in weitere Gefahr geriet!
 

Strauchelnd verließ Kanda die Grundfassaden eines zerstörten Hauses, trat auf einen kleinen Platz hinaus und drehte sich sofort um, da er verfolgt wurde. Röchelnd sprang ihm der Akuma entgegen, klirrend glitt die Klinge an den Stacheln ab, wurde fehl gelenkt und bevor sich der junge Mann versah, schlug sich eine Klaue um sein Handgelenk, umschloss es mit solch einer Kraft, dass die Finger den Griff aufgaben und die Waffe zu Boden fiel. Perplex folgten ihr die Pupillen und ein Blinzeln genügte, damit ihm die wendige Bewegung des Feindes entging und die Augen weiteten sich entsetzt, als sich der Akuma direkt vor ihm aufbaute. Der Hals rang nach einem Keuchen, bevor sich die wuchtige Klaue des Akuma um ihn schlug, ihn augenblicklich mit sich riss. Den Beinen war nicht die Schnelligkeit gegeben, der Wucht zu folgend und stolpernd folgten sie dem Körper, der zurückgestemmt und gegen eine Mauer geschlagen wurde. Der dumpfe Stoß fuhr Kanda durch Mark und Bein und benommen setzten seine Füße auf dem Boden auf, fanden Halt und die Kraft, sich abzustützen. Ein pochender Schmerz raste hinter seinen Schläfen und laut ächzte er, als er die merkwürdige Freiheit seines Halses spürte. Die Klaue packte nicht zu, würgte ihn nicht. Tief hatten sich die Krallen zu seinen Seiten im Gestein versengt und ließen der Lunge genug Freiraum zum atmen. Die Mauer schabte gegen seinen Rücken, als er wieder zu sich kam und zögernd die Augen öffnete. Dicht vor ihm ragte der Kopf des Akuma auf und wirr kreisten die Pupillen in den schmalen Augäpfeln, bevor sie sich starr auf ihn richteten. Hastig zog er den Kopf zurück, stieß gegen den Widerstand und riss die Hände in die Höhe, um sie um die Klaue zu schlagen. Doch ihre Haltung war eisern und er bewegte sich um kein Stück, als er die Finger um das dürre Handgelenk schloss.

„Ks.“ Mit einem trockenen Fauchen neigte sich der Kopf näher und Kanda rutschte ab. Seine Hände verloren an der Haut den Halt und schlitterten über die stachelübersäten Unterarme. Die Linke glitt daraufhin ab, während die Rechte verbitterten Halt fand und sich um den schmalen Ellbogen klammerte. Warm drang das Blut aus den tiefen Schnitten seiner Finger und er verzog das Gesicht unter dem fauligen Atem, der ihm entgegen stieß.

„Duuu Wuuurm!“ Ein leises Zischen folgte und langsam regte sich die Klaue an seinem Hals.

Kandas Herz begann zu rasen… schneller, als es durch die Anstrengungen des Kampfes möglich war. Verwirrt spürte er das dumpfe Pochen in seiner Brust, sein Atem, der sich zu einem fortwährenden trockenen Keuchen erhob. Eingeengt zwischen dem Akuma und der Mauer wand er sich und rang mit der plötzlichen Überreaktion seines Körpers. Der madige Atemzug, der ihn erneut erfasste, ließ ihn erzittern und keuchend schloss er die Augen, während er die Hand tiefer in den Stacheln des Ellbogens versenkte.

Seine Lage versetzte ihn in eine jähe Nervosität, die er sich nicht erklären konnte. Die Gefahr war ersichtlich, die Situation heikel und doch…

Perplex blinzelte er, erblickte seine verletzte Hand, die den Griff dennoch verkrampft beibehielt und meinte, den Schmerz nicht zu spüren, der von den Stacheln ausging. Der Akuma schien die Momente zu genießen, zu nutzen, um sich in seiner Überlegenheit zu suhlen und er fügte Kanda keine Verletzungen zu. Locker war der Griff an seinem Hals und doch erbebte der junge Mann unter ihm.

Die Enge… er begriff, wie wenig er sie vertrug.

Die Angst vor der festen Fixierung seiner Glieder… und wieder streifte ihn der warme Atem und er schloss hastig die Augen.

>Weg!< Fast erschrak er selbst vor diesem intensiven Gedanken, der urplötzlich in ihm rumorte, ihm ein ersticktes Ächzen aufzwang. >Weg! Weg!!<

„Lass mich los…!“ Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Krächzen und er konnte sich nicht erklären, weshalb dem so war. Sein Körper begehrte auf, stieß gegen den Griff der Klaue und sackte in sich zusammen. Matt sank sein Gesicht vornüber, sein Unterkiefer erzitterte und die Augen des Akuma begannen abermals zu kreisen. Er schien eine gewisse Ablenkung zu empfinden und ohne sich zu bewegen, überblickte er sein Umfeld. Dunkel und schwarz wurde das Bild, als Kandas Lider schwer wurden und sich sein Gesicht verzog. Ein eiskalter Schauer erfasste ihn, ließ ihn abermals erbeben und keuchen. Merklich scheuerte das Gestein gegen den festen Stoff seines Mantels, als er die Knie durchdrückte. Die Klaue an seinem Hals… er stieß mit dem Kinn gegen sie, riss den Kopf sofort in die Höhe und zuckte in sich zusammen, als sie sich beiläufig bewegte.

Fließend streiften die Krallen seinen ungeschützten Hals, kitzelnd eine Strähne sein Ohr und er presste die Lippen aufeinander, als ein leises Rauschen in seinen Ohren zu hallen begann. Ein schwerer Druck baute sich auf seinen Schultern auf und verwirrt rang er nach Atem.

Was geschah…?

Er fühlte etwas… etwas Übermächtiges… Unabwendbares…
 

Angst…
 

Angst, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte. Fest schien sie ihn zu umschließen, seinen Körper an etwaigen Berührungen zu hindern… zu fesseln. Er spürte das Zittern seines erhobenen Armes so stark, dass sich selbst die Hand ungebremst in den Stacheln bewegte, hörte, wie seine Zähne aufeinander klapperten, als würde Eiseskälte ihn plagen.

„Lass mich…“, ein abwesendes Murmeln drang über seine Lippen, brachte kaum einen Ton mit sich und in aller Ruhe befasste sich der Akuma auch weiterhin mit der Umgebung, hielt ihn an der Mauer wie einen Gegenstand, dem er sich später wieder zuwenden wollte.

„Lass…“, Kandas Stimme brach, lautloser Atem folgte und das bittere Gefühl der Niederlage überkam ihn. Er stand aufrecht hier… fühlte sich jedoch, als würde er mit dem Gesicht im Dreck liegen.

Dreckig… so dreckig…

„Mmm…“ Das Rauschen in seinen Ohren legte sich, formte sich zu einem tiefen Atemzug. Fremder Atem, der ein genüssliches Raunen mit sich brachte. Wie ein Fetzen düsterer Erinnerungen erreichte ihn der Laut und bebend öffnete er den Mund, rang zitternd nach Luft.

Wieder eine Berührung…!

Sein Hals…!!

„Aahh…“, ein kraftloser Ton kam über seine Lippen, scheiterte an einem Schrei, den er hervorwürgen wollte. Sein Magen verkrampfte sich, zwang seinen Oberkörper nach vorn und abermals sank das Kinn gegen die Klaue.

„Du… duftest nach Blut…“

Heftig schüttelte er den Kopf, ziellos hob sich seine freie Hand, tastete nach der Stimme, versuchte sie fortzuwischen und in diesem Augenblick wandte sich das spitze Gesicht des Akuma knarrend zu ihm. Das alte Grinsen zerrte an den schwarzen Lippen und starr fixierten sich die Augen zurück auf das Gesicht des jungen Mannes. Mit weit aufgerissenem Mund ächzte dieser und langsam hob der Akuma die freie Klaue. Allmählich wollte er es beenden und flüchtig berührten die langen Krallen den bebenden Körper. Zufällig strichen sie über Kandas Bauch hinweg, hoben sich zur Brust und wollten die Kehle erreichen.

„Nein…“, gepeinigt zuckten Kandas Lider und ein jeder Muskel seines Körpers verzerrte sich, ließ ihn krampfen und sich winden. Leidlich versuchte er der Berührung zu entgehen, presste sich hilflos gegen das Mauerwerk. Die Hand geriet ihm außer Kontrolle. Zuckend glitt sie von den Stacheln und in schnellem Takt tropfte das Blut von seinen Fingerkuppen, als sie hinab sank.

„Nein…“, ein gebrechliches Flüstern drang dem Akuma bebend entgegen und Kandas Hals bewegte sich unter einem trockenen Schlucken. „… Bitte… nei…“

Ein leises Fauchen stieß daraufhin durch die spitzen Zähne der Kreatur und von bloßem Schrecken erfasst, fuhr Kandas Gesicht in die Höhe. Glasig rissen sich die Augen auf und die nackte Angst durchstach die dunklen Pupillen, als sie sich auf das wohlgeformte Gesicht des jungen Mannes richteten, der sich behäbig gegen ihn schmiegte. Fest war der Griff an seiner verletzten Schulter und den geweiteten Augen gelang kein Blinzeln. Erstarrt erfassten sie das sanfte Lächeln, das an den gepflegten Lippen Tykis zog, die weißen Zähne, die daraufhin zum Vorschein kamen.

„Ich bringe es zu Ende“, wisperten sie zärtlich und ein Knie streifte die seinen. „Aber vom Tod hat niemand gesprochen.“

Die Krallen näherten sich seinem Hals und der Akuma näherte sich ihm um einen weiteren Schritt. Das dürre Knie streifte die des jungen Exorzisten, als er die letzte Distanz überwand, genüsslich die Spitze einer Kralle auf die bebende Kehle setzte. Kandas Augen folgten der Bewegung nicht. Gelähmt blieben sie auf einen nicht existenten Punkt gerichtet und kurz bewegte sich der Unterkiefer unter einem erstickten Würgen. Ein Druck… ein schmerzhafter Druck breitete sich in seiner Kehle aus und brachte ihm augenblicklich das Gefühl des Erstickens näher.

Er konnte… nicht mehr atmen!

Röchelnd versuchte er es und brach in leises Husten aus, als er das eigene Stöhnen vernahm… laut schreien wollte.

„So ist es gut… nicht wahr…?“ Ein leises Lachen folgte… diese Stimme…

Panik… sie durchfloss ihn wie das Blut selbst, welches gefroren zu sein schien.

Angst… er hatte Angst… solche Angst!!

Ein klägliches Wimmern kam über seine zitternden Lippen und seine Knie drohten nachzugeben. Gemächlich schabte die Kralle unterdessen über seine Kehle hinweg, wurde bedächtig postiert.

„Haah!“ Ein geräuschvolles Keuchen erhob sich daraufhin, versiegte in einem Würgen. Seine Brust… alles in ihm schien sich zu verengen und orientierungslos hob er die Hand, tastete nach ihr… fand sie nicht.

Leise bröckelte das Gestein unter hastigen Schritten und fahrig wechselten die Pupillen des Akuma die Richtung, als diese an Lautstärke gewannen. Reglos verharrte die Kralle am Hals des jungen Mannes und mit gehetztem Atem schlitterte Lavi um eine Ecke. Augenblicklich erspähte er den Feind und sein Auge weitete sich erschrocken, als er auch Kandas Lage sah. Stolpernd hastete er weiter, hielt nicht inne und sofort zückte er den Hammer.

„Kanda!!“ Er rief seinen Kollegen und sofort gewann der Hammer an Größe, als er ihn in die Höhe riss, woraufhin der Akuma augenblicklich von Kanda abließ. „Lauf!!“

Geschwind fuhr der Akuma zu ihm herum und sobald sich seine Klaue aus dem Mauerwerk riss, sank Kanda in sich zusammen. Kraftlos stürzte er auf die Knie und Lavi holte weit aus. Es geschah innerhalb weniger Sekunden. Die tiefe Wunde am Knie des Akuma ließ diesen in seinen Bewegungen stocken und mit voller Wucht erfasste ihn die riesige Fläche des Hammers. Ein jeder der dünnen Knochen schien zu bersten. Ein morsches Knacken erhob sich, als der Akuma wie eine lose Hülle zur Seite geschleudert wurde, sich krachend in einer Häuserwand versenkte, das Gestein mit sich riss und im leeren Innenraum des Gebäudes unterging. Aufgeregt sah Lavi ihm nach und der Hammer schrumpfte in seiner Hand, als er sich stolpernd auslief und stehenblieb. Seine Schultern hoben und senkten sich unter purer Erleichterung und unter einem tiefen Seufzen wandte er sich um.

„Ka…“ Seine Stimme versagte, als sein Auge den jungen Mann erfasste und als wäre er zu Eis erstarrt, blieb er stehen. Wir verdeckte das Haar das bis zum Boden gesenkte Gesicht, während der schmale Leib unter lautem Röcheln erbebte. Zusammengesunken kauerte er vor ihm und verkrampft klammerten sich die Finger in den Stoff des Mantels, der die Brust bedeckte. Tief waren sie in ihm versenkt und ebenso heftig presste sich der andere Arm gegen den Unterleib, wurde fest eingeklemmt von dem Bauch und den angewinkelten Beinen. Ein Fiepen nahm den Platz des Röchelns ein… er kämpfte mit dem Ersticken und mit wenigen Schritten hatte Lavi ihn erreicht. Pure Verwirrung prägte seine Züge, als er sich vor ihm auf die Knie warf, die Hände hob, sich über ihn beugte… und doch zögerte.

Was war passiert…?

War er verletzt…?!

„Kanda…?!“ Aufgebracht setzte er die Hände auf seine Schulterblätter, spürte die Härte der in sich verzerrten Muskeln, das heftige Zittern. Und ihm wurde nicht die Möglichkeit gegeben, ihn erneut anzusprechen. Erschrocken wich er zurück, als Kanda unter einem erstickten Aufschrei in die Höhe fuhr. Zerzaust blieb das Haar im Schweiß seines bleichen Gesichtes haften und glasig richteten sich die dunklen Augen auf Lavi, dessen Gesicht bei diesem Anblick selbst an Farbe zu verlieren schien. Mit erhobenen Händen blieb er knien und schutzlos streckte sich ihm eine blutige Hand entgegen, als sich Kanda stockend und orientierungslos im Gestein zurückschob. Die nackte Panik schien ihn zu jagen und als würden in seinem Unterleib unerträgliche Schmerzen toben, hielt er diesen auch weiterhin umklammert.

„Fass mich nicht…!!“, die hysterische Stimme brach und versiegte in einem fahrigen Keuchen. Nur kurz hatten seine geweiteten Augen Lavi gestreift, glitten nun in die Höhe, richteten sich auf die schlanke Gestalt des Mannes, der sich vor ihm aufbaute, ihm in langsamen Schritten folgte. Das Gestein… es gab unter den edlen geputzten Stiefeln nach und Kandas Hand rutschte aus. Röchelnd stürzte er auf den Ellbogen, panisch scharrten seine Fersen durch den Kies, vermochten es nicht mehr, den Körper zu bewegen.

„Ich werde dir zeigen, wie schnell du es genießen wirst“, flüsterten die wohlgeformten Lippen, als Tyki ihn bequem erreichte. Es war kalt… er fror und seine Augen erfassten die verzweifelten Bewegung der nackten Beine.

„Hör auf…“, seine Lunge gab nach, ein tiefer Atemzug gelang ihm und ein angsterfüllter Schrei. „Fass mich nicht an!!“

Panisch schlug er nach der Gestalt, doch bedrohlich neigte sie sich schon über ihn.

„… nda…“ Säuselnd drang das Summen des Windes an seine Ohren und ohnmächtig vor Schwindel neigte sich sein Kopf zur Seite.

„Und irgendwann…“

„… anda…!“

Stimmen…!

Sie waren überall… wie grausame Gestalten, die ihm zuwisperten!!

„… wirst du mir dankbar sein.“

„Hör a…“, mit letzter Kraft stemmte er sich in die Höhe, klammerte sich in das Gestein, bäumte sich kläglich gegen die dunkle Gestalt auf und blinzelte ihr hilflos entgegen. Das Lächeln… beständig formte es diese Lippen und er spürte die Hitze der Nähe. Der Leib neigte sich zu ihm hinab…

Saubere Hände streckten sich nach ihm aus…!

„Kanda!!“ Kraftvoll schlug Lavi die Finger in seinen Mantel, zerrte ihn nach vorn, versuchte ihn verzweifelt in die Wirklichkeit zurückzuholen. Die Angst beherrschte auch ihn und er verzagte, als sich Kanda kläglich gegen den Griff zu wehren begann. Stockend hoben sich seine Arme, zusammengesunken versuchte er sich den Händen zu entwinden und Lavi ließ ihn los. Hilflos blieb er vor Kanda hocken, starrte auf dessen gesenktes Gesicht und hob eine Hand zum Eigenen. Fassungslos verbarg er den Mund unter ihr, als Kanda sich keuchend vor ihm regte, auch den zweiten Arm gegen den Unterleib presste und sich benommen nach vorn sinken ließ. Er ächzte, röchelte, sein Haar glitt durch den Staub des Bodens und Lavi verfolgte eine jede Bewegung erschüttert.

>Was soll ich tun…?< Die Frage stellte sich ihm, ohne dass er eine Antwort wusste. >Was soll ich tun?!<

„Ah…“, ein gepeinigtes Ächzen drang an seine Ohren und stockend verfolgte seine Pupille, wie sich Kanda erneut zu regen begann. Sein Oberkörper richtete sich etwas auf und zögernd lösten sich die Hände vom Unterleib. Sie waren blutüberströmt… tiefe Schnitte klafften und fassungslos spreizte Kanda die Finger, starrte sie an. „… Ich…“, nur undeutlich kam das heisere Flüstern über seine blassen Lippen, „… blute…“

„Yu…?“ Vorsichtig hauchte Lavi seinen Namen, doch es wurde nicht reagiert. Für Kanda gab es lediglich seine Hände und er drehte sie, verfolgte, wie das Blut über seinen Handrücken perlte. Es war seltsam… er hatte gedacht, es wäre weniger gewesen. Und er hatte geduscht… ja, hatte er nicht all das von sich gewaschen?

Mit einem hastigen Blinzeln versuchte Lavi sich zusammenzureißen. Er musste sich beruhigen, sich fassen und verbissen wandte er den Blick von Kanda ab, erhob sich langsam auf die Knie und rückte etwas näher an diesen heran.

Er kannte keine Lösung für diesen Fall… welchen Fall?

Was sah er hier?

Und was sah Kanda in diesen Momenten…?

Er wusste es nicht.

Die geweiteten Augen des jungen Mannes begannen zu brennen und absent schweiften sie an den blutigen Händen vorbei, richteten sich auf die nackten Beine und zwischen sie. Sein trockener Atem stieß ungläubig hervor und die Hände bewegten sich stockend zur Seite.

Nein… es war immer noch da…

Das Blut…

Gelähmt starrte er auf seine Beine, das Herz drohte ihm aus der Brust zu springen und entsetzt ächzte er auf, als sich eine Hand unter sein Kinn schob, Druck auf dieses ausübte und sein Gesicht anhob. Eine klägliche Gegenwehr, die Lavi kaum registrierte. Seine eigene Hand zitterte, als er Kandas Gesicht erhoben hielt, die andere zu einer Faust ballte und weit ausholte. Perplex folgten die starren Augen der Bewegung und Lavi biss die Zähne zusammen, bevor er unbarmherzig und kraftvoll zuschlug. Das lange Haar peitschte in Kandas Gesicht, als dieses zur Seite gerissen wurde. Matt folgte der Körper und der Schlag schmetterte ihn zu Boden. Haltlos schlug er auf und blieb liegen, während der trockene Staub ihn umstiebte.
 

Die Dunkelheit senkte sich über den Platz, als sich die finstere Wolkendecke verdichtete, die Sonne hinter sich verbarg. Reglos lauschte Lavi dem leisen Grollen, welches abermals über ihn hinweg zog. Ein stummer Lichtblitz durchstach die Düsternis und geräuschvoll ging der erste Regentropfen auf die Pflastersteine nieder. Platschend schlug er auf und der junge Mann blinzelte. Er hatte es eine Weile nicht mehr getan, während er auf Kanda starrte und auf die stockenden Bewegungen, die allmählich in diesen zurückkehrten. Die Fingerkuppen begannen sich auf dem Untergrund zu regen, tasteten sich über die glatte Oberfläche und der Kopf des jungen Mannes neigte sich zur Seite. Wirr hing das Haar aus dem lockeren Zopf und ein gedämpftes Ächzen entrann ihm, als er auch die Beine regte. Der Schlag ihm ein Teil seines Bewusstseins geraubt zu haben, soweit er es noch besessen hatte. Er schien perplex und doch wirkten seine Bewegungen kontrolliert. Die Wirklichkeit schien ihn wieder zu haben und tief atmete Lavi ein. Leises Plätschern begann sie zu umfangen und kurz darauf blickte er durch einen trüben Regenvorhang. Die Gestalt vor ihm machte sich nun daran, sich aufzurichten. Nur matt fanden die Hände den nötigen Halt und es schien dem Körper schwer zu fallen, sich in die Höhe zu stemmen. Erst sank er zu Boden zurück, versuchte es erneut und gelangte auf die Knie, die er stockend anwinkelte. Nass hafteten die Strähnen bereits auf seinem Gesicht und das Wasser perlte von seiner Stirn, als er es langsam hob. Sein Keuchen ging in dem sich rasch steigernden Rauschen des Regens unter. Lavi sah allein seine Schultern, die sich heftig hoben und senkten, erblickte auch seine Augen, die durch den Regenvorhang zu ihm drifteten, sich auf ihn richteten… verstört. Er schien es selbst nicht zu begreifen und lange Zeit kauerte er nur dort und starrte orientierungslos um sich, während der Regenguss das Blut von seinen Händen wusch. Lavi fand sich noch immer regungslos vor… die Entschlossenheit war noch nicht zu ihm zurückgekehrt und schweigend hob er die Hand zum Gesicht, um sich den triefenden Pony zurückzustreifen. Kanda schien es weniger zu stören. Er blinzelte zwischen den nassen Strähnen hindurch, löste die Hände vom Boden und setzte sich auf. Seine Gestik, seine Mimik… sie bewiesen, dass die vergangenen Minuten annähernd unbemerkt an ihm vorbeigestrichen waren und annähernd schien er perplex über seine Haltung, sein Kauern auf diesem Platz. Bald blickte er zu Lavi zurück. Still saß er vor ihm im Regen und die Lippen zitterten unsicher, bevor sich ein trauriges Lächeln auf ihnen abzeichnete. Perplex studierte Kanda diese Mimik und er schluckte schwer, bevor er blinzelte und das Wasser über seine Wimpern perlte.

„Wir sind hier fertig“, drang Lavis Stimme durch das laute Rauschen zu ihm. Sie erhob sich nur leise, wurde dennoch sofort wahrgenommen.

Waren sie das…?

Kanda zögerte, der Ausgang des Kampfes schien ihm entfallen zu sein und flüchtig betrachtete er sich die Verletzungen seiner Hände. Deutlich hoben sich die Schnitte von der blassen Haut ab, die Finger zitterten, wie noch nie zuvor. Die gesamte Hand bebte und er ballte sie, ließ sie sinken. Seine Lippen bewegten sich stumm, seine Pupillen schweiften zur Seite und sein Gesicht senkte sich mit einem Hauch von Bitterkeit. Die Irritation verblasste und Lavi registrierte, wie sich seine Festigkeit aufzubauen versuchte, wie sein Körper um Haltung rang und er an alledem scheiterte. Das äußere Bild schien ihm zu gelingen und war dennoch unglaubwürdig in der Sicht des jungen Mannes, der die letzten Momente erlebt hatte. Er nickte still, wandte den Blick ab und begann sich zu regen. Kanda sah ihm nicht nach.

„Wir können gehen.“

Platschend versenkten sich seine Stiefel in einer kleinen Pfütze, als er aufstand, sich das Haar erneut zurückstreifte und flüchtig zum Himmel aufblickte. Ein Unwetter, noch bevor die Sonne ihren Zenit erreicht hatte. Es schien alles zusammenzupassen und er zog die Nase hoch, wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und verfolgte, wie sich auch Kanda langsam zu regen begann. Auf die Beine zu kommen, war eine weitaus größere Herausforderung und er fand keinen rechten Halt, schwankte und benötigte eine Zeit, um die Knie zu der nötigen Kraft zu zwingen. Die vergangene Panik hatte seinen Körper völlig ausgelaugt, sandte ihm die Nachfolgen des heftigen Atems, ließ ihn straucheln, kurz das Gleichgewicht verlieren. Ihm war schwindelig und er rieb sich die Augen, als er irgendwann aufrecht stand. Bebend fiel es den Händen schwer, das Ziel zu ertasteten. Die Fingerkuppen gaben das Gefühl der Haut kaum an ihn weiter und er hustete schwer, presste sich die andere Hand auf den Bauch und starrte um sich. Lavi stand neben ihm… wartete auf ihn, brachte es jedoch nicht fertig, hilfsbereit nach seinem Arm zu greifen, als er die Unsicherheit seiner Beine bemerkte. Seine Hände hoben sich, hielten jedoch inne und wurden nach einem kurzen Sinnieren sinken gelassen. Er setzte Kanda keiner Hast aus und sein Mund blieb versiegelt. Was sollte er denn sagen? Sollte er ihn fragen, ob es ihm gut ging? Ob er Schmerzen hatte? Er schürzte die Lippen und Kanda blähte die Wangen auf, bevor er sich stockend in Bewegung setzte. Ruhig hielt sich Lavi an seiner Seite, ließ eine sichere Distanz zwischen ihnen und hielt sich davon ab, ihn anzusehen. Stattdessen glitt seine Pupille über den Boden und nach wenigen Schritten erreichten sie die Grundmauern des Hauses. Ein Schritt über die Bordsteinkante und der Rothaarige nahm ein dumpfes Geräusch neben sich wahr. Abermals hustete Kanda… die Hand verblieb auf seinem Bauch und plötzlich wandte er sich ab, krümmte sich nach vorn und stemmte sich gegen die alte Fassade. Er übergab sich heftig und Lavi schloss das Auge, stemmte eine Hand in die Hüfte und starrte in die entgegengesetzte Richtung, während er dem lauten Schnaufen und Röcheln lauschte. Es war ein Trauerspiel und Kanda hörte sich an, als würde er sich die Seele aus dem Leib würgen. Es hörte nicht auf und Lavis Besorgnis vertiefte sich erschüttert, als er nach wenigen Minuten zu ihm lugte. Die Ellbogen gegen das Gestein gestemmt, verharrte Kanda nach vorn gebeugt und wieder erbebte sein Körper unter einem Krampf. Wieder… und Lavi schöpfte tiefen Atem, wischte sich das Wasser vom Auge und blickte zum Platz zurück. Nachdenklich betrachtete er ihn sich und nach wenigen Momenten hob er die Augenbraue. Beinahe wäre es ihm entfallen… er hob an, etwas zu sagen, unterließ es dann jedoch und wandte sich einfach ab, um die wenigen Meter zurückzukehren. Er erreichte das am Boden liegende Mugen, bückte sich danach und nahm es mit. Kanda hätte es liegen gelassen… es vergessen? Er betrachtete sich die saubere Klinge, an der sich die Regentropfen brachen, drehte sie und sah den Rest des fremden Blutes, welches vom kunstvollen Heft rann. Er hätte es wirklich vergessen…

Er gab sich einem kurzen Zögern hin, bevor er zu Kanda zurückkehrte und sich dieser endlich von der Mauer löste. Er schien es hinter sich zu haben und ungewandt fuhr er sich über den Mund, spuckte zur Seite und starrte auf das Mugen, das ihm gereicht wurde. Ruhig hielt Lavi es ihm hin und träge griff die Hand danach. In derselben Bewegung wandte sich Kanda auch schon ab, setzte seinen Weg stockend fort und tat sich schwer damit, die Klinge in der Scheide zu verstauen. Bebend betteten sich die Finger an dieser, zitternd zog er die abgestumpfte Seifte über sie hinweg, versuchte sie in die schmale Öffnung zu dirigieren und rutschte zweimal ab, bevor das Schwert sich unter einem leisen Zischen endlich in ihr versenkte.
 

Der Auftrag… erfüllt.

Selbst verbunden mit der gefährlichen Abweichung und dem daraus entstandenen Risiko. Sie waren erfolgreich gewesen und doch fühlte sich Lavi nicht danach, als hätte er einen Triumph gefeiert. Er verlor Kanda aus den Augen, als er die Finder über die Brücke holte, mit ihnen erneut nach dem Exorzisten suchte und sie beruhigen konnte. Der Akuma war zerstört und keine Gefahr lauerte nun noch zwischen den zertrümmerten Bauwerken. Nur kurz meinte er, den jüngeren Exorzisten zu sehen, als er sich auf den Rückweg in den Stadtteil machte. Er verschwand in einem der Häuser, sah sich nicht um, folgte abwesend einem unbekannten Weg und Lavi konnte sich keine Zeit dafür nehmen, da er sofort abgelenkt wurde. Und das benötigte er auch. Einiges gab es noch zu tun, bevor sie sich auf den Rückweg machen konnten. Schnell wurde der Verletzte geborgen, fortgebracht und augenblicklich versorgt und gemeinsam mit den Findern machte sich Lavi anschließend auf den Weg zu dem zweiten Exorzisten. Auch diesen würden sie hier nicht zurücklassen und Lavi versuchte gegen all die Gedanken anzukämpfen, die nicht an diesen Ort, nicht in diesen Moment gehörten, als er die Leiche des Mannes gemeinsam mit den anderen aus dem Schutt befreite, sein Innocence an sich nahm. All das brachte er zurück zum schwarzen Orden und die bevorstehende Reise erfüllte ihn mit der alten Nervosität und er hoffte inständig, dass Kanda, ganz gleich, welchen Ort er aufgesucht hatte, wieder etwas zur Ruhe fand, dass er sich auf die Fahrt vorbereitete. Bereute er es? Wieder stellte er sich diese Frage, als er dem Zug der Finder folgte. Sie trugen die Leiche zwischen sich und eingewickelt in einem weiten Tuch. Es war kein schöner Anblick gewesen. Ja, was wäre gewesen, hätte Crowley ihn begleitet? Oder ein anderer Kollege, auf den er sich verlassen könnte. Irgendjemand, es spielte keine Rolle. Einiges wäre ihm erspart geblieben. Möglicherweise hätte sich dieser Auftrag als einfach entpuppt und sie hätten die Zerstörung des Akuma der Nachhut überlassen können. Es waren wirklich weitere Exorzisten eingetroffen. Zwei von ihnen traf er rasch und schickte sie zu jenem Platz, an dem er dem Akuma den Schlag verpasst… ihn fortgeschleudert hatte. Sie würden sich überzeugen, ob es der Todesstoß gewesen war und Lavi blieb seinem Ziel treu, begleitete sie nicht und sah nach einem kurzen Marsch wieder die Brücke vor sich. Es wäre alles anders gekommen, dessen war er sich sicher und als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass Gedanken nichts an dem Erlebten änderten, unterdrückte er diese. Die Vergangenheit konnte man nicht ändern. Er war in der Realität, im Hier und Jetzt. Er schluckte das Sinnieren hinunter, ließ die Brücke hinter sich und beschloss, sich kurz von dem rauschenden Regen zu befreien. Eine nahe Polizeistation war es, die er betrat, die vielen Menschen bereits als Zufluchtsort diente und schüttelte die gröbste Nässe aus seinem Haar, bevor er sich mit der Schulter gegen die Tür stemmte und ein großes Foyer betrat, in welchem viele Menschen saßen. Doch nun war es überstanden und kurz verschaffte er sich einen Überblick, bog in einen schmalen Flur ein und machte sich auf die Suche nach einem Telefon. Mit respektvoller Bereitschaft stellte man ihm sofort eines zur Verfügung und erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl fallen, klemmte die Knie hinter die Kante des Schreibtisches und öffnete eine kleine Gürteltasche. Flatternd erhob sich sofort der schwarze Golem und entspannt wurde er durch das Kabel mit dem Telefon verbunden, hielt sich ruhig in der Luft, während Lavi eine Nummer wählte. Dieser Auftrag hatte ihn mehr mitgenommen, als er dachte. Er spürte es erst jetzt und blinzelte matt, als er dem Rufsignal lauschte.

„Verzeihung?“ Ein junger Beamter war es, der ihn ansprach und mit großen Augen starrte er auf die Tasse heißen Tees, die man ihm reichte. Etwas Besseres konnte es nicht geben und dankbar nahm er sie an, als der Anruf auch schon entgegen genommen wurde

„Hier Lavi“, meldete er sich, wendete den Hörer in die eine Hand und umschloss mit der anderen die Tasse. „Der Auftrag ist teils erfüllt.“ Er pustete über die dampfende Oberfläche des Getränkes, lauschte der Stimme seines Vorgesetzten und nickte. „Die Verstärkung ist eingetroffen, der Akuma höchstwahrscheinlich zerstört. Ja…“, wieder nickte er, starrte auf die Tasse und sah kurz einem Mann nach, der auf der anderen Seite des Schreibtisches vorbeieilte. „Den einen Exorzisten haben wir verloren, sein Innocence ist sichergestellt.“ Erneut verstummte er, pustete über den Wasserdampf und rückte sich kurz zurecht. Er lauschte Komui aufmerksam, ließ kurz darauf die Tasse sinken und schien kurz zu grübeln. „Wenn es hier keine dringenden Aufgaben mehr für uns gibt, würde ich lieber sofort zurückkommen.“ Eine Frage folgte, die in seinen Befürchtungen aufgetaucht war und er schürzte die Lippen, sah sich flüchtig um. „Wir sind größtenteils unversehrt geblieben.“ Er ging der direkten Antwort aus dem Weg, wieder lauschte er in den Hörer, schüttelte jedoch den Kopf. „Nicht am Telefon“, meinte er. „Ich melde mich bei dir, sobald wir zurück sind.“ Somit verabschiedete er sich knapp, legte den Hörer auf und wandte sich wieder der Tasse zu. Seinen kalten Händen ging es bereits besser und kurz schloss er sie noch einmal beide um die warme Keramik, bevor er die Tasse abstellte, ohne vom Tee zu trinken und sich erhob. Flink wurde der Golem abgekoppelt und in der Tasche verstaut. Er wollte keine Zeit verschwenden und seine Schritte waren zielstrebig, als er das Zimmer verließ. Wenn sie Glück hatten, könnten sie schon spät abends zurück im schwarzen Orden sein und kurz grübelte er, wo er Kanda suchen und auch finden könnte. Hoffentlich hatte er sich nicht zu weit entfernt und als er auf den überdachten Vorbau des Hauses hinaustrat, erblickte er wahre Menschenmassen, die ihn schon von der Suche abbrachten, bevor er sie begann. Fröstelnd verschränkte er die Arme vor dem Bauch, trat zurück und suchte sich eine stille Ecke. Seine Hand glitt abermals in die kleine Gürteltasche und kurz darauf spannte der schwarze Golem erneut seine Flügel, erhob sich in die Lüfte und flatterte vor ihm. Allmählich wurde es wirklich kalt und er verschränkte die Arme abermals.

„Yu? Kannst du mich hören?“ Ein leises Rauschen drang daraufhin an seine Ohren und er lugte nach draußen. Der Regen wollte nicht nachlassen. Es schüttete, wie lange nicht mehr und Lavi erhielt keine Antwort. „Yu“, sagte er also wieder. „Melde dich.“

Und endlich brach das Rauschen ab.

„Ja“, antwortete die bekannte Stimme und Lavi fühlte eine gewisse Erleichterung bei ihrem gewohnten Klang.

„Wir wurden zurückbeordert. In einer halben Stunde auf dem Bahnsteig?“

„Ja“, ertönte es wieder und bevor sich Lavi versah, drang wieder das Rauschen an seine Ohren und er machte sich auf den Weg. Flink huschte der Golem in die Tasche zurück und er hob den Arm über das Gesicht, als er sich durch die Menschenmengen und den Regen kämpfte. Nass haftete seine Kleidung an seiner Haut, selbst die Kälte nahm gnadenlos zu und er erhoffte sich im Zug etwas Ruhe. Nur kein Gedränge, keine anstrengenden Stimmen, auch nicht die daraufhin entstehende allgemeine Lärmkulisse. Ihm stand überhaupt nicht der Sinn danach und er stellte mit Erleichterung fest, dass sich die Menschen recht schnell auf den Rückweg machten. Viel Bevölkerung gab es nicht und bei den Massen, wie ihm entgegenströmten, konnte der Bahnhof unmöglich immer noch so voll sein. Er fand den Weg schnell, wich bald auf kleine leere Gassen aus und war sehr gut in der Zeit, als er den kleinen Bahnhof vor sich sah und dort weitaus weniger Gedränge. Hoffentlich kam der Zug auch bald und er beeilte sich, bevor er endlich unter eine trockene Unterdachung sprang, tief durch atmete und sich stöhnend das Stirnband vom Kopf zog. Nass und schwer raubten seine Haare ihm das Sichtfeld und er nahm sich kurz Zeit, sie mit der Hand etwas trocken zu schütteln, bevor er sich auf die Suche nach den Fahrplänen machte. Kanda kam ihm noch nicht unter die Augen seine Hände wrangen des Stirnband aus, als er sich zu dem Plan neigte, diesen studierte. In zehn Minuten schon? Welche Freude. Das Stirnband an der Hand baumeln lassend, trat er vor zu den Gleisen und sah sich auch dort um. Wenn Kanda nicht auch überpünktlich war, würden sie ihn trotzdem verpassen und weitere zwei Stunden in der kalten Nässe aushaaren. Entspannt strich er sich das Haar mit beiden Händen zurück, schob das Stirnband wieder an den alten Platz und wich einer aufgeregten Gruppe aus, die an ihm vorbei rannte. Mürrisch sah er ihnen nach, machte sich auf den Weg zu einigen leeren Bänken und ließ sich auf einer nieder. Er lehnte sich zurück, streckte die Beine von sich und starrte auf die gegenüberliegenden Bahnsteige. Die Hände faltete er auf dem Bauch und durchaus etwas ungeduldig schweifte seine Pupille des Öfteren zur Uhr, die in solchen Augenblicken viel zu schnell zu ticken schien. Nach weiteren Minuten war noch immer keine Sicht von Kanda, dafür tauchte jedoch der Zug auf und hoffnungsvoll sah Lavi ihn heran nahen. Er richtete sich auf, stemmte die Ellbogen auf die Knie und sah sich nach beiden Seiten um. Doch Kanda ließ ihn nicht im Stich und tauchte ebenso überpünktlich auf, als der Zug quietschend hielt. Beruhigt erkannte Lavi ihn, als er neben ihm aus dem Torbogen trat, hob kurz die Hand und kam auf die Beine. Gemeinsam nahmen sie also diesen Zug und Lavi erwartete weitere Zufriedenheit. Viele freie Plätze waren noch vorhanden, viele Kabinen und als Kanda in einer dieser verschwand, folgte er ihm einfach. Er tat es mit Leichtigkeit, schloss die Tür hinter sich und erntete einen weiteren Blick, der ihm deutlich machte, dass er sich auch an jedem anderen Ort aufhalten könnte… und dass dieser Fall beweiten angenehmer wäre. Doch er beachtete es nicht, ließ sich auf die gepolsterte Bank sinken und wischte sich ein Regentropfen von der Stirn, als sich dieser noch aus seinem Haaransatz löste. Ihm gegenüber saß nun Kanda und seine auffällig zitternden Hände verschwanden, als er die Arme um die Brust legte, sie hinter ihnen verbarg. Mit dem Gesicht konnte er das jedoch nicht tun und die geröteten Augen richteten sich stur auf das Fenster, brachten deutlich zum Ausdruck, dass er direkten Blickkontakt unter allen Umständen vermeiden wollte. Lavi registrierte eine jede seiner verräterischen Bewegungen und es überraschte ihn nicht. Er selbst hatte den Grund für das weitere Zittern und die Blässe gesehen und so gelang es ihm, sich auf die eigenen Stiefel zu konzentrieren. Als der Zug anfuhr, bewegte er etwas die Füße, verfolgte die Bewegungen vertieft und schloss sich Kandas Beobachtungen an. Es versetzte ihn in Unruhe, nun mit ihm hier zu sitzen. Mit niemandem konnte man besser schweigen, als mit Kanda und doch war diese Stille seltsam dumpf und finster. Sie war annähernd unerträglich und als das Zittern auch auf Kandas Arme überging, verkrampfte sich seine Haltung zunehmend. Erstarrt verharrte auch sein Gesicht und seine Pupillen schimmerten, als lägen sie hinter nassem Glas. Keine Tränen, kein Schmerz in den Zügen des jungen Gesichtes und doch wurde Lavi Zeuge eines inneren Kampfes, der härter und grausamer nicht sein konnte. Er spürte es… fühlte, wie es unter der starren Hülle schrie und wütete. Wieder lauschte er dem leisen Rattern der Gleise und es verging keine halbe Stunde, da kam er auf die Beine und augenblicklich folgten Kandas Pupillen ihm, starrten ihn an… und sahen ein knappes Grinsen, als Lavi die Tür ihrer Kabine öffnete, in den Flur hinaustrat.

„Ich hole mir was zu Essen“, erklärte er, bevor er die Tür schloss und verschwand.

Und das tat er wirklich. Auf Außenmissionen wurde ihnen nur selten Zeit für eine ruhige Mahlzeit gegönnt. Ihm war es ebenso ergangen, also holte er es nun nach. Sein Magen knurrte und brummte und nach kurzer Zeit fand er die gewünschte Person. Der Rest war ebenso schnell erledigt und fast fiel es schwer, die Tür der Kabine wieder aufzukriegen. Verschiedene Packungen und anderes balancierend, öffnete er die Klinke mit dem Ellbogen und konnte auch keine Hilfe erwarten. Reglos starrte Kanda wieder aus dem Fenster und schenkte ihm nicht einmal Beachtung, als sich Lavi ihm gegenüber auf das Polster warf, die Mitbringsel neben sich auf die Bank rutschen ließ und sich sofort über die erste Sandwich-Verpackung hermachte.

„Willst du auch etwas essen?“, nuschelte er entspannt, während er das Papier aufriss und nahm sofort ein knappes Kopfschütteln wahr. Welch Überraschung. Er kümmerte sich nicht weiter darum, biss ab und begann in dem Berg zu wühlen. Seine Hand wurde fündig und schnappte sich eine Büchse mit Tee. Kauend neigte er sich somit nach vorn und reichte sie seinem Gegenüber. Zumindest trinken sollte er etwas und die glasigen Augen blieben lange auf die Dose gerichtet, bevor er sie wortlos entgegennahm. Ein Dank wurde nicht erwartet und Lavi ließ es sich schmecken, während Kanda die Büchse noch etwas unentschlossen in der Hand hielt. Zum Glück gab es darin keine Kohlensäure. So wie er sie unbeabsichtigt schüttelte, würde es eine böse Überraschung geben. Er verfolgte seine Bewegungen beiläufig, sah, wie er sich bald an den Verschluss heranwagte und hoffnungslos mit den bebenden Fingern abrutschte. Lavi sah es sich lange an, bevor er sich nach vorn neigte, die Hand ausstreckte.

„Soll ich…“

„Lass mich in Ruhe“, wurde er energisch unterbrochen und auch die Dose augenblicklich zurückgezogen. Selbst das kam nicht unerwartet und Lavi machte sich nichts daraus, lehnte sich zurück und vertiefte sich hungrig in die leckere Mahlzeit. Irgendwann schaffte es Kanda. Der Verschluss klickte, ein leises Zischen folgte und sofort schwappte etwas Tee durch die kleine Öffnung. Die zitternde Hand konnte die Dose nicht einmal annähernd ruhig halten und unauffällig lugte Lavi zu ihm, verfolgte, wie er die Dose zum Mund hob, inne hielt und sie kurz darauf wieder sinken ließ. Der Tee schwappte bereits auf den Ärmel seiner Uniform und kurz darauf verloren die Finger einfach den Halt. Die Dose rutschte unter ihnen weg und weiterer Tee vergoss sich, als sie auf Kandas Bein landete. Ein spontaner Anflug von Hilfsbereitschaft, in dem sich Lavi erneut nach vorn neigte, noch versuchte, an die Dose heranzugelangen… und abrupt inne hielt.

„Ich habe gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen!!“ Plötzlich wurde er haltlos angeschrien und ruppig wischte Kanda die Dose von sich, schmetterte sie zu Boden. Wutentbrannt fixierten sich seine Augen auf Lavi und dieser setzte sich langsam zurück. „Bist du dumm?! Geht das nicht in deinen Kopf rein?!“

Schweigend schluckte Lavi hinter und Kanda kam auf die Beine. Bevor er sich versah, wurde auch schon die Tür aufgerissen und unbeeindruckt sah er ihm nach.

„Vollidiot!“, verabschiedete sich Kanda noch, bevor die Tür hinter ihm schepperte und er im Flur verschwand. Gemächlich richtete sich Lavis Auge auf das Glas und es war ein Wunder, dass es dieser Wucht standhielt. Er verharrte kurz reglos, bevor er tief Luft holte, das Sandwich zum Mund hob und sich unter einem weiteren gemütlichen Bissen zurücklehnte. Dann eben nicht. Das, was soeben passiert war, war das Geringste, was er befürchtet hatte. Er war nun einmal zuvorkommend. Er ließ sich nicht stören, griff bald nach dem nächsten Sandwich und offenbarte dennoch eine rege Ernsthaftigkeit, als er den Hunger weiterhin bekämpfte. Er hatte es nicht beabsichtigt, doch nun, da sich Kanda woanders abreagierte, fiel ihm das Denken leichter und er tat es.
 

Die weitere Fahrt verlief ruhig und die beiden brachten sie voneinander getrennt hinter sich. Die Kabine stand Lavi die gesamten Stunden über alleine zur Verfügung und die leeren Verpackungen quollen förmlich aus dem kleinen Papierkorb, als er sie irgendwann abrupt verließ. Nachdenklich hatte er sich die Gegend betrachtete, die an dem Fenster vorbeizog und nach kurzen Grübeleien, kam er flink auf die Beine und machte sich auf die Suche nach Kanda. Die nächste Haltestelle war nahe und er beeilte sich, offenbarte eine plötzliche Entschlossenheit und war höchst erfreut, als er Kanda schon sehr bald fand. Er saß außerhalb der Kabinen, recht weit hinten im Zug auf einer Bank und streckte die Beine von sich. Und als er Lavi erspähte, verringerte der Zug auch schon seine Schnelligkeit, näherte sich einem kleinen Bahnsteig.

„Wir müssen hier aussteigen.“ Grinsend wies Lavi auf die Tür, machte sich auch schon auf den Weg zu ihr und winkte heiter. Doch Kanda bewegte sich nicht, wirkte nicht nur desinteressiert, sondern auch skeptisch, als er Lavi anstarrte und dieser immer noch winkte.

„Wir müssen umsteigen. Genau hier, komm schon, auf die Beine mit dir.“

„Daran kann ich mich nicht erinnern“, wurde endlich murrend geantwortet und der Rothaarige stemmte seufzend die Hände die Hüften, während die Bremsen bereits quietschten.

„Du hast die Karte nur kurz gehabt, ich dagegen ziemlich lange“, beharrte er und Kanda wandte trotzig das Gesicht ab. „Pass auf, ich zeige es dir.“ Eilig begann er in seinen Hosentaschen zu tasten, zog jedoch eine Grimasse und ein durchweichtes Knäuel hervor, das auch sogleich auseinander riss. Die Karte…

„Ups.“

„Ts.“ Kopfschüttelnd schloss Kanda die Augen, machte immer noch keine Anstalten, sich zu bewegen und der Zug kam zum Stillstand. Doch bevor er sich versah, wurde er am Handgelenk gepackt und auf die Beine gezogen.

„Los, los!“ Lachend schob Lavi ihn vor sich her und bevor Kanda sich wehren konnte, stand er bereits auf dem hölzernen Bahnsteig. Auch Lavi verließ den Zug mit einem galanten Satz und dem Blick, der ihn traf, schenkte er besser keine Beachtung. Stattdessen atmete er genüsslich durch, stemmte die Hände in die Hüften und verschaffte sich eine knappe Orientierung. In diesem Augenblick fuhr der Zug an und ratterte davon. Die Gegend hier war größtenteils von Bauern und Farmern bewohnt. Weite Felder erstreckten sich zu ihren Seiten und ein langer Weg wartete auf sie, bevor sie auf die Route eines anderen Zuges trafen, der sie direkt Nachhause brachte. Angenehmer Sonnenschein erwartete sie und hier sah es nicht aus, als hätte es überhaupt geregnet. In nahen Bäumen zwitscherten die Vögel und Lavi streckte sich ausgiebig, bevor er doch auf Kanda aufmerksam wurde. Mit finsterer Miene stand dieser neben ihm, stierte ihn an, als wolle er sich auf ihn stürzen.

„Die übernächste wäre die Richtige gewesen“, fauchte er leise und Lavis Gesicht verzog sich verblüfft. Mit großem Auge starrte er zurück, lachte nervös und kratzte sich am Kopf.

„Na so etwas!“, gluckste er und Kanda stieß ein dumpfes Stöhnen aus. „Da hatte ich es wohl etwas zu eilig!“

Kanda verschränkte die Arme vor dem Bauch, schürzte die Lippen und starrte verdrießlich auf eines der schönen hellen Felder. Neben ihm wurde unterdessen intensiv nachgedacht und eine Lösung schien schnell gefunden.

„Weißt du was?“, hob er heiter an und gestikulierte mit der Hand. Dieses Missgeschick schien ihn weder zu überraschen, noch zu stören und seiner Freude wurde kein Abbruch getan. Eher im Gegenteil. Mit sonniger Miene grinste er Kanda an. „Bei der übernächsten Haltestelle wären wir umgestiegen, also machen wir einfach einen kleinen Spaziergang und suchen die Route unseres nächsten Zuges.“ Er sah sich um. „Die dürfte nicht so weit entfernt sein.“

„Oder wir folgen den Schienen“, murmelte Kanda lustlos, doch in dem Moment drängte ihn schon eine Hand zur Seite, schob ihn in Richtung eines schmalen Feldweges. Ruppig befreite er sich von dem sanften Griff, schickte Lavi eine stille Warnung und folgte dem vorgeschlagenen Weg trotzdem. Somit hatte Lavi das Ziel erreicht und er folgte ihm entspannt und schlendernd. Ein kleiner Umweg… hoffentlich würde Komui die kleine Verspätung verzeihen. Bequem betrachtete sich Lavi den Weg, der vor ihnen lag. Es würde Spaß machen, hier zu spazieren und er hielt sich hinter Kanda, entschied sich von vornherein für das Schweigen und war angenehm überrascht, als Kanda nach einer Weile die Schritte verlangsamte, sich allmählich zu ihm zurückfallen ließ. Es war stille Reue und Lavi schmunzelte, während er die Hände entspannt in den Taschen bewegte und unter der Sonne blinzelte. Es war Kanda unmöglich, es in Worte zu fassen, doch Lavi akzeptierte es und letztendlich war es ihm gleichgültig, auf welchem Weg er ihm beikam. Sofort entspannte sich die Atmosphäre und lange Zeit gingen sie schweigsam nebeneinander. Kandas Miene bewies permanente Grübeleien und auch Lavi ging Eigenen nach. Seine Pupille tastete sich über den trockenen Schotterweg und bald glitt sie versteckt zur Seite. Er betrachtete sich Kandas Beine, lugte auch kurz zu seinem Bauch und presste die Lippen aufeinander, als er wieder nach vorne schaute… und dort auf etwas aufmerksam wurde.

„Hey“, wurde Kanda aufgeregt angestupst und es blieb ihm keine Zeit für einen stummen Fluch, da entdeckte er es auch und Lavi blieb stehen. Fasziniert zeigte er auf ein recht großes Dorf, das sich nicht weit neben ihnen erstreckte. „Sieh dir das an!“ Er war wirklich begeistert. „Wollen wir da nicht mal vorbeischauen?“

„Nein.“ Die Antwort kam schnell und schmollend wandte sich Lavi ihm zu.

„Warum nicht? Da gibt es sicher tolle Sachen zu kaufen“, bettelte er und Kanda offenbarte deutlich, dass es ihm mehr als gleichgültig war.

„Wir haben keine Zeit für so einen Blödsinn“, widersprach er strikt und wandte sich dem alten Weg zu. Aber Lavi blieb trotzig stehen.

„Nur kurz, ganz kurz“, versprach er, gab nicht auf und Kanda rümpfte die Nase. „Eine Stunde, okay? So oft fährt der andere Zug sowieso nicht.“

Diesmal antwortete Kanda nicht und Lavi nutzte das Schweigen rasch als Zustimmung. Schon wandte er sich ab und nahm sich einen schmalen Feldweg, der zu dem Ziel führte. Guter Laune betrat er ihn und winkte nach seinem Kollegen.

„Na komm, komm schon!“
 

Es ließ sich nicht verhindern. Kanda schien keine Kraft für eine lange Diskussion zu haben und so folgte er Lavi stumm und mürrisch. Sie erreichten das Dorf schnell und fanden sich kurz darauf in wahren Menschenmassen wieder, die sich auf einem großen Marktplatz tummelten. Sie schienen den richtigen Tag erwischt zu haben und von überall drangen die Stimmen fleißiger Verkäufer zu ihnen. Hier schien es alles zu geben und Lavi nahm sich Zeit, die Stände und Geschäfte zu erforschen. Begeistert blieben seine Augen an einzelnen Schaufenstern hängen und vorerst achtete er nicht auf Kanda, der sich in dieser Umgebung alles andere als wohl zu fühlen schien. Natürlich, es war sicher eine Belastung, dem Gedränge, sowie der Geräuschkulisse ausgeliefert zu sein, doch Lavi war sich sicher in seinem Vorhaben. Ja, der Plan war aufgegangen und das, was Kanda als lächerliches Gehabe interpretierte, war ein Versuch, ihm angenehme Ablenkung zu verschaffen. Schweigend und durchaus etwas unsicher folgte er seinem älteren Kollegen, wich einzelnen Menschen aus, sah sich permanent um und wirkte, als wäre er lieber an einem anderen Ort. Ganz gleich an welchem, Hauptsache nicht hier. Selbstverständlich registrierte Lavi seine Nervosität und er ließ ihn nicht lange unbeachtet.

„Yu!“, rief er ihn von einem kleinen Stand aus und fuchtelte mit einer kleinen, niedlich verpackten Schachtel. „Sieh dir das an! Soll ich das für Allen mitnehmen?“

Darauf wusste er keine Antwort.

Verlangte Lavi es ihm wirklich ab, ihn in Sachen süße Mitbringsel zu beraten? Für Menschen, an die er nicht einmal freiwillig das Wort richtete? Seine Miene brachte diese Gedanken deutlich zum Ausdruck, als er auf die Verpackung starrte und Lavi wartete nicht auf seine Antwort.

„Ich nehme es“, lachte er und machte sich auf den Weg zum Verkäufer. „Mein Gott“, seufzte er, als er kurz darauf zu Kanda zurückkehrte. „Da wird er sich riesig freuen.“

Zermürbt wandte Kanda den Blick ab. Seine Augen schweiften zu einer kleinen Gasse und es war deutlich, wie gerne er sich nun in diese zurückziehen würde, um all dem Trubel zu entgehen. Doch Lavi zog ihn fürsorglich weiter, hielt sich neben ihm.

„Weißt du was? Wir bringen den Anderen auch noch etwas mit!“

Erschöpft und müde unterwarf sich Kanda und es dauerte nicht lange, da blieb Lavi an einem anderen Stand hängen. Kanda achtete nicht darauf, was er sich da ansah, doch kurz darauf wurde ihm ein kleines Stofftier unter die Nase gehalten. Es war wirklich winzig und während Lavi grinste, starrte Kanda es säuerlich an. War das ein…?

„Panda…“, hauchte er wenig begeistert und der Rothaarige lachte und zog es zurück.

„Sieht aus wie Panda-Opa, findest du nicht? Das kaufe ich auch!“

Gesagt getan und kurz darauf war Lavi um ein weiteres Mitbringsel reicher.

„Der wird sich grün und blau ärgern“, gluckste er voller Vorfreude und wendete das kleine Stofftier in der Hand. Neben ihm wurde tief durchgeatmet und so schlug Lavi unauffällig etwas ruhigere Wege ein. Sie nahmen einen kleinen Umweg durch beinahe leere Gassen, um zur anderen Seite des Marktes zu gelangen und aufmerksam behielt Lavi seinen Gefährten im Auge. Zuviel wollte er ihm auch nicht zumuten und wenn diese Ablenkung zu einer zu großen Belastung wurde, würde er sich auch sofort beenden. Die Mitbringsel waren nicht das Wichtigste bei diesem kleinen Umweg. Bald ließ er den kleinen Panda in seiner Gürteltasche verschwinden und gleichzeitig schwirrte der Golem hervor, flatterte um ihn herum und labte sich an der sonnigen Wärme.

„Wollen wir etwas essen?“, wandte sich Lavi an den Jüngeren, als sie ihr Ziel erreichten und sich ihnen weitere Stände und Läden präsentierten. Er hoffte auf eine Zustimmung… blieb jedoch realistisch und wunderte sich nicht über das desinteressierte Schulterzucken. Er schnalzte nur mit der Zunge und machte sich auf den Weg, folgte einem verlockenden Geruch und erreichte kurz darauf einen Stand, an dem man köstliche Krabbenspieße bekommen konnte. In sicherer Entfernung war Kanda stehen geblieben und permanent drang das glückliche Seufzen an seine Ohren, während er auf den Boden starrte.

„Das nehme ich“, entschloss sich Lavi kurz darauf. „Und das, und das… das da auch.“

„Sehr gerne!“, freute sich der Verkäufer und Kanda stieß kontrolliert die Luft aus der Lunge, hob die Hände und rieb sich das Gesicht. Lange hielt er es hier nicht mehr aus. Es war zermarternd, diesen Geräuschen, diesem Menschenmeer ausgeliefert zu, von einer Seite zur anderen gezerrt zu werden. Er fühlte einen leichten Kopfschmerz und rieb sich auch die Augen, bevor er die Hände sinken ließ, schwer schluckte… und auf den Krabbenspieß starrte, der ihm vorgehalten wurde. Lavi kaute bereits und Kanda regte sich nicht, wirkte weniger begeistert.

„Bitteschön!“ Der Krabbenspieß wurde ungeduldig bewegt und süße Brisen des wunderbaren Geruches stiegen Kanda in die Nase. Es gefiel ihm überhaupt nicht, etwas anzunehmen und doch… als Lavi noch ungeduldiger damit fuchtelte, nahm er es murrend an und kurz blieben sie etwas außerhalb stehen, um entspannt essen zu können. Welch ein Erfolg. Lavi erfreute sich daran, wie Kanda kaute, fühlte sich sofort etwas beruhigter, sicherer. Mit dieser kleinen Stärkung hielt es Kanda sicher noch etwas länger aus. Immerhin fehlten noch so einige Mitbringsel. Mit der Schulter an eine Hauswand gelehnt, ließ Kanda es sich schmecken. Seine Miene offenbarte durchaus mangelnden Genuss und den Hunger bekämpfte er mit winzigen Bissen, nach denen er äußerst lange kaute. Er nagte furchtbar lange an diesem Krabbenspieß, doch Lavi gab ihm alle Zeit der Welt und vernichtete soeben seinen Dritten, als Kanda allmählich mit seinem fertig wurde, das letzte Stück mit den Zähnen vom Holzstab zog und diesen träge in einen nahen Mülleimer warf.

Er hatte wirklich aufgegessen, obgleich Lavi von Anfang an mit einer strikten Absage gerechnet hatte und gemächlich setzten sie sich wieder in Bewegung. Der Umweg nahm schon jetzt weitaus mehr als eine Stunde in Anspruch, doch Kanda schien gar nicht daran zu denken, sich die Uhren zu betrachten und unauffällig hielt er sich nahe bei Lavi, als sie sich durch eine enge Menschengruppe drängten. Schultern stießen gegen ihn, Beine streiften die seinen und er presste die Lippen aufeinander und drängte einen Mann barsch mit dem Ellbogen zur Seite, bevor er auch noch gegen diesen stieß. Was für eine Belastung und deshalb konzentrierte sich Lavi von nun an auf etwas abgelegene Geschäfte. In kleinen Nebenstraßen reihten sich diese aneinander und schnell waren auch Mitbringsel für Crowley und Miranda gefunden. Selbstverständlich wurde all das Kanda unter die Nase gehalten, seine Meinung wurde eingefordert und obwohl er so etwas nicht auf Lager hatte, gab sich Lavi zufrieden und bezog ihn in die Einkäufe ein. Bald war also alles besorgt und Lavi streckte sich genüsslich, als er den Laden verließ und sich an Kanda wandte, der es aufgegeben hatte und draußen am Schaufenster lehnte.

„Alles klar.“ Lavi hob den kleinen Beutel und der Jüngere löste sich von dem Glas. „Wir können jetzt zum Zug, wenn du magst.“

Natürlich war dem so und gemeinsam schlenderten sie also weiter, um das Dorf zu verlassen und sich auf die Suche nach den Gleisen zu machen, die hoffentlich dem richtigen Zug gehörten. Da lag eine Herausforderung vor ihnen, doch Lavi hatte auch diese gemeistert und die Kommende konnte unmöglich ein Problem darstellen. Zielstrebig machten sie sich daran, das Dorf zu verlassen und bald wurden die Geschäfte neben ihnen rar. Immer größer wurden die Abstände, immer unauffälliger die Schaufenster und Lavi war gerade damit beschäftigt Mirandas kleine Pralinenschachtel zu betasten, da wurde er darauf aufmerksam, wie Kanda neben ihm das Gesicht drehte, auf etwas aufmerksam wurde. Er folgte seinen Augen und da gab es ein Geschäft, das an ihnen vorbeizog. Blanke Klingen im Schaufenster, kunstvollen Scheiden, Hefte… ein recht großer Schwertladen und er hob die Augenbrauen, als Kanda sich wieder nach vorn wandte, zum alten Schritttempo zurückfand und den Laden hinter sich ließ. Nanu…? Das war wirklich ein Grund, sich zu wundern und er musterte Kanda verblüfft. Eine vermutlich übereilte Reaktion. In ihm tobte augenscheinlich ein leiser Kampf und ihre Blicke trafen sich wenige Sekunden später. Lavi las puren Trotz in den dunklen Augen. Die Miene des jungen Mannes verzog sich angespannt und unter einem lautlosen Ächzen verlangsamte er seine Schritte, blieb stehen. Er schaffte es nicht… er konnte nicht weiter und Lavi schmunzelte, als er von sich selbst enttäuscht die Augen verdrehte, sich abwandte und zu jenem Laden zurückkehrte,

Na also… Lavi hätte sich ernsthafte Sorgen gemacht, hätte er es über sich gebracht, sich so etwas entgehen zu lassen. Grinsend sah er, wie der junge Mann sich knapp das Schaufenster ansah und kurz darauf im Laden verschwand. Nun zog er also doch einen Nutzen aus diesem Umweg. Es war nur fair und Lavi freute sich, als er ihm kurz darauf folgte und ebenso den Laden betrat. Er war wirklich sehr groß. Überall lagen Schwerter in hölzernen Halterungen und es gab auch jede Menge andere Dinge, mit denen Lavi wenig anzufangen wusste. Er ließ die Tür hinter sich zufallen und lugte zum Verkäufer, der etwas gelangweilt hinter seiner Theke hing und die Gäste dennoch aufmerksam beobachtete. Lavi drehte sich zur Seite, betrachtete seltsame kleine Gegenstände und erspähte Kanda, als er sich in einen anderen Gang lehnte. Der junge Mann hockte vor einem Regal, griff soeben nach einem kleinen Papierknäuel und begann es auseinanderzufalten. Akribisch verfolgte er die Arbeit seiner Hände und Lavi blieb neben ihm stehen, beugte sich etwas nach vorn und starrte auf den seltsam geformten Stein, den Kanda in der Hand wendete, vor das Gesicht hob und geschult besah. Er drehte ihn, betrachtete sich jede Kante und schien ganz in seinem Element.

„Was ist das?“, erkundigte sich Lavi, als er die Neugierde nicht mehr aushielt.

„Ein Schleifstein“, wurde ihm ruhig geantwortet und Kanda machte sich auf die Suche nach dem Preisschild. „… diese Qualität….“, drang ein beeindrucktes Raunen aus seinem Mund und seine Augen weiteten sich, als er den Preis fand. „… für den Preis…?“

Er blinzelte ungläubig, starrte den Stein wieder an und Lavi wurde das Grinsen nicht mehr los. Es war eine unbeschreibliche Freude, Kanda so zu erleben. Innerhalb weniger Augenblicke war er völlig aus sich herausgekommen und im Moment gab es nur noch diesen Laden und den Stein, den er kopfschüttelnd sinken ließ, wieder einpackte und in der Hand behielt. Gekauft. Anschließend lehnte er sich etwas zur Seite, seine Augen tasteten sich weiter und es dauerte nicht lange, da fand er wieder etwas. Ein kleines Packet mit feinster Watte. Auf jeden Fall sah es danach aus, als er es vorsichtig öffnete und die Fasern zwischen den Fingern rieb. Aber er wirkte unzufrieden, stellte es zurück und griff nach einem anderen. Dieses schien ihm eher zu gefallen und er nickte stumm, als er das Packet schloss. Gekauft. Er ging zielstrebig und sicher vor, kam zurück auf die Beine und schaffte keine zwei Schritte, bevor er erneut hängen blieb. Wieder zog er etwas aus dem Regal und Lavi blähte die Wangen auf, als er es sich so ansah.

„Ein Gürtel…?“, raunte er nachdenklich und wurde von einem ernüchterten Blick getroffen.

„Lederriemen“, verbesserte Kanda, öffnete eine kleine Schnalle und betastete das breite Band.

„Und wofür braucht man die?“ Lavi konnte sich wirklich keinen Reim darauf machen und Kandas Fingerkuppen folgten der Struktur der Oberfläche.

„Für den Schwertgriff“, murmelte er in die Beobachtung vertieft, rollte das Leder jedoch wieder zusammen und drehte sich zum Verkäufer. „Haben Sie Stärke 3?“, erkundigte er sich und der Mann wies hilfsbereit auf das Ende des Regals. Also legte Kanda das Leder zurück und machte sich auf den Weg dorthin. Lavis Augen blieben unterdessen an seinem Schwertgriff hängen und er folgte ihm.

„Du hast doch gar keinen Ledergriff“, wunderte er sich und Kanda wurde fündig.

„Für den äußersten Notfall, damit die Hand den nötigen Halt findet“, erklärte er Lavi. Die Lederriemen, die er nun in die Hand nahm, waren dunkler und etwas schmaler und Lavi lugte abermals zu dem Mugen. Was es alles gab? Kanda gab sich nicht lange der Untersuchung hin, bevor er die kleine Rolle sinken ließ. Gekauft. Lavi kratzte sich die Nase. Komui würde sich freuen. Als Kanda den nächsten Gang betrat und dem Verkäufer den Rücken kehrte, wurde dieser aufmerksamer. Er hob die Augenbrauen und richtete sich auf.

„Ihr Schwert“, hob er beeindruckt an und Kanda griff nach einem kleinen gläsernen Fläschchen. „Was ist das für eins?“

„Mugen“, antwortete Kanda in die erneute Betrachtung vertieft und der Verkäufer schien zu staunen. Sein Kennerauge reagierte auf diese Waffe mit Entzücken und er leckte sich die Lippen, als er sich etwas über die Theke neigte.

„Dürfte ich es mir wohl kurz ansch…“

„Nein“, wurde er beschäftigt unterbrochen und runzelte die Stirn. Das kleine Fläschchen wurde zurückgestellt und Kandas Augen tasteten sich über die Aufschriften der anderen. Es dauerte nicht lange, da griff er nach dem scheinbar Passenden, war zufrieden. Gekauft.

„Und… was ist das?“, fragte Lavi sofort und Kanda war bereits bei dem nächsten Regal, nahe der Theke.

„Pflegemittel.“

„Wow.“

Was es nicht alles gab?

Interessiert und gleichzeitig verdrießlich waren die Augen des Verkäufers auf das Mugen gerichtet und er verengte sie konzentriert, als er da etwas sah.

„Die Heftkuppe Ihres Schwertes“, hob er an und sofort wurde Kanda aufmerksam. „Die sieht sehr abgenutzt aus.“

„Haben Sie die Passenden?“, kam sofort die Frage und der Mann machte sich eifrig auf den Weg.

„Warten Sie kurz, ich schaue nach.“ Schon flitzte er davon und Lavi wurde sich der Tatsache bewusst, dass er hier nicht so schnell raus kam.

Kandas Augen weiteten sich überrascht, als auf ein etwas größeres Fläschchen aufmerksam wurde. Sofort griff er danach, wendete es zwischen den Fingern, schüttelte es und musterte die Konsistenz der dicken durchsichtigen Flüssigkeit. Er war wirklich erstaunt und umso mehr, als er auf das Preisschild starrte. Lavi sah, wie ein Teil seiner Fassung aus seinem Gesicht bröckelte und er presste die Lippen aufeinander, blinzelte und besah sich den Preis erneut. Doch es schien wirklich zu stimmen und er kam auf die Beine, starrte abermals auf die Flasche und vertiefte sich in die winzige Aufschrift. In dem Moment kehrte der Verkäufer zurück und er schien das Richtige gefunden zu haben. Stolz präsentierte er mehrere Heftkuppen und Kanda machte sich auf den Weg zur Theke, nahm das kleine Fläschchen mit und schenkte den Kuppen vorerst keine Beachtung. Lavi sah ihn irritiert an, als er sich auf die Theke stemmte, nach vorn beugte und dem Verkäufer das Fläschchen mit einem tiefen konzentrierten Atemzug unter die Nase hielt.

„Das“, raunte er. „Wie viel kostet das?“

Und als der Verkäufer den Preis bestätigte, ließ Kanda den Kopf sinken. Eine Reaktion, die Lavi nicht einschätzen konnte und nachdem das Fläschchen kurz in der Hand gedrückt wurde, wurde es lässig und beiläufig auf der Theke abgestellt.

„Ich denke…“, eine knappe Skepsis vortäuschend, rieb sich Kanda das Kinn, „… ich nehme es.“

„Oh, danke!“

Gekauft.

Lavi gesellte sich zu ihm, legte den Kopf schief. Das sah aus wie Wasser. Bequem stemmte er sich neben Kanda auf die Ellbogen, stützte das Kinn in die Handfläche und verfolgte, wie Kanda die Kuppen studierte. Er besah sich jede Einzelne, wirkte jedoch unzufrieden.

„Haben Sie noch andere? Der Schliff gefällt mir nicht.“

„Ich schaue nach.“ Solche Kunden mochte der Verkäufer und entschlossen eilte er wieder davon. Lavi sah ihn verschwinden und sein Auge richtete sich zurück auf die Flasche.

„Ist das zu teuer?“, murmelte er neugierig und zuckte fast zusammen, als Kandas Gesicht zu ihm herumfuhr.

„Scht.“

„Hm?“ Perplex blinzelte er und unauffällig griff Kanda nach dem Fläschchen, sah sich prüfend um und neigte sich zu ihm.

„Das ist…“, nur leise und angespannt erreichten ihn Kandas Worte, „… das… das ist das beste Eisenpflegemittel, das es auf dem Markt gibt…!“

Abwägend schweiften seine dunklen Augen zum Durchgang, in welchem der Verkäufer gerade verschwunden war.

„Der Preis ist lächerlich“, fuhr er fort und sein Mundwinkel zuckte seltsam. „Eine Beleidigung für diese Qualität…!“

„Dann ist es vielleicht gar keine so Gute?“, raunte Lavi nachdenklich und wich zurück, als sich Kandas Gesicht mit einem Schlag verfinsterte.

„Du hast keine Ahnung…!“, wurde er angefaucht. „Halt dich da raus!“

„Ist gut, ist guuut.“ Beschwichtigend hob Lavi die Hand, grinste und verfolgte, wie sich Kanda mit der alten Lässigkeit dem Verkäufer zuwandte, der zurückkehrte, ihm andere Kuppen hinlegte. Kandas Redefreude war wunderbar, beruhigte ihn fast vollends.

Neben ihm griff Kanda nach dem Mugen und der Verkäufer lehnte sich mit offenem Mund zurück, als die schneidige Klinge die Scheide verließ und sinken gelassen wurde. Eine Heftkuppe schien es Kanda angetan zu haben und er hielt sie an den Griff, verglich sie und fand kaum einen Unterschied.

„So ein gepflegtes Schwert habe ich selten gesehen“, hauchte der Verkäufer unterdessen und Lavi stützte sich wieder gemütlich ab, unterdrückte ein Gähnen. Das Lob drang nicht zu Kanda und er nickte, hob die Kuppe.

„Die nehme ich.“

„Danke, danke!“

Gekauft.

„Hm.“ Sicher wendete Kanda das Schwert in der Hand, begutachtete das schmale Heft abermals und legte den Kopf schief. „Haben Sie ein ähnliches Heft?“

Er reichte dem Verkäufer das Schwert, zog es jedoch zurück, als dieser sofort danach greifen wollte. Nur Anschauen war erlaubt und der Mann knabberte verbissen auf der Unterlippe, als er die Hände sinken ließ.

„Ich schaue sofort nach“, murmelte er dennoch und rannte wieder davon.

„Wozu brauchst du ein neues Heft?“, ertönte leises Nuscheln neben Kanda. Lavi hatte die Arme verschränkte und das Kinn darauf gestützt.

„Für den Notfall.“ Kanda piepelte kurz an dem Heft, war nur bedingt ansprechbar. Ganz anders war es gegenüber dem Verkäufer, dem er sofort die vollendete Aufmerksamkeit schenkte. Er hatte wirklich ein Heft gefunden und stolz legte er es ab, präsentierte es dem Kennerauge, das sich sofort kritisch darauf richtete. Lavi hatte erneute Begeisterung erwartet. Das Ding sah doch ganz hübsch aus…?

Doch Kanda schwieg, holte tief Luft und neigte sich unter einem nachdenklichen Brummen nach vorn. Er stemmte den Ellbogen auf die Theke, das Kinn in die Handfläche und rieb sich kurz den Mund.

„Mm.“

„Was ist?“, fragte der Verkäufer sofort und Lavi gähnte.

Geschult betrachtete sich Kanda das Heft und an seinem Gesicht konnte man nicht erkennen, wie er darüber dachte. Eine kurze Stille trat ein, bevor er die Lippen schürzte.

„Wie viel wollen Sie dafür?“, raunte er und wurde aufmerksam von Lavi in Augenschein genommen.

„Nun“, seufzte der Verkäufer und stemmte sich ebenso nach vorn. „Ich mache Ihnen ein super Angebot. Sagen wir… Fünfhundert?“

„Mm.“ Wieder eine seltsame Reaktion und der Verkäufer hob den Zeigefinger.

„Wenn Sie sich diesen sauberen Schliff betrachten, die Qualität des Materials und die Tatsache, dass dieses Heft nagelneu ist, dann ist dieser Preis schon überaus gering.“

Kanda legte den Kopf schief und Lavi hob die Augenbrauen. Davon verstand er gar nichts.

„Sehen Sie das?“ Zielstrebig wies Kanda auf eine Kante des Heftes und Lavi starrte dorthin. Auch der Verkäufer neigte sich nach vorn. „Das sind Abnutzungserscheinungen.“

„Ich sehe nichts“, wunderte sich der Verkäufer angespannt und Lavi rümpfte die Nase. Er auch nicht.

„Der Schliff ist schon recht… gut“, fuhr Kanda fort und drehte das Heft in die Senkrechte. „Nur man sieht deutlich, dass es hier schon einmal eine Klinge gab.“ Er wies auf eine kleine Vertiefung und jetzt musste Lavi ihm zustimmen. So richtig neu wirkte es wirklich nicht.

Plötzlich legte Kanda sein Mugen auf der Theke ab, zog das lose Heft neben das Eigene und der Verkäufer runzelte die Stirn. Dieser Kunde war nicht einfach.

„Dieses Heft habe ich seit mehr als einem Jahr“, kommentierte Kanda und machte auf den Unterschied aufmerksam. Und wenn Lavi genau hinsah, dann sah Kandas Heft fast noch besser aus. Viel glänzender, ebener. „Ich gebe Ihnen Zweihundert.“

„Was?“ Empört schnappte der Verkäufer nach Luft. „Mein Herr, das ist ein von Hand gefertigtes Mugen-Heft! Ich verkaufe es nicht unter Vierhundertfünfzig!“

„Mag sein.“ Kanda zuckte mit den Schultern. „Aber die Oberfläche ist bereits beschädigt. Zweihundertfünfzig.“

Oha. Lavi presste die Lippen aufeinander. Feilschen. Wie spannend!

„Trotzdem ist es noch in einem sehr guten Zustand“, erwiderte der Verkäufer entschlossen und funkelnd starrten sie sich an. „Die Klinge wurde sorgsam entfernt. Ich mache Ihnen einen Vorschlag… Sie zahlen Vierhundertzwanzig und erhalten dazu noch spezielle Pflegetücher.“

„Davon habe ich mehr, als genug.“ Kanda atmete tief durch. „Sie können mir nicht beweisen, dass die vorherige Klinge nicht herausgebrochen ist. Das Heft ist möglicherweise unzuverlässig. Zweihundertachtzig.“

„Vierhundert!“, protestierte der Verkäufer; die Argumente schienen ihm auszugehen.

„Zweihundertneunzig“, antwortete Kanda lässig. „Über die Dreihundert gehe ich nicht.“

>Am Ende muss es sowieso Komui bezahlen<, dachte Lavi sich grinsend und sah den Verkäufer abwartend an.

„Dann geben Sie mir die Dreihundert!“

„Abgemacht.“ Damit war Kanda zufrieden und der Verkäufer ließ den Kopf hängen.

Und… gekauft.

>Beeindruckend.< Lavi richtete sich auf und der arme Mann rannte, um den beachtlichen Einkauf in einem Beutel zu verstauen. Wieder verschwand er in den Hinterräumen und ganz sicher fluchte er dort vor sich hin. Unter einem tiefen Atemzug verstaute Kanda das Mugen wieder in der Scheide und Lavi lehnte sich neben ihm an.

Es lag ihm auf der Zunge… war es wirklich in so einem guten Zustand oder half es nur Kandas Ego auf die Sprünge, wenn er den Sieg des Feilschens offensichtlich für sich beanspruchte? Letztendlich war das aber egal. Kanda hatte sich von einer Seite gezeigt, die in der letzten Zeit permanent hinter Schweigsamkeit und Absenz versteckt worden war. Das war das Einzige, was zählte. Kurz darauf war alles verstaut und mürrisch schob der Verkäufer den Papierbeutel über die Theke.

„Macht insgesamt Fünfhundertdreißig.“

„Die Rechnung geht an den schwarzen Orden“, antwortete Kanda, als er in den Beutel lugte, den Rand umschlug und ihn ergriff.

Kein Bares?

Der Mann wirkte nicht sehr begeistert, musste sich jedoch damit abfinden.
 

Somit verließen sie dieses Geschäft und genüsslich labte sich Lavi an der frischen Luft. In der nächsten Zeit dürfte es Kanda auf jeden Fall an nichts mehr mangeln. Er faltete die Hände auf dem Hinterkopf, während er neben ihm schlenderte und es blieb nicht lange still zwischen ihnen, bis er es nicht mehr aushielt.

„Wie viel ist dieses Heft wirklich wert?“, fragte er verschmitzt und Kanda verzog nachdenklich die Brauen.

„Mindestens Vierhundert“, bewies er dann weitere Redebereitschaft und wieder staunte Lavi. „Mugen-Waffen sind immer sehr wertvoll. Der Zustand spielt da eigentlich eine untergeordnete Rolle.“

„Der war dann wohl auch bei weitem besser“, riet Lavi und ein knappes Schulterzucken brachte die Antwort.

Na so etwas…

Wer hätte das gedacht?

Grinsend konzentrierte sich Lavi wieder auf den Weg und bald darauf verließen sie das Dorf und kehrten zum alten Pfad zurück.

Ein Erfolgserlebnis tat immer gut und Kandas Miene wirkte auch um einiges entspannter. Nur die Tatsache, dass er der alten Schweigsamkeit verfiel, bewies, dass es sich nicht so leicht verdrängen ließ. Zwei Stunden setzten sie ihren Weg so fort, ließen bald einen kleinen Bauernhof hinter sich und blieben stehen, als sie die Gleise ihres Zuges erreichten. Vor den Schienen blieben sie stehen und nachdenklich blickten sie in beide Richtungen. Die Haltestelle war nicht erkennen und unter einem leisen Seufzen stemmte Lavi eine Hand in die Hüfte.

„Sollen wir eine Münze werfen?“, erkundigte er sich guter Dinge und Kanda rümpfte die Nase, starrte in die Ferne. Wenn sie Pech hatten, würden sie noch weitere Stunden unterwegs sein, bevor sie das Ziel erreichten. Das ging ihm durch den Kopf und als Lavi sich immer noch nicht bewegte, rümpfte er die Nase erneut.

„Warum hast du den Plan nicht besser geschützt“, murrte er und das Auge seines Gefährten richtete sich auf ihn. Man sah ihm deutlich an, dass er etwas sagen wollte, doch letzten Endes schürzte er nur die Lippen und starrte wieder auf die Schienen.

Er war zu sehr damit beschäftigt, sich aus den Gefahren zu schleppen… die nicht nötig gewesen waren. Doch er schluckte es hinunter und ließ die Hände sinken.

„Weißt du was? Wir gehen nach links.“ Er nickte in die Richtung, doch Kanda wirkte nicht so, als wäre er überzeugt. „Ich mag die Richtung“, erklärte er also und grinste. „Schau, da hinten scheint die Sonne, während rechts dunkle Wolken aufziehen.“

Auch Kanda bemerkte es und letztendlich zuckte er nur mit den Schultern. Lavi wartete in der Zwischenzeit nicht auf eine Antwort und entspannt setzte er sich in Bewegung, stieg auf die Schienen und schlenderte zwischen ihnen. Kurz sah Kanda ihm nach, bevor er ihm folgte. Und wieder gingen sie schweigend nebeneinander und da der Jüngere die vor kurzem die Lust an den Gesprächen etwas zurückerlangt zu haben schien, wollte Lavi diesen Moment noch etwas ausnutzen. Lange grübelte er nach den richtigen Worten, versenkte die Hände in den Hosentaschen und holte tief Luft. Es war lange her, dass er mit Kanda alleine auf einer Mission war und außerdem verging der Weg schneller, wenn man etwas quatschte.

„Gehen wir erst einmal etwas essen, wenn wir zurück sind?“ Eine unwichtig erscheinende Frage, die sich als Einstieg sicher gut machte. Kanda antwortete nicht und er kratzte sich an der Wange. „Das dürfte sowieso spät werden. Je nachdem, wir lange wir jetzt noch brauchen und ob der Zug dann gleich kommt, oder…“, er verdrehte die Augen, fuchtelte mit der Hand und wurde von einem knappen Blick getroffen, „… hätte ich doch besser auf den Plan aufgepasst!“

„Ts.“ Dazu schüttelte Kanda nur den Kopf.

„Gehen wir trotzdem was essen? So ein paar Spieße machen auch nicht wirklich satt.“ Lavi ließ die Selbstvorwürfe schnell fallen.

„Weiß nicht“, antwortete Kanda kurz angebunden.

„Dann lass es auf dich zukommen.“ Lavi machte sich nichts daraus. „Vielleicht hast du ja plötzlich furchtbaren Hunger, wenn wir am Ziel sind?“

„Mm.“ Kanda runzelte die Stirn, das Gerede schien ihn augenscheinlich allmählich zu nerven.

„Vielleicht bleibt uns auch gar keine Zeit dazu? Vielleicht müssen wir gleich weiter?“ Die genervte Miene neben sich nicht wahrnehmend, fuhr Lavi fort. „Hey, wollen wir uns nicht gleich im Zug noch etwas hol…“

Er verstummte, als Kanda plötzlich stehen blieb und als er sich zu ihm umdrehte, wurde er argwöhnisch angestarrt. Irritiert erwiderte er den Blick.

„Was ist?“

Der Jüngere holte die Luft.

„Warum kümmerst du dich nicht um deinen Kram!“, es ähnelte einem düsteren Vorwurf und so, als hätte sich etwas in ihm angestaut. Lavi hob die Augenbraue und der Andere offenbarte beinahe schon Zorn, als er ruppig mit der Hand gestikulierte. „Warum kümmert ihr euch nicht alle um euren eigenen Kram!“

„Wie?“ Lavi verstand es nicht. Auch die Tatsache, wie schnell Kanda rückfällig wurde, erfüllte ihn mit Irritation.

„Permanent mischt ihr euch ein! Es geht euch einen Dreck an, wie und wann ich esse!“ Es schien sich wirklich nicht länger in Kanda zu halten und ebenso schienen ihm die Worte zu entgleisen, als er zischend Luft holte. „Ich muss nicht bemuttert werden!“, fauchte er und Lavi blähte die Wangen auf. „Es geht mir gut, kapiert?!“

„Yu?“ Es war sehr interessant, was Lavi da hörte, doch er ließ es sich nicht anmerken und gab sich überrascht. „Danach habe ich gar nicht gefragt. Aber es ist schön, wenn es dir so gut geht.“

Daraufhin zuckte er mit den Schultern und unter einem leisen Fluch setzte sich Kanda in Bewegung.

„Hör auf, mich so zu nennen!“, fauchte er noch, bevor an Lavi vorbeizog.
 

~*to be continued*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2011-03-05T14:04:35+00:00 05.03.2011 15:04
LOL *LACH*
Zu geil.
Die Story bietet echt alles.
Die ist voll traurig aber lachen kann man trotzdem!
Von: abgemeldet
2011-02-26T12:08:35+00:00 26.02.2011 13:08
das war ein witziges kapitel! XDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD
Von: abgemeldet
2009-01-09T11:58:25+00:00 09.01.2009 12:58
Ich geh kaputt!! Bei dem kapitel musste ich genauso viel lachen wie zittern und mich fürchten! Das war echt heftig,als Kanda zusammengebrochen ist und sich an die Sache mit Tikky erinnert hat! Und jetzt hat lavi alles gesehen aber Lavi hat ja davor auch schon viel bemerkt! Total süß,wie er sich dann versucht um Kanda zu kümmern und der da keine Lust drauf hat! Das sieht kanda total ähnlich! Zuckersüß!!!
Und dann noch im Laden,als Kanda aufgetaut ist und sich das ganze Zeug für Mugen geholt hat. Und das Fleischen,ich musste so lachen!! Ganz ganz ganz toll!!!


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