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Der Weg zum Glück

von

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Chiis Bitte

Klayrchen und ich hatten uns zu Beginn eigentlich vorgenommen, die Kapitel nicht länger als 15 Seiten werden zu lassen (außer beim Höhepunkt), weils sonst einfach zu anstrengend wird für den Leser. Allerdings kommen wir nun doch immer mal darüber. Das also schon mal als Vorwarnung. Ich hoffe, ihr bringt Zeit mit beim Lesen ^^.
 

Und nun viel Spaß!
 

-~*~-
 

Disclaimer: Die Charas gehören (bis auf wenige Ausnahmen) nicht uns, sondern Clamp. Wir wollen kein Geld damit verdienen, sondern nur unterhalten.

Erstschreiber des Kapitels: Klayr_de_Gall

Kapitel: 11/26
 

-~*~-
 

„Viele Menschen wissen, dass sie unglücklich sind. Aber noch mehr Menschen wissen nicht, dass sie glücklich sind.“

(Albert Schweizer)
 

-~*~-
 

Chiis Bitte
 

„Du Papa?“

„Ah?“

„Wieso- uiii!“

Kurogane war mit einem so heftigen Ruck angefahren, dass seine kleine Tochter zurück in den Sitz gedrückt wurde und kichern musste. Es war ihr neu, dass ihr Vater so ruppig fuhr, denn zumindest im Straßenverkehr war er eigentlich immer ziemlich bedacht, damit nicht aus Versehen irgendetwas passierte. Aber heute schien er leicht gereizt.

„Papaa~?“

Erneut versuchte die Schwarzhaarige, die Aufmerksamkeit ihres mies gelaunten Erziehungsberechtigten zu erhaschen, der gerade irgendeine Antwort knurrte, bevor er auch schon etwas härter als nötig auf die Bremse trat.

„Deine Kaffeetasse fällt gleich runter.“

„Wa-? Verdammt!“

Im allerletzten Moment konnte Kurogane nach seiner Tasse greifen, die heute wegen leichter Übernächtigung seinerseits und nervigem Getue seiner Tochter irgendwie ihren Weg mit hinunter in seinen BMW gefunden hatte und nun recht wackelig auf dem Armaturenbrett hin und her klapperte.

Immer noch fluchend gönnte er sich einen tiefen Zug des viel zu starken Gebräus, bevor es wieder zurück auf den instabilen Ausgangspunkt gestellt wurde.

„Sag mal, Papa, warum fahren wir heute einen anderen Weg?“

Neugierig blickte die Vierjährige aus dem Wagenfenster. Hier, wo sie gerade lang fuhren, herrschte reger Verkehr. Oder wohl eher träger, denn es ging nur stockend voran. Eigentlich fuhr ihr Papa immer ein paar andere kleinere Straßen entlang, denn da ging es schneller und es war morgens nicht so voll. Diese Straße hier, die in Richtung Stadtmitte führte, kannte Tomoyo nur, weil sie zusammen mit Soma ab und an ins Zentrum gefahren war, um Sachen oder Schuhe einzukaufen.

„Wir fahren doch aber in den Kindergarten, oder?“, hakte die Kleine erneut nach, denn von ihrem Vater war noch immer keine Antwort gekommen.

Entnervt rollte er mit den Augen.

„Wohin denn sonst?“

Es war noch nicht einmal neun Uhr und Kuroganes Nerven hatten sich bereits verabschiedet. Der Schwarzhaarige spürte jedenfalls im Moment nichts davon, dass er jemals welche besessen hätte. Vielmehr hatte er Mühe, die ganzen Sonntagsfahrer nicht laut zu beschimpfen, die einfach nicht aus dem Knick kamen! Aber ganz ruhig, immerhin waren ja Kinder...

„Pa~pa?!“

„Was IST denn, verdammt noch mal?!“

Okay, so viel dazu.

Von dem plötzlichen Wutausbruch ihres Vaters eingeschüchtert, zog Tomoyo ihren Kopf zwischen die schmalen Schultern und murmelte irgendetwas, was aber in dem Hupen des morgendlichen Arbeitsverkehrs gänzlich unterging. Dann schwieg sie verunsichert und zupfte am Saum ihres Kleides herum.

‚Na klasse. Hundert Punkte für den Bilderbuchvater...’

Mit einem leisen Aufstöhnen strich Kurogane sich die Haare aus der Stirn und atmete tief durch. Nach einem weiteren Schluck Kaffee fühlte er sich schon gesellschaftsfähiger.

„Entschuldige, Kleines“, begann er jetzt wesentlich ruhiger, auch wenn sich der missmutige Ton aus seiner Stimme noch immer nicht ganz verbannen ließ. „Ich wollte dich nicht anschreien. Es...stört mich nur etwas, dass wir nicht vorankommen.“

Das kurze Stocken, weil der Miesepeter erst einmal nach einer kinderfreundlicheren Formulierung suchen musste als „das kotzt mich an“, ließ Tomoyo wenigstens aufsehen, und nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihr Papa es auch wirklich so meinte, wie er es sagte, nickte sie zögerlich.

Es war für beide immer noch ziemlich leicht, in Missverständnisse zu geraten, aber zugleich auch wesentlich einfacher, sich wieder zu vertragen.

„Also, was wolltest du wissen?“

„Warum fahren wir den heute hier lang, Papa?“

Sofort wieder grummelig blickte der Schwarzhaarige nach draußen, wo scheinbar endlos viele Autos nur im Schritttempo vorankamen. Er hasste den Arbeitsverkehr!

„Bei uns auf der Straße wird gebaut. Deswegen müssen wir den Umweg fahren.“

„Oh.“

Auch die Vierjährige blickte wieder raus und schwieg eine ganze Weile, in welcher der schwarze Wagen immer nur ein kleines Stück fahren konnte und ihr Herr Papa die Ruhe manchmal mit leisem Fluchen störte, da seine Tasse schon wieder auf Abwege geriet.

„Und bauen sie denn noch lange? Es macht nämlich keinen Spaß, hier lang zu fahren!“

„Du sagst es.“

Kurogane würde drei Kreuze machen, wenn sie endlich am Kindergarten waren. „Aber soviel ich weiß, bauen sie nur noch morgen.“

„Das ist gut, oder, Papa?“

Auch wenn seine Tochter erst vier war, konnte der hochgewachsene Mann manchmal nur staunen, wie logisch und bedacht sie schon war. Außerdem hatte es etwas Rührendes, denn Tomoyos Abneigung gegen die Strecke ruhte offensichtlich nicht nur daher, dass es so lange dauerte, sondern auch daher, dass ihr Vater deswegen gleich wieder schlechte Laune bekam. Und das gefiel ihr nicht.

„Es ist nämlich langweilig! Ich möchte endlich zu Nii-chan und den anderen!“

Mit einem humorlosen Lächeln verwarf Kurogane diesen Gedanken schnell wieder. Die Kleine war nun einmal einfach noch zu jung, als dass sie so weitsichtig denken könnte. Für sein süßes Töchterchen, egal wie erwachsen sie ab und an auftrat, zählte doch in erster Linie der Spaß.

Dass es eben nicht so war und vor allem Kinder ein feines Gespür für das Herz ihrer Eltern hatten, kam ihm gar nicht in den Sinn.

„Fahrt zu ihr...! Argh!“

Unter dem interessierten Blick seiner Kleinen besann Kurogane sich, dass gewisse Kraftausdrücke in ihrer Gegenwart nicht angebracht waren, und schwieg den Rest der Fahrt angesäuert.
 

Irgendwann – nach endlos langen Stunden, wie es den beiden schien – konnte der schwarze BMW endlich aus dem Arbeitsverkehr ausfädeln und den Rest des Weges auf einer weniger befahrenen Straße bis zum Kindergarten zurücklegen.

„Wir sind endlich da!“, freute Tomoyo sich überschwänglich und kaum dass der Wagen gehalten hatte, war sie auch schon ungeduldig zur Tür hinausgeklettert und lief über den kleinen Parkplatz hinüber zu dem blauen Tor, an dem sie schon erwartet wurde.

„Niiiiiii-chan!!!“

Kurogane rollte mit den Augen, während er selbst langsam ausstieg, seine Tasse in der Hand, die Autotür hinter sich schwungvoll ins Schloss fallen lassend. Kaum waren sie ein paar Minuten zu spät, stand der Blondschopf also schon wieder auf der Matte? Na, da durfte man gespannt sein, wie die Standpauke heute ausfallen würde.

Und Tatsache.

Zwar hatte der Kindergärtner sich neben Tomoyo gekniet und dem dunkelhaarigen Mädchen lächelnd durchs Haar gestreichelt, aber als ihr Vater dazukam, blickte er auch schon aus tadelnden blauen Augen zu ihm auf.

„Und?“, stichelte er ein wenig eingeschnappt.

Obwohl Kurogane wusste, was er hören wollte, stellte er sich unwissend.

„Was ‚und’?“

„Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“

Fye war flink auf die Beine gesprungen und baute sich nun vor dem Größeren auf, tippte anklagend gegen seine Brust. „Also? Du weißt doch ganz genau, dass ich es nicht mag, wenn du...ihr, zu spät kommt, oder, Kuro-wanko?!“

Abwehrend hob der Angeklagte beide Hände, wobei er fast Kaffee über sich und den blonden Mann geschüttet hätte.

„Ganz sachte! Ich kann nichts dafür!“

„Genau!“, krähte seine Tochter nun von unten herauf. Als ob sie ihren Vater schützen wollte, schob sie sich zwischen die beiden Erwachsenen und streckte die Arme abwehrend aus. „Papa ist ganz pünktlich losgefahren!“

Vollkommen überzeugt schien Fye zwar nicht zu sein, das sagte der misstrauische Blick, den er dem Schwarzhaarigen zuwarf, aber er ging wieder vor der Vierjährigen in die Hocke.

„Na dann schieß mal los, Tomo-chan. Wieso seid ihr dann zu spät?“

„Unsere Straße ist weggebaut worden!“ Trotzig verschränkte sie die Arme.

Ihr Kindergärtner wirkte erst verwirrt, musste dann aber über den kindlichen Versprecher grinsen. Doch als er sie gerade berichtigen wollte, erklang hinter den beiden ein leises Prusten, und sie blickten verwirrt auf.
 

Fye hatte Mühe, dass ihm nicht der Mund aufklappte.

Da stand der muffelige Schwarzhaarige, halb von ihnen abgewandt und die Tasse an den Lippen, aber das breite Grinsen konnte er dennoch nicht verbergen.

„Papa!“, rief Tomoyo empört, die es auch bemerkt hatte, und sogleich griff sie nach den langen Beinen ihres Vaters, um kräftig an ihnen zu rütteln, was dem sonst so ernsten Mann erneut ein leises Lachen entlockte.

„Lachst du mich etwa aus?! Wie gemein!“

„Aber nicht doch, Tomoyo!“

So heftig, wie sie schüttelte, schien ihr Vater Probleme zu haben, das Gleichgewicht zu bewahren, und zur Sicherheit ging er mit in die Knie. Das hatte auch den Vorteil, dass er mit dem dunkelhaarigen Mädchen auf einer Höhe war.

„Wieso sollte ich denn so was machen, Kleines?“

„Na weil...äh...deshalb!“

Und wieder lachte er sanft und fuhr seiner kleinen Tochter zärtlich durchs Haar.

Mit großen juwelenblauen Augen beobachtete Fye die vertraute Zweisamkeit. Bei diesem Anblick wurde ihm so wunderbar warm ums Herz, dass er es kaum beschreiben konnte. Kuroganes Lachen schien ihm so etwas unglaublich Kostbares zu sein...

Er hatte gar nicht gewusst, dass dieser Mann überhaupt lachen konnte, oder zumindest niemals geglaubt, dass gerade er so etwas sehen durfte. Und gerade weil er wusste, dass es so etwas Seltenes war, erschien Fye dieser Anblick umso wertvoller.

Wie gern hätte er diesen Augenblick für immer festgehalten. Wie sehr wünschte er sich in diesem Moment, ebenfalls in der Lage zu sein, dem anderen solch eine warme Reaktion entlocken zu können...

„Aber warum lachst du den nun...?“

Schmunzelnd spielte Kurogane mit den weichen Locken seiner Tochter.

„Unsere Straße wird doch nicht weggebaut, Kleines. Es wird nur neues Abwasser verlegt. Alles wird nachher wieder genauso sein wie zuvor.“

„Also um...gebaut? Und nicht weggebaut?“

„Genau.“

Schweigend hatte Fye seine Finger fest ineinander verschränkt, als müsste er sich zwingen, nichts Dummes zu tun. Lieber wollte er noch ein wenig unsichtbarer Zeuge dieser harmonischen Szene bleiben, in die er einfach nicht reingehörte.

Dieser Gedanke tat weh. Aber er war traurige Realität. Denn egal, wie liebenswert er doch lächeln konnte, es war nicht echt, und wie sehr er sich auch wünschte, dass Kurogane einmal, wenigstens ein einziges Mal, so zu ihm sein würde... Es würde niemals geschehen. Er brauchte sich gar keine Hoffnungen machen.

„Also, Nii-chan“, riss Tomoyos helle Stimme ihn schließlich aus seinen bitteren Gedanken und der Blondschopf schrak ertappt zusammen.

Kurz huschten seine Augen zu Kurogane, in der Erwartung, dass ihn gleich wieder ein Blick aus den gewohnt kalten roten Augen treffen würde, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen hockte der große Mann noch immer ganz gemütlich auf dem Fußweg, was man von ihm nicht gewohnt war, mit Tomoyo auf einem seiner Knie, und nippte gedankenverloren an seiner Tasse.

Er wirkte so anders...so viel jünger als sonst.

Irgendwie kam bei diesem Anblick das Bedürfnis in ihm auf, seine Arme um ihn zu legen und ihm kräftig durch das kurze, nach seinen eigenen Regeln abstehende Haar zu strubbeln. So wie er es bei seinen Schützlingen so gern tat.

Warum...? Was machte dieser Mann nur mit ihm?

„Wir sind zu spät gekommen, weil unsere Straße umgebaut wird. Nämlich weil die da neues Abgewässer-“

„Abwasser“, verbesserte ihr Vater geistesabwesend.

„Ja, genau. Das machen die da neu.“

„Aha. So war das also?“

Am besten lenkte er sich einfach von seinen seltsamen Gedankengängen ab, um dieses wehmütige Gefühl in seinem Innern zu vertreiben, so wie er es immer tat. Was sollte er auch anderes tun? Umdrehen und weglaufen. Das hatte er schon immer getan, es war ihm praktisch in Fleisch und Blut übergegangen.

Aber...

War das wirklich die beste Lösung...?

„Ich schwör’s!“

Zögerlich kam Fye auf den Knien etwas näher, störte sich nicht daran, dass er gerade über einen Fußweg krabbelte. Kaum dass er nah genug war, damit Tomoyo ihn erreichen konnte, zog die Kleine ihn mit kindlicher Naivität in eine feste Umarmung und somit näher an sich und ihren Papa heran.

„Bist du uns sehr böse?“

„Na ja...“

Der Geruch von frischem Kaffee, der von Kurogane ausging, hatte etwas seltsam Verwirrendes, und der Blonde musste erst einmal die Augen schließen und sich konzentrieren, bevor er endlich antworten konnte.

„Eine kleine Strafe muss schon sein. Schließlich habe ich mir ziemliche Sorgen gemacht.“

„Wir waren gerade mal eine viertel Stunde zu spät!“, wandte der hochgewachsene Mann sich nun direkt an ihn, eine Augenbraue leicht hochgezogen, aber bei weitem nicht so grimmig wie sonst.

Wieder dieses seltsame Gefühl, als ob er die Kontrolle über sich verlieren würde. Es ging nicht! Irgendwas lief falsch, wenn er so nah bei ihm war, er musste weg von Kurogane!

Ruckartig richtete Fye sich auf. Da Tomoyo ihn noch immer fest umarmte, musste er sie auf die Arme nehmen, damit sie ihn nicht erstickte, aber die Kleine war ja nicht so schwer.

In Kuroganes rubinroten Augen spiegelte sich Verwirrung wieder. Es war ihm scheinbar unbegreiflich, warum der Blonde plötzlich so reagiert hatte, geradezu vor ihm geflüchtet war, was auch verständlich war, denn normalerweise machten Fye diese kleinen Gesten und beiläufigen Berührungen nichts aus. Heute stimmte irgendetwas nicht, er konnte seine sorglose Erscheinung einfach nicht aufrecht erhalten. Trotzdem würde er nicht auf Kuroganes stumme Frage eingehen, er versuchte dem Blick zu entkommen und drehte sich und Tomoyo einmal im Kreis.

Nur nicht in diese klaren Augen sehen...

„Aber ich hab mir trotzdem Sorgen gemacht! Also ist es nur gerecht, wenn ihr es wieder gutmacht!“

„Aber Nii-chan!“

Kichernd trug er das dunkelhaarige Mädchen ein paar Schritte Richtung Kindergarten und konnte ihr so etwas ins Ohr flüstern, ganz unbemerkt von ihrem Papa, der das alles sehr misstrauisch beäugte.

„Keine Sorge, Tomo-chan. Ich möchte nur eine klitze-, klitzekleine Entschuldigung. Und auch nur von deinem Papa.“

„Aber Papa ist doch gar nicht schuld.“

„Ich weiß, Liebes.“

Und bevor er ins Gebäude verschwand, rief er Kurogane über seine Schulter etwas lauter zu: „Was ist, Kuro-rin? Willst du dein kleines Töchterchen nicht vor mir beschützen?“

Der Schwarzhaarige nahm ihn offensichtlich nicht ganz ernst, denn durch die geöffnete Tür war nur ein halbherziges Brummen zu hören, aber wenigstens wiesen die Schritte darauf hin, dass ihnen jemand folgte. Grinsend schlüpfte der Kindergärtner hinter die Haustür und hielt Tomoyo zwinkernd den Finger gegen die Lippen.

Als Kurogane eingetreten war, schob er die Tür ganz schnell hinter ihm zu. Erstaunlicherweise blieb der hochgewachsene Mann ruhig stehen und drehte sich auch nicht herum, sondern wartete nur mit hochgezogener Augenbraue ab. Er sah Fye offensichtlich nicht als Bedrohung an. Warum auch? Oder er war sich seiner Überlegenheit sehr sicher.

„Los, Tomo-chan, zum Angriff!“

Begeistert glucksend ließ das Mädchen sich auf dem Rücken ihres Vaters absetzen und klammerte sich an ihn, er hielt sie reflexartig fest, während Fye den kurzen Überraschungsmoment nutzte und die dunkelrote Tasse aus seiner großen Hand stahl.

„Hey!“

„Ja, Kuro-sama?“, grinsend tänzelte der Blonde zur anderen Seite des Zimmers, von wo aus er schelmisch zu seinem „Opfer“ herüberfunkelte, bevor er sich auf seine Beute konzentrierte. Interessiert schnupperte er daran und musste lächeln. Es roch genau wie Kurogane, nur hundertmal intensiver.

„Gib mir meinen Kaffee wieder!“

„Na na, Kuro-chan. Wenn du ihn schon mitbringst, musst du mir auch etwas davon abgeben!“

Als ob er sich das entgehen lassen würde. Es hatte ihn zwar nicht zu interessieren, aber wenn er wenigstens etwas über Kurogane erfahren konnte – und wenn es nur die Angewohnheit war, wie er seinen Kaffee trank – so war es doch immerhin etwas, worauf er stolz sein konnte.

Als wäre es etwas ganz Besonderes, nippte Fye andächtig an der Kaffeetasse, ignorierte den grimmigen Blick, der auf ihm ruhte.

Und bereute es gleich darauf.

„Urgs!“
 

Hustend stellte er die Tasse weg.

„Wie kannst du nur so starken Kaffee trinken? Das schmeckt doch gar nicht!“

„Ich hab dich nicht gebeten zu kosten, also hör auf zu meckern!“
 

Leise summend schlenderte Fye durch den Aufenthaltsraum, während seine kleinen Schützlinge nebenan ihren Mittagsschlaf hielten. Seine fleißige Mitarbeiterin machte den Abwasch und er räumte etwas auf, damit er zumindest nicht ganz unnütz war, denn mit nur einem Arm konnte der Blonde immer noch nicht allzu viel erledigen.

Jedes Mal, wenn er zum Regal zurückkehrte, schmunzelte Fye verzückt, denn auf dem obersten Brett stand seine heutige Errungenschaft, die rote Kaffeetasse. Kurogane hatte sie ihm großherzig überlassen. Zwar war es diese Art von Großherzigkeit gewesen, die sich bei ihm mit einem genervten Blick und einer wegwerfenden Geste äußerte, aber das war dem Kindergärtner egal.

Gelegentlich nahm er die Tasse herunter und nippte zögerlich, aber der Kaffee schmeckte noch genauso stark wie beim letzten Schluck. Dennoch wollte der junge Mann weder Milch noch Zucker hineintun.

Warum? Das wusste er selbst nicht so richtig. Es kam ihm vor, als würde er sonst eine einzigartige Sinfonie zerstören.

Mit einem schiefen Lächeln stellte er die Tasse auch nach der erneuten Kostprobe wieder weg. Vielleicht erklärte das ja, warum Kuroganes Blutdruck immer auf Hundertachtzig war. Er sollte morgens lieber Milch trinken.

Schwer vorstellbar, dass der gute Kuro-sama jeden Morgen artig sein Glas Milch trank, und der Gedanke brachte Fye zum Kichern. Oh weh. Das sollte er dem Schwarzhaarigen lieber doch nicht vorschlagen.

Gerade als der schlanke Kindergärtner das letzte Kuscheltier ordentlich in das neue Regal gelegt hatte, hörte er, wie hinter ihm leise die Tür zum Schlafsaal geöffnet wurde, und er war kaum erstaunt, Tomoyo zu entdecken, die ein wenig verloren dastand in ihrem gelben Schlafanzug und eingekuschelt in ihre Decke.

Behutsam zog Fye sie von der Tür weg und schloss diese, um die anderen Kinder nicht zu stören, dann kniete er sich zu dem Mädchen und streichelte ihm über die Wange.

„Was ist denn los, Tomo-chan? Kannst du nicht schlafen?“

Die Dunkelhaarige nickte kurz und kuschelte sich dann fest an ihren Lieblingskindergärtner, suchte bei ihm Schutz. Und Fye gewährte ihr diesen gern und nahm sie fest in den Arm. Eine ganze Weile hielt er sie nur schweigend, bis Tomoyos leise Stimme gedämpft durch sein Oberteil erklang.

„Nii-chan? Tut denn dein Arm noch doll weh?“

Ach, daher wehte also der Wind. Tomoyo hatte Schuldgefühle...

Der Blondschopf musste liebevoll lächeln.

„Aber nicht doch, Liebes. Mein Arm ist schon fast wieder ganz okay. Es gibt gar keinen Grund, sich Sorgen zu machen.“

„Mach ich aber!“ Schniefend blickte sie aus ihren dunklen, besorgten Augen zu dem Kindergärtner auf. „Immerhin ist es meine Schuld.“

„Aber Tomo-chan. Wer sagt denn, dass es deine Schuld ist? Habe ich das jemals gesagt?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Dein Papa vielleicht?“

Erneutes Kopfschütteln.

„Na siehst du. Und auf alle anderen brauchst du gar nicht zu hören.“

„Aber...aber es tut mir doch so Leid...“

„Ich weiß doch, Kleines.“

Liebevoll drückte Fye das traurige Mädchen wieder an sich und bettete ihren Kopf sanft in seine Halsbeuge. „Ich weiß...“

Es musste doch einen Weg geben, Tomoyo ihre Last irgendwie zu erleichtern. Nur was? Sicherlich tat Kurogane schon sein Bestes, aber die Kleine suchte ja auch nicht bei ihrem Vater Vergebung, sondern bei ihm. Aber wie sollte er ihr noch deutlicher zeigen, dass er ihr gar nicht böse war?

Vielleicht...

„Weißt du was, Tomo-chan? Wir treffen uns doch heute Abend alle bei mir zu Hause. Du und dein Papa, Sakura-chan und Shaolan-kun. Und um was Leckeres kochen zu können, wollte ich heute noch einmal einkaufen gehen. Nun wird das aber sicher nicht wenig sein und garantiert ganz schön schwer... Also wie wär’s, wenn du mir beim Einkaufen hilfst? Dann sind wir quitt und du musst dir keine Sorgen mehr machen, okay?“

Erstaunt blickte die Vierjährige ihn an, schien aber recht begeistert von der Idee.

„Aber wenn das so schwer ist, Nii-chan. Ich bin doch gar nicht so stark.“

„Hm, da hast du allerdings Recht. Was machen wir da bloß?“

Der Einwand war gar nicht mal so dumm, denn Tomoyo war viel zu jung, um so schwere Beutel schon tragen zu können. Außerdem hieß es ja noch lange nicht, dass sie mit durfte, denn Kurogane hütete seine Tochter schließlich wie den Schatz, der sie auch war.

„Nii-chan, ich weiß was!“ Tomoyo klatschte begeistert in die Hände. „Papa kommt mit!“
 

Natürlich war besagter Vater von der Idee kein bisschen angetan, aber zu Fyes Glück nahm Tomoyo den Vorschlag ganz auf ihre Kappe, sodass er nicht mit dem Schwarzhaarigen diskutieren musste, denn die Kleine brauchte nur einen Augenaufschlag und ein flehendes „Bitte!“ und sie hatte Kurogane herumbekommen. Kinder waren halt auf ihre ganz eigene Art Erpresser.

Nun kletterte der Blondschopf also zum wiederholten Male innerhalb von zwei Tagen aus dem bequemen schwarzen Wagen, mit dem sie – welch ein Luxus – zum Supermarkt kutschiert worden waren, und strahlte Kurogane gewinnend an.

„Wirklich schön, dass du mitkommst, Kuro-rin. Ich freu mich ehrlich.“

„Ja ja“, tat der Griesgram die eigentlich ernst gemeinte Beteuerung gelangweilt ab und ging mit Tomoyo einen Einkaufswagen hohlen. Fye blieb allein am Eingang stehen. Abwesend strich er sich über die Arme, als würde er frösteln.

„Ehrlich...“

Auch wenn seine Vernunft ihn immer lauter warnte, dass er sich nicht zu sehr an den großen Mann hängen sollte, ihm schon gar nicht vertrauen durfte, so fiel das Fye doch immer schwerer. Denn auch wenn Kuroganes Art meist aufbrausend und gereizt war, so spürte man doch die Ruhe und Bedachtheit, die hinter dem lagen. Absolute Sicherheit und Selbstkontrolle. Zwei Eigenschaften, die es ihm überhaupt erst ermöglichten, sich manchmal so gehen zu lassen. Und der blonde Kindergärtner spürte und mochte das, denn es waren Eigenschaften, die ihm fehlten. Dann war da noch etwas Beschützendes, was von Kurogane ausging. Besonders dann, wenn Tomoyo bei ihm war. Und Fye fühlte sich in seiner Nähe ebenfalls sicher. Es mochte Wunschdenken sein zu glauben, dass der Schwarzhaarige ihn beschützen würde, aber es war trotzdem tröstlich.

Und schließlich die ganzen Dinge, die er nicht von dem anderen wusste. Geheimnisse, Vergangenheit. Seinen Tagesablauf, selbst die banalsten Dinge. Das alles wusste Fye nicht. Umso mehr Freude hatte es ihm bereitet, heute etwas Neues herauszufinden, auch wenn es nur die Kaffeetrinkgewohnheit Kuroganes war. Etwas total Unwichtiges, aber Fye hatte sich für einen Moment ehrlich darüber gefreut.

Er konnte nicht einordnen warum, aber er war darüber glücklich gewesen. Über einen einfache halbvolle Tasse Kaffee.

Glück...

Kurogane tat ihm nicht gut.

Es wäre besser, wenn er sich von dem hochgewachsenen Mann fernhielt.

„Da seid ihr ja endlich! Hat ja ganz schön gedauert, habt ihr euch mit dem Wagen verfahren?“

Lächelnd ging der Blondschopf seinen Begleitern ein Stück entgegen und hakte sich bei Kurogane unter, damit er mit seinem unverletzten Arm den Wagen schieben konnte. Mit einem empörten „Hey!“ wurde der muskulöse Arm weggezogen, aber zumindest blieb der Schwarzhaarige an seiner Seite und hielt ebenfalls den Einkaufswagen, in dem seine Tochter saß, denn wenn der Kindergärtner ihn allein hätte schieben müssen, wäre das ganz sicher schief gegangen.

„Wir mussten auf dem Parkplatz ziemlich aufpassen. Die sind da ganz schön schnell gefahren, deswegen hat das auch etwas gedauert, stimmt’s, Papa?“

„Hm.“

Ein leichtes Kribbeln führte dazu, dass sich die feinen Härchen in Fyes Nacken aufstellten, als die ruhige, tiefe Stimme so nah an seinem Ohr eine Zustimmung brummte, und er blickte unsicher zu Kurogane auf. Dieser schien ihre momentane Nähe geflissentlich zu ignorieren, und dirigierte die kleine Gruppe endlich in den Laden hinein. Und da der blonde Mann sich nicht anders zu helfen wusste, als irgendwo nach einer Ablenkung zu suchen, flüchtete er in eine kleine, belanglose Plänkelei mit Tomoyo, auch wenn es ihm schwer fiel. Denn obwohl sie sich noch nicht berührten, glaubte Fye, die Wärme seines Begleiters spüren zu können und dann roch es auch immer noch so angenehm nach Kaffee...

Halt! Stopp!

Es wurde schon wieder zu viel!

Also flüchtete Fye, geschickt getarnt durch sein spielerisches Tänzeln, hinaus auf den Gang, um sich die Auslagen anzusehen, war sich aber des kurzen, irritierten Blickes bewusst, der für einen Moment seinen Hinterkopf fixiert hatte. Heute schien aber auch alles schief zu laufen. Kurogane merkte einfach viel zu viel!

„Was meinst du, Tomo-chan, wollen wir zum Abendbrot lieber Spagetti oder Spirelli, oder wie wär’s mit diesen hübschen Nudeln da? Oder vielleicht die bunten? Die ganz breiten sollen aber auch lecker sein.“

Sofort erhielt er die Aufmerksamkeit des kleinen Mädchens, welche nun ebenfalls anfing, fragend zwischen den vielen Nudelsorten hin und her zu schauen.

Obwohl Fye sich mit vollem Einsatz in diese Ablenkung gestürzt hatte, kam er nicht umhin, doch noch einen schnellen Seitenblick auf Kurogane zu riskieren. Der Schwarzhaarige beobachtete ihn immer noch mit diesem seltsam forschenden Ausdruck. War Fye das vorher nur nie so bewusst geworden oder musterten ihn die rubinroten Augen neuerdings wirklich häufiger als sonst?

„Ja, was nehmen wir denn nun?“, versuchte Fye seine Unsicherheit und Grübelei zu überspielen und hoffte dabei, dass er dies vor allem Kurogane einigermaßen glaubhaft machen konnte.

„Ich mag Spaghetti am liebsten. Die kann man so lustig schlürfen“, meinte Tomoyo schließlich.

„Gut, dann nehmen wir die!“

Damit landete besagte Tüte in dem Einkaufswagen und das Grüppchen konnte weitergehen. Bald gesellten sich Brot, Gemüse, Wurst und Käse, Obst und noch so mancherlei Sachen mit zu ihrem Einkauf, und langsam wuchs der Inhalt des Wagens auf eine beträchtliche Größe an.

Letzter Halt war das Süßigkeitenregal.

„Also los, Tomo-chan. Dein Papa hat sicher nichts dagegen, wenn du dir etwas aussuchst. Oder, Kuro-daddy?“

Ein ungeduldiges Schnauben war die Antwort, das durchaus als „Ja“ interpretiert werden konnte, und freudig jauchzend stob das dunkelhaarige Mädchen davon, um sich eine besonders tolle Leckerei auszusuchen. Das könnte dauern, bei den vielen Sachen, die es hier gab.

Kurogane hatte inzwischen seinen deutlich genervten Gesichtsausdruck wieder aufgelegt – Einkäufe von über einer Stunde zählten wohl nicht unbedingt zu seinen Hobbies – aber bisher hatte er sein Schicksal ergeben und miesepetrig ertragen, egal welchen Schabernack die beiden Kindsköpfe sich mit ihm erlaubt hatten.

„Sag, Kuro-puu...“

Mit einem auffordernden Lächeln winkte Fye den Schwarzhaarigen zu sich und wandte sich dann wieder dem Regal zu, als dieser neben ihn trat. „Magst du eigentlich Schokolade?“

„Nein. Ich mag generell keine süßen Sachen.“

„Wirklich nicht?“

Für einen Moment blickten ihn die klaren, blauen Augen direkt an, bevor sie wieder zurück zu dem Angebot wanderten und einem langen, blassen Finger folgten, der geistesabwesend über die Preisschilder strich.

„Magst du deine süße Tochter etwa nicht?“

„Ich glaub nicht, dass man sie essen kann.“

Fye schenkte ihm ein echtes, warmes Lächeln.

„Nein, ich denke nicht. Schau, anscheinend hat sie was gefunden. Zeig, was hast du denn da, Kleines?“

Tomoyo war neben den Erwachsenen stehen geblieben und hielt stolz eine große, durchsichtige Plastikschale hoch, in der weiße Schaumhäubchen.

„Das sieht lecker aus! Aber was ist das, Nii-chan?“

„Du hast einen guten Geschmack, Tomo-chan. Das sind ‚Baiser’, sie werden aus Eischnee und Zucker gemacht und sind wirklich ganz köstlich.“

„Ui! Klingt gut!“

„Klingt nach purem Zucker“, kommentierte Kurogane, was aber ignoriert wurde.

„Dann nehmen wir die mit, was?“

Da die Vierjährige ganz begeistert davon war, legte Fye die Schachtel mit zu den anderen Sachen im Korb, vergewisserte sich aber mit einem fragenden Blick zu ihrem Herrn Papa, ob es auch wirklich okay war. Erst nachdem dieser genickt hatte, ließ er die Süßigkeit ganz los. Dann fischte er sich selbst noch etwas aus dem Regal.

„Also dann, auf zur Kasse!“

Allein das Bezahlen dauerte eine halbe Ewigkeit, denn erst mussten sie lange anstehen, dann alles auf das Fließband räumen und schließlich alles wieder zurück in den Einkaufskorb packen. Im Anschluss lagen Kuroganes Nerven blank und er schien gar nicht schnell genug zurück nach draußen kommen zu können. Tomoyo, der währenddessen natürlich furchtbar langweilig geworden war, hörte wieder auf zu quengeln und konnte es stattdessen kaum erwarten, bis der blonde Kindergärtner ihre Schachtel geöffnet hatte, damit sie nun endlich von den Süßigkeiten probieren konnte.

Während die beiden es sich schmecken ließen, räumte der Schwarzhaarige recht verbissen den Kofferraum seines BMW voll, packte aber schon vorher alles in Tüten, was ihm später einiges an Arbeit ersparen würde. Dann knallte er die Kofferraumklappe zu und brachte den Einkaufswagen weg.

Als er zurückkam, hatte Fye gerade seine Tochter ordentlich angeschnallt und fing den missmutigen Mann noch vor seiner Tür ab.

„Warte, Kuro-sama!“

Verblüfft hielt der Angesprochene inne, als Fye wie selbstverständlich an ihn herantrat, sich lässig neben ihn an den Wagen lehnte. Diesmal zeigte der er keine Scheu vor der ungewohnten Nähe, eher war es Kurogane, der nicht zu wissen schien, wie er damit umgehen sollte, und seine Verwirrung stieg noch, als er spürte, wie ihm geschickt etwas in die Seitentasche der Hose geschoben wurde.

„Danke für deine Hilfe, Kuro-chii.“

Dann erst zog er seine Hand zurück und verschwand schnell aus der Reichweite des Schwarzhaarigen.

„Sie ist auch ganz sicher nicht zu süß, versprochen.“

Ohne eine Reaktion abzuwarten, kletterte Fye in den Wagen und ließ seinen Begleiter ein wenig überrumpelt allein zurück. Seine ganze Gereiztheit schien verpufft, Kurogane wirkte eher überfordert.

Auch ein wenig wie bestellt und nicht abgeholt.

Für einige Augenblicke sah er ihm nach wie ein Mondkalb, dann kam endlich wieder Bewegung in den hochgewachsenen Mann und er zog den gerade erhaltenen Gegenstand aus seiner Tasche.

Eine Tafel Schokolade.

Zartbitter.
 

„Okay! Wir sind da! Hier kannst du parken!“

Kurogane kam der fröhlichen Aufforderung nach und lenkte sein Auto an den Straßenrand, stellte den Motor aus. Dann blickte er nachdenklich aus dem Fenster. Sie waren im Flussviertel, einer der Mittelklasse-Gegenden der Stadt. Was aber nichts heißen sollte. Die Menschen hier mussten teilweise mit viel weniger Mitteln auskommen, waren aber wahrscheinlich bei weitem rechtschaffener und freundlicher als bei ihm in der Gegend.

Noch etwas fiel Kurogane auf. Das war genau die Straße, in die er vor ein paar Tagen das blonde Mädchen vom Spielplatz gebracht hatte, oder?

„Ich weiß, es ist nicht sonderlich schön...“, begann Fye leise, aber der Schwarzhaarige schnitt ihm mit einer kurzen Geste das Wort ab und stieg aus, half seiner Tochter aus dem Wagen und verlor kein einziges Wort zu der Wohngegend.

„Guck mal, Papa! Die ganzen Katzen, die es hier gibt! Ob ich die streicheln kann?“

„Wenn sie nicht weglaufen, sicher.“

Neugierig lief das Mädchen zu einem dicken, roten Kater, der sich auf dem Fußweg sonnte, und sich auch widerstandslos streicheln ließ, sogar sofort laut zu schnurren begann.

Wenn es im Flussviertel etwas gab, dann Katzen!

„Vor Katzen hast du wohl keine Angst, was, Tomo-chan?“

„Aber nein! Katzen sind süß!“

Fye schmunzelte leicht. Welches Kind fand Katzen nicht kuschelig und liebenswert? Also er kannte keines.

Während die beiden den Kater verwöhnten, plagte sich Kurogane damit ab, alle Tüten und Beutel auszuladen, und wartete schließlich darauf, dass er gesagt bekam, wo er sie denn nun genau hinzubringen hatte.

Irgendwie peinlich schien Fye seine Wohnung dann doch zu sein, als er Vater und Tochter in einen großen Wohnblock führte, und sie zusammen im Fahrstuhl bis in den sechsten Stock fuhren. An der Wohnungstür, vor der er hielt, hing in kleines, in fein säuberlicher Handschrift geschriebenes Schildchen, auf dem der Name „de Flourite“ zu lesen war. Kurogane konnte sich nicht erinnern, vorher schon einmal gehört zu haben, wie der Kindergärtner seiner Tochter eigentlich mit Nachnamen hieß. Dieser passte zu ihm. Ein wenig abgedreht, genau wie der Blondschopf selber.

„Oh...“

Mit einer Hand in der Jackentasche blickte der blonde Wuschelkopf nun betreten auf und lächelte entschuldigend. Kein gutes Omen.

„Oh-Oh...“

„Jetzt sag nicht, du hast deinen Schlüssel vergessen!“

„Also na ja... doch. Irgendwie schon.“

Der Schwarzhaarige rollte genervt mit den Augen und schien kurz davor, alle Einkäufe einfach auf den Boden zu schmeißen und wieder zu gehen. Fye hatte sein breitestes Grinsen aufgesetzt, doch es schien der Laune seines genervten Freundes nicht wirklich zu helfen.

„Und was machen wir jetzt Fye-Nii-chan? Müssen wir am Ende auf dem Flur essen?“

Etwas bange blickte Tomoyo zu ihm auf, aber Fye kicherte nur amüsiert und drückte auf die Klingel.

„Aber nein.“

Drinnen waren Schritte zu hören, dann kurz Ruhe. Anscheinend wurden sie durch den Türspion gemustert.

„Fye? Bist du das?“

Eine Frauenstimme? Kuroganes Augenbrauen gingen in die Höhe. Der Kerl hatte eine Freundin? Was für eine Überraschung! Das hätte er ja nun gar nicht gedacht, dass es eine Frau mit diesem nervigen Individuum aushielt. Und noch etwas fiel ihm auf: Diese Stimme hatte er schon einmal gehört...

„Jepp. Lässt du uns bitte rein, Chii? Ich hab meinen Schlüssel vergessen.“

„Mal wieder“, kam es amüsiert von der anderen Seite der Tür und ihnen wurde geöffnet.

Kurogane stand die Überraschung förmlich ins Gesicht geschrieben. Es war unverkennbar, dass die beiden sich nicht zum ersten Mal begegneten. Doch noch bevor Fye seine eigene Verwunderung über diese Erkenntnis überwunden hatte und nachfragen konnte, hatte das blonde Mädchen sich bereits aus ihrer Starre gelöst und zog den blonden Kindergärtner in eine freudige Umarmung, begrüßte ihn herzlich.

Derweil bewegte Kurogane sich bereits Richtung Küche – also dorthin, wo er die Küche wohl richtigerweise vermutete. Fye, sich an seine Pflichten als Gastgeber erinnernd, eilte ihm und seinem Töchterchen nun schnell nach, um wenigstens beim Auspacken helfen zu können.

„Vielen Dank. Du kannst dich ja mit Tomoyo derweil ins Wohnzimmer setzen, ich räume nur schnell ein.“

„Ich will aber helfen!“, protestierte die Kleine eifrig und machte demonstrativ einen Schritt von ihrem Vater weg. Dass Kurogane überhaupt auf die Idee kam, bei etwas mitzumachen, schien für die Kleine schon abwegig. Anscheinend machte bei ihnen zu Hause auch alles Kuroganes Freundin.

„Ich helfe auch mit, Fye.“

Nun betrat auch noch Chii die kleine Küche, die eigentlich nicht für vier Personen gedacht war, und nahm die Gefriertasche hoch. Ohne dass sie irgendwelche Vorbehalte zu haben schien, drückte sie diese dann dem Schwarzhaarigen in die Hand und lächelte sanft zu ihm auf.

„Die Kühltruhe steht draußen auf dem Balkon. Würden Sie das bitte einräumen?“

Und nicht nur, dass sich das Mädchen traute, einem Wildfremden um so etwas zu bitten, nein, Kurogane kam der Bitte auch noch ohne jeglichen Widerspruch nach!

Fye war fassungslos.

Es war ihm einfach unbegreiflich. Und so sehr es ihn auch freute, dass Kurogane mit half, es brachte ihn genauso sehr durcheinander. Er wagte gar nicht sich auszumalen, was hier passiert wäre, hätte er den ohnehin schon schlechtgelaunten Mann um so etwas gebeten. Wahrscheinlich hätte dieser ihn so richtig zusammengestaucht. Aber warum tat er dann einfach so, worum Chii ihn bat? Das war doch nicht Kurogane, oder? Schwer vorstellbar, dass ausgerechnet dieser rüpelhafte Kerl ein Gentleman sein sollte, der bei den Ladys zahm wurde. Oh, sicher nicht!

Nicht Kurogane!

Oder...?

Total aufgelöst räumte er fast alles falsch ein und warf sogar eine Packung Spaghetti herunter, die aufplatze und ihren Inhalt über den ganzen Küchenboden verstreute.

„Mist!“

Es war weniger das Wort als die Art, wie er es aussprach, die auf einen sehr heftigen Fluch hinwies. Auf allen Vieren robbte der Blondschopf über den Küchenboden, um alles wieder einzusammeln. Zum Glück dekorierte Chii gerade mit Tomoyo die Obstschale im Wohnzimmer, da mussten die beiden Mädchen wenigstens das verwirrte Gewusel nicht mit ansehen. Nur war Fye ganz entfallen, dass noch jemand in der Wohnung herumlief, und umso erschrockener fuhr er zurück, als seine schlanken Finger plötzlich einen andere warme Hand berührten.

Mit total verrutschten Gesichtszügen starrte er den Mann gegenüber an, der ebenfalls am Boden kniete und kommentarlos trockene Spagetti aufsammelte.

„Kuro?“

Der Schwarzhaarige blickte kurz auf, hielt aber bei dem verstörten Ausdruck in den blauen Augen inne.

„Was ist los?“

Ertappt senkte Fye den Blick. Er wusste doch selbst nicht, was ihn gerade so aus der Ruhe brachte. Aber der Gedanke, dass Kurogane nur zu ihm so ruppig war, schnürte irgendetwas in ihm zusammen und seine Hände leicht zittern. Aber das war doch Einbildung, oder?

Ganz bestimmt! Es gab sicher eine logische Erklärung, warum der alte Brummbär gerade so freundlich zu seiner kleinen Mitbewohnern gewesen war.

„Es...nichts. Es ist alles okay.“

Aber er brauchte nur kurz in die blutroten Augen zu blicken, um zu wissen, dass Kurogane ihm das nicht glaubte. Er konnte diesem Mann einfach nichts vormachen.

Als der Schwarzhaarige sich erhob, beugte er sich in der Bewegung leicht vor, sodass er sich seitlich ganz nah an dem Kopf des Blondschopfs vorbei bewegte und unbemerkt etwas in dessen Ohr flüstern konnte.

„Lügner.“
 

Still hatte Chii im Türrahmen an der Küche gestanden und die beiden Männer beobachtet, die zusammen auf dem Boden gekniet und nur ein paar wenige Worte gewechselt haben. Aber das hatte ausgereicht, um einige Erkenntnisse aus ihrem Verhalten zu gewinnen, welche den beiden selbst wahrscheinlich gar nicht bewusst waren. Sie wirkten befangen und doch konnten sie sich in die Augen blicken und berühren, ohne dass bei der stummen Betrachterin der Eindruck entstand, es würde unter Zwang geschehen.

Fye wirkte verstört, aber es schien nicht wegen der Nähe des Schwarzhaarigen zu sein, vielmehr hatte Chii das Gefühl, dass er ein wenig ruhiger wurde, wenn er in die Augen seines Gegenübers sah. Und als der größere Mann sich vorlehnte, um noch etwas zu sagen, was offensichtlich nur für die Ohren des Blonden bestimmt gewesen war, schloss dieser für einen Moment die Lieder und verharrte ruhig. Eine Geste von Sicherheit und Vertrauen, die das Mädchen bei ihrem Freund bisher nur selten beobachtet hatte. Denn selbst bei ihr wollte Fye lieber Schutz spenden, als ihn sich zu hohlen.

Dieser Mann war also wirklich so besonders, wie Chii es anfangs schon geglaubt hatte. Wenn selbst Fye, der sonst jedem gegenüber misstrauisch war, bei ihm Geborgenheit zu finden schien...

Was verband die beiden wohl?

„Ich wusste gar nicht, dass Sie Fye kennen.“

Jetzt, als das Mädchen sicher sein konnte, die beiden Männer nicht mehr zu stören, machte sie sich bemerkbar und tat, als würde sie den Raum gerade erst betreten. Der Angesprochene zuckte nur die Schultern.

„Ich wusste auch nicht, dass du ihn kennst. Woher sollte ich auch.“

„Ich wusste generell nicht, das ihr euch kennt!“, warf Fye ein, aber die indirekte Frage wurde übergangen.

„Ich freue mich sehr, dass wir uns noch einmal begegnen. Es war wirklich nett von Ihnen, dass sie mich neulich begleitet haben.“

Der Blonde, der immer noch zu Kuroganes Füßen kniete, horchte interessiert auf, und Chii musste schmunzeln. War das der Grund, warum Fye gerade so durcheinander war? Weil er nicht wusste, warum sie und der schwarzhaarige Mann sich kannten? Vielleicht nicht ganz. Aber sicherlich teilweise.

„Geschenkt.“

„Ich weiß“, schmunzelte das Mädchen, bevor es sich an ihren Mitbewohner wandte. „Ich geh schnell neue Spagetti kaufen, okay? Diese hier können wir wohl nicht mehr benutzen.“

„Chii, warte! Woher...?“

Aber statt eine direkten Antwort auf die verzweifelte Frage zu geben, umarmte sie ihren Freund liebevoll.

„Frag ihn doch einfach, dann kann ich in der Zeit einkaufen gehen.“

Und damit huschte sie aus der Wohnung.
 

Heute war wirklich alles etwas komisch, oder?

Kurogane blickte nachdenklich zur Wohnungstür, die hinter dem Mädchen ins Schloss gefallen war, und seufzte leise. Was für ein Zufall, dass ausgerechnet sie mit Fye zusammenwohnte. So etwas musste man doch beinahe Schicksal nennen. Zumindest war so viel Zufall geradezu rätselhaft.

Aber nicht so rätselhaft wie das seltsame Verhalten des blonden Mannes, der ihn nur vor wenigen Augenblicken noch so verstört angestarrt hatte, wovon jetzt jedoch keine Spur mehr zu finden war. Stattdessen grinste ihn nun wieder diese verschmitzt-neckende Maske eines Lächelns an.

„Also: Woher kennst du Chii?“

„Ich hab sie vor ein paar Tagen auf dem Heimweg im Park getroffen. Auf einem Spielplatz, wenn du es genau wissen willst. Und weil sie so verloren aussah, habe ich sie halt nach Hause gebracht.“

Er würde jetzt nicht weiter nachbohren, was das seltsame Verhalten des Blonden nun schon wieder sollte. Es brachte doch eh nichts, wenn dieser geheimnisvolle Kerl es sich erst einmal in den Kopf gesetzt hatte.

„Du?“

Fassungslos blickte Fye zu ihm auf.

„Kannst du dir nicht vorstellen, was?“, war die bissige, ein wenig eingeschnappte Erwiderung, aber noch bevor Kurogane sich abwenden konnte, griff der Blondschopf nach seiner Hand und hielt ihn fest.

„Kuro-sama...bitte... So war das nicht gemeint.“

Warum zitterten die langen, kühlen Finger so?

„Wie dann?“

„Chii hat mir davon erzählt und ich musste augenblicklich an dich denken. Aber ich hätte nicht gedacht... Danke. Danke, dass du sie sicher heim gebracht hast. Das wollte ich eigentlich sagen.“

Als ob er Angst hätte, sein Gegenüber könnte einfach weggehen, ohne irgendeine Antwort oder wenigstens ein Reaktion zu geben, klammerte er sich fast verzweifelt an die braungebrannte Hand.

Kurogane konnte erneut nur lautlos seufzen.

„Okay, schon gut.“

Und der Tag wurde immer komischer.
 

KLINGLING

„Nii-chan! Ich geh aufmachen!“

Geschwind schlüpfte Tomoyo zwischen den Beinen ihres Vaters hindurch, der fast gestolpert wäre und damit den Stapel Teller auf den Boden geworfen hätte. Augenrollend stellte Kurogane sie auf den Tisch und verteilte sie ordentlich.

Vom Flur her kündigte ein begeistertes „Sakura-chan! Shaolan-kun!“ ihre neuen Besucher an und während die Vierjährige begeistert auf die beiden Neuankömmlinge einredete, balancierte Fye ein Tablett mit Gläsern herbei.

„Sie ist wirklich ein liebes Mädchen.“

Von der Aufgewühltheit des blonden Zauselkopfes war gar nichts mehr zu spüren und er lächelte so vergnügt wie eh und je, während er den Tisch mit fertig deckte und dann ebenfalls in den Flur eilte, um seine Praktikantin und ihren Freund zu begrüßen.

„Schön, dass ihr gekommen seid. Ich war so frei, schon mal was zu kochen, was hier garantiert jeder gern isst!“

„Wetten, ich weiß es. Spaghetti?“

„Hundert Punkte, Sakura-chan!“

„Außerdem duftet der ganze Flur danach!“, lachte ihr Freund Shaolan.

Anscheinend war das etwas, was Fye oft zubereitete, und dass jeder, allen voran Kinder, es mochten, wusste sogar Kurogane. Und zugegeben, die selbstgemachte Soße roch wirklich ziemlich verlockend. Woraus auch immer der Witzbold sie gemacht hatte.

„Kommt, kommt. Wir können gleich essen und nachher plaudern. Ihr kommt nämlich gerade recht.“

„Wir wären auch eher hier gewesen, aber wir haben die richtige Hausnummer nicht gleich gefunden. Hier im Flussviertel gibt es wirklich kein System!“, beschwerte sich Shaolan, doch seine Stimme hatte noch immer den freundlichen, unbeschwerten Ton.

„Das macht das Wohnen hier umso lustiger!“, lachte Fye. „Man kann den Leuten so schön leicht Streiche spielen. – Soll ich dir das abnehmen?“

„Ah, nein, das geht schon“, antwortete der Junge abwehrend.

Was brauchten die da draußen so lange? Langsam wurde Kurogane neugierig, doch das geheimnisvolle Gespräch klärte sich bald auf, denn in diesem Moment betraten die beiden Neuankömmlinge das Wohnzimmer.

„Kurogane-san!“

Sakura war die erste, die ihn entdeckte und auf ihn zulief.

„Es freut mich wirklich sehr, dass Sie sich extra die Zeit nehmen und heute mit uns allen zusammen essen.“

„Mich freut es auch sehr“, schloss Shaolan sich ihr an, bedachte dann den Beutel in seiner linken Hand mit einigen zögerlichen Blicken. „Und...ich weiß, Sie wollten nichts Großartiges, aber Sakura-chan und mir bedeutet das doch sehr viel, daher...“

Er griff in den Beutel hinein und brachte eine verpackte Flasche zum Vorschein.

„Also wir hoffen, Sie mögen Bordeaux, trocken.“, erklärte der Braunhaarige mit einem schiefen Grinsen.

Kurogane stöhnte gequält auf. Die Kinder konnten es einfach nicht lassen! Egal, wie oft man ihnen etwas sagte, sie wollten nicht hören. Mit einem Mal schwankten die Gesichtsausdrücke des Pärchens und sie sahen aus, als glaubten sie, das Falsche geholt zu haben.

„Versteht mich nicht falsch. Ich mag Bordeaux.“

Den mochte er wirklich.

„Aber ich hab euch doch gesagt, dass ich nichts will. Es war nur eine Kleinigkeit, längst vergessen.“

„Uns hat es aber sehr viel bedeutet“, nuschelte Sakura kleinlaut.

Wieder seufzte Kurogane niedergeschlagen. Da konnte er genauso gut versuchen, das einer Wand begreiflich zu machen. Na ja, und außerdem...

„Aber jetzt haben wir den Wein ja schon gekauft. Wir können ihn ja schlecht wieder zurückbringen“, warf Shaolan ein.

Ja, das hatte der Schwarzhaarige sich auch gerade gedacht. Also gut. Dann nahm er ihn eben einfach an und die liebe Seele hatte endlich ihre Ruh. Und als er das begeisterte Leuchten in den Augen der beiden Jugendlichen sah, konnte er ihnen auch nicht mehr böse sein.

Kaum dass Kurogane den Wein sicher weggepackt hatte, hörte man erneut jemanden zur Tür hereinkommen. Chii war mit den neuen Spaghetti zurückgekehrt. Shaolan und Sakura kannten das blonde Mädchen noch nicht und so stellte Fye sie als seine zeitweilige Mitbewohnerin vor. Dann wurden schnell die Nudeln angesetzt, bevor die Soße wieder abgekühlt war, sodass zehn Minuten später mit dem Essen begonnen werden konnte.
 

Weitere zwei Stunden später war alles alle und jeder ausreichend satt und die Gespräche – hauptsächlich zwischen Fye, Shaolan und Sakura – verstummten allmählich.

Fye hatte die Gelegenheit genutzt, seine Praktikantin danach zu fragen, warum sie und Shaolan sich unbedingt bei Kurogane bedanken wollten, doch der Schwarzhaarige hatte nur mit einer wegwischenden Handbewegung erklärt, dass die beiden mal von einem Betrunkenen belästigt worden waren und er ihnen den Kerl vom Leib geschafft hatte, mehr nicht. Keine weltbewegende Sache. Zumindest zu dem Zeitpunkt noch nicht. Aber das mussten keiner der hier Anwesenden wissen. Und er wollte das Thema auch lieber begraben.

„Du, Papi?“, lenkte schließlich Tomoyo alle Aufmerksamkeit auf sich.

Da es schon spät war, hatte sie sich auf dem Schoß ihres Vaters zusammengekuschelt und blinkerte schlaftrunken in die Runde.

„Hätten wir nicht Moko-chan auch was von den Nudeln aufheben sollen?“

„Wem?“

„Unserem Hasen, Kuro-wanko“, half Fye liebenswert aus.

„Ah. Nein, Tomoyo. Karnickel fressen keine Nudeln.“

„Wirklich nicht?“

„Wirklich nicht.“

„Dann ist ja gut.“

Müde vergrub sie das Gesicht im schwarzen T-Shirt ihres Vaters und dämpfte so ihr Gähnen. Für sie war es nach diesem ereignisreichen Tag ganz ohne Mittagsschlaf allerhöchste Zeit, in die Federn zu kommen.

„Chii? Wollen wir der kleinen Tomo-chan nicht eine Weile dein Bett anbieten?“

Das junge Mädchen nickte natürlich sofort und erhob sich. Mit einer kurzen Geste deutete sie Kurogane an, ihr bitte zu folgen, was der fürsorgliche Vater auch gleich tat und seine kleine Tochter, die innerhalb von Minuten in seinen beschützenden Armen eingeschlafen war, schließlich behutsam in das viel zu große Bett legte. Erst nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie wirklich ruhig schlief, kam er wieder zurück zu der geselligen Runde.

Fye ließ sich auch nicht lange bitten ihn aufzuklären, worüber man sich hier gerade so angeregt unterhielt.

„Wir haben gerade überlegt, wer den Abwasch übernehmen muss.“

„Ja und?“

„Nichts ‚ja und’. Wir entscheiden das mit Stein, Schere, Papier. Und nur zu deiner Information, Kuro-rin, wer sich weigert mitzumachen, der MUSS abwaschen!“

Grummelnd gab er Schwarzhaarige sich geschlagen. Warum gab es in dem Haushalt denn keine Spülmaschine? Was waren denn das für Zustände, verdammt?

„Also dann, alle Mann bereit? Also auf drei! Eins, Zwei, Drei!“
 

Vor sich hinknurrend drehte Kurogane den Wasserhahn zu und starrte übellaunig in das Becken voller schmutzigem Geschirr und Spülwasser. Wieso... Er hätte es wissen müssen!

„Kurogane-san?“

Schüchtern kam Chii näher, bis sie bei ihm am Waschbecken stand.

„Ist alles okay? Oder kann ich irgendwie helfen?“

Eigentlich wollte der Schwarzhaarige sie wegscheuchen, besann sich dann aber eines Besseren. Wenn sie schon helfen wollte, warum sollte er ihr es dann verbieten?

„Du kannst abtrocknen, wenn du möchtest.“

„Sehr gern.“

Er kannte wirklich niemanden, der so gern eine Arbeit übernahm – außer der Praktikantin im Kindergarten vielleicht – und der hochgewachsene Mann konnte nur schwach lächeln, als sich das Mädchen ein Geschirrtuch nahm und darauf wartete, dass sie den ersten Teller trockenreiben konnte. Nachdem die Essensreste etwas eingeweicht waren, konnte Kurogane auch endlich mit dem Abwasch beginnen. Bei ihrem andächtigen Schweigen konnte man in der Wohnung jedes kleine Geräusch vernehmen, hauptsächlich das leise Klappern und Rücken im Wohnzimmer, welches von Shaolan und Sakura wieder richtig hergerichtet wurde. Und wo auch immer Fye steckte, wenigstens verhielt er sich ruhig.

Erst nachdem schon die Hälfte des Abwaschs erledigt war, ergriff das blonde Mädchen mit ihrer ruhigen Stimme erneut das Wort, wobei sie zu dem großen Mann aufsah.

„Ich wollte Sie etwas fragen.“

Mit einem knappen Nicken in ihre Richtung deutete der Schwarzhaarige ihr an, dass er zuhörte.

Das Mädchen errötete leicht, lächelte aber glücklich über das Zugeständnis. Auch wenn Kurogane immer so miesepetrig tat, so war er doch im Grunde ein lieber Mensch, das wusste sie einfach.

„Wäre es anmaßend, wenn ich Sie bitten würde, etwas auf Fye-san Acht zu geben?“

„Warum sollte ich?! Bin ich sein Babysitter?“

Erschrocken starrte Kurogane sie an und wusste vor Überraschung gleich gar nichts anderes zu erwidern, als die Bitte rigoros auszuschlagen. Wie kam sie denn überhaupt dazu, so etwas zu fragen?

„Ich dachte nur... Er hat in letzter Zeit ein paar Probleme und braucht jemanden, dem er vertrauen und bei dem er sich mal ausruhen kann.“

„Und was habe ich damit zu tun?“

So, wie sich der blonde Derwisch manchmal aufführte, hatte er mehr als nur „ein paar“ Probleme. Und Kurogane wusste dagegen nur ein Mittel: einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf.

„Ich weiß nicht so genau...aber ich habe das Gefühl, dass Fye Sie mag, dass er Ihnen vertrauen möchte. Sie sind ein sehr netter Mensch, Kurogane-san, auch wenn Sie das meist nicht zeigen wollen. Und er spürt das sicher auch. Alles, worum ich Sie bitten möchte, ist, ihm ein wenig zur Seite zu stehen, wenn es ihm nicht gut geht.“

Verlegen strich sich Chii das Haar aus dem Gesicht und musterte den Teller, den sie regungslos in der Hand hielt. Zwar blickte der Schwarzhaarige sie immer noch aus zweifelnden roten Augen an, aber sie wollte und konnte nun keinen Rückzieher mehr machen. Fye zuliebe.

„Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich möchte ich Sie zu nichts zwingen. Es ist nur... Ich kann Fye-san nicht immer helfen... Ich bin leider nicht der richtige Mensch für ihn. Und es wäre schön, wenn er jemanden hätte, der ihn beschützt, wenn es ihm schlecht geht...“
 

Leise betrat Kurogane das Schlafzimmer und fand seine Tochter noch immer tief schlafend vor, dicht an ihren blonden Kindergärtner gekuschelt, der auf dem Fußboden am Kopfende des Bettes saß, den Oberkörper neben das Kissen gebettet, und ebenfalls ruhig schlief. Zum ersten Mal sah Kurogane ihn mit völlig entspanntem Gesicht. Kein falsches Lachen zerstörte diesen Anblick, stattdessen wirkte er einfach friedlich. Die neutralen, ebenmäßigen Linien waren von einer beinah malerischen Vollkommenheit.

Vorsichtig, um die beiden nicht zu wecken, näherte der Schwarzhaarige sich der Schlafstätte und ließ sich auf der Bettkante nieder. Aber kaum dass er sich gesetzt hatte, fuhr Fye wie ein verschrecktes Tier hoch. Nur aufgrund seiner schnellen Reaktionsfähigkeit konnte er den schlanken Mann festhalten, bevor dieser panisch auf die Beine springen und aus dem Zimmer flüchten konnte.

Tomoyo brummte leise im Schlaf und drehte sich auf die Seite, wachte aber von dem Tumult nicht auf.

Als ob er dem Teufel persönlich gegenüberstand, versuchte der Blonde sich aus seinem Griff zu befreien, und er wand sich so heftig, dass es selbst für Kurogane nicht einfach war, ihn noch länger festzuhalten.

„Hey, ist ja gut. Ich bin’s nur!“

Hatte Chii vielleicht das gemeint, als sie gesagt hatte, dass Fye in letzter Zeit ein paar Probleme hatte und jemanden brauchte, dem er vertrauen und bei dem er sich ausruhen konnte?

„Beruhig dich, verdammt!“

Anscheinend war es der gewohnte Ausdruck, der Fye half, endlich in die Realität zurück zu kommen und augenblicklich erstarb jede Gegenwehr, er sank nur wie ein Häufchen Elend in seiner Ecke am Bettrand zusammen.

„Kuro...gane...?“

„Wieder besser?“

„... Nimm Tomoyo und fahr nach Hause.“

Kurogane streckte die Hand aus und wollte sie behutsam auf die schlanke, heftig zitternde Schulter legen, aber der Blondschopf drehte sich weg und drückt sein Gesicht ins Kissen.

„Bitte!“

„Wie du willst.“

Ohne ein weiteres Wort nahm der verwirrte Vater seine Tochter auf den Arm, die bei der plötzlichen Bewegung verschlafen blinzelte, aber gleich darauf wieder einschlief, dann griff er nach der Decke, um sie Fye notdürftig überzuwerfen. Etwas anderes fiel ihm gegen das Zittern des Blonden in diesem Moment nicht ein. Kurz blieb er noch stehen, aber er wusste selbst, dass er hier nichts mehr tun konnte.

Also ging er, nachdem er sich von Chii und den anderen beiden Jugendlichen, die nun alle im Wohnzimmer versammelt waren, verabschiedet hatte.

Wie sollte man jemandem helfen, der sich nicht helfen lassen wollte?
 

TBC...



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Kommentare zu diesem Kapitel (13)
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Von:  ryuuka
2014-12-26T01:01:50+00:00 26.12.2014 02:01
so langsam kommen wir dem Problem näher *hehe* Mich würde noch interessieren, was die doofe Nachbarin so vor hat, sie wollte ja die Mutter finden und ich sehr an der Hintergrundgeschichte von Kuro-chi und Sakura & Shaolan interessiert, na mal sehen^^
Von:  Eiichi
2008-12-21T08:57:43+00:00 21.12.2008 09:57
Alssooo~~
ich hab mir die Geschichte mal schnell (innerhalb von ner Woche) durchgelesen...
Ich find, dass du einen sehr schönen Schreibstil hast.
Ich würde nur zu gerne wissen, was passiert ist, mit dem Sohn dieser komischen Frau, dass sie Kuro so fertigmacht...
Und wie es zwischen den beiden (Kuro und Fye) weitergeht...
Fye tut mir schon sehr leid, aber er hat ja zum Glück Chii, die gut auf ihn aufpasst.
Den Teil, wo Fye die kleine Tomo beschützt fand ich auch seeehhhr gut!
Und, dass die beiden sich jetzt wieder mit dem kleinen 'Wischmopp' (?) anfreunden is auch eeiiiinnnfsch nuuuur sweeeeet
Fazit: Super-Mega-Klasse-Geschichte, die hoffendlich bald weitergeht!
Von: abgemeldet
2008-12-09T16:07:05+00:00 09.12.2008 17:07
eigentlich ist alles schon gesagt worden glaube ich, aber ich geb trotzdem mal einen kommi ab^^
das kapi ist echt wahnsinnig gut geworden und mit so nieldichen szenen
ich bin echt gespannt wie es weiter geht udn auch gespannt mehr aus der Vergangenheit der beiden zu erfahren >.<

schnell weiter schreiben, das ist meine große bitte^^
liebe grüße
Von: abgemeldet
2008-12-08T17:06:18+00:00 08.12.2008 18:06
Interessant. Jetzt geht es anscheinend richtig los. Ich bin schon gespannt, wie Kurogane mit der neuen Situation umgehen wird. Bitte, bitte schreib ganz schnell weiter.
Von:  Caith21
2008-11-23T21:22:49+00:00 23.11.2008 22:22
Huiiiiiiiiii!!!!! Das ist dir mal wieder voll gelungen.^^
Und Kuro-chi und Fey komme sich deutlich näher Kawaiiii!!^^

Am besten hat mir die Kaffee Szene gefallen, war richtig Niedlich.^^
Und das Kurogane mal gelächelt hat, das hat man ja GANZ selten.^^

Freue mich risig aufs nächste Kapitel.^^
Bis zum nächten mal

Caith21.^^
Chu chu.^^

Von:  BabyTunNinjaDrac
2008-11-17T19:32:51+00:00 17.11.2008 20:32
Graah! Okay, mein Computer hasst mich eindeutig... hier ist also Versuch Nummer vier, ein Kommi zu schreiben xD~
Erstmal: Das ist ein wirklich schönes Kapitel~ Ich finde, man sieht richtig gut, wie sich die Beziehung zwischen Kuro und Fai schon verändert hat <3~ Und man sieht, dass sie sich bald noch mehr verändern wird ^^~
Kommen wir zuerstmal zu méiner Lieblingsszene: Der Kaffeeszene! *__*
Sie war einfach... niedlich. Auf der einen Seite irgendwie typisch Fai, weil er sich über so etwas kleines so sehr gefreut hat, auf der anderen Seite auch irgendwie was Besonderes, weil er KUro für etwas so besonderes hält... einfach schön.
Auch das Einkaufen war echt niedlich... Fais Gedanken~ Er tat mir an manchen Stellen einfach leid, weil er so gar nicht wirklich verstandne hat, was in ihm vorging und wie er sich dann immer mit Tomoyo hat versucht abzulenken... sehr goldig.
Auch das mit der Schokolade fand ich süß... und KUro hat auch irgendwie nichts dagegen unternommen... das war so passend xD~
Was mir auch sehr gut gefällt ist die BItte von Chii - sie macht sich einfach Sorgen um Fai und dass ihr nur Kuro einfällt, der ihm helfen könnte... und Kuros Reaktion ist auch Gold wert xD Aber mal sehen, wie sich das ganze noch entwickelt ^^~
Zudem noch ein aww~ für die Beschreibung des schlafenden Fai am Ende... aber.. hoffentlich kann Kuro ihm wirklich helfen ^^~
*anflausch*

Von: abgemeldet
2008-11-17T17:44:38+00:00 17.11.2008 18:44
huhu ^^°
*auch mal kommi abgeb*
jaa, ich weiß, ich bin spät dran, aber du weißt ja warum, ne? ^^
Und außerdem hab ich´s eh nich so mit langen Kommis xP
Der Anfang vom Kappi war ja schonmal süß, mit der Strafe fürs Zuspätkommen und Tomoyos Erklärung darauf...zu putzig, und der Kaffee erst x33
Also wenn Fye da nicht verknallt ist, dann weiß ich auch nicht~ ^//^
Was mich auch mal interessieren würde ist, was damals für ein Fall war bei Sakura und Shaolan, dass Kurogane ihnen helfen musste *grübel*
Das wird sich ja hoffentlich bald aufklären, ne? ^.~
Von:  Schreiberling
2008-11-17T13:29:10+00:00 17.11.2008 14:29
Hallo Ihr^^
Also ich gebe mal mein Kommi einschließend zu den Kapis, die ich bisher nicht kommentiert habe.^^
Zuerst mal ist es klasse, dass Fye hilft die Angst von Tomoyo zu nehmen, indem er mit Gassi geht. Der Hund ist so süß. Wie seid ihr bloss auf den Namen gekommen? Der Name war mit das beste. Zum Wegschreien, so einen Hund will ich auch.
Aber vor allem dieses Kapi war spitzenklasse. Schon die Standpauke wegen dem zu spät kommen und Kuro, der einfach mal resigniert und so lieb zu seiner Tochter ist. Wie er Tomoyo mit den Wörtern und der Erzählung hilft... Einfach göttlich.
Fye und seine Zartbitterschoki. HIHI Einfach super. Vielleicht kommt Mister Ich-esse-keine-Süßigkeiten doch noch auf den Geschmack.^^
Trotzdem tut Fye mir ein bisschen leid. Er weiß wirklich nicht mehr wo vorne und hinten ist. Es war regelrecht süß, wie er ein bisschen unsicher und eifersüchtig wurde, als Kuro und Chii sich so vertraut angeredet haben. Der arme.
Nudeln vom Boden aufheben ist schrott. Ist mir erst vor ein paar Tagen passiert, weil die Packung hinten offen war und ich es nicht gesehen hatte. Nicht schön. Die Dinger sind - vor allem bei Spagetti- schwer aufzuheben. Grrr
Dafür war es an sich mal schön, wie Fye bei Tomoyo einschläft. Leider war das Aufwachen, dann schwieriger.
Trotzdem hoffe ich, dass Kuro Chiis Bitte nachkommt und es bergauf geht.
VLG


Von:  Pharaonin-chan
2008-11-15T10:28:41+00:00 15.11.2008 11:28
uiii~~~ ist das aufregend....^^

Ich finde deine Geschichte soo~~ niedlich.
*schmunzel*
schreib bitte weiter...ich werde deiner Geschichte treu bleiben.. XD

lg Pharaonin-chan
Von: abgemeldet
2008-11-09T10:22:52+00:00 09.11.2008 11:22
Yuhu!
Ich habe mich so sehr gefreut als ich sah das es ein neues Kapitel gibt udn du hast dein Wort gehalten, es ging schneller voran *lächel*.

Zum Kapitel: Ich fand es schon lesen zu können wie Fyes Maske langsam Bröckelt, auch wenn er am Ende einen Rückzieher macht. Aber es war ein enormer vortschritt!

Aber am aller besten fand ich am Anfag das mit der Kaffetasse die unser Magier an sich genommen hat. Es war schon fast Zärtlich mit zulesen wie hingebungsvoll er diese Tasse immer wider an sich nimmt, um dann doch, nach dem Probieren, etwas erschaudert.

Ich kann dir also widermal nur meine besten und Herzlichsten Glückwünsche aussprechen für den Schreibstil und die Geschichte an sich!

In freudiger erwartung
Welpenherz


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