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100% Sorglospunks!

von

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Gut gemeint = gut?

Für Nifen.
 

Gut gemeint = gut?
 

Eine kranke Muse war nie ein Grund zur Freude im Hause Sorglospunks. Noch weniger war dies der Fall, wenn es draußen mehr als 30°C im Schatten waren und eine schlechtgelaunte Muse mit einer Kanne Kamillentee, einer großen Flasche Wasser, einer Ladung Tabletten, einem Haufen Taschentücher, einem Ventilator und viel Husten und Schniefen auf dem Sofa hockte.

„Habt ihr die Glücksbärchis schon laufen lassen?“, fragte Jack, das temporäre Bandgenie, leise ihre Zwillingsschwester. Easy nickte und ihr kurzer, dunkelbrauner Pferdeschwanz wippte bei der Bewegung auf und ab.

„Direkt als erstes. Aber es hilft nichts! Sie ist immer noch mies drauf und ihr geht es nicht gerade besser...“ Die quirlige Sängerin schüttelte sorgenvoll den Kopf.

„Und jetzt?“, klinkte sich Chris ein und spähte neben den Schwestern durch die Wohnzimmertür Richtung Sofa. Von dort hörte man leises Schniefen, dann ein kräftiges Husten und ein dumpfes „Ich hasse es!“

„Disney. Rauf und runter.“ Easy hob die Schultern. „Und hoffen, dass es ihr bald besser geht.“

„Oh Mann, so schlecht ist sie ja sonst nie drauf, wenn sie krank ist...“, seufzte Jack. Sie strich sich über den festen Dutt, zu dem sie heute ihre dunklen Haare hochgesteckt hatte. Immerhin war es schweinewarm und dann waren warme Haare im Nacken wirklich einfach nur eklig.

„Na, sie ist ja auch nicht nur krank“, mischte sich die Bandmanagerin Nifen ein, die das Gespräch ihrer drei Schützlinge gehört hatte. „Da ist noch diese männliche Muse aus ihren wöchentlichen Inspirationstrainings und...“

„Oh. Verliebt.“ Jack zog die Augenbrauen hoch und Easy machte große Augen, dann quietschte sie: „Wie schööööön!“

„Schön?“ Chris, dank Umeko äußerst erfahren, was die tiefen Krisen der Verliebtheit anging, schnitt eine Grimasse. „In welcher Phase ist sie? Doch wenigstens Phase 2, oder?“ Wissend strich er sich über seinen kurz geschorenen, dunklen Kinnbart.

„Phase?“, echoten Jack und Easy.

„Nun, Phase 1 ist die selige Verliebtheit mit viel Glück und so. Ich würde mal sagen, das haben wir nicht. Eher Phase 2, die tiefe Krise mit Verzweiflung, Zweifeln, Vermissen und irriger Hoffnung wider aller Hoffnung. Phase 3 ist dann wahlweise die glückliche Erfüllung, die dann in Liebe übergeht, oder aber das Scheitern und die noch tiefere Krise mit Heulkrämpfen, Herz rausreißen und so.“

„...also, mir macht das Angst!“, entfuhr es Easy. „Wenn das so weitergeht...“

„Ich sehe unsere neuen ungeschriebenen Songs alle verschwinden...“, murmelte Jack.

„Und Abranka noch mehr leiden“, fügte Easy mit einem vorwurfsvollen Blick Richtung Schwester hinzu.

„Nun, wir können ihr dabei wohl kaum helfen“, stellte Nifen trocken fest. „Nur zuhören und so.“

„Pöh! Wir sind Sorglospunks! Wir können alles!“, rief Easy empört aus.

„Genau!“, schloss sich Chris an, der ein gewisses Mitgefühl mit der Bandmuse verspürte und wusste, dass er bei Umeko unheimlich punkten würde, wenn er sich so ritterlich und einfühlsam verhielt.

„Wird nicht einfach, aber...“ Jack zog die Nase kraus und heckte offenbar schon einen Plan aus.

„Ihr spinnt doch“, sagte Nifen und schüttelte den Kopf. „Ich rufe lieber mal die Glücksbärchis an und bitte um einen heilenden Besuch. Vielleicht auch für eure geistige Gesundheit.“

Und während Nifen die Sorglospunks an der Tür zum Wohnzimmer zurückließ, hatte Jack bereits die rudimentäre Idee eines Plans.

„Wir müssen zum Olymp und diese männliche Muse erst einmal ausfindig machen!“

„Und wie willst du das tun?“, fragte Chris, dem ein Hauch von Zweifel kam.

„Der WWWB-Markt. Da hat‘s doch den Fahrstuhl nach überall“, winkte Easy lässig ab.

„Und woher willst du wissen, welche Muse das ist?“

„Na, Hippokrene ist doch diejenigen, die das ganze Musenbüro organisiert und die wird Listen haben, wer mit Abranka zum Inspirationstraining geht – und da finden wir das heraus.“ Jack grinste, als wenn das das einfachste von der Welt wäre. Abranka hatte schließlich oft genug über Hippokrene, die das Musenbüro im Auftrag von Apollo leitete, geflucht. Immerhin hatte die Gute mittlerweile schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel und sich im Laufe der Zeit zu einem richtigen Drachen entwickelt. Aber Jack hegte keinen Zweifel daran, dass sie mit einer großen Portion Sorglospunks-Charme doch alles erreichen konnten, was sie wollten.

„Aufi!“, rief Easy aus und stürmte Richtung Wohnungstür. Damit war die Wahl getroffen – sie würden diese Mission angehen!
 

Nifen schaute dem chaotischen Haufen nach, der gerade in die Affenhitze des Sommers verschwand, und entschied sich, nichts zu tun, um sie daran zu hindern. Sollten sie sich doch lieber so beschäftigen, anstatt hier herumzulungern, über die Hitze und Abranka zu stöhnen und ihr auf den Keks zu gehen. Schließlich war auch einer Bandmanagerin mal warm. Und auch eine Bandmanagerin konnte auch mal absolut nicht danach sein, sich mit ihren nervigen Schützlingen zu befassen, insbesondere, wenn es a) unerträglich warm war, b) eine äußerst quengelige Muse auf der Couch hockte und sich im Disney-Panorama einlullen ließ und c) sie einfach auch mal ihre Ruhe haben wollte. Und so lange der Disney-Nachschub im Wohnzimmer nicht abriss, hatte sie daran gerade wenig Zweifel.

„Ah, hallo Schmusebärchi“, sagte sie ins Telefon und lächelte, denn Lächeln konnte man schließlich am anderen Ende der Leitung hören. Das Telefon zwischen Kinn und Schulter geklemmt telefonierte sie mit dem Glücksbärchi Nummer eins, der ihr hoffentlich bald Rettung vor der kranken Muse bescherte, und zwirbelte gleichzeitig ihren blonden Pferdeschwanz, um ihn dann mit Hilfe von zwei Kulis hochzustecken.
 

Die Ecke des Olymps, in dem sich das Musenbüro befand, sah etwas anders aus, als die drei Sorglospunks auf Mission erwartet hatten. Hier bestand nicht alles aus Wolken und irgendwie sah das hier eher wie eine Kulisse aus einem Hollywoodfilm aus. Ihr Ziel war ein hübsches griechisches Herrenhaus, an dem das große Schild ‚Musenbüro‘ prangte, knapp darunter hing noch ein ‚Stellen frei – bewerben Sie sich noch heute!‘.

„Na, aufi!“, jubelte Easy und stürmte durch die Tür. Chris und Jack folgten ihr wesentlich verhaltener. Insbesondere Chris begann langsam zu grübeln, ob sie Abranka mit einem Auftritt hier oben wirklich einen so großen Gefallen tun würden. Er stellte sich vor, was gewesen wäre, wenn Easy und Jack bei Umekos Arbeitgeber aufgelaufen wären, und gruselte sich. Allerdings sah er auch die Ausweglosigkeit, die beiden Zwillingsschwestern von ihrer Mission abzubringen – also blieb nur eins: Schadensbegrenzung!

Eine ältliche Dame mit Lesebrille auf der Nase, einem kunstvollen Dutt und einer schicken Toga saß an dem Empfangstresen. Das Namensschild verriet ihnen, dass sie Hippokrene jetzt schon gefunden hatten.

„Hallo Hippokrene“, krähte Easy. „Wir sind für Abranka hier und...“

Hippokrene räusperte sich auf eine Art und Weise, die sogar Easy die Sprache verschlug, und sagte mit herablassender Stimme: „Sorglospunks. Easy, Jack, Chris“ – sie deutete mit ihrer Schreibfeder auf denjenigen, dessen Namen sie nannte – „Schützlinge von Abranka und trotz Übersinnlichkeitsbonus nicht berechtigt, den Olymp zu betreten. Nennt mir einen guten Grund, nicht die Wache zu rufen.“ Ihr Lächeln erinnerte an das Lächeln eines Krokodils, das sich auf eine gute Mahlzeit freut.

Schlagartig wussten alle drei Sorglospunks, warum Abranka so oft über Hippokrene fluchte. Mit dieser Dame war offenbar überhaupt nicht gut Kirschen essen.

„Äh, also... Abranka ist krank und...“, begann Jack.

„Ich weiß. Sie hat sich bereits für ihre Trainings abgemeldet.“ Hippokrene bedachte die drei Eindringlinge mit einem unfreundlichen Blick über ihren Brillenrand.

„Ja, aber...“, setzte Easy an und wurde durch Chris unterbrochen: „Wir wollen ihr eine Freude machen – da ist jemand in ihrem Trainingskurs, über dessen Besuch sie sich sehr freuen würde und den wollen wir einladen. Damit sie schneller gesund wird. Dann ist sie auch schneller wieder aktiv und macht ihnen weniger Scherereien. Denn ich wette doch, ihre Zahlen stimmen durch einen Musenausfall erst einmal nicht, was? Und der gute Apollo mag es sicher gar nicht, wenn die Inspirationskurve auf der Erde deutlich zurückgeht. Na ja, und wir wissen doch alle, dass Abranka bei uns – und besonders bei Easy – eine absolute Meisterleistung vollbringt.“ Chris stützte sich lässig auf die Theke und schenkte Hippokrene einen herzerweichenden Dackelblick, den er sonst nur Umeko gegenüber anwandte, wenn er großen Mist gebaut hatten.

Hippokrene erwiderte den Blick des jungen Mannes ungerührt und drückte eine Taste auf ihrer Sprechanlage.

„Die Garde bitte ins Musenbüro. Wir haben ungebetene Gäste von der Erde.“ Ihre Stimme war kalt.

„Los, raus hier!“, rief Easy ängstlich und stürmte zur Tür. Jack und Chris folgten ihr eilig, denn wirklich große Lust, die Wache kennenzulernen, hatten sie alle nicht.

Im Schweinsgalopp ging es zum Aufzug zurück. In der Sicherheit der Kabine zog Jack ein Pergament hervor. „Super Ablenkungsmanöver, Chris. Ich hab die Kursliste.“ Sie grinste breit, während sie auf Easys Gesicht ein freudiges Strahlen und auf Chris‘ abgrundtiefes Entsetzen breit machte. Es ging also noch weiter...
 

Geduldig hörte Nifen zu, wie Abranka jammerte und von ihrem Angebeteten erzählte.

„Und dann hat er gesagt blablablablabla... und dann habe ich gesagt blablabalabla... Und dann hat er gemacht blablablabla... und dann habe ich gemacht blablablablabla... blablablabla blablablabla... Was meinst du, wie kann man das interpretieren?“

Und wenn Nifen die hoffnungsvollen Augen der Bandmuse sah, konnte sie kaum anders, als sich doch Zeit für die ewig gleichen Geschichten nehmen und ihr so viel Mut machen, wie der gesunde Menschenverstand zuließ. Gleichzeitig sehnte sie sich zugegebenermaßen nach dem gemütlichen Liegestuhl, den sie im Keller aufgestellt hatte. Ihr aktuelles Buch und den MP3-Player mit ihrer ganzen Ace of Base-CD-Sammlung hatte sie auch schon bereit gelegt. Und sobald Abrankas kurze Aufmerksamkeitsspanne wieder von ihrem angebeteten Musenmann zum nächsten Disney-Film wanderte, würde sie sich die nächste Stunde in den Keller verdrücken. Sie hoffte nur, dass die Glücksbärchis möglichst bald auftauchten.
 

„Also... Wie heißt ihr Angebeteter noch?“, fragte Jack, die bei Abrankas Gejammer die meiste Zeit auf Durchzug gestellt hatte. Immer war sie Easys Schwester und entsprechend auf eine möglichst gute Überlebensstrategie bei akutem Gequengel gepolt.

„Äh... Irgendwas mit T...“, murmelte Easy und machte große Augen. „Gibt es Namen mit T?“

„Ja, drei.“Jack nickte. „Dann besuchen wir eben alle drei.“

„Seid ihr sicher? Ich mein, wenn wir bei dem Falschen aufschlagen – damit machen wir Abranka kaum eine Freude...“

„Stimmt.“ Jack legte die Stirn in Falten. „Wir können ja vorsichtig vorfühlen.“

„Und sowieso können wir feststellen, ob dieser Kerl unsere Muse überhaupt verdient hat“, sagte Easy entschlossen.

Jack nickte. Das war eine gute Idee.

Chris‘ neigte den Kopf vorsichtig und bereitete sich innerlich auf ein akutes Donnerwetter vor, wenn sie wieder zu Hause waren.

„Okay... Thedrem heißt der erste. Er arbeitet in... Möp.“ Jack seufzte.

„Wo arbeitet er denn?“, fragte Chris hoffnungsvoll nach. Wenn dieser Ort zu schwer zu erreichen war, dann würden sie das ganze Vorhaben vielleicht doch noch abblasen...

„...Hamburg... Und Bahntickets sind so teuer. Und das dauert. Und ein Auto leihen ist auch teuer und...“, ratterte Jack die Schwierigkeiten runter, sodass Chris noch mehr Hoffnung schöpfte – doch Easy machte sie wirkungsvoll zunichte.

„Hey, ist doch voll einfach: Chi hat doch nen Superteufelsturboaufzug, der sie an jeden Ort der Welt bringen kann. Für dann, wenn es noch schneller gehen muss als mit Baby. Wir schleichen uns einfach in den Aufzug und fertig!“ Hinter dem liebevollen Kosenamen Chi verbarg sich niemand anderes als Chibichi, der Teufel höchst persönlich und eine sehr gute Freundin der Sorglospunks.

„Super!“ Jack strahlte ihre Schwester an. Manchmal teilten sie sich eben doch die Rolle des Bandgenies.

„Äh.... und die Wachen? Ihr wisst schon – groß, Hörner, Flügel, ziemlich schlechter Atem und noch schlechtere Laune?“ Chris machte seinen Einwurf vorsichtig und ihm war sein Unbehagen mehr als deutlich anzusehen.

„Ist doch Pippifax, wo wir grad den Wächtern des Olymp entkommen sind“, winkte Easy ab.

Damit war es beschlossen. Der Fahrstuhl fuhr hinab in die Hölle.
 

Leise huschten drei Sorglospunks den mit dicken Teppichen ausgelegtem Tunnel entlang. Das flackernde Licht knöcherner Lampen erhellte den Weg. Sie waren offenbar direkt in einem Flügel von Chibichis Höllenpalast gelandet.

„Boah, wir sollten ihr ein paar Hell-o-Kitty-Lampen schenken“, murmelte Jack mit Blick auf die Lampen. „Die Dinger gehen ja mal gar nicht. Und der Teppich erst!“

„Sicher ne Idee von Luzifer.“ Easy sollte die Augen. Es war ja bekannt, dass Chi und Luzifer nicht gerade gut aufeinander zu sprechen waren und Luzifer regelmäßig irgendwelche Putschversuche startete. Die Sorglospunks waren sich recht sicher, dass Chi Luzifer sowieso nur noch nicht aus der Hölle geworfen hatte, weil er a) unterhaltsam war, sie b) aufmerksam und fit hielt und sie ihn c) somit viel besser im Blick hatte. Chibichi war schließlich mit allen Wassern gewaschen: Sie war der Teufel.

„Die auch?“, quietschte Chris entsetzt, als zwei Wächter um die Ecke bogen. Sie rugen gold-schwarze Rüstungen, hatten dunkelrote Haut, die sich über gewaltigen Muskelbergen spann, schwarze Fledermausflügel, schwarze Hörner und einen sehr, sehr bösen Blick, als eben dieser auf die drei Eindringlinge fiel.

„Wah!!!“ Easy kreischte als erste los, wandte sich um und rannte. Chris schaffte die 180°-Drehung in neuer Rekordzeit und sparte sich ebenso wie Jack das Kreischen, um mehr Luft zum Rennen zu haben.

Dumpf dröhnte der Boden, als die beiden Wachen ihnen nachjagten.

„Habt ihr die Schwerter gesehen?“, fragte Easy keuchend. „Die haben gebrannt!!!“

„Red nicht, renn!“, wies ihre Schwester sie zurecht und bog um die nächste Ecke.

„Links!“, kreischte Chris und synchron bogen die Sorglospunks bei der nächsten Kreuzung in den linken Gang ab, dann in den rechten, noch mal rechts, wieder links, zweimal geradeaus.

In der Zwischenzeit hatte sich die Horde, die sie verfolgte auf sechs Wächter vergrößert. Wenigstens waren es noch sechs gewesen, als Easy das letzte Mal gewagt hatte, über die Schulter zu sehen. Seither war auch sie viel zu sehr damit beschäftigt zu rennen und das konnte man nun mal am besten, wenn man nicht nach hinten schaute.

„Da vorne!“, keuchte Chris und deutete auf eine große, dunkelpinke Tür, auf der ein großes Hell-o-Kitty abgebildet war.

„Chiiiiiii!“, legte Easy all ihr Entsetzen in den Aufschrei, als sie zu dritt durch die Tür stürmten, über schwarzen Mamor-Boden mit pinken Katzenpfoten-Applikationen rutschten, eine vollkommen entsetzte Sekretärin zum Aufspringen brachten, die goldene Tür mit der Augenklappen-Hell-o-Kitty sahen, hinter der sich der Superteufelsturboaufzug verbarg, und genau darauf zustürmten.

„Stehenbleiben!“, kreischte die entsetzte Sekretärin. „Das ist nur für den Teufel höchstpersönlich! Zutritt verboten!“

Acht Höllenwächter donnerten durch die Tür und die drei Sorglospunks entschieden, dass jetzt wirklich keine Zeit war, noch darauf zu warten, dass Chibichi eingriff und ihnen den Hals rettet – wer wusste schon, ob sie überhaupt da war? – und so stürzten sie sich in den Fahrstuhl und Jack brüllte: „Hamburg! Turbomäßig, hopphopp!“

Die Aufzugtüren schlossen sich gerade noch rechtzeitig. Ein Flammenschwert wurde mit einem enttäuschten Knurren kurz vor Zusammenknallen der Türen zurückgezogen und dann sausten sie schon in Richtung Erde.

Was sie nicht mehr hörten, war die zornige Stimme Chibichis, als sie aus ihrem Büro trat und lautstark brüllte: „Was ist hier los?“
 

Nifen schaltete kurz die Musik aus und lauschte auf das ausgeliehene Babyfon. Während sie hier unten im kühlen Keller saß, konnte sie damit gleichzeitig überwachen, ob die kranke Bandmuse oben im Wohnzimmer irgendetwas Komisches anstellte. Gott sei Dank war das gerade nicht der Fall. Sie konnte unverkennbar den Toy Story-Song ‚Du hast nen Freund in mir‘ hören und das leise röchelnde Schnarchen einer schlafenden kranken Muse.

Beruhigt stellte sie die Musik wieder an und vertiefte sich erneut in ihr Buch.
 

„Und wo müssen wir hier hin?“, fragte Easy, als sie aus einer unscheinbaren Tür in der Nähe der Landungsbrücken traten.

„Äh... Wir halten die Augen offen nach einer Wolke mit jemandem drauf?“, entgegnete Jack.

„Musen sind aber nur sichtbar, wenn sie sichtbar sein wollen“, murmelte Chris und verdrehte die Augen.

„Warum sagst du das erst jetzt???“

„Na ja...“ Er hob die Schultern und schaute die Zwillinge unschuldig an, die ihn gerade beide böse anfunkelten.

In dem Moment ging Easys Handy.

„Chiiii!“, quietschte sie glücklich in den Hörer.

„Hey, was war denn bitte hier unten los?“, erkundigte sich der Teufel und bekam von Easy eine kurze Zusammenfassung.

„Und wir wollten ja reinschauen, aber die Horde hinter uns war doch ein bisschen zu flink, also sind wir gleich in den Fahrstuhl und ab nach Hamburg. Und jetzt stehen wir hier und haben keine Ahnung, wie wir hier die richtige Muse finden sollen.“

„Mhm... Okay, ich schicke euch einen Boten mit drei Übersinnlichkeitsbrillen und einem Hell-o-Pad. Das brauche ich aber wieder zurück. Die Dinger sind noch in der Testphase und ich will nicht, dass euch der Schwefelakku noch um die Ohren fliegt. Das Hell-o-Pad darf aber nur Jack benutzen, klar?“

„Versprochen!“, flötete Easy begeistert.

„Okay. Und bitte schickt Murphy dann weiter zu seinem nächsten Job. Nicht, dass er euch noch Ärger macht.“

„Auch versprochen!“

Und dann setzten sich die drei Sorglospunks auf eine Bank und warteten geduldig darauf, dass Murphy mit einem Sack in der Schnauze und reichlich saurer Miene bei ihnen auftauchte.

„Danke, Murphy!“, strahlte Jack den Kater an. Chris bedankte sich ebenfalls höflich und Easy knuddelte den geflügelten Dämonenkater in einem Anfall kindlichen Leichtsinns kräftig durch.

Murphy schnaufte empört. Dieses Mädel wusste doch, wer er war! Was fiel ihr eigentlich ein? Hm, hatten die drei nicht so eine hübsche Katze namens Kiwi? Ja, er musste doch eindeutig noch einmal das Hause Sorglospunks besuchen... Immerhin war die nervige Knuddelperson gerade nicht zu Hause.

Mit einem dämonischen Grinsen auf dem Gesicht wand er sich aus Easys Armen und machte sich auf den Weg.

„Denkt an deinen nächsten Auftrag!“, rief Jack ihm noch hinterher, doch das waren Worte, die er geflissentlich ignorierte. Immerhin war er Murphy.

„Okay, also...“ Jack tippte auf dem Hell-o-Pad rum und begriff sehr schnell, wie es funktioniert. Dann scrollte sie durch das Musenverzeichnis und fand die männliche Muse, die sie hier in Hamburg finden wollten: Thedrem.

Himmel, das Ding besaß sogar eine aktuelle Aufenthaltsanzeige! Ob das so legal war? Vermutlich würden Rauschebart und Olymp Gift und Galle spucken, sobald sie davon erfuhren. Aber andererseits... vielleicht hatten die ja auch etwas Vergleichbares. Jack zuckte die Achseln.

„Er ist im World of Coffee!“

„Kaffee! Aufi!“, jubelte Easy und sofort machten sich die drei Sorglospunks auf den Weg.
 

Im World of Coffee hatten sie – nach einer ausgiebigen Kaffeebestellung – die gesuchte Muse schnell entdeckt. Er hockte neben einem Hobbyzeichner auf seiner Wolke und betrachtete recht gelangweilt die Umgebung. Sein Schützling zeichnete sehr fleißig das Innere des gemütlichen Raumes und machte seine Muse gerade recht überflüssig.

Jack pfiff durch die Szene und als Thedrem aufblickte, winkte sie ihn zu sich.

Verwunderte folgte die männliche Muse der Aufforderung.

„Hallo... Wer seid und ihr warum könnt ihr mich sehen?“ Thedrem hatte kurze schwarze Locken, stechende schwarze Augen und trug stilecht Toga und Sandalen.

„Wir sind die Sorglospunks und die Schützlinge von Abranka“, strahlte Easy ihn und lächelte ihr perfektes entwaffnendes Lächeln. Der Name bewirkte sogleich Erkennen auf Thedrems Gesicht.

„Und sehen können wir dich wegen der schicken Brillen.“ Easy deutete auf ihre Nase. „Klar soweit?“

„Klar.“ Thedrem grinste sie charmant an. „Und warum seid ihr hier?“

„Nun, Abranka ist ja eine Freundin von uns und wir dachten, wir schauen uns mal an, mit wem sie so bei ihren Trainings abhängt.“ Easy zwinkerte ihm plump zu, was er jedoch direkt als Flirtversuch auffasste.

„Und, was denkst du?“ Thedrem hängte legte die Beine über den Rand seiner Wolke und beugte sich vor. Ein Goldkettchen blitzte unter dem Ausschnitt seiner Toga auf.

Chris zog eine Grimasse. Irgendwie begann das gerade peinlich zu werden.

„Nun ja... Du wirkst ganz nett.“ Easy strahlte ihn noch immer an und merkte nicht, dass da gerade ein Südländer in Flirtmodus gewechselt war.

Jack schlug die Hand vor die Stirn und stöhnte leise auf. Das war auf keinen Fall jemand, auf den Abranka ein Auge geworfen hatte!

Und während Thedrem Easy über sein anforderungsreiches Dasein als Muse eines Zeichners berichtete und schließlich ihre Hand ergriff, schnappte sich Jack das Hell-o-Pad, um die nächste Muse auszumachen.

„Thadas, Tokio, Japan.“

„Wir brauchen wieder den Fahrstuhl“, stellte Chris trocken fest.

„Exakt.“ Jack grinste. „Und wir sollten Easy mitnehmen, ehe sie noch verheiratet ist...“ Sie warf einen Blick zu ihrer Zwillingsschwester hinüber, die jetzt gerade kapiert hatte, dass sie akut angeflirtet wurde und in Panikmodus verfiel.

„Easy? Wir müssen los!“, rief Jack mit einem süffisanten Unterton.

„Oh, yeah! Sorry.“ Ein hektisches Lächeln in Richtung Thedrem, dann riss sie ihre Hand los und warf noch ein knappes „War nett dich kennenzulernen!“ über die Schulter zurück und stürmte den anderen hinterher.
 

Im heimischen Schwabenland hörte Nifen ihren Namen deutlich aus dem Babyfon und machte sich auf den Weg nach oben.

Abranka hatte den Toy Story-Ausflug beendet und kämpfte nun mit einer reichlich anhänglichen Kiwi. Das katzige Bandmaskottchen war eigentlich hauptsächlich dann aufdringlich, wenn sie fand, dass es endlich Zeit für etwas zu Fressen war. Nur sah Abranka es gerade dummerweise überhaupt nicht ein, diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstehen zu wollen.

Und Kiwi wollte ihren genialen Felinopyximatic 2000 nur ungern benutzen, um sich selbst eine Dose Katzenfutter zu öffnen, wenn irgendjemand zu Hause war. Immerhin wusste man ja nie, ob man dabei nicht doch erwischt wurde – und dieses Gerät und sein Betreiben erklären zu wollen, war wirklich nichts, was Kiwi anstrebte.

Erfreulicherweise erbarmte sich Nifen und rief die Bandkatze mit einem kurzen „Komm, Kiwi!“ in die Küche, wo es dann endlich etwas zu Fressen gab. Dann setzte Nifen noch eine Kanne Tee für die kranke Bandmuse auf, versorgte sie damit, hörte sich ihr Ich-bin-krank-Gejammer noch eine Weile an und als es in die nächste Disney-Runde ging, verdrückte sie sich wieder aus der heißen Wohnung in den kühlen Keller.
 

Tokio war wirklich erschlagend. Die Menge an bunter Lichtreklame und Menschen sorgte dafür, dass die drei Sorglospunks die Kinnladen herunterklappten. Sie hatten zwar schon viel erlebt, aber das hier war doch eine ganz andere Nummer.

„Oh Gott. Wie sollen wir uns nur hier zurechtfinden?“, jammerte Easy und schlug die Hände vors Gesicht.

„Sollen wir nicht vielleicht doch nach Hause gehen?“, fragte Chris vorsichtig. Vielleicht konnte man ja hier die Katastrophe nach dem ersten peinlichen Auftritt noch etwas Eingrenzen.

„Quatsch“, rief Jack großspurig. „Wir haben doch das Hell-o-Pad. Damit wird es ein Kinderspiel diesen Thadas zu finden.“ Übermütig tippte sie auf dem neuen Spielzeug herum und rief dann: „Shibuya. Ein Einkaufszentrum. Wir folgen einfach hier dem Ding.“ Sie hielt das Hell-o-Pad in die Höhe und grinste siegessicher. „Das hat sogar eine Wegweiserfunktion und kann uns Japanisch übersetzen!“

Einen akuten Kulturschock durch die japanische U-Bahn später hatten sie das richtige Einkaufszentrum in dem Tokioter Vergnügungsviertel Shibuya erreicht.

„Und wo ist er?“, fragte Chris. Die Enge in der U-Bahn war zu viel für ihn gewesen und er sehnte sich gerade am allermeisten nach einem Liegestuhl im Garten. Am besten unter dem Baum, direkt neben dem Teich. Damit er zwischendurch die Füße in das kühle Nass stecken und die Fische etwas erschrecken konnte. Ja, das wäre wirklich großartig. Und was tat er stattdessen? Er war am anderen Ende der Welt mit zwei Verrückten unterwegs. Stumm schlug er die Hand vor die Stirn und hoffte, dass er nie wieder so eine dumme Entscheidung treffen würde. Vielleicht konnte er sich ja absetzen und Umeko besuchen...

Jack packte ihn am Arm und zerrte ihn mit. So viel zu seinen Fluchtgedanken. Wahrscheinlich hatte sie sie gewittert.

„Da vorne!“ Jack zeigte in Richtung Bühne, die sich über dem ganzen Gedränge an Teenagern erhob und auf der ein junges Mädchen mit pinkfarbenen Haaren einen belanglosen Popsong trällerte.

Direkt daneben schwebte eine sichtlich gelangweilte männliche Muse auf ihrer Wolke. Er hatte kurze schwarze Haare mit rotgefärbten Spitzen, hellblaue Augen und trug einen aufwändig gemusterten Yukata mit roten Drachen auf schwarzem Grund. Sein ganzes Styling biss sich unglaublich mit dem seines Schützlings, der nach rosafarbenem Bonbonpapier aussah – und das nicht nur von den Haaren her. Wie den drei Sorglospunks sofort auffiel, passte Abranka immer zu ihnen – aber das mochte vielleicht auch an dem generell durchgeknallten, universellen und bunten Stil der Sorglospunks liegen.

„Brauchen wir mit dem überhaupt zu reden?“, murmelte Chris leise. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Abranka an so einem Kerl gefallen fand.

„Klar. Sieht doch fesch aus.“ Jack grinste breit, pfiff auf zwei Fingern und winkte Thadas zu. Da sich dieser im Unsichtbarkeitsmodus befand, war er natürlich neugierig, wie die drei Europäer ihn entdecken konnten und flog – betont langsam und noch immer demonstrativ gelangweilt zu ihnen herüber.

„Konichiwa.“

„Ja, dir auch.“ Easy konnte diesen Kerl auf Anhieb nicht leiden und beschloss, dass er niemals gut genug für Abranka war.

„Ignorier sie.“ Jack strahlte Thadas an. „Hi. Ich bin Jack, das sind Easy und Chris und wir gehören zu den Sorglospunks und sind die Schützlinge von Abranka.“

„Ah, Abranka. Ich erinnere mich an sie.“ Thadas nickte, doch seine Miene verriet nicht, ob es sich um positive oder negative Erinnerungen handelte, vielleicht waren es auch neutrale.

„Nun, also...“, fing Jack an zu plaudern, während sich Easy zu Chris zurückzog.

„Ich mag ihn nicht. Abranka soll ihn auch nicht mögen. Sie hat was viel Besseres verdient, als diesen selbstverliebten Kerl, der sich absolut nicht für seinen Schützling interessiert“, raunte sie leise.

Chris nickte nur. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Abranka auch nur auf die Idee kam, diesen Typen zu mögen, nur weil er ‚fesch‘ aussah.

„Jahack!“, rief Easy energisch. „Wir müssen lohos!“

„Einen Moment nur!“ Jack winkte entnervt ab und strahlte Thadas nur noch mehr an.

„Jahack! Wenn du nicht kommst, geh ich Umeko besuchen!“, knurrte Chris genervt. Die Drohung wirkte. Denn Jack wusste nur zu gut, dass Chris dann für die nächsten Woche nicht freiwillig ins Schwabenländle zurückkommen würde.

„Sorry.“ Sie strahlte Thadas an. „Ich muss los.“

Entnervt starrte sie ihre Bandkollegen an, während Thadas – noch immer demonstrativ gelangweilt – zu seinem Schützling zurückflog und ihr tanzendes Gehopse mit halbem Auge verfolgte.

„Na, wohin als nächstes?“, fragte Easy quietschvergnügt.

„Woher wollt ihr wissen, dass das nicht der Richtige war?“, knurrte Jack.

„Intuition.“ Chris zuckte mit den Schultern.

Und Easy fügte süffisant hinzu: „Bandmehrheit. Zwei Stimmen gegen eine. Wohin geht‘s als nächstes?“
 

Derweil hatte im Schwabenland Nifen eine weitere Runde Aufbauarbeit geleistet und Abranka in ihren glücklichen Nachmittagsschlaf geschickt. Der würde hoffentlich eine Weile dauern. Ansonsten würde sie doch noch mal bei Schmusebärchi anrufen und auf einen ganz dringenden Notfalleinsatz bestehen.
 

„USA... Warum bitte die USA?“, stöhnte Chris. „Wir reisen hier durch die halbe Welt!“

„Na und? Ist doch cool!“ Easy strahlte und schaute sich um. Sie standen auf der Hauptstraße einer winzigen Stadt irgendwo mitten in Kansas. Jenseits des knappen Dutzends Häuser gab es nichts als Felder. „Den Teufelsaufzug könnten wir auch für eine coole Promotiontour nutzen. Dann können wir überall spielen, ohne dass es extra kompliziert wird. Ist doch super!“

Jack zog eine Augenbraue hoch. Irgendwie hatte sie so das Gefühl, dass in der Hölle gerade wegen ihnen eh die sprichwörtliche Hölle los war und der Superteufelsturboaufzug ihnen nicht mehr allzu lange zur Verfügung stehen würde. Chibichi mochte zwar der Teufel und Oberboss der Hölle sein – aber dummerweise gab es da diesen gigantischen Verwaltungsapparat, der ihr immer ziemlich auf den Keks gehen konnte. Und ihr Erzfeind Luzifer hatte in eben diesen Verwaltungsapparat ziemlich viele gute Kontakte und würde sicher alle Strippen ziehen, um den Sorglospunks – und damit Chi – das Leben so schwer wie möglich zu machen.

„Also, wo steckt dieser Toradyn?“, fragte Chris und hoffte, dass sie bald wie möglich die Kurve kratzen konnten.

„Nicht weit. Nur zwei Kilometer die Richtung!“ Jack deutete die Straße hinab.

Mit weitaus weniger Elan als zuvor marschierten die drei Sorglospunks die Straße entlang und stellten nach sehr kurzer Zeit fest, dass es hier wirklich richtig heiß war und der Schweiß ihnen nur so in Strömen herunterlief.

„Boah, ich hoffe echt, der Kerl isses wert!“, quengelte Easy nach knapp hundert Metern.
 

Rund dreißig Minuten später – in der Hitze lief es sich bedingt gut – erreichten sie eine Ansammlung von Polizeiautos und ein Absperrungsband. In einem der Felder liefen viele uniformierte Leute herum, drückten nummerierte Aufsteller auf den Boden und machten Fotos.

„Oh, oh, Tatort.“ Chris zog gruselnd die Schultern hoch. Sowas sah man doch bitte nur im Fernsehen und nicht in Wirklichkeit.

„Was macht diese Muse von Beruf?“, fragte Easy mit ebenfall leisem Gruseln.

„Sein Schützling ist Profiler...“, murmelte Jack.

„Na super...“ Easy stöhnte auf. „Hier treibt sich ein Serienmörder rum. Klasse. Sowas wollte ich schon immer wissen. Hast du ne Ahnung, was mir das für Albträume bescheren wird? Ich schwöre dir – jedes Mal, wenn ich nachts wach werde, werde ich dich auch wecken! Und zwar besonders grausam!“

„Hey, da vorne ist er“, unterbrach Chris den aufkeimenden Streit zwischen den Schwestern.

Und tatsächlich. Eine Muse schwebte neben einem dunkel gekleideten Mann, der neben einer Polizisten über das Feld stapfte.

„Toradyn!“, rief Easy aus und zog damit die Aufmerksamkeit eines Dutzends Polizisten auf sich. Einen Sekundenbruchteil später war der Sheriff bei ihnen.

„Was tun Sie hier?“ Der große Mann mit der sonnengegerbten Haut, dem gewaltigen Bauch und den grauen Haaren funkelte sie an. „Das hier ist ein Tatort!“

„Touristen. Wir sind nur auf der Durchreise und wollten ein paar Schritte gehen, um uns umzusehen, und sind hier reingestolpert.“ Jack lächelte ihn entwaffnend an und hoffte, dass er ihnen glaubte. Sie hatte definitiv keine Lust, auch nur eine Minute in irgendeinem Provinzgefängnis zu verbringen und verhört zu werden, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort die noch falscheste Person verärgert hatten. Denn dieser Sheriff sah so aus, dass er nur noch einen winzigen Funken brauchte, um in die Luft zu gehen. Vermutlich hasste er es, dass a) ein Mord ihn aus seiner Mittagspause gerissen hatte und b) hasste er es vermutlich noch mehr, dass ausgerechnet das FBI hier vor Ort war und ihm sagte, was er zu tun hatte.

Er setzte dazu an, etwas zu sagen, hielt inne und überlegte es sich dann sichtlich anders. „Verschwindet!“, knurrte er und wandte sich um, um zum Tatort zurückzugehen.

„Uff...“, machte Easy leise.

„Wer seid ihr und was wollt ihr?“, fragte Toradyn, dem es zu verdanken war, dass der Sheriff sich um andere Dinge kümmerte. Er beugte sich von seiner Wolke herunter und betrachtete die drei Sorglospunks aus seinen hellgrünen Augen, die äußerst intensiv durch seine Brille blickten. Seine Haare waren kurz und blond, er trug den gleichen schwarzen Anzug wie sein Schützling und hatte einen modernen Laptop auf dem Schoß. Ganz offenkundig ging er voll und ganz in seinem Job auf.

Und er war sicher nicht Abrankas Typ, denn sie hatte noch nie für blonde Männer mit grünen Augen geschwärmt.

„Wir sind die Sorglospunks und Abrankas Schützlinge“, stellte Jack sie vor. „Und...“

„Ah, Abranka.“ Toradyn nickte. „Grüßt sie ganz lieb von mir. Hab sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen, seit sie den Kurs gewechselt hat. Ich hoffe, ihr gefällt es bei den ganzen Musikstar-Musen. Ich fände das ja etwas langweilig... Keine Abwechslung, keine anderen Anregungen. Nun ja, aber vielleicht streitet sie sich deswegen ja auch so oft mit Hippokrene.“ Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. „Ich muss weitermachen. Wie gesagt: Grüßt sie bitte ganz lieb von mir.“ Damit schwebte er wieder zurück.

„Kurs gewechselt???“ Chris und Easy entfuhren die Worte so synchron, als wenn sie Zwillinge wären. „Jaaaaahaaaack!“

„Äh...“ Hektisch zog Jack die Liste hervor, die sie von Hippokrenes Schreibtisch gemopst hatte, und schaute aus das Datum. Juni 2011!

„Woher hast du das Ding? Ablage P wie Papierkorb? Oder Ablage A wie Alt???“ Chris stemmte die Hände in die Hüften. „Wir fahren jetzt sofort nach Hause und wehe irgendwer von euch erzählt Abranka je von dieser absolut dämlichen Mission! Warum bin ich überhaupt mitgekommen? Ihr seid doch total bescheuert! Ich hätte zu Hause bleiben und Eistee schlürfen und die Füße in den Teich stecken können! Und meine Gitarre schwitzt sich sicher schon zu Tode!“ Damit machte er auf dem Absatz kehrt und vor sich hin zeternd marschierte er voran in Richtung Superteufelsturboaufzug.

Jack und Easy folgten ihm weitaus langsamer.

„Wir könnten die aktuelle Liste klauen“, murmelte Easy so leise, dass Chris es nicht hören konnte. Von einmal gefassten Plänen konnte sie sich immer nur eher schwer verabschieden.

„Ja – aber denk mal an diese Wächter und wie eklig Hippokrene war... Die wird Abranka doch schon aus Prinzip auf die Nase binden, dass wir da waren und was Komisches wollten. Und ich will keinen Ärger mit Abranka. Stell dir mal vor, sie streikt dann oder so.“ Jack zog die Schultern hoch. Das war schließlich ein grauenhafter Gedanke! Die Band ohne Abranka! Mit einer streikenden Muse – keine Songs mehr, versaubeutelte Auftritte, weil ihre spontanen Improvisationsaktionen nicht mehr klappten!
 

Schweigend erreichten sie den Superteufelsturboaufzug, den Chris mit mürrischer Stimme in ihre Heimatstadt schickte.

„Und diese Superbrillen und das Hell-o-Pad lassen wir hier drinnen liegen. Dann schicken wir den Fahrstuhl zu Chi zurück und alles ist wieder gut.“

„Aber...“ Jack tätschelte das Hell-o-Pad mit großen Augen. So ein tolles Spielzeug sollte sie wieder hergeben? Grauenhaft!

„Denk an den Schwefelakku und die Testphase. Nicht, dass das Ding noch in die Luft geht, wenn du nachts damit kuschelst“, sagte Easy trocken, nahm ihrer Schwester das tolle Hightechspielzeug aus den Händen und legte es gemeinsam mit ihrer Übersinnlichkeitsbrille auf den Boden. Jack seufzte und legte ihre Brille daneben. Chris warf seine lässig dazu. Dann stiegen sie aus und durch die offene Tür drückte Chris den Knopf für Chis Hauptquartier.

„Home sweet home“, murmelte Easy leise und verspürte eine leise Euphorie angesichts der Tatsache, dass sie auf dem heimischen Marktplatz standen und die frische – wenngleich verdammt warme – Luft des Schwabenländles um ihre Nasen wehten.

„Aufi!“, sagte Chris fröhlich und legte seinen Bandkollegen die Arme um die Schultern. „Gehen wir nach Hause.“

„Juhu!“, jubelte Easy und auch Jack rang sich ein Lächeln ab. Dem Hell-o-Pad würde sie aber noch lange nachtrauern.
 

Einträchtig erreichen die Sorglospunks ihre Residenz und nassgeschwitzt, aber froh über das gut überstandene Abenteuer stürmten sie erst die Küche, um ihre trockenen Kehlen zu befeuchten, und dann das Wohnzimmer.

Auf der Couch schlummerte selige eine noch immer kranke, aber sich sichtlich auf dem Weg der Besserung befindende Bandmuse.

„Oh, hey. Zurück von eurer Mission?“, grinste Nifen die drei an.

„Ja, das war echt...“, begann Easy und stutzte dann, als Schmusebärchi sich aus dem Sessel erhob.

Der rotbraune Glücksbärchi mit dem roten Herzen auf dem weißen Bauch grüßte freundlich in die Runde.

„Schmusebärchi! Toll, dass du kommen konntest! Geht es Abranka besser?“, schaltete Easy sofort um.

„Es geht aufwärts.“ Schmusebärchi lächelte. „Ich habe ihr ein paar Glücksstrahlen verpasst, damit es etwas schneller geht, aber normalerweise reicht schon die harmonische Ausstrahlung eines Glücksbärchis, um Musen auf den Weg der Besserung zu bringen.“

„Wunderbar.“ Jack war erleichtert. Neuer Inspiration stand also bald nichts mehr im Wege. Die Sorglospunks waren gerettet und würden nicht in absoluter Mittelmäßigkeit untergehen.

„Aber...“, fuhr Schmusebärchi fort und seine Stimme bekam etwas freundlich-zurechtweisendes, das die drei Sorglospunks sorgenvoll die Ohren spitzen ließ. „Ich muss mich schon etwas über euch wundern. Ihr seid ihre Freunde und reist dann durch die Weltgeschichte, wenn sie euch am meisten braucht? Sicher, eine kranke Muse...“

„Gleichzeitig auch noch liebeskrank“, fügte Nifen leise hinzu und verdrehte mit einem amüsierten Lächeln in den Mundwinkeln die Augen.

„...ist nicht immer leicht zu ertragen, aber mit etwas Tee kochen, hätscheln und zuhören wäre ihr doch geholfen gewesen.“

„Ja, aber wir wollten ihr doch helfen!“, warf Easy ein.

„Genau. Wir haben nach der männlichen Muse gesucht, in die sie verknallt ist und...“ Jack brach ab, als sie den jetzt äußerst strengen Blick von Schmusebärchi sah. Oh, oh.

„Was seid ihr denn für Freunde, indem ihr so etwas versucht?“ Schmusebärchi schüttelte den Kopf. „Liebesdinge sind etwas, das diejenigen selbst hinbekommen müssen. Auch wenn es schwierig ist. Wie viele Leute kennt ihr denn, die erfolgreich verkuppelt wurden? Und außerdem – was, wenn das schief geht? Was, wenn ihr findet, dass derjenige nicht genug für eure Abranka ist? Und was, wenn er wegen euch auf einmal dem Ganzen keine Chance mehr gibt? Weil ihr euch so seltsam benehmt?“

„Ähm... Aber dann hat er Abranka nicht verdient?“, warf Easy kleinlaut ein, auch wenn die Botschaft bei ihr angekommen war.

„Mischt euch in so etwas nicht ein. Ihr seid doch ihre Freunde! Seid für sie da, hört euch ihr Gejammer an, macht ihr Mut und stärkt ihr Selbstbewusstsein – und helft ihr, das selbst hinzubekommen. Oder habt ihr kein Vertrauen in sie?“

Drei Sorglospunks murmelten kleinlaut, dass das doch natürlich der Fall war und sie alle Abranka ganz unglaublich lieb hatten.

„Gut.“ Jetzt lächelte Schmusebärchi. „Und jetzt seid für sie da. Und vielleicht erzählt ihr ihr am besten nicht von eurem Abenteuer.“ Er zwinkerte den dreien vergnügt zu. „Und Abranka wird sich mit Sicherheit auch revanchieren, wenn sie wieder fit ist. Schließlich seid ihr Freunde. Und Freunde sind doch immer für einander da.“

„Oh, ich fürchte Hippokrene wird ihr verraten, dass wir auf dem Olymp waren“, murmelte Chris leise. Er wusste jedenfalls jetzt, dass er nie wieder so eine blöde Entscheidung treffen würde. Und Umeko gegenüber würde er die ganze Aktion wohl doch besser verschweigen. Außer er erwähnte, dass er auf seine beiden Bandkollegen aufgepasst hatte... Ja, doch, das konnte vielleicht funktionieren, ohne dass er lügen und verschweigen musste und wie ein totaler Volldepp da stand.

„Nun... Hippokrene und Abranka mögen sich eh nicht besonders.“ Nifen hob die Schultern. „Von daher wird sie darauf eher wenig geben. Und ansonsten erzählt ihr ihr die Geschichte eben in ein paar Wochen, wenn sich die Wogen geglättet haben.“ Sie grinste. „Und jetzt würde ich vorschlagen, dass wir alle eine Runde Eis essen, während sich unsere Lieblingsmuse gesund schläft.“

Da es mittlerweile früher Abend war und die Sonne draußen nicht mehr so brannte, zogen sich die Sorglospunks samt Managerin und ihrem Glücksbärchi-Besucher sowie fünf großen Eisbechern in den Garten zurück.

Irgendwann holte Chris seine Gitarre, klimperte ein paar Noten, Jack trommelte auf den leeren Eisbechern und Easy begann leise zu singen:

„Oh ja...

Freundschaft!

Yeaheeheee...

Freundschaft!
 

Wir sind die Sorglospunks

und wir gehen durch dick und dünn!

Und wieder zurück!
 

Rauf in den Olymp,

hinab in die Hölle,

durch die ganze Welt!
 

Nur für dich!

Ohohoho!

Nur für dich!

Weil du unser Freund bist!
 

Oh ja...

Freundschaft

Yeaheeheee...

Freundschaft
 

Und wenn wir Mist bauen,

dann aber so richtig!

Halbe Dinge gibt es nicht!
 

Rauf in den Olymp,

hinab in die Hölle,

durch die ganze Welt!
 

Nur für dich!

Ohohoho!

Nur für dich!

Weil du unser Freund bist!
 

Oh ja...

Freundschaft!

Yeaheeheee...

Freundschaft!“
 

Und als das Lied zu Ende war und die drei Musiker aufblickten, sahen sie Abranka aus dem offenen Fenster zu ihnen hinüberschauen.

„Ich will nicht wissen, was ihr angestellt habt, oder?“, fragte sie mit einem vergnügten Zwinkern. Dann flog sie auf ihrer Wolke durch das Fenster und gesellte sich zu ihren Freunden.



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