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Reminiscence of a dead (?) person
von

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Vorwort:

Warnung: SPOILER zu Kapitel 58. Wer noch nicht so weit ist, klickt bitte ganz schnell weg.

Serie: Death Note

Genre: Dark, Romantik, Shônen Ai

Charaktere: Raito Yagami, L, Matsuda

Song: Three Days Grace – I hate (everything about you)

Erklärung: Doppelabsätze kennzeichnen immer einen deutlichen Sprung in der Zeit oder im Ort. „…“ steht für Reden, ‚…’ für Denken. Die Sicht wechselt im Verlauf bei einem Ortsprung geringfügig, ansonsten liest man aus Raitos Sicht.
 

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Es knirschte leise, als sich der schwarze Bürostuhl zur Seite neigte. Raito sah wie gelähmt zu, wie die zerzauste Person langsam zur Seite kippte. „Ryuzaki!“ Raito zwang seinen Körper sich in Bewegung zu setzen, stürzte nach vorne und fing den Fallenden auf. Ryuzakis Augen spiegelten Entsetzen wider, fast so, als könne er nicht glauben, was gerade passierte. Sein Blick richtete sich nach oben, suchte Halt an den schönen Zügen von Raitos Gesicht. Seine Gedanken rasten, und doch fixierten sie sich alle auf einen Punkt: ‚Ich hatte recht.’ Diese Erkenntnis kam mit einer Bitterkeit, die Ryuzaki nicht mehr ertragen konnte. Er spürte die Unregelmäßigkeit, mit der sein Herz gegen seine Brust pochte. Raitos Augen wurden kalt, seine Mundwinkel verzogen sich zu einem erbarmungslosen Grinsen. ‚Raito Yagami… ist Kira.’
 

Er hatte gesiegt. Er hatte ihn endlich geschlagen. Raito spürte die Welle des Triumphes in sich, während er den sterbenden Körper des Detektivs in den Armen hielt. L. Der Kampf war vorbei. L war nur noch eine leblose Hülle. Er hatte ihm vor Augen geführt, wie schwach er doch war. Und wie richtig seine Vermutungen die ganze Zeit waren. Raito verstand nicht, weshalb L seine Zweifel bezüglich Kira nie klar auf den Punkt gebracht hatte. Der junge Mann hatte stets um die Dinge herum gedacht. Und das war ihm letztendlich zum Verhängnis geworden. Seine monotone Stimme war nicht mehr in der Lage, die Wahrheit auszusprechen. Seine Augen, mit denen er stets alles genau beobachtete hatte, waren blind. L war tot.
 

Raito erinnerte sich an den Augenblick, in dem er über den Detektiv gesiegt hatte. Fast spürte er etwas wie Wehmut. Er war dabei gewesen, hatte seinen Tod selbst heraufbeschworen, hatte zugesehen, wie sie seinen Sarg tief in die dunkle Erde schickten. Innerlich hatte er gelacht. Warum fühlte er jetzt einen Hauch der Reue? L war eine Herausforderung. Genau genommen seine größte Herausforderung. Er stand daneben, während er starb. Ohne es zu Wissen, hatte L sein Alibi unterzeichnet. Wie könnte er Kira sein, wo er doch im Moment des Todes den Sterbenden festhielt? Raito spürte noch heute Ls Finger, die sich so verzweifelt in den Stoff seiner Kleidung krallten. Als wolle er mit aller Macht an seinem Leben festhalten.

Es hatte ihm alles nichts genutzt. Wäre er kompetenter gewesen, wer weiß, vielleicht hätte er Raito dann besiegt. Doch dazu hatte er jetzt keine Gelegenheit mehr. Raito erinnerte sich an das kleine, abseits gelegene Grab, dessen weißer Marmor nur ein einziges Wort zierte: ‚Justice’.

Seine Gedanken wurden von dem leisen Quietschen der Bremsen unterbrochen. Raito sah auf und starrte auf den mit bunter Reklame geschmückten Bus vor sich. Er seufzte leise und stieg ein. Die Hitze der umstehenden Menschen ließ ihn angewidert zurückweichen. Dicht an Dicht standen sie beieinander. Raito nutzte seine Ellenbogen und drängte sich zwischen den Menschen durch, suchte sich einen freien Platz neben einem jungen Mädchen und ließ sich nieder. Ganz leise drangen Worte an sein Ohr, die nicht von einem der Personen stammten. Raito lauschte und versuchte das Gesagte zu verstehen. Er brauchte lange, um die Quelle der fremden Stimmen auszumachen. Sie kamen von dem Mädchen neben ihm. Raitos Blick fiel auf die silberfarbenen Kopfhörer. Innerlich schüttelte er den Kopf und neigte sich näher zu der Braunhaarigen neben ihm. ‚… kept awake. By every sigh and scream we make…’ „Möchtest du mithören oder warum kommst du so nah?“ Die Stimme des Mädchens war ruhig, nahezu liebevoll. Ohne Aufzusehen wusste Raito, dass er angesehen wurde. Er lehnte sich wieder zurück und schüttelte den Kopf.

„Nein, danke. Tut mir Leid… Ich hab versucht, das eine Straßenschild zu lesen.“ Seine plumpe Ausrede wirkte. Das Mädchen schmiegte ihren Kopf an die kalten Scheiben und zollte ihm kein Interesse mehr. Raito musste nicht mithören. Er kannte dieses Lied. Seit den letzten Wochen hielt es sich hartnäckig in den Top Ten, es lief oft im Radio und zu seinem Überfluss hörte er es mehr als einmal aus dem Zimmer seiner jüngeren Schwester. Sein Missfallen an dem Lied war nicht grundlos. Jedes Mal, wenn er es zwangsläufig hören musste, kamen ihm ein paar große, schwarze Augen in den Sinn, er dachte an schmale, weiße Hände, die akribisch Zuckerwürfel in der flüssigen Hitze seiner Teetasse ertränken, an die viel zu weiten Klamotten, die sich um den zierlichen Körper wanden und fragte sich innerlich selbst, wie er dazu kam solche Gedanken zu haben. Was genau vermisste er? Seinen Kampf mit L… oder L selbst? Seit er tot war, fehlte ihm die Herausforderung. Die Polizei ermittelte zwar noch, doch ohne den hochintelligenten Detektiv an ihrer Spitze kamen sie nicht mehr wirklich voran, drehten sich nur noch im Kreis. Die Angst vor Kira hatte sich in ihre Herzen geschlichen und sie langsam vergiftet, so wie sie bereits Ls Herz vergiftet hatte. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Kiras Sense sie treffen würde.

Raito zog seine Mundwinkel um einige Millimeter nach oben und drückte auf einen der roten Halteknöpfe. Einige Leute strauchelten leicht, als der Bus an der Haltestelle zum Stehen kam. Leichtfüßig sprang der braunhaarige Student auf den Bürgersteig, schob seine Schultasche mit den Fingern ein Stück höher und setzte seinen Weg zu Fuß fort. Neben ihm bewegte sich ein schwarzer Schatten. „Hallo, Ryuk.“ Raito zog seinen Schal höher und senkte seine Stimme.

„Raito. Was hast du jetzt vor?“ Die Flügel des Shinigami zerschnitten neben Raito die Luft.

„Ich weiß es nicht, Ryuk“ gab Raito leise zu und richtete seine braunen Augen Richtung Himmel. Das war die Wahrheit.

Seit Ls Tod war Raito antriebsloser denn je. Er notierte noch regelmäßig die Namen von Verbrechern, experimentierte und beobachtete seine Resultate. Aber sein primäres Ziel hatte er erreicht. Sein Widersacher war aus dem Weg geräumt. Raito langweilte sich. Die Kleinigkeiten, auf die er vorher so sehr achten musste, um Ls wachsamen Augen zu entgehen, waren gleichgültig geworden. Er wusste, er konnte sich Fehler erlauben und sie würden ihn trotzdem nicht stellen können. Mit L starb eine Herausforderung, die nicht ersetzt werden konnte.
 

„Bruder…!“ Ehe Raito reagieren konnte, hing Sayu an seiner Hand. Sie wirkte aufgebracht und zog ihn hinter sich her durch den engen Hausflur. „Das musst du dir ansehen! Du interessierst dich doch so für den Kira-Fall!“ Die Tür fiel hinter ihnen zu. Raito verstand die Aufregung seiner jüngeren Schwester noch nicht wirklich, doch als er vor dem Fernseher stand, wurde ihm einiges klar. Auf dem hellen Bildschirm zeichnete sich ein scharfer Umriss ab. Eine tiefe, leicht verzerrte Männerstimme sprach.

„Interpol hat die Ermittlungen im Kira-Fall wieder aufgenommen. Über Ls Verbleib wird weiterhin geschwiegen. Mein Name ist Erald Coil. Ich werde an Ls Stelle bis zu seiner Widerkehr mit der Polizei zusammen arbeiten, um diesen Teufel, der sich Kira nennt, endlich zu stellen!“ Raito konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Ls Widerkehr? L würde nicht wieder kommen. Sie hielten seinen Tod also geheim. Mit so etwas hatte Raito gerechnet. Zuzugeben, dass der große L verstorben war, würde die Bevölkerung und die wenigen restlichen, an dem Fall arbeitenden Polizisten in Panik versetzen. Ein neuer Ermittler also. Endlich kehrte wieder etwas Spannung in Raitos Alltag. Erald Coil. Er verriet seinen Namen, aber nicht sein Gesicht. Also wusste er von Ls Ermittlungsstand? Raito würde sich überraschen lassen. Seine Finger zausten durch Sayus Haare.

„Danke. Das hat mich wirklich interessiert.“ Ein falsches Lächeln schlich sich auf seine Lippen, doch es erblasste, als er eine altbekannte Stimme hinter sich hörte: ‚Only when I stop to think about you I know. Only when you stop…’ Raito wandte sich um, sah auf die Werbung für das Lied, welches er so sehr hasste. „Ich geh lernen“ würgte er seine Schwester ab und verzog sich in die kühle Stille seines Zimmers.

„Ein neuer Ermittler?“ Ryuk schwebte neben seinem Schreibtisch

„Sieht so aus…“ Raitos Augen fixierten das Heft vor ihm.

„Ob das sein wirklicher Name ist?“

„Ryuk. Du nervst.“ kommentierte Raito leise das Gerede des Shinigami und machte sich Notizen zu seinen Aufgaben. Erald Coil. Der Name klang nicht japanisch. Vielleicht war er Engländer. Ohne es selbst zu merken, berührte Raito mit den Fingern seine Lippen.
 

„Hat er sie gesehen?“ fragte die leise Stimme in dem tief abgedunkelten Zimmer.

„Ja“ antwortete der Mann und knöpfte seine Jacke langsam zu. Sein Auftraggeber lächelte.

„Das ist gut.“

„Wann werden Sie sich zeigen?“

„Das wird noch dauern. Er soll noch etwas leiden.“
 

Raito lehnte mit dem Rücken an der Wand. Seine Gedanken kreisten um seine neue Herausforderung. Wie konnte er Erald Coil treffen? War der Name, den er angab, echt? Raito leckte sich über die Lippen und blickte über den Schulhof. Wie sorglos sie alle waren. Angewidert sah der Junge zur Seite. L hatte er indirekt befragen können. Seine Finger tasteten über seine Stirn, fuhren durch die dichten, hellen Haare. Schon wieder kreisten seine Gedanken um den Verstorbenen. In einem Punkt hatte L Recht gehabt: Sie waren sich wirklich ähnlich. Bereute er vielleicht deshalb, dass er weg war? L war der Erste, der ihn wirklich verstand, der Erste, dem er nicht umständlich und langsam etwas erklären musste, der Erste, der seine Gedanken weiterführte.

Die Schulglocke lärmte in seinen Ohren und Raito stieß sich von der Wand ab. Er überquerte das Gelände des Campus, grub seine Hände tief in den weichen, blauen Stoff seiner Uniform, spürte die zusammengefaltete Seite des Death Notes zwischen seinen Fingern. Theoretisch konnte er seinen Vater einfach fragen, ob er ihn zur nächsten Interpol-Konferenz begleiten konnte. Nachdem so viele Ermittelnde abgesprungen waren, war die Chance, dass Soichiro Yagami zusagte nicht gering. Das versprach spannend zu werden.
 

‚… I hate everything about you, why do I love you?...’ Sayu hörte es schon wieder. Seit einer halben Stunde hallte das verhasste Lied aus dem Zimmer seiner jüngeren Schwester. Raito legte genervt den Kopf auf seinen Schreibtisch und starrte an sein Bücherregal.

Er sah L vor sich, wie er mit ihm zugewandten Rücken vor dem PC saß und angespannt auf den Bildschirm starrte. Nichts konnte ihn ablenken, während sein Daumen immer und immer wieder über seine schmalen Lippen fuhr. „Kira muss ein Perfektionist sein…“ hörte er die leise Stimme des Detektivs noch in seinen Ohren. Ja, da hatte L Recht gehabt.

„Guten Abend!“ Raito hob den Kopf und sah zur Tür. Das war die Stimme seiner Mutter. War sein Vater zu Hause? Raito klappte sein Heft zu und ging leise nach unten. Er hörte Soichiro seufzen.

„Guten Abend, Papa.“ Der Junge setzte sich seinem Vater gegenüber und sah ihn an.

„Guten Abend, Raito.“ Soichiro Yagami sah erschöpft aus. Raito wusste warum. Seine Augen suchten den Blick seines Vaters.

„Sag mal…“ begann er vorsichtig und wartete, bis sein Vater ihn ansah. „Hast du die Nachrichten gesehen?“ Er war bemüht seiner Stimme einen möglichst unschuldigen Klang zu geben. Sein Vater nickte.

„Ja. Fragst du wegen Erald Coil?“ Raito nickte langsam.

„Stimmt es… dass er Ls Ermittlungen weiterführt? In den Nachrichten… wurde ja nicht gesagt, dass…“ Raito brach seinen Satz ab und sah aus den Augenwinkeln zu seiner Mutter und seiner Schwester im Wohnzimmer. Doch der Fernseher war so laut, dass Sayu und Sachiko sie unmöglich hören konnten.

„Ja, es stimmt. Er nimmt die Ermittlungen an der Stelle auf, an der L sie beendet hatte. Die Nachrichten schweigen um eine Massenpanik zu vermeiden.“

„Ich weiß“ unterbrach Raito seinen Vater kalt und blickte ihn ruhig an. „Das ist mir klar. Vater. Ich möchte euch helfen.“

„Nein, Raito. Es ist viel zu gefährlich für dich. Wenn nicht einmal L diesen Fall überleben konnte…“

„Vater“ Raitos Blick war hart und bohrte sich unnachgiebig in die müden Augen seines Vaters. „Es sind genug abgesprungen. Bitte. Wenn ich nicht helfe… finden wir Kira nie. Du weißt, dass… L mich stets als Diskussionspartner schätzte. Ich bin mir sicher, ich bin ihm ebenbürtig. Ich bin mir sicher… dass ich ihn ersetzen kann. Bitte, Vater. Lass mich L sein!“ Raito realisierte nur langsam, was er da gerade gesagt hatte. Auch Soichiro schien von den Worten seines Sohnes schockiert zu sein, doch langsam nickte er.

„Ja, das ist wohl wahr… Du hast ihn als Einziger sofort verstanden. Gut. Ich nehme dich mit auf die nächste Konferenz. Aber halt dich bitte zurück.“ Raito war überrascht, wie einfach sein Plan aufging. Aber in der Not klammerten sich die Ermittler an jeden Strohhalm, der ihnen hingehalten wurde.

„Geht Erald Coil genauso vor wie L?“

„Nein… Sein Ermittlungsstil unterscheidet sich sehr von L. Er ist direkter, nicht so umständlich und kompliziert. Und… er versteckt sich nicht so. Fast so… als hätte er keine Angst.“ Raito rieb sich über die Hand. Das versprach einfach zu werden. Ein Gegensatz zu L.
 

Ls Finger klopften unruhig auf den Tisch, der Löffel, der darauf lag, hüpfte leicht und erzeugte ein unangenehmes, widerhallendes Geräusch in dem weitläufigen Raum. Raito beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er wusste, dass es mit dem Ermittler bald vorbei sein würde. Er wusste, dass sein Herz in zehn Minuten aufhören würde zu schlagen. Raito versuchte sich zu sammeln und so unbekümmert wie möglich zu wirken. Seine Augen huschten über das Dokument vor ihm, doch die Zeilen, die er las, nahm er nicht auf. Er lauschte angespannt auf das leise Ticken seiner Uhr, zählte die Sekunden bis L sein Leben aushauchen würde. Ahnte der junge Mann etwas? Raito drehte sich mit seinem Stuhl um und versuchte etwas von L auszumachen, doch der Schwarzhaarige hatte sich so tief in seinen Stuhl gedrückt, dass nur einige Haarspitzen hinter der hohen Lehne hervorragten. Er hörte das Knistern von Papier, hörte wie Ls knochigen Finger über die Tastatur huschten. Raito wüsste gerne, woran er gerade dachte. Das stetige Klackern wurde leiser, Raito sah, wie sich Ls Arm bewegte, wie seine Finger seine rissigen Lippen suchten, wie sie darüber strichen. Er war tief in seine Gedanken versunken, nahm seine Umwelt nicht einmal wahr. Raito erhob sich und trat hinter den Älteren, sah auf ihn herab wie Kira schon so oft auf L herabgesehen hatte. Er hatte sich L stets anders vorgestellt. Raito erinnerte sich noch, als L unter dem Namen Hideki Ryuga an seiner Universität aufgetaucht war, wie er neben ihm stand und mit ihm die Willkommensrede hielt, die sie sich wegen exakt gleichem Prüfungsergebnis hatten teilen müssen. Und dann stand dieser merkwürdige Junge hinter ihm, senkte seine Stimme zu einem Flüstern und warf ihm diese drei Worte an den Kopf: „Ich bin L.“

Raitos Blick blieb an Ls Händen hängen. Sie waren schlank, bleich und wirkten tot. Unruhig und unablässig bewegten sie sich über den Tisch, suchten, tasteten nach Dingen, von denen Raito nicht wusste, dass L an sie dachte. Die große Uhr an der Wand hatte sich bewegt, mit jedem Ticken kam L seinem Tod näher. Raito bemühte sich seine Aufmerksamkeit nicht auf den kreisenden Zeiger zu lenken. L klimperte und hob den Löffel hoch. Er bewegte sich in der Luft, teilte sie und zeichnete einen silbernen Schimmer. „Ich bin mir sicher, wir finden ihn.“ Ls Stimme war leise und hinterließ einen nachdenklichen Unterton. „Meinst du nicht auch, Yag-…“ L brach ab. Seine Finger brachen, ließen den Löffel los, der helle Klang, den das Metall beim Berühren des Bodens erzeugte, hallte in Raitos Ohren wider. Der Zeiger rastete auf der Zwölf ein. Ls Körper neigte sich zur Seite, der Stuhl gab der Gewichtsverlagerung nach, kippte. Raito sah L fallen. Er stürzte nach vorne, rutschte über den Boden und fing den sterbenden Ermittler auf. Ls Finger fuhren nach Halt suchend über Raitos Körper, fanden seine Schultern, krallten sich daran fest. Raito konnte das Entsetzen in seinen Augen sehen. Er verstand und wusste es trotzdem nicht. Er konnte fühlen, wie das Leben mit jedem Schlag seines Herzens aus seinem Körper entwich, seine fahlen Hände zogen an dem Stoff von Raitos Kleidung. Raito konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Da lag er endlich, der Mensch, dem er den Tod so sehr gewünscht hatte, da lag er in seinen Armen und starb. Und er durfte ihm dabei zusehen. Ls Lider flatterten, mühsam hielt er seine Augen offen, hielt den Blick starr auf Raitos Gesicht gerichtet. Ein unendlich trauriger Ausdruck hatte sich über die sonst leeren, schwarzen Augen gelegt. Er wusste, dass er Recht hatte und doch war es für ihn zu spät. Er öffnete die Lippen einen Spalt, doch seine Worte waren nichts weiter als ein nebelleichtes Flüstern. Sein Blick verdrehte sich nach oben, seine Augen schlossen sich. Ls Brust hörte auf sich zu heben.

„Nein…“ sagte Raito leise und schüttelte den Körper in seinen Armen. „NEIN! RYUUZAKI!... AHHHHH!“
 

Raito konnte nicht sagen, wie lange er geschrien hatte. Man hatte ihm ihn aus den Armen genommen, hatte ihn ins Nebenzimmer gebracht. Jetzt öffnete sich die Tür leise und Matsuda sah ihn an, den Blick tief zu Boden gerichtet. Er sah auf seine Schuhspitzen, ungläubig dessen, was sich gerade vor seinen Augen abgespielt hatte. Raito rutschte auf dem Sofa ein Stück nach vorne. „Matsuda-san…?“ fragte er zaghaft und endlich hob der Polizist den Kopf. Eine Träne bahnte sich ihren Weg über seine weiße Haut, verfing sich an seinen Kieferknochen und fiel letztendlich auf den dunkeln Stoff seines Jacketts. „Ryuzaki… ist tot.“
 

„Ich gehe dann nun.“ Der hoch gewachsene Mann suchte im Dunkeln nach den Augen seines Arbeitgebers, konnte sie aber nicht ausmachen. „

Ja. Pass auf dich auf.“ Das musste er ihm nicht sagen. Erald Coil wusste, dass er vorsichtig sein musste. Er zog seinen Hut tiefer in sein Gesicht und verließ die abgedunkelte Wohnung.
 

Raito langweilte sich. Der Kongresssaal war leer, nur noch wenige Polizisten waren vor Ort. Sein Blick glitt über die Namensschilder. Wie leicht es wäre sie alle hinzuschlachten, doch der Verdacht würde sofort auf ihn fallen. Raito machte sich Notizen und lauschte den Worten seines Vaters. In der Zeit, in der er das Death Note noch nicht besaß, hätte er sich heute einen Wunschtraum erfüllt. Doch mittlerweile war sein Wunsch Polizist zu werden nebensächlich geworden. Sein Blick fiel auf den großen, weißen Bildschirm. Von da hatte er Ls verzerrte Stimme das erste Mal gehört. Raito merkte, dass er nicht der Einzige war, dem die Abwesenheit des eigensinnigen Detektivs aufgefallen war. Er hörte die übrigen Polizisten in ihren Landessprachen tuscheln. Doch Ls Tod war geheim. Raito biss sich auf die Lippen.

„Kira.“ Das Wort hallte in dem riesigen Saal, blieb in der Luft stehen und brannte sich langsam in die Ohren der Zuhörenden. Vorne vor dem Rednerpult stand ein Mann, den Trenchcoat tief ins Gesicht gezogen. Auf den ersten Blick dachte Raito an Watari, doch der Butler, der L stets umsorgt hatte, war noch vor ihm gestorben. Und die sprechende Person war größer. Grobe, in dunkelgraue Lederhandschuhe gehüllte Hände, umfassten das Rednermikrofon. „Kira weilt noch unter uns. Wir sind wenige, doch ich bin mir sicher, dass wir ihn stellen können. Sehr geehrte Damen und Herren von Interpol, mein Name ist Erald Coil.“ Raitos braune Augen weiteten sich. Er hätte wissen müssen, dass der neue Ermittler sich nicht einfach so zeigen würde. Doch er würde ihn hinrichten, so wie er auch L hingerichtet hatte. Erald Coil war unvorsichtig. Raito überlegte sich gedanklich bereits auf welche Art und Weise er den dreisten Neuling sterben lassen würde, als er drei Worte hörte, die ihm so unendlich bekannt vorkamen: „Ich bin Gerechtigkeit.“ Wie oft hatte Raito sie aus seinem eigenen Mund gehört, wenn er seine Taten rechtfertige. Wie oft hatte L von Gerechtigkeit gesprochen, wenn sie sich unterhielten. Konnte das wirklich sein? Aber L war tot. Raito hatte ihn selbst sterben sehen, hatte ihn in den Armen gehalten, als er seine Augen für immer schloss. ‚Nur ein dummer Zufall…’ redete sich Raito leise ein und richtete den Blick unverwandt auf den Schwarzgekleideten vorne am Rednerpult. Er versuchte noch mehr parallele Sätze zu L heraus zu hören, doch Erald Coils Monolog richtete sich hauptsächlich an den Zusammenhalt der einzelnen Länder. Er konnte nicht L sein. Sein ganzes Äußeres wich von dem Aussehen des verstorbenen Genies ab, er war größer, stämmiger und seine Stimme klang trotz der Verzerrung deutlich tiefer. ‚L ist tot’ rief sich Raito wieder ins Gedächtnis und bewegte den Stift über seinen Notizblock, während sich sein Blick weiter an Erald Coil festsaugte. Erst nachdem der Mann seine Rede beendet hatte, schenkte Raito seinem Gekritzel ein wenig Aufmerksamkeit. Auf dem Block vor ihm standen fünf Worte: „Every time we lie awake.“
 

Wieder dieses Lied. Warum musste er daran denken, warum schrieb er bereits Passagen daraus auf? Raito konnte es nicht erklären. Genau wie L schlichen sich die Strophen immer und immer wieder in seine Gedanken. Was war nur mit ihm los? Raito hielt sich die Stirn und stolperte den Gang entlang. Er brauchte dringend etwas zu trinken, danach würde es ihm besser gehen. In seinen Taschen suchte er nach Kleingeld, angelte es heraus und hielt es fest in der Hand. Vor dem Automaten stoppte er, warf Münze um Münze hinein. Neben sich hörte er eine Gruppe tuscheln.

„Erald Coil soll einen Auftraggeber haben.“

„Wirklich?“

„Ich weiß es nicht. Es ist ein Gerücht.“ Raito lauschte, während er auf den Knopf für Kaffee drückte und zusah, wie die dampfend-heiße Flüssigkeit in den kleinen Plastikbecher lief. Einen Auftraggeber? Erald Coil ermittelte also nicht allein? Vor seinem inneren Auge manifestierte sich das Bild eines schneeweißen PowerBook G4. Raito schüttelte den Kopf und zog den Plastikbecher aus dem Automaten hervor. Das war unmöglich. Vielleicht steckte das FBI wieder dahinter. Oder es war wirklich nur ein Gerücht. Er würde es herausfinden. Raitos Lippen umschlossen den Rand des Bechers und tauchten sanft in die dunkle Flüssigkeit ein. Sie wirkte fast schwarz und unendlich leer. Wie ein paar Augen, in das Raito mehr als einmal geblickt hatte.
 

„Hat es geklappt?“ fragte die dumpfe Stimme im Dunkeln. Erald Coil nickte und legte den Mantel ab.

„Ja, das hat es.“ Seine groben Hände fuhren sich durch die blonden Haare. „Er war da. Und er hat darauf reagiert.“ Sein Arbeitgeber im Dunkeln konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„Das dachte ich mir.“
 

Raito lag bäuchlings auf dem Bett und starrte an seine Wand. Seine Gedanken kreisten nur um eine Person, an die er eigentlich nicht denken wollte. Doch die Bilder gingen nicht aus seinem Kopf. Er sah L vor sich, wie er genüsslich die aufgehobene Erdbeere aufspießte und in seinen Mund schob, L, wie seine Finger fiebrig über den Laptop huschten, L, wie er dem gelben Ball nachjagte und ihn doch verfehlte. Er konnte nicht erklären, was er fühlte. Eine leichte Trauer hatte sich über sein Denken gelegt und ließ diese Bilder immer und immer wieder erscheinen. Vermisste er L? Nein. Höchstens als Rivalen. Er hatte für diesen Menschen nichts empfunden… oder doch? Raito war sich nicht mehr sicher. Was, wenn ihn seine Vermutungen nicht täuschten? Was, wenn hinter Erald Coil wirklich L steckte? Er musste es wissen. Entschlossen setzte sich Raito auf und zog seine Jacke über. Es war mitten in der Nacht, im Haus schliefen bereits alle und so bemühte sich der Student seine Schritte leise zu halten. Er steckte den Schlüssel ein und schlenderte über den nächtlichen Rasen. In dem Haus hinter sich regte sich nichts. Erleichtert schloss Raito die Gartenhütte auf und griff nach einer der Schaufeln.
 

Der Kies knirschte unter Raitos Schuhen als er seinen Weg zwischen den Gräbern verfolgte. Das weiße Grab schimmerte schon von weitem im blassen Licht des Mondes. Raito stoppte unmittelbar davor und schluckte leicht. In seinen Gedanken war dieser Plan noch leicht gewesen, jetzt, wo er wirklich hier vor dem Grab war, hatte ihn der Mut verlassen. Aber er musste es einfach wissen. Raito kniete sich hin und entfernte die wenigen Blumen, die auf dem Grab lagen. Die Erde, die er zur Seite schaufelte, roch feucht und unangenehm. Sie blieb an seiner Kleidung haften und befleckte seine Hände. Doch je tiefer er grub, desto näher kam er dem dunkeln Sarg, desto näher kam er L. Raito richtete sich auf und fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn. Was würde ihn erwarten, wenn er den Sarg öffnen würde? Eine halbverweste Leiche… oder blankes Holz? Schicht um Schicht wuchs der gewaltige Erdhaufen neben dem Grab. Raito konnte nicht sagen wie spät es war. L und seine merkwürdigen Ideen. Doch sein Wunsch nach einer europäischen Bestattung ermöglichte Raito überhaupt das Grab des Toten öffnen zu können. War es Absicht? Wollte L, dass er ihn suchte? Er erinnerte sich an den Dialog, den er mit L über Beerdigungen geführt hatte.
 

„Raito-kun.“ L sprach unvermittelt und mitten in den Raum hinein. Raito hob den Kopf und drehte sich langsam zu dem anderen um. L hockte mit dem Rücken zu ihm, seine Hände ruhten auf der Rückenlehne des harten Plastikstuhls auf dem er hockte. „Wie möchtest du beerdigt werden?“ Raito stutzte. Er hatte mit einer Frage zu Kira gerechnet, aber nicht mit so einer menschlichen Frage. So etwas aus Ls Mund zu hören war eine Seltenheit. Raito ging die Situation vorsichtig an.

„Ich möchte… eingeäschert in dem Grab meiner Familie liegen… Wieso?“

„Ich stelle es mir furchtbar vor seinen Körper so zu verlieren.“ Ls starrer Blick fixierte eine der weißen Deckenpanellen.

„Wieso?“

„Weißt du…“ Seine Finger griffen die Tischplatte, stießen sich von ihr ab. Ls Augen stoppten an Raito. Er lächelte kaum merklich. „In England werden Menschen in einen Sarg gelegt und vergraben. Ein Sarg ist…“

„Ich weiß, was ein Sarg ist.“ unterbrach Raito ihn sanft.

„Oh. Ja. Jedenfalls…“ Seine Finger kratzten über den rauen Jeansstoff. „Wenn ich sterbe… ob durch Kira oder etwas anderes… möchte ich so beerdigt werden. In einem schwarzen Sarg.“
 

Die Schaufel stieß mit einem dumpfen Geräusch auf etwas Hartes. Raito blinzelte und schob die letzten Erdbrocken von dem Holz. Konnte er ihn wirklich öffnen? Seine Hände tasteten an den Seiten entlang, suchten nach einem Verschluss. Es klackte, als die Verschlüsse, die den Sarg geschlossen hielten, aufsprangen. Raitos Finger griffen unter den schweren Deckel und wuchteten ihn hoch. Er blinzelte, versuchte im Dunkeln etwas auszumachen. Seine Augen weiteten sich leicht. Der Sarg war leer.
 

„Wollen Sie sich ihm zeigen?“

„Hm…“ Die Finger des jungen Mannes huschten über die Tasten, das bläuliche Licht des Monitors ließ seine Züge gespenstisch erscheinen. „Bald, ja. Er müsste mittlerweile schon Verdacht schöpfen. Er ist nicht dumm.“ Die schwarzen Augen tasteten sich nach oben. „Ich danke dir für deine Unterstützung.“

„Kein Grund zu danken. Ich schuldete dir noch einen Gefallen dafür, dass du mich vor dem Gefängnis bewahrt hast.“ Der blonde Mann schloss die Augen.
 

„Nein Sayu, ich kann dir jetzt nicht helfen!“ Raito stemmte sich mit aller Kraft gegen seine Schwester. „Ich muss noch lernen!“ Das war eine Lüge. Raito wollte recherchieren. Vielleicht gab es eine Liste mit neu angelegten Gräbern. Doch konnte er ein Grab finden, dass vielleicht gar nicht existierte? Er musste es versuchen. Die Chancen, dass L lebte, waren unwahrscheinlich hoch. ‚50%’ sagte sich Raito leise und dachte daran zurück, wie sich Ls Wahrscheinlichkeitsprozent immer weiter erhöhten.

Er schüttelte Sayu ab, vertröstete sie auf später und schloss die Zimmertür hinter ihm ab. „Ryuk. Weg da.“ Er verjagte den Shinigami von seinem Schreibtisch und fuhr den Laptop hoch. Von seinem Desktop aus starrten sie ihn an, kleine Ordner, gefüllt mit Dateien von L über den Kira-Fall. Raito hatte sie noch nicht löschen können. Er schob seinen Explorer darüber und starrte hilflos auf den Cursor, der unaufhörlich in dem Suchfeld blinkte. Wie konnte er anfangen? Wo konnte er seine Suche starten? Hätte L es gewusst? Mit Sicherheit wären seine Finger jetzt schon über die hellen Tasten geflogen, mit Sicherheit hätte er die Ergebnisse seiner Suche schon vorgelesen. Raito versuchte seine Gedanken stärker auf Ls Denkweise zu fokussieren. Unsicher bewegte er seine Finger über die Tasten. Wenn er Ls Namen wüsste, wäre es um so viel einfacher. Er sah auf den Monitor, führte den Mauszeiger zu dem ‚Suchen’-Button und drückte ihn. Eine kleine Sanduhr tauchte auf dem Bildschirm auf, drehte sich, ehe sie verschwand und etliche Seiten angezeigt wurden. ‚Bestattungen England 2004’ prangte in dem Suchfeld und Raito klickte leise auf die erste Seite. Eine Liste. Seine braunen Augen weiteten sich leicht, während er die Namen murmelnd vorlas. Wüsste er, welcher Name zu L gehörte, wenn er ihn las? Raitos Blick glitt zwischen den Namen und den Geburtsdaten hin und her.

Ryuk schlief bereits, als Raito den Laptop endlich zuklappte. So viele Namen, so viele Daten. Jeder Eintrag hätte L sein können. Raito fuhr sich erschöpft durch die Haare und bettete den Kopf auf den Tisch. Wurde er wegen einem Toten schon paranoid?
 

Raito hielt den Brief in den Händen, den er vor wenigen Tagen erhalten hatte. Er hatte keinen Absender und die Worte in seinem Inneren waren präzise und kurz. Lediglich ein Treffpunkt und eine Uhrzeit waren drauf notiert, die Handschrift konnte er nicht zuordnen. Raito vermutete, wer ihn da treffen wollte. Aber er war sich sicher, dass sein Herz nicht mehr geschlagen hatte. War seine Leiche vielleicht woanders? Doch in England? War sein Grab hier nur ein Denkmal für die, die mit ihm gearbeitet hatten? Es wäre möglich. Es war sogar die einzige Möglichkeit. Er war tot, er hatte keinen Puls mehr gehabt. Raito hatte es selbst gefühlt. Und ein Eintrag in das Death Note eines Shinigami war unauslöschbar. Sollte er herausfinden wer ihn da so dringend sehen wollte? Was sollte schon passieren. Doch zuerst wollte er überprüfen, ob seine Vermutung wirklich richtig war. Raito klappte seinen Laptop wieder auf und zog den Brief näher an sich heran. Da waren sie wieder, die Dokumente von L. Raito wusste, dass irgendwo in den unzähligen Ordnern ein handgeschriebenes Fax des Toten sein musste. Wenn die Schrift mit der des Briefes übereinstimmte, lebte L also noch. Sein Blick glitt zwischen dem Bildschirm und dem Brief hin und her, aber die Schriften hatten nicht die geringste Ähnlichkeit. Die Notiz war grober, während Ls Schrift fast zittrig wirkte. Raito lehnte sich zurück und legte die Finger an sein Kinn. Diese Nachricht… konnte sie von Erald Coil stammen? Er würde es herausfinden.
 

Als Raito den angegebenen Treffpunkt erreichte, regnete es in Strömen. Er zog seine Jacke fester um seinen Körper und sah sich um. Der ausgewählte Ort war eine Bushaltestelle. Raito ließ sich auf einer der Bänke nieder. Seine Hand umschloss den Stift in seiner Tasche.

„Es ist erstaunlich, wie sich die Dinge ändern können, nicht wahr?“ Raito wandte den Kopf nach hinten. An der gläsernen Rückwand lehnte Erald Coil.

„Dachte ich’s mir doch. Was wollen Sie?“

„Ich soll dich nur abholen, Junge. Mein Auftraggeber will dich sehen.“
 

Es war dunkel. Und es roch süßlich. Raito tastete sich in der Dunkelheit langsam vorwärts. Durch das Öffnen der Tür war ein wenig Licht in den dunkeln Raum gefallen, aber es hatte nicht gereicht, um Raito den Aufenthaltsort der im Raum befindlichen Person zu zeigen. War das eine Falle? Lief er gerade in ein Messer? Innerlich bereute Raito es diesem ominösen Kerl gefolgt zu sein. Ein Komplott der Polizei? Er trat in etwas. Raito zuckte zurück und strich an seinem Hosenbein entlang. An der Sohle seiner Socken spürte er etwas Klebriges. Vorsichtig zog er seine Hand zurück, hielt sie näher vor sein Gesicht und blinzelte. Es war zu dunkel um zu erkennen was es war. Doch es roch nach Zucker. Unsicher stieß Raito seine Zungenspitze in die klebende, cremige Masse. Tatsächlich. Es war Kuchen. Raito zog seine Socken aus und ließ sie unachtsam auf den Boden fallen. Immer wieder streiften ihn Dinge, manche hart, manche weich. Nicht selten klapperte es leise, wie Porzellan, das auf einem Holzboden bewegt wurde. Ohne sich danach umzusehen wusste Raito, dass es Süßigkeiten waren. Doch wo war die Person, die ihn so dringend treffen wollte? Der Raum war weitläufig und Raito hörte die kleinen Echos, die von seinen Schritten erzeugt wurden. Unerwartet stieß er gegen etwas. Eine Waffe? Nein, er fühlte keinen Schmerz. Das war kein todbringendes Metall. Es war ein warmer, menschlicher Körper. Raito ließ seine Finger an der Person hoch wandern. Als seine Hände sein Gesicht erreichten, setzte Raitos Herz für einen kurzen Moment aus. Er fühlte zerzauste, weiche Haare, spürte den warmen Atem auf seinen Armen. Und obwohl er ganz genau wusste, wer dort im Dunkeln vor ihm stand, konnte er es nicht glauben. Er hatte ihm beim Sterben zugesehen. Warum stand er nun hier?

„Die Gerechtigkeit siegt am Ende immer, Kira.“ Ls Stimme klang unendlich kalt. Raito schloss seine Augen. Er hatte verloren. Er konnte hören, wie Ls Füße über den Boden streiften, wie er sich ihm näherte. Er rechnete damit den eisigen Stahl der Handschellen wieder um seine Handgelenke zu fühlen. Doch das, was er fühlte, war nicht kalt. Es waren auch keine Handschellen. Es waren Ls warme Lippen, die sich langsam und zaghaft auf seine drückten.
 

Sie wirkten beide wie verloren, als sie Arm in Arm dem Treiben des Flusses zusahen. Raito spürte Ryuk hinter sich, doch die Anwesenheit des Shinigami interessierte ihn nicht. Seine Augen huschten zu L, der den Kopf an seine Schulter gelehnt hatte. Wie sehr hatte er ihn gehasst, wie sehr hatte er ihn vermisst. Er war ihm so ähnlich. Konnte er ihn noch mal töten? Raito wusste keine Antwort auf seine Frage. Er wusste nicht einmal, was nun aus ihnen werden sollte. Da standen sie, L und Kira, Feinde, und starrten einfach nur auf das fließende Wasser. Ryuk begann hinter Raito leise zu lachen und sah ihn an.

„Ich wusste es die ganze Zeit“ begann der Shinigami und bohrte seine Blicke regelrecht in Raitos angespannten Körper. „Es gibt eine Eigenschaft des Death Notes, die selbst du noch nicht herausgefunden hast.“ Raito wurde hellhörig und sah so weit nach hinten wie er es wagen konnte ohne Ls Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Notiert man nur einen Teil des Namens… Vor- oder Nachname… stirbt der Mensch nicht. Der Herzinfarkt, den er erlitten hatte, hatte ihn nicht getötet. Das Grab war von Anfang an leer. Ich stand dabei, als er im Nachbarraum die Augen aufschlug.“ Raitos Blick war vorwurfsvoll und flehte zugleich nach einer Erklärung. „Weißt du, Rem hat es gemerkt. So etwas nennt man wohl weibliche Intuition. So gut wie ihr glaubt könnt ihr Menschen eure Gefühle nicht verbergen. Rem… hat lediglich seinen Nachnamen aufgeschrieben.“ Raito blickte wieder nach vorne, atmete Ls süßen Duft ein. Hinter ihm hörte er die Schritte eines Paares und ganz leise trug der Wind Worte an sein Ohr, deren Bedeutung er erst jetzt verstand: „… why do I love you?“
 


 

Nachwort:

Wer ist Erald Coil: Ayber =D

Was hat es mit dem Song auf sich: Er passt vom Text her so schön zu den beiden.

Warum lebt L: Weil meine Widmerin ein Happy End wollte und ein Happy End ohne L geht nicht.

Warum spielt es dann nicht vor Kapitel 58: Weil ich Raito auf diese ganz besondere Art und Weise quälen wollte. Er sollte sich des Verlusts bewusst werden.

Was soll Ryuks Erklärung: So etwas passiert, wenn Death Note-Fans nachts um halb zwei noch nach Möglichkeiten, L überleben zu lassen, suchen.

Wo sind Mello und Near: Nicht da ^^



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Kommentare zu diesem Kapitel (32)
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Von:  Tirai
2012-05-16T09:57:28+00:00 16.05.2012 11:57
Ach ja

Lg
Tirai
Von:  Tirai
2012-05-16T09:57:10+00:00 16.05.2012 11:57
Sehr geschickt wie du die Tatsache das L gestorben ist umgangen bist. :)

Ein sehr sehr angenehmer Schreibstil, ist auch nicht die erste FF die ich von dir lese, fals ich noch nicht kommentiert habe, bitte ich um verzeihung, das werde ich noch nachholen.

Ebenfalls sehr gefallen hat mit das L Light erst einmal etwas zappeln lassen hat.
Schön das Rem da positiv mitgewirkt hat :)
Von:  Lawlya
2011-10-30T20:44:06+00:00 30.10.2011 21:44
Das Nachwort war natürlich das beste xDDD

Nein, nein, ich fand die FF wirklich gut und die Erklärung einleuchtend.
Immerhin ist die Person ja auch betroffen, wenn man nur einen Teil des
Namens einträgt, aber sie kriegt nicht die volle Packung ab.
Und ein gutes hat es: L wird zukünftig immer die Vorwarnungen seines nächsten
Herzinfarktes kennen xDDD
Hatte ja schonmal einen^-^

LG Mara
Von:  DirtylittleKitten
2009-11-11T18:09:11+00:00 11.11.2009 19:09
^--- fleißig Namen ins Death Note schreib^^
So hab gerade mal deine keine aber feine FF entdeckt^^
Ich muss saegn die Idee ist nicht schecht,ne^^
Habe ehrlich gesagt gerad keine Lust afn Kommi^^ hab ich nie^^
Also beschränke ich mich darauf zu sagen das ich die FF gut gelungen fand und sie sehr unterhaltsam war^^
Zumal Ryuk wieder bis zum ende die klappe gehalten hat wie sons auch xD
Nunja ich shreib mal weiter^^ Bd ne
Von:  halfJack
2009-08-05T14:27:18+00:00 05.08.2009 16:27
Beim anfänglichen Lesen wird man so schnell in das Geschehen hineingeworfen, dass man sofort weiß, welche Szene sich hier abspielt. Dabei unterstützen gerade die Kleinigkeiten, die du beschrieben hast, die Gesamtatmosphäre. Ich habe ja schon einmal bei deiner ersten Fanfiction zu Death Note angemerkt, dass man sich die Situationen anhand deines Schreibstils sehr gut bildlich vorstellen kann. Im Manga wird an dieser Stelle, als L stirbt, meines Erachtens eindeutig gezeigt, dass es nicht so spurlos an Light vorübergeht. Sonst hätte er nicht diesen Blick im Gesicht getragen, dieses Erstaunen, obwohl es alles vorausberechnet war und nach Plan verlief.
Nun, was soll ich zu dem Thema sagen, dass Light nach Ls Tod seinen Antrieb verloren zu haben schien? Obwohl ich L niemals meine ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt habe, weil meine Faszination zumeist Light und seinem Vater (sowie später Mikami) galt, hat mich sein Tod doch sehr schockiert. Ich habe mir vor Jahren die englischen Scanlations durchgelesen, konnte danach aber erst einmal nicht weiter. Noch bewusster wurde mir das, als ich später die (sozusagen) zweite Staffel von Death Note durchlas. Was war mit Light los? Warum hatte er so nachgelassen, warum war er plötzlich so unbedacht, warum war er nicht mehr das ambivalente Monster, das unschuldige Kind? Was ich sah, war nur ein Schatten seiner selbst. Als hätte man ihm etwas von der Perfektion herausgerissen und das Chaos in seinen Augen zu einer selbstzerstörerischen Masse werden lassen. Anfangs war ich enttäuscht, später war ich wütend. Jetzt bin ich... traurig, aber gleichzeitig froh darüber, wie das alles in Death Note dargestellt wurde. Weil es unerwartet ist, unkonventionell, ohne Rücksicht und dadurch realistisch. Diesen Ton hast du gut getroffen.

Es gibt in dieser Fanfiction ein paar Details, die ein paar Eigenschaften Ls auf Light übertragen haben, zumindest kam es mir so vor. Beim Überlegen legt er einmal den Finger an die Lippen; er rechnet mit prozentualen Wahrscheinlichkeiten; er übernimmt die Rolle Ls und vergleicht seine Handlungen ständig mit den seinen. Ob du das beabsichtigt hast oder nicht, ich fand es jedenfalls gut eingesetzt. Wiederum ein Beleg dafür, welchen Einfluss L auf Light hatte und selbst nach seinem Ableben noch hat (auch wenn er in deiner Fanfiction nicht verstarb).

Eine kleine Sache hat mich verwirrt, als Light über den "Schulhof" ging. Seltsame Bezeichnung, weil er ja eigentlich Student sein dürfte. Darum fand ich auch die Klingel oder was das war ein wenig unpassend, weil ich keine Uni kenne, bei der eine Klingel zu Seminaren oder Vorlesungen läuten würde.
Ein wenig irritiert war ich auch, als du darauf eingingst, dass L Angst vor Kira empfinden würde. Natürlich sind das größtenteils Lights Gedanken, darum muss man damit nicht konform laufen. Es ist nur so, dass ich Ls Scheu vor der Öffentlichkeit, die Angst, sein Leben aufs Spiel zu setzen, nicht auf eine übliche Angst des Menschen, sozusagen auf den Selbsterhaltungstrieb reduzieren würde. Es ist vielmehr sein Dienst gegenüber der Menschheit an sich, weil er sich seiner Rolle als weltbester Detektiv bewusst ist. Er ist zu wichtig, zu viel wert, um zu sterben. Wahrscheinlich siehst du das genauso... diesen Punkt in die Fanfiction aus Lights Sicht einzubauen, wäre wohl irgendwo auch Unsinn, wenn ich so darüber nachdenke. Also das nur als Bemerkung nebenbei.

Die Idee mit dem Wort "Justice" auf Ls Grabstein gefällt mir. Ich habe bisher nur eine Geschichte zu seiner Beerdigung gelesen, in welcher der Grabstein völlig weiß war, ohne ein einziges Wort. Beide Ideen gefallen mir sehr, weil sie für L so bezeichnend sind, wie seine eigene Rolle. Ein Name, hinter dem er selbst als Opfer zurücktreten musste, weil er als einziger in der Lage war, diese Rolle einzunehmen. Wobei ich mich oft gefragt habe, ob sich nicht irgendjemand darum kümmert, Ls Körper abzuholen. Warum sollte er in Japan begraben werden? Wie wurde er bestattet? Warum wird weder im Anime noch im Manga ein einziges Wort darüber verloren?
In deiner Fanfiction mochte ich die Doppeldeutigkeit des Grabens, als Light nachschauen will, ob L tatsächlich in dem Grab liegt oder nicht: "je tiefer er grub, desto näher kam er L". Wirklich gute Wortwahl.

Sobald der Name Erald Coil auftaucht, weiß man schon, dass sich dahinter Ayber verbirgt. So war es schließlich auch im Manga. Lights Reaktion war typisch für ihn, weil auch beim Auftauchen von Near und Mello sofort wieder der Gedanke an L in ihm hochkommt. Er meint erneut bzw. noch immer gegen L zu kämpfen. Das ist und bleibt sein eigentlicher Gegner in der gesamten Serie.

Das Lied, das du als Referenz angegeben hast, passt perfekt zu der Beziehung von L und Light. Es gefiel mir auch, wie du den Song eingebaut hast, ohne es zu einer Songfiction werden zu lassen.

Insgesamt würde ich zwar sagen, dass die Fanfiction nicht mit großen Überraschungen aufwartet, aber die Stärken liegen im Schreibstil, der Atmosphäre und einigen prägnanten Wortformulierungen. Zum Beispiel als Light seinen Vater darum bittet: "Lass mich L sein".
Mir fehlt ein wenig das Fazit, muss ich zugeben. Ein logisches Happy Ending für Death Note ist allerdings auch eine schwere Sache.

Ansonsten würde ich nur ein paar Dinge anmerken, die die Rechtschreibung betreffen, natürlich alles ohne Garantie.
1. Meist hast du nach wörtlicher Rede, die beispielsweise mit "sagte" oder "fragte" ausklingt, einen Punkt und kein Komma gesetzt.
2. "Ich hatte recht" -> "Ich hatte Recht" (Seite 1)
3. "Worte [...], die nicht von einem der Personen stammten" -> "einer der Personen" (Seite 2)
Das ist natürlich alles Haarspalterei, ich weise nur darauf hin, weil es mir persönlich helfen würde, wenn mich Leser auf ein paar Fehler aufmerksam mache, die ich fünzigmal überlesen habe. Du kannst das also auch ignorieren.

Ansonsten bleibt mir nur zu sagen, dass ich die Geschichte sehr gern gelesen habe und sie stellenweise sogar richtig spannend fand. Danke also dafür.
Von: abgemeldet
2008-10-13T01:01:08+00:00 13.10.2008 03:01
Hach, was für ein kitschiges Ende <3
Und was für eine süße Geschichte /\_/\ aber um das mit dem Lied zu verstehen musste ich, um ganz ehrlich zu sein erst einen Freund um Rat fragen ^^' Ich habe den Text zwar verstanden, aber ich habe ihn nicht wirklich begriffen, nach seiner Erklärung jedoch hab ichs endlich geschnallt *über sich selbst lachen muss*
Ich gebe dir Recht, ein Happy End ohne L ist nicht denkbar x'D~ aber ich fands doch ein wenig merkwürdig, wie er überlebt hat...diese Regel mit dem Namen hast du dir selbst ausgedacht, habe ich das richtig verstanden? Interessante Vorstellung und wäre echt ein tolles alternatives Ende *anerkennend pfeif*
Was mich aber noch interessieren würde; was würde denn nun eigentlich passieren? L weiß ya, dass Raito KIRA ist... und trotzdem geht er eine LIebesbeziehung mit diesem ein? Zumindest wirds bei dir so angedeutet, mich würde also echt interessieren, wie das mit den beiden ausgehen würde o.o
Sonst war das eine echt tolle Geschichte und sehr interessant zu lesen, Raitos Gedanken hast du echt gut getroffen :D
keep it up!
lg
gosha

p.s.: dieser Kommentar hat mir den letzten nerv geraubt... ich saß ungefähr 20 minuten heulend davor, weil ich einfach nicht mehr weiter kam x'D
p.p.s.: ehm... was bedeutet eigentlich IC *dumm frag*

Von: abgemeldet
2008-08-03T23:57:18+00:00 04.08.2008 01:57
Deine Fanfiction ist toll! Absolut ergreifend und so gefühlsvoll geschrieben. Hat echt mein Herz erwärmt, super!
Endlich mal eine Fanfic mit Happy End inkl. lebender L! :D
Dass Rem ein weiblicher Shinigami ist, hatte ich lange nicht gewusst, sowas ist nunmal auch schwer rauszufinden bei Shinigamis! XD
Wird Raito nun hingerichtet?
Wirklich toll, deine FF, ich fange deine andere noch an zu lesen, "Faith".
Von: abgemeldet
2008-07-25T11:04:07+00:00 25.07.2008 13:04
oha mit deiner rede am anfang
kannst du angst machen
Von:  CandySheep
2008-06-17T19:08:57+00:00 17.06.2008 21:08
*quietsch*
wie schöööön~
und hier bin ich auch schon xD~
diese fanfiktion war wirklich schön *smile*
und ein happy end xDDD
freu mich schon auf mehr ;)

dat usu~
Von:  Maedhros
2008-04-02T16:18:37+00:00 02.04.2008 18:18
Jaa, happy end!
L lebt!
*freu*
*hüpf*
*starhl*
Ich mag die FF!
Sie ist toll geschrieben und L lebt!


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