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Ai No Kiseki

Wunder der Liebe
von

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Kaiou Michiru

Als Haruka auf die Terrasse trat und von dort aus in den Park ging, war von dem Spitz natürlich keine Spur mehr zu sehen. Man hörte ihn nicht einmal mehr bellen.

„Fiffi!“ rief Haruka unwillig. „He, Fiffi, komm wieder her! Fiffi!“ Am liebsten wäre sie hineingegangen und hätte die Tür hinter sich zugeschlagen. Aber wer weiß, wie die Tante reagierte, wenn ihr geliebter Fiffi verschwunden war!

„Fiffi! Fiffi!“ lockte Haruka. „Komm schon her! Na wird’s bald! Fiffi! Fiiiffiii!“

Aber kein Fiffi ließ sich blicken. Haruka hoffte insgeheim, daß das Vieh für immer verschwunden war. Der Kläffer war ja schrecklich!

Plötzlich ertönte aus dem angrenzenden Garten ein gellender Schrei, und dann rief eine helle Mädchenstimme: „Oh nein, wer hat dieses Mistvieh rausgelassen!“

Haruka grinste. Ganz so weit war es mit Fiffis Beliebtheit bei den Nachbarn wohl nicht her. Sie ging hinüber zu der Hecke, die den Garten vom Nachbargrundstück trennte. Dort gab es ein kleines Tor.

„Hallo!“ rief Haruka hinüber.

Schritte ertönten. Dann sah sich Haruka einem Mädchen in ihrem Alter gegenüber. Sie war klein und zierlich mit schmalen Schultern und feinen, weichen Gesichtszügen. Ihre meerblauen Augen wirkten verträumt, und sie hatte schulterlange türkisfarbene Locken, die ihr über die Schultern fielen. Sie trug einen langen rosafarbenen Rock, einen weißen Pulli und darüber eine dünne kurze rote Jacke. Die Absätze ihrer Halbschuhe klapperten auf dem geplätteten Gartenweg.

„Ja?“ fragte sie und sah Haruka verwundert an.

„Ähem, hi“, sagte diese, „hast du nicht eben was von einem Mistköter geschrien?“

Das Mädchen verschränkte die Arme. „Ach“, sagte sie ärgerlich und hob die Augenbrauen, „warst du das etwa, der den Hund freigelassen hat?“

Haruka grinste breit. Das „der“ war ihr nicht entgangen. Sie mochte es, wenn man sie für einen Jungen hielt. Es schmeichelte ihr, und sie tat nichts dazu, um das Mißverständnis aufzuklären.

„Tut mir leid“, sagte sie statt dessen. „Ich hab die Tür aufstehen lassen. Wo ist denn Tante Himekos heißgeliebter Fiffi jetzt abgeblieben? Sie bringt mich glatt um, wenn ihm was passiert?“

„Tante Himeko?“ wiederholte das Mädchen. „Ach, ich wußte gar nicht, daß Mrs. Tenô einen Neffen hat! Bist du hier zu Besuch?“

„Falsch“, antwortete Haruka, sich erneut das Lachen verbeißend. „Ich wohne jetzt hier.“

Überrascht sah das Mädchen sie an. „Was? Das glaub ich nicht! Ich meine, ich kann mir nicht vorstellen, daß ausgerechnet Mrs. Tenô... die ist doch fast nie Zuhause... aber lassen wir das. Dein Hündchen ist irgendwo hier im Garten. Warte, ich mach das Tor auf.“ Sie schob den Riegel zurück, und Haruka kam herüber.

„Mein Hündchen wäre wohl etwas übertrieben“, meinte sie. „Ich bin zwar erst vor ungefähr einer Stunde angekommen, aber das Mistvieh und ich werden bestimmt keine Freunde, das kann ich dir jetzt schon sagen!“

„Gratuliere“, lachte das Mädchen. „Genauso geht’s mir auch. Dieser Spitz ist der größte Kläffer, den ich kenne!“ Sie grinste. „Du mußt ihn mal sehen, wenn Mrs. Tenô mit ihm Gassi geht – da hat er so eine Hundeweste an und rosa Schleifchen im Fell...“

„Oh mein Gott!“ stöhnte Haruka. „Ich hoffe nur, ich muß nicht mit dem Vieh Gassi gehen. Dann streike ich nämlich!“

Wütendes Gebell ertönte von irgendwoher. Haruka folgte dem Mädchen in den hinteren Teil des Gartens. Dort war der Spitz gerade dabei, in der Erde zu graben. Sein Fell war verdreckt, und der Weg lag voller Schmutz und Erde.

„Oh nein!“ schimpfte das Mädchen. „Schau, was dein Fiffi angerichtet hat! Das war das Salatbeet meiner Mutter!“

Tatsächlich, zwischen all der Erde befanden sich sowas wie Feldsalatblätter. Haruka stöhnte. Ihre Ankunft hier stand ja unter keinem guten Stern.

„Komm her, Fiffi!“ befahl sie. „Na wirst du wohl! Komm sofort her! FIFFI!“

Fiffi reagierte nicht. Er grub unbeirrt weiter.

„Gib’s auf, der hört nur auf sein Frauchen“, erklärte das Mädchen. Sie sah sich um, schnappte sich eine grüne Gießkanne, die auf einer Regentonne stand und schüttete Fiffi deren Inhalt über den Kopf.

Fiffi jaulte entsetzt auf und schüttelte sich, so daß die Tropfen nur so flogen. Dann trottete er auf den Weg zurück.

„Na toll!“ kommentierte Haruka sarkastisch. „Jetzt ist er nicht nur völlig verdreckt, sondern auch noch tropfnaß! Meine Tante killt mich, wenn sie ihn so sieht!“

„Hm“, überlegte das Mädchen, „dann müssen wir ihn eben baden.“

Haruka starrte sie an. „W... wie war das? Baden? Einen Hund?“

„Na, deine Tante badet ihn auch immer. Und du willst ihn ja wohl nicht so in die Wohnung lassen! Was meinst du, was deine Tante dir erzählt, wenn ihre sündhaft teuren Perserteppiche hinüber sind!“

Haruka dachte an die blitzsaubere Wohnung und merkte, daß das Mädchen recht hatte. „Na schön“, sagte sie. „Es wird uns wohl gar nichts anderes übrig bleiben.“ Sie bückte sich blitzschnell und packte Fiffi im Genick. Der Spitz jaulte kläglich auf. Die Lust zum Bellen und Knurren war ihm wohl gründlich vergangen.

„Was dagegen, wenn ich mitkomme?“ fragte das Mädchen. „Fiffi wird gebadet – den Spaß werde ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen!“

Haruka fragte sich, ob das der einzige Grund war, weshalb sie mitkommen wollte. Vielleicht hing es ja damit zusammen, daß sie Haruka noch immer für einen Jungen hielt.

„Klar“, sagte sie. „Wenn du mir sagst, wie man einen Hund badet...“ Sie warf einen hilflosen Blick auf Fiffi.

Das Mädchen zuckte die Achseln. „Tja, das weiß ich leider auch nicht, aber wir werden’s schon irgendwie schaffen, ohne daß Fiffi uns hinterher für seine Todfeinde hält!“ Sie hielt inne. „Übrigens, ich heiße Kaiou“, stellte sie sich vor.

„Kaiou und wie weiter?“

„Kaiou Michiru.“

„Das heißt »Beherrscherin der See«“, stellte Haruka fest.

Michiru Kaiou lachte und strich sich eine türkisfarbene Haarsträhne aus der Stirn. „Das ist richtig. Ich bin auch eine richtige Wasserratte. Und wie heißt du?“

„Tenô Haruka.“

„Tenô Haruka... hm, das bedeutet »Ferner Himmel« oder »König der Lüfte«. Klingt interessant. Magst du denn den Himmel und die Luft?“ Sie lachte.

„Tja, weißt du... irgendwie paßt der Name ja schon. Meine Freiheit geht mir nämlich über alles.“ Sie betrachtete den japsenden Fiffi. „Aber wir sollten unser Gespräch verschieben, sonst krepiert Tante Himekos Liebling noch.“

„Was auch nicht sehr schade wäre“, murmelte Michiru bedeutungsvoll.

Die beiden gingen nach drüben in die Villa und fanden sich kaum eine Minute später in Mrs. Tenôs Badezimmer wieder. Als wüßte Fiffi, was mit ihm geschehen sollte, jaulte er herzzerreißend.

„Er stinkt“, stellte Haruka fest. Sie sah Michiru an. „Also, was nun?“

„Hm...“ Michiru betrachtete stirnrunzelnd die Parfüms auf der Ablage unter dem Spiegel. „Ich habe noch nie so viele Parfümflaschen auf einem Haufen gesehen! Dieses hier kenne ich, und dieses auch, aber dieses...“

„Hey!“ stöhnte Haruka ungeduldig. „Hast du’s jetzt endlich mit deinem Parfüm!“

Ungern wandte sich Michiru von den Düften ab. Am Rande der Badewanne standen verschiedene Flaschen, deren Etiketten sie nun studierte. „Haarwaschmittel... Hautbalsam... Badesalz... Duschgel... milde Spülung... tja, kein Mittel, das irgendwie auf Hunde hinweist.“

Fiffi jaulte weiter und fing an zu zappeln. „Nimm irgend etwas“, schlug Haruka vor. „Es wird schon nicht schaden! Aber mach schnell, Fiffi fängt an zu zappeln!“

Michiru griff kurz entschlossen nach einer weißen Flasche mit der Aufschrift »Pfirsichduft«.

„Was ist das?“ fragte Haruka mißtrauisch.

„Ein Haarwaschmittel deiner Tante, das nach Pfirsichen duftet“, erwiderte Michiru, während sie den Deckel aufschraubte.

Haruka setzte Fiffi in die Badewanne und hielt ihn mit einer Hand fest, während sie sich mit der anderen Hand die Ärmel von Hemd und Jackett hochkrempelte.

„Na dann mal los“, murmelte Michiru, nahm den Duschkopf von der Halterung und schaltete das Wasser an. Als der Hund das Geräusch des laufenden Wassers vernahm, bellte er wie verrückt und versuchte aus der Wanne zu springen. Haruka brauchte beide Hände, um ihn festzuhalten.

Als das Wasser die richtige Temperatur hatte, richtete Michiru den Strahl auf den Spitz. Der Tier jaulte und versuchte nach Haruka zu schnappen, aber das Wasser durchnäßte sein schmutziges Fell unaufhaltsam. In der gelben Wanne bildete sich eine dreckige Pfütze. Fiffi sah erbärmlich aus, und es roch ganz schrecklich nach Hund. „Beeil dich“, stöhnte Haruka, die bereits ganz naß war.

Michiru schaltete das Wasser ab und begann, das Shampoo auf dem Fell zu verteilen. Fiffi schüttelte sich in einem fort, und bald schon waren Michiru und Haruka nicht nur tropfnaß, sondern auch noch voller schaumiger weißer Flecken.

Schließlich spülte Michiru das Shampoo wieder herunter. Ein leichter Pfirsichduft lag nun in der Luft. Während Haruka den sich windenden Spitz in das nächstbeste Handtuch wickelte, spülte Michiru die Wanne sauber und stellte das Haarwaschmittel wieder an seinen Platz.

„Jetzt müssen wir ihn nur noch trocken kriegen“, meinte Haruka. „Und uns selbst dann vielleicht auch noch.“

Michiru entdeckte auf der Fensterbank einen Plastikbeutel, in dem ein Fön aufbewahrt wurde. Sie nahm ihn heraus, steckte den Stecker in die Steckdose neben dem Waschbecken und richtete den Strahl auf Fiffi.

Fiffi hatte jetzt endgültig die Nase voll. Er jaulte noch einmal kurz auf und biß Haruka in die Hand. Als diese ihn mit einem Schreckensschrei losließ, stürzte er wie wild kläffend zur Tür hinaus.

„Auuu!“ schrie Haruka. „Du verfluchtes Mistvieh!“

„Tut es sehr weh?“ fragte Michiru erschrocken. „Vielleicht hältst du die Hand besser mal unter kaltes Wasser. Ich geh inzwischen mal nach Fiffi sehen.“ Sie trat auf den Flur und stöhnte entsetzt auf. „Oh nein!“

Haruka stürzte zu ihr. „Was ist denn jetzt schon wieder?“

Und da sah sie es auch schon selbst. Mitten auf dem Flur stand Fiffi und schüttelte sich. Der Hund war zwar wieder sauber, aber dafür zierte den roten Teppich nun ein breiter, dunkler nasser Fleck.

„Verdammter Köter!“ schrie Haruka zornig. „Hättest du dich nicht irgendwo anders schütteln können! Mach, daß du mir aus den Augen kommst!“

Im selben Augenblick öffnete sich die Flurtür und auf der Schwelle erschien niemand anders als Mrs. Himeko Tenô, Harukas Tante!

Mrs. Tenô starrte Haruka und Michiru sprachlos an, wie sie da naß und voller Shampooflecken auf dem Flur standen, Haruka mit einer Bißwunde an der Hand, Michiru mit dem Fön. Dann gewahrte sie den Fleck auf dem Teppich und schnappte entgeistert nach Luft.

„Tante Himeko...“, fing Haruka langsam an, „das tut mir echt leid, wir... wir wollen nur... also Fiffi hat... ist... äh...“

„Das ist alles meine Schuld“, jammerte Michiru. „Ich hab gesagt, wir sollen ihn baden!“

„Baden!?“ fragte Mrs. Tenô fassungslos. „Sie meinen doch nicht etwa meinen kleinen Fiffi!?“ Sie fuhr herum und sah Haruka wütend an. „Haruka, du sagst mir sofort, was hier vor sich geht!! Auf der Stelle!!“

Haruka blieb nichts anderes übrig, als ihrer Tante die ganze Geschichte zu erzählen. Kopfschüttelnd hörte Mrs. Tenô zu, bevor sie dann ins Wohnzimmer stürzte und nach ihrem Fiffi sah, der sich im Hundekorb hinter der Ledercouch verkrochen hatte.

„Au weia!“ murmelte Michiru. „Das gibt Ärger!“

Sie gingen ins Badezimmer zurück, und während Michiru den Fön wieder in die Plastiktasche steckte, ließ Haruka das Handtuch unauffällig im Wäschesack verschwinden. Wenigstens war die Wanne einigermaßen sauber.

„Wie geht es deiner Wunde?“ fragte Michiru schüchtern. „Tut sie weh? Du mußt sie wirklich unter kaltes Wasser halten, das hilft. Und dann solltest du ein Pflaster drauf tun, damit kein Schmutz und keine Bakterien reinkommen.“

„Danke für den Tip“, sagte Haruka gereizt.

Michiru wagte es nicht, noch einmal etwas zu sagen. Wortlos ging sie zu dem Verbandskasten, der an der Wand neben der Dusche hing und kramte darin herum, bis sie eine Salbe und ein Pflaster gefunden hatte. Nachdem Harukas Wunde versorgt war, gingen die beiden kleinlaut ins Eßzimmer, wo Mrs. Tenô mit einer Tasse Kaffee am Tisch saß und ihnen streng entgegensah. Fiffi lag auf ihrem Schoß und zitterte. Er jaulte erschrocken auf, als er die beiden Mädchen erblickte.

„Da schaut, was ihr angerichtet habt!“ schimpfte Mrs. Tenô. „Mein armer Liebling! Haruka, ich scheine mich in dir getäuscht zu haben. Ich habe dich eigentlich für ein reifes, vernünftiges Mädchen gehalten, das...“

Sie wurde von Michiru unterbrochen, die nach Luft schnappte und sich nach Haruka umdrehte. „Du... du bist...!?“ stammelte sie mit großen Augen.

Haruka grinste breit. „Ich habe nie gesagt, daß ich ein Junge bin, oder?“ lachte sie.

Michiru warf ihr einen entsprechend wütenden Blick zu und verschränkte die Arme, sagte jedoch nichts.

„Was soll jetzt dieser Unfug schon wieder?“ regte sich Tante Himeko auf. „Und wie bitte seid ihr auf die dumme Idee gekommen, meinen Fiffi zu baden?“

Haruka war nahe dran zu explodieren. „Dein Fiffi war derart schmutzig, daß er gebaden werden mußte, ob es ihm nun gefallen hat oder nicht“, sagte sie ärgerlich.

„Mäßige deinen Ton!“ fuhr die Tante auf. „Wie sprichst du denn mit mir! Michiru, was haben Sie dazu zu sagen?“

Michiru räusperte sich umständlich. „Ähem, na ja, Haruka hat recht, der... der Hund war wirklich total dreckig, und da hab ich vorgeschlagen, ihn zu baden...“ Sie brach verlegen ab.

„Sie waren das also, die auf diese Schnapsidee gekommen sind!“ donnerte Mrs. Tenô. Dann seufzte sie. „Na ja, geschehen ist geschehen, und wenigstens habt ihr es gut gemeint! Ich hoffe nur, die Putzfrau bekommt den Fleck wieder aus dem Teppich, sonst könnt ihr etwas erleben! Und in Zukunft laßt ihr Fiffi in Ruhe, ist das klar?“

Michiru und Haruka tauschten einen Blick. „Mit dem größten Vergnügen!“ antworteten sie im Chor.

„Was soll das jetzt wieder heißen?“ fragte die Tante mißtrauisch und trommelte mit den Fingern auf den Eßtisch. Ärgerlich runzelte sie die Stirn. „Da kommt man nach einem anstrengenden Geschäftsessen müde nach Hause, und dann sowas! Haruka, ich hoffe nicht, daß du vor hast, noch mehr derartige Aktionen zu starten!“

„Nein, sicher nicht“, murmelte Haruka mit einem Blick auf ihre verletzte Hand.

„Na dann... übrigens, ich hatte vorhin ein Telefonat mit dem Direktor der Mugen Gakuen Schule. Du kannst morgen dann dort zur Schule gehen.“

Haruka machte kein besonders fröhliches Gesicht, während Michiru überrascht fragte: „Dann gehst du also auch auf das Mugen Gakuen College?“

„Du auch?“ fragte Haruka nicht sehr interessiert.

„Ja“, sagte Michiru, und es klang, als freue sie sich wirklich.

Mrs. Tenô seufzte. „Leider gibt es schon wieder Probleme, diesmal mit der Schuluniform. Sie hatten keine in deiner Größe, und darum wirst du wohl oder übel die Schuluniform der Jungen tragen müssen.“ Mißbilligend schüttelte sie den Kopf.

Haruka sah sie an, und ihre Augen begannen zu funkeln. „Wirklich“, sagte sie vergnügt, „das ist aber sehr ... ärgerlich...“

„Das ist es, aber da kann man nichts machen“, meinte Mrs. Tenô. „Du wirst dich also damit abfinden müssen.“

Michiru sah Haruka an. Diese bemerkte ihren Blick und wandte sich nach ihr um. Michiru lachte und zwinkerte ihr vergnügt zu. Im Gegensatz zur Tante hatte sie sie durchschaut.

„Ich werde jetzt einen kleinen Spaziergang mit Fiffi machen“, entschied Mrs. Tenô und trank ihren Kaffee aus. „Zu viele Aufregungen sind nicht gut für meine Verfassung. Wir sehen uns heute abend, Haruka. Auf Wiedersehen, Michiru.“

Mrs. Tenô verschwand im Flur, und die beiden Zurückbleibenden hörten, wie sie nach ihrem Schoßhündchen rief und ihm gut zuredete, sich die Leine anlegen zu lassen. Danach fiel die Haustür ins Schloß.

„Ich würde sagen, Glück gehabt“, seufzte Michiru erleichtert und fuhr sich mit der Hand durch die türkisfarbenen Locken. Dann sah sie Haruka mit blitzenden Augen an. „Und jetzt zu dir, meine Liebe! Du wußtest genau, daß ich gedacht habe, du bist ein Junge und...“

„Ja, und ehrlich gesagt, das hat mir geschmeichelt“, lachte Haruka. „Das ist doch ein großes Kompliment! Ich wäre viel lieber ein Junge, um genau zu sein.“

Michiru sah sie verwundert an. „Darf ich auch fragen warum?“ wollte sie wissen.

„Das ist einfach. Sieh dir zum Beispiel doch mal die Schule an... ich kenne keine Schule hier in Japan, wo Jungs nicht bevorzugt würden. Oder ich fahre Motocross-Rennen. Da heißt es dann hinterher, ich sei nicht normal, weil ich als einziges Mädchen gegen lauter Jungs gefahren bin. Daß ich gewonnen und mir den Sieg ehrlich erkämpft habe, interessiert keinen. Mädchen werden unterdrückt. Das war schon immer so. Ich habe bis jetzt eine Internatsschule besucht und am eigenen Leib gespürt, wie es ist, »nur« eine Frau zu sein.“

„Das ist wahr“, sagte Michiru überraschenderweise. Sie runzelte die Stirn, schien etwas sagen zu wollen, schwieg jedoch.

„Was wolltest du sagen?“ fragte Haruka, die sie beobachtet hatte.

Michiru schien zu zögern. Dann lächelte sie. „Ach, nichts weiter. Ich muß jetzt gehen. Wir sehen uns sicher morgen in der Schule. Wetten, daß dich da auch alle für nen Jungen halten?“ Sie zwinkerte Haruka zu.

Haruka lachte laut auf. „Ja, das ist natürlich möglich“, schmunzelte sie.

„Ich werd jedenfalls keinen Kommentar dazu abgeben. Also, ich muß. Bye!“ Sie öffnete die Glastür und war wenig später wieder in ihrem eigenen Garten.

Haruka sah ihr nach. Nettes Mädchen, dachte sie. Nicht so versnobt wie die aus dem Internat, sondern mehr natürlich.

An diesem Abend sah Haruka ihre Tante nicht mehr. Sie kam recht spät mit Fiffi von dem Spaziergang zurück, und Haruka, die oben vor dem Fernseher saß, konnte nur hören, wie sie gleich darauf Fiffi das Fressen bereitstellte und dann in ihrem Arbeitszimmer verschwand.

Haruka genoß es, den Abend mit Chips und Coke vor dem Fernseher zu verbringen, und sie schaffte es tatsächlich, bis Mitternacht aufzubleiben. Als sie dann aber vor dem Horrorfilm einzuschlafen drohte, siegte die Vernunft. Sie ließ ihre Abfälle liegen – hatte die Tante nicht was von einer Putzfrau gesagt? – und ging ins Bad, um sich zu waschen, die Zähne zu putzen und sich den blauweißgestreiften Schlafanzug anzuziehen, der noch aus Internatsbeständen stammte. Dann ging sie in ihr Schlafzimmer, wo sie sich inzwischen einigermaßen eingerichtet hatte. Die scheußlichen Bilder hatte sie abgehängt und unter ihr Bett geschoben, statt dessen hingen nun überall Poster, die Autos und Motorräder zeigten und die auch sonst irgendwie auf ihr Hobby hinwiesen. Ein paar Sience fiction-Romane und Neon Genesis Evangelion-Mangas lagen auf dem Schreibtisch herum. Haruka nahm sich Persendons Universum mit ins Bett und versuchte noch etwas zu lesen, aber schon nach den ersten fünf Seiten fielen ihr die Augen zu und sie legte das Buch auf den Nachttisch und machte das Licht aus. Der Tag war anstrengend gewesen, und sie brauchte ihren Schlaf, um für die Schule morgen fit zu sein.

Es dauerte nicht lange, da war sie eingeschlafen.



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