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Andenken

von

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Double

Wie schrecklich dumm dieser unschöne Abklatsch von Lilian doch war! Es war Kiran ein Leichtes, sie zu täuschen.

Nachdem sie mit Mike, einem ihrer eigenen Männer, zurück in Mr. Tingles’ bescheidene Behau-sung gekehrt war, hatte sie nichts weiter tun müssen, als sich so lächerlich wie möglich zu beneh-men, um Lilly glauben zu machen, ihre Freundin stünde wieder vor ihr.

Der Händler, welcher hingegen sehr wohl Captain Kiran erkannt hatte, war mit einem einzigen e-bendieser zum Schweigen gebracht worden. Er hatte ihnen die von Jack notierten Materialien gege-ben und nun, kaum eine Stunde nachdem sie Lilian und ihrer beider Schiff verlassen hatte, befand sie sich mit Lilly in dem kleinen Beiboot, das sie zur Black Pearl zurück bringen sollte.

„Schade, dass Mike uns nicht begleiten wollte…“, seufzte Lilly nun schon zum wahrscheinlich hundersten Mal, seit sie den Hafen von Roseau verlassen hatten und der Matrose das Angebot des Mädchens ausgeschlagen hatte, mit ihnen auf Captain Sparrows Schiff zurückzukehren.

Kiran zuckte mit den Schultern. „Was findest du denn an dem…?!“, entgegnete sie genervt. Dieses Erstaunen empfand sie sogar, ohne sich verstellen zu müssen. Mike war nun wirklich nicht das, was man sich gemeinhin unter einem „liebenswerten Kerl“ vorstellte.

Aber Lilly wurde es nicht müde, ihrer vermeintlichen Freundin immer und immer wieder vorzu-schwärmen, wie umwerfend der junge Seemann doch war – so wie auch jetzt schon wieder: „Er sieht super aus, ist total nett, hilfsbereit, freundlich… Komm schon, Keira! Du musst doch zugeben, dass er sich wie ein echter Gentleman benommen hat…!“ Die Augen des Mädchens drifteten ir-gendwo in entfernte Sphären ab.

„Wenn du meinst…“, seufzte Kiran nur und konzentrierte sich dann wieder mehr als nötig gewesen wäre auf ihre Aufgabe, die derzeit darin bestand, zu rudern.

Lilly bekam wohl längst nicht mehr mit, dass ihre Gegenüber überhaupt geantwortet hatte. Auch gut. Wen diese dämliche Kuh, die anscheinend keine allzu hohen Ansprüche an Männer stellte, in ihren Träumen versank, hatte die Piratin wenigstens ihre Ruhe…!

Als sie endlich das Schiff mit den zwar im Augenblick gerafften, aber dennoch unverkennbar schwarzen Segeln erreichten, wurde bereits das erste Licht der Morgendämmerung am Horizont sichtbar. Grimmige Erregung breitete sich in Kiran aus, wenn sie daran dachte, dass sie Jack bald ins Gesicht schlagen konnte.

Sie fuchtelte ungeduldig vor Lillys Gesicht herum. „ Hey! Wir sind da. Greif doch mal nach dem Tau!“, fuhr sie das diese an.

Noch immer etwas benommen, tat das Mädchen, wie ihm geheißen und zog das kleine Boot somit nah an das große Mutterschiff heran.

Jacky musste sie bemerkt haben, denn sie sprang auf die Reling und grinste, eine Strickleiter in der Hand, überheblich auf die beiden hinab. „Wollt ihr etwa an Bord…?“

Kiran verdrehte die Augen und war dankbar, dass es so dunkel war. Ja, jetzt erinnerte sie sich wie-der, wie sehr sie diese Crew voller aufgescheuchter Hühner doch hasste – Captain Sparrows Betthä-schen-Truppe…

Ungeduldig wartete sie, bis Lilly nach oben und über die Reling geklettert war, dann folgte sie ihr.

Als sie auf den so seltsam vertauten Planken der Black Pearl stand, bemühe sie sich, selbstsicher in die erwartungsvollen Gesichter der Mannschaft zu blicken. Sie lächelte. „Wir haben alles bekom-men!“, meinte sie fröhlich. „Hoffentlich können wir jetzt das Schiff reparieren und endlich wieder in See stechen.“

Die Piratin hoffte das wirklich. Sie glaubte, dass es auf offener See einfacher sein würde, sich Jacks zu entledigen – und gegebenenfalls auch der ganzen Crew. Doch zunächst galt es, dem Captain möglichst überzeugend glaubhaft zu machen, dass er Keira wiederhatte. Das würde nicht einfach werden. Jack kannte Kiran – viel zu gut! Jede kleine Macke, die sich nicht unterdrückte, jede kleine Gewohnheit konnte sie verraten. Und sie wusste zudem nicht, was für ein Verhältnis er zu (oder mit) ihrer Doppelgängerin hatte. Kiran fühlte Wut in sich aufsteigen bei dem Gedanken… Sie schluckte und zwang das Gefühl nieder, grinste wieder vielsagend in die Gesichter der Piraten-Mädchen.

Jacky gab Mika soeben einen etwas genervten Wink, woraufhin die blonde Frau kurzerhand in das Beiboot hinabkletterte, um die Materialien an Bord zu holen, die Keira und Lilly von Mr. Tingles mitgebracht hatten.

Zum wiederholten Male fragte sich Kiran, wie der Captain eigentlich so dumm sein konnte, die beiden Mädchen zu dem Händler zu schicken, die ganz offensichtlich mit der Seefahrt so gar nichts am Hut hatten. Schön, ihr konnte es ja recht sein, denn so hatte sie jetzt immerhin wenigstens den Ansatz einer Chance, sich an Jack zu rächen. Und außerdem: besonders klug war er ja in der Tat nie gewesen – sonst hätte er es auch niemals gewagt, Kiran ihr Schiff zu stehlen und sie dabei buch-stäblich über Bord zu werfen.

Mit einem zornigen Kopfschütteln schob Kiran den Gedanken von sich. Jedes Mal, wenn sie ihn dachte, gefiel er ihr weniger.

Sie sah sich an Deck der Black Pearl um. Jack stand am Steuer, die Ellbogen lässig darauf gestützt, und blickte gedankenverloren in die Ferne. Es war erstaunlich, wie er es schaffte, trotz seiner geisti-gen Abwesenheit hin und wieder Befehle in seine Meute zu brüllen und dabei auch noch das Schiff auf Kurs zu halten. Er war schon immer ein Träumer gewesen, meist fern jeglicher Realität. Kiran würde dafür sorgen, dass dies zu seinem Verhängnis wurde.

Die Piratinnen waren hellauf beschäftigt. Ein paar von ihnen waren hinunter in den Bauch des Schiffes gelaufen, der Rest hatte zwei Beiboote zu Wasser gelassen. Kiran lehnte sich über die Re-ling, um das Treiben der Mädchen besser beobachten zu können. Jacky und Ivy entledigten sich soeben ihrer Kleider und sprangen ins Wasser, sodass Kiran nun gezwungen war, sich noch weiter nach vorne zu beugen, wenn den Beiden mit ihren Blicken folgen zu können, als diese zum beschä-digten Teil der Pearl hinabtauchten. Ein grimmiges Lächeln umspielte Kirans Lippen, als ihr be-wusst wurde, dass das hier ihr Verdienst war: Das kaputte Schiff, die beiden Dummchen in Rous-seau, die Flickarbeiten unter Wasser.

„Sie ist so etwas wie der Vize-Captain – die Vize-Captain.“ Bei seiner Verbesserung grinste Jack schief und Kiran musste sich verkneifen, mit den Augen zu rollen. Sie hasste diesen übertriebenen Feminismus, auch wenn sie selbst eine Frau und Captain war.

Obwohl sie seine Worte gehört und irgendwie – wohl unbewusst – sogar darüber nachgedacht hatte, sah sie ihn einen Augenblick lang nur verständnislos an, bis sie schließlich den Sinn seiner Worte richtig erfasste. Es war seltsam, aber aus einem unerfindlichen Grund war sie eben völlig versunken in den Anblick der arbeitenden Frauen gewesen. Sie hatte noch nicht einmal bemerkt, wie er neben sie getreten war – was ihr auch erst jetzt auffiel… Beinahe hätte sie den Kopf über sich selbst ge-schüttelt. Wenn sie sich nicht verraten wollte, musste sie ein bisschen vorsichtiger und vor allem aufmerksamer sein!

Als sie ihn nun wieder richtig ansah, war sie umso erstaunter, dass sich so etwas wie Verlegenheit in seine überhebliche Miene gemischt hatte. Wieso das denn.…?!? So sehr Kiran ihr Gedächtnis auch bemühte, sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Jack ihr gegenüber jemals in irgendeiner Weise beschämt gewesen wäre. Etwas war anscheinend vorgefallen, das sie nicht verstand – wobei sie aber den Gedanken nicht loswurde, dass sie darüber vielleicht besser Bescheid wissen sollte, wollte sie Jack glaubhaft verkaufen, sie sei Keira.

Plötzlich bemerkte sie, wie sie ihn anstarrte und wandte abrupt den Blick ab, um ihn mit einem be-müht ebenso verlegenen Lächeln auf das Wasser unter ihnen zu richten.

„Das ist nicht zu übersehen.“, antwortete sie schließlich mit einiger Verspätung, Belustigung schwang in ihrer Stimme mit.

Jacky war mittlerweile wieder aufgetaucht und kommandierte ihre Kameradinnen schon wieder aufs Ärgste herum. Kiran hatte sie nicht zuletzt deswegen immer gehasst.

Planken wurden nach unten zum Lack gebracht, ein Beutel voller Nägel und ein verrosteter Ham-mer. Bald konnte Kiran lautes Klopfen aus dem Inneren des Schiffes, durch die Wasseroberfläche sah sie Jackys und Ivys von der Brechung verzerrte Schemen mit Brettern und Werkzeugen hantie-ren. Etwa jede halbe Minute mussten die beide auftauchen, um nach Luft zu schnappen. Die körper-liche Anstrengung machte es nicht gerade einfacher, den Verlust von frischem Sauerstoff lange zu ertragen. Schon nach dem dritten Mal wurden von Miss Sparrow genervte Flüche laut, die davon zeugten, dass ihr die ganze Sache wohl viel zu langsam ging.

Jack folgte derweil schweigend Kirans Beispiel und beobachtete gelassen die kräftezehrenden Aus-besserungsarbeiten seiner Crew. Dennoch hatte die Piratin irgendwie das Gefühl, als wolle er etwas sagen. Wie gut sie ihn doch immer noch zu kennen schien… Dabei wollte sie ihn gar nicht mehr kennen! Nur… töten!

„Wo fahren wir hin, wenn wir wieder fahren können?“, fragte sie dann, um sich von ihren Gedan-ken abzulenken. Sie wusste, dass es ihr nicht gut tat, wenn sie zu viel über Jack grübelte. Am Ende würde es vielleicht damit enden, dass sie…

„Mayaguana.“ Sie war froh als er antwortete und ihr so weitere Persönlichkeitskonflikte ersparte. Aber sie verschluckte sich dennoch fast an ihrer eigenen Zunge, als sie hörte, wohin er mit ihnen wollte. Das war… weit. Eine kleine, ausschließlich von Piraten bevölkerte Insel am südwestlichen Rand des Atlantiks. Es würde nicht einfach sein, dorthin zu gelangen – noch dazu für Jack, der von jedem zweiten Schiff, das ihm begegnete entweder getötet oder gefangen genommen werden wollte.

Er seufzte und schüttelte den Kopf. „Eine reine Pirateninsel.“ Unnötig, Kiran das zu erläutern. „Ich brauche…“ Wieder grinste er schief. Es gefiel ihr noch immer. „… Männer.“

Kiran lachte auf. „Männer?!?“ Sie verzog das Gesicht – er ebenso.

„Für meine Crew! Zum Kämpfen!“ Sein Blick wurde wieder ernst und abwesend, als er ihn weit aufs Meer hinaus richtete.

„Gegen die Bloody Mary.“, sprach er nach einer Weile weiter, leise und seine Stimme klang dabei so entrückt, wie seine Augen wirkten. „Ich will das endlich ein für alle Mal beenden!“

Kiran bemühte sich, ihn nicht entsetzt anzustarren. Sie würde sich beeilen müssen mit ihrem Plan, sich Jacks zu entledigen. Wenn er Lilian mit geübten Piratenkriegern anzugreifen gedachte anstatt mit dieser Hurenmannschaft hier, dann würde die Frau mit Kirans Azubi-Seemännern kaum eine reelle Chance haben, sich überhaupt noch zu wehren. Kiran war sich ziemlich sicher, dass es keine drei Minuten dauern würde, bis die Bloody Mary zusammen mit ihrer Mannschaft in den Tiefen des Ozeans versinken würde. Die Black Pearl war größer, stärker bewaffnet, sie würde eine an Kraft sowie an Können überlegene Crew haben.

Jack musste sterben, bevor er seinen Plan umsetzen konnte! Und seine Leute am besten gleich mit ihm, von denen Kiran ziemlich sicher war, dass sie ihn zu rächen wenigstens versuchen würden.

Aber bis Mayaguana war es weit und sie und Lilian würden sicherlich mehr als eine Gelegenheit bekommen, den Captain der Black Pearl endlich von dieser Welt zu verabschieden.

Als sie bemerkte, dass ebenjener sie skeptisch beäugte, runzelte Kiran die Stirn und schüttelte miss-billigend den Kopf. „Was denn…?!“, murmelte sie gereizt. Zu spät fiel ihr ein, dass ihn das viel-leicht misstrauisch machen könnte. Sie rettete sich in hilfloses Lächeln. „Man hört nichts Gutes über männliche Piraten, weißt du?!“

Jack sagte nichts dazu, was Kiran nur zum wiederholten Male auf die Frage brachte, in welcher Beziehung er zu Keira stand.

Kiran machte eine Kopfbewegung in Richtung der arbeitenden Piratinnen. „Sie sehen aus, als wüss-ten sie, was sie tun. Wo hast du all diese Frauen eigentlich aufgetrieben?“ Sie wollte das Gespräch in etwas unverfänglichere, sicherere Bahnen lenken.

Er sah belustigt aus, zuckte mit den Schultern. „Wo man Frauen so findet…“

Sie verdrehte die Augen. „Das meine ich nicht! Ich wollte wissen, wie es kommt, dass sie sich alle mit Schiffen auskennen – und sich dazu bereit erklärt haben, dich zu begleiten.“ Wo er sie aufge-trieben hatte, konnte Kiran sich lebhaft vorstellen: In diversen Hurenhäusern der halben Welt.

„Sie begleiten mich weil sie es so wollen.

Und… ich weiß ja nicht, wo du herkommst, oder was Frauen dort für gewöhnlich tun, aber hier gibt es sehr viel mehr fähige Handwerkerinnen oder Navigatorinnen als die meisten wissen, oder auch nur ahnen.“ Sein Blick wurde plötzlich düster. „Viele sind ehemalige Huren, die ihr Glück in der Piraterie versuchen wollen. Andere Möglichkeiten haben solche Frauen ohnehin kaum.“ Jetzt grins-te er wieder. „Und glaub mir, es gibt genügend Männer, die einer Prostituierten liebend gern ein paar Dinge beibringen…“

Kiran machte ein angewidertes Gesicht. Obwohl sie diese Dinge natürlich wusste, ahnte sie doch, dass diese Keira geschockt wäre, so etwas hören zu müssen. Wo immer dieses Püppchen herkam, herrschten mit Sicherheit andere Verhältnisse, das hatte Kiran auf den ersten Blick erkannt. Dieses Mädchen war noch nicht oft mit Leid oder Armut konfrontiert worden und Arbeiten wie die einer Hure waren für sie verwerflich. Hier waren sie eine Art Sprungbrett für Frauen, die aus ihren Ver-hältnissen, aus ihren Familien und Verpflichtungen ausbrechen wollten. Sie konnten Kontakte knüpfen und Dinge lernen, die sie anderweitig einsetzen konnten, wie Jack sagte.

Die Piratin übte sich in betroffenem Schweigen und bemühte sich, erschrocken zu wirken. Zu ihrer Überraschung seufzte Jack und schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln.

„Ich wollte dich nicht erschrecken…“, murmelte er, was Kiran zu einem ungläubig-sarkastischen Lachen verführen wollte. Aber sie beherrschte sich gerade noch und grinste nur dämlich zurück, zuckte andeutungsweise mit den Schultern und er fuhr fort: „Aber so ist es nun einmal leider hier… in unserer…“ Er zögerte, anscheinend nach dem richtigen Wort suchend. „…Welt… Zeit…“ Keiras Herkunft schien ihn zu verwirren, doch vor Kiran konnte er auch das neugierige Glitzern nicht ver-bergen, das in seine Augen trat, während er sprach. Die Fremdartigkeit und das Geheimnisvolle um des junge Mädchen schienen ihn gleichermaßen zu faszinieren wie zu beängstigen. Es war leicht, ihm seine Gedanken anzusehen, wenn man ihn kannte. Viel zu leicht, wie Kiran fand und sie wand-te sich mit einem tiefen Seufzen von ihm ab.

„Ich glaube, ich schaue lieber mal, ob ich mich nützlich machen kann. Ehe ich mir noch eine Mo-ralpredigt von deiner Schwester anhören darf…“ Grinsend ging sie davon. Sie spürte, dass sie jetzt weg von Jack musste. Es tat nicht gut, ihm so nah sein zu müssen. Sie fürchtete, dass er noch ihre Pläne durchkreuzen würde, wenn sie nicht aufpasste.

Nein! Captain Sparrow musste sterben! Er würde büßen für alles, was er Kiran und ihrer Freundin angetan hatte!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Aranori
2008-05-30T18:56:42+00:00 30.05.2008 20:56
Das lange Warten entschädigt einen wirklich jedes mal auf Neue. *g*

- Captain Sparrows Betthäschen-Truppe
- „Und glaub mir, es gibt genügend Männer, die einer Prostituierten liebend gern ein paar Dinge beibringen…“

Ich mag deine Bezeichnungen und die zynischen Kommentare der Charaktere sehr. Das macht deinen Schreibstil sehr lebendig.

Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel! ^^


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