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Augenblick

"Es war so ein Moment, den man sonst aus dem Kino kennt..."
von

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Immer noch

Immer noch
 


 

„E H C#m G#m… A E F#m… A H… E H C#m G#m A E F#m A H E… ach shit!…“

Seufzend schmiss die rothaarige das Plektron beiseite.

1 ½ Stunden Geklimper und noch immer kein vernünftiges Ergebnis.

Sie hatte jetzt keine Lust mehr…

Mit einem leisen Murren legte sie die schwarze Gitarre auf ihrer Seite des Bettes ab. Vollkommen egal was sie grade oder wie sie es tat, sie kam bei dem Song einfach nicht weiter. Und das, obwohl Jan ihr seine E Gitarre geliehen hatte. Nicht irgendeine, es handelte sich dabei um DIE Black Hawk mit dem Totenkopf, die er bei jeden seiner Auftritte benutzte. Trübselig schmiss Rike ihre Textblätter auf das Kopfkissen, dabei fiel ihr Blick auf die Gitarre. War schon wirklich ein sehr schönes Stück. Mit dem Zeigefinger glitt sie vorsichtig über den silbernen Totenschädel, dann hinauf dorthin, wo seine Unterschrift eingraviert war.

Da konnte man echt neidisch werden.

Sie grübelte, womit sie sich stattdessen die Zeit vertreiben könne. Dies war der letzte Tag in Stuttgart, aber es fand noch nicht einmal ein Konzert statt.

Eigentlich müssten sie jetzt im Bus sitzen und dort die Zeit bis zur nächsten Stadt ausharren. Jedoch hatte der stattliche Doppeldecker sich eine, nicht gerade kleine, Beschädigung eingefangen, so dass sich die Abfahrt verzögerte. Um Mittag wurde ihnen mitgeteilt, dass sie 23:00 Uhr weiter fahren würden.

Dirk hatte darauf hin Pläne für die Nachtaktivitäten geschmiedet. Mit ziemlicher Sicherheit würden sie am Abend noch einige Discos durchforsten.

Aber bis dahin…

Henrike erhob sich und schritt zu dem Fenster, welches auf Kippe stand. Zügig öffnete sie dieses und lies sich den Wind um die Ohren wehen. OK, jetzt bekam sie eindeutig Lust Motorrad zu fahren. Oder zumindest mit dem Fahrrad.
 

„Rike…“

Das rothaarige Wesen in dem Hotelzimmer blinzelte.

Doch, da hatte jemand ihren Namen ausgesprochen. Und dieser ominöse Fremde war ihre Zimmergenossin Celina, wie sie durch eine Drehung nach rechts feststellte.

„Ach du bists.“ Henrike hielt kurz inne, als sie bemerkte, dass sie dieselben drei Worte verwendet hatte, die ihr Gestern noch mehrmals selbst gesagt wurden. Schulter zuckend schloss sie das Fenster und watschelte zum Bett.

„Gut dass du da bist Celli. Vielleicht kannst mir mit deinen Gitarrenkünsten weiter helfen…“

Schon hatte sie den Hals des Instruments um griffen und zog dieses zu sich.

„Jetzt nicht.“

Henrike sah mit dem berühmten Schmollmund zu ihrer Freundin und „Arbeits“kollegin auf.

Celina aber schien nicht einmal mit den Wimpern zu zucken.

Jetzt sah Rike, wie ernst sie drein blickte.

Ohne nachfragen zu müssen wusste sie schon, dass etwas nicht stimmte. Für Sekunden blickte sie ihre Freundin einfach nur abwartend an, bis Celina sich tatsächlich regte.

„Ich mach mir langsam echt Sorgen du…“ sie starrte auf den Boden „…wenn das so weiter geht zerfleischen die sich noch.“

„Wer?“, war das erste, was man von der Hamburgerin hörte.

„Bist du endgültig taub?“

Celina deutete mit dem Kopf zur Wand, an welches ihr Doppelbett stand.

Henrike glotzte auf die reglose und Mucksmäuschen stille Wand.

„Wieso? Ist ne völlig Anti-aggressive Tapete…“

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen hörte sie plötzlich mehr als deutlich, von was Celina gelabert hatte.
 

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„LAUFT MIR JA NICHT NACH!!!“

RUUUUUUUMS!!!!!!!

Heftig und Erschütterungen erzeugend schmetterte der sonst eher friedliche Farin U. die Hotelzimmertür in den Rahmen.

Schnaubend stand er im Rahmen und lehnte sich zurück, um sich erst einmal zur Ordnung zu rufen. Das konnte doch echt nicht war sein!

Er war in Ordnung, er war verdammt noch mal in Ordnung!!! Es gab nichts zu bereden…

Seine Hand strich über die Stirn, so bemerkte er dass sie glühte.

Langsam öffnete er die Augen. Als sein Blick wieder nach oben fuhr, ging ein leichter Schock durch seinen Körper. Celina und Henrike standen vor ihm. Mit erschrockenen und leicht betretenen Gesichtern.

„Fuck…“ hauchte er so leise, dass es keiner außer ihm hören konnte.
 

Sie sah, wie er die Lippen auf einander drückte.

Anscheinend versuchte er krampfhaft noch mehr Ärger zu vermeiden, oder er wollte nicht noch mehr Personen in die Sache rein bringen.

Henrike stand da und suchte nervös nach einem nicht vorhandenen Gegenstand auf dem Boden, um seinem Blick irgendwie auszuweichen. Dieser Versuch blieb allerdings erfolglos…

Sie ahnte was los war und wusste doch nichts. Wahrscheinlich wieder das ominöse Problem.

Was sollte sie jetzt nur machen? Sie stand hier, glotzte ihn an und hatte noch immer seine Gitarre in der Hand. Unsicher schielte sie zu Celina. Doch ihre Freundin schien ähnlich gelähmt zu sein wie sie…
 

Er spürte weiterhin die Blicke seiner beiden Kolleginnen, die inzwischen gute Freundinnen von ihm waren und immer mehr stieg ihm Unbehagen in die Kehle.

Und die noch immer leicht köchelnde Wut. Er seufzte, dieses mal so, dass man es durch aus hören konnte, dann ging er.

Er musste weg von hier, sonst garantierte er für gar nichts mehr.

„Jan!“

Abrupt blieb er stehen. Er hatte keine Ahnung, welche der beiden Frauen nach ihm gerufen hatte, aber er wollte es auch nicht herausfinden.

„Was ist?“, verdammt, warum fragte er nach? Er wollte jetzt doch allein sein!

Als es längere Zeit ruhig blieb, baute sich in ihm wieder Spannung auf. Er wollte seine Wut nicht an ihnen auslassen, aber lang würde er das nicht mehr durchhalten.

„Ich ähm…“, er spürte wie eine von den beiden auf ihn zu tapste.

„Äääääähhhhh……..Deine Gitarre! Ich wollte sie dir nur schnell…“
 

„JETZT NICHT!“

Er sah, wie sie zusammen zuckte und schlagartig tat es ihm leid.

`Scheiße…! `

Henrike wirkte, als wäre sie tief in sich zusammen gesackt und ihr Blick war einfach Richtung Boden gefallen. Jan stand wie auf heißen Kohlen. Er wollte weg hier, aber er konnte sie jetzt nicht einfach stehen lassen. Während er noch herum druckste, hatte sich Henrike wieder aufgerichtet und sah ihm fest in die Augen.

„Tut mir leid, wenn ich dich belästigt habe, aber du brauchst noch lang nicht so zu schreien.“

Jan schluckte.

Ihre Augen hielten seinen stand und er merkte an ihnen, dass es sie mehr getroffen hatte als sie nun zeigte.

Seine Lider fielen zu und er entlud den nächsten Satz in einem Seufzer.

„Es tut mir leid.“ Danach drehte er sich um und ging.
 

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Erstaunlich Zielsicher war Jan durch das Hotel gegangen und hatte auch tatsächlich einen ruhigen Ort gefunden: Das Dach. Genau genommen AUF dem Dach.

Er hatte keine Ahnung, ob es ihm verboten war diesen Bereich zu betreten, aber es war ihm auch mindestens genauso egal. Ohne lange nach zu grübeln hatte er sich einfach auf der höchsten Kante hin gehockt und starrte auf die „Landschaft“ vor ihm. Mehr als eine graue Häuserreihe nach der nächsten war es ja nicht. Beim Löcher-in-die-Luft glotzen merkte er plötzlich, dass Fernweh in ihm aufkeimte.

Jan liebte es auf Tour zu sein, aber dieses Mal war es gar nicht so leicht alles hinter sich zu lassen. Es kam, geradezu unglaublich, selten bei ihm vor, dass er sich beklagte, aber in diesem Augenblick war ihm echt danach zu mute.

Wie sollte er denn DAS nun wieder hin biegen? Jetzt war genau das eingetreten was er befürchtet hatte: Er bekam seine Gefühle nicht in den griff und entlud den Frust an denen, die am wenigsten dafür konnten.

Sein Blick schweifte nach oben gen Himmel. Der Himmel war exakt so grau wie die Häuser.
 

„Hallöle.“

Jan wandte sich um.

Henrike stand hinter ihm und lächelte unsicher auf ihn hinab.

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Einerseits wollte er alleine sein, zum anderen aber wollte er sie nicht schon wieder zurück weisen. Daher blieb er stumm und sah einfach nur zu ihr hoch.

Henrike war der Blick, zusammen mit der nun entstandenen Stille, unangenehm, aber sie schwor sich, dem dieses Mal stand zu halten.

„Darf ich?“, fragte sie stattdessen und deutete mit dem Fuß auf den lehren Fleck direkt neben ihm. Zu ihrer Überraschung nickte Jan ohne lang zu zögern.

So ließ sie sich neben ihn plumpsen, was ihm ein unfreiwilliges Schmunzeln entlockte.

Danach war es genauso still wie vorher. Henrike zwirbelte in ihren Haar herum und sah ebenso in die Ferne wie er.

„Für heute haben sie Regen angesagt. Wunder dich nicht, jede Sekunde kann der Niagara Fall losgehen!“ Jan zog leicht eine Augenbraue in die Höhe, so dass sie es, von ihrer Sicht aus, nicht sah.

Über das Wetterdiskutieren. Nicht gerade das beste Thema um ein Gespräch zu beginnen.

Er zweifelte daran, ob das in eine angenehme Richtung gehen würde.

„Ganz ehrlich, ich mag den Regen. Sehr sogar…“

Verwundert blinzelte er zu ihr hinüber. Ihre Stimme hatte einen Ton angenommen, den er nicht erwartet hatte. „Generell liebe ich das… also die Natur etwas zu spüren. Regen, Wind… nur Sonne meide ich eher. Kann man an mir ja auch nicht übersehen.“

Sie grinste leicht zu ihm hinüber und zu ihrer Erleichterung erwiderte er es.

„Ich mag es überhaupt nicht geblendet zu werden. Sei es durch Sonnenstrahlen oder sonst irgendetwas…“ Ihr rechter Fuß schwang leicht über dem Abhang, während sie sprach. Keine Ahnung, warum ihm das auffiel.
 

Ein bisschen nervös war sie schon. Da sie, zusammen mit Mischa, die Unwissendste, was Jan betraf, hier war. Aber vielleicht, so dachte sie, war eben as nun ein Vorteil.

Nachdem rann davon gerauscht war, hatte sich keiner getraut ihm hinterher zu gehen. Sogar Dirk und Rodrigo, welche kurz darauf aus dem Zimmer erschienen waren, beschlossen ihn in Ruhe zu lassen. Keine Ahnung, was sie nun dazu getrieben hatte nach ihm zu suchen.

Sie wollte nicht an ihm herum bohren, aber… vielleicht konnte sie ihn anders unterstützten.
 

„Hast du meine Geschichten gelesen?“

Jan schwieg ein paar Sekunden, ehe er antwortete. „Ja.“

„Auch… die zweite. Von der Reihenfolge her?“

„……………………Ja…..“

Ihre Blicke trafen sich. Ihm viel wieder auf, dass ihre Augen etwas sehr ehrliches und aufrichtiges an sich hatten. Zumindest empfand er es so. Er mochte ihre Augen sehr…

„Ist das wirklich so passiert?“, fragte er nach etwas Zeit, in der sie den Blickkontakt gehalten hatten.

„Ja…“
 

Der Wind wurde stärker und wehte das rote Haar von Rike endgültig in der Struppel Zustand.

Nur am Rande bemerkt von den beiden, hatte sich der Himmel nun ins tief grau gewandelt und ein zwei Tropfen fielen schon hinab.

Nach doch mittlerweile längerer Zeit brach Henrike den Blickkontakt ab und sah hinunter, auf die Straßen, wo der Verkehr geradezu reibungslos verlief.

Dann ging es los.

Ohne Rücksicht prasselten die schweren Tropfen herab. Nach wenigen Sekunden war die junge Hamburgerin durchnässt, so dass ihr strahlend rotes Haar in Strähnen auf ihrer Haut klebte.

Still saßen sie da und lauschten dem Wasserfall artigen Niederschlag.

Keiner sagte etwas.

Er war ihr dankbar. Dafür, dass sie einfach nur neben ihm saß, über nichts Wichtiges redete und nicht an ihm herum bohrte was er hatte. Irgendwann würde er es bestimmt jemanden erzählen, aber nicht heute.
 

Langsam hob er seinen Arm. Er zögerte. Aber nach ein paar Sekunden war er sich sicher, dass es nicht falsch war. Und so legte er ihr den rechten Arm um die Schultern und zog sie zu sich heran. Sie selbst blieb vollkommen still und lies es geschehen. Jan konnte ihr nicht ansehen, was sie dabei dachte oder fühlte. Aber nach einer kleinen Ewigkeit spürte er, wie sie sich an seine Schulter schmiegte…
 

„Ich war 12, als es das erste Mal passiert ist. Kurz darauf ist der Aufsatz auch entstanden. War… es war schon ein Schock für mich damals…“

Sie verstummte.

Zwar inzwischen jeder, dass ihr kleiner Bruder geistig behindert war. Aber Jan war der erste

von ihnen, dem sie diese Geschichte, wenn auch nicht direkt, erzählt hatte. Nicht einmal Celina wusste davon. Nein, sie hatte keine Probleme mit der Behinderung ihres Bruders, aber sie hatte es bisher nie für wichtig gehalten, wo die ihre Familie ja auch gar nicht persönlich konnte.

Rike drückte sich noch näher an Jans Körper. Sie schloss die Augen und dachte zurück. Während der Regen niederschlug und Jan ihren Arm mit dem Daumen streichelte.
 

Mein Bruder
 

Mein Bruder ist anders als andere Brüder, denn er ist ein Autist.

Einige wissen vielleicht nicht, was ein Autist ist.

Nun, ein Autist ist ein Mensch, der in seiner eigenen, fremden Welt lebt.

Wenn man ihn fragt: „Wie viel ist 2 und 2?“ würde er die Frage nicht beantworten. Man weiß dann nicht genau, ob er die Frage nicht versteht oder einfach keine Lust hat, darüber nachzudenken.

In seiner fremden Welt, in der er lebt, existiert das Rechnen ja vielleicht gar nicht. Außerdem hat er noch eine Anfalls-Krankheit.

Manchmal setzt sie bei ihm ein und dann kann er sein Gehirn nicht mehr steuern.

Er bekommt dann Krämpfe und kann nicht stehen und es ist schon passiert, dass er direkt in der Wohnung umgekippt ist. Aber ein Erlebnis werde ich nie vergessen.

Es war am 13.4.2003. Da sah er am Morgen mit meinem Vater fern.

Mein Bruder war auf einmal ruhig und als mein Vater nach ihm schaute, schrie er auf.

Ich lief ins Wohnzimmer und hätte auch fast geschrieen.

Mein Bruder schielte und der Kopf lag auf der Schulter.

Ich rief meine Mutter von oben herunter. Er hatte wieder einen Anfall, einen sehr schlimmen, er stöhnte und sein Mund stand offen.

Ich ging nach oben, weil ich mir das nicht ansehen wollte und Angst hatte.

Ich versorgte solange meine Vögel. Als ich ihnen gerade Wasser gab, sah ich aus dem Fenster und bekam einen riesigen Schreck.

Mein Bruder wurde auf einer Trage in einen Krankenwagen getragen.

Ich lief nach unten und sah wie der Wagen weg fuhr.

Mein Vater fuhr mit. Meine Mutter ging zurück ins Haus und weinte.

Jetzt ist er noch im Krankenhaus und ich hoffe, dass es ihm bald wieder gut geht.

Es ist, als ob mein Bruder in dem Anfall in einer anderen Welt war.

Eine Welt, die ihn fast nicht mehr los ließ.



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