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Anime Evolution: Nami

Vierte Staffel
von

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Götterland

1.

Es war noch nicht allzu lange her, da hatten die Offiziere der Hekatoncheiren Witze darüber gerissen, auf welche Weise sie Akira Otomo wiederfinden konnten.

Die Spötter unter ihnen hatten Eikichi Otomo zitiert: „Folgt den Explosionen.“

Die Realisten hatten Admiral Richards zitiert: „Warten wir einfach, bis der Core ihn selbst wieder rausrückt.“

Nun, irgendwie hatte Megumi das Gefühl, dass das Chaos, welches hier im Doppelsternsystem Arcturus herrschte, mit Akira zu tun hatte. Es musste so sein, definitiv.

„Division Commander Uno auf Katapult eins, jagt mich raus!“

„Gute Jagd, Commander!“, hallte die Stimme des Katapultchefs in ihren Ohren, Augenblicke, bevor sie vom Katapult ins All geschossen wurde.

Eine Abteilung der Hekatoncheiren erwartete sie bereits, während die anderen Mechas der Elite-Truppe aus acht Katapulten ins All geschossen wurden.

„Bericht, Dai-chan.“

Daisuke Honda etablierte eine Verbindung zu ihr und erschien auf einem Hilfsmonitor. „In diesem System tobt eine gigantische Schlacht, Megumi. Sie spielt sich vor allem auf Höhe des Trümmergürtels sieben ab und… Äh, dieses Sonnensystem hat keine Planeten nur neun Trümmergürtel. Und auf Höhe des siebten, ungefähr eine Lichtminute von uns entfernt, bekämpfen sich etwa siebzehn Raumschiffe. Eine erste Klassifikation spricht von drei Kreuzern, acht Zerstörern und sechs Fregatten. Autsch, sieben Zerstörern. Wir können noch nicht sagen, wer hier gegen wen kämpft, oder gegen was, aber es sind zumindest keine Einheiten des Cores dabei. Wir warten auf die Dechiffrierung des Normalfunks.“

„Poseidon, hier Poseidon. Wir überspielen die Auswertung der Transponder. Demnach handelt es sich bei der kleineren Flotte, bestehend aus einem Kreuzer und vier Zerstörern um Einheiten des Kaiserhaus, während die größere Flotte der Koalition genannten Fraktion angehört. Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass die kaiserlichen Einheiten gerade verlieren.“

„Admiral Ino hier. Für unsere Bitte nach der Position von Yossha ist es vielleicht nicht verkehrt, wenn wir jetzt schon ein wenig punkten. Wir bieten den kaiserlichen Schiffen unsere Unterstützung an.“

„Ob das so klug ist?“, klang die Stimme von Sostre Daness auf. „Immerhin wissen wir überhaupt nichts über den Konflikt, der da draußen stattfindet. Wir könnten es eher schlimmer als besser machen.“

„Erstens“, klang wieder Sakuras Stimme auf, „stehen Terraner immer den Schwächeren bei, zweitens haben wir was gegen unfaire Kräfteverteilungen und drittens stellt sich die Situation so da, dass hier reguläre Truppen auf Rebellenschiffe getroffen sind und nun vernichtet zu werden drohen. Und Rebellion gegen die bestehende Ordnung ist immer verachtenswert.“

„Es gibt eine Ausnahme, Sakura. Wenn die Rebellen gewinnen und selbst die neue Ordnung stellen, ist alles in Butter.“

Die Admiralin lachte auf. „Okay, ich sehe was du mir sagen willst. Da wir jetzt hier der dickste Fisch im Teich sind, eilen wir zur Schlacht und beenden sie – auf Terranerart. Wir okkupieren dieses System und fordern alle Einheiten auf, die Kämpfe einzustellen.“

„Systeme zu okkupieren scheint Sakuras neues Hobby zu sein“, murmelte Megumi. „Alleine bei den Flügen von und nach Kanto hat sie schon sechs Systeme okkupiert, und mit Groombridge und Greenwich sind wieder zwei dazu gekommen.“

„Mir macht nicht das okkupieren Sorgen, mein Mädchen“, meldete sich Lady Death zu Wort, „sondern das halten der Systeme. Arcturus ist definitiv ein wenig weit entfernt, und auf den ersten Blick ist hier nicht besonders viel zu holen, denke ich.“

„Wer weiß, vielleicht bestehen die Trümmergürtel ja aus hochwertigen Erzen“, scherzte Megumi.

„Divison Commander Uno, haben Sie meine Anweisungen verstanden?“, klang Sakuras Stimme in ihrem Helm auf. KzK-Leitung, erkannte sie sofort, Kommandeur zu Kommandeur.

„Jawohl, Ma´am. Wir wissen nicht, wer diesen Kampf angefangen hat und wer hier auf welche Art auch immer im Recht zu sein glaubt, aber wir werden ihn beenden. Ich lasse ein Regiment der Hekatoncheiren mit Boostern ausrüsten. Bekommen ich Yohkos Einheit?“

„Du bekommst Yohkos Einheit. Fliegt vor und versucht die Streithähne – aua, das muss weh getan haben, wieder ein Zerstörer weniger – solange noch was übrig ist, dazu zu überreden, das Feuer einzustellen. Ihr habt Erlaubnis, Gewalt anzuwenden. Megumi, du hast doch nicht vergessen, wie das geht, oder?“

„Ich bitte dich. Ich mache den Job seit sieben Jahren. Nur weil ich von Gesetz wegen ein verhätscheltes Püppchen im Daness-Turm sein sollte, habe ich nicht vergessen, was ich in dieser Zeit gelernt habe.“

„Umso besser. Mit einem verhätschelten Püppchen könnte Akira auch nichts anfangen.“ Eine kleine Pause entstand, in der Sakura ein nachdenkliches Geräusch machte. „Außer natürlich sie ist so hübsch wie du.“

„Spötterin“, tadelte Megumi und fühlte ihre Wangen heiß werden. „Lady Death, Verbindung zu Gyes. Alle Heads, alle Hands. Verbindung zum Otome-Bataillon. Einschleusen für die Umrüstung auf Booster. Kampfbewaffnung. In einer Viertelstunde will ich mit allen Einheiten unterwegs sein.“

„Bestätigung von alles Einheiten der Gyes und der Otome-Einheit. Otome hat noch nicht ausgeschleust und rüstet bereits auf die Booster um.“

„Hina ist ein gutes Mädchen“, stellte Megumi Uno zufrieden fest und warf Lady Death herum, um ebenfalls wieder auf der AURORA zu landen.

***

Den Funkcode zu knacken stellte für die erfahrenen Sprachwissenschaftler unter Henry Taylor nur eine Fingeraufgabe da. Seine Erfahrungen bei der Recherchearbeit im Kanto-System und später in den Türmen der Naguad waren dabei mehr als nützlich. Mehr und mehr machte sich der große, braungebrannte Mann unverzichtbar, wie Megumi mit einem gewissen Amusement feststellte. Sie hatte eigentlich erwartet, Sean zu hassen, wie der richtige Name des MI6-Agenten lautete. Aber das hatte nicht funktioniert. Dieser Mann war nicht nur mit Leib und Seele Henry geworden, er war auch schon einmal gestorben, getötet von Akiras Hand, und mit dieser Erkenntnis war ihr ganzer Hass, den sie für ihn empfand, hinfällig geworden. Er war wiedergeboren worden und hatte ein neues Leben begonnen. Und in diesem Leben war er unendlich wertvoll für sie und vor allem für Akira. Das war Grund genug, ihn mit einem gewissen Wohlwollen zu sehen. Nun, sie würde ihn nie lieben, sicher nicht, und Yohko würde nie mehr als die nötigen Worte mit ihm wechseln. Aber sie kamen miteinander aus, und das war das entscheidende.

Obwohl… Megumi hatte erhebliche Schwierigkeiten, zu akzeptieren, was Ai Yamagata, dieses zierliche, sanfte und schüchterne Mädchen nur an diesem Riesen von Kerl fand. Und wenn sie ehrlich sah, bescherte der Gedanke daran, dass sie ein festes Paar waren und Sex hatten, Albträume. Und sie wollte es sich auch gar nicht vorstellen, aber diese Bilder kamen manchmal von ganz alleine. Dabei ängstigte sie am meisten wie die sanfte, zarte Ai, die vor wenigen Wochen noch in einem Biotank gelegen hatte, in Henrys Armen die Persönlichkeit wechselte und rau, wild und fordernd wurde und… Himmel, gab es denn keine Möglichkeit, ausgerechnet diese Gedanken abzuschalten?

Arbeit, Arbeit, das lenkte doch immer ab. Zum fünften oder sechsten Mal spielte sie sich eine chiffrierte und übersetzte Sequenz der Funksprüche vor, die sie von Poseidon erhalten hatte.

„ARGONAT und Flotte! Hier spricht Admiral Kyona. Ergeben Sie sich, drehen Sie bei und lassen Sie Entermannschaften an Bord kommen!“

„RUUDOM, hier ARGONAT. Kapitän Slever yan Tybal hier. Ich informiere Sie hiermit, dass Sie, Ihre Besatzung und die Sie begleitenden Schiffe einen Akt der Piraterie begehen! Senken Sie die Schirme, drehen Sie bei und lassen Sie Ihrerseits Entermannschaften an Bord, und ich werde auf eine harte Bestrafung verzichten. Außerdem werde ich beim Kaiser vorsprechen und dafür sorgen, dass Ihre Mannschaften straffrei ausgehen!“

„Sie verkennen die Situation, yan Tybal. Wir beherrschen dieses Schlachtfeld. Wenn Sie also nicht zerstört werden wollen, dann ergeben Sie sich. Bis ich Ihre Einwilligung in die bedingungslose Kapitulation erhalte, werden meine Schiffe weiterfeuern.“

„Was macht es für einen Unterschied, ob wir uns ergeben oder nicht?“, kam die Antwort mit bitterer Stimme. „Wir gehören zur Flotte des kaiserlichen Clans. Uns bleibt nur Flucht oder Vernichtung. Aber andere kaiserliche Einheiten werden uns rächen!“

„Sie missverstehen uns. Das Generalinterdikt des Intendenten besagt eindeutig, dass sich ergebende Einheiten zu schonen sind. Diese Revolution, wie Sie sie nennen, Kapitän, ist nicht der Versuch, die eine Familie als kaiserliche Familie abzulösen und eine andere zu etablieren. Diese Revolution soll letztendlich allen zugute kommen, auch den Tybals. Also haben Sie etwas Vertrauen in den Intendenten und denken Sie an Ihre Leute. Das sind alles Iovar, die Ihrem Clan fehlen werden, wenn wieder Friede herrscht und die Clans gleichberechtigt regieren werden.“

„Gleichberechtigt regieren, ha! Irgendeine Familie wird sich schon wieder an die Macht drängen und die anderen Familien auf ihren Platz verweisen! So sieht Ihre Realität aus!“

„Wenn wir das zulassen, haben wir nichts besseres verdient. Ich für meinen Teil vertraue dem Intendenten. Und ich habe ihn sprechen gehört. Deshalb liegt es mir fern, hier weiter unschuldiges Tybal-Blut zu vergießen.“

„Und Sie feuern trotzdem weiterhin auf meine Schiffe“, erwiderte der andere voller Spott in der Stimme.

„Nun, ich halte auch nichts davon, Kyona-Blut, Desveegen-Blut oder Lencis-Blut zu vergießen. Aber wenn Sie ein wenig auf Ihre Orter gucken, dann sollten Sie erkennen, mein lieber Tybal, dass die Rettungseinheiten unserer Flotte ihre Leben riskieren, um die Iovar aus Ihren abgeschossenen Schiffen zu retten. Natürlich sind sie erst einmal Gefangene, aber nur bis der Konflikt entschieden, der Kaiser entmachtet und seine Familie einem gleichberechtigten Platz unter den anderen Clans zustimmt. Und aus dieser Gleichheit heraus werden wir die Zukunft des Kaiserreichs formen!“

„Gut reden kann Ihr Intendent ja!“

„Und er handelt auch gut. Immerhin hat er eine Niederlage in einen absoluten Vorteil verwandelt.“
 

Megumi brach die Aufzeichnung ab. Es schien nicht so, als hätte der Kyona den Tybal überzeugen können. Die kaiserlichen Schiffe flohen noch immer und die Koalitionsschiffe feuerten noch immer.

Etwa zehn Minuten nach diesem Dialog war die Flotte der Terraner beim Wiedereintritt bemerkt worden, hatte Sakura ihre Rede gehalten, in der sie das Arcturus-System für die UEMF annektierte und beide Parteien dazu aufgefordert, die Schlacht sofort einzustellen. Es hatte keine Antwort gegeben.

Sekunden darauf war Gyes mit den Boostern gestartet, das Otome-Bataillon im Schlepp.

Und nun waren sie fast in Realfunkreichweite. Einhundertsechzig Mechas unbekannter Bauweise waren eine Macht, die selbst die angeschlagenen zwei Flotten nicht ignorieren durften.

„Wir sind in Realfunkreichweite, Schatz“, meldete Lady Death.

„Danke dir. Gyes, auffächern. Colonel Ataka, die einzelnen Schiffe zuteilen. Otome-Bataillon, achtet auf gegnerische KI-Meister. Das sind eure Primärziele.“

„Verstanden. Ich weise die einzelnen Schiffe zu.“

„Alles klar. Wir achten auf KI-Meister, Commander.“

Na, das ging doch. Doitsu und Yohko konnten ja wirklich mal militärisch exakt sein, wenn sie es wollten.

„Öffne mir einen Kanal zu den Schiffen da draußen. Werden sie Nag-Alev verstehen?“

„Das ist nicht sicher. Sakuras Ansprache in Nag-Alev wurde jedenfalls nicht beantwortet.“

„Wie wäre es mit Untertiteln? Den Naguad ist doch sicherlich Schrift und Sprache des Kaiserreichs bekannt?“

„Eine gute Idee, Schatz. Verbindung steht in drei Sekunden.“

Megumi lächelte grimmig. Dann blinkte eine Anzeige vor ihr auf und signalisierte ihr, dass sie nun auf jedem der Schiffe theoretisch gesehen werden konnte.

„Hier spricht Division Commander Megumi Uno von der United Earth Mecha Force. Ich fordere Sie hiermit auf, die Kämpfe einzustellen. Dieses System wurde von der UEMF in Besitz genommen, und wir haben diesen Kampf nicht gestattet. Deaktivieren Sie Ihre Waffen und verlassen Sie friedlich das System. Wenn es geht an verschiedenen Absprungpunkten.“

Ein Hilfsmonitor flammte auf. Ein grauhaariger, aber jugendlich wirkender Mann rief sie von der RUUDOM. „Wenn Sie glauben, dass Sie uns unseren Erfolg nehmen können, müssen Sie aber früher aufstehen, Division Commander. Außerdem erkenne ich das Besitzrecht über dieses System nicht euch Terranern zu!“

Interessant. Kyona hatte zumindest schon mal von ihnen gehört.

Ein zweiter Bildschirm flammte auf und ein schwarzhaariger Mann erschien. Seine Haut war reichlich bleich, aber das lag wohl an dem heftig durchblutenden Verband auf seiner Schulter.

„Terranische Einheiten! Wenn Sie uns zu Hilfe kommen und die Rebellen stoppen, noch besser vernichten, verspreche ich im Namen der regierenden Familie Tybal eine großzügige Belohnung!“

„Na sieh einer an, was für ein gutes Nag-Alev die alle auf einmal beherrschen“, murmelte Megumi selbstzufrieden. „Ich wiederhole es nur noch dieses eine Mal: Stellen Sie alle Kampfhandlungen ein. Dann wird Ihnen erlaubt werden, Ihre Sache Admiral Ino vorzutragen. Sie wird über ihr Schicksal entscheiden.“

„Was ist aus dem Abflug von verschiedenen Sprungpunkten geworden?“, rief Kyona mit ätzendem Spott in der Stimme.

„Ich lasse in zwei Minuten das Feuer eröffnen. Ich bin sicher, sie alle sehen die gigantische Flotte, die hinter meinen Mechas heraneilt. Glauben sie ernsthaft, sie können jetzt noch entkommen? Abgesehen davon, dass bereits das Gyes-Regiment reicht, um die Schiffe beider Seiten zu vernichten.“

„Gyes?“ Kyona runzelte die Stirn. „Gyes von den Hekatoncheiren?“

„Woher wissen Sie davon, Admiral Kyona?“

„Ban ter Kyona, bitte. Meine Quelle ist im Moment unwichtig. Ich stimme hiermit den Bedingungen zu. Schicken Sie uns Shuttles, oder können wir unsere benutzen?“

„Nehmen Sie ruhig Ihre eigenen, Admiral. Ach, und Kapitän, Tybal, unterstehen Sie sich, die Situation mit einem Überraschungsschlag auszunutzen. Dies hätte die sofortige Vernichtung aller Ihrer Schiffe zur Folge.“ Megumi atmete schwer aus. „Ich garantiere ihnen allen in jedem Fall ihre Leben.“

„Davon bin ich überzeugt“, sagte Ban ter Kyona. „Ich setze sofort über.“

Wutschnaubend schloss sich Tybal an. „Davon wird der Kaiser hören! Aber erst einmal beuge ich mich der Gewalt!“

„Na also, geht doch. Aber ich wüsste schon gerne, warum der Admiral so schnell eingebrochen ist“, murmelte Megumi mehr zu sich selbst. „Doitsu, Hina, ihr haltet hier die Stellung. Yohko, wir kehren sofort zurück. Ich will bei der Besprechung dabei sein. Ach, und noch etwas. Detachiert ein paar Leute, die helfen, die Wracks nach Überlebenden abzusuchen.“

„Verstanden.“

Megumi Uno wendete Lady Death und flog zur AURORA zurück. Kurz darauf war Thunderstrike neben ihr. Der neue Thunderstrike, der mit Yohko auf dem Mars gekämpft hatte. Es war ein gutes Gefühl, wieder mal mit ihr Seite an Seite zu fliegen, fand Megumi.

Aber nun stand ihnen erst einmal eine wundersame Wandlung bevor. Aus Megumi Uno würde erst einmal Solia Kalis werden, und aus Yohko Otomo Jarah Arogad, die Anführer dieser Expedition.

***

Es gab in diesem Universum einige Anblicke, die man sich tunlichst ersparen sollte. Es gab auch einige, die man nicht provozieren sollte. Wenn beides zusammenkam, erlangte man zudem zu Einblicken, die man weder erwartet noch gewünscht hatte.

In einem ganz speziellen Fall in einem ganz speziellen Hangar der AURORA bedeutete das Zusammentreffen der beiden Fälle ein Bild, welchem eine gewisse Skurrilität nicht abgesprochen werden konnte.

Dai-Okame, Dai-Kitsune und Tyges standen inmitten des Hangars und rieben sich demonstrativ die Hände ab, bevor sich Okame und Kitsune auf terranisch-westliche Art abklatschten, was der West End-Dai sofort imitierte. Nun, an sich war diese Szene merkwürdig, aber nicht skurril. Dieser Faktor kam hinzu, wenn man bedachte, dass rund um sie am Boden verstreut in etwa vierhundert Iovar lagen und teilweise unter erheblichen Schmerzen ächzten und stöhnten. Viele hielten in der unwirklichen Situation noch immer ihre Waffen umklammert, obwohl diese nur noch aus Trümmern bestanden. Einzig der Anführer der Einheit stand noch aufrecht, aber zu der wächsernen Blässe, die seine Verletzung verursacht hatte, kam nun das tiefsitzende Gefühl der Unterlegenheit.

Vierhundert Mann, gut ausgebildet, gut gerüstet und motiviert, waren wenige Sekunden nach ihrem Sturmlauf regelrecht ausgelöscht worden.

Nein, wären sie ausgelöscht worden, dann hätte das Slever ban Tybal noch akzeptieren können. Aber dieser Gegner hatte ihnen den ehrenvollen Tod im Gefecht versagt. Schlimmer noch, er hatte es überhaupt nicht nötig gehabt seine Leute zu töten. Diese Überheblichkeit, diese Kraft – vor allem diese Kraft – hatten den Tybal nachhaltig geschockt.

Makoto Ino stand im Schott des Hangars, hatte seine Hände auf die Hüften gestemmt und ein grimmiges Lächeln aufgesetzt. „Wenn Sie mit den Kindereien jetzt durch sind, Kapitän Tybal, dann kommen Sie doch bitte mit mir. Außer Sie haben sich dazu entschlossen, nicht mehr von Admiral Ino angehört zu werden.“

So unwirklich diese Szene auch war, so eindringlich waren die Worte des kleinen Mannes in der reich verzierten Uniform. Mechanisch setzte er sich in Bewegung.

Makoto musterte den Kapitän einen Moment ernst. „Soll sich einer der KI-Meister der AURORA um Ihre Wunde kümmern? Es scheint mir, als würden Sie davon stark beeinträchtigt werden.“

„KI-Meister?“ Makoto korrigierte sich selbst. „AO-Meister. Sie sollten zumindest in der Lage sein, die Blutung zu stoppen. Außerdem täte Ihnen sicherlich eine Infusion mit einer Kochsalzlösung gut. Besser noch mit Blutplasma, aber ich weiß nicht, ob Iovar-Blut und Naguad-Blut kompatibel sind.“

„Naguad?“

Makoto lächelte dünn. „Ein Großteil der Crew an Bord dieses Schiffs und der begleitenden Schiffe entstammt den Häusern Arogad und Fioran. Es sind auch ein paar Daness an Bord, und soweit ich weiß auch ein paar Elwenfelt, aber die meisten von ihnen privat, nicht im Auftrag ihres Hauses. Tatsächlich ist unsere Anführerin eine Daness. Sie heißt Solia Kalis und…“

„Solia Kalis. Den Namen habe ich vor kurzem gehört. Es war im Zusammenhang mit einer Diskussion der Clans, ob wir den Bürgerkrieg im Imperium für einen vorbeugenden Angriff verwenden sollten, bevor das Chaos auf unsere Seite der Grenze schwappt, aber… Die Lencis haben sich gesperrt. Deshalb entschied der Kaiser, Haus Lencis zu dezimieren und der ganze Ärger begann.“ Tybal griff sich an den Kopf. „Entschuldigen Sie, das wollten Sie sicher nicht wissen. Warum lebe ich überhaupt noch, nachdem ich versucht habe, die AURORA zu erobern?“

„Wir sehen Ihren Versuch als legitime letzte Pflicht an, die Sie als Soldat erbracht haben, bevor Sie letztendlich zu Gesprächen bereit sind. Auch wir sind Soldaten. Hätte es auf unserer Seite aber Tote gegeben, hätten wir Sie wahrscheinlich gnadenlos zusammengeschossen.“ Makoto zuckte die Achseln. „Wie auch immer. Futabe-sensei, walten Sie bitte Ihres Amtes.“

Slever zuckte heftig zusammen, als er den großen glatzköpfigen Mann sah. Er hatte nicht besonders große Erfahrung im Umgang mit AO, hatte nie eine besondere Affinität zu ihm besessen, aber er konnte sehen, riechen, hören, fühlen, schmecken, espern, dass dieser Mann vor AO fast explodierte. Erschrocken wich er ein paar schnelle Schritte zurück – und spürte, wie ihn die Ohnmacht umfing. Zu schnell bewegt, zuviel Blut verloren. Mit einem lautlosen Fluch auf den Lippen sackte er in sich zusammen.

***

„Dazu muss ich einiges erklären“, klang eine fremde Stimme an Slever ban Tybals Ohren, und er klammerte sich an die Worte, um aus dem Dunkel seiner Ohnmacht wieder hinaufzusteigen ins Licht des Bewussten.

„Wie sie sicherlich als Verbündete der Naguad wissen, regieren die Clans unser Reich. Jeweils der stärkste Clan stellt den Kaiser, oft Jahrhunderte lang, bis ein anderer Clan stark genug ist um ihn zu verdrängen. Was der regierende Clan natürlich zu verhindern versucht.

Die Clans sind im Kaiserreich absolut, und wer keinem Clan angehört, hat keine Rechte. Dies war bei ihren Vorfahren, den alten Naguad, der Fall, und das war auch der Grund für ihre Flucht. Man hat ihnen erzählt, sie seien geflohen, weil sie den Krieg gegen die AO-beherrschenden Iovar verloren haben? Vergessen sie das. Die Naguad waren Leibeigene, viele Sklaven, und jene Naguad, die zurück geblieben sind, sind es noch heute. Ihnen wird nie gestattet werden, sich einem Clan anzuschließen, und das würde auch in aller Ewigkeit so bleiben. Denn diese Sklaven, diese Leibeigenen sind es, die die Macht der Tybal darstellen. Billige Arbeitskräfte, die für minimale Versorgung maximale Leistung bringen. Es sind unhaltbare Zustände.

Der Kaiser, der heute von den Tybal gestellt wird, beziehungsweise der sich durch Ränke, Morde, Versprechungen und Bestechungen diesen Titel erworben hat, regiert seit dreihundert Jahren. Seine Linie, die direkte Linie tut dies seit eintausendfünfhundert Jahren.“

Slever ban Tybal stöhnte leise, als er versuchte die Augen zu öffnen.

„Bleiben Sie noch ruhig liegen, Kapitän Tybal“, mahnte eine sanfte Frauenstimme. „Sie erhalten gerade eine Kochsalzlösung. Ein KI-Meister hat Ihre Wunde geschlossen und Ihr Knochenmark dazu angeregt, vermehrt rote Blutkörperchen zu erzeugen. Warten Sie einfach noch etwas ab und hören Sie zu.“

Tybal öffnete die Augen, versuchte etwas zu erkennen, aber da war nicht mehr als der Blick auf einen braunhaarigen Schemen, auf blitzende weiße Zähne und strahlende grüne Augen.

Ermattet schloss er die Augen wieder.

„Ich will nicht lamentieren und nicht zuviel erklären, und ich will sie alle nicht mit Schauergeschichten über die Behandlung von Naguad auf meiner Heimatwelt unter Druck setzen. Aber ich muss doch noch einiges sagen, um das Verständnis zu fördern.

Der Kaiser regiert vornehmlich mit der Militärmacht seines Hauses. Das ist verständlich, denn nur das stärkste Haus kann einen Kaiser stellen, deshalb hat der Kaiser auch die größte Macht im Staat. Ihm zur Seite stehen Korps der Leibeigenen, die von harter Arbeit befreit wurden, um ihm als Soldaten zu dienen, die etwa ein Viertel der Streitkräfte ausmachen, und die verbündeten Clans, die insgesamt ein weiteres Viertel der Gesamtstreitkräfte unter dem Kaiser bereitstellen und dafür besondere Vergünstigungen erhalten.

Die Regierungsform ist eine absolutistische Monarchie, der Titel des Kaisers ist erblich. Die Macht, die mit diesem Titel verbunden ist, liegt jenseits dessen, was man sich vorstellen kann. Verstehen sie, absolutistisch. Der Kaiser kann jederzeit wann er will den Tod eines beliebigen Iovar befehlen. Er wird dafür nicht zur Rechenschaft gezogen und er muss sich nicht einmal rechtfertigen. Er muss es nicht einmal verheimlichen. Natürlich gibt es Einschränkungen. Es gibt Iovar, die nicht einmal der Kaiser töten lassen kann, jedenfalls nicht offiziell, aber dazu später vielleicht mehr.

Und es gibt einen alten Brauch, den der Kaiser nutzt, um sich die Loyalität der übrigen Clans zu versichern. Dies ist die Dezimierung, ein Ritual, das noch aus grauer Vorzeit stammt.

Wenn in den Tagen, in denen unsere Vorfahren nur auf Iotans Boden gekämpft hatten, eine militärische Einheit Feigheit gezeigt oder einen Befehl verweigert hatte, hat der Kaiser die Dezimierung befohlen. Jeder zehnte Soldat wurde exekutiert. Wenn die Einheit dann noch immer nicht spurte, wurde sie wieder dezimiert. Und wieder. Und wieder. Und wieder. Es gibt historisch nicht belegte Berichte über mehrere Einheiten, die komplett ausgelöscht wurden, weil sie dem Kaiser nicht gehorchen wollten.

Auch in unseren Tagen ist die Dezimierung ein machtvolles Instrument, um die Clans zur Räson zu bringen.

Der Kaiser sprach erst vor gut einem halben Jahr eine Dezimierung aus. Sie war gegen Haus Lencis gerichtet, dem größten und stärksten Haus des Kaiserreichs.

Als wir davon erfuhren, dass die großen Türme der Naguad, die Daness und die Arogad im Bürgerkrieg miteinander lagen, da hat der Kaiser den Angriff befohlen. Offiziell um zu verhindern, dass das Chaos in unser Raumgebiet schwappt. Inoffiziell, um soviel Beute wie irgend möglich zu machen.“

Slever lachte leise und mit sehr rauer Stimme. Ja, das war korrekt, aber noch vor wenigen Stunden hätte er nicht einmal im Traum daran gedacht, es offen zuzugeben. Er erinnerte sich noch sehr gut an die Anweisungen, Sklaven, Beute und dergleichen betreffend. Er hatte diese Befehle gehasst, das war nichts, was ein aufrechter Raumfahrer unterstützen sollte. Seine Aufgabe war es bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen, aber doch nicht freie Daima in ein Leben in Ketten zu führen. Hatte das Reich nicht schon genug Sklaven? Müde schüttelte er den Kopf. Er war nur ein machtloser Kapitän, der auf seine kleine Flottille achten musste. In kaiserliche Politik konnte und durfte er sich nicht einmischen.

„Aber leider“, fuhr die raue Stimme fort, „hat die Dezimierung nicht so geklappt wie der Kaiser es geplant hatte. Eine Dezimierung im klassischen Sinne konnte es gegen die Lencis nicht geben, sie hätten niemals still gehalten und die Verluste auf Seiten der kaiserlichen Streitkräfte wären enorm gewesen. Darum befahl der Kaiser, die Flotten der Lencis zu zerstören, die über ihren Randwelten patrouillierten, um die Planeten gegen den Core und seine Raider zu schützen. Das wären zwanzig Prozent aller Schiffseinheiten der Lencis gewesen, und eine überaus fruchtbare Warnung. Doch es hatte nicht sein sollen, denn die Lencis über den Randwelten waren nicht nur sehr erfolgreich darin sich zu verteidigen, sie schlugen sogar zurück.

Und bevor sich das Kaiserreich versah, waren die Randwelten der Lencis von jedem staatlichen Einfluss befreit. Die Flotten der Lencis probten den Aufstand, griffen weitere Welten, griffen Flottenbasen des Kaisers und seiner verbündeten Häuser an. Sie befreiten Sklaven, brachten Leibeigenen-Regimenter dazu, auf ihre Seite zu wechseln, stürmten heran wie ein Feuersturm und bedrohten schließlich alle Häuser der Iovar. Doch alle Häuser? Nein, nur den Kaiser und all jene, die ihm die Treue hielten. Aus welchen Gründen sie es auch taten.

Ihr Dogma, erstellt vom Intendenten, ist folgendes: Das Kaiser-System ist überholt und dient lediglich dazu, dass eine kleine Gruppe Auserwählter auf Kosten der großen Masse in Macht und Luxus schwelgen kann. Das muss beendet werden. Jeder Mann und jede Frau im Kaiserreich muß mit der eigenen Stimme gehört werden können. Sklaverei muss abgeschafft werden. Kein Haus darf alleine den Kaiserthron okkupieren. Und anstelle der absolutistischen Monarchie muss eine Ratsregierung treten, in der alle Clans und alle Daima im Kaiserreich vertreten sind, damit der Wohlstand und die Ordnung gleichmäßig und solidarisch verteilt werden kann.

Dies waren revolutionäre, gewagte, ja ketzerische Ideen, die ein Iovar niemals ausgesprochen, ja gedacht hätte. Aber einer hat es doch getan, seine Worte verbreitet, sie von Welt zu Welt, von System zu System tragen lassen und Aufstände gegen die Ordnung ausgelöst, wie es sie in der langen Geschichte des Kaiserreichs noch nie gegeben hatte. Dies war der Intendent, ein Lencis von hohem Rang, der weit mehr gewagt hat, als sich dem kaiserlichen Dekret zur Dezimierung zu widersetzen.

Doch das war noch nicht alles. Der Intendent versprach allen Clans die gleiche Behandlung, selbst den Tybal, wenn sie sich dem neuen Weg anschlossen. Viele Clans haben das getan und auch viele Tybal, und selbstverständlich die Lencis, denn der Intendent hat auch gesagt: Jenseits unserer Welt lauert eine Bedrohung, die so groß ist, dass ein Clan sie alleine nicht erfassen, geschweige denn bewältigen kann. Ein zerstückeltes, zerschlagenes Kaiserreich mit einer Armee, die nur aus Angst oder dumpfem Pflichtgefühl heraus gehorcht, kann sie auch nicht aufhalten. Nur eine große Gemeinschaft, in der alle vertreten sind, in der alle an einem gemeinsamen Strang ziehen, in der alle jeden beschützen, kann uns noch retten. Denn Iotan hat eine Dämonenwelt.

Was das letzte Wort bedeutet kann ich nur vermuten, aber es hat viele Clans überzeugt, dem Intendenten Hilfe zu schicken. Dies ging soweit, dass wir die letzten loyalen Einheiten außerhalb des Io-Systems jagen und vernichten, oder, wenn es die Sturheit unserer Gegner zulässt, bekehren oder internieren, bis der Rat zusammentreten kann.

Der letzte Angriff auf Iotar steht kurz bevor, und der Intendent wird an vorderster Linie kämpfen, bevor er sich an den Neuaufbau macht.“

Slever richtete sich auf, öffnete erneut die Augen. Nun erkannte er den Sprecher. Es war der

Admiral der Kyona, der mit Feuer in der Stimme sprach, als wäre er einer der Priester im Talar in einer der vielen Religionsgemeinschaften des Kaiserreichs.

„Fragen sie mich nicht, ob ich an die Bedrohung glaube, von der der Intendent spricht. Fragen sie mich nicht, ob ich glaube, dass es mit der Ratsregierung besser oder schlechter wird. Fragen sie mich nur, wo ich stehe, und das ist bei der Jagd auf eine der letzten dem Kaiser ergebenen Einheiten. Ich werde sie vernichten, oder internieren, oder, wenn sie dies wünschen, als Gefährten auf dem Weg in eine neue Zeit begrüßen. Freunde werden wir wohl nie, aber ich will sie auch nicht sinnlos sterben sehen. Das war meine kleine Ansprache. Urteilen sie jetzt über mich, Admiral Ino, Solia Daness, Sostre Daness, Jarah Arogad.“

Eine der Frauen, sie hatte die grünen Augen, die Slever bereits gesehen hatte, sah zu ihm herüber und sagte: „Wollen Sie nun Ihren Bericht abgeben, Kapitän Tybar?“

Er musste es wohl der Verletzung zuschieben, der Müdigkeit oder einfach einer tief sitzenden Enttäuschung, die er schon in sich trug, seit er in dieses Sternensystem hatte fliehen können. Er griff nicht zu den rhetorischen Tricks, die man ihm beigebracht hatte, um die Leibeigenen-Einheiten zu motivieren. Nicht zu den Lügengespinsten, mit denen der Kaiser sich legitimieren ließ. Nein, er war ehrlich, und dies vielleicht das erste Mal seit Jahren. „Was soll ich denn da noch hinzufügen? Admiral Kyona hat doch recht mit allem was er gesagt hat.“

Er lachte, und es war ein trauriges, schreckliches und ernstes Lachen. Als es verebbt war, sah er in die Runde. „Wo soll ich unterschreiben?“

***

„Hier ist meine Entscheidung, Admiral Kyona. Wir lassen Sie und Ihre Flotte unbehelligt.“ Sakura sah den Älteren streng an. „Aber ich untersage Ihnen, Kapitän Tybals Flotte zu internieren.“

„Admiral Ino, bei allem Respekt, aber meine Aufgabe in diesem System ist es, genau diese Flottille entweder zu bekehren oder zu besiegen. Sie können nicht“-

„Was ich kann und was nicht wird immer noch von mir bestimmt und nicht von Ihnen, Kyona, merken Sie sich das.“

„Wenn Sie auf Streit aus sind, Admiral, ich bin mir sehr sicher, dass der Intendent sich Ihnen widmen wird.“

„Oh, das würde mich freuen zu hören. Es gibt da übrigens eine Sache, die ich gerne wissen würde. Ihr Intendent ist nicht zufällig ein junger Mann, der aus dem Nirgendwo kam, etwa um die zwanzig, überragend an den Kontrollen eines Banges, charismatisch, verursacht wo er geht und steht Chaos und erdrückt alles und jeden mit seiner Persönlichkeit?“

„Nein, und im Moment bin ich gerade sehr dankbar dafür, dass es nicht so ist. Der Intendent ist ein hohes Mitglied der Lencis-Familie. Eine sehr einflussreiche und mächtige Frau mit Jahrhunderten Erfahrung in der Flotte. Wir haben lange gehofft und gewartet, bis jemand wie sie den Mut hat, dem Kaiser offen die Stirn zu bieten.“

Sakura seufzte. Es wäre ja auch zu leicht gewesen. „Ich sage Ihnen was. Ich nehme Tybal und seine Flotte an Bord der AURORA und interniere sie hier. Wenn wir nach Iotan kommen, werde ich sie dem Sieger übergeben. Entweder dem Kaiser, wenn er noch regiert, oder Ihrem Intendenten.“ Sie sah Admiral Kyona fest in die Augen. „Ein besseres Angebot kriegen Sie nicht. Bedenken Sie, dass ich die Macht habe, Ihre gesamte Flotte zu vernichten.“

Kyona räusperte sich vernehmlich. „Ich beuge mich der Gewalt. Aber es wundert mich doch, dass ausgerechnet die Terraner so handeln würden. Das Urvolk von der Hauptwelt sollte doch eigentlich mehr Ehre im Blut haben als ein gemeiner Naguad. Es scheint als hätte ich mich da geirrt.“

„Sie erinnern sich an den jungen Mann, den ich Ihnen gerade beschrieben habe? Wir suchen ihn und wollen ihn zurück.“

„Sie wollen ihn zurück? Er klingt eher so wie jemand, den ich ins nächste Schwarze Loch werfen würde, nur um auf Nummer sicher zu gehen.“

„Ja, das trifft es in etwa. Er ist übrigens auch mit ein paar Spritzern Lencis-Blut gesegnet. Ein Achtel, wenn ich es richtig im Kopf habe.“

„Interessant. Aber was machen wir jetzt? Kapitän Tybal hat seinen Übertritt erklärt und…“

„Und das interessiert mich nicht die Bohne. Er ist an Bord der AURORA für mich am nützlichsten. Aber seien Sie unbesorgt. Wir greifen in die internen Konflikte des Imperiums nicht ein. Wir bleiben neutral, solange wir nicht angegriffen werden.“

„Gut. Dann werde ich jetzt auf mein Flaggschiff zurückkehren. Seien Sie sicher, der Intendent wird davon erfahren.“

„Oh, darum bitte ich doch. Ach, Kyona, eine Frage. Hatten Sie vielleicht Raider-Aktivität in letzter Zeit verzeichnet?“

„Raider? Warum fragen Sie nach den Streitkräften des Cores?“

„Er verhält sich untypisch. Und ich wollte wissen, ob man das sogar hier schon gemerkt hat.“

„Untypisches Verhalten der Core-Streitkräfte? Ja, das ist uns aufgefallen. Sie raiden uns nicht mehr, aber das tun sie schon seit ein paar hundert Jahren nicht mehr. Hilft Ihnen das weiter, Admiral?“

„Warum raiden sie die Iovar nicht mehr?“

„Was weiß ich. Vielleicht haben sie in den Naguad ein lohnenderes Ziel gefunden. Sie sind doch eine halbe Naguad, oder, Admiral?“

„Das tut in dieser Mission nichts zur Sache. So, so, die Raider raiden nicht mehr. Greifen keine Welten mehr an, werfen keine Bomben mehr, beobachten nicht mehr… Sind die Iovar so uninteressant?“

„Es wäre zu wünschen, Admiral Ino.“

Die beiden maßen einander mit ernsten Blicken.

„Entschuldigung“, meldete sich Kapitän Tybal zu Wort, „darf ich auch etwas sagen?“

„NEIN!“, riefen beide zugleich.

„Ich werde jetzt gehen, Admiral Ino. Aber ich bin mir sicher, dass Ihnen diese Entscheidung noch leid tun wird. Wir tun den gerechten Dienst, und Sie verweigern uns die Hilfe.“

„Seien Sie in Ihren Augen so gerecht wie Sie es wollen. Ich entscheide von Fall zu Fall was ich wie zu beurteilen habe.“

„Das nächste Mal werde ich eine Division AO-Meister dabei haben!“

„Das nächste Mal werden wir einer Division AO-Meister in den Arsch treten“, knurrte Sakura.

Merkwürdigerweise schien das dem alten Mann zu gefallen. Er lachte. „Viel Erfolg bei Ihrer Suche, Admiral. Ich kehre jetzt auf mein Schiff zurück.“

„Eine gute Reise, Kyona.“

Der Iovar-Kapitän sah dem Admiral nach. „Das bedeutet also, ich und meine Leute sind Geiseln.“

„Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen! Und jetzt funken Sie Ihre Flotte heran und weisen Sie sie an, sich zu ergeben.“

„Ich habe AO-Meister an Bord.“

„Na und? Ich habe Dai! Und sie hören auf mich!“

Slever schluckte seinen Ärger runter, dann nickte er ernst. Immerhin war die Situation interessant, aber nicht mehr tödlich. Immerhin.

***

„Können wir reden?“

Sakura sah von ihrem ganz persönlichen Papierkrieg auf. Verdammt, mussten im Zeitalter von Datapads, autarker Vernetzung und hundert Prozent Netzabdeckung wirklich von jedem Dokument noch eine Papierversion für das Archiv erstellt werden? Nun, viel mehr als sie zu unterschreiben musste Admiral Ino nicht tun, aber vorher wollten sie gelesen sein. Entsprechend erleichtert war die große blonde Frau, als sie sich einem Gast zuwenden konnte.

„Was gibt es denn, Megumi-chan?“

Die Oberkommandierende der Hekatoncheiren trat ein setzte sich auf einen Besuchersessel vor Sakuras Schreibtisch und schlug die Beine übereinander. Und spätestens als Megumi die Hände ineinander verschränkte, wusste Sakura, dass etwas im Busch war.

„Sakura-chan, mir gefällt das nicht.“

„Dir gefällt was nicht? Entschuldige bitte, du musst schon konkreter werden. Ich habe noch eine Menge Arbeit zu erledigen, und keine Lust, dir die Würmer einzeln aus der Nase zu ziehen.“

„Mir gefällt die Internierung der Kaisertreuen nicht. Sie sind defacto Geiseln. Und das ist etwas, was die UEMF nicht mitmacht!“

„Denkste. Ich habe über die Standleitung bereits mit Eikichi konferiert, und der hat sein okay gegeben.“ Sakura seufzte ernst. „Megumi-chan, wir stoßen jetzt nicht nur in das potentiell feindlich gesinnte Kaiserreich vor, wir werden auch mitten in einem Bürgerkrieg auftauchen. Es wird alles drunter und drüber gehen, und wenn der Core, der direkte Nachbar des Kaiserreichs, herausfindet, das der alte Feind geschwächt ist, dann wird er angreifen, und dann ist das Chaos erst recht komplett. Wir brauchen jetzt jede Sicherheit, die wir kriegen können. Wirklich jede Sicherheit. Entweder geben wir Tybals Einheiten und Mannschaften an den Kaiser zurück, und haben damit einen Stein bei ihm im Brett, oder wir geben sie frei, damit sie sich den Aufständischen anschließen können. Oder wir liefern sie aus. Punkt.“

„Und genau das ist es, was mir nicht gefällt. Ich bin strikt gegen eine Internierung. Willst du die Iovar mit Gewalt davon überzeugen, dass all ihre Vorurteile, die Naguad betreffend, wahr sind?“

„Ich bin nur eine halbe Naguad!“

„Aber ich bin eine vollwertige Naguad! Und hast du Sostre vergessen? Meras Yukow, Marus Jorr und all den anderen?“

„Ich werde meine Entscheidung nicht zurücknehmen“, sagte Sakura trotzig. „Du magst dem Namen nach unsere Anführerin sein, aber ich habe hier das Kommando!“

Die beiden Frauen sahen sich in wütendem Brüten an. „So!“, sagte Megumi.

„So“, erwiderte Sakura. „Allerdings…“

„Allerdings?“ Erwartungsvoll hob die Hawk-Pilotin die Augenbrauen.

„Allerdings habe ich nicht vor, die Besatzungen der kaiserlichen Schiffe wirklich zu internieren. Als wir die TAUMARA erobert haben, hatte es sich hervorragend bewährt, den Besatzungsmitgliedern Wohnraum zu zu weisen und ihnen freien Zugang zu allen öffentlichen Einrichtungen zu gewähren. Natürlich diskret überwacht und bei verstärkter Bewachung der Nervenzentren der AURORA.“

„Das ist immerhin besser als nichts“, murrte Megumi, aber Sakura kannte das Mädchen schon viel zu lange, um nicht das aufblitzen der Freude in ihren Augen zu sehen. Mehr hatte sie also gar nicht erreichen wollen. Aber das was sie gefordert hatte, hätte Sakura sowieso getan. Nur musste sie das der jungen Uno nicht mehr auf die Nase binden. Sollte sie doch stolz auf ihren Erfolg gegen die Eisenfressende Admirälin sein. Für einen Moment war Sakura versucht, über sich selbst zu kichern.

Megumi stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Sie schloss die große blonde Frau sanft in die Arme und drückte sie. „Danke, Sakura. Danke, dass du immer noch der Mensch bist, den ich kenne und liebe.“

Unschlüssig, dann aber mit Ernst legte nun auch Sakura die Hände um Megumi. „Da doch nicht für, kleine Schwester. Du weißt doch, ich werde dir immer helfen und immer zu dir stehen. Aber ich werde nicht immer nach deiner Pfeife tanzen.“

Megumi ächzte beleidigt auf, konnte aber ihr Lächeln nicht unterdrücken.

Sakura gab ihr einen Kuss auf die Wange. „So, jetzt geh wieder schön spielen. Oneechan muss arbeiten und du hast immer noch Sorge um eine Division zu tragen, oder?“

„Ach ja, da war ja noch was.“ Megumi richtete sich auf.

„Sakura, sag mal, hast du eigentlich auch gedacht, als Kyona vom Intendenten erzählt hat, es könnte…“

„Es könnte Akira sein? Es klang zumindest nach ihm. Es fehlten halt noch die Explosionen.“

„Oneechan“, tadelte Megumi.

„Aber es war doch etwas unwahrscheinlich. Er ist in den Händen des Cores. Wie zum Henker sollte er einen Aufstand im Kaiserreich anführen? Und wie sollte er die Iovar dazu bringen, ihm zu folgen, ihm, einen Halb-Naguad?“

„Akira hätte einen Weg gefunden, Sakura-chan.“

„Sag mal, willst du nicht langsam damit aufhören, Akira auf so hohe Podeste zu stellen? Irgendwann hast du ihn so weit hoch gestapelt, dass du nicht mehr an ihn rankommst. Das gleiche ist mit Thomas und mir passiert“, mahnte Sakura.

„Im Gegensatz zu Thomas“, erwiderte Megumi fest, „werde ich fliegen lernen, wenn es soweit ist.“ Mit einem letzten Salut verließ Megumi das Büro von Admiral Ino.

„Teufel auch. Thomas, dieses kleine Mädchen hat mehr Schneid im kleinen Finger als du in deiner ganzen Uniform.“ Kopfschüttelnd widmete sie sich wieder ihrem Papierkrieg.
 

2.

Man sagte, und das zu Recht, dass man im Weltall lautlos starb. Das war richtig. Denn das All war ein Medium, dass sich vor allem durch eines auszeichnete, nämlich relatives Vakuum. Schall, der dringend dafür erforderlich war, damit man etwas hörte, brauchte ein Medium, um sich zu übertragen, um sich wellenförmig fortzupflanzen. Das fehlte aber im Vakuum, in der absoluten Nichtdichte.

Allerdings gab es in diesem Vakuum dennoch kleine Sphären an Atmosphäre, nämlich eingeschlossen in den Cockpits der gelenkigen, wild umher kurvenden Banges, die sich gerade durch ein Rudel ihrer Gegner kämpften. Explodierte solch ein Gegner, entstand eine Schockwelle. Traf diese Schockwelle auf einen Banges, begann die Außenhülle zu schwingen, begann die Atmosphäre zu schwingen und der Pilot hörte das tiefe Brummen der Explosion.

Das gleiche galt für den Fall, dass ein Banges explodierte, aber das kam bei weitem nicht so häufig vor.

„Zusammenbleiben!“, brüllte Aria Segeste über die Hauptleitung und rief ihr Bataillon der 5. Banges-Division zur Ordnung.

Die Antworten kamen hektisch, bestätigend – und erfüllt mit Lücken. Von ihren vierzig Maschinen schleppten sich gerade fünf schwer angeschlagen zur AROGAD, neun waren vernichtet und drei antworteten gerade nicht.

Aria ließ ihren Banges herumwirbeln, hob das Herkules-Schwert in der Hand des humanoid geformten Mechas und spaltete einen Core-Banges längs, nur um kurz darauf mit einer Energieaufladung einen Logodoboro-Banges schwer zu treffen und aus dem Gefecht zu nehmen. Dreiundzwanzig Maschinen, davon war eine ihre eigene. Üble Geschichte, wirklich üble Geschichte.

Und das war noch nicht mal die Hauptschlacht, es war nur eine simple Erkundungsmission, zugegeben, in einem System, dass der rebellierenden Fraktion von Logodoboro gehörte.

Ein schrilles Warnsignal forderte ihre Aufmerksamkeit ein; sie wich automatisch aus, feuerte die Manöverdüsen, was zur Folge hatte, dass ihr Banges plötzlich Kopf stand. Dort, wo sich vor wenigen Sekunden noch der Leib mit dem Reaktor befunden hatte, jagten mehrere Raketen hindurch. „Lock auf Abschussposition!“, blaffte sie.

Die K.I. bestätigte. Aria feuerte eine volle Salve ab und wich dann einem weiteren Angriff aus der Flanke aus, schleuderte eine Herkules-Schwertaufladung auf den Angreifer.

„Ich glaube, das reicht jetzt, Aria“, klang die Stimme der K.I. auf. „Noch weiter vorzustoßen wird nur weiteren Leuten das Leben kosten. Lösen und zur AROGAD zurück zu kehren erscheint mir jetzt die richtige Lösung zu sein.“

„HALT DIE KLAPPE! Du hast vielleicht die Stimme von Akira, aber nicht seine Befehlsgewalt!“

„Warum hast du mir dann überhaupt erst seine Stimme gegeben? Warum hast du meine Stimmausgabe anhand der Verhaltensmuster von Akira Otomo programmieren lassen, anhand von Daten, die uns Lady Death und Prime Lightning zur Verfügung gestellt haben? Doch nur, damit du dich nicht in ein Unternehmen hineinsteigerst, dass du nicht überleben kannst. Und das ist jetzt ein solcher Fall!“

„Sei still! Sei endlich still! Ich brauche dich nicht! Ich brauche Akira nicht! Ich brauche Megumi nicht! Ich brauche keine Slayer, keine Hawks, ich kann das alleine! Ich bin auch ein guter Mecha-Pilot und ich gehe meinen Weg!“

Neben ihr entstand ein Schemen. „Ja, so sollte es eigentlich sein. So müsste es eigentlich sein.“

Der Schemen materialisierte, und sie sah in die so vertrauten Züge von Akira Otomo. „Und trotzdem spielst du hier den Berserker. Wem willst du etwas beweisen? Dir selbst, dass du einen Ausnahmepiloten wie mich nicht brauchst? Oder mir, dass du mir nicht nachstehst?“

Eine sanfte Hand berührte ihre Wange durch den Helm hindurch.

„Akira…“ „Du musst mir nichts beweisen. Und du musst auch nicht versuchen besser als ich zu sein. Du bist du, Aria. Du bist ein vollwertiger Mensch, ein Anführer, ein guter Pilot. Du hast alles was du brauchst, um voran zu schreiten. Um deine Leute überall und jederzeit durchzubringen. Dazu musst du nur du selbst sein und mit deinen eigenen Möglichkeiten wachsen und besser werden. Dein Zenit ist noch lange nicht erreicht, Aria Segeste. Da steckt noch mehr drin, sehr viel mehr. Aber wenn du dich immer an mir misst, dann kannst du gar nicht sehen, wie gut du mittlerweile geworden bist. Ich bin ein Ausnahmepilot, nenn mich ruhig einen Kriegsgott. Jeder Fortschritt, den du jemals machen wirst, ist an mir gemessen unglaublich wenig. Und doch bist du den meisten Naguad schon weit voraus, was das steuern eines Banges angeht. Was das führen eines Bataillons angeht. Ich darf nicht dein Maß sein, sonst wirst du mich nie einholen.“

„Akira…“, hauchte sie und legte wehmütig ihr Gesicht in seine Berührung.

„Hast du das verstanden, Aria?“

„Warum tust du das? Warum öffnest du mir die Augen?“

„Du bist meine Freundin. Du bist mir wichtig wie Joan, wie Yoshi, wie Doitsu, wie Hina. Ich kann nicht dabei zusehen, wie es mein Beispiel ist, dass einen guten Offizier wie dich verzweifeln lässt. Du bist so viel, du kannst so viel. Du hast es nicht verdient, auf eine so dumme Art zu verzweifeln. Hast du das verstanden?“

„Ja, ich habe verstanden.“

„Gut“, sagte Akira und zog seine Hand zurück. „Dann arbeite weiter an dir. Ich bin sehr darauf gespannt, wie gut du geworden bist, wenn wir uns wieder treffen werden. Ich warte auf dich, Aria, meine gute Freundin.“

„Akira! Geh nicht! Ich muss dich doch soviel fragen, ich will mehr lernen! Ich… Ich…!“

Schweiß gebadet fuhr Aria Segeste in ihrem Bett hoch. Automatisch flammte die Beleuchtung auf und dimmte sich langsam hoch. Verzweifelt schlug sie eine Hand vor ihr Gesicht. „Ein Traum! Ein elender Traum! Aber…“ Langsam nahm sie die Hand wieder ab, verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf und starrte an die schwach beleuchtete Decke. „Aber der Traum hat Recht. Es ist gut, seine Ziele hoch zu stecken, aber es ist sehr dumm, sich absichtlich zu entmutigen. Wer kann schon mit Akira mithalten?“ Sie lachte laut und froh, und so frei wie schon seit dem Tag nicht mehr, an dem sie bei der 5. Banges-Division zurückgeblieben war. Dann drehte sie sich auf die Seite. Ihr Schlaf war ruhig, tief und erholsam. Auch das war das erste Mal seit Monaten. Und auch das erste Mal, ohne sich Vorwürfe zu machen, ihre besten Freunde im Stich gelassen zu haben.
 

Vor der Kabine an Bord der AROGAD stand Eridia Arogad. Sie hatte die Stirn in Falten gelegt. Dann lächelte sie anerkennend und ging ihrer Wege. Dieses Mädchen war für ihr Alter bereits sehr stark. Und der Hinweis war genau zur richtigen Zeit erfolgt.
 

3.

So oft es mir die Pflicht erlaubt hatte, hatte ich diesen Ort aufgesucht, das Paradies der Daima und Daina. Damit hatte ich auch dessen Herrin besucht, die geheimnisvolle Existenz namens Aris. Normalerweise entging der Herrin des Paradieses nichts, und so dauerte es auch nur ein paar Sekunden, bis sich das Mädchen, wie immer in das tiefschwarze Kleid gehüllt, neben mir niederließ.

„Hallo, Akira.“ Sie lächelte mich freundlich an.

Ich erwiderte das Lächeln, aber ohne echte Wärme. „Hallo, Aris.“

„Ist etwas passiert? Du hast Maltran gar nicht mitgebracht.“

„Wenn etwas passiert wäre, wüsstest du doch davon. Alle meine Berichte über die Kampflage im Kaiserreich gehen direkt an dich. Nein, das ist es nicht. Und was meinen Stellvertreter Maltran Choaster angeht, ich habe ihn mit einem Kurier zurück zur Heimatwelt geschickt. Ohne Kommandoschiff hat er keinen Zugang zum Paradies.“

„Du schickst ihn zurück? Hat das bestimmte Gründe?“

„Alles hat bei mir bestimmte Gründe. Deshalb hast du mich doch zu deinem Feldherrn erzogen, oder?“

„Sag bitte nicht erzogen. Ich habe dir Aufgaben gestellt, du hast sie gemeistert und bist daran gewachsen. So sehe ich das.“

„Ich nenne es Indoktrination. Aber danke dafür, ich habe einiges gelernt. Über dich, über die Core-Zivilisation, über deine Motive. Vieles dreht sich um den Liberty-Virus, das habe ich schon erkannt. Er ist gefährlich für das Paradies, ist das richtig?“

„Er ist nicht gefährlich. Er ist nur… sehr, sehr störend.“

„Wie passen die Götter in dieses System? Wie in eine Welt, die seit dreitausend Jahren und mehr nur aus Kampf, Vernichtung und Tod besteht?“, hakte ich nach.

„Es ist notwendig“, erwiderte Aris schroff. „Wieso vertraust du mir in diesem Punkt nicht einfach, Akira?“

„Wieso vertraust du mir nicht und sagst mir was ich wissen will? Bin ich nun dein Feldherr oder nicht, Aris?“

Ich hatte eine harsche Erwiderung erwartet, stattdessen faltete sie die Hände ineinander und sah verlegen fort. „Natürlich bist du mein Feldherr. Du bist meine beste Wahl, Akira. Aber ich hatte gehofft, du… Ich hatte gehofft, dass du diesen Krieg anders führen kannst als Kiali es getan hat. Aber ich sehe, dass du viele Fragen hast, vielleicht zu viele Fragen.“

Nachdenklich sah ich auf den See hinaus. „Du hast mich durch die Scheinrealitäten gehetzt. Du hast mir die Gefährlichkeit des Liberty-Virus ins Herz zu pflanzen versucht. Du hast auf die verschiedensten Wege versucht, mich gegen die Dämonen einzunehmen. Und irgendwann hast du versucht, meinen Gehorsam zu erzwingen, wenn ich dich an die Welt erinnern darf, in der du die Kaiserin gespielt hast, der ich die Treue geschworen habe.“

Aris errötete und legte die ineinander gefalteten Hände in den Schoß. „Verzeih mir, bitte. Aber ich wollte nicht auf dich verzichten. Ich wollte doch nur dich haben, dich alleine.“

„Nanu? War das eine Liebeserklärung?“, fragte ich amüsiert.

„Liebeserklärung? Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint!“ Ihr Gesicht hatte nun eine Farbe angenommen, die man durchaus Scharlach nennen konnte. Und ihre Hände spielten immer noch verlegen miteinander.

„Weißt du warum ich dein Feldherr geworden bin, obwohl du mich so schrecklich behandelt hast? Obwohl du mich und Laysan durch diese verschiedenen Welten gehetzt hast? Obwohl ich dir eigentlich vom tiefsten Grund meines Herzens böse sein müsste?“

Betreten sah sie zu Boden. „Nein, ich weiß es nicht. Aber ich bin sehr dankbar dafür.“

„Ich wollte mir eine eigene Meinung bilden“, sagte ich ernst. „Und Kiali hat mir dabei sehr geholfen, indem sie mir mehr Freiheiten zugestanden hat, als du es getan hättest. Ich habe nicht nur sehr viel über die Iovar und ihr Kaiserreich gelernt, sie hat mir auch einige Daten über die Götter zur Verfügung gestellt.“

„Sie hat was? Aber das sind verbotene Dateien! Nicht einmal ich komme da so ohne weiteres heran und… Was steht denn in diesen Dateien, Akira?“

Ich zuckte die Achseln. „Alles was ich wissen musste. Aber leider nicht so viel wie ich wirklich wissen wollte.“

Ich seufzte leise. „Den Rest wirst du mir beantworten müssen, Aris.“

„Okay.“ Ihr Blick begegnete zögerlich meinem. In allem was sie tat, was sie sagte, wie sie sich verhielt, offenbarte sie ihr geringes Alter, das leider mit einer enorm großen Datenbank kombiniert worden war. Und zu ihrer Persönlichkeit gehörte auch eine gehörige Portion Naivität, obwohl sie theoretisch Zugriff auf die Lebenserfahrung von zwanzig Millionen Daima und Daina hatte.
 

Ich ließ mich nach hinten fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Die Cores wurden von den Villass erschaffen, richtig? Die Villass waren sehr berühmt für ihre fortgeschrittene Technik.“

„Die Villass waren in der Tat die Eltern der Cores. Sie waren ein großer Clan, vielleicht damals der größte, weshalb sich die anderen Sippen darum bemüht hatten, dass die Villass nicht auch noch das machtvolle Kaiseramt erhielten.“

„Und das hat ihnen nicht gefallen.“

„Nein, das hat ihnen überhaupt nicht gefallen. Also suchten sie nach einem Weg, um ihre Macht so weit zu vergrößern, um den Kaiserthron gefahrlos einfordern zu können.“ Aris legte sich neben mich und musterte den gefälschten blauen Himmel. „Zeit war nicht dasselbe für sie wie für dich und deine Terraner. Ein Villass konnte tausend deiner Jahre alt werden. Also entschieden sie sich für einen Langzeitplan. Die Wissenschaftler der Familie entwickelten die Core-Technologie, die Ranghöchsten spendeten ihr Erbgut und die Führer der Hausflotte schaffte es, jedem Core unauffällig eine Fregatte zur Verfügung zu stellen, mit der er selbstständig durch die bekannte Galaxis reisen konnte.

Der Plan war gewesen, den Cores ein- bis zweihundert Jahre Zeit einzuräumen, in der sie eine geeignete Rohstoffwelt fanden, ausbeuteten, Industrie errichteten und schließlich mit dem Bau von Schiffen in eigenen Werften begannen. Diese Schiffe sollten dann von Villass übernommen werden. Das war der Plan gewesen. Aber so ist es nie gekommen.“

„Die Götter kamen dazwischen“, riet ich.

„Die Götter kamen dazwischen. Die Villass wurden benachrichtig, dass die ersten Schiffe fertig waren, und so entsandten sie hunderte Schiffsbesatzungen, um sie zu übernehmen. Aber empfangen wurden sie von den Strafern der Götter, die über allen neun Core-Welten kreisten. Die Strafer waren übermächtig, Widerstand war absolut zwecklos. Und sie stellten nur eine Frage: Hat eure Heimatwelt eine Dämonenwelt?

Diese Frage konnten die Villass nicht beantworten. Darum standen die Cores und ihre Heimatwelten ebenso vor der Zerstörung wie Iotan selbst und die Schiffsbesatzungen der Villass. Es ist wahrscheinlich dem Mut und der Gewitztheit eines einzigen Villass zu verdanken, dass es nicht zu einem Blutbad kam. Denn er trat aus der Menge vor und versprach den Göttern, für sie herauszufinden, ob es auf Iotan eine Dämonenwelt gab.

Dies war der Beginn unserer Aufgabe.“

„Das war doch wohl noch nicht alles?“, argwöhnte ich. „Wie sind die Raider entstanden? Warum haben die Götter die Dämonenwelt gesucht? Wie und warum wurde das Paradies erschaffen? Du hast mehr Fragen offen gelassen als beantwortet.“

Sie seufzte tief. „Akira, das Wissen aus dieser Zeit ist nur unzureichend vorhanden. Die Villass haben damals Konferenzen abgehalten, in ihren Körpern, nicht in einem Netzwerk. Es gibt wohl noch Datenträger aus jener Zeit, aber ich habe keinen Zugriff auf sie.“

Ich nickte verstehend. Da steckte die Herrin ja wirklich im Dilemma.

„Alles, was ich weiß war, dass die Götter eine Sicherheit wollten, wenn sie die Villass am Leben ließen und mit der Suche nach der Dämonenwelt beauftragten. Diese Sicherheit wurde die Hauptwelt des Cores. Die Villass wurden gezwungen, auf ihr zu siedeln. Und jede weitere Schiffsbesatzung, die ausgesandt wurde, um die vermeintlich fertig gebauten Schiffe zu übernehmen, wurde in diese Gemeinschaft integriert, ob sie wollte oder nicht.

Es waren die Götter, welche den Villass und damit dem Core die Möglichkeit der überlegenen überlichtschnellen Kommunikation gewährte. Und es war diese Technik, die es den Göttern gestattete, ihre Geiseln nicht aus der Hand zu geben und sie dennoch für sich arbeiten zu lassen. Villass wurden in Regenerationstanks gesteckt, ihre Körper automatisch am Leben erhalten, während ihr Ich, ihr AO, den Körper verließ und eine jener Drohnen erfüllte, mit denen die Cores ihre Städte aufgebaut hatten. Womit die Götter aber nicht gerechnet hatten war, dass sie den Villass damit in die Hände gespielt hatten, denn im Netzwerk, welches die Regenerationstanks verband, konnten sie unbeobachtet von den Göttern ihre Pläne schmieden.

Der Grundtenor jener Zeit war, sich unverzichtbar für die Götter zu machen, während einige versuchten herauszufinden, was eine Dämonenwelt war, und warum die allmächtigen Götter nach ihr suchten.

Sie erfuhren nicht alles, beileibe nicht. Aber die Götter erzählten jedoch soviel: Dass die Bewohner der Dämonenwelten die Geisseln dieser Galaxis waren, schreckliche Bestien, die ganze Welten mit einem Gedanken vernichten konnten. Wenn die Dämonen nicht aufgehalten wurden, dann würden sie erneut Welt um Welt entvölkern und Milliarden von Intelligenzen töten. Sie erzählten vom großen Konflikt der Daima und Daina, von den schrecklichen Verwüstungen, welche die AO-Meister jener Zeit angerichtet hatten. Sie boten Beispiele hunderter ehemals blühender Welten dar, auf denen gekämpft worden war, und die nun nur noch Staubwüsten waren…

Diese Erzählungen waren so schrecklich, so furchtbar, dass sich die Villass nach und nach fast alle in die Tanks zurückzogen und ins Netzwerk integrierten. Ohne es zu wollen entstand damals die erste Version vom Paradies.“

Nachdenklich sah sie mich an. „Ich habe Zugriff auf eine Menge Daten aus jener Zeit. Die aufgezeichneten Angst-Empfindungen sind furchtbar. Wirklich furchtbar. Ich hoffe, dass ich eine solche Angst nie empfinden werde.“

„Angst ist nur ein Gefühl. Ein williges Werkzeug, von dem du dich nicht beherrschen lassen darfst“, tadelte ich die Herrin. „Aber die Villass, nein, die Iovar des Cores ließen sich davon beeindrucken und beherrschen, richtig?“

„Ja, das taten sie. Um die Antwort auf die Frage zu finden, ob auf Iotan eine Dämonenwelt existierte, bauten sie auf Gewalt. Die Raider entstanden, die Banges wurden gebaut. Riesige Flotten automatischer und von den neun Welten gesteuerte Rochenschiffe machten sich auf, Iotan anzugreifen und die Antwort mit Gewalt zu bekommen, bevor die Götter die Geduld verloren.

Doch die Abwehr war zu stark, und viele der Offiziere jener Zeit zogen sich in Agonie zurück und erwarteten das Ende des Lebens durch die Strafer.

Es war in jener Zeit, dass sie die erste Herrin des Paradies´ erschufen, ein recht depressives Ding, das in einer Zeit der Weltuntergangsstimmung geschaffen wurde, und das mit Angst und daraus resultierendem Hass regierte und den Krieg führte.

Naara, so hieß sie, kam schnell zu einer Entscheidung. Warum die Dämonenwelt nur auf Iotan suchen? Warum nicht auch andere Welten erkunden? Warum nicht den Göttern deutlich machen, wie wertvoll sie sein konnten?

Die Götter akzeptierten, und somit ließen die Raider von Iotan ab und begannen die anderen besiedelten Welten anzugreifen und an Antworten zu kommen.

Nicht nur jene Welten, auf denen die Iovar siedelten, wurden kontrolliert. Raider-Schiffe flogen viele verschiedene Welten an, und tatsächlich entdeckten sie nach und nach ein Dutzend Dämonenwelten und viele weitere Welten, auf denen Daima und Daina überlebt hatten. Damals kannten wir diese Begriffe nicht, aber es war eine einmalige Gelegenheit, unseren Wert für die Götter zu beweisen. Wir verschleppten die Daina und Daima aus den eroberten Systemen und integrierten sie in den Core, ob sie wollten oder nicht. Aber sie alle begriffen nach kurzer Zeit, dass wir sie nicht versklavt, sondern gerettet hatten. Und sie verstanden, dass ihnen das ewige Leben bevor stand.“ Sie setzte sich auf, griff nach ein wenig Sand und warf ihn im hohen Bogen ins Meerwasser. Das war die endgültige Geburtsstunde des Paradieses der Daima und Daina. Aber weder Naara, noch ihre Nachfolgerin Kiali, noch ich haben es jemals geschafft, die Trennung zwischen ihnen aufzuheben. Jene, die in der Flotte dienen, unsere Schiffe koordinieren oder in Offiziersdrohnen das Universum durchstreifen sind Anführer meines Volkes. Ihnen ist es egal, ob der Mann oder die Frau neben ihm Daima oder Daina ist. Aber die Offiziere sind nur ein paar zehntausend, und die Bevölkerung des Paradies geht in die Milliarden, verteilt auf neun Core-Welten.“

„Hm. Verstehe. Eure Angriffe auf die Naguad waren demnach auch Versuche, auf ihrer Hauptwelt eine Dämonenwelt ausfindig zu machen.“

Aris nickte. „Ja, aber auch hier war die Abwehr zu stark, sodass Naara bald dazu überging, die umliegenden Welten abzusuchen. Dabei entdeckten wir Dutzende Daima-Welten, aber nur die wenigsten konnten gerettet werden. Noch heute stehen sie unter der permanenten Bedrohung durch die Strafer der Götter. Sollte auf einer dieser Welten eine Dämonenwelt bestätigt werden, greifen die Strafer ohne jede Rücksicht an. Es sind nicht viele Schiffe, aber sie sind sehr mächtig. Mächtiger als alle Schiffe, die Daima, Daina oder Dai je gebaut haben, geschweige denn deine Terraner.“

Die Mosaiksteine setzten sich nach und nach zusammen. Vieles wurde mir klarer, und auch Orens Erzählung von der Eroberung der Core-Welt Yossha passte nun sehr gut ins Bild. Zuvor hatte mit Maltran, mein Stellvertreter, schon davon erzählt, welche furchtbare Katastrophe die Eroberung dieser Welt für das Paradies gewesen war. Er hatte von der Panik berichtet, von der Angst, und von den Anschuldigungen, die Daina und Daima einander an den Kopf geworfen hatten. Ihre Zivilisation hatte damals auf Messers Schneide gestanden, und nur die Erschaffung von Kiali hatte das Schlimmste verhindert.

„Wie viele Strafer haben die Götter?“, fragte ich.

„Wie viele? Wir schätzen, dass sie fünfzig haben. Tatsächlich zusammen gesehen haben wir aber nur acht. Warum interessiert dich das? Ein Strafer reicht vollkommen aus, um ein Sonnensystem zu vernichten.“

„Aha. Also können sie das, was sie den Dai vorwerfen, auch selbst.“ Ich richtete mich ebenfalls auf. „Aris, sag mir eins. Kiali hat auf der Erde operiert, meiner Heimatwelt. Warum wurde sie nie von einem Strafer angegriffen? Warum habt ihr nie versucht sie zu erobern?“

„Die Erde ist die Ursprungswelt, Akira. Auf ihr ist die Zivilisation der Dai entstanden. Zwar haben auch sie im Daima-Daina-Krieg gelitten, zwar wurde die Erde verwüstet und die Daina die auf ihr lebten um Jahrzehntausende zurückgeworfen, aber die Götter haben uns nur sanfte Einflussnahme gestattet. Wir hatten den Auftrag, auch auf dieser Welt die Dämonenwelt zu finden. Aber es war uns untersagt, die Erde anzugreifen.“ Aris sah mich nachdenklich an. „Wenn ich es nicht besser wüsste würde ich sagen, es gibt da etwas auf der Erde, was die Götter nicht wecken wollen. Sie greifen im geheimen an, vernichten Dämonenwelt auf Dämonenwelt im Umfeld, aber den großen Angriff auf die Erde selbst wagen sie nicht.“

„Noch nicht“, flüsterte ich. Damit fielen die letzten Mosaiksteine an ihren Platz, und ich war endlich in der Lage zu handeln. „Aris. Ich muss dir etwas wichtiges sagen.“

Erwartungsvoll sah die Herrin mich an. „Betrifft es deine Terraner, auf die du so stolz bist?“

Ich schüttelte den Kopf. „Bestenfalls indirekt. Es ist eine Nachricht, die mir der Intendent der Rebellion mitgegeben hat. Sie lautet: Iotan hat eine Dämonenwelt!“

Erschüttert sah sie mich an. „Was?“

Ich nickte schwer. „Das sind die Worte des Intendenten.“

„Aber das bedeutet, dass… Dass die Götter nun Strafer schicken werden, um Iotan zu zerstören! Akira, was hast du getan?“

Ehrlich gesagt wusste ich das selbst nicht so genau, ehrlich gesagt erschreckte mich die Reichweite der Gedanken des Intendenten, sein Witz, seine Courage und bis zu einem gewissen Punkt auch seine Skrupellosigkeit, auch wenn ich sie diesmal als notwendig anerkannte. Und ehrlich gesagt konnte ich noch nicht einmal annähernd absehen, was ich gerade ausgelöst hatte; auf jeden Fall aber einen Umbruch, der diesen Sektor der Galaxis für immer verändern würde. Ob zum guten oder schlechten würde die Zeit uns sagen müssen. Aber nun, in diesem Moment, murmelte ich leise: „Hoffentlich das richtige.“

***

Die Sonne schien… Ein leichter Wind ging… Der Strand war gut, aber nicht zu gut besucht… Die Leute trugen keine Uniformen… Dafür knappe Badesachen.

Im Klartext hieß das, dass eine Auswahl durchtrainierter Männer und Frauen des besten Alters einen halben Kilometer Strand des Serenity-Meeres unsicher machten, während laute Musik gespielt wurde, große Grills Unmengen an Fleisch und Gemüse brieten, Beachvolleyball fast zur Religion erhoben wurde und man sich nicht länger vorstellen musste wie er oder sie unter den Klamotten aussah. Kurz und gut: Der Innenraum der AURORA erlebte bei traumhaften vierundzwanzg Grad die größte Party, seit der erste Volleyball in den heißen Sandboden gefallen war.

Die Hekatoncheiren, einige Schiffskommandanten, einige Offiziere, das Otome-Bataillon, eine Schar Wackerer der Bodentruppen und wer sonst nicht hatte schnell genug entkommen können, amüsierte sich nach besten Kräften und Gewissen am Strand, was die Reserven hergaben. Es war Schonzeit. Vor wenigen Stunden war die AURORA gesprungen und hatte Arcturus mit ihrer Begleitflotte verlassen. Das bedeutete Freizeit für die Männer und Frauen, welche in den letzten Wochen unter permanenter Belastung gestanden hatten. Und diese Freizeit artete nun in eine handfeste Party aus. Seit mehreren Stunden, zugegeben.

Man amüsierte sich nach Leibeskräften. Man tanzte zur Musik von Joan Reilley, die wieder einmal mit ihrer Band auf der Bühne stand. Man trank, man aß, man lachte, man quatschte, man tat alles, was man nicht hatte tun können, als sie sich in Arcturus-System aufgehalten hatten.

Oder man saß still und bescheiden an einer ruhigen Ecke vom Strand, sah auf die Wellen hinaus und war tief in die eigenen Gedanken versunken.
 

Megumi Uno saß an einer ruhigen Stelle vom Strand und starrte blicklos auf die Wellen.

Und sie zeigte keine Reaktion, als eine eisgekühlte Getränkedose in ihren Nacken gedrückt wurde. Stattdessen griff sie danach, murmelte ein danke, riss sie auf und trank einen Schluck.

Mit einem freundlichen Grinsen ließ sich Sakura neben ihr nieder und stieß ihrerseits mit einer Dose an. Megumi schenkte ihr einen kurzen Blick und die Andeutung eines Lächelns, bevor sie wieder auf das Meer hinaus sah.

„Amüsieren sich die anderen?“

„Geht so“, brummte Sakura in ihr Bier. „Die Stimmung könnte besser sein.“

„Wie, besser?“, erwiderte Megumi mit einem spöttischen Lächeln. „Besser als die spontane Verbrüderung von Ban Shee Ryon und deinem kleinen Bruder? Besser als Keis Verlobungsversprechen, mit dem er das halbe Otome-Bataillon entsetzt und die andere Hälfte entzückt hat? Besser als Yoshis KI-Biest, das auf den Beachvolleyballfeldern immer die Bälle klaut? Besser als die unüberschaubaren Massen von jungen Männern, die beim Damenturnier zugucken und bei jedem Spielzug applaudieren, egal wer gepunktet hat? Besser als Joans spontanes Konzert, das noch frenetischer gefeiert wird als jenes auf Lorania, mit dem sie den Versöhnungsprozess zwischen Anelph und Naguad eingeleitet hat? Besser als…“

„Schon gut, schon gut“, warf Sakura hastig ein. „Es ist eine Riesenparty. Wundert mich, dass du das hier mitgekriegt hast.“

„Oh, ich sitze hier erst ein paar Minuten rum“, erwiderte sie. „Bis eben war ich damit beschäftigt, Slever und seine Leute ein wenig herumzuführen und ihnen ein paar Details zu erklären, was diese Party und was terranisches Verhalten betrifft.“

„Hat er dir eigentlich zugehört? Oder war er zu geblendet von dem, was du als Bikini bezeichnest?“

Megumi errötete. „Ich habe ja wohl mehr Stoff am Körper als du. Oder als Kitsune-chan.“

„Ach. Sie wieder. Sie hat sich Kleidung aus KI geformt, und das sieht zwar aus wie ein Einteiler, liegt aber so eng an wie eine zweite Haut. Außerdem spart er sehr viel aus. Wäre sie keine Dämonin, wäre es ein unverzeihbares Risiko, so ein Ding zu tragen.“ Sakura zwinkerte. „Sie könnte vom Fleck weg geheiratet werden.“

Megumi prustete leise und nahm einen Schluck von ihrem Eistee.

„Übrigens, Tyges ist mein einer Auswahl seiner Daina ebenfalls anwesend. Die ADAMANT ist angedockt, und was sollen sie auch anderes machen? Sie scheinen sich ebenfalls köstlich zu amüsieren.“

„Was ist mit Tag und Nacht? Sind sie noch da, oder treiben sie ihre jungen, wilden Hormone bereits in abgeschlossene Räume und stille Ecken?“

„Tag und Nacht?“ Sakura runzelte die Stirn. „Ach so, du meinst Micchan und Akarin. Nein, die sind noch ganz brav und artig auf der Party. Du musst bedenken, Micchan ist gerade erst siebzehn geworden. Und Akari ist – dreihundert Jahre als Oni oder nicht, nun mal auch gerade erst knapp an der siebzehn. Hast du vielleicht mit siebzehn schon…?“

Megumi schenkte ihrer schwesterlichen Freundin ein zweideutiges Lächeln.

„Ach ja, da war ja was auf Akiras achtzehntem Geburtstag“, murrte sie säuerlich. „Schade, dass ich das damals nicht gemerkt habe. Ich hätte Akira deswegen bereits eine Woche früher necken können.“

Megumi lachte und hielt sich dabei den Bauch. Sie lachte so heftig, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Schließlich fiel sie zur Seite, wurde von Sakura aufgefangen und lachte in ihren Armen weiter, bis sie nicht mehr konnte.

Als sie dann hoch sah und direkt in Sakuras Augen blickte, sagte sie: „Das ist deine einzige Sorge? Dass du ihn früher hättest necken können, weil er mit mir geschlafen hat?“

„Nicht meine einzige Sorge. Aber bedenke die Möglichkeiten, die ich gehabt hätte, wenn ich ihn hätte vor der Marsmission triezen können.“ Sie grinste sardonisch. „Das wäre ein Spaß geworden.“

„Ach, tu doch nicht so böse.“ Mit einem sanften Ruck löste sich Megumi aus ihren Armen und richtete sich wieder auf. Sie sah wieder auf die Wellen hinaus. „Warum hast du ihn mir überhaupt überlassen?“

„Was?“

„Du hast mich schon verstanden. Warum hast du mir Akira überlassen? Warst du nicht immer selbst in ihn verliebt?“

„Na hör mal“, erwiderte Sakura pikiert. „Ich habe dabei zugesehen wie ihm die Windeln gewechselt wurden! Das ist nun wirklich nicht…“

„Ich weiß, dass du ihn liebst. Ich weiß es, weil ich in deinen Augen das gleiche Glitzern sehe, dass ich an mir erkenne, wenn ich an ihn denke. Du hättest nicht viel tun müssen, um ihn kriegen zu können. Du hättest nur sagen müssen, dass du ihn liebst, und er wäre dir wie eine reife Frucht zugefallen. Egal, ob er zehn, dreizehn oder zwanzig war. Ein Wort von dir, und…“

Sanft legte Sakura einen Finger auf Megumis Mund und stoppte damit ihren Redefluss. Ebenso sanft lächelte sie das Mädchen an. „Ich könnte mich jetzt rausreden. Ich könnte sagen, ich bin ein Bluthund, und Bluthunde dürfen ihre Herren nicht lieben. Ich könnte sagen, dass du dich geirrt hast und ich ihn gar nicht liebe. Und ich könnte sagen, dass ich gegen dich einfach keine Chance hatte. Aber das wäre wohl alles mehr als gelogen. Nein, die Wahrheit liegt an einer anderen Stelle.“

Sanft nahm Sakura ihre Hand und drückte sie auf ihr Herz. „Weißt du, ich liebe ihn wirklich. Ich bin mit ihm aufgewachsen, ich habe ihn in schrecklichen Gefahren gesehen, ich bin an ihm verzweifelt und an ihm gewachsen. Ich schäme mich nicht, ihn so sehr zu lieben. Aber es gibt zwei Gründe, warum es so ist, wie es ist. Der erste ist, dass ich ihn auf ein viel zu hohes Podest gestellt habe, um einfach sein zu sein. Das geht nicht, das kann ich nicht und das werde ich nicht. Außerdem verliebe ich mich dauernd in andere Männer, in der Hoffnung, es ist mal einer dabei, der versteht, wie sehr ich auf Akira fixiert bin.“

„Tets…“, begann Megumi, aber Sakura unterbrach sie erneut.

„Der zweite Grund ist aber wichtiger. Du liebst ihn so viel mehr als ich, dass ich dagegen gar nicht ankommen würde, selbst wenn ich es wollte. Und er erwidert diese Liebe. Das hat er schon immer und das wird er auch immer. Weißt du noch, als die ersten Berichte über Blue Lightning aufgetaucht waren? Der geheimnisvolle Daishi-Pilot auf der Seite der Erde?

Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem deine Eltern starben? Weißt du noch, dass du ihn gerufen hast? Er war zehn Kilometer entfernt, hatte einen erbitterten Kampf mit fünf Daishis Beta, und plötzlich taucht er bei dir auf und rettet dein Leben, weil du ihn gerufen hast. Megumi, wer kommt denn gegen solch eine Verbindung an? Geschweige denn wer würde es wollen? Das was ihr zwei habt ist so kostbar, so wundervoll, dass ich es jedem nur wünschen kann, es selbst einmal zu erleben.“ Sie nahm den Finger ab und grinste burschikos. „Tatsächlich bin ich gerade auf einem guten Weg. Ich habe mir einen wilden Rocker aufgerissen. Stur, stark, unabhängig.“

„Und dein Untergebener“, warf Megumi ein.

„Natürlich mein Untergebener. Nur so funktionieren Beziehungen“, erwiderte Sakura mit erstaunt aufgerissenen Augen. „Hat dir das noch keiner beigebracht? Die Frau muss ganz klar das Kommando geben. Zerstör ihn nicht, wickel ihn nicht in Watte, sonst ist er nicht das, was du haben wolltest. Aber lass ihm ja nicht den Glauben, er würde in der Beziehung das sagen haben.“ Selbstgefällig grinsend breitete sie die Arme aus. „Letztendlich sind wir Frauen das stärkere Geschlecht und sollten die Welt regieren. Schlimmer zuschanden reiten als die Männer können wir sie auch nicht.“

„Aha. Und gibt es einen bestimmten Mann, den du dir gerade für dein Freizeitvergnügen unterwirfst?“, klang eine trockene Männerstimme hinter den beiden auf.

Sie sahen zurück. Tetsu Genda runzelte die Stirn. „Kenne ich ihn? Ich hoffe nicht, das arme Würstchen.“

„Ahahaha. Hahaha. Tetsu, also… Tetsu, ich meine ja, denkst du nicht auch, dass…“

„Doitsu und Daisuke wollen Melonen spalten. Ihr sollt kommen und die beiden mit auslachen“, brummte Tetsu und machte sich auf den Rückweg.

Sakura sprang auf und lief hinterher. „Tetsu, nun warte doch. Was ich gesagt habe war doch nur, um Megumi aufzumuntern. Ach komm schon, sei kein Brummbär. Tetsuuuu…“

„Ich glaube, in dieser Beziehung hast du einen schlechten Start hingelegt, was Dominanz betrifft“, murmelte Megumi schadenfroh und sah wieder aufs Meer hinaus.

Sekunden darauf traf sie eine Faust auf dem Kopf. „Wer hat hier einen schlechten Start, hä?“ Sakuras zornige Miene verwandelte sich in ein Lächeln, als sie Megumi eine Hand zum aufstehen anbot. „Komm jetzt. Unsere Freunde warten.“

Megumi ließ sich auf die Beine ziehen. Dabei rieb sie sich den Kopf. „Du darfst doch gar kein Daness-Eigentum beschädigen, Sakura.“

„Darf ich es dann wenigstens benutzen? Tetsu hat eine Schwäche für dich. Hilf mir, ihn zu bequatschen, ja? Dann gibt Onee-chan auch mal einen aus. Okay?“

„Okay“, murmelte Megumi.

„Tetsu! Du wirst doch zwei schöne Frauen hier nicht stehenlassen!“

„Tetsu, das erzähl ich Akira!“

Mit einer mürrischen Miene blieb der Kommandant der AURORA stehen und sah zu den beiden zurück. „Nun kommt schon, ihr zwei.“

Lachend liefen sie ihm hinterher.
 

4.

In ohnmächtiger Wut sah der Intendent auf das Hologramm herab, das vor ihn projiziert wurde. Es stellte das Sonnensystem von Io dar, das Hauptsystem des Kaiserreichs der Iovar. Io, die gelbe Sonne, war im Zentrum. Dreizehn weitere Planeten umkreisten sie. Iotan war der fünfte. Es gab ein paar Gluthöllen auf den Bahnen eins bis drei, eine Siedlungswelt, in Jahrtausenden Ioformt, eine weitere Ioformte Welt auf sechs, dann kamen fünf Gasriesen, die letzten beiden Welten waren eisige Zwerge aus Wasser, Gestein und gefrorenem Methan.

Der Intendent machte sich bewusst, dass er sich gerade in diesem System aufhielt, zusammen mit zweihundert Schiffen der Bewegung. Das würde normalerweise nicht reichen, um es mit der kaiserlichen Wachflotte aufzunehmen, aber es waren keine normalen Zeiten. Weitere fünfhundert Raider befanden sich bei ihm, ebenso wie seine Schiffe gut versteckt im Orbit eines Gasriesen mit dem Eigennamen Iogod.

Hier warteten sie, lauerten sie. Im Io-System lag die größte Macht des Kaisers, hier konzentrierte sich das despotische, Iovarverachtende System. Wenn sie etwas ändern wollten, dann genügte es nicht, die Randwelten zu erobern oder das eine oder andere industrielle Zentrum. Wenn es besser werden sollte, dann musste den Tybals die Macht genommen werden, mit der sie sich vor fast zweitausend Jahren an die Macht gebracht hatten, und die sie nun seit dieser Zeit mal besser und mal schlechter gebrauchten.

Hier mussten sie ansetzen. Hier mussten alle Familien, alle Stämme, alle Sippen gemeinsam agieren, um die Veränderung herbeizuführen. Oh, ihm lag nichts daran, die Tybal auszurotten. Aber wenn ihr Machtzentrum zerstört war, dann waren sie nur noch eine Sippe gleiche unter gleichen. Und dann konnten die einen etwas Macht aufgeben, die anderen etwas hinzugewinnen, und auf einem gemeinsamen Level neu beginnen.

Der Intendent wusste, dass Aris Arogad diesen Plan nicht guthieß, aber er hatte sich seiner Entscheidung gebeugt, denn der Intendent war der uneingeschränkte Experte für Iovar-Fragen und er wusste, dass die anderen Familien den Frevel der Dezimierung der Lencis erst dann getilgt sahen, wenn die Tybal zurechtgestutzt worden waren.

Der junge Arogad hatte sich dem Urteil des Älteren gebeugt und all seine Macht in die Hand des Intendenten gelegt. Und der Intendent stand nun vor dem schwersten Moment seines Lebens. Wenn diese Sache schief ging, wenn irgendetwas schiefging, dann würden sich die Tybal erholen, sammeln, die Verbündeten gegeneinander ausspielen und danach jeden einzelnen besiegen. Nein, sie brauchten ein Schauspiel, sie alle brauchten einen Moment, der sie erweckte. Der sie schauen ließ, was sie erwartete, wenn das Schlimmste eintraf. Und dieser Moment konnte jede Sekunde bevor stehen.

Ein weiteres Hologramm baute sich auf. Es zeigte das Oberhaupt der Lencis, Aris Ohana. Die alte Frau lächelte und wirkte keinen Tag älter aus einhundert.

„Hast du es dir überlegt, Aris Ohana?“

„Ja, Intendent. Ich werde hier bei unserer Familie auf Iotan bleiben. Das wird den Kaiser einlullen. Und dein Plan wird Erfolg zeigen.“

„Es kann euer Tod sein!“, blaffte er scharf! „Du gefährdest dein Leben, das jener aus deiner Familie, die mit dir ausharren, und das meiner Frau und meiner Kinder!“

„Ja, ich weiß. Und ich wünschte, ich könnte sie dir gefahrlos schicken. Aber du bist ein Naguad, Intendent, und du weißt das es nicht sehr viel anders ist, ein Iovar zu sein. Ich habe diese Pflicht angenommen. Wir haben diese Pflicht angenommen. Wir bleiben hier.

Wir sind nicht der Köder für deinen Plan, Intendent. Wir sind nur ein Beiwerk, aber ein wichtiges, denn wenn wir hier bleiben muss es der Kaiser auch, will er nicht sein Gesicht verlieren.“

„Das kann nicht dein Ernst sein. Bitte, Aris Ohana, komm von dieser Welt runter. Kommt da alle runter! Rettet euch!“

„Selbst wenn wir wollten, es ist zu spät.“ Sie lächelte sanft. „Wir müssen uns jetzt in den Bunker unter dem Familiensitz zurückziehen. Viel Glück, mein Junge. Ich werde gut auf deine Familie achten.“

Das Hologramm erlosch und ließ den Intendenten vor Angst zitternd zurück. Die Lencis waren seine Familie. Er hatte diese Revolution gewagt, weil er sie retten wollte. Weil Aris Arogad ihm das Werkzeug dafür in die Hände gespielt hatte. Weil er die Macht des Imperators hatte brechen wollen, um eine neue, bessere Zukunft zu erschaffen. Er hatte die Chance gesehen, ergriffen und viel riskiert. Nur war ihm nie bewusst geworden, dass er alles riskierte.

„Soeben sind zwei Strafer ins innere System gesprungen“, meldete die Ortung.

Der Intendent senkte den Blick. Nun gab es kein Zurück mehr. Die Nachricht, dass es eine Dämonenwelt auf Iovar gab, war von seinem Großneffen an den Core überbracht worden. Nun konnten sie nur noch warten und hoffen, dass die Strafer zwar die Dämonenwelt vernichteten, aber nicht den ganzen Planeten mit seinen über zwei Milliarden Bewohnern.

Man sagte zwar, ein Iovar kannte seine Pflicht und wusste wofür es sich lohnte zu leben und zu sterben, Eigenschaften, die er immer sehr verwundert an seiner Frau, ihren Verwandten und anderen festgestellt hatte. Aber in wenigen Augenblicken würde das Blut von ein paar zehntausend an seinen Händen kleben, die sicher nicht vorgehabt hatten, heute zu sterben, und auf diese Art.

Jonn Arogad, seit zweitausend Jahren im Exil auf Iotan, Sohn von Oren Arogad und Halbbruder von Eridia Arogad, senkte seinen Blick. Hoffentlich ging es schnell.
 

Epilog:

Die beiden Strafer fielen in weniger als zwei Lichtstunden von Iotan aus dem System. Ihr Kurs zeigte überdeutlich auf die Hauptwelt. Die mächtigen Schiffe durchstreiften das Raumgebiet der Tybal, als wäre es ihr eigenes und als gäbe es hier für sie nichts und niemanden zu fürchten, und vielleicht stimmte das sogar.

Natürlich reagierte die Heimatflotte. Egal wie groß die Schiffe waren, egal wie stark sie beschleunigten – was einen eklatanten Hinweis auf Waffen und Schirmleistungen zuließ – es war ihr Pflicht als Mitglieder des Kaiserhauses, die Heimatwelt zu schützen.

Warnanrufe gingen hinaus. Schnelle Einheiten versuchten die weißen Giganten abzufangen. Warnschüsse wurden abgegeben und von den Angreifern ignoriert. Sie brachten deren Schirme nicht einmal zum flackern. Dann zogen sich die schweren Einheiten zusammen, warfen sich den Riesenschiffen, die noch immer nicht antworteten, entgegen.

Die Einheiten der Iovar feuerten alles was sie hatten, und diesmal erwiderten die Strafer das Feuer. Sie vernichteten Dutzende gegnerische Schiffe und durchbrachen den ersten Sperrriegel.

Dann stießen sie auf den Orbit Iotans vor. Der wurde von weiteren Schiffen gesäumt. Zudem von Orbitalplattformen, von denen große Jagdkorvetten und unzählige Banges starteten. Im gesammelten Feuer von achthundert Kriegsschiffen aller Klassen und viertausend Banges zeigten die Schirme der weißen Schiffe die ersten Risse; sie begannen zu flackern, offenbarten die dunkle Haut unter den Schirmen und steckten Treffer auf Treffer ein.

Jedoch blieben sie nichts schuldig. Bevor das erste weiße Schiff in einer gigantischen Explosion verging, nahm es über hundert gegnerische Einheiten mit.

Der zweite Strafer schaffte es fast bis in den Orbit, bevor auch er vernichtet wurde. Seine Explosion war so gewaltig, dass er noch im Todeskampf zwei Orbitalplattformen vernichtete, obwohl diese von erfahrenen AO-Meistern beschützt worden waren.

Am Ende des Kampfes hatte die Verteidigung der Iovar nur noch dreihundert einsatzbereite Schiffe und achtzig mehr oder minder reparaturbedürftige Einheiten, die sich zu den Plattformen schleppten. Von den ungezählten Banges war über die Hälfte vernichtet worden. Ein ungeheuer hoher Blutpreis war bezahlt worden, um die Hauptwelt des Kaiserreichs zu schützen, aber sie hatten gesiegt. Die weißen Schiffe waren abgeschlagen worden, wenngleich der eine oder andere Schuss die Hauptwelt getroffen und unglaubliche Verwüstungen angerichtet hatte.

Dennoch. Die Strafer hatten der Macht der Iovar weichen müssen.
 

Acht Stunden nach der Attacke fielen fünf Strafer ins Sonnensystem. Diesmal waren sie weiter von Iotan entfernt und sie beschleunigten nicht so stark wie ihre zerstörten Schwesterschiffe. Mittlerweile aber hatten die Verteidiger alle verfügbaren Einheiten in der näheren Umgebung zusammen gezogen, und somit erwarteten die Angreifer wieder fünfhundert kampfbereite Einheiten.

Diesmal ging der Feind anders vor. Zwei Strafer bildeten die Speerspitze des Angriffs, während die anderen drei in deren Schatten flogen.

Die erste Berührung hatten Angreifer und Verteidiger diesmal im Orbit des Planeten. Wieder vernichteten sie einen Strafer, wenngleich für den Preis von über einhundert eigenen Schiffen, die ihre Mobilität und alle anderen Vorteile aufgegeben hatten, um Bollwerk für Iotan zu sein.

Die zweite Einheit zerstörte gerade einmal vierzig Einheiten, bevor sie zerplatzte. Es schien als würden sich die Verteidiger langsam auf den Gegner einstellen.

Dann kamen die anderen drei Strafer heran, eröffneten das Feuer – und gerieten selbst in die größte Falle, die es jemals auf Iotan gegeben hatte. Zum ersten Mal seit sie erschaffen worden waren, schossen die Bodenforts in den Himmel und Orbit von Iotan. Von ausgewählten AO-Meistern verstärkt, schossen Dutzende meterdicke Energiestrahlen empor und rissen die Schilde der weißen Schiffe auf. Für den Blutzoll von zwanzig Forts und zweihundert eigenen Schiffen gelang es den Iovar, auch diesen Angriff abzuwehren.
 

Nach weiteren zwanzig Stunden fielen acht Strafer ins System. Sie nahmen schnell Fahrt auf, näherten sich dem Orbit aber eher bedächtig. Sie feuerten bereits aus großer Entfernung auf die Verteidiger, lange bevor diese die Chance hatten, auf die Angreifer zu feuern. Je näher sie kamen, desto höher wurde der Blutzoll. Orbitalplattformen, die Bollwerke dieser Welt, wurden abgeschossen. Manche fielen auf Iotan hinab, manche explodierten im Orbit und wurden ein Trümmerregen, der so manchem anderen Schiff zum Verhängnis wurde.

Wieder griffen die Bodenforts ein, doch ihr Erfolg war diesmal mäßig.

Die Strafer schwenkten in den Orbit um Iotan ein, ließen sich beschießen und lokalisierten auf diese Weise die Positionen der Forts. Ihr Feuer lag präzise, vernichtete Fort auf Fort.

Als ihnen niemand mehr Widerstand leistete, kein Schiff, keine Orbitalplattform und kein Fort, sammelten sie sich im stationären Orbit über dem Nordkontinent. Zu acht aktivierten sie ihre Hauptwaffen, schossen gemeinsam auf eine bestimmte Position des Planeten.

Die Partikelwellen schoben sich heran, verursachten in der Atmosphäre wütende Stürme, trafen auf die Oberfläche dieser Welt und rissen ein riesiges Loch, das sechstausend Meter tief ins Gestein der Welt ragte und einen Krater von über vierhundert Kilometern Durchmesser schuf.

Fünfzig Stunden blieben die Strafer im Orbit, feuerten hier und da auf Schiffe oder Bodeneinheiten, die verdächtige energetische Aktivität gezeigt hatten und zogen schließlich ab. Dies taten sie mit Beschleunigungswerten, die verständlich machten, wie dumm es doch gewesen war, gegen diesen Gegner Widerstand zu leisten.

***

Dreißig Stunden nach dem Abzug der weißen Schiffe der Götter landeten die ersten Einheiten von Jonn Arogads gemischtem Verband auf Iotan. Der Palast des Kaisers in der Dämonenwelt war nicht mehr, die meisten Schiffe seiner Flotte und seiner treuesten Verbündeten waren vernichtet worden. Wer noch lebte wagte nicht einmal an Widerstand zu denken.

„Wahrscheinlich“, murmelte der Intendent vor sich hin, während er auf den Krater starrte, den ein Fehlschuss gerissen hatte, „sind sie froh, dass wir es sind, die Iotan nun in Besitz nehmen, und nicht sie.“

„Intendent. Wir haben das Haupthaus der Lencis erreicht. Der Bunker ist unbeschädigt. Der Hauskomplex ist in annehmbarem Zustand. Wir erwarten eure Anwesenheit.“

Jonn bestätigte und flog jenen Ort an, der sein Zuhause geworden war.

Dort erwarteten ihn bereits die Vertreter jedes wichtigen Hauses, welches dem Bündnis gegen den Kaiser beigetreten war.

Aris Ohana Lencis erwartete sie bereits, erstaunt, aber gefasst.

Als Jonn vor sie trat, sank er auf ein Knie, und die Hausvertreter taten es ihm gleich.

„Hiermit nehme ich diese Welt in Besitz, als Hauptwelt der neu gegründeten Republik, die Wohlstand, Sicherheit und Zufriedenheit für alle Iovar, für alle Daina und alle Daima bringen soll. Und hiermit bitte ich dich, Aris Ohana Lencis, darum, das Amt des Intendenten zu übernehmen, bis wir einen in gerechter, gleicher, geheimer und allgemeiner Wahl wählen können.“

Unsicher sah er die Vorsitzende des großen Hauses Lencis an.

Aris lächelte. „Natürlich. Bis ein legitimer Intendent gewählt wurde.“

Jonn vernahm diese Worte, aber er schien sie nicht verstehen zu können. Wohl aber die Männer und Frauen, die seit Monaten an seiner Seite kämpften. Sie sprangen auf, beglückwünschten Aris Lencis und klopften ihm auf die Schulter, denn nun war ein wichtiges Ziel erreicht. Wenngleich zu einem horrenden Preis.

Es war die Pflicht eines jeden Iovar, diesen Preis zu zahlen, aber das machte die Erkenntnis nicht leichter, für den Tod Hunderttausender verantwortlich zu sein.

Leichter machte es ihm nur eines. Das Glänzen der Wiedersehensfreude in den Augen seiner Frau, die Kinder, die nun zu ihm kamen und die eigene Kinder und auch Enkel an den Händen führten.

In der alten Welt waren sie als Lencis respektiert und als Halb-Naguad verabscheut worden. Doch in der neuen Welt, die er nun schaffen würde, die Aris Arogad mit ihm schaffen würde, da würde man sie nie wieder nach ihrer Herkunft beurteilen, nur noch nach dem was sie waren. Und nachdem wie sie waren.

Jonn stürzte zu ihnen, nahm sie einen nach dem anderen in den Arm und herzte und küsste sie. „Ich bin wieder da“, sagte er, und wusste doch, dass er log. Er war nicht wieder da. Er war nur kurz auf einen Kaffee vorbei gekommen.

Der Kaiser der Iovar war ein Dai gewesen. Ein Dai, der sich des Hauses der Tybal bemächtigt hatte, und mit der Hilfe seiner Untergebenen seit fast zweitausend Jahren regiert hatte. Sein Sitz war unangreifbar in der Dämonenwelt gewesen.

All das war einmal, der Kaiser entweder tot oder entmachtet. Mit der Vernichtung der Dämonenwelt hatte auch dieses Kapitel aufgehört. Nun würden sie beginnen, die Zukunft zu schreiben. Für seine Familie. Für alle Iovar. Für jeden Daina und jeden Daima in diesem Universum. Und für die Dai.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2007-10-22T10:58:14+00:00 22.10.2007 12:58
Ich schließ mich subtra an. Auch wenn ich leider erst heute zum lesen gekommen bin...
Von:  Subtra
2007-10-20T19:25:04+00:00 20.10.2007 21:25
Wieder mal ein sau gutes Kapitel, schreib schnell weiter ich warte jedes mal sehnsüchtig auf den nächsten Teil ^^


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