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Anime Evolution: Nami

Vierte Staffel
von

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Es gibt kein Paradies

Prolog:

Ich genoss es. Oh, ich genoss es wirklich, einfach hier zu sitzen, mir die Illusion von frischem Seewind um die Nase wehen zu lassen und die Hitze der virtuellen Sonne auf meiner Haut zu spüren. Natürlich war das alles nur eine Illusion.

Es gab keine Halle auf der Hauptwelt des Cores, Villass genannt, in dem dieses Envirenment projiziert wurde und die Daima und Daina hinzugefügt wurden. Es war eine virtuelle Welt, die so nur in den Speichern der Rechenknoten des hiesigen Cores diente. Man existierte nur in Gedanken, und diese Gedanken wurden vom Rechensystem voll belastet. Es war die Informationsflut, angefangen bei der Umgebungstemperatur, der Feuchte des Sandes über die Stärke und Kühle des Windes bis hin zum sanften Rauschen der an den Strand schlagenden Wellen, die aus dieser Illusion, der virtuellen Welt eine beinahe echte machte.

Ich seufzte ergeben. Lange würde ich mich hier nicht mehr verstecken können. Schon bald würde Jonn meine körperliche Anwesenheit einfordern, würde ich Aris Ohana gegenüber stehen müssen.

Dieser Gedanke ernüchterte mich. Ich hatte nie gewusst, wie groß die Familie meiner Mutter wirklich war, und wie weit verzweigt sie war. Ich hätte nie gedacht, in meinem ganzen Leben nicht, dass ich sogar Blutsverwandte auf Iotan hatte.

Wenn ich daran dachte, wie meine Welt nach und nach gewachsen war, wie zuerst die Kronosier in ihm aufgetaucht waren, dann die Anelph und mit ihnen die Naguad, dann musste ich mich wundern, wie naiv ich doch gewesen war zu glauben, damit hätte es sich gehabt.

Waren die Iovar nicht der nächste logische Schritt? Hatte es mich wirklich zu verwundern, was wirklich hinter dem Core steckte, den ich auf dem Mars vernichtet hatte? Und hatte ich wirklich geglaubt, eine Maschine wie der Core könnte auf eigene Faust auf den Gedanken kommen, die Menschheit zu unterwerfen?

Die Götter hatte ich erst neulich kennen gelernt. Und ich hatte die Nachricht von der Vernichtung eines Strafers durch die AURORA mit Freude gehört. Oh, ich war nicht naiv. Ich wusste, dass unsere Probleme weder bei den Göttern begannen, noch bei ihnen aufhörten, im Gegenteil. Da waren immer noch die Reste des Legats, die sich laut dem Geheimdienst der UEMF kräftiger erholt hatten als ich gehofft hatte. Da waren die mit dem Core verbündeten Logodoboro, eine Zusammenarbeit, die schon fast zweitausend Jahre andauerte. Über die Motive der Führungsspitze der Logodoboro wusste ich selbst jetzt nicht viel, wo ich fast unbeschränkten Zugriff auf die Archive des Cores hatte. Aber ich vermutete, dass es die üblichen waren: Selbstüberschätzung, Eitelkeit, Gier. Motive, von denen auch ich nicht verschont werden würde. Denen ich bereits mehrfach zum Opfer gefallen war. Und ich war mir nicht sicher, ob ich sie wirklich abgeschüttelt hatte, sei es für jetzt oder für immer.

Und dann war da immer noch der Clan des Kaisers, ganz davon abgesehen, dass da draußen im Sternenmeer noch Dutzende Welten der Daima und Daina lagen, die teilweise eine eigene Daimon hatten. Diese waren isoliert, abgeschlagen und abgeschnitten, sofern Naguad und Iovar sie nicht integriert oder erobert hatten. Welche Motive jene Dai in den Daimon auf diesen Welten hatten, konnte ich nur erraten. Aber ich wusste, dass das fragile Zusammenspiel, die stillschweigende Übereinkunft, die ich anführte, lediglich vier Häuser der Naguad umfasste, dazu auf dem guten Willen der Anelph baute und jederzeit von den Kronosiern, die noch immer dem Legat ergeben waren, empfindlich gestört werden konnte.

Es war ein Pulverfass, und ich war nicht da, um die Lunte auszutreten.

So langsam wurde mir das alles zuviel. Ich fühlte mich der Aufgabe nicht mehr gewachsen. Das war doch alles eine Nummer zu groß für mich. Vor kurzem noch war ich ein Soldat, der in der Liste der Besten Piloten einen unanfechtbaren Ersten Platz eingenommen hatte, über vierhundert Einzelabschüsse von Daishis waren ein Rekord, den nur jemand hatte erreichen können, der allein gegen alle kämpfte, und die Frechheit besaß zu überleben.

Ich hatte diese Frechheit besessen. Aber damals, in der guten alten, blutigen Zeit, da hatte ich mir auch weniger Gedanken machen müssen. Da hatte es klare Befehle gegeben, ich hatte versucht mein Gefechtsziel zu erreichen und zu überleben. Heutzutage wurde von mir erwartet, die Befehle selbst zu geben. Alles in allem erschien es mir erstrebenswerter dreitausend Tote zu ertragen, die von meiner Hand gefallen waren als die unüberschaubare Menge an Toten, die ihre Leben aufgrund meiner Befehle verloren hatten. Diese Zahl war spätestens nach dem Aufstand der Lencis, den ich mit ausgelöst hatte, bereits im Bereich der zehntausend angekommen, und ein Ende war noch nicht in Sicht.

Kurz betrachtete ich meine zitternden Hände. Und es würden noch mehr hinzu kommen, soviel mehr.

Ich kannte Jonns Plan, und zögerlich hatte ich ihm zugestimmt, weil ich keine Alternative parat hatte. Und überdies hatte ich den entscheidenden Streich gespielt. Ich hatte geahnt, dass die Götter das Paradies überwachten, und sobald die Strafer Iotan angriffen hatten wir auch die Gewissheit. Fünf Worte hatte ich sagen müssen, und nun würden die mächtigen Götterschiffe über Iotan herfallen, eine Welt, die fast zwei Milliarden Bürger beherbergte. Viele von ihnen waren aus der Familie meiner Vorfahrin Aris Ohana. Es gab keinerlei Grundlage dafür zu sagen, dass sich die Strafer mit der Vernichtung der Daimon zufriedengeben würden. Es gab keinen Grund zu sagen, dass sie besondere Rücksicht auf die tektonische Stabilität der Welt nehmen würden, wenn sie sie einmal angriffen und auf den Widerstand der Iovar trafen. Wenn sie diese ganze Welt vernichteten, wenn sie alles, aber auch wirklich alles zerstörten, dann teilte ich mit mir Jonn Arogad eine Blutschuld von zwei Milliarden Daima. Ich griff mir unwillkürlich ans Herz. Das war eine Schuld, die ich nicht tragen wollte, die ich nicht haben wollte. Und dennoch war ich das Risiko eingegangen.

Ich verstand Jonns Argumente nur zu gut. Wenn der Kaiser tot, verschollen, gefangen oder auf der Flucht war, dann war sein Clan kopflos. War der Clan kopflos, konnte er als Intendent der Revolution nicht nur einen neuen, dauerhafteren Frieden etablieren – sieben Familien, die bereits mit ihm zusammen arbeiteten, sprachen für die wahnwitzige Idee und versprachen Erfolg – er konnte auch die Abwehr gegen die Götter auf feste Füße stellen. Denn mit einem Angriff auf Iotan würde es nicht getan sein. Würde es niemals getan sein. Die Götter dazu zu zwingen aktiv zu werden war eine Herausforderung, und an deren Ende würde ein neuer Krieg stehen. Einer von der Sorte, welche die Götter ausgefochten hatten, um die Dai auszulöschen, die ihren schutzbefohlenen Daima und Daina zur Seite gestanden hatten.

Nein, der Kampf war hier noch nicht beendet. Er begann. Und er würde furchtbar werden. Letztendlich würde er entweder zur Erde getragen werden – oder auf die Hauptwelt der Götter, falls sie eine Hauptwelt hatten. Aber die eine Seite würde nicht ruhen, bis die Gefahr ausgelöscht war, und die andere Seite durfte nicht ruhen, solange die Götter existierten.
 

„Sir!“ Neben mir ließ sich Yuna Omaret Lencis nieder, die Offizierin, die ich damals vor der Dezimierung durch den Kaiser gerettet hatte.

„Ich hoffe, du bringst gute Neuigkeiten, wenn du mich schon mit einem terranischen Ehrentitel ansprichst“, murmelte ich.

Yuna lächelte mich an. Dabei hatte sie etwas Ähnlichkeit mit Yohko, fand ich. Sie stammte aus einem Nebenzweig der Familie, aber der schien mit Aris Ohana viel zu tun zu haben.

„Natürlich habe ich gute Neuigkeiten. Die beste zuerst: Es gibt Iotan noch. Die Strafer haben zwar ein Loch hineingestanzt, aber bis auf ein paar Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Springfluten, Unwettern und massig Staub in der Atmosphäre ist sie im großen und ganzen die alte.“

„Wie viele Strafer haben die Götter aufgeboten? Wie viele verloren? Was ist mit dem Kaiser?“

„Moment, Moment, nicht so viele Fragen auf einmal. Weißt du, ich muss mich auch erstmal an einen Biotank gewöhnen. Und dann dieses Paradies, es ist so ein interessanter Ort.“

„Ein virtueller Ort“, warf ich ein.

„Schon gut“, murrte sie und kam zurück zum Thema. „Die Götter haben erst zwei, dann fünf und schließlich acht Strafer eingesetzt. Die ersten beiden Wellen wurden vernichtet.“

„Wir haben Aufzeichnungen vom Kampf der zerstörten sieben Strafer?“

„Natürlich haben wir Aufzeichnungen“, erwiderte sie beleidigt. „Immerhin ist Iotan nun Hauptwelt des Aufstandes. Und es wurde ein neuer Intendent ernannt. Aris Ohana Lencis hat zugesagt und führt nun den Widerstand an.“

„Gibt es denn noch einen Widerstand? Was ist mit dem Kaiser?“

„Der Palast in der Daimon wurde mit ihr zerstört. Wir wissen nichts näheres, weil wir aus naheliegenden Gründen alle Verbündeten und Spione abgezogen haben. Wer es nicht geschafft hat, ist jetzt vermutlich tot. Aber auf jeden Fall hat der Kaiser seine unangreifbare Basis verloren. Das ist mehr als wir zu hoffen gewagt haben.“ Yuna nahm nachdenklich ein paar Steine in die Hand und warf sie in die Brandung. „Die Waffen der Strafer haben die Verteidigungsplattformen zerstört, die unsere Welt seit viertausend Jahren verteidigt haben. Dazu die Bodenforts, die zusätzlich von AO-Meistern verstärkt worden waren. Es war ein furchtbares Gemetzel. Aber es musste sein, oder Haus Lencis wäre ausgelöscht worden. Wenn nicht diesmal, dann beim nächstenmal. Und Jonn wäre dann einer der ersten gewesen.“

Ich schnaubte wütend. „Mit wie vielen Toten rechnen wir?“

„Zwei Millionen, wenn es ganz schlimm kommt.“

„Zwei… Millionen… Ich glaube, ich habe gerade einen neuen Negativ-Rekord aufgestellt.“

„Wenn, dann haben WIR ihn aufgestellt.“ Sie knuffte mich gegen den Oberarm. „Komm schon, seit wann ist Blue Lightning denn so empfindlich? Wären sie nicht von den Strafern geholt worden, hätten wir sie niederkämpfen müssen. Und dann hätte uns jedes Schiff gefehlt, dass dabei auf unserer Seite zerstört worden wäre. So aber haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.“

Ich seufzte schwer. So konnte man es auch sehen. Und vielleicht sah ich es auch so. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass ich nicht längst in Fötalstellung am Boden lag und wimmerte wie ein Säugling, weil mir zwei Millionen Tote mehr auf der Seele lasteten. Aber was waren zwei Millionen schon gegen die sechs Milliarden Menschen auf der Erde? Gegen achthundert Millionen Anelph, gegen zwanzig Milliarden Naguad?

Oh nein, ich wollte nicht wenige opfern um vielen zu helfen, so verblendet, so blenderisch war ich nicht. Es war eher die alte „Ein toter Feind ist ein guter Feind“-Nummer.

Letztendlich war ich doch Soldat und Offizier und wusste, dass in einem Konflikt Soldaten starben.

Aber in der Daimon sind sicherlich nicht nur Soldaten gestorben. Das machte mir am meisten zu schaffen.

Yuna sah mich schräg von unten an. „Akira? Wenn, dann musst du die Schuld nicht alleine tragen. Ein Viertel kriegt Jonn Arogad, ein Viertel kriegt Haus Lencis, ein Viertel du, und den Rest schieben wir dem Kaiser in die Schuhe, weil er den Aufstand provoziert hat. Du weißt, hätten wir den Aufstand nicht gewagt, wären jetzt zwei Millionen Iovar mit dem Tode bedroht. Und hätte sich Haus Lencis nicht geweigert, die Naguad anzugreifen, wären es mittlerweile eine Milliarde Tote. Auf beiden Seiten.“

„Ich weiß ja, ich weiß!“, blaffte ich wütend. „Das macht es auch nicht leichter!“

„Und das ist der Grund, warum ich dich mag.“ Sie griente mich mit zusammengekniffenen Augen an und wirkte wie sechzehn, nicht wie die erwachsene Frau, die sie eigentlich war.

„Danke“, erwiderte ich säuerlich.

„Akira!“, klang hinter mir eine wohlbekannte Stimme auf.

Ich wandte den Kopf. „Du bist schon da, Maltran?“

Maltran Choaster, mein Stellvertreter, ließ sich rechts von mir nieder. „Ich hatte eine schnelle Reise. Aber ich habe alle meine Befehle ausgeführt. Die Logodoboro sind informiert und alle verfügbaren Einheiten sind auf dem Rückmarsch.“

„Was wissen wir über die Strafer?“

„Mit der Einheit, die von der AURORA vernichtet wurde, haben die Götter in diesem Sektor der Galaxis acht Einheiten verloren. Sie haben acht weitere über Iotan präsentiert. Sie können maximal zwei weitere Einheiten in dieser Region haben. Mehr nicht.“

„Bist du sicher?“, hakte ich nach.

„Dann lass es vier sein. Mehr werden jedenfalls nicht rechtzeitig hier eintreffen können. Nicht wenn wir schnell sind.“

„Was hat das zu bedeuten?“, rief Kiali. Sie entstand gerade in einem Farbschauer direkt vor meinen Füßen. Sie deutete vorwurfsvoll auf Yuna. „Sie ist kein Mitglied des Cores! Sie ist eine Iovar-Soldatin!“

„Mit der ich das letzte halbe Jahr zusammen gekämpft habe. Übrigens haben wir das Kaiserreich beinahe erobert. Es liegt nun in den Händen der Herrin der Lencis.“

„Das sind… Wider Erwarten gute Neuigkeiten. Aber man wird sehen, wie die Götter das auffassen werden.“

„Wieso? Dank uns konnten sie eine Daimon zerstören, die sie seit Jahrtausenden suchen. Wir sollten jetzt wertvoller denn je für sie sein, um weitere Daimon aufzuspüren.“

„Ich… Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist“, murmelte Kiali matt.

Ich lächelte still. Ja, so hatte ich mir das in etwa vorgestellt.

„Maltran?“

Der große Mann nickte mir zu. Dabei lächelte er leicht.

„Aris, bist du hier?“

Sie entstand in einem einzigen Augenblick aus weißen Nebelschwaden über dem Meer. Sie trat auf das Wasser und ging darauf auf uns zu. „Du hast nun großes vor, habe ich Recht, Akira?“

„Sehr großes. Habe ich deine Erlaubnis, Herrin?“

„Du bist mein Feldherr. Ich vertraue dir absolut.“

„Auch wenn fortan alles anders wird?“

„Auch wenn alles anders wird.“

Ich atmete tief durch und ließ mich nach hinten ins Gras fallen. Noch mehr Verantwortung, na klasse.
 

„Kiali, Aris, kommt bitte beide mal her. Bitte nehmt meine Hände.“

Zögernd traten die Projektionen heran. Doch als sie die Hände berühren wollten, glitten sie hindurch.

„Was ist das? Ein Fehler in der Projektion?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, kein Fehler. Nur ein Anfang. Ich bin nämlich wirklich hier. Nicht als Rechendatei, die aus einem Biotank adaptiert und hierher übertragen wurde, sondern als vollständiges Wesen. Genauer gesagt habe ich meinen KI-Container hierher projiziert. Ich bin das einzige reale Wesen in dieser Umgebung.“

„KI-Container?“, fragte Aris interessiert.

„Etwas, was du und Kiali die nächsten Tage schnell zu erschaffen lernen müssen. Auch all jene, die im Paradies leben und nicht einmal mehr ein Gehirn als Anker in die Realität haben. Es sind mehr als ihr gedacht habt.“

„Aber wir existieren nicht wirklich! Wir sind nur zusammengepfropfte AO-Fragmente!“, rief Kiali entsetzt. „Wir können nicht, was du kannst.“

„Ihr besteht aus KI. Und damit könnt ihr euch ebenfalls KI-Container projizieren. In die reale Welt kommen. Ich werde es euch beibringen. Wenn ihr mir vertraut.“

Aris ergriff meine Hände und drückte sie. „Natürlich, Akira Otomo. Ich vertraue dir.“

Mürrisch betrachtete Kiali diese Szene, bevor sie ihre schwarze Kapuze nach hinten schob und eine Flut blauschwarzen Haares entließ. „Und ich glaube einfach nicht, dass meine Zeit, mich wieder aufzulösen, schon gekommen ist. Auch ich schenke dir mein Vertrauen. Was aber hast du vor, Aris Arogad?“

„Euch zur Flucht zu verhelfen. Raus aus dem Pfand der Götter.“

„Du willst dich den Göttern widersetzen?“ Entsetzt sah sie mich an. „Wird das gehen?“

Ich lächelte dünn. „Ja, es wird gehen. Und ich werde es möglich machen. WIR werden es möglich machen. In diesem Moment kommen alle Raider, alle Transporter und alle Koalitionsschiffe, die wir wo auch immer auftreiben konnten, zu den Kernwelten. Die ersten treffen in diesen Sekunden ein, die letzten in zwei Tagen. Wenn wir schnell sind, können sie alle in spätestens zwanzig Tagen wieder gestartet sein.“

„Und was tun sie in dieser Zeit?“, fragte Aris. Sie hatte die Augen aufgerissen, sie schimmerten erwartungsvoll.

„Sie werden die gesamte Core-Zivilisation evakuieren.“

Ich ließ den beiden ein wenig Zeit, damit sie verstehen konnten, was ich mit meinem Stab und Jonn Arogad ausgebrütet hatte. Dann setzte ich nach. „Dazu muss das Paradies abgeschaltet werden. Dies ist in drei Tagen der Fall. Und wir werden es jede Stunde etwas kleiner machen, damit auch jeder Daima und jeder Daina versteht, dass es nun an der Zeit ist, in die Realität zurückzukehren.“

Ich nickte Maltran zu. Der erhob sich und zog dabei Yuna auf die Beine. Die Lencis winkte mir zu, tauschte einen Händedruck mit Maltran aus und verschwand.

Der große Offizier nickte mir ein letztes Mal zu, dann schien seine Stimme direkt aus dem Himmel zu kommen. Mit der Gewalt eines Gottes erschütterte sie das Paradies.

„Achtung, hier spricht Maltran Choaster! Dies ist keine Übung! Das Paradies wird auf unbestimmte Zeit geschlossen! Alle relevanten Daten werden zwischengespeichert! Alle Daima und alle Daina sind angewiesen, entweder in ihre Körper zurückzukehren oder Notaufenthalte aufzusuchen, die wir ihnen einrichten! Wir geben die Kernwelten des Cores auf und fliehen vor den Göttern! Wer immer die Kraft hat, uns dabei zu helfen, soll sich melden! Achtung, all jene, die noch existieren, obwohl sie keinen Anker mehr zur Realität haben: Meldet euch bei Aris, der Herrin des Paradieses. Wir lassen euch nicht zurück. Denn es gibt einen Weg wie ihr uns begleiten könnt! Ich nehme keine Widerworte entgegen und akzeptiere keine Beschwerden! Dies ist der einzige Weg, um uns vor der Vernichtung durch die Götter zu retten, und bei allem was mir heilig ist, das werden wir auch! Ob mit oder gegen euren Willen! Und wenn ihr schon nicht dazu bereit seit selbst etwas dafür zu tun, dann steht uns wenigstens nicht im Wege rum!“

Entschlossen erhob ich mich und applaudierte dem Freund. Eine gute Rede. Auch Kiali und Aris imitierten meine Geste.

„So, und jetzt wollen wir etwas über KI lernen“, sagte ich ernst und überließ Maltran und seinem Stab die Koordination der Flucht des Cores, von neun Welten in weniger als zwanzig Tagen.
 

1. Es war eine Sache, etwas zu hören. Es war eine ganz andere Sache, es auch zu sehen. Oder wie in diesem Fall erneut zu sehen.

Der riesige Krater in der Oberfläche von Iotan, der langsam mit Wasser vollief, hatte jedenfalls erhebliche Ähnlichkeit mit East Ends eindrucksvollster geologischer Unmöglichkeit. Als hätte man ein Stück Welt herausgestanzt.

Deprimierend an der Situation war, dass man den Krater nicht sehen konnte, er wurde lediglich angemessen und von leistungsfähigen Computern als Krater dargestellt. Eine dicke Staubwolke verhüllte jenen Teil der Welt effektiv und nachdrücklich.

Megumi Uno hatte keinerlei Verbindungen zu dieser Welt, wenn man einmal davon absah, dass ihre frühesten Vorfahren als Daima von dieser Welt geflohen waren, um nach eigenen Gesetzen und eigenen Regeln einen eigenen Staat zu gründen. Dennoch fühlte sie sich betroffen, entsetzt, und einer Panik nahe. Und das war bei der als unterkühlt geltenden Elite-Pilotin, die sich immer, wirklich immer im Griff hatte, eine große Leistung.

Sie legte eine Hand an ihre Stirn, wie um sich zu konzentrieren, aber tatsächlich wollte sie das Schwindelgefühl vertreiben, das sie erfasst hatte. Eine warme, weiche Hand legte sich auf ihre Schulter, seitlich, um sie zu stützen, ohne dass es auffiel. Megumi sah auf und erkannte Franlin Litov, Akiras Sekretär. Der große Mann hatte durch ihre Maske mühelos hindurch gesehen und stand ihr nun diskret zur Seite. Megumi fragte sich nicht das erstemal, ob sie sich diesen Mann mit Akira teilen konnte, wenn sie erst verheiratet waren. Okay, falls sie jemals heiraten würden.

Ohne, dass sie es bemerkt hatte, war auch Sora Fioran neben sie getreten. Die Attentäterin der Fioran stand bereit, um sie ebenfalls unauffällig zu stützen, sollte es erforderlich werden.

„Das kann doch nicht wahr sein!“, klang die erregte Stimme von Slever yan Tybal auf, dem Anführer der kleinen kaiserlichen Flotte, die auf der AURORA bis auf weiteres interniert war.

Der Mann betrachtete seine zitternden Hände. „Wie sicher sind diese Koordinaten?“

„Sehr sicher“, sagte Sakura Ino ernst. „So sicher wie wir bei diesen Aufnahmen sein können. Sie haben die Filme des Angriffs gesehen. Acht Strafer haben Iotan angegriffen und offensichtlich besiegt.“

„Fünfzehn. Es waren fünfzehn“, warf der Tybal ein. „Sieben wurden von der Abwehr vernichtet.“

„Ich hatte nicht vor, dieses wichtige Detail auszusparen“, erwiderte Sakura. „Aber Tatsache ist, dass dieses… Dieses Loch entstand, als acht Strafer zugleich auf Iotan schossen. Wir können wohl von Glück sagen, dass bisher nichts schlimmeres passiert ist als ein paar Vulkanausbrüche, einige Erdbeben, ein paar Stürme und dergleichen. Ja, Kevin?“

Der Kronosier erhob sich. „Ich habe schnell ein paar Berechnungen durchgeführt. Die in die Atmosphäre aufgewirbelte Staubmenge wird reichen, um das Weltklima für drei Jahre um vier bis viereinhalb Grad abzukühlen. Das bedeutet Missernten, eiskalte Winter und Frost in Zonen, die normalerweise verschont bleiben, also in der Äquatorregion.“

„Das ist nicht so wichtig“, brummte Slever yan Tybal als Antwort. „Iotan versorgt sich schon seit Jahrtausenden nicht mehr selbst. Dafür sind die Kolonien zuständig. Solange die Raumfahrt nicht zusammenbricht, werden die Iovar nicht verhungern. Aber was wesentlich relevanter ist, dass ist die Position des Kraters.“

Der Offizier sah auf, und seine Augen schimmerten in einem gefährlichen Glanz. „Diese Koordinaten bezeichen den Palast des Kaisers!“

Sakura Inos Kopf ruckte hoch. Megumi setzte sich interessiert auf, ihre Schwäche war auf einmal wie fortgeblasen. Stattdessen fühlte sie Adrenalin durch ihre Adern jagen.

Sostre Daness am anderen Ende der Tafel tauschte einen kurzen amüsierten Kommentar mit Henry William Taylor aus und legte die Beine übereinander.

Kei Takahara runzelte die Stirn und sprach aus, was sie alle dachten: „Moment mal, ich dachte, die Strafer hätten die Dämonenwelt, ich meine die Daimon auf Iotan vernichtet, und nicht den Kaiserpalast.“

Slever lächelte dünn. Es wirkte etwas… Raubtierhaft. „Daimon? So nennen Sie diese Sphäre, Terraner? Ich kenne sie nur als kaiserlichen Palast. Als unangreifbare Zone, die man nur über bestimmte, sehr schwer bewachte Tore betreten konnte. Unangreifbar, nicht einzusehen, absolut immun gegen Angriffe, und von AO-Meistern bewacht, die eine Stärke jenseits unserer Vorstellung hatten.“

Kitsune richtete sich fröhlich in ihrem Sitz auf und hob die Hand. „Hier! Hier! Ich weiß, wer das war! Das waren Dai, die für den Kaiser gearbeitet haben! Das erklärt ihre monströse Stärke!“

Es vergingen ein paar Sekunden, bevor der Herrin der Fuchsdämonen das Paradoxon in ihren Worten bewusst wurde. „Hey, warum haben denn Dai für den Kaiser gearbeitet?“

„Das frage ich mich auch gerade“, sagte Tyges, der Anführer der East End-Daina, ernst. Der große, kräftige Dai legte beide Hände unter sein Kinn und lächelte sardonisch. „Aber die einfachste Erklärung ist wohl, dass der Kaiser selbst ein Dai war.“

„Ungeheuerlich“, sagte Dai-Okame, und dieses eine Wort aus diesem Mund sagte mehr als es eine Rede hätte tun können. Ein Dai, der sich nicht nur in weltliche Belange der Daima einmischte, sondern sie als absoluter Herrscher auch noch dirigierte wie es ihm passte?

„Was war los auf Iotan?“, fragte Kei mit gepresster Stimme. „Was ist da nur passiert?“

„Ich kann Ihnen sagen, was ich weiß“, sagte Slever nicht ohne Spott in der Stimme. Offiziell war er ein Angehöriger des herrschenden Clans, der Tybal, in dessen Namen der Kaiser regiert hatte. „Aber es ist nicht viel.“

„Sagt mal“, warf Megumi ein, „liegt es an mir, oder hat der Kaiser keinen Eigennamen? Ist das üblich auf Iotan?“

„Nein, natürlich nicht, Lady Daness. Und das hat auch einen bestimmten Grund, den ich jetzt erläutern werde.“ Der Tybal atmete kurz durch. „Als der Kaiser die Tybal an die Macht brachte, hatte er verlauten lassen, dass nie wieder ein anderer Iovar den Thron besteigen würde, weil er ewig regieren würde. Und das war nur ein kleiner Teil von dem, was er an Neuerungen brachte. Nicht nur, dass er den Kaiserpalast von der Hauptstadt in die unangreifbare Sphäre verlegte, die unsere Ortungsgeräte nicht einmal anmessen konnten, nein, er verstärkte die Reihen des Hauses auch mit seinen unbesiegbaren AO-Meistern. Widerstand innerhalb des Hauses gab es nicht, immerhin hatten wir ein Ziel erreicht, welches wir seit Jahrtausenden angestrebt hatten. Und der Kaiser verlangte nicht viel dafür, nur absolute Treue und absoluten Gehorsam.“

Müde rieb sich der Iovar die Nasenwurzel. „Ich wurde in dieses System hineingeboren, wurde erzogen es niemals in Frage zu stellen. Und für mich schien es auch immer so richtig zu sein, dass der Kaiser ewig leben sollte und uns ewig regieren würde. Ich fand daran nie etwas schlechtes. Auch die Tatsache, dass die meisten Mitglieder des Clans weder je den Kaiser zu Gesicht bekamen, noch die Daimon betreten durften, haben mich je verwundert. So war es halt, und so wurde es gehalten. Natürlich hätte es mich verwundern müssen, dass die anderen Häuser es anders sahen, ja, in den letzten zweitausend Jahren seiner Herrschaft oft versucht hatten seine Macht zu beschneiden oder seine Herrschaft zu beenden. Denn die anderen Clans wurden vom Kaiser mit harter Hand regiert, die oft auch blutig wurde.

Es war mir so, als wären die anderen Häuser, die anderen Familien nur Spielfiguren, die der Kaiser bewegte wie es im passte. Und wenn eine Spielfigur nicht so wollte wie er es vorhatte, dann zerbrach er sie. Auch das erschien mir schrecklich normal, so furchtbar normal. Ich hätte niemals geglaubt, es könnte einmal anders sein.“

Slever sah auf. „Und jetzt ist der Kaiser tot. Jetzt ist der Palast vernichtet. Die Revolution hat gewonnen, ohne selbst auf die Daimon zu schießen.“

„Noch hat sie nicht gewonnen. Denn den Funkauswertungen können wir entnehmen, dass es immer noch Tybal-Streitkräfte außerhalb des Systems gibt, die sich mit loyalen Verbündeten vereinigen. Der Kaiser ist tot, verschollen oder geflohen, seine unangreifbare Machtbasis vernichtet. Aber der Kampf ist noch nicht vorbei.“ Kei kratzte sich am Haaransatz. „Ich kann sie ja verstehen. Immerhin waren sie die ausführenden Organe des Kaisers und müssen mit Repressalien rechnen.“

„Aber das müssen sie doch gar nicht“, warf Slever ein. „Der Intendent hat eine gerechte Aufteilung der Macht versprochen, zum Nutzen aller. Eine neue Staatsform, ein neues Recht.“

„So, so. Sie glauben dem Intendenten also?“, fragte Makoto Ino ruhig.

Als der Iovar nickte, lächelte der kleine Mann wehmütig. „Ihre Kameraden anscheinend nicht, sonst würden sie nicht versuchen, das Blatt militärisch zu wenden. Wahrscheinlich werden sie es nicht schaffen, aber es werden noch einmal eine Menge Schiffe versenkt werden und Mannschaften sterben. Vielleicht mehr als beim Kampf gegen die Strafer im Orbit von Iotan.“

„Aber warum? Warum sollten sie so etwas dummes tun? Wieso versuchen sie es nicht einfach mal mit etwas Vertrauen in die neue Intendentin? Jeder respektiert Aris Ohana Lencis und…“

„Und?“, hakte Makoto nach.

„Natürlich weiß ich, warum sie so etwas dummes tun werden. Weil sie Daima sind.“ Dieser Erkenntnis schien ihm weh zu tun, auf jeden Fall stand Schmerz in Slevers Augen. „Und ich war vor wenigen Tagen noch ebenso wie sie. Voller Angst, voller Schmerz.“

„Nett, dass Sie sich binnen weniger Tage vom Saulus zum Paulus gewandelt haben“, bemerkte Sakura ironisch, „aber das hilft uns auch gerade nicht weiter.“

„Saulus? Paulus?“

„Eine Beschreibung eines Ereignisses von der Erde“, half Makoto aus. „Dabei hat sich ein Mann mit den Menschen verbündet, die er eigentlich auslöschen wollte.“

„Interessant. Aber ich gebe zu, das hilft uns wirklich nicht weiter.“

„Tatsache ist jedenfalls“, nahm Sakura den Faden wieder auf, „dass diese Bilder von der neuen Intendentin per Kurierschiff im Kaiserreich verbreitet werden. Die Frage ist nur, tritt sie damit die Lunte aus oder hat sie das Feuer erst noch angefacht?“

„Und was viel wichtiger ist, was tun wir jetzt? Da es keinen Kaiser mehr gibt, wen sollen wir dann um die Koordinaten der Core-Welt bitten, auf der wir nach Hinweisen nach meinem Bruder suchen wollten?“ Yohko sah sich in einem Anflug von Panik um. „Was, wenn nun niemand mehr die Koordinaten kennt? Was wenn…“

„Was wenn Akira uns zu sich ruft?“, erklang eine Frauenstimme hinter ihr.

Die Anwesenden wandten sich um.

„Entschuldigt, dass ich hier so einfach reinplatze“, sagte Ai Yamagata und verbeugte sich höflich, „aber ich denke, es ist an der Zeit um zu enthüllen, warum ich auf einen schnellen Aufbruch gedrängt habe.“ Wieder verneigte sie sich.

„Es klingt etwas unglaublich, aber während ich im Biotank war, hatte ich Kontakt mit Akira. Er hat mir gesagt, dass er die AURORA braucht, und dass wir uns beeilen sollen. Und er hat mir ein System genannt, in dem wir auf ihn treffen sollen. Ich glaube, jetzt wo der Kaiserpalast zerstört ist, sollten wir ohne Umwege dorthin fliegen.“

„Das sind interessante Informationen. Warum kriegen wir die erst jetzt?“

Ai errötete. „Es… Es tut mir Leid, aber die Erinnerung wurde in mir versiegelt. Ich wusste bis eben nicht mehr, als dass wir schnell aufbrechen sollten. Erst als ich die Bilder von Iotan gesehen habe, wurde mir alles wieder bewusst.“

„Ist das möglich? Kann Akira über eine solche Entfernung mit einem Menschen Kontakt aufnehmen?“

„Unmöglich ist es nicht. Es gibt ein Gerät auf Naguad Prime, das von AO-Meistern benutzt wird, um die nähere kosmische Umgebung zu überwachen. Theoretisch können zwei starke AO-Meister auch miteinander in Resonanz treten und Gedanken austauschen. Aber es wäre mir neu, dass das Kaiserreich solch ein Gerät hat. Was den Core angeht, weiß ich es nicht.“

„Danke, Sostre. Vielleicht fliegen wir dieses System wirklich an.“ Sakura sah der japanischen Geheimagentin direkt in die Augen. „Wohin müssen wir denn, Ai-chan?“

„Bakural.“

Slever sprang auf. „Bakural? Das ist aber eine dumme Idee! Eine ganz, ganz dumme Idee. Denn ich wette mit euch, dass sich dort kaisertreue Schiffe sammeln werden! Bakural ist eine Distrikthauptwelt, und sie ist Iotan näher als alle anderen Welten.“

„Klingt so als würde uns dort nicht langweilig werden“, sagte Megumi leise. „Fliegen wir dorthin. Wir haben ja keinen Streit mit dem Kaiserreich.“

„Und was wenn es den Truppen dort egal ist?“, warf Sostre ein. „Immerhin sind viele von uns Naguad.“

„Schluss mit dieser unfruchtbaren Diskussion! Akira braucht uns, also fliegen wir dahin. Basta!“ Herausfordernd sah sich Sakura um, aber niemand widersprach.

„Sehr gut. Tetsu, setz einen Kurs. Kei, ich will beim Austritt mit einer gefechtsbereiten Flotte aufwarten. Wir müssen eng gepackt fliegen, aber vielleicht kriegst du ein Modell hin, dass uns erlaubt, so viele Waffen wie irgend möglich einsetzen zu können, wenn es sein muss.

Ausführung, Herrschaften!“

Die Konferenz löste sich in Hektik auf.
 

Megumi kam sofort zu Ai und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Geht es ihm gut, Ai-chan? Geht es Akira gut?“

„Keine Sorge, er hat einen Plan.“

„Also geht es ihm gut. Viel, viel zu gut, wenn er schon wieder Pläne schmiedet.“ Sie seufzte viel sagend. Aber eigentlich wollte sie es gar nicht anders haben.
 

2.

Ein lautes, schepperndes Geräusch erklang im Hangar. Dann war wieder Ruhe. Doch kurz darauf erklang es erneut.

Auf Lady Deaths Sensorkopf leuchteten die blutroten Augen auf, als der Mecha selbstständig hochfuhr. Der Kopf bewegte sich ein paarmal hin und her, bis die Quelle der Geräusche identifiziert war.

„Prime, du seufzt doch nicht etwa?“

„Was soll ich machen?“, kam die Antwort von dem schneeweiß lackierten Mecha, „Sostre ist ein hervorragender Pilot, der sein Geschäft versteht. Aber er ist eben nicht Akira Otomo.“

„Vermisst du deinen Kleinen so sehr? Tja, dann hättest du besser auf ihn aufpassen sollen. ICH bin mit Brachialgewalt bis in die Spitze des Daness-Turms eingebrochen, um mein Mädchen zu retten. Aber wo warst DU, als Akira in die radioaktiv kontaminierten Vorstädte aufgebrochen ist?“

„Ich weiß, ja, ich weiß!“, klagte Prime Lightning. „Meinst du, ich mache mir deswegen keine Vorwürfe? Ich hätte ihn gerne gerettet, und wenn das nicht möglich gewesen wäre, dann wäre ich gerne mit ihm gegangen. Aber es war den Logodoboro-Verrätern wohl zu risikoreich, mich aus den Werkstätten des Arogad-Turms zu stehlen.“

„Man kann nicht alles haben“, erwiderte der riesige Mecha von Megumi Uno.

„Ja, aber man kann es sich wünschen, findest du nicht?“

„Ich weiß“, klang eine dritte Stimme auf, „ich bin hier der Jüngste in der Runde, aber könnt ihr bitte aufhören, eine allgemeine Frequenz zu benutzen? Geht mal auf ein privates Band, damit nicht jeder hier im Hangar gezwungen ist mitzuhören. Aber so wie ihr brüllt, hört euch garantiert auch die ADAMAS.“

„Halt ja die Backen still, Kleiner“, empfahl Prime. „Gegenüber dienstälteren künstlichen Intelligenzen sollte man immer höflich sein. Immerhin war ich die erste K.I., die gegen die Kronosier angetreten ist.“

Der „Kleine“ war der persönliche Mecha von Doitsu Ataka. Es handelte sich um einen Phoenix, das neueste auf der Erde gebaute Mecha-Modell, abgeschaut vom Daishi Delta, nur um etliches besser.

„Die Zeiten haben sich geändert, Alter. Heutzutage gehört das Schlachtfeld modernen, hippen und besser ausgerüsteten Typen wie mir. Was meinst du wie das rockt, wenn ich mit Ataka-sama in die Schlacht ziehe? Ja, ja, ich glaube, mein Pilot ist wirklich der beste Mecha-Pilot der ganzen UEMF.“

„Halt die Füße still, ja, Katana?“, fuhr Lady Death den Phoenix an. „Erstens gibt es da immer noch Lady Death, die wohl anerkannt lange Jahre die Top-Pilotin der UEMF war, und die Doitsu-chan noch immer weit überlegen ist. Und zweitens hat Akira seinen Ruf nicht auf dem Wochenmarkt gekauft! Weißt du, er hat zuerst mit Primus, danach mit Blue Lightning und schließlich mit einer Kombination der beiden so viele feindliche Mechas abgeschossen, dass er als ewiger Bester gilt.“

„Pah! Er hatte nur Glück, lange Zeit der einzige Mecha der UEMF zu sein. Heutzutage baut man ganz anders. Mein Pilot und ich, wir werden den Rekord schon sehr bald einstellen. Ich brauche nur genügend Ziele.“

„Große Worte“, meldete sich eine vierte Stimme zu Wort. „Es stimmt schon, ihr Mechas der Phoenix-Klasse seid stärker gepanzert, besser ausgerüstet, habt die Modulbewaffnung der Banges und könnt gleichzeitig ein Bataillon koordinieren. Und Doitsu Ataka ist ein hervorragender Pilot. Aber…“

„Was kommt jetzt, kleiner Sparrow? Kommt das Hohelied auf deine Pilotin Yohko Otomo?“

„Was heißt hier Hohelied? Mit meinem Vorgänger, dem ersten Thunderstrike, hat sie den halben Mars gerockt! Und mit mir war sie noch mal da, um den Sack zu zu machen! Damals warst du Grünkäse noch gar nicht geplant!“

„Gr… Grünkäse? Hey, ich habe die Stars and Stripes vom Himmel geputzt, als sie die Kalifornien-Basis aufmischen wollten!“

„Ach, was für eine Leistung, mit der SUNDER als Deckung“, stichelte Thunderstrike.

„Könnt ihr nicht mal leise sein?“, rief eine fünfte Stimme. „Andere hier haben Diagnoseroutinen laufen, auf die sie sich konzentrieren müssen! Ist mal wieder typisch! Gib einem terranischen Mecha eine Stimme, und er plappert wie ein Papagei. Hauptsache viele Worte, der Sinn ist Nebensache!“

„Du hältst dich da raus! Das ist eine rein terranische Angelegenheit, und ihr Ausländer habt da sowieso nichts zu sagen!“, rief der Phoenix beleidigt.

„Ach, werde ich jetzt diskriminiert, weil ich ein richtiger Banges bin? Ich wusste ja, dass bei euch nicht alles Gold ist was glänzt, aber dass eure K.I.s Rassismus entwickeln sagt ja so viel über eure Herren aus. Mein Pilot ist da ein ganz anderer. Mit Daisuke Honda würde ich direkt in die Hölle fliegen – ach nee, da waren wir ja schon oft genug.“

„Niemand diskriminiert hier einen Banges“, warf Prime ein. „Und niemand nennt den Grünkäse ab jetzt einen Grünkäse, verstanden?“

„Hey, das habe ich gehört!“

„Tatsache ist doch, dass wir alle an einem Strang ziehen müssen! Und dabei sollten die Jungen etwas auf die Alten hören. Wobei alt in diesem Fall besser bedeutet, nicht gerostet, oder so.“

„Da hast du dich ja gerade so vor dem Gong gerettet“, warf Lady Death eine Spur zu freundlich ein.

„Und vergesst nicht, warum wir uns auf dieser Expedition befinden. Nicht weil Admiral Ino Vielfliegermeilen sammelt, sondern weil wir alle, ich betone, wir alle Akira Otomo retten wollen! Die meisten von euch sind schon mit ihm geflogen, und ihr wisst, wie gut er ist, und wie sehr wir ihn brauchen. Deshalb sollte nie ein Zweifel daran bestehen, was wir vorhaben.“

Stille herrschte für bedrückende zwanzig Sekunden – für eine Künstliche Intelligenz war das eine halbe Ewigkeit.

„Ist er wirklich so gut?“, fragte Katana nach einer Weile.

„Warum fragst du das nicht deinen Piloten? Er wird dir sehr ehrlich antworten. Dann denk mal drüber nach. Niemand hindert dich daran, mit deinem Piloten der Beste zu werden. Aber du musst einsehen, dass es da jemanden gibt, der weit vorgelegt hat. Ist das in Ordnung?“

„Ja, das ist in Ordnung. Und ich werde mir Mühe geben!“

„Damit können wir wohl alle leben“, schloss Thunderstrike zufrieden.

„Und wenn wir schon mal dabei sind, kann ich als Banges beweisen, welcher Planet wirklich die besten Mechas baut.“

„Deine Herausforderung ist angekommen, Red Team Leader.“

„Beredet das ein andernmal, ja? Oder geht auf eine private Frequenz. Und sollte nicht jeder ein paar Analyseroutinen laufen haben?“

Die K.I.s der anderen Mechas bestätigten, manche allerdings etwas unwillig.

Aber Lady Death registrierte zufrieden, dass Kontakt nach Kontakt aus dem Netz ging.

Dann bekam sie einen Anruf auf der Leitung, die für persönliche Verbindungen zwischen Megumi und Akira reserviert war. „Was willst du denn noch, Prime?“

„Ich vermisse meinen Piloten, Lady. Ich vermisse ihn wirklich. Irgendwie ist Sostre ja wirklich ganz gut, aber ganz gut und phantastisch, das sind solche Welten, du glaubst es nicht. Damals, als du mit Jora Kalis geflogen bist, konntest du vielleicht ähnlich empfinden.“

Hätte Lady Death Augäpfel gehabt, hätte sie sie jetzt vielleicht verzweifelt gen Himmel gedreht und ein Stoßgebet ausgestoßen. So aber blieben ihr nicht viele Möglichkeiten. „Wo sind denn die Unterschiede zwischen Sostre und Akira genau?“

Es versprach eine lange Unterhaltung zu werden.
 

3.

Als die AURORA im Bakural-System aus dem Wurmloch kam, hatte sich bereits eine beeindruckende Streitmacht versammelt, um das Weltereignis gebührend zu würdigen.

Dadurch, dass ein Wurmloch allein durch seine Größe verriet, welches Schiff Einlass in das System begehrte, hatten die Iovar-Verteidiger gewusst, dass das mächtigste Flugobjekt aller Zeiten auf dem Weg zu ihnen war. Entsprechend hoch gerüstet war die Streitmacht, die sie erwartete.

Die Computer zählten über zweihundert Schiffe aller Klassen, und zur Überraschung der meisten Anwesenden auf der Brücke des terranischen Giganten auch etwas über zweitausend Raider, die sich aber passiv im Hintergrund hielten.

„Irgendwas stimmt hier nicht“, murmelte Kapitän Tybal, als er die einkommenden Transponderdaten checkte, die jedes Schiff zweifelsfrei identifizierten. „Hier fliegen Schiffe aller Clans zusammen, ungeachtet ihrer Bündnisse und ihrer Loyalitäten. Ungeachtet der Häuser und den Willen ihrer Anführer. Was ist hier passiert?“

Die Antwort kam umgehend über Bildfunk. Eine Verbindung etablierte sich und ein gebeugt stehender, grauhaariger Mann starrte mit wütender Miene in die Kamera. Nun, vielleicht war er gar nicht wütend, vielleicht sah er immer so aus, aber der Anblick verfehlte seine Wirkung nicht. „Admiral Tomosa“, hauchte Slever beinahe ehrfürchtig. „Der Bruder des letzten Kaisers.“

Als der Iovar die verwirrten Blicke der anderen bemerkte, winkte er ab. „Des Kaisers vor dem Dai, der den Thron bestieg. Es war eine Auflage des Dai-Kaisers, dass dieser Mann unsere Flotten anführt, wenn das Bündnis zustande kommen soll.“

„Bündnis? Ich würde es eher Erpressung nennen, ewiglich lange, marternde Erpressung“, sagte der grauhaarige Mann ernst mit einer Stimme, die sein Äußeres Lügen strafte.

Er sah auf, und seine Augen waren voller Kraft.„Sie sind weit genug geflogen, AURORA. Gehen sie mit ihren Begleitschiffen in einen stabilen Orbit um Welt Nummer acht, Bakubaku. Die Werften von Bakubaku stehen ihnen zur vollen Verfügung, Admiral Ino.“

„Irgendwas stimmt hier nicht. Irgendwas stimmt hier absolut nicht“, flüsterte Sakura und warf Tetsu einen Seitenblick zu. Der überprüfte noch einmal die Alarmbereitschaft der Flotte und der AURORA selbst.

„Wir danken für das Angebot, aber wir bevorzugen es, keines unser Schiffe zur leichten Zielscheibe in einer Werft zu machen“, versetzte Sakura laut.

Der alte Admiral runzelte die Stirn. „Ich wusste, dass Sie misstrauisch sind, störrisch sogar. Aber mir war neu, dass Sie nicht mehr schnell genug kombinieren können, Sakura Ino.“

Sakura blies die Wangen auf. „WIE BITTE?“

„Wie dem auch sei. Der Lordgeneral hat befohlen, dass Sie und Ihre engsten Offiziere auf TAMARD zur Audienz erscheinen, und das so schnell wie möglich. Sie brauchen acht Stunden bis in den Orbit, deshalb empfehle ich Ihnen, die YAMATO oder die KAGI zu nehmen, das sind Ihre schnellsten Einheiten. Der Lordgeneral hat wenig Zeit.“

„TAMARD?“

„Eine Werftplattform, die auch als mobiler Raumhafen genutzt wird. Bakural ist ein beliebter Zwischenstopp der iovarschen Raumfahrt, deshalb hat sich über Bakubaku schon früh ein Raumhafen etabliert, um es springenden Schiffen, die nicht ins Systeminnere müssen, leichter zu machen ihre Vorräte zu ergänzen, bevor sie wieder das System verlassen. Heute ist TAMARD unser wichtigster Verteidigungsaußenposten.“

Slever drängte sich ins Bild. „Admiral, was passiert hier? Ich hatte eine vollkommen andere Situation erwartet und…“

„Slever yan? Sind Sie das? Was machen Sie auf der AURORA? Wurde Ihre Flotte vernichtet?“

Der Tybal senkte betreten den Kopf. „Admiral, ich und meine Leute sind mit unseren Schiffen auf der AURORA interniert. Wir…“

„Admiral Ino, es ist in Ordnung. Sie können Slever yan Tybal freigeben. Wir alle stehen vor einer völlig neuen Situation. Der Angriff der Strafer auf den Kaiserpalast hat allen vernünftigen Daima im Kaiserreich klar gemacht, dass wir entweder getrennt fallen oder zusammen um unser Leben kämpfen können. Der Lordgeneral war in diesem Punkt sehr eindeutig. Und er hat damit Recht.“

Unsicher sah Sakura zuerst zu Megumi, danach zu dem Kapitän der Tybal.

Megumi Uno trat vor. „Admiral, ich bin Solia Kalis. Ich befehlige diese Expedition. Versichern Sie mir, dass Kapitän Slever yan Tybal und seine Mannschaften nicht bestraft werden, wenn wir sie Ihnen übergeben?“

„Warum sollte ich meine eigenen Leute bestrafen? Ich wusste ja, dass Sie ein vorsichtiger Mensch sind, Megumi Uno, und ich wusste, dass Ihnen das Leben Ihrer Schutzbefohlenen am Herzen liegt. Aber das Sie mir so etwas zutrauen irritiert mich ein wenig.“

„Äh“, machte Megumi und sah verlegen zu Boden.

„Um auf Ihre Frage zu antworten, Colonel Uno, ja, wir werden Slever yan Tybal und seine Mannschaften nicht bestrafen. Sie können sie sorgenfrei ziehen lassen.“

„Es heißt nicht Colonel. Es heißt Division Commander“, brachte Sakura heftig hervor.

„So? Wir waren uns nicht sicher, ob sie den Rang wirklich annehmen wird. Interessante Entwicklung.“ Der alte Iovar rieb sich das Kinn und schmunzelte. „Beeilen Sie sich jetzt bitte etwas, Admiral Ino. Wie ich schon sagte, der Lordgeneral hat gerade sehr viel zu tun, und je eher Sie ihm gegenüber stehen, desto besser für uns alle. Ach, und bringen Sie Ihre Dais mit. Kitsune und Okame.“ Der Bildschirm erlosch.
 

Sakura sah in die Runde. Sie sagte dabei ein einziges Wort. „Akira.“

Megumi nickte heftig und ihre Wangen hatten ein tiefes, aufgeregtes Rot angenommen. „AKIRA!“

Makoto hatte den Kopf nach vorne gebeugt und eine Hand auf die Stirn gelegt. „Ich wusste es! Ich wusste es! Ich hätte wetten sollen! Natürlich Akira, wer sonst?“

„Langsam, langsam. Noch ist hier nichts explodiert“, mahnte Tetsu Genda mit einem Schmunzeln.

„Tja, dann bleibt uns nichts anderes übrig als selbst nachzusehen. Welches ist unser schnellstes Schiff, Admiral Takahara?“

„Entgegen der Meinung von Admiral Tomosa ored Tybal sind nicht nur unsere Fregatten schnell. Ich empfehle eine der Neubauten der Bismarck-Klasse, die durchaus mit Fregatten mithalten können. Genauer gesagt die STADTHAGEN unter Kapitän Winslow. Ich werde Colonel Otomo darum bitten, ein paar KI-Meister zu detachieren, um den Antrieb zu verstärken. Die STADTHAGEN verfügt über ähnliche Vorrichtungen wie die Booster.“

„Einverstanden. Außerdem nehmen wir ein paar Kompanien der Hekatoncheiren sowie die Anführer der Otome mit. Ein wenig Infanterie ist sicher nicht verkehrt, oder?“

„Ich gehe Joan und Mamoru Bescheid sagen“, sagte Makoto schmunzelnd und verließ die Zentrale.

„Sostre, willst du mit?“

„Was denn, was denn, Sakura? Glaubst du ich will die Show des Jahres verpassen? NATÜRLICH komme ich mit.“

„Das wusste ich. Die STADTHAGEN soll landen. Alle Einheiten, die ich aufrufen werde, haben sich binnen einer halben Stunde in ihr zu versammeln. Na los, gehen wir unseren Streuner heim holen.“ Sie sah zu Tetsu herüber. „Du hältst die Stellung, aber ich bringe dir ein T-Shirt mit.“

„Ach, eines mit dem Aufdruck: Wir flogen los um Akira Otomo zu retten, und alles was ich bekommen habe ist dieses dämliche T-Shirt?“

„Etwas in der Art“, versprach sie.

***

Nach nur wenig mehr als den avisierten dreißig Minuten flog die STADTHAGEN dem mobilen Raumhafen entgegen. An Bord waren gut zwanzig Prozent der Elite der AURORA, was Infanterie, Mechas, Schiffskommando und Admiralität betraf.

Tetsu Genda sah dem Schiff lange Zeit nach, bevor er tief seufzte und sich abwandte.

„Ach komm schon, Tetsu“, raunte Hiroko Shiratori in vertraulichem Ton, „du weißt, dass einer immer zurückbleiben muss. Und da sowohl Kei als auch Mako-chan da mit Sakura-chan rüber fliegen, muss ja einer hier bleiben, auf den Verlass ist. Nicht wahr, Hitomi?“

Hitomi Seto, im Rang eines Commanders Herrin der Kommunikation der AURORA winkte ärgerlich ab. „Mir war schon immer klar, dass du etwas schwerfällig bist, was das Zwischenmenschliche angeht, Hiroko-senpai. Aber sogar du müsstest merken, was gerade in Tetsu-chan vorgeht. Was übrigens auch in mir vorgeht. Und du müsstest es eigentlich auch merken, wenn du nicht vollkommen…“

„Hitomi!“, rief die Herrin der Ortung entrüstet.

„Schon gut, Senpai. Aber merkst du denn nicht, dass wir uns gerade alle fühlen wie die nicht ganz so wichtigen Nebencharaktere in einem Heldenepos? Die Hauptfiguren gehen um den Hauptcharakter zu treffen, und wir armen Nebenfiguren müssen an Bord bleiben, um die Routinearbeiten zu verrichten.“ Nun seufzte auch die ehemalige Klassenkameradin von Megumi tief. „Nicht, dass ich mich nicht über das Vertrauen in mich freue, aber ich kenne Akira auch. Nicht so gut wie Kenji-kun, zugegeben. Aber ich fühle mich etwas ausgeschlossen.“

Hiroko zog die Stirn in Falten. „Also, jetzt wo du es sagst… Irgendwie dreht sich immer alles um Akira, oder?“

„Und um die, die direkt neben ihm stehen. Und wir in der zweiten Reihe können nur von außen zugucken“, fügte Hitomi hinzu.

„Ganz so schlimm ist es ja auch nicht. Bei der Strandparty waren wir ja dabei. Wir sind halt nur nicht immer dabei.“

Die drei tauschten lange Blicke aus und seufzten kollektiv.

„Nebenrollen.“ Tetsu grinste wild. „Die können aber auch einen Oscar kriegen. Also, lasst uns unser Bestes geben, damit Akira-kun einen Platz hat, auf den er zurückkehren kann.“

Die beiden Frauen reckten die Arme in die Luft und bestätigten mit einem lauten Jawohl.

Danach sah Tetsu in die Runde, in eine ganze Reihe fassungsloser oder amüsierter Gesichter. „Hat hier denn keiner was zu tun? Der Part mit dem das Beste geben gilt auch für euch.“

„Ja, Sir!“

Tetsu lächelte still. Immerhin, ihre Nebenrollen waren nicht unwichtig. Im Gegenteil. Alle setzten großes Vertrauen in sie.

***

Der große Moment war da. Die STADTHAGEN landete auf einem bevorzugten Stellplatz auf der gigantischen, fünf Kilometer durchmessenden Plattform; die Techniker und Fachleute von TAMARD setzten augenblicklich eine Schleusenmanschette an, die sich den Gegebenheiten der terranischen Technik erstaunlich flexibel anpasste. Als sich dann die Innen- und Außenschleuse der STADTHAGEN öffnete, erwartete die Männer und Frauen ein Heer an Medizinern.

„Da dies nicht der erste Kontakt zwischen Terranern und Iovar ist, erledigt sich eine Schutzimpfung“, sagte der federführende Mediziner, der sich als Professor Styr vorgestellt hatte. „Aber ich möchte sie alle bitten, zusammen mit einem meiner Mitarbeiter einen Fragebogen auszufüllen, um eventuelle Lücken im Impfschutz festzustellen und notfalls eine schnelle medizinische Hilfeleistung zu gewähren. Bitte beachten sie, dass vor allem AO-Meister für uns eine Bedrohung darstellen. Eine Krankheit, die sie mit einem nebensächlichen Gedanken vertreiben kann für uns, wenn übertragen, durchaus in einer Epidemie enden. Sind AO-Meister unter den Anwesenden?“

Verlegen runzelte der Mediziner die Stirn. „Ich glaube, anders herum geht es schneller. Wer ist nicht mit dem Umgang mit AO vertraut?“

Die Flut an Händen sank wieder nach unten. Dafür schossen zwei neue nach oben, jene von Kei und Joan.

„Gut. Wenn sie zwei bitte zu mir kommen würden, ich bin mit AO nicht sehr vertraut, dann gehe ich mit ihnen den Fragenkatalog durch. Ist der Anteil an AO-Meistern repräsentativ für die terranischen Schiffe, oder bildet die terranische Delegation eine Ausnahme?“

„Ausnahme“, erklärten verschiedene Stimmen unisono.

„Das ist gut. Dann muss ich keine weiteren Spezialisten anfordern.“
 

Eine halbe Stunde später benutzten sie eine Rolltreppe in die Tiefe der Station. Sie nahm auf der oberen Sohle des Laufgangs ihren Anfang und reichte bis tief in die Eingeweide der Station.

„Der Passagierzugang. Direkt an und unter der Oberfläche werden vor allem Waren zwischengelagert, teilweise im Vakuum. Deshalb verfrachten wir Passagiere direkt in den Kern der Station. Erstens ist es hier sicherer und zweitens hat man hier aus der Lobby einen wunderbaren Blick auf den Gasriesen Bakubaku“, erklärte der ranghohe Offizier, der sie begleitete.

Sie kamen direkt in einer Passagierlobby an; mehrere Rolltreppen führten von hier hoch ins Nirgendwo.

„Die Länge der Treppen ist flexibel. Sie kann achtzehn Meter variieren. Uns ist noch kein Schiff begegnet, das wir mit ihnen nicht erreicht hätten. Ihre ADAMAS wird wohl die einzige Ausnahme bilden, sollte sie je auf TAMARD anlegen“, führte der Offizier mit beleidigter Miene aus.

Sie betraten wieder einen Laufgang, der sie diesmal horizontal etliche hundert Meter weit beförderte. Sie kamen zuerst in der Zentrale an, in der ein paar hundert Schiffsbewegungen koordiniert wurden, rein aus dem System, raus aus dem System, Andockmanöver, Ablegemanöver, interplanetarer Verkehr, und was der Dinge mehr waren.

Der Superviser schenkte den Ankömmlingen einen bösen Blick und winkte sie einmal quer durch die Halle. Als die Lotsen beim Anblick der Terraner ihre Arbeit vernachlässigten, knurrte der alte Mann ein paar wütende Flüche.

„Lassen Sie sich von Yorim ban Verde nicht beeindrucken“, erklärte der Offizier nonchalant. „Er macht diesen Job schon seit dreißig Jahren, und Fehler sind ihm ein Gräuel. Am liebsten würde er die Lotsen alle durch K.I.s ersetzen lassen, weil er in den biologischen Körpern der Iovar eine potentielle Gefahrenquelle sieht, vor allem wenn sie übermüden. Aber letztendlich ist der Faktor von selbstständigen Entscheidungsträgern, die zudem abstrakt denken können, also ihre Denkschemata durchbrechen können, nicht zu unterschätzen. Nebenbei gesagt, er hat die Crew seiner Zentrale handverlesen. Wir können also sicher sein, dass hier nur die Besten arbeiten.“

An die Zentrale schloss sich eine große Halle an, die an einem gigantischen Tor endete. „Ein Banges-Hangar“, berichtete der Offizier stolz. „Wir haben ihn umgebaut in einen Sitzungssaal und mehrere Konferenzräume. Außerdem folgt noch der Empfangsraum des Lordgenerals. Ein rein formeller Raum, aber er hat an Bedeutung gewonnen, seit der Kaiser gefallen ist. Es scheint, dass wir Iovar einfach etwas Repräsentatives brauchen, um uns wirklich wohl zu fühlen.“

Der hochrangige Offizier, laut seinem Rangzeichen auf der Brust ein Kapitän – was einem Colonel entsprach – deutete auf eine junge Frau, die intensiv mit einem Außerirdischen sprach. Der große, aufrecht gehende Kopffüßler hatte gewisse Ähnlichkeit mit einem Tintenfisch, aber dafür waren vier seiner Tentakel zu gut ausgebildet, er benutzte sie um auf ihnen zu gehen, und die anderen sechs zu fein und zu klein. Außerdem widersprachen die zwei intelligenten Augen und der feinlippige Mund diesem Vergleich. Ebenso die melodische Altstimme, mit der er Iovar-Idiom sprach. Auch der feine goldene Flaum, der den silbernen Leib überall dort bedeckte, wo er keine Sinnesorgane hatte, sprachen dagegen. Dennoch blieb dieser erste Eindruck irgendwie haften.

„Yuna Omaret Lencis. Sie wurde erst vor kurzem zur Admiralin berufen. Sie ist eine der wichtigsten Zuarbeiter von Jonn Arogad, dem stellvertretendem Intendenten. Man erzählt sich, mit ihr begann die Revolution. Ihr Gesprächspartner ist ebenfalls Admiral. Er entstammt dem Volk der Iradae, welches innerhalb des Kaiserreichs sieben Systeme bewohnt. Bisher haben sich die Iradae aus allen Konflikten herausgehalten und mit horrenden Tributzahlungen ihren eigenen Frieden erkauft. Aber Admiral Lavajadel Meduse hat das geändert. Mit ihm begann die offensive Außenpolitik. Heute ist das Volk der Iradae ein ebenso wichtiger Verbündeter für uns wie jedes andere Haus der Iovar.“

Der Blick des Offiziers schweifte zu einem großen, breitschultrigen Mann herüber, der sie misstrauisch beäugte. „Vize-Kapitän Reuss. Man sagt, er hat Seite an Seite mit dem Lordgeneral gekämpft. Er ist Kommandeur seiner persönlichen Garde. Alle AO-Meister mit großer Erfahrung. Und alle sind dem Lordgeneral loyal.“

Sie durchquerten den Vorsaal, sahen debattierende Runden, die teilweise aus Iovar, teilweise aus Außerirdischen bestanden; in einigen Runden bemerkten sie sogar Robotkörper des Cores.

Als Joan wütend die Arme hob, ging der Kapitän dazwischen. „Langsam, langsam, Joan Reilley! Der Lordgeneral hat mich schon gewarnt, dass der eine oder andere so reagieren könnte wie Sie. Das sind keine x-beliebigen Core-Infanteriedrohnen. Dies sind Offizierskörper. Die Anführer des Cores verwenden sie, um zeitweise ihr AO aufnehmen zu lassen. Der Anführer dieser Gesprächsrunde ist Orag Taresi, Flottenführer und einer der direkten Untergebenen des Lordgenerals. Er ist ein wenig konservativ und versucht für die Aktionen des Cores einen angemessenen Gegenwert auszuhandeln. Aber an seiner fachlichen Qualifikation gibt es nichts auszusetzen, das hat er während der Revolution oft genug bewiesen. Übrigens sind manche Offiziere des Cores auch in ihren Originalkörpern anwesend.“

Sie gingen weiter, auf das riesige Tor zu, das einen Eagle problemlos hätte passieren können.

Der Kapitän meldete sie bei den beiden Wächtern an. Kurz darauf schwang das riesige Tor auf und ließ sie passieren.

„Darf ich vorstellen? Der Lordgeneral“, sagte der Kapitän mit einem breiten Grinsen und deutete auf einen hohen Lehnstuhl auf einem Podest im Hintergrund der Halle. Dort saß ein kleiner Junge von vielleicht sieben Jahren und malte mit wahrem Feuereifer auf einem Block herum. Dutzende Buntstifte lagen zu Füßen des Throns, und etliche Bilder waren mit kindlichem, naiven Geschick bereits fertig gestellt.

Megumi sackte der Kiefer herab. „D-das ist…“

„Der Lordgeneral, richtig“, stellte der Kapitän süffisant fest. „Aber wie es aussieht, ist er wohl gerade nicht Zuhause.“

„Was, bitte?“

***

Als ich das Paradies der Daima und Daina verließ, schwirrte mir immer noch der Kopf. Maltran schlug sich gut, aber es war abzusehen, dass wir dem Termin nicht würden einhalten können. Vielleicht war es besser, die Technik auf den Core-Welten zu vernichten anstatt sie abzubauen. Aber wer würde einem Volk von zweihundert Millionen Individuen dann einen Neustart finanzieren? Alleine das Rechnernetz, das für das Paradies notwendig war, würde ein kleines Vermögen kosten, womit sich andere eigene Monde kauften. Nein, die Technik musste mit, auf würgen und brechen. Aber wo sollten dann die Biotanks gelagert werden? Es musste eine Lösung her, eine Zwischenstation, etwas handfestes. Ich hatte gut geplant, aber anscheinend war es nicht gut genug gewesen. Ein kleiner Kommafehler in der Berechnung zeigte mir nun, dass wir nicht zwanzig, sondern vierzig Tage brauchen würden; für die Strafer, die mit irrsinnigen Werten beschleunigen konnten bedeutete dies, vom anderen Ende der Galaxis zu uns herüber zu springen und die Welten des Cores zu vernichten, wann immer es ihnen gefiel. Und das mitten in der Evakuierung, die gegen alles verstieß, was Core-Zivilisation und die Götter je vereinbart hatten.
 

Ich manifestierte mich zuerst einmal im Kommandoschiff, meiner Leuchtbarke, wie ich ab und an mit dem leichten Anflug von Zynismus zu sagen pflegte, der ich im letzten Dreivierteljahr immer wieder übernommen hatte. Von dort peilte ich, reines Bewusstsein, das ich gerade war, Laysan an. Sekunden darauf befand ich mich in seinem Körper.

„Da bist du ja wieder!“, hallte mir seine mentale Stimme aufgeregt mit. „Akira, du hast Gäste! Und die sind ja alle so nett. Und Sakura ist ja so schön, genauso wie in den virtuellen Welten, die wir zusammen erlebt haben!“

Hätte ich über einen Körper verfügt, wäre ich wahrscheinlich in einem Schwächeanfall zu Boden gesunken. So aber war ich ein paar Sekunden wie paralysiert und unfähig, einen Gedanken zu formulieren. Dann endlich sickerte die Erkenntnis durch. Sakura bedeutete AURORA, AURORA bedeutete, dass Ai es geschafft hatte, und wenn Ai meine Anweisung weitergeleitet hatte, bedeutete dies… Megumi!

„Ich übernehme jetzt wieder, Laysan. Aber diesmal dauert es nicht lange“, sagte ich mit zittriger Stimme.

„Schon in Ordnung. Ist ja deine Familie.“

Mir entging nicht der wehmütige Ausdruck in seiner Stimme. Ja, er sehnte sich nach einer Familie. Die letzten Wochen und Monate hatte ich ihm nie genug geben können, um sie zu ersetzen.

Ich schluckte einen Kommentar herunter, der ihn ohnehin nicht hätte trösten können und manifestierte meine KI-Rüstung. Dann stellte ich zu meinem Entsetzen fest, dass ich auf dem Thron saß, wie gutmeinender Spott den Stuhl im Audienzraum auf TAMARD bezeichneten – und zudem auf Sakuras Schoß. Sie hielt gerade ein von Laysan selbst gemaltes Bild in der Hand und hatte anscheinend gerade mit ihm gesprochen; meine Freunde waren über den Saal verteilt. Ich reagierte schnell, aber Sakura war schneller. „AKIRA!“ Übergangslos fand ich mich an ihrem Busen wieder. Aber zum Glück brauchte die KI-Rüstung nicht zu atmen.

Nun klangen auch die Rufe der anderen auf, und schnell versammelten sie sich um den Sitz.

Mühsam kämpfte ich mich aus Sakuras Umarmung, liebevoll natürlich, denn ich war nicht Idiot genug, um nicht die Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen. „Ich bin wieder da, Sakura-chan.“

„Idiot“, hauchte sie und schubste mich von ihrem Schoß. „Nun geh schon. Es warten ja alle.“

Ich strich ihr liebevoll über die Wange. Sie war meine beste, meine allerbeste Freundin in diesem Leben, und ich liebte sie tief und innig. Es war nicht verkehrt, ihr das ab und an deutlich zu machen.

Dann wandte ich mich um und erstarrte. Als Sakura gesagt hatte, dass ja alle warten, hatte ich nicht erwartet, wirklich nahezu alle zu sehen.

„Akira!“, rief Megumi erleichtert und stürzte in meine Arme. Ich schloss die Arme fest um sie und drückte mein Mädchen fest an mich. Auch wenn dies nur eine KI-Rüstung war, eigentlich fast schon ein KI-Container, so spürte ich doch die Wärme ihres Körpers, spürte die sanften Bewegungen mit denen sie ihren Kopf an meiner Brust rieb und roch ihr Haar. „Ich habe dich so vermisst“, hauchte sie. „Idiot, warum hast du dich entführen lassen? Weißt du wie schrecklich einsam es ohne dich war?“

„Ich bin ja wieder hier“, sagte ich mit aller Wärme in der Stimme, zu der ich fähig war, während ich zugleich mit meiner Rührung kämpfen musste. Hätte ich in diesem Moment in meinem Körper gesteckt, der dicke Kloß in meinem Hals hätte mir das sprechen unmöglich gemacht.

Dann gab sie mich frei, nach nur wenigen Sekunden, mit Tränen in den Augen und einem frohen Lächeln, das mein Herz hüpfen ließ.

Nun kamen auch die anderen näher. Ich schloss sie alle nacheinander in die Arme. Zuerst natürlich meine kleinen Schwestern Yohko und Akari, danach Makoto, der tapfer die Tränen zurückhielt, aber seine roten Augen und die leicht rot geschwollene Nase sagten genug.

Kitsune ergriff die Gelegenheit und sprang als Fuchs auf meine Schulter. Nachdem sie Halt gefunden hatte, leckte sie mit ihrer Zunge über meine Wange. „Lass das Kitsune-chan, das kitzelt“, rief ich lachend.

„Deswegen mache ich es ja“, erwiderte sie frech, verwandelte sich wieder in einen Menschen und umarmte mich kurz, nur um mich dann Yoshi zu überlassen. Aber Joan drängelte sich vor, was dieser stoisch über sich ergehen ließ.

Schließlich kamen die Jungs aus meiner Gang zu ihrem Recht, wobei Kenji stoische Ruhe bewahrte, und Doitsu mich mit einem Gefühlsausbruch überraschte. Kei war weinerlich wie immer, wenn es um große Emotionen ging, und Yoshi ganz der Kumpel und beste Freund, den ich kannte. Nach mehreren aufmunternden Schulterklopfern und einem breiten grinsen von Daisuke, bevor er mich umarmte – was ich vor zwei Jahren noch als unmöglich eingestuft hatte – und reichte mich an die Slayer weiter. Hina war ein aufgeregtes Nervenbündel, Ami hatte nichts eiligeres als mir zu erzählen, dass sie nun mit Kei zusammenwar, Emi flüsterte mir etwas ins Ohr, was mich sicherlich zu Boden gestreckt hätte, wenn ich in meinem eigenen Körper gewesen wäre und lächelte dazu.

Akane begrüßte mich herzlich, Sarah überschwenglich. Gina machte aus ihren Tränen keinen Hehl, und auch ich freute mich, die gewitzte Argentinierin wieder zu sehen. Ai-chan in ihrem eigenen Körper zu finden war eine so große Überraschung, dass ich sie spontan hoch hob. Was mir einen bösen Kommentar von Henry einbrachte, ihm nicht seine Zukünftige abspenstig zu machen. Wir tauschten einen trockenen Händedruck, der seinem Charakter entsprach. Das Lächeln eher nicht.

Sostre Daness grinste von einem Ohr bis zum anderen als er mir die Hand schüttelte und auf die Schulter klopfte. Das entsprach nun seinem Charakter.

Dai-Okame-sama hielt sich im Hintergrund, aber als sich unsere Blicke kreuzten, verbeugte er sich ein wenig, und in seinen Augen lagen Bewunderung und Anerkennung. Ein Bild, das mir die Tränen in die Augen hätte schießen lassen, wäre ich in meinem Körper gewesen.

Danach drückte mich Solia Fioran, die artig gewartet hatte, bis sie endlich an der Reihe war, und zwar so heftig und verzweifelt, dass es mir fast die Tränen in die Augen getrieben hatte. „Ich bin so froh, dass du noch lebst“, hauchte sie dabei und vergoss Tränen an meiner Wange. Ich verstand wie sehr sie gelitten haben musste, nachdem sie den Personenschutz, den sie ihrem Cousin versprochen hatte, nicht hatte erfüllen können.

Danach schüttelte mir Franlin stolz und äußerlich ruhig die Hand. „Wir sind alle froh, dass es Ihnen gut geht, Sir.“ Ich sah, dass seine Augen feucht schimmerten, also klopfte ich ihm vertraulich auf die Schulter.

Der Letzte, der mich mit stoischer Ruhe begrüßte war Aris Taral. Ein wenig wunderte mich schon, dass Opa Oren ihn hatte gehen lassen, aber den erfahrenen Kämpfer und Lieblingsgroßonkel hier zu wissen war eine große Beruhigung. Wir ersparten uns eine tränenreiche Begrüßung, und Aris stellte nur trocken fest: „Gute AO-Rüstung. Könnte von mir sein.“

Nun, das war ja wenigstens mal ein Lob.
 

Ich klatschte in die Hände. „Und, wo sind die anderen? Wo ist Tetsu? Hitomi-chan? Hiroko-senpai? Aria? Wo ist Marus? Wo steckt Ban Shee? Was ist mit den anderen? Ist Torum gar nicht mitgekommen?“ Ich sah in verwundert aufgerissene Augen. „Was ist? Ich freue mich ja, dass ihr alle gekommen seid, sehr sogar. Aber das waren doch noch nicht alle.“

Ich seufzte leise. Anscheinend hatte ich den Bogen etwas überspannt. Also entschloss ich mich zu einem subtilen Themawechsel. Ich streckte eine Hand nach Megumi aus, und meine Freundin kam sofort an meine Seite. Ein berauschendes Gefühl, so zu denken und sie neben mir zu wissen. „Okay, die anderen kann ich später noch begrüßen. Und jetzt mal ans Eingemachte, denn ich habe wenig Zeit. Zuallererst will ich euch ein wenig über den Core erzählen, unseren neuen Verbündeten. Dann über die Situation im Kaiserreich. Und ich will dann von euch Informationen über die Erde, über die Naguad und speziell über die verseuchten Vorstädte der Hauptstadt und natürlich über Lorania und das Kanto-System.

Was wisst ihr mittlerweile über die Götter, denen ihr einen Strafer weggeschossen habt?“ Ich strahlte in die Runde. „Und habt ihr meinen Körper mitgebracht?“

***

Ein paar Stunden später war der große Augenblick für mich gekommen. Nach einer anstrengenden Konferenz, bei der alle Verbündeten beteiligt gewesen waren, einige davon über Funkkonferenz – ich hatte mir natürlich nicht nehmen lassen, Aris Ohana vollen Zugriff auf Raider-Technologie zu geben und diese auch unter den Verbündeten im Reich zu verteilen – bei der wir die Marschrichtung nach der Flucht des Cores festgelegt hatten und an der auch der Dai Tyges teil genommen hatte, stand er endlich vor mir. Der Biotank mit meinem Körper.

Ich musterte die schlafende Gestalt eindringlich. „Habe ich zugenommen?“, fragte ich zweifelnd. Wenigstens waren meine Muskeln nicht erschlafft, eine Problematik, welche die Biotanktechnologie schon lange gemeistert hatte.

„Nein, du hast nicht zugenommen. Willst du dich nicht mal beeilen und in deinen Körper kommen?“, tadelte Sakura. „Außerdem will ich den niedlichen Jungen wiedersehen, der dir als Anker dient.“

„Ach, daher weht der Wind. Ich werde mich wohl damit abfinden müssen, dass Laysan alle Mädchen hier um den Finger gewickelt hat.“

„Wie du in deinen besten Zeiten“, rief Kei und hatte die Lacher auf seiner Seite.

„Nicht, dass ich es gewollt hätte“, brummte ich, und einige der Mädchen senkten verlegen die Köpfe.

Für einen Augenblick hatte ich den Eindruck, die Augen meines verlassenen Körpers hätten mich angesehen, hätten hasserfüllt auf mich herabgestarrt. Ich trat an den Tank, legte eine Hand darauf und sah, wie die Hand des Körpers im Tank ebenfalls gegen die Trennwand schoss. Für einen Augenblick glaubte ich, doppelt zu sehen. Einmal den Körper im Tank, dessen Augen sich nun tatsächlich öffneten, aber sehnsüchtig, nicht zornig auf mich herab blickten, und dann den Blick aus dem Tank hinaus, den Blick auf die mächtige KI-Rüstung gerichtet, die Laysan umschloss und mein KI, mein Bewusstsein bewahrte.

Die Umgebung wurde leise um mich, für ein paar Sekunden, die mir wie Ewigkeiten vorkamen, hörte ich nichts und sah nur den Tank und die Augen. Phantastische Augen, die mir im Spiegel nie so faszinierend vorgekommen waren. Irgendwie konnte ich es jetzt verstehen, dass die eine oder andere Frau von mir fasziniert war.

In die Stille drang Kitsunes Stimme an mein Ohr. „Schade. Er ist noch nicht soweit. Er hängt noch zu sehr an seinem Körper.“

Okames Stimme antwortete ihr: „Er hat noch Zeit. Tausende Jahre Zeit, um ein Dai zu werden. Wenn er das überhaupt will.“

Ich schüttelte unwillig den Kopf, der doppelte Sinneseindruck verschwand und ich sah die Welt wieder normal. Diesmal allerdings aus dem inneren des Tanks.

Ich steckte wieder in meinem Körper! Fassungslos hob ich die Arme, starrte auf meine Finger, während die Mediziner der AURORA schon dabei waren, den Tank in die Waagerechte zu legen und die Heilflüssigkeit abzusaugen.

Als sich der Tank für mich öffnete, reichte mir jemand einen Yukata. Ich erkannte ihn als meinen eigenen wieder. Eine Ordonnanz hielt stolz einen Kleiderbügel in der Hand, auf der eine volle Garnitur meiner Uniform hing, in der Linken hatte der junge Mann Schuhe und Socken parat. Für einen Moment dachte ich ernsthaft daran, diese Uniform nicht zu tragen. Aber sie war nun zu sehr ein Teil von mir, seit ich in ihr auf der Fushida-Oberstufe meine Schulkameraden rekrutiert hatte, dass ich es nicht übers Herz brachte.

Unter dem lauten Jubel meiner Freunde, Verbündeten und meiner Familie verließ ich den Tank. Ich nickte in die Runde und winkte die Ordonnanz mit der Kleidung heran. „Ich gehe mich schnell anziehen. Dann machen wir an dieser Stelle weiter.“

Ich bückte mich zu Laysan herab, der mich aus großen Augen ansah. Ich tätschelte dem kleinen Mann den Kopf und lächelte dabei. „Bald bist du Zuhause, kleiner Mann. Du wirst erstmal bei mir auf der AURORA wohnen.“

„Du gehst auf die AURORA?“, fragte Yura Lencis interessiert.

„Die AURORA ist ab sofort mein Flaggschiff“, stellte ich fest. Später hat man mir erzählt, dass die Szene von meiner „Wiedererweckung“ auf die AURORA und die Begleitflotte übertragen wurde, und das diese Ankündigung einen spontanen Jubel ausgelöst hatte, der minutenlang gedauert hat.

Als ich die mürrischen Mienen meiner Verbündeten sah, fügte ich erklärend hinzu: „Sie ist das stärkste Schiff.“

„Das will ich ja wohl auch meinen!“, stellte Sakura mit Betonung fest. Sie stemmte die Hände auf die Hüften und sah herausfordernd ins Rund. Aber niemand schien so dumm zu sein, ihr zu widersprechen. Sie schnaubte zufrieden, griff nach unten und nahm Laysan auf den Arm.

Selbst das konnte ihre Autorität nicht beeinträchtigen.

Damit war das Thema also geklärt, ich steckte wieder in meinem Körper und meine Uniform erwartete mich. Ich winkte dem wartenden Mann und machte mich auf den Weg in einen nahen Ruheraum, den ich für meine Bedürfnisse konfisziert hatte. Diese Bedürfnisse schossen jetzt natürlich in die Höhe, da ich wieder einen Körper hatte. Aber ich fand, die Vorteile wogen die Nachteile bei weitem wieder auf.
 

4.

Der Blick von Michael Fioran ging über die Silhouette von New York. Bereits in wenigen Tagen, ja, Stunden, würde hier nichts mehr so sein wie es einmal war.

Langsam wandte er sich um und nickte Mother zu, der Expression der Biocomputer auf der Erde. Der Avatar nickte zögerlich zurück. „Ich habe noch nie eine derart große Aktion verwaltet, Michael Fioran.“

„Du bist die leistungsfähigste Künstliche Intelligenz, die es jemals auf der Erde gegeben hat. Du brauchst keinen Gegner fürchten – höchstens meinen Enkel.“

Einige der anwesenden Legaten lachten leise dazu. Andere knurrten grimmig, denn der Enkel von Michael Fioran war Akira Otomo, den viele der Legaten als Geissel ansahen, als Mörder ihrer Pläne. Und als einzige Hoffnung.

Michaels Blick ging weiter zu den drei Dai, die ebenfalls am Tisch saßen. Dai-Kuzo-sama, Dai-Kuma-sama und Dai-Kitsune-sama erwiderten sein Nicken.

„Die Operation steht. Es gibt kein Zurück mehr“, meldete sich der Erste Legat Gordon Scott zu Wort. Leiser fügte er hinzu: „Aber ich werde nicht den Startschuss geben, Michael.“

„Keine Sorge. Wenn Sie sich nicht trauen, ich habe damit kein Problem“, meldete sich ein anderer Legat zu Wort. Juichiro Torah grinste wild in die Runde.

„Nein, es ist in Ordnung. Ich gebe das Kommando.“ Michael senkte den Blick. „Dies ist die beste aller Zeiten. Die mächtigsten KI-Meister haben diese Welt verlassen. Arno Futabe ist mit ihnen gegangen. Damit bin ich der stärkste KI-Meister auf dieser Welt. Und mit Dai-Kuzo-sama auf unserer Seite haben wir auch keine Dai zu fürchten.“ Michael schloss die Augen und atmete langsam ein und aus. Dann öffnete er sie wieder mit einem Ruck. „Mother! Öffne den Ordner Operation Walküre und führe alle dort enthaltenen Befehle aus!“

Der Avatar nickte und senkte den Blick. Abermillionen an Informationen huschten über ihren Körper, während sie die Daten einlas. „Die ersten eintausend Befehle wurden erteilt.“

Michael wandte sich wieder dem Fenster zu. „Dann beginnt es jetzt. Wir erobern die Erde und den Mars…“

***

In Brasilien öffneten sich geheime Hangars in den Anden-Bergen. Das war den Erbauern sinnvoller erschienen als im feuchten, heißen Amazonasbecken zu bauen, in dem fester Grund in etwa ebenso selten war wie ein Papstbesuch.

Hinter den riesigen Klappen schoben sich Dutzende, Hunderte kampfbereite Daishis hervor.

Ihnen folgten schnelle Korvetten, die sich kurz nach dem ausschleusen in ihre Unsichtbarkeitsschirme hüllten.
 

Im Nordatlantik, genauer gesagt auf einer alten Ölplattform, bebte der Seeboden. Eine halbe Stunde später stand die Plattform auf einer noch größeren Plattform, die sich als unterseeissche Werft entpuppte. Als sich die Schleusen des Giganten öffnete, starteten nacheinander fünf Fregatten.
 

Im ewigen Eis der Antarktis ragten nur wenige Berge auf. Allgemein war das Festland der Antarktis ohne das sie umschließende Eis ein Archipel aus vielen Dutzenden Bergen und Inseln, richtiges Festland war eher selten. Erst das Eis machte eine geschlossene Fläche aus dem Land am Südpol.

In besagten Bergen enttarnten sich wie schon in den Anden riesige Werkstätten. Doch hier erhoben sich Fregatten und Zerstörer in den tiefschwarzen Himmel der winterlichen Antarktis-Nacht.
 

In Washington DC musste General Bowman mit Entsetzen feststellen, dass er seinem Präsidenten sehr schlechte Nachrichten überbringen musste. Im ganzen Land fanden schwere Kämpfe statt; die Mecha-Streitkräfte wendeten sich gegen die eigenen Truppen. Interessant an diesem Aspekt war, dass es vor allem unbemannte Mechas waren, die plötzlich auf den Militärstützpunkten wüteten, allen voran der hoch gepriesene und mit kronosischer Unterstützung entwickelte Stars and Stripes.

Alles deutete darauf hin, dass der Verbündete sie verraten hatte.

Als fünf Zerstörer aus dem Territorium Kanadas in das Land einbrachen und sich gegen jeden Widerstand über den Himmel über Washington D.C. durchkämpften, wurde es zur Gewissheit.

Die Kronosier, die mit ihrem Märchen von der Hegemonie der U.S.A. und der technischen Unterstützung die Hilfe von Präsident Wilson erkauft hatten, wandten sich nun gegen ihn.

Der Schlag war so schnell und so präzise geführt worden, dass dem Präsidenten nicht einmal die Flucht mit der Air Force One gelungen war.
 

In Russland war es nicht die Weite Sibiriens, sondern die Küste des Schwarzen Meeres, aus dem sich die kronosischen Streitkräfte wie Phoenix aus der Asche erhoben. Der besten, fähigsten und erfahrensten Piloten beraubt stand die russische Führung schon bald mit dem Rücken zur Wand.
 

Auf dem Mars war der Schlag ebenso schnell wie effizient. Nach nur wenigen Minuten heftiger Kämpfe befanden sich Gravitationskontrolle und Sauerstoffproduktion in der Hand der Kronosier und ihrer Söldner.

Damit hatten sie die gesamte Kolonie in ihren Händen.
 

Auf dem heimischen Mond ergab sich zuerst Aldrin, dann Collins und zuletzt erst Armstrong. Damit waren die drei wichtigsten Städte des Mondes in kronosischer Hand, ohne dass sie auch nur einen Schuss hätten abgeben müssen.

Der Mond war nun kronosisches Gebiet.
 

Eikichi Otomo sah in der Zentrale des OLYMP dabei zu, wie sich nach und nach ein Land der Erde nach dem anderen von blau für Verbündete oder rot für Gegner grün verfärbte, was die Eroberung durch die Kronosier bedeutete.

Er bemerkte sehr wohl, dass jene Länder, die bei der ersten Invasion besonders gelitten hatten, Japan, Deutschland, Indien, Südafrika, Frankreich, die Türkei und China von den Angriffen ausgespart waren. Noch. Aber es beruhigte ihn schon, denn dies hätte Kämpfe bedeutet, blutige Kämpfe, und keine Handstreiche. Die Menschen jener Länder hatten noch nicht vergessen wie es gewesen war, als die Himmel brannten. Gerade die Japaner hätten dies nicht hingenommen und diesmal sicherlich bis zur eigenen Vernichtung gekämpft.

„Michael“, murmelte er mehr zu sich selbst. „Ich hoffe, du hast alles im Griff!“

Während er sprach, wandelte das fünfzigste Land seine Farbe auf grün.

Als hinter ihm geraunt wurde, wandte er sich um und erstarrte vor Entsetzen.

Eine junge Frau mit brandrotem Haar kam lächelnd auf ihn zu. Die Wachen hielten sie nicht auf, denn es war Kitsune, genau jene Kitsune, welche den zweiten Marsangriff mitgemacht hatte. Unter den Veteranen des OLYMP galt sie fast schon als Gottheit.

Doch das war unmöglich, denn Kitsune war an Bord der AURORA!

Bevor Eikichi es richtig registrierte, hatte er schon einen KI-Schild zwischen sich und dieser Kitsune aufgebaut, doch es war zu spät. Sie ließ sich auf die Hände sinken und verwandelte sich. Sekunden später stand ein riesiger Löwe mit Menschenkopf vor ihm.

„Sphinx!“ Die Gestalt sah ihn aus erschreckend menschlichen Augen an, dann sprang sie vor, durchbrach Eikichis Schutz mit einer Leichtigkeit, die sein jahrelanges Training verspottete und erwischte ihn mit einer der kräftigen Pranken. Vor den Augen der entgeisterten Zentrale-Besatzung wurde Eikichi Otomo von dem kräftigen Hieb an die nächste Wand geschleudert – und verschwand dort, als wäre sie nicht massiver Stahl, bedeckt mit Monitoren und Arbeitsstationen, sondern der Eingang nach Shangri-La.

Die Sphinx sah stumm in die Runde, verzog den Mund zu einem Lächeln und sprang hinterher.

Zurück blieb ein kleiner See an Blut und ein paar vollkommen verstörte UEMF-Mitarbeiter, die um etliche Lebenserfahrungen reicher waren.

***

„Ich sehe, du bist wieder wach.“

Eikichi öffnete die Augen und stöhnte unterdrückt. „Verdammt noch mal, hätte mir jemand gesagt, dass Step so anstrengend ist, hätte ich lieber das Flugzeug genommen.“

„Das vergeht wieder. Nicht jeder gewöhnt sich schnell daran, auf den Ley-Linien der Erde zu reisen.“ Dai-Kuzo-sama stellte einen Kaffee vor Eikichi auf dem Tisch ab und half ihn, aus dem Liegestuhl einen Sessel zu machen. „Trink erstmal. Das Koffein wird dir guttun.“

Eikichi sah in die Runde, während er sich den Kopf rieb. „Danke. Du hast die Sphinx ausgepackt?“

„Ich musste. Es gibt keinen besseren Leibwächter als sie. Und mitten im Nest der Kronosier zu sitzen ist selbst für mich ein wenig gefährlich. Ich konnte ja nicht wissen, was die Götter der Core-Zivilisation mittlerweile überlassen hat.“

„Dennoch, die Sphinx ist…“

„Sie hatte sich als Kitsune getarnt.“

„Das ist nicht mein Problem! Du weißt doch sehr wohl, dass die Sphinx zu makabren Späßen neigt. Wenn ich da allein an dieses Rätsel denke, dass sie den alten Griechen aufgestellt hat, dann…“

„Wir waren alle mal jung“, wiegelte Kuzo ab. „Und du glaubst doch nicht etwa die alten Geschichten, nach denen sie diejenigen, die ihr Rätsel nicht beantworten konnten, aufgefressen hat? Ach komm. Ein Mädchen muss auf seine Linie achten. Das war damals auch schon so.“

„Dennoch, sie ist eine Psychopathin! Nun, vielleicht nicht gerade eine Psychopathin, aber sie gibt absolut nichts auf menschliche Ettikette!“

„Sie steht gerade hinter dir“, schloss Kuzo trocken.

Eikichi fuhr herum und sah ihr ins strahlende Antlitz ihres eigentlichen Menschenkörpers. Kurz darauf hatte sie sich schon an die Brust des Executive Commanders gedrückt und an seiner Schulter eingekuschelt.

„Sie mag dich.“

„Und es interessiert sie einen Dreck, ob sie damit auf Gegenliebe stößt“, warf Eikichi ihr vor.

„Warum sollte sie auch? Sie ist eine Dai.“

„Eine mundfaule Dai.“

„Die dich mag.“

„Die mir mit einer Handbewegung den Kopf abschlagen könnte. Au, keine Krallen, Sphinx!“

Die Sphinx murrte unzufrieden und rieb ihren Kopf an Eikichis Kinn.

„Gut, dass meine Frau mich so nicht sehen kann.“

Kuzo lächelte dünn. „Sei froh, wenn deine Frau dich nicht sehen muss, wenn Sphinx dich nicht leiden kann.“

„Sehr witzig.“

Regelmäßige Atemzüge verrieten, dass die Sphinx eingeschlafen war. Oder es zumindest nur vorgab.

„Andererseits, wenn man sie so sieht, kann man kaum glauben, dass…“ Vorsichtig strich Eikichi ihr ein paar Strähnen goldenes Haar aus dem Gesicht.

„Dann kann man kaum glauben, dass ihre Mutter und deine Großmutter Schwestern waren, was?“, vervollständigte Kuzo.

„Nein. Dann kann man kaum glauben, dass in ihr eine schlimmere Kämpferin lauert als in Okame-senpai.“

„Oh, sie hat sehr liebevolle Seiten.“

„Die habe ich nie gesehen, wenn du sie mal wieder auf die Jagd nach mir geschickt hast!“, klang hinter Kuzo eine harte Männerstimme auf.

„Ach, sieh an. Das klingt doch irgendwie nach der treulosen Tomate, an der ich zweitausend Jahre meines Lebens verschwendet habe.“ Sie wandte sich um. „Dai-Tora-sama ist also wieder im Paradies.“

Juichiro Torah sah sie wütend an. Aber die Wut wich schnell einer gewissen Verzweiflung. „Ich habe die Daten von Greenwich gesehen. Du hattest Recht und ich hatte Unrecht.“

Eikichi sah auf, soweit es ihm mit der schlafenden Sphinx auf dem Schoß möglich war. „Wie läuft es auf eurer Seite?“

„Ach, dein Menschenspielzeug ist auch hier?“

„Bleib bitte sachlich. Sonst hetze ich Sphinx auf dich.“

Torah lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge. Aber dann ging eine gewisse Blässe über sein Gesicht. „Verdammt. Sie würde auf dich hören. Sie würde wirklich auf dich hören.“

„Lassen wir das alles mal beiseite. Wir haben viel zu besprechen. Ich nehme an, du bist als Vertreter der Kronosier zu mir gekommen. Dazu komme ich als Herrin der Dai und Eikichi als Vertreter der Terraner.“ Sie deutete auf einen freien Sessel am Tisch und nahm in einem anderen Platz.

„Wie ich schon sagte, ich habe gesehen, was auf East End passiert ist.“

„Das ist noch nicht alles. Die UEMF hat uns Aufnahmen zur Verfügung gestellt, welche von der Intendenten-Flotte über Iotan gemacht wurden. Wir wissen von sieben vernichteten Strafern.“

„Das sind doch gute Neuigkeiten. Wir können die Götter also besiegen.“

„Nein“, stellte Dai-Kuzo-sama klar. „Das können wir nicht. Auch nicht, wenn wir die Depotwelt öffnen und alle Kommando- und Kampfschiffe reaktivieren, die wir besitzen. Uns fehlt der entscheidende Faktor.“

„Entscheidender Faktor? Der Core schätzt die ursprüngliche Zahl der Strafer auf fünfzig bis sechzig, acht davon haben die Götter bereits verloren. Wenn wir nur genügend Feuerkraft aufbieten, dann…“

„Es sind über eintausend“, stellte Dai-Kuzo-sama trocken fest. „Warum glaubt ihr wohl, haben wir uns damals in die Daimon zurückgezogen? Weil wir den Kampf gefürchtet haben? Nein, weil wir die Vernichtung gefürchtet haben, die absolute, endgültige Vernichtung! Nicht nur jene von uns Dai, sondern auch jene unserer Schutzbefohlenen! Denn sie werden als nächste ausgerottet, wenn es keine Dai mehr gibt, damit nie wieder ein Daima oder Daina zum Dai aufsteigen kann!“ Sie senkte ernst den Blick.

„Und wenn wir genügen Kampfschiffe zusammen bekommen würden, um eintausend Strafer zu vernichten, würde das Sonnensystem, in dem gekämpft werden würde, bei der Urgewalt die wir entfesseln, vernichtet werden.“

„Gibt es eine Lösung?“, fragte Eikichi ernst.

„Nein, es gibt nur Ansätze. Und für die brauchen wir Zeit, dringend Zeit.“ Dai-Kuzo-sama sah die beiden ernst an. „Ich erbitte eure Zustimmung zur letzten Stufe des Plans.“

„Ich dachte, es würde nicht nötig werden, so weit zu gehen“, wandte Torah ein. „Ich dachte es reicht wenn wir die Götter glauben machen, die Erde würde nicht mehr in der Hand der Naguad sein.“

„Der beste Zeitpunkt ist jetzt. Eine zweite Chance bekommen wir nicht. Eikichi, Dai-Tora-sama, wollen wir es wagen oder gehen wir davon aus, dass die Scharade der Kronosier bereits ausreicht, um uns zu retten?“

„Wir haben viel zu gewinnen und alles zu verlieren. Im Namen der Menschen lege ich unser Schicksal in deine Hände.“

„Im Namen der Kronosier stimme ich ebenfalls zu.“ Torah senkte den Blick und schnaubte wütend. „Wenn ich jemals einen Gott in die Finger kriege, dann…“

„Dann macht es Knack. Ich habe schon mehr als einen getötet“, sagte Dai-Kuzo-sama ernst. Sie erhob sich. „Ich rufe mein Volk. Und dann tun wir es. Eikichi, sind die Befehle gegeben?“

„Ja.“

„Dann läuten wir jetzt das Finale ein.“
 

Epilog:

Die Medien überschlugen sich, als sie über das geheimnisvolle Verschwinden von Eikichi Otomo berichteten, über den Überraschungsschlag der Kronosier, die über eine beachtliche Streitmacht verfügten und von vielen Ländern offen unterstützt wurden, über ihre Eroberungen, über das allgemeine Chaos und über die KI-Meister, die mit der AURORA aufgebrochen waren und nun an jeder Ecke und jedem Ende fehlten.

Es herrschte blanke Panik auf der Erde, auch auf dem Mond und auf dem Mars, zumindest was die Presse anging.

Relativ umbemerkt davon zogen die Kriegsschiffe der Kronosier, der UEMF, der Anelph und der Naguad ihre Kreise über den beiden Planeten und dem Mond. Dabei entließen sie unsichtbar für jedes Auge eine Substanz, die so klein war, dass man sie nicht einmal als Staub hätte einschätzen können.
 

Mittlerweile hatte sich der Anführer der Kronosier als ehemaliger fünfter Legat Scott enttarnt und bekannt gegeben, dass er nun als Erster Legat die Operationen auf Erde, Mond und Mars anführte.

Ihm stellte sich Commander Jeremy Thomas entgegen, der versprach, nichts unversucht zu lassen, bis die kronosische Plage bis auf den letzten Halm geerntet worden war.

Die beiden Männer steigerten sich in ein hitziges Wortgefecht, welches weltweit live übertragen wurde, dass die Explosion einer Atombombe in der Wüste von New Mexico beinahe dabei unterging.

Beide Seiten beschuldigten sich daraufhin, die Bombe als Provokation benutzt zu haben.

Scott drohte das Atomwaffenpotential der U.S.A. und Russlands einzusetzen, die beide kronosisch besetzt waren und Thomas hielt mit den überlegenen Technologien der UEMF dagegen.
 

Für einen außenstehenden Beobachter, der jenseits der Marsbahn im Raum stand, wohlweislich auf der Höhe des Planetoidengürtels, malten sich die nächsten Stunden wie folgt aus. Zuerst wurde von heftigen Detonationen und schweren Beben auf dem Mars berichtet, der Ausfall der Gravitationskontrolle unter dem Nyx Olympus versagte. Kurz darauf verschwand der Mars sowohl aus der Ortung als auch aus der optischen Beobachtung. Von einem Moment zum anderen war er fort.

Dieses Phänomen setzte sich auch mit dem Mond fort. Es wurde von gigantischen Explosionen berichtet, von grellem Licht, irgend ein Sender berichtete von einer mit KI angereicherten Fusionsbombe – dann existierte der Mond nicht mehr.

Kurz darauf traf es die Erde. Über fünftausend Fernsehsender berichteten über die weltweite Situation, dann gab es wieder die Lichtblitze… Und die Erde existierte nicht mehr da, wo sie eigentlich hatte sein sollen.

Für den außenstehenden Beobachter bot sich die Szenerie auf den ersten Blick so dar, als hätten Kronosier und UEMF Erde, Mond und Mars gegenseitig vernichtet.

Dies war auch auf den zweiten, auf den dritten und den vierten Blick so.

Ein schneeweißer Strafer löste sich aus dem Deckschatten eines größeren Planetoiden, nahm Fahrt auf und verließ das System.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2007-11-05T20:16:30+00:00 05.11.2007 21:16
Oh Man, wie blöd bin ich eigentlich?? o.O Da dachte ich, ich hab dir längst nen Kommi hinterlassen... Mir ist echt nicht mehr zu helfen... *tiefseufz*
Na, auf jedenfakll war es wiededr einsame Spitze!!
Von:  Subtra
2007-11-01T18:55:06+00:00 01.11.2007 19:55
Ich wusste es das ein neues kap kommt las ich dich online sah, was anderes machste hier eigentlich auch nimmer ^^. Sehr guts Kapitel, wennste mit der Geschichte auch mal fertig bist muss ich sie nochmal lesen damit ich mehr spaß hab dran ^^. Danach machste mit MGMG weiter ^^.


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