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Anime Evolution: Nami

Vierte Staffel
von

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Von Völkern und Familien

Prolog:

„Wir müssen etwas tun! Wir müssen doch irgendetwas tun! Es waren die KI-Meister, die den Angriff auf mein Land abgelenkt haben! Und jetzt lassen Sie all diese KI-Meister mit der AURORA fliegen? Wir haben weder das Gigantschiff identifiziert noch gestellt! Das ist Wahnsinn, schlicht und einfach Wahnsinn!“

Eikichi Otomo runzelte die Stirn. „Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie nicht mehr Teil der UEMF sind, Mr. President? Im Gegenteil, auf Ihrem Staatsgebiet laufen mehrere hundert Klagen gegen meine Organisation, und sogar der internationale Gerichtshof in Den Haag hat einige äußerst schwere Klagen zu bearbeiten, die Ihre Regierung eingereicht hat.“

„Und es wird noch Verrat an der Menschheit hinzu kommen, wenn Sie diesen Wahnsinn nicht beenden! Die AURORA mag ja hinfliegen wo sie will, aber ich verlange, dass die KI-Meister unter Ihrem Kommando auf der Erde bleiben!“

„Wie ich schon sagte, Sie sind aus der UEMF ausgetreten. Sie haben nichts zu verlangen.“

„Es gebietet ja wohl schon der gesunde Menschenverstand, dass wir unsere stärkste Verteidigung nicht so einfach fortschicken dürfen! Immerhin sollen die Mannschaften der AURORA und der Begleitschiffe noch eine Erde haben, zu der sie zurückkehren können. Und vergessen Sie nicht, es dienen noch eine Menge tapferer Amerikaner an Bord dieser Schiffe!“

„Amerikaner, gegen die zivile und militärische Gerichte wegen Landesverrats Klagen angenommen haben.“

„Das tut doch jetzt nichts zur Sache! Wichtiger ist doch, dass Sie einsehen, dass es gegen dieses Riesenschiff nur eine Verteidigung gibt, und diese nehmen Sie der Erde gerade, Direktor Otomo!“

„Abgelehnt, Mr. President.“

„Was?“ „Ihr Ansinnen wurde soeben von mir abgelehnt. Die AURORA verlässt wie geplant das System.“

„Das ist Wahnsinn! Purer Wahnsinn! Otomo, seien Sie kein Narr! Auch Ihr OLYMP wäre ohne die KI-Meister zerstört worden!“

„Nun, es ist kein Wahnsinn, und ich bin auch kein Narr. Im Gegenteil. Denken Sie mal drüber nach. Guten Abend, Mr. President.“

Eikichi deaktivierte die Videoleitung und atmete schwer durch.

„Du bist ein bemerkenswert böser Mensch, Eikichi“, sagte Jerry Thomas amüsiert.

„Warum? Weil ich ihm lediglich ein paar kleine Hinweise gegeben habe?“

„Ja. Warum hast du ihm nicht gesagt, dass längst nicht alle KI-Meister mit der AURORA fliegen werden?“

„Warum, bitte schön, sollte ich ausgerechnet Wilson etwas gutes tun?“

Jerry lachte. „Siehst du? Genau das meine ich. Und du bist sicher, die KI-Meister, die du auf der Erde behältst werden reichen?“

„Sag du es mir.“

„Vielleicht werden sie, vielleicht werden sie nicht.“

„Siehst du. Aber ich kann mit Gewissheit sagen, dass die AURORA ihre Mission nicht schaffen wird, wenn die Zahl ihrer KI-Meister reduziert wird.“ Er seufzte. „Der Flug wird schwer genug.“

„Das glaube ich auch. Immerhin suchen sie Akira und den Core.“

Die beiden Männer taxierten sich einen Augenblick. Auf der einen Seite der Japaner mit dem Hauch Naguad- und Dämonenblut in den Adern, auf der anderen Seite der Amerikaner, der in Wirklichkeit ein über vierhundert Jahre alter Naguad war.

„Vielleicht sollten wir auch einfach warten, bis der Core ihn wieder freiwillig rausrückt“, murmelte Jerry amüsiert.

„Wie kannst du nur so über meinen Sohn sprechen?“, sagte Eikichi streng, während sich rund um seine Augen Lachfältchen zeigten.

„Erfahrung, Erfahrung.“

Wieder sahen sie sich an und begannen lauthals zu lachen. Auch wenn es Akira gegenüber unfair war so zu reden, es tat manchmal gut, die Hoffnungen in ihn völlig zu übertreiben.

Und so fand der Lieutenant Colonel, der Eikichi als Adjutant diente, die beiden Männer hämisch grinsend vor. „Witze über Commander Otomo, Sir?“

Der Executive Commander der UEMF räusperte sich vernehmlich. „Was gibt es, Willard?“

„Über die Standleitung nach Nag Prime kam eine kodierte Nachricht. Ich habe sie gerade dechiffrieren lassen und bin sofort gekommen, als ich den Originaltext in Händen hatte. Hier, bitte, Sir.“

Ein Papierdokument wechselte den Besitzer. Aufmerksam las Eikichi zuerst die fünfhundert Zeichen Datenmüll und dann den eigentlichen Text bevor erneut Datenmüll kam. Dann schloss er die Augen und ließ sich nach hinten in seinen Stuhl sacken.

„Was ist los, Eikichi?“

„Sie ist wach. Sie hat den Tank verlassen, Jeremy. Helen ist wieder draußen.“

Willard hatte erwartet, Freude bei den beiden Männern zu sehen, genauso wie er sich für sie freute. Stattdessen war da nur grimmige Entschlossenheit bei Commander Thomas und ein wenig Erleichterung bei Eikichi Otomo.

„Es geht also los“, stellte Thomas fest.

„Ja. Endlich.“
 

1.

Zwischen der AURORA und der Erde fand ein reger Verkehr statt. Schnelle Einheiten wie Korvetten pendelten zwischen der Mutterwelt der Menschheit und dem Gigantschiff hin und her, um letzte Vorräte und Personal zu bringen, bevor der Riese auf Höhe der Jupiterbahn ins Ungewisse sprang. Das Ziel war Groombridge, eine System bestehend aus zwei roten Zwergsonnen vom M-Typ. Nun, das war von Vorteil. Die niedrige Gravitation der Zwergsonnen bedeutete, dass die AURORA relativ nahe an das Zwillingspaar heranspringen konnte. Außerdem waren die Zwergsonnen leicht zu umfliegen, um den Absprungpunkt ins Kaiserreich zu erreichen. Die Zeitersparnis war enorm.

Aber wer hatte es schon eilig, in die Hölle zu fliegen?

„Der nächste Sprung führt uns zu einer unkartographierten gelben Normsonne.“ Tetsu Genda sah in die aufmerksamen Gesichter der versammelten Offiziere und Bürger der AURORA und nickte zufrieden. „Unser Ziel ist es, mit dem nächsten Sprung Arcturus zu erreichen. Damit befinden wir uns bereits tief im von unseren Naguad-Freunden kartographierten Gebiet des Kaiserreichs. Unsere Route führt uns weitestgehend über Systeme ohne Planeten, um der Aufmerksamkeit des Cores zu entgehen, außerdem wissen wir nicht genau, wie wir im Kaiserreich aufgenommen werden. Reich und Imperium unterhalten zwar einen regen Grenzhandel in der Zwischenzone ihrer Staaten, aber Naguad wird es selten gestattet ins Kaiserreich zu fliegen, und umgekehrt erhalten Iovar selten die Erlaubnis, das Imperium zu betreten. Die einzige Sache die wir definitiv sicher wissen ist, dass die Kommunikation innerhalb des Kaiserreichs mit Hilfe eines Systems aus schnellen Kurierschiffen erfolgt. Es scheint als würde die kaiserliche Familie ihrer eigenen Bevölkerung nicht genug trauen, um ein ähnliches System einzurichten, wie es die Naguad seit gut zweitausend Jahren betrieben haben, bei dem sie allen Schiffen, die aus einem System springen, sämtliche relevanten Nachrichten mitgeben. Etwa paranoid, die Bande.“

„Wem sagen Sie das?“, warf Meras Yukow ein, der Arogad-Kapitän der GARRET.

Vereinzelt erklang Gelächter.

Tetsu wartete einen Moment, bis das lachen abgeebbt war, dann nahm er den Faden wieder auf. „Wie sie alle wissen, dient diese Expedition dazu, im Kaiserreich nach Spuren des Cores zu forschen. Dazu werden wir jene Welt anfliegen, die vor zweitausend Jahren in einer gemeinsamen Operation von kaiserlichen und imperialen Streitkräften angegriffen wurde, um einen Core zu erobern. Die Naguad nennen diese Welt Yossha.

Sie wurde nach dem erfolgreichen Angriff und dem Abtransport des Cores wieder aufgegeben und wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass entweder der Core nach dem Abzug der Flotte alle verwertbaren Dinge abtransportiert und alle Spuren beseitigt hat, oder sich erneut auf dieser Welt festgesetzt hat. Dennoch ist diese Welt unser Ziel.“

Tetsu ballte die Hände zu Fäusten. „Wir werden im Kaiserreich höflich um die Erlaubnis bitten, diesen Planeten anfliegen zu dürfen, um dort nach Spuren zu suchen, die uns tiefer ins Gebiet des Cores bringen werden – aber ich habe keinerlei Problem damit, den Weg notfalls zu erzwingen. Zu diesem Zweck wurden zwei weitere Hammer des Hephaistos auf der AURORA installiert.“

Aufgeregtes Raunen der Offiziere antwortete ihm, zumindest von jenen, die diese Waffe bereits in Aktion erlebt hatten.

„Die strukturelle Integrität der AURORA und die Energieversorgung sind weiterhin gewährleistet, keine Sorge. Wir dürfen nur nicht alle drei Waffen zugleich abfeuern, sonst sitzt Fushida City ein paar Stunden im Dunkeln“, scherzte der Skipper der AURORA.

Wieder wurde gelacht, und Tetsu Genda räusperte sich verlegen. „Wir springen in exakt einer Woche, drei Stunden und fünfzehn Minuten. Für unsere drei Etappen bis Arcturus veranschlage ich vier Wochen. Groombridge will ich in vier Tagen durchquert haben, besser wären drei. Fragen hierzu?“

„Kommodore, wann erfolgt Ihre Beförderung zum Konteradmiral?“

„Bitte nur Fragen, die mit dem Sachverhalt zu tun haben, Admiral Takahara“, tadelte Tetsu.

Kei schnaubte enttäuscht. „Ist ja nicht so als wenn du es nicht verdient hättest.“

Wieder wurde gelacht.

„Andere Fragen, vielleicht?“

„Wird Joan Reilley ein Konzert zum Abflug geben?“

Ungläubige Augen schossen zum Skipper des Fioran-Schiffs NERIABAN herüber.

Kelso Varinest sah unschuldig in die Runde. „Was ist? Ich bin halt ihr Fan. Ist das falsch? Ihr legendäres Konzert, das sie nach der Elwenfelt-Friedensrede auf Lorania gegeben hat, ist auf Nag-Alpha immer noch auf Platz eins der Album-Charts. Und auf Platz eins der Video-Charts. Und auf…“

„Kapitän Varinest, Ihre Begeisterung in allen Ehren, aber das tut nun wirklich nichts zur Sache.“

„Natürlich, Sir. Verzeihung, Sir.“

„Aber ja, sie wird ein Konzert geben, Kelso.“

Der Fioran strahlte über das ganze Gesicht. „Danke, Sir.“

„Oh, danken Sie nicht mir, danken Sie Joan Reilley. Weitere Fragen? Ja, Kommodore Smith?“

„Hat schon mal jemand ernsthaft darüber nachgedacht, dass der Core uns Commander Otomo irgendwann freiwillig übergeben wird? Wenn wir einfach nur warten, dann…“ Roger Smith zog den Kopf ein, um den Protest der anderen abzumildern, aber niemand sprach. Erstaunt sah der Amerikaner in die Runde. Allenorts machten die Menschen, Naguad und Anelph nachdenkliche Gesichter. „Ach kommt! Ihr denkt da doch jetzt nicht ernsthaft drüber nach, oder?“

„Es ist nicht völlig unmöglich“, sagte Sakura Ino ein wenig zu schroff. „Und wer weiß schon, was Akira genau in diesem Moment anstellt? Ich meine, er hat zwei Angriffe auf den Mars geflogen, ist aus einem kronosischen Supercomputer ausgebrochen, hat Nag Alpha auf den Kopf gestellt, vom Kanto-System wollen wir gar nicht erst reden. Vielleicht bringen sie ihn uns wirklich zurück.“

Eine Zeitlang herrschte Stille. Dann klang lautes Gelächter auf.

Nein, die im Besprechungsraum versammelten Offiziere hatten nicht wirklich mit dieser Möglichkeit kokettiert. Oder?

***

Ich nieste. Nun, das war normalerweise nichts besonderes. Aber im Moment hatte ich keinen Körper, sondern besaß nur ein Formbild aus freiem KI, befand mich zudem innerhalb des Computernetzwerk des Cores. Also hätte ich nicht niesen dürfen. Eigentlich. Aber ich hatte geniest. Ein Bug im System?

„Akira, ist alles in Ordnung mit dir? Was war das? Eine Fehlfunktion der holographischen Struktur?“

Ich grinste schief. „Keine Sorge, Aris, da hat wohl nur jemand an mich gedacht.“

Das Mädchen mit den langen braunen Haaren sah mich irritiert an. „Das verstehe ich nicht.“

Ich seufzte leise. Ich vergaß immer viel zu schnell, dass ich es bei der Herrin des Paradies für Daina und Daima mit einer lebensuntüchtigen, verwöhnten, unerfahrenen, aber hoch intelligenten Person zu tun hatte. „Es gibt ein Sprichwort auf der Erde. Wenn man ohne Grund niest, dann weil jemand intensiv an ihn gedacht hat.“

„Oh. Und gerade hat jemand intensiv an dich gedacht? Wie interessant. Wie weit reicht die Methode? Kann man sie benutzen, um die Annäherung von Freunden zu definieren?“

„Aris“, mahnte ich die Herrin des Paradies. „Es ist nur eine Redensart.“

„Ich verstehe das nicht. Was ist eine Redensart?“

„Du steckst wirklich schon viel zu lange in diesem System drin. Du solltest deinen Tank mal verlassen und dich unter einer vollkommen fremden Stadtbevölkerung bewegen. Du würdest dich wundern, wie schnell du neue Dinge lernst. Und die ganzen fremden Gerüche, Geräusche und Eindrücke würden dir auch gut tun.“

„Meinen Tank verlassen? Akira, was sagst du denn da? Das kann ich doch nicht.“

„Wie, das kannst du nicht? Der Core wird auch einmal ein paar Stunden ohne seine Herrin existieren können.“ Sanft strich ich ihr über die Wange. „Willst du es denn nicht wenigstens mal versuchen?“

Sie lächelte mich fröhlich an. „Ich glaube, das habe ich falsch formuliert. Es geht nicht nur darum, dass ich es nicht kann. Ich habe keinen Körper, Akira.“

Ich erstarrte. Mit vielem hatte ich gerechnet, nicht aber, dass die junge Frau, der ich einen Namen gegeben hatte, nur noch als Gehirn existierte. Ich fühlte tiefe Erschütterung bis auf den Grund meiner Seele. „Warum hast du dich entkernen lassen?“

„Entkernen? Wovon redest du?“

„Wann hat man dein Gehirn entfernt?“

„Mein Gehirn? Ich habe nie eins besessen.“

Normalerweise hätte ich bei einer solchen Vorlage ein paar mehr oder weniger gute Witze gemacht, aber die junge Frau hatte mir jeden Wind aus den Segeln genommen. Ich fühlte große Trauer und abgrundtiefes Grauen. Was passierte hier? Was war mit Aris los?

Ich fühlte mich plötzlich sehr müde und ließ mich in das Gras fallen.

„Akira? Stimmt schon wieder etwas nicht mit dir?“

„Nein, nein. Ich möchte nur einen Augenblick hier im Gras liegen. Wenn du willst, kannst du ja schon vorgehen. Ich hole dich dann ein und setze meinen Bericht fort.“

Die Herrin des Paradies der Daina und Daima zuckte mit den Achseln. „Wenn du meinst, Akira.“
 

Ich sah ihr nach, wie sie gelassen über die grüne Wiese schlenderte. Ihr schwarzes Kleid bildete dabei einen scharfen Kontrast zur Umgebung. Bei allen Dämonen von Kuzo-sama, was wurde hier nur gespielt?
 

Ein Schatten schob sich zwischen mich und die projizierte Sonne. Eine große schlanke Frau in einem schwarzen Kleid mit enger Kapuze sah auf mich herab. „Sorgen, Akira Otomo?“

„Ich mache mir nur Gedanken, Kiali.“ Ich richtete mich auf und sah Aris nach. „Was ist sie, Kiali?“

Das Gesicht der Matrone verzog sich zu einem dünnen Lächeln. „Du hast also herausgefunden, dass sie keine normale Daina oder Daima ist.“ Die große Frau seufzte. „Um ehrlich zu sein, ist sie beides nicht. In keinem Sinne.“

Interessiert setzte ich mich auf. Zugleich ließ sich die große Frau neben mir nieder. „Die Prinzessin ist… Aris ist kein Mensch in dem Sinne, den du oder ein Dai benutzen würde. Sie hat nie im Bauch einer Mutter geruht, und sie hat mehr als einen Vater und mehr als eine Mutter. Und sie ist… Noch nicht viel mehr als ein Neugeborenes.“

Ich blinzelte. Irgendetwas furchtbares erwartete mich, das war sicher. „Rede bitte weiter.“

„Sie ist die Summe all derer, die sich im Paradies befinden. Jedes lebende Wesen hat ein wenig AO gespendet, um sie zu erschaffen. Und ich habe dann ihren leeren Geist gefüllt, bis wir den Punkt erreicht hatten, an dem sie anfangen musste, selbstständig zu denken und selbst Entscheidungen zu treffen. Es war der Punkt, an dem aus dem Avatar, der die Summe all dessen war, was das Paradies bewohnt, die Herrin des Cores wurde. Sie hat sich seitdem sehr gut entwickelt. Sie hat viel aus den Fehlern, die ich gemacht habe, gelernt. Ich hoffe, sie wird diese nicht wiederholen.“

„Du wurdest ebenso erschaffen, richtig? Du bist die Summe all jener, die zu deiner Zeit das Paradies bewohnten.“ Ich schoss ins Blaue, aber ich wusste irgendwie, dass ich Recht hatte.

„Ja“, gestand sie schonungslos. „Ich war einst auch die Prinzessin des Cores, und ich habe die meinen in einen endlosen Krieg geführt, um die Wirkungsstätten der Dai zu erreichen. Ich habe es dreitausend deiner Jahre versucht, und dabei mehr verloren als gewonnen.“ Sie seufzte schwer. „Mit den Raegi-Core habe ich dreißigtausend Daima verloren. Ich war für ihren Schutz da, und ich habe versagt. All die Jahre wollte ich es wieder gut machen, aber schließlich musste ich einsehen, dass ich nicht mehr der Summe des Paradieses entsprach. Im Gegenteil, ich war schon viel zu sehr eine eigenständige Persönlichkeit geworden. Darum erschuf ich sie, das Mädchen, das du Aris genannt hast.“

„Wie lange ist das her? Wie lange ist sich Aris ihrer selbst bewusst?“, fragte ich geradeheraus.

„Nicht ganz ein Jahr deiner Zeit.“

Ich hatte eine solche Antwort erwartet, dennoch erschütterte sie mich maßlos. „Sie hat kaum zu leben begonnen, und muss schon einen Krieg führen.“

Kiali schmunzelte. „Den Krieg führst du, Akira. Das war ihre wichtigste und beste Entscheidung.“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich will die Methode des Cores nicht in Frage stellen. Vielleicht ist es die demokratischste und beste Lösung, um einen Befehlshaber für alle zu erschaffen, indem man ihn von allen nimmt, aber dieses Mädchen, dieses Leben hat noch nichts erlebt und nichts gesehen. Sie ist nicht mehr als Laysan, der von seinen Eltern missbraucht wurde, um für mein KI den Container zu spielen.“

„Es ist unsere Art. Und auch sie wird eines Tages eine eigene Identität entwickeln, und wenn sie irgendwann einmal merkt, dass sie nicht mehr den Core repräsentiert, wird sie eine weitere Prinzessin erschaffen. Und wenn dies geschehen ist und die Prinzessin genug gelernt hat, wird sie einen Tag bestimmen, an dem sie sich wieder in all die abermillionen AO-Fragmente auflöst.“

„So wie du es wirst, oder?“

Kiali nickte schwer. „So wie ich es werde, Akira Otomo.“

Mitfühlend sah ich sie an. Meine Hand glitt über das Gras, während ein leichter Wind durch mein Haar ging. „Du hast es auch nie gespürt, oder? Wie sich echtes Gras anfühlt, wie der Wind kalt und schneidend deine Haut rötet, was es bedeutet, sich gegen schweren Regen zu stemmen. Hast nie Todesangst gehabt und dich nie so sehr gefreut, dass du dich vor Lachen kaum halten konntest. Du bist alt, aber du hast sehr wenig erlebt, Kiali.“

Die große Frau lächelte gütig. „Ich kann den Core nicht verlassen, Akira. Aber ich bin dir dankbar dafür, dass du in unser Paradies gekommen bist, denn dank dir konnte ich lachen. Herzhaft lachen. Ich weiß, es ist gemein Aris gegenüber, aber als sie mir empört erzählt hat, dass du ihr einen Kuss gegeben hast, da musste ich lachen. Lang und laut. Ich habe mir den Bauch gehalten und den Kopf abgestützt. Vielleicht kommt das dem Gefühl, einen Körper zu haben, noch am nächsten.“ Sie nickte mir zu. „Danke dafür, Akira Otomo.“

„Vielleicht finden wir ja doch mal einen Weg, mit dem du und Aris den Core verlassen können. Und sei es nur für eine kurze Zeit.“ Nachdenklich legte ich mich ins Gras und sah in den blauen Himmel über mir. „Maltran?“

Wie hingezaubert stand mein Adjutant neben mir. „Was kann ich für dich tun?“

„Wie ist die Lage?“

„Unverändert. Du kannst dir Zeit lassen. Unsere Verbündeten sind zudem immer noch dabei, sich zu sammeln.“

Ich lächelte schwach. „Immerhin. Was macht das Pamphleth?“

„Wir entsenden Raider in die umgrenzenden Systeme, um es zu verbreiten. Die Iovar sind vorsichtig, aber es gibt wieder einmal positive Reaktionen.“

„Das sind gute Nachrichten. Was macht mein Kleiner?“

Maltran musste schmunzeln. „Er fasst alles an, was in seiner Reichweite ist. Aber anstatt ihm das zu verbieten habe ich ihm zwei Offiziere zur Seite gestellt, die ihm alles was ihn interessiert erklären. Soweit es sein kindlicher Verstand aufnehmen kann.“

„Das klingt doch gut.“ Ich richtete mich auf und erhob mich. Dann bot ich Kiali eine Hand um ihr beim aufstehen zu helfen.

„Ich werde meinen Bericht bei der Herrin beenden, Maltran. Danach kehre ich zurück auf mein Flaggschiff. Habe ein Auge auf Laysan. Ich möchte später noch ein Flaggschiff haben, auf das ich zurückkehren kann.“

„Ha, ha. Sehr witzig, Akira“, erwiderte der Core-Offizier eingeschnappt.

Ich lachte und klopfte dem Mann, der mein Freund geworden war, auf die Schulter. Dann wandte ich mich ab und ging Aris hinterher. Kiali begleitete mich. Hatte ich mir das eingebildet, oder hatte die ehemalige Herrin des Paradies der Daina und Daima ebenfalls gelacht?
 

2.

„Ma´am?“ „Ich brauche die Berichte bis heute Abend Punkt zwanzig Uhr Bordzeit. Ich habe keine Lust wegen Ihnen Überstunden zu schieben, Commander.“

Kapitän Winslow, Kommandant des Kreuzers STADTHAGEN, dem neuesten Exemplar der Bismarck-Serie, lächelte dünn vom Bildschirm Sakura Ino zu. „Admiral, Sie haben den Bericht in einer Stunde.“

„Ma´am?“ „Später, Sanchez. In einer Stunde wollen Sie einen Bericht anfertigen, der eigentlich einen halben Tag dauert? Das ist sehr interessant, Captain. Ich weiß Offiziere zu schätzen, die von sich überzeugt sind. Aber kommt nachher vielleicht das große Erwachen?“

„Commander Shiratomi, können Sie sich das kurz mal ansehen?“ „Natürlich, Lieutenant.“

Shawn Winslow lächelte dünn. „Admiral, ich bin mir zweierlei Dinge sehr wohl bewusst. Erstens, dies ist ein Kreuzer der Bismarck-Klasse. Da ich nur wenige Offiziere und Crewmen von der guten alten KOWLOON mitgenommen habe, ist mir klar, dass die Besatzung bestenfalls als grün einzustufen ist. Aber wir tun was wir können, um schnell eine gute Routine zu etablieren. Und zweitens hat mir Admiral Takahara verraten, wie Sie ihn rangenommen haben, als er das Kommando über den Bakesch SUNDER übernommen hat. Ich dachte mir, ein wenig entsprechende Vorbereitungen dürften nicht verkehrt sein.“

„Admiral Ino, das sollten Sie sich ansehen.“ „Später, Hiroko. Gut, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, Shawn, das muss ich zugeben. Also gut, Ihren Bericht in einer Stunde. Wenn Sie es schaffen, klebe ich ein goldenes Sternchen neben Ihren Namen in meiner Anwesenheitsliste.“

„Ein goldenes gleich? Bricht da wieder der Lehrer in Ihnen durch, Admiral?“

Sakura schmunzelte. „Vielleicht ist so ein Admiralsjob von einem Lehrauftrag nicht sehr verschieden. In beiden Fällen muss man einem riesigen Haufen unwissender Kinder Verstand einbleuen.“

„Wie radikal, Ma´am. Gut, dass ich nicht mehr zur Schule muss“, erwiderte Winslow mit einem Schmunzeln.

„SAKURA!“ „Du brauchst nicht gleich zu brüllen, Hiroko-chan! Was gibt es denn so wichtiges?“

„Sieh dir das endlich an!“

Missmutig sah Sakura Ino zur Herrin der Ortungsanlagen der AURORA und danach zu Captain Winslow. „Enttäuschen Sie mich nicht.“ „Natürlich nicht, Ma´am.“

Sie seufzte, nickte und ließ der Verbindung deaktivieren. „Was gibt es denn so dringendes?“

„Wir werden von einem Zerstörer verfolgt, Ma´am“, meldete Lieutenant Sanchez. „Er wird uns in zwei Stunden eingeholt haben, wenn er nicht abbremst. Sein Kurs wird ihn mitten durch die Flotte führen.“

„Mitten durch die Flotte? Warum haben Sie mir das nicht gleich gemeldet?“

Hiroko und der junge Argentinier sahen den Admiral vorwurfsvoll an.

„Ach ja. Ja, schon gut, ich merke es gerade. Verzeihung. Hitomi-chan, haben wir eine Transpondersendung vom dem Gefährt?“

„Negativ, Ma´am. Der Zerstörer fliegt mit Höchstfahrt, ohne Identifikationstransponder und ohne jeglichen rudimentären Funkverkehr.“

„Das ist bedenklich. Können wir die Klasse feststellen? Wenn es ein November ist, könnten wir es mit einem terroristischen Anschlag mit einer Riesenbombe zu tun haben und…“

„Ma´am, der Computer sagt, dass es sich um die ENTERPRISE handelt“, meldete Sanchez.

„Machen Sie mir mal Platz.“ Hiroko setzte sich auf die Arbeitsstation und ließ sich die Realaufnahmen vergrößert einspielen. „Admiral, das ist eindeutig die ENTERPRISE. Hier, dieser neue Aufbau wurde erst vor einem halben Jahr installiert, damit sie einen externen Sprungantrieb aufnehmen kann. Sie sollte als eines der ersten Schiffe der Midway-Klasse selbstständige Patrouillen in den äußeren Systemen durchführen. Außer ihr haben nur noch die MIDWAY, die LOS ANGELES und die NEW YORK den Aufbau erhalten.“

„Hm. Funkanruf. Ich will wissen, was da los ist. Man kann auch ein UEMF-Schiff kapern.“

„Schon“, wandte Hitomi ein, „aber hätte das nicht einen solchen Trubel verursacht, dass wir davon längst wüssten? Zumindest der interne Funk der UEMF würde sich dann doch überschlagen.“

„Das ist ein gutes Argument, aber ich bin nicht bereit, die Sicherheit der Flotte dafür aufs Spiel zu setzen. Wir…“

„Ma´am, können Sie das Morsealphabeth?“

„Warum fragen Sie, Sanchez?“

„Es sieht ganz so aus, als würde der Signalgast der ENTERPRISE uns mit den Frontsuchscheinwerfern eine Nachricht zumorsen.“

Sakura runzelte die Stirn. „Ich will den Text, sobald er erfasst ist.“

„Jawohl, Ma´am.“

In diesem Moment betrat Kommodore Genda die Zentrale der AURORA. „Habe ich was verpasst?“ Gut, gut, das war nicht der klügste Witz, den man reißen konnte, aber etwas erstaunten ihn die überraschten Blicke der anwesenden Offiziere doch.

***

Die Nachricht der ENTERPRISE, mehrfach wiederholt, hatte die Bitte um ein Passiermanöver enthalten.

Als der Zerstörer die Flotte passierte, entließ er aus seinen Startröhren vierzig Mechas der Typen Eagle, Hawk und Sparrow, also ein volles Bataillon. Dazu kamen ein halbes Dutzend Transportshuttles. Und alle reduzierten sie ihre Eigengeschwindigkeit massiv und versuchten die geöffnete Schleuse der AURORA zu erreichen.

Nachdem dieEinheiten das riskante Manöver bewältigt hatten, wurde der Hangar mit Atemluft geflutet und aufgeheizt.

Die Transporter öffneten sich und entließen ein Heer an Technikern und Soldaten. Die Männer und Frauen eilten zu den gelandeten Mechas und leisteten den Piloten Ausstiegshilfe.

„Was zum Henker ist denn hier los?“, brummte Tetsu Genda verwundert.

„Ich glaube, das habe ich noch nie gesehen.“ Kei Takahara starrte mit weit aufgerissenen Augen in den Hangar hinein.

„Sieben. Nein, acht. Acht Nationalitätsflaggen bisher. Auf die Erklärung bin ich gespannt“, brummte Makoto ernst.

„Und ich erstmal.“ Sakura betrat den Hangar.

Einer der Soldaten entdeckte sie und brüllte: „ADMIRAL AN DECK!“

Sofort nahmen die Soldaten, Techniker und Piloten Haltung an.

„Rühren. Wer hat hier das sagen?“

„Admiral, Oberst Vitali Kuratov. Ich befehlige dieses Bataillon.“ Der große Russe salutierte vor der blonden Frau.

„Hm. Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuchs?“ Sie ließ den Blick über die Gesichter schweifen und stellte fest, einige schon einmal gesehen zu haben.

„Nun, Sie haben sicherlich festgestellt, dass meine Untergebenen aus neun verschiedenen Nationen stammen.“

Kei boxte heimlich Makoto in die Seite. „Und ich sage noch, das war eine italienische Flagge.“

„Und?“

„Ma´am, ich befehlige Russen, Deutsche, Chinesen, Franzosen, Briten, U.S. Amerikaner, Italiener, Israeli und Ägypter.“

„Das ist eine sehr interessante Zusammenstellung. So etwas haben wir in der UEMF aber öfter. Wir…“

„Admiral, wir gehören nicht zur UEMF. Bis vor kurzem waren wir ausschließlich unseren Heimatländern verpflichtet.“ Der Mann richtete sich stolz ein wenig mehr auf. „Und mit Verlaub, wir waren die Besten in unseren Ländern und können es ohne Weiteres mit den Titanen aufnehmen. Und wir können sicherlich mit den Hekatoncheiren mithalten.“

Zustimmendes Gemurmel kam aus der Menge.

„So, so. Sehr interessant. Was hat das mit uns zu tun?“, fragte Sakura amüsiert, die schon längst wusste, worauf der Oberst hinaus wollte.

„Ma´am, wir sind die Besten der Besten all jener, die nicht im UEMF-Dienst stehen. Ich habe sie ausgewählt, angesprochen und in Sibirien so lange trainiert, bis sie wie eine Einheit arbeiten. Wir sind keine Individualisten, und wir sind auch nicht auf unsere Nationen reduziert. Wir sind ein vollwertiges kampfstarkes Bataillon.“ Er senkte kurz den Blick. „Einige von uns mussten alle Brücken hinter sich abbrechen, um hierher kommen zu können.“

Der große Mann sah wieder auf. „Ma´am, unsere Länder schicken uns, damit wir bei der Suche nach Commander Otomo helfen. Und Ma´am, wir haben uns alle freiwillig für diesen Job gemeldet. Wir sind die Besten der Besten von jenen, auf die Sie nicht die Hand legen können, deshalb kommen wir von selbst.“ Der russische Elite-Pilot sah sie ein wenig unsicher an. „Und viele von uns können auch nicht mehr zurückkehren. Wir bringen unser eigenes Personal mit, haben eigene Ersatzteile, die von Freunden und Sponsoren finanziert wurde und belegen nur wenig Platz.“

„So, so. Und das soll mich nun dazu veranlassen, Ihre zusammengewürfelte Bande aufzunehmen, Oberst Kuratov?“ Sakura Ino schmunzelte. „Sie müssen natürlich in die UEMF eintreten. Damit treten Sie automatisch in die Dienste des Hauses Arogad. Ich hoffe, das dämpft Ihren Optimismus nicht.“

Leises Gelächter ging durch die Reihen der angetretenen Soldaten. Vitali Kuratov schmunzelte. „Damit treten wir direkt in Akiras Dienste, oder?“

„Mehr oder weniger ist das korrekt.“

„Ich bin mit ihm geflogen, Ma´am, und das mehr als einmal. Wir haben zusammen New York davor bewahrt, zusammen geschossen zu werden. Ich war mehrfach mit ihm über Europa im Einsatz, und er hat mich angeführt, als wir den einzigen Angriff auf Moskau abgewehrt haben. Es ist mir eine Ehre, wieder unter ihm zu dienen. Und unter Ihnen, Ma´am.“

Ein Mann mit deutscher Flagge auf dem Oberarm trat vor. „Ich bin mit dem Commander über München, Frankfurt und Paris geflogen.“

Eine große Technikerin mit italienischer Flagge am Oberarm trat vor. „Der Commander hat mich und meine Einheit gerettet, als Rom angegriffen wurde. Sein Daishi hat alle Raketen gefressen, die für uns gedacht waren.“

Ein Israeli trat vor. „Commander Otomo hat meinen Vater gerettet, als der über Ägypten gegen die Kronosier geflogen ist.“

Ein Ägypter trat vor. „Meine Einheit hat eine Schleuse des Suez-Kanal gehalten. Wir sahen schon unser Ende gekommen, als der Zerstörer auf uns herab kam. Aber der Commander hat uns mit den israelischen Verstärkungen den Arsch gerettet. Entschuldigen Sie die Wortwahl, Admiral.“

Sakura winkte ab, bevor noch mehr Leute vortreten konnten. „Schon gut, schon gut. Ich stelle Sie hiermit in Dienst als Erste Mobile Eingreiftruppe der AURORA. Sie alle sind keiner spezifischen Aufgabe oder einem bestimmten Schiff zugewiesen, dementsprechend flexibel werde ich Sie einsetzen. Bitte entfernen Sie die Nationalitätsflaggen. Sie erhalten später eine Flagge der UEMF.“

Das typische ratschende Geräusch erklang, als fast zweihundert Leute die Nationalfahnen von der Klettverschlussoberfläche ihrer Ärmel rissen. Dutzendfach wurden die Nationalfarben zu Boden geworfen oder sorgsam eingesteckt. Nach wenigen Sekunden waren die Schultern blank.

Sakura lächelte. „Willkommen an Bord.“

Die neue flexible Eingreiftruppe jubelte.

***

Unter lautstarkem Protest einiger Staaten, deren Mehrheit die UEMF verlassen und ihr sogar den Krieg erklärt hatten – im Moment herrschte ein nicht erklärter Waffenstillstand, der auf wackligen Beinen stand – bereitete sich die AURORA auf den Sprung vor. Groombridge erwartete sie. Zwar war das System bereits einmal angeflogen worden, weil es in der Nachbarschaft der Erde lag, aber regelmäßige Patrouillen fanden nicht statt. Dafür war das System aus zwei Zwergsonnen zu weit weg und zu uninteressant.

Es bestand natürlich die Gefahr, dass eine Flotte Raider-Einheiten genau das gleiche dachte und das System und seine kleine Schwerkraftsenke als Aufmarschgebiet nutzte. Aber sollte es so sein, würde die Expedition sogleich einen konkreten Hinweis auf die Position des Core-Einflussgebietes haben. Denn Groombridge war auch ausgewählt worden, weil es eine ideale Plattform für einen Sprung ins Kaiserreich darstellte.

Die letzten Vorbereitungen verliefen bemerkenswert unspektakulär, wenn man daran dachte, welche Mühe es die Verantwortlichen gekostet hatte, um überhaupt bis hierher zu kommen. Es musste nicht mehr viel Zeit vergehen, um das Jahr, das Akira Otomo verschollen war, voll zu machen, und das war eine untragbare Situation für die Menschen, Anelph und Naguad an Bord.
 

Torum Acati lächelte von seinem Bildschirm in die Zentrale der AURORA herab. Neben ihm stand Admiral Richards, frisch gebackener Stellvertretender Kommandeur der regionalen Flottenzentrale Terra. „Wir alle wünschen euch viel Glück, AURORA. Bringt uns diesen Hitzkopf bloß heile nach Hause. Und auch wenn ihr das mächtigste Schiff fliegt, das jemals diesen Bereich des Universums durchquert hat, vergesst das alte terranische Sprichwort nicht: Viele Hunde sind des Bären Tod.“

„Das werden wir nicht, keine Sorge, Torum. Und Akira zu finden wird relativ leicht sein. Wir brauchen nur nach den größten Zentren des Chaos Ausschau zu halten.“

Acati zog die linke Augenbraue hoch. „Das ausgerechnet du mal so etwas sagen würdest, Solia Kalis, hätte ich nie erwartet.“

„Ich extrapoliere nur meine Erfahrungen mit Akira“, erwiderte sie todernst.

Sostre Daness, der als Beobachter für sein Haus an der Operation teilnahm, runzelte kurz die Stirn. „Das Argument halte ich für plausibel.“

Leises Gelächter erfüllte die Zentrale.

„Wie dem auch sei, Solia, dir und allen anderen viel Glück.

Admiral Ino, Sie haben Erlaubnis zum Sprung.“

„Aye, Aye, Admiral Acati. Kommodore Genda, klar Schiff zum Sprung.“

„Aye, klar Schiff zum Sprung.“

Die gigantischen Generatoren im Heck des Schiffs erwachten, der Pulsantrieb wurde deaktiviert und die Projektoren für das Wurmloch aktivierten sich. Wieder einmal wurde ein Loch in die Raumzeit gerissen und Groombridge auf die Distanz von wenigen Wochen heran geholt.

Die letzten Begleitschiffe landeten oder aktivierten ihre eigenen Sprungantriebe, um das Wurmloch der AURORA mitbenutzen zu können.

„Wurmloch steht, Ma´am.“

„Gut, Kommodore Genda. Wir fliegen ein.“

Die hyperschnelle Realzeitverbindung würde bestehen bleiben; die AURORA und die Erde und damit auch der Mars würden weiterhin in Echtzeit miteinander kommunizieren können. Aber dennoch war es ein erhebender Moment, als das Gigantschiff das heimatliche Sonnensystem wieder verließ.

Dann befanden sie sich auf der künstlichen Straße, die aus zwanzig Lichtjahren wenige Wochen Flugzeit machte. Die AURORA war wieder unterwegs. „Endlich“, murmelte Sakura, und nicht wenige Brückenoffiziere nickten dazu.

***

„Sektor vier, keine Spuren feindlicher Aktivitäten“, meldete Colonel Ataka. Er flog mit seiner Patrouille den Randbereich von Greenwich ab, der namenlosen gelben Sonne, die sie von Groombridge nach Arcturus bringen sollte. Von der Erde aus war sie nicht zu sehen, weshalb sie bisher unentdeckt geblieben war. Und da sie in Reichweite der Sprungantriebe war, hatten die irdischen Astronomen beschlossen, das Recht der Namensgebung dem ersten terranischen Schiff zu überlassen, das jene Sonne anflog. Greenwich also. Nicht unbedingt ein intelligenter Name, aber auch kein vollkommener Unfug, fand Doitsu Ataka.

Jedenfalls schien Greenwich um einiges attraktiver und interessanter zu sein als Groombridge, im düsteren Licht der beiden roten Zwergsonnen, wo es nichts gegeben hatte außer Steinen, Steinen, Steinen und einigen gigantischen Wasserstoffwolken, welche die Chance, Planeten der Jupiterklasse zu werden, schon lange verpasst hatten.

Das düstere System war frei gewesen von Feindaktivitäten, insoweit war ihr Pokerspiel aufgegangen. Aber Doitsu war jedesmal sehr froh gewesen, wenn er mit seinem Phoenix hatte wieder einschleusen dürfen, um in den strahlend hell erleuchteten Innenraum der AURORA zu kommen, wo ihn das Licht der gelben Muttersonne und das geschäftige Treiben einer Großstadt erwartete.

Greenwich war da schon interessanter. Eine gelbe Normsonne des G2-Spektraltyps machte sie interessant; und kurz vor dem Sprung hatten die Führungsoffiziere Wetten darauf abgeschlossen, ob sie hier auf Feinde, bewohnte Welten oder beides treffen würden.

Tatsächlich hatten die Astronomen sehr bald dreizehn Planeten ausgemacht, von denen zwei in der Ökosphäre ihrer Sonnen lagen. Expeditionsteams waren ausgeschickt worden, um diese Welten zu untersuchen, während Patrouillen aus LRAOs und Mechas aller Klassen per Booster die Eiswelten am Systemrand und die Gasriesen anflogen, um dort nach Hinweisen auf Leben, sprich: Feindaktivität zu suchen. Doitsu hatte es übel erwischt. Er musste mit zwei Hawks und einem LRAO den äußersten Planeten aufsuchen. Nun, er hatte vor sich dafür bitterlich zu rächen und als erster einen Fuß auf diese Welt von der Größe des Neptuns zu setzen. Er hatte auch schon einen passenden Namen parat: Hades, benannt nach der Unterwelt der griechischen Mythologie und dem Gott, der dort die Regie führte. Für die beiden Monde, die sie bisher entdeckt hatten, hatte er auch schon passende Namen, Tanathos und Hypnos.

Passende Namen, fand Doitsu nicht ohne Stolz. Dennoch wäre er lieber bei den Expeditionen dabei gewesen, die Grennwich III und IV anflogen, während die AURORA mit dem Gros ihrer Begleitflotte das System umflog, um den Absprungpunkt nach Arcturus zu erreichen. E klang einfach interessanter. Außerdem war der Weg kürzer als für ihn und die anderen Kommandos, welche die anderen Randwelten und die Gasriesen aufsuchten.

Schade, aber nicht zu ändern.
 

Als das kleine Corps Hades erreicht hatte, landete Doitsu mit seinem mächtigen Phoenix als erster auf der vereisten Welt. Sie bestand fast ausschließlich aus Methaneis mit Einschlüssen von Wasserstoff und Sauerstoff. In einem anderen Fall hätte diese Welt eine vortreffliche Bombe abgegeben, und die Einschlüss an Gestein hervorragendes Schrappnell.

„Hiermit“, rief Doitsu Ataka und rammte mit den voll modulierten Händen seines Mechas eine UEMF-Fahne in das Eis, „nehme ich diese Welt für die United Earth Mecha Force in Besitz und taufe sie auf den Namen Hades. Des Weiteren benenne ich die beiden Monde Tanathos und Hypnos. Beschwerden bitte schriftlich, Lobpreisungen können über Funk erfolgen.“

„Sehr witzig, Sir“, meldete sich Elena Brinkmann zur Wort, die sich der Expedition mit einem russischen Hawk angeschlossen hatte. Die junge Frau hatte in Groombridge bei Routinetest überraschenderweise Talent für die KI-Anreicherung der Booster gezeigt, was sie für eine solche Mission geradezu prädestinierte. „Wenn Sie nichts dagegen haben, umrunde ich jetzt Tanathos und nehme Oberflächenscans durch. Oder darf ich den Mond umbenennen, wenn ich auf ihm lande?“

„Unterstehen Sie sich und bringen Sie meine Pläne durcheinander“, mahnte Doitsu grinsend. „Der LRAO bleibt im Orbit um Hades. Halten Sie die Augen auf, Scott.“

„Jawohl, Sir.“ „Und der zweite Hawk fliegt dann Hypnos an. Und wehe Sie benennen den Mond um, Lieutenant Tsao.“

„Ich werde mich hüten, Sir.“

Doitsu grinste zufrieden. Seine Truppe war zusammengewürfelt, sicher, das lag einfach an den besonderen Anforderungen der Booster. Mittlerweile hatten sie genügend der Hightech-Maschinen, aber nun gab es zu wenige KI-Meister um sie zu nutzen.

Dennoch fand er, dass er mit Brinkmann, Tsao und Fähnrich Scott gut zusammenarbeitete.

„Dann wollen wir mal, Ryu. Beginne mit dem Bodenscans.“

„Ja, Sir. Darf ich noch einmal darauf hinweisen, dass mir das fehlen von Mittelstreckenbewaffnung nicht behagt?“

Doitsu runzelte die Stirn. Seit sie die AURORA verlassen hatten, ritt die künstliche Intelligenz des Phoenix auf diesem Umstand herum. Und Doitsu bekam langsam das Gefühl, dass er einen seiner seltenen Fehler gemacht hatte. Er hatte Rakten und ein Snipergewehr für den Fernkampf und eine Artemislanze für den Nahkampf mitgenommen. Durch die Belastung, die der Booster darstellte, hatte er auf weiteres Gewicht verzichtet. War das nun wirklich so klug? Doitsu Ataka, gestählt von über zwanzig Schalchten, war sich sicher, es jederzeit mit zehn oder mehr Gegnern zugleich aufzunehmen. Das war keine Hybris, sondern Beobachtung. Er hatte es schon mal mit zehn Core-Mechas aufgenommen und er hatte gewonnen. Auch auf dem Mars war es sein Hawk gewesen, der wie kaum ein andere, Megumi und Akira mal außen vor gelassen, durch die Reihen der Gegner gepflügt war. Er wusste einfach, dass er gut war. Aber er wusste auch, dass Arroganz immer vor dem Fall kam. Selbstvertrauen war gut und schön, aber es durfte nicht in Selbstüberschätzung gipfeln.

Und wenn sie hier auf einen Gegner trafen und dieser sich auf Mittelstrecke einschoss, ohne eine Chance, nahe an ihn heran zu kommen, würde ihm einer der Hawks aushelfen müssen, während der andere Scott und ihr Ortungsteam bewachte. Oder während der Flucht begleitete.

Langsam schlich sich die Erkenntnis in Doitsus Bewusstsein, dass weglaufen mit den Boostern eventuell eine militärische Option war, wenn es hart auf hart kam.

„SIR!“

Vor Schreck riss Doitsu den Phoenix herum. Ein einziger Sensordruck, und Ryu öffnete die Abdeckungen der Raketenabschussvorrichtungen. „WAS?“ Feinde? Wo? Welche Richtung? Wie viele?“

„Sir, der LRAO hat was auf Thanatos geortet und ich bin für einen Nahscan hier gelandet. Es ist vielleicht besser, wenn Sie sich das mal selbst ansehen“, meldete Elena Brinkmann.

„Bin unterwegs.“ Er trat die Düsen des Sprungtornisters durch und trieb den Phoenix vom Planeten fort, in Richtung des größeren seiner Monde. Der LRAO kreiste im Orbit um diese Welt, während der Hawk von Brinkmann gelandet war. Der Flug dauerte nicht lange, und schon bald stellte Colonel Ataka eigene Scans an. „Ich glaube, eine angreifende Übermacht wäre mir jetzt lieber“, stöhnte er.

„Sollten wir nicht die AURORA verständigen?“, fragte Scott irritiert, während seine Ortungsfachleute leise lamentierten.

„Ja, das sollten wir. Aber die Antwort wird ein paar Stunden brauchen.“

Wieder erhob sich der Phoenix mit Hilfe seiner Sprungdüsen in den Orbit. Dort suchte und fand Doitsu die aktuelle Position der AURORA, richtete den Funk darauf ab und gab seine Meldung durch. „Colonel Ataka hier. Ich melde hiermit die Existenz einer Bunkeranlage unbekannter Herkunft auf dem größeren Mond des äußersten Planeten Hades, dem Thanatos und erbitte weitere Anweisungen. Während ich auf Antwort warte, werde ich weitere Scans durchführen lassen. Ataka Ende.“

Doitsu wollte gerade wieder auf Thanatos landen, als Ryu sich zu Wort meldete. „Gestreute Sendung für die AURORA, Sir. Wir sind nicht das Ziel des Funkanrufs, aber wir kriegen ihn relativ klar rein.“

„Ich will ihn sehen.“

Ryu bearbeitete die einkommende Nachricht, dann gab er sie Doitsu auf einen Hilfsschirm.

Hina Yamada erschien auf dem Bildschirm. Sie hatte den Auftrag, Greenwich III zu erforschen, jedenfalls so gut wie es in den paar Tagen möglich war, die ihnen beim Durchflug der AURORA blieben.

Sie sah übermüdet aus, regelrecht verstört. „Colonel Yamada hier. Admiral, hiermit melde ich, dass Greenwich III, Eigenname East End, für eine menschliche Kolonisierung in Frage kommt. Wir sind nicht auf eingeborene Intelligenzen getroffen, jedenfalls nicht auf dem Land. Allerdings haben wir das entdeckt.“

Das Bild wechselte, und Doitsu spürte, wie ihm der Atem stockte. „Das ist doch…“

„Erste Analysen“, klang wieder Hinas Stimme auf, „sprechen davon, dass es sich bei diesen Bildern um Ruinen von Großstädten handelt. Wir haben aber keinerlei Leben im Bereich der Städte ausmachen können. Dafür aber die Überreste von dem, was einmal ein Orbitalfahrstuhl gewesen sein könnte.“

Das Bild zeigte nun einen riesigen Krater, in dem ein deformierter metallischer Riesenklotz ruhte, der einmal dem OLYMP ähnlich gewesen sein mochte. In einiger Entfernung vom Krater erhob sich eine Pyramide, die vielleicht mal das stationäre Gegenstück gewesen war.

Auf der Erde übernahm diese Position eine frei schwebende Plattform, hier hatte man sich anscheinend für ein stationäres Gegenstück auf der Oberfläche entschieden.

„Außerdem fanden wir hunderte weitere Krater, die entweder den Absturz eines Schiffs markieren, oder ein schweres Bombardement. Wir fanden keinerlei Spuren von radioaktiver Strahlung, bakterieller oder chemischer Kriegsführung, obwohl hier die letzten Analysen in den Städten noch ausstehen. Ich habe Befehl gegen, dass sich niemand der Atmosphäre aussetzt; Heimkehrer zur GRAF SPEE werden vor betreten des Schiffs aus Sicherheitsgründen dekontaminiert. Doch das ist noch nicht alles.“

Wieder wechselte das Bild und zeigte einen großen Ozean auf East End.

Eine Computergraphik wurde dazwischen geschaltet, und nun konnte man ein Unterwassergebirge erkennen, weiter, gigantischer und tiefer als der Grand Canyon auf der Erde. Doch dieses Gebirge glitt wie abgeschnitten zweitausend Meter in die Tiefe. Eine simulierte Kamerafahrt folgte dieser Bruchstelle einmal und offenbarte die ungefähre Form eines Kreises mit dem Radius von siebenundsechzig Kilometern.

„Kitsune vermutet, dass hier eine Dämonenwelt vernichtet wurde. Ich bitte um weitere Anweisungen. Colonel Yamada Ende.“

Doitsu fühlte, wie seine Hände im Raumanzug zu schwitzen begannen. „Was ist hier passiert? Was ist hier nur passiert?“ Es gab also etwas oder jemand da draußen, der eine Dämonenwelt vernichten konnte. Wie interessant. Wie tödlich.
 

3.

Commander Kevin Lawrence sah in die Runde der anwesenden Offiziere. Abgesehen von jenen, die mit Schiffen, Mechas und Shuttles dort draußen unterwegs waren, um die Datenbank des Wissenschaftsoffiziers zu füllen, waren es eine ganze Menge.

„Meine Damen und Herren, ich bin nun in der Lage, ihnen allen einen Zwischenbericht über die Situation zu geben, die wir im Greenwich-System angetroffen haben.“

Sein Blick ging von Admiral Ino zu Kommodore Genda und von dort zu Megumi Uno. „Eines kann ich mit absoluter Sicherheit bestätigen. Was immer hier passiert ist – dazu habe ich bereits mit meinem Stab einige Thesen entwickelt – passierte vor mindestens achttausend Jahren. Deshalb können wir die Ruinen der Städte lediglich an ihren Grundrissen identifizieren. Die einzig erhaltenen Städteruinen sind im Hochland auf dem Äquator-Kontinent, neben einem ausgedehnten Raumhafengelände. Die Hochlandluft, trocken und lebensfeindlich, hat den Vormarsch der Natur weitestgehend gestoppt. Expertenteams suchen in den Mülleimern dieser Stadt nach weiteren Hinweisen, was genau passiert sein könnte.

Sicher ist aber eines: Auf East End wurde tatsächlich eine Dämonenwelt vernichtet.“

Aufgeregtes Raunen antwortete dem Kronosier, der seit dem ersten Tag der Indienststellung auf der AURORA Dienst tat. Ursprünglich für die Resonatortorpedos verantwortlich hatte Kevin sich hochgearbeitet und unterhielt nun eine Position, die ihm mehr zusagte. Manchmal gingen Träume halt doch in Erfüllung. Das sie sich aber so schnell in Albträume wandeln konnten hätte er sich sicherlich nicht träumen lassen.

„Die Waffe, die diese Dämonenwelt ausgelöscht hat, ist wahrscheinlich identisch mit der Waffe, die neulich auf die Erde abgefeuert und die von terranischen KI-Meistern abgelenkt wurde.“

Sostre Daness sah erschrocken auf. „Moment mal. Abgesehen davon, dass wir das angreifende Riesenschiff weder mit Naguad-Datenbanken noch mit Anelph-Erkenntnissen, geschweige denn jenen der jungen Raumfahrt Terras definieren konnten, wollen Sie mir erzählen, dass ein ähnliches Schiff East End zerstört hat?“

Kevin nickte leicht. „So in etwa. Bis auf eine Einschränkung. Der vierte Planet von Greenwich, Eigenname West End, ist ebenfalls bewohnt gewesen. Admiral Takaharas Teams haben dort eine ähnliche Situation vorgefunden, bisher aber noch keine Spuren einer vernichteten Dämonenwelt.

Ich kann also nicht mit absoluter Gewissheit sagen, wer die Städte ausradiert hat. Waren es Raider, waren es die Streitkräfte von West End und East End, die sich in einem gigantischen Bürgerkrieg gegenseitig ausgerottet haben oder war es das unbekannte Gigantschiff? Wir wissen nur eines sicher: Die Dämonenwelt auf East End wurde mit einer Waffe vernichtet, die jener gleicht, die unsere KI-Meister abgewehrt haben. Aber eines kann ich sicher sagen: Wir können die Raider ausschließen. Die ersten Datierungen lassen darauf schließen, dass die beiden Welten vor etwa achttausend Jahren vernichtet wurden. Damit befinden sie sich an der äußersten Grenze des Daina-Daima-Konflikts, der einst in diesem Teil der Galaxis getobt hat. Doktor Taylor, bitte halten Sie Ihr Referat.“

Henry William Taylor, ehemaliger Erzfeind Akiras und jetziger treuer Gefolgsmann, erhob sich und tauschte den Platz mit Kevin Lawrence.

„Herrschaften, was ich jetzt sagen werde, ist einigen von ihnen bereits größtenteils bekannt. Ich will das ganze chronologisch korrekt darstellen und mit Erklärungen versehen.

Fakt ist, dass es im Moment so aussieht, als wäre die Erde, unsere Heimat, der Ursprung einer Rasse, die wir Dai nennen, die Hohen. Etwaige Ähnlichkeiten mit Begriffen der japanischen Sprache sind kein Zufall, sicherlich phonetische Vererbung über die Jahrtausende hinweg.

Diese Dai waren etwas sehr besonderes, eine Hochkultur, die weder wir noch die Naguad besitzen. Jedenfalls waren die Dai eine expansive Rasse. Von der Erde aus besiedelten ihre Nachfahren die nähere kosmische Umgebung und darüber hinaus. Diese Auswanderer, die sich Daima nannten, wurden teilweise von Dai begleitet. Das ist ein interessanter Aspekt, bedeutet er doch, dass eine bestimmte Voraussetzung notwendig war, um Dai zu werden. Wir können davon ausgehen, dass die Dai ein relativ kleiner Kreis von Auserwählten waren, während das Gros der Bevölkerung von den Daima gestellt wurde. Das war auf Terra, auf dem Mars und auf Lorania sicherlich ähnlich. Und die alten Texte, die ich auf Nag Prime recherchieren konnte belegen, dass auch Iotan ein ähnliches System hatte.

Was geschah dann? Jahrtausende lang nichts. Die Daima, teilweise unterstützt und begleitet von den Dai, breiteten sich über diesen Teil der Galaxis aus. Ihnen folgten die Daina, Menschen von der Erde, die sich Terra weit mehr verpflichtet sahen als die Daima. Auch sie wurden von Dai begleitet.

Was damals genau geschah ist nicht bekannt. Aber wir wissen, dass es zum Krieg zwischen Daima und Daina kam. Auch die Dai waren darin involviert und fanden sich plötzlich auf zwei verschiedenen Seiten wieder.

Dieser Konflikt begann vor gut fünfzehntausend Jahren und zog sich bis vor achttausend Jahren dahin. Die Phasen dieses Krieges waren unterschiedlich. Es gibt kaum gesicherte Daten, aber in diesen Kriegsjahren gab es immer lange Perioden des Waffenstilstands, der oft Jahrhunderte andauern konnte, bevor irgendeine Daima- oder Daina-Welt den bestehenden Status Quo wieder über den Haufen warf.

Wir wissen wenig über die Motive, die Gründe und über die Waffen in diesem Krieg. Es gibt Hinweise darauf, dass es hauptsächlich in den Konflikten darum ging, wie die Nachfahren der Dai mit fremdartigen Intelligenzen umgingen, die sie während der Besiedlung dieses Sektors entdeckten. Grund genug für bewaffnete Konflikte, auch innerhalb der Fraktionen Daima und Daina. Aber das war sicher nur einer der Gründe.

Interessant für uns ist nur eines. Lange bevor auf Iotan die Grundlagen für die Core-Zivilisation geschaffen wurde, griff eine unbekannte Macht ein und beendete den Krieg. Sie zerstörte die Zivilisationen ungezählter Daima- und Daina-Welten, und nicht einmal die mächtigen Dai konnten dies verhindern. Im Gegenteil. Die Dai wurden schnell zum Hauptziel dieser Angriffe, weshalb sie sich in die Daimon genannten Schutzzonen zurückzogen, um einerseits der Vernichtung zu entgehen und andererseits ihre Schutzbefohlenen nicht vorsätzlich zu Zielen zu machen.

Wir wissen, dass der Feind übermächtig, kompromisslos und überaus brutal war. Wir wissen auch, dass viele Welten komplett entvölkert wurden. Es muss ein schreckliches Massaker gewesen sein, das sich über Jahrhunderte hinweg zog und schließlich die Erde und den Mars erreichte. Der Mars wurde komplett entvölkert und die Daina-Bevölkerung der Erde Jahrtausende weit in der Entwicklung zurückgeschleudert.

In der terranischen Legendenwelt gibt es Hinweise auf globale katastrophale Ereignisse wie die Sintflut und das jüngste Gericht in der Bibel, Ragnarök als Ende der Welt bei den Wikingern und Germanen, die Vision von gigantischen Schiffen und Atombombenexplosionen in der Hindu-Kultur und das Ende ganzer Zeitalter und das erlöschen der Sterne anhand der Azteken-Sagen, nach denen wir uns bereits in der fünften neureformierten Welt befinden. Ich bin mir nun sehr sicher, dass das Gros dieser Texte auf vergangene Ereignisse weist, die Vernichtung der Daina-Kultur auf der Erde durch die fremden Schiffe.

Das ist der Stand meines Wissens.“

„Und der Mars wurde zu einer Wüste, während auf der Erde das Leben auf primitivem Niveau neu begann“, murmelte Sostre ernst. „Die Dai, oder wie ihr sie nennt, die Daimon, konnten aber nicht aktiv beim Wiederaufbau helfen, ohne die Daimon zu verlassen, die Schutzzone. Eine Schutzzone, die nicht die Daimon schützen sollte, sondern die Daina.“

„Nein, das ist so nicht richtig, Sostre Daness“, sagte Okame-sama mit dunkler, tragender Stimme. „Die Daimon, die von unseren Vorfahren eingerichtet wurden, existierten lange vor den Angriffen. Sie waren unser Rückzugsgebiet, gedacht für den Fall, an dem wir die Daina ihren eigenen Taten überlassen mussten. Dieser Tag kam nie, dafür kamen die Götter. Ich denke, nun, wo die meisten Fakten auf dem Tisch liegen, müssen Kitsune-tono und ich uns nicht großartig zurückhalten.“

„Und wann haben Sie daran gedacht, uns diese Informationen ebenfalls mitzuteilen, Okame-tono?“, fragte Genda ernst.

„Sobald es nötig oder obligatorisch wurde.“

„Das tut doch jetzt nichts zur Sache. Wir sind hier auf eine Welt gestoßen, auf der es die Überreste einer Kultur entweder der Daina oder der Daima gibt. Eine Daimon wurde zerstört. Und nach achttausend Jahren Überlebende zu finden, sollte etwas schwierig sein.“

„Nein, es sollte dennoch möglich sein. Kitsune-tono hat berichtet, dass sie Emissionen des Liberty-Virus empfangen hat. Zumindest auf East End kann es Überlebende gegeben haben.“

„Was, bitte, ist der Liberty-Virus?“

Okame räusperte sich. „Der Liberty-Virus ist eine Art Nano-Maschine. Das absolute Highlight der Dai-Technologie in Verbindung mit unserer herausragenden Fähigkeit, KI zu manipulieren. Der Virus ist unser Schutzschild. Die Daimon, oder wie ihr sie nennt, die Dämonenwelt, ist mit KI gesättigt, in einem weit stärkeren Maße als jeder beliebige andere Ort auf der Erde. Die Viren, die in einen Zahlenbereich gehen, der die Moleküle eines mittleren Mondes übersteigt, haben die Daimon ebenfalls gesättigt. Ihr Auftrag ist einfach und simpel: Sie verschieben die Raumzeitrealität auf ein anderes Niveau. In diesem Bereich können die Götter uns nicht aufspüren, zumindest nicht im Idealfall. Solange genügend KI vorhanden ist, also in diesem Fall Dai, haben die Götter keine Möglichkeit, die Phasenverschiebung zu entdecken oder aufzuheben. In kleineren Daimon aber ist und war das möglich, vor allem wenn sich nicht genügend Dai in ihnen aufgehalten haben.

Wenn Kitsune-tono also auf Spuren des Liberty-Virus trifft, kann es durchaus sein, dass es Überlebende gab, die eine kleinere, unauffälligere Daimon eingerichtet haben, und bis zum heutigen Tag entkommen sind.“ Der Wolf sah in die Runde. „Der Angriff auf die Erde, der beinahe ARTEMIS durchschlagen und die Ostküste der U.S.A. vernichtet hätte war auch nicht dazu gedacht, ARTEMIS zu vernichten und einen halben Kontinent zu entvölkern. Er diente nur zwei Zielen. Das erste Ziel war die vermutete Position der Daimon anzugreifen, das zweite Ziel war, wenn dies nicht gelingen sollte, wenigstens die Dai genug zu provozieren, um den Schuss abzuwehren.

Es waren KI-Meister der Erde, die geblockt haben. Das ist einerseits gut, denn dies ließ keinerlei Rückschlüsse auf uns Dai zu. Andererseits hat sich die Erde damit selbst einen Bärendienst erwiesen, denn wie wir alleine an dem Angriff sehen können, ist das Interesse der Götter an Terra nachhaltig geweckt.“

Sakura Ino nickte zu diesen Worten. „Ein Grund mehr, warum wir Akira endlich finden sollten.“

„Ihn finden und soviel Verbündete wie irgend möglich zusammen scharren“, brummte der alte Wolf. „Denn diesmal bleibt es vielleicht nicht bei einem Schuss, bei einem Schiff.“

Betretenes Schweigen senkte sich auf die Anwesenden.
 

„Und?“, durchbrach Makoto Ino die Stille. „Wie gehen wir weiter vor?“

Sakura wechselte einen Blick mit Megumi, Sostre und Tetsu. Dann sah sie ihren Bruder an. „Der Marsch der AURORA geht wie geplant weiter. Wir werden nicht beschleunigen, wir werden die Geschwindigkeit aber auch nicht reduzieren. Wir werden weitere LRAOs mit massivem Begleitschutz in unsere Zielrichtung schicken und die Route ortungstechnisch sichern lassen. Desweiteren detachiere ich zwanzig unserer Korvetten als mobile Basen. Ich denke, eine Dusche ab und an tut auch den spartanischen LRAO-Besatzungen mal gut.“

Leises Gelächter ging durch die anwesenden Offiziere. Es war ein offenes Geheimnis, dass die LRAO-Besatzungen während ihrer Langzeiteinsätze auf die Recyclingfähigkeiten ihrer Druckanzüge angewiesen waren, sprich, sie hatten wenig Platz im Mecha und konnten auch nicht mal zwischendurch eine Toilette, hätte es sie gegeben, aufsuchen. Eine solche mobile Basis bedeutete jedoch einen Komfort, der für die LRAO-Besatzung schon an verschwenderischen Luxus grenzte.

„Die Operationen auf East End und West End werden verstärkt. Wir müssen so schnell es geht so viel wie möglich herausfinden. Sucht nach Bunkern. Zeitkapseln. Archiven. Meinetwegen nach Pyramiden. Aber beeilt euch. Und findet die Dämonenwelt. General Ino, Poseidon übernimmt die Koordination der erweiterten Suche.“

„Jawohl, Ma´am.“

„Das wäre dann alles. Um der Erde willen, beeilt euch.“

Die Anwesenden brachen in hektische Geschäftigkeit aus.

***

Vieles hatte Hina Yamada von der Dämonenwelt – der Daimon – erwartet, nachdem ein Team unter ihrer Führung und Kitsunes Hilfestellung hier eingebrochen war. Aber gewiss nicht, hinter dem von Kitsune entdeckten Tor blühende Landschaften vorzufinden. Die Daimon erstreckte sich schätzungsweise in einem Radius von achtzig Kilometern, was eine Grundfläche von etwas mehr als zwanzigtausend Quadratkilometern ergab. Vergleichsweise klein, aber für die Bevölkerung, die hier lebte, schien es mehr als ausreichend zu sein.

Sie kamen am Rande der Dämonenwelt heraus, inmitten eines großen Feldes, auf dem reife Getreidefrüchte standen. Hina fühlte sich leicht deplatziert, wusste sich doch nicht nur eine Kompanie gepanzerter Infanterie hinter sich, sondern auch eine Abteilung Hawks.

Die idyllische Szenerie ließ sich davon nicht stören. Menschenähnliche Wesen, augenscheinlich Nachfahren der Daima oder Daina, waren damit beschäftigt, das Feld abzuernten. Dies taten sie hauptsächlich mit Muskelkraft. Oh, ihnen stand hochwertigere Technologie zur Verfügung, das war Hina in dem Moment klar, in dem sie den ersten Kommunikator sah. Aber anscheinend hatte sich die Bevölkerung der Dämonenwelt dazu entschlossen, möglichst emissionsarm zu leben.

Eine der Frauen, die auf dem Feld damit beschäftigt war, eine automatische Strohpresse, die anscheinend mit Diesel betrieben wurde, zu steuern, hielt ihr Gefährt an und sagte ein einziges Wort: Daina.

Dieses pflanzte sich durch die Menge der Arbeiter, und von dort das Feld herab bis zu einer nahen Siedlung.

Dann kamen die ersten zu ihnen herüber, vorneweg die junge Frau von der Heupresse.

„Es wird nicht geschossen“, warnte Hina ihre Leute, die bei der Flut an Menschen wohl ein wenig nervös wurden.

Als dann die ersten heran waren, verneigte sich die junge Frau zuerst respektvoll vor Kitsune-chan mit einigen Worten, die Hina nicht verstand, aber mindestens einmal die Silbe Dai beinhalteten. Danach fixierte sie Hina, erkannte sie als Anführerin und sah Kitsune erstaunt an. „Dai?“, fragte sie, und die Daimon antwortete in der gleichen Sprache, die auch die Frau sprach. Ihr Blick ging wieder zu Hina, und in diesem Blick lag Respekt, beinahe Ehrfurcht.

„Sie sprechen eine Abart des Iovar-Dialekts. Reichlich verzerrt und mit Mundart durchsetzt, deshalb hast du sie wohl nicht verstanden, Hina-chan“, sagte Kitsune ernst, lächelte aber äußerst freundlich. „Die junge Dame heißt Tooma und hat mich als Hohe willkommen geheißen. Ich glaube, wir können sicher sein, dass wir hier gut aufgenommen werden.“

Diese Worte trugen maßgeblich zur Entspannung der Situation bei. Die Männer und Frauen atmeten sichtlich auf.

Wieder sprach Tooma mit Kitsune, die Füchsin widersprach, es entspann sich eine kurze Diskussion. Dann wandte sich die Dai der Anführerin der Slayer zu. „Tooma bittet uns darum, entweder die Banges zu deaktivieren oder wieder aus der Daimon herauszubringen. Bei ihnen gilt ein Gesetz, das sich Null Emission nennt. Es scheint als wenn die Liberty-Konzentration in dieser Daimon nicht sehr stark ist. Deshalb versuchen sie hier, verräterische Emissionen auf ein Minimum zu beschränken.“

Hina dachte einen Moment nach. Im Notfall waren sie und Kitsune mehr als genug, um die hiesigen Menschenabkömmlinge zur Räson zu bringen, wenn sie eine Dummheit versuchten.

Sie aktivierte den Kommunikator an ihrem Mund. „Hekatoncheiren aus Daimon zurückziehen. Uns droht hier voraussichtlich keine Gefahr.“

Die Piloten der Mechas bestätigten und stampften nach hinten durch das Tor davon.

Tooma beobachtete das Geschehen sichtlich zufrieden, aber nicht lauernd. Als die Mechas die Daimon verlassen hatte, verneigte sie sich vor Hina leicht und sprach ein paar Worte.

Kitsune kicherte. „Sie stuft dich als ranghöher ein als mich. Deshalb bist du ab sofort ihre Ansprechpartnerin.“

„Was hast du ihr gesagt?“

„Das war ich nicht. Sie habt mitgekriegt, dass du den Befehl für den Rückzug der Mechas gegeben hast, das hat ihr genügt. Außerdem hat sie gesagt, dass du auf der Schwelle stehst, um zur Dai aufzusteigen, was alleine schon ausreicht, ihre Hochachtung zu erringen.“

„Schwelle zur Dai?“ Irritiert sah Hina Kitsune an.

„Keine Sorge, keine Sorge. Das ist freiwillig. Niemand kann dich zwingen, nahezu unsterblich und unverwundbar zu werden, niemals wieder Krankheiten zu erleben und eine noch viel größere Kontrolle über dein eigenes KI zu erlangen.“

„Wenn du es so formulierst, bin ich irgendwie deprimiert“, murmelte Hina niedergeschlagen.

„Du bist in der Tat dem Status einer Dai sehr nahe“, sagte eine freundliche, tiefe Männerstimme.

Hina sah auf und erkannte einen kleinen, weißhaarigen Mann, der direkt vor ihr aus dem Nichts entstanden zu sein schien. Tooma und die anderen wisperten ehrfürchtig.

„Ich denke, das ist eine gute Grundlage für unsere Verhandlungen. Willkommen, Daina, willkommen im Hangar der ADAMAS.“

„Hangar?“

Der weißhaarige Mann lächelte und trat einen Schritt zur Seite. Dabei bog er die Halme nicht zur Seite, was eindeutig zeigte, dass er nur als Projektion anwesend war. Seine Rechte deutete nach oben in den freien Himmel, wo sich langsam ein Gebilde aus den Wolken schob.

Die Nachfahren der Dai reckten neugierig die Köpfe gen Himmel, um das Ereignis mitverfolgen zu können.

„Die ADAMAS“, sagte der weißhaarige Mann schließlich, als das Objekt vollständig zu sehen war.

„Na, da kraul mir doch einer den Pelz“, sagte Kitsune erstaunt. „Ich hätte nie gedacht, hier ein Kommandoschiff der Dai vorzufinden.“

Sie sah das Hologramm ernst an. „Wer bist du? Tylos? Andarath?“

Lächelnd schüttelte das Hologramm den Kopf. „Weder noch, Mit-Dai. Tylos war mein Vater. Er starb nach dem Angriff, aber zu einer Zeit, als ich noch ein Kind war. Er übergab mir die ADAMAS und die Daina dieser Welt, um auf sie zu achten, bis die Zeiten sich ändern.“

„Aha, wir haben es hier also mit Daina zu tun“, murmelte Hina und machte sich eine Notiz.

„Wollt ihr das Schiff besichtigen?“, fragte der Sohn von Tylos ernst.

„Später. Dazu ist später noch Zeit. Jetzt verrate uns erst einmal deinen Namen, Mit-Dai.“

„Mein Name ist Tyges, kleine Schwester, das geheimnisvolle Dunkel.“

„Mein Name ist Kitsune, die Füchsin.“ Sie kratzte sich verlegen den Haaransatz. „Ein Tier, das in der Mythologie der Erde als sehr schlau und Magiebegabt gilt.“

Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Menge.

„Verzeihung, Kitsune, aber hast du Erde gesagt?“

„Ja, klar. Oder hast du was an den Ohren?“

„Ihr kommt von der Urheimat? Wir werden viel zu bereden haben.“

***

„Also nochmal von vorne“, sagte Sakura Ino sichtlich genervt und leicht überfordert über die Echtzeitleitung nach East End. „In der Dämonenwelt habt ihr was gefunden?“

„Eine Art Schlachtschiff der Dai. Es heißt ADAMAS. Der Name bedeutet soviel wie Unzerstörbar. Die Daina, die hier leben, haben…“

„Nicht so schnell. Und wieviele Menschen habt ihr in der Daimon gefunden, die von den Einheimischen Hangar der ADAMAS genannt wird?“

„Es gibt achtzigtausend Daina und noch einmal hundert Dai. Sie unterhalten seit dem Angriff und der Zerstörung ihrer Welt ein strenges Regime, Geburten- und Nahrungsfragen betreffend, deshalb war ihre Zahl bis auf zwei Ausnahmen in den letzten achttausend Jahren konstant.“

„Was sind das für Ausnahmen?“

„Nach fünfhundert Jahren im Exil und danach noch einmal nach tausend Jahren haben die Daina versucht, East End wieder zu besiedeln. Aber jedesmal kehrte das Schiff der Götter zurück und vernichtete die Zivilisation erneut. Dies dauerte zwar jedes Mal ein paar Jahrzehnte, aber es war dennoch eine endgültige Vernichtung. Tylos, der damalige Anführer, hat daraufhin angeordnet, dass niemand mehr den Hangar verlassen darf.“

„Um noch mal auf diesen Hangar zu sprechen zu kommen…“

„Ja, das ist ein interessanter Aspekt. Die ADAMAS ist ein, nun, Flaggschiff. Sie ist fast vier Kilometer lang, zwei breit und einen Kilometer am Heck und vierhundert Meter am Bug hoch. Sie hat diverse Waffensysteme, einen eigenen Sprungantrieb und Absprungvorrichtungen für Banges an Bord. Sie kann ein Personal von zehntausend Menschen fassen und bietet Platz für dreißigtausend weitere. Und das ist das Dilemma dieses Volkes. Die ADAMAS kann die Hälfte von ihnen evakuieren, aber eben nicht alle. Und der Hangar wurde einzig und allein eingerichtet, um die ADAMAS zu versiegeln. Als die eigentliche Daimon zerstört wurde, war der Hangar der einzige Rückzugspunkt, den aber nur achtzigtausend von dreißig Millionen erreichen konnten.

Sie haben zusammen zwei schwere Rückschläge erlitten und jedesmal war der Hangar ihr Zufluchtsgebiet. Es gab eine Zeitlang Pläne, diese Welt zu evakuieren, die ADAMAS zurückkehren zu lassen und die andere Hälfte der Bevölkerung zu holen, aber die Verantwortlichen um Tyges sind sich sicher, dass der Hangar enttarnt ist, sobald die ADAMAS startet. Es sind ihre Konverter, die diese Daimon stabil halten, und ohne das Schiff fällt sie in sich zusammen. Und in einem anderen Punkt sind sie sich auch sehr sicher. Wenn der Hangar enttarnt ist, braucht das Götterschiff keine Jahre, um zurückzukommen. Bestenfalls Monate oder sogar nur Wochen.“

„Verstehe. Und wir brechen nun in ihre Welt ein und haben damit vielleicht unwissentlich den Göttern einen Hinweis darauf gegeben, wo sich das Flaggschiff befindet.“ Sakura atmete tief durch. „Dann müssen wir die Evakuierung übernehmen.“

„Äh, Sakura, wir…“

„Kitsune muss mit Tyges reden. Er muss einsehen, dass die Gefahr, erneut angegriffen zu werden, die Gefahr, diesmal entdeckt worden zu sein, viel zu hoch ist. Ich übernehme gerne die Verantwortung für seine Leute, aber er muss sich schnell dazu entschließen. Ich habe auch keine Probleme damit, ihn und die seinen hier zurückzulassen, wenn er es unbedingt wünscht. Er darf gerne pokern.“

„Sakura, hörst du mir jetzt endlich mal zu?“ Verzweifelt rollte Hina die Augen.

Für einen Moment musste die Admirälin schmunzeln. „Rede.“

„Tyges bietet uns die ADAMAS zum Kauf an. Als Bezahlung erwartet er die Evakuierung seines Volkes von East End. Außerdem stellt er das komplette Personal, inklusive Banges-Piloten und Infanterie. Er ist sich selbst bewusst, dass die Position des Hangars voraussichtlich aufgeklärt wurde.“

Sakura starrte die KI-Meisterin für einen Moment erstaunt an. Dann nickte sie. „Ich lenke Kei und seine Flotte sofort von West End nach East End um. Er beginnt eine erste Evakuierungsmaßnahme. Außerdem schicke ich euch an Schiffen, was immer ihr braucht. Wir springen in acht Tagen, bis dahin muss alles erledigt sein.“

„Das ist mehr Zeit als wir brauchen werden. Die Dai und Daina des Hangars sind sehr begierig darauf, ihr Gefängnis verlassen zu dürfen.“

„Dann ist ja alles geklärt. Wir beginnen sofort. Ach, und Hina. Gute Arbeit, da unten.“

„Ich weiß“, erwiderte die Slayerin eine Spur zu großspurig, als das es ernst gemeint hätte sein können.

Lächelnd schaltete Sakura die Verbindung um. Ihr Bruder erschien nun. „Mako-chan, auf uns wartet eine Menge Arbeit.“

„Ich lasse bereits zwei der Frachtschiffe komplett leer räumen. Es ergehen bereits Aufrufe an die Stadtbevölkerung von Fushida und die kleinen Ortschaften, leer stehenden Wohnraum zu melden. Wir entsiegeln die Appartements in der Felswand, und notfalls können wir binnen weniger Stunden eine Zeltstadt für zwanzigtausend Menschen errichten.“ Ihr kleiner Bruder runzelte die Stirn. „Du planst doch die Evakuierung der Daina aus der Daimon, oder?“

„Wann hast du nur gelernt, so präzise meine Gedanken zu lesen?“, tadelte sie. „Häng dich rein, okay?“

„Kein Problem. Ban Shee Ryon wird sich freuen, wenn sie wieder mal für Kei fliegen darf.“

Die Verbindung erlosch, und Sakura war sich sicher, dass Mako erst seine Freundin Joan von seinem Schoss runter scheuchte und sich dann in den Wust an Arbeit stürzte, der auf ihn wartete.
 

4.

Die Operation dauerte sieben Tage an. Mit einem gewissen Bedauern sah Sakura auf die Hologramme der beiden Welten East End und West End herab. Unter anderen Umständen hätten sie gute Siedlungswelten abgegeben, aber nicht solange sie unter der Beobachtung der geheimnisvollen Götter standen.

„Ma´am, wir sind in zwei Stunden bereit zum Sprung.“

„Danke, Hitomi-chan. Nachricht an die Flotte. Für Sprung bereit halten. Die letzte rückwärtige LRAO-Patrouille soll ihren Condor und seine Begleitmannschaft rein bringen.“

„Verstanden, Admiral.“ Die Kommunikationsspezialistin wandte sich wieder ihrer Sektion zu.

„Das ist es also. Wir spielen wieder mal Fährschiff, hm? Und wohin bringen wir sie? Terra? Mars? Lorania?“, fragte Kommodore Genda neben ihr nachdenklich.

„Wohin immer sie wollen. Immerhin haben sie für den Flug bezahlt.“ Lächelnd deutete Sakura auf das Hologramm, welches die sie umgebenden Schiffe darstellte. Nicht einmal die SUNDER konnte es mit dem Giganten ADAMAS aufnehmen. Alle Schiffe wirkten neben ihm wie Spielzeuge.

„Admiral. Nachricht von LRAO fünf, Kommando unter Colonel Ataka.“

„Durchstellen. Zeitdilatation?“

„Drei Minuten, Ma´am, verringert sich schnell. Ich stelle durch.“

Zuerst war nur Statik zu hören, dann aber klang die Stimme des Oyabuns der AURORA klar und verständlich aus den Lautsprechern. „Hier spricht Colonel Ataka. Ich überspiele jetzt exklusive Fernaufnahmen, die uns von der Beobachtungssonde aus dem Orbit von East End übertragen wurden. Zugleich empfehle ich Alarmstufe eins.“

„Einspielung der Kameradaten kann jetzt erfolgen, Admiral.“

„Auf den Hauptschirm.“

Der unverkennbare Orbit von East End erschien. Deutlich war jene Region zu erkennen, unter der sich der Hangar der ADAMAS befunden hatte. Ein riesiger weißer Blitz raste auf diese Position zu, löste eine Detonation aus, welche die Kamera kurzzeitig blendete und hinterließ eine Explosionswolke, die bis hinauf ins Weltall schoss und sogar die Sonde umspülte.

„Junge, Junge, bei dem Rumms hätte es den Planeten auch längs spalten können“, brummte jemand ehrfürchtig.

Sakura gab ihm in Gedanken Recht. Die Kamera, behindert von Dreck und kleineren Steinen, schwenkte suchend im Orbit umher und fand schließlich, was diese Katastrophe ausgelöst hatte. Ein gespenstisch großes, schneeweißes Schiff flog neben der Sonde im Orbit. Die Abstrahlfelder der Hauptwaffe glühten noch immer nach. Für den Schuss hatte das Schiff den Bug gen Erdboden gedreht, nun wendete es erneut und richtete den Bug von East End fort. Dann zündete es den Hauptantrieb und verließ den Orbit mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit. Die Sonde hielt das Schiff in optischer Erfassung, während am Rand des Bildes Daten über Größe, Beschleunigung pro Sekundenquadrat und voraussichtliche Waffenstärke herabliefen. „Acht Kilometer? Und dann kann das Ding beschleunigen wie ein Hawk mit Booster?“, hauchte jemand ehrfürchtig.

Sakura hieb auf den großen Alarmknopf. Großalarm für das Schiff und die Flotte wurde ausgegeben.

„Wie Sie anhand der Kursberechnungen feststellen werden“, erklang wieder Doitsus Stimme, „folgt das Schiff nun der AURORA. Bei gleichbleibender Beschleunigung, und wenn es nicht abbremst, wird es in etwas weniger als vier Stunden eintreffen. Ich hoffe, bis dahin haben mein Team und ich eingeschleust. Wenn nicht, nehmt keine Rücksicht auf uns, AURORA.“

„Wünschen Sie Colonel Ataka und seinen Leuten alles Gute“, sagte Sakura tonlos. „Und beginnt sofort damit die Hämmer des Hephaistos aufzuladen. Die Begleitschiffe sollen ebenfalls zum feuern einkehren. Wir verpassen ihnen eine volle Breitseite.“

Sakura runzelte nachdenklich die Stirn. „Wie stark ist wohl die Hauptwaffe der ADAMAS?“

***

„Weiß. Warum muss es weiß sein? Wollen die so genannten Götter etwa jedes idiotische Klischee bedienen?“ Megumis Stimme klang nicht wirklich erfreut, während sie dies sagte. Sie hatte schon ein Problem damit, die unbekannte Besatzung des Schiffs, welches den Hangar der ADAMAS vernichtet hatte, mit dem Namen Götter zu beschreiben. Aber mit der Tatsache, dass der Angreifer nun die AURORA verfolgte, hatte sie ein echtes Problem.

„Wenn es dich beruhigt, Schatz, das Schiff ist nicht wirklich weiß. Es ist eine Art Tarnschild, der dem menschlichen Auge weiße Farbe vorspielt. Der Tarnschild verhindert, dass wir die Konturen des Giganten einsehen können, sei es Mensch, sei es Maschine. Ich selbst sehe das Ding nicht weiß, sondern im ultravioletten Bereich hell strahlen.“

„Danke für den hilfreichen Kommentar, Lady Death.“

„Da nicht für, mein Mädchen. Du weißt doch, ich helfe immer gerne mit neuesten Erkenntnissen aus, wenn sie gefragt sind.“

Megumi ging über den spöttischen Kommentar hinweg. Ihr Hawk unterhielt sich nach ihrem Empfinden viel zu häufig mit Prime Lightning, dem Akira irgendwann ein Sarkasmus-Update verpasst haben musste. In diesem Moment stand Prime hinter ihrer Lady Death, zusammen mit dreihundert weiteren Mechas der Hekatoncheiren, dem Red Team, Kuratovs Freiwilligen und Yohkos Ki-Meistern. Wenn der Angriff mit den Hämmern des Hephaistos schief gehen sollte, würden diese Maschinen ihr Bestes geben, um das Götterschiff dennoch aufzuhalten. Irgendwie.

Im Moment war Sostre am Steuer von Prime. Es wunderte Megumi, dass der Daishi mit dem Hawk-Gehirn den Naguad als Piloten akzeptiert hatte. Sie hätte eher erwartet, dass Micchan in seinem Pilotensitz landen würde, aber der junge Kronosier hatte sich bereits für einen Phoenix entschieden.

„Nachricht von Sakura-chan“, flötete die Stimme der künstlichen Intelligenz. „Die Begleitschiffe, die SUNDER und die ADAMAS haben ihr Drehmanöver beendet. Nun können sie zwar nicht mehr beschleunigen, aber die Hauptwaffen aller Großkampfschiffe zeigen auf das Götterschiff. Wenn jetzt noch was schief geht, dann liegt es nicht mehr an uns.“

„Das ist ja genau das, was ich befürchte“, murmelte Megumi betreten. Wie nichts anderes in der Welt wünschte sie sich nun Akira an ihre Seite. Alleine seine Anwesenheit hätte ihre Zuversicht ins Unermessliche gesteigert. Mit Akira konnte nichts mehr schief gehen und… Aaaaah, was tat sie da? Akira war nicht da, sie trug die Verantwortung, und sie sollte sich einzig und allein darauf konzentrieren, ihre Probleme selbst zu lösen!

Langsam entkrampfte sie ihre Hände wieder.

„Na, Schatz, denkst du wieder an deinen Liebsten?“, neckte der Hawk. „Dein Puls ist nämlich gerade in bemerkenswerte Höhen geschnellt.

„Als wenn dich das was angehen würde“, konterte sie.

„Na, es beruhigt mich zu wissen, dass du immer noch an ihn glaubst. Akira würde dir sonst den Hosenboden stramm ziehen, sobald wir ihn gefunden haben.“

Megumi stockte. Selbst die K.I. ihres Hawks, eine rein nüchtern, logisch denkende Existenzform, glaubte daran, dass sie Akira wiederfanden. Nein, in diesem Fall musste man sagen, die Berechnungen von Lady Death sagten eindeutig aus, dass die Chancen, den Commander zu bergen höchstwahrscheinlich waren.

„Danke“, hauchte sie.

„Da nicht für, Schatz“, erwiderte Lady Death mit einer Wärme in der Stimme, die unmöglich programmiert worden sein konnte.
 

„Poseidon, hier spricht Poseidon. Zuallererst willkommen zurück, Colonel Ataka. Sie haben es gerade rechtzeitig zum großen Feuerwerk geschafft.“

Gelächter antwortete auf der allgemeinen Frequenz. Tatsächlich hatte Doitsus Team erst vor wenigen Minuten die Booster abgelegt und in die Hekatoncheiren eingegliedert.

„Und nun Anweisung an alle Schiffe, an alle Mechas. Die Begleitschiffe und die konventionellen Waffen der AURORA eröffnen das Feuer. Die drei Hämmer des Hephaistos werden feuern, sollte das Ziel davon nicht zerstört worden sein.

Feuer frei bei Countdown null von sechzig.

Sechzig… Fünfundfünfzig…Fünfzig…Fünfundvierzig…“

Rund um Lady Death erwachte das eisige All zum Leben. Auf der kantigen Oberfläche der AURORA schoben sich Raketenwerfer gen Himmel, konventionelle Partikel- und Laserkanonen suchten ihr riesiges Ziel.

Vor den Schiffen der Bismarck-Klasse glühten die Abstrahlpole der Hauptwaffen grell auf. Laut Plan würden zuerst die Projektile gestartet werden, danach würde gut getimed der Angriff mit den lichtschnellen Waffen erfolgen, um ein Höchstmaß an Schaden zu ermöglichen.

„Zehn…Fünf, vier, drei, zwei, eins… Feuer!“

Megumi Uno hatte schon oft in Gefechten gesteckt, viele davon persönlich beendet. Sie hatte im Erdorbit, in drei fremden Systemen und über dem Mars gekämpft. Sie hatte in Schlachten gesteckt, die so gewaltig und unwirklich gewesen waren, dass sie heute noch nicht begriff, warum sie noch am Leben war. Aber all das war nichts gegen die volle Salve der Flotte.

Raketen zischten von der Oberfläche der AURORA ins All. Einige von ihnen waren mehrere Meter lang. Überall rund um die AURORA sah man die glühenden Herzen der Raketenmotoren von den Schiffen fortstreben. Was immer das Götterschiff auf die jetzige Distanz bekämpfen konnte, hatte abgeschossen was es hatte.

Es vergingen ein paar Sekunden, die glimmenden Funken der Raketen waren schon fast erloschen, da begannen die anderen Waffen zu feuern. Megumi fühlte den Boden unter ihren Füßen vibrieren, und diese Vibration verursachte die Illusion, dass die Schiffe rund um die AURORA ebenfalls unter den Abschüssen ihrer Waffen vibrierten.

Dann erfolgten die ersten Explosionen.

Eingezeichnet von Lady Death sah Megumi, wie vom Götterschiff meterdicke Energiebalken aufstiegen und durch die Reihen der Raketen fuhren und die gefährlichen Waffen schon auf sicherer Distanz zerstörten. Aber einige gingen durch, trafen auf die Schilde des fremden Schiffs und ließen ihn lichterloh aufglühen. Die Ausdehnungen des Schilds waren gigantisch, wie Megumi erwartet hatte.

Dann trafen die lichtschnellen Waffen und ließen den Schirm erneut wetterleuchten. Aber er hielt.

„Feuer frei für Hammer des Hephaistos.“

Die gigantische Kanone des Hammer des Hephaistos aktivierte sich und feuerte. Von diesem Schuss vibrierte der Boden wirklich. Nachdem sich das Energieversorgungsnetz der AURORA erholt hatte, folgte der zweite Schuss, während der erste gerade mal in den Schirmen des Götterschiffs endete. Die Wirkung war nicht zu eruieren.

Der zweite Schuss schlug gerade in die Schirme ein, als der dritte genügend Energie hatte, um selbst zu feuern.

„Die Hammer wieder aufladen. Begleitschiffe bereit machen für erneutes Salvenfeuer.“

Megumi konnte ein atemloses Aufkeuchen nicht unterdrücken. Sie wusste was ein Hammer mit einer Flotte Raider angestellt hatte, sie hatte die Aufzeichnungen und Analysen gesehen. Und drei von diesen Hammern konnten das Feindschiff nicht einmal ankratzen, geschweige denn seine Schilde? Der dritte Impuls schlug ein und riss nun endlich den Schirm auf. Immerhin. Aber dadurch konnten die Ortungen der menschlichen Flotte nur zu gut anmessen, dass die Hauptwaffe des Götterschiffs kurz vor der Entladung stand.

„Es ist gar nicht weiß. Es ist schwarz, tief schwarz“, hauchte Megumi.

„Es hat gar keine Farbe, Schatz. Es strahlt nur auf allen Frequenzen wie ein Weihnachtsbaum beim Wohnungsbrand.“

Megumi wollte die Augen schließen. Dies war womöglich ihr Ende. Sie wollte das nicht, um Himmels Willen, sie wollte das nicht, aber der erste Schuss dieser gewaltigen Waffe würde die AURORA treffen, und damit sie. Und ohne die Unterstützung würde die terranische Flotte hier gestrandet sein. Wenn das Götterschiff überhaupt etwas übrig lassen würde.

„Ich messe etwas an“, sagte Lady Death und holte einen Ausschnittsvergrößerung noch näher heran. „Eine getarnte Korvette. Sie fliegt auf Kollisionskurs! Sie passiert die Bresche im Schild! Sie…!“

Eine Explosion, so gewaltig, dass trotz der automatisch vorgeschalteten Filter grelles Licht bis in Megumis Cockpit leuchtete, brandete heran und schien alles um sie herum in strahlendem Weiß ersticken zu wollen.

„Megumi, bist du noch da?“

„Nein, ich glaube, ich bin tot. Bist du das, Mamoru?“

„Tut gut, deine Stimme zu hören. Wir dachten schon, die Explosion hat euch alle von der Oberfläche gefegt.“

„Was ist passiert?“, krächzte sie mit rauer Stimme.

„Unser Trumpfaß. Sakura hat befohlen, eine Korvette mit Sprengstoff vollzustopfen. Dann hat das Ding sich getarnt und selbstständig – also ohne Besatzung – das Gigantschiff angeflogen. Als es die Chance hatte, hat sich die Korvette auf das Riesenschiff gestürzt. Aber die Sekundärexplosion war weit heftiger als wir es jemals erwartet haben.

Bevor du fragst, wir hielten es für sicherer die Sache geheim zu halten, und damit zu vermeiden, dass dreitausend Ortungsoffiziere versuchen, eine Spur des getarnten Schiffs zu entdecken.“

„Verstehe. Wie ist die Lage?“

„Die Schiffe der Flotte drehen wieder auf Kurs ein. Der Sprungantrieb wird aufgeladen.“

„Heißt das, das Götterschiff wurde vernichtet?“

„Ja, das wurde es. Deshalb sehen wir auch zu, hier so schnell wie möglich zu verschwinden, denn ich will nicht da sein, wenn ein weiteres dieser Schiffe hier auftaucht. Noch einmal klappt der Trick mit der getarnten Korvette sicher nicht.“

Gerettet. Zumindest vorerst. Und eine Stunde bis zum nächsten Sprung. Das waren doch wirklich gute Neuigkeiten. Bis auf Mamoru Hatakes Vermutung, dass es mehr als ein Schiff der Götter gab.

Ein Problem gelöst, zwei neue taten sich auf. Megumi seufzte tief und schwer. „Ich glaube langsam kriege ich eine Ahnung davon, wie sich Akira gefühlt haben muss, als er den OLYMP übernommen hat.“
 

Epilog:

„Wie ist es denn so in deiner Welt?“ Die Herrin des Paradies saß neben mir. Sie hatte die Beine angezogen und umklammerte sie mit der Linken. Mit der Rechten fuhr sie sich durch ihr Haar, das in der stetigen Meeresbrise wie eine Fahne flackerte.

„In meiner Welt? Da riecht das Meer nach Salz.“

„Was ist so besonders am Geruch von Salz? Zwei primitive Atome, zu einem beinahe ebenso primitiven Molekül vereint, in der Lage kristalline Strukturen zu formen… Wie kann es besonders riechen?“

„Es ist nicht das Molekül, das besonders riecht. Natriumchlorid alleine ist nicht sehr besonders. Aber stell dir genügend Salz vor, um dieses riesige Meer salzig zu machen. So salzig, dass du es nicht trinken willst.“ Ich warf der jungen Frau einen Blick zu. „Entschuldige. Ein unpassender Vergleich.“

Aber sie schien nicht richtig zugehört haben. „Salz riecht also besonders. Aber es schmeckt nicht?“

„Doch, es schmeckt schon. Aber wenn zuviel Salz in einer Sache ist, schmeckt es nicht mehr. Leider.“

„Dann tut man eben etwas Salz wieder ab.“

„Das geht leider nicht immer so leicht. Salz kann sich nicht nur auf molekularer Ebene verbinden, es wirkt auch auf seine Umgebung, wenn lediglich die kristalline Grundstruktur aufgelöst wird. Wir sprechen dann von salzig.“

„Maltran, weißt du, wovon er spricht?“

Maltran Choaster, mein Stellvertreter und nach mir ranghöchster Offizier des Cores, nickte. „Ja, ich weiß was er meint.“ Er sah hinaus auf das eigentlich nicht existente Meer und genoss das Gefühl der letzten Sonnenstrahlen auf seiner Haut. „Es hat etwas damit zu tun, dass man nicht bestimmen kann, diesen Sonnenuntergang gleich noch mal zu erleben. Damit, dass man Regen nicht befehlen kann nicht zu fallen. Oder damit, dass ein Unwetter dich weit länger walkt, fordert und quält, als du es eigentlich ertragen willst. Man ergibt sich bis über einen gewissen Punkt hinaus seiner Umgebung.“

„Ich weiß nicht, ob das besonders erstrebenswert ist“, murrte Aris und zog die Beine noch ein wenig enger an.

„Im Moment habe ich einen Körper, und ich genieße diese Zeit“, murmelte Maltran etwas gedankenverloren vor sich hin. Er nahm ein paar kleine Steinchen auf und warf sie in die Brandung. „Gewiss, ich kann in dem Trubel, den Akira ausgelöst hat, sterben, solange ich meinen Körper, meinen realen Körper dieser Gefahr aussetze. Und ich weiß, dass ich bald wieder in den Tank zurück muss, damit mein Körper nicht zu sehr altert da draußen, und ich mir noch ein paar weitere dieser Ausflüge genehmigen kann. Aber es lohnt sich. Es lohnt sich wirklich. Wobei Salz eine der feinsinnigeren Erfahrungen ist. In Akiras Nähe spüre ich nämlich eher sonst die grobe Kelle in Form einer Überdosis Adrenalin.“

„Spötter“, tadelte ich und gab dem Freund einen kräftigen Schubs.

Maltran lachte auf, ließ sich umwerfen, setzte sich aber gleich wieder auf.

„Adrenalin. Ein Stresshormon, ausgeschüttet von den Nebennieren. Verursacht beschleunigten Herzschlag, erhöhten Stoffwechsel und eine Übersensibilisierung der Sinne. Klingt sinnlos.“

„Weil du es noch nie selbst erlebt hast, Herrin. Es ist genauso gefährlich wie sinnlich. Eine besondere Erfahrung.“

„Wie merkwürdig. Ein Körper bedeutet nicht ewig zu leben. Wie kann man nur einen Körper wollen?“, murrte sie.

„Herrin, es ist etwas passiert.“ Die große Matrone im Kapuzenkleid stand so plötzlich neben mir, dass ich erschrocken zusammenzuckte. Ihr Blick war weit ernster als sonst.

„Unsere Agenten berichten, dass die Götter den Kontakt zu einem ihrer Strafer verloren haben. Augenscheinlich wurde er vernichtet, als er Terraner in einem verbotenen System verjagt hat.“

Terraner! Dieses Wort ließ mich auffahren. Ich konnte nicht anders, ich ballte die Hände zu Fäusten und schrie meinen Triumph in die künstliche Welt hinaus.

„Du freust dich darüber? Ab jetzt wird alles schwerer für die Terraner“, tadelte Aris.

„Nein, Herrin. Ab jetzt wird alles anders. Vollkommen anders.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2007-10-03T10:20:02+00:00 03.10.2007 12:20
Ha, zweite! Schließ mich Subtra an. ^___^
Von:  Subtra
2007-10-03T06:03:12+00:00 03.10.2007 08:03
HA Erster, gute Fortstzung, schreib, bitte schnell weiter ^^


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