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Let's talk - Dornenreich Der Bastard hört, Let's talk

Autor:  Jim
Salida,
hierzu eine kleine Vorgeschichte: ein ehemaliger Mitbewohner von mir liebt die Band Dornenreich. Es dauerte ein wenig bis ich mich für die Gruppe überhaupt irgendwie erwärmen konnte, aber über die Jahre hinweg wurds. Nun hatten und haben wir aber nach wie vor sehr unterschiedliche Meinungen was die Qualität einiger Songs, der Lyrics, die Motive der Band etc. angeht (und wir führen darüber liebend gerne Gespräche). Zu seinem Geburtstag hatte ich ihm allerdings versprochen ein komplett neutrales Review zu seiner Lieblingsband zu schreiben. Nach drei Wochen und sieben geschriebenen Reviews mit Punktewertung hab ich allerdings alles noch einmal verworfen und komplett neu geschrieben. Es hätte einfach nicht gepasst.
Da ich die Jungens dieses Wochenende wieder mal live auf dem Wave-Gotik-Treffen zu sehen bekomme (und ich gehe dort auch NUR hin weil Empyrium dort den einzigen Liveauftritt in ihrer Geschichte haben) und aktuell schreibtechnisch ein wenig die Eier baumeln lasse, dachte ich mir also: "Warum nicht?". Wird mal wieder Zeit etwas Mucke vor zu stellen.


Von Flügelschlägen und Nachtreisen
Ein als Review geplanter Erlebnisbericht

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Würde mich jemand bitten ihm eine Antwort auf die Frage zu geben „Wie welche Band klingt Dornenreich denn?“, dann müsste ich mit den Schultern zucken. Ich könnte beschreiben WIE sie klingt, aber keine Band nennen die vergleichbar wäre. Das liegt daran das Dornenreich wie keine andere Band klingt. Aber… ist Dornenreich auch gut?
 
Wirklich klar kategorisieren und an Standards messen kann man Dornenreich nur schlecht. Zu divers ist die Musik die sie in den letzten 14 Jahren gemacht haben, zu anders als der Rest sind sie dafür. Doch es gibt immer eine gewisse Richtung die Dornenreich auf ihren Alben einschlägt. Besonders der Anfang dürfte die Freunde härterer Musik noch entzücken, während es in der Mitte ruhiger geworden ist, nur um sich am Ende noch mal ein klein wenig auf die Anfänge zurück zu besinnen. So hart wie das Anfangsalbum „Nicht um zu sterben“ wurden sie jedoch nie wieder, dafür begann daraufhin die Melodie viel klarer in den Vordergrund zu treten und besser hörbar zu sein. Der Sprung zwischen „Nicht um zu sterben „und „Bitter ist’s dem Tod zu dienen“ ist deutlich, aber keineswegs negativ. Viel mehr ist dieser Sprung bezeichnend für die Band und ihr zukünftiges Schaffen gewesen, ein Omen quasi, von dem vielleicht Niemand so recht wusste, dass es eines ist.
 
Dornenreich kann man als den Inbegriff von Entwicklung und Wandel sehen. Ob man diesen Wandel jedoch mag oder gut findet, ist wiederum eine ganz andere Frage. Da gäbe es zum Beispiel „Hexenwind“, ein Album bei dem nach wie vor die Frage im Raum steht, ob man es nicht hätte so releasen sollen, wie es einst geplant war. Noch einmal getoppt hat man dies mit „Durch den Traum“, bei dem man gar nicht so recht von einem richtigen Musik Album reden möchte. Viel mehr ist es einfach nur eine Geschichte, oder eher ein Teil einer Geschichte, welche mit musikalischen Instrumenten untermalt wird. Das „Durch den Traum“ zur selben Zeit wie „Hexenwind“ entstanden ist hört man dem Album an und dann doch wieder nicht. Auch dies ist ein wunderbares Beispiel für das, was Dornenreich ausmacht: die Alben entstanden zur gleichen Zeit und sind doch grundverschieden in allen Belangen.
 
Dennoch ist man sich wohl einig das es keine Fehlentscheidung war, mit „In Luft geritzt“ wieder zur „richtigen“ Musik zurück zu kehren. Und erneut wurde der Wandel deutlich: eine Gitarre, eine Violine, einen Schellenkranz – mehr brauchte es nicht. Man fragte sich wie minimalistisch man noch werden wolle. Wenn man bedenkt wie viele Instrumente in z.B. „Reime faucht der Märchensarg“ verwendet wurden und man nun bei ganzen drei angekommen ist. Nichts desto trotz wohnte auch „In Luft geritzt“ dieses Quäntchen „Etwas“ inne, welches Dornenreich auszeichnet. Wieder klangen sie anders, aber doch nicht fremd. Und erst mit dem danach erschienen „Flammentriebe“ fand man wieder zu einer etwas härteren Musik mit einer „konventionellen“ Besetzung zurück. Man war wieder „Metal“. Trotzdem... auch hier klang Dornenreich nicht wie einst und doch wie Dornenreich. Wie immer voller Nuancen und Feinheiten, dennoch irgendwie „grob“, um nicht zu sagen lodernd.
 
Und das ist ein Wort welches Dornenreich nie so Recht bezeichnet hat: konventionell. Dornenreich zu hören ist ein Erlebnis, wie man es wohl nur selten anders finden wird, vielleicht auch nie wieder. Allein das macht es schon wert, der Band eine Chance zu geben. Ob man die Musik am Ende mag oder nicht ist eine vollkommen andere Frage, die Reise allein dürfte es jedem Musikbegeistertem wert sein. Es ist eine Reise mit einer gewissen Magie, welche sich nicht so recht erklären lässt und vor allem dann deutlich wird, wenn man die Band einmal live erleben durfte. Es sitzt auf ihren Konzerten vielleicht nicht jeder Ton perfekt, sie haben keine große und reißerische Bühnenshow und manche Songs werden teilweise einfach anders gespielt oder gesungen, als auf dem Album. Aber Dornenreich live zu erleben hat einen seltsamen Effekt. Es ist so als ob man sich, wenn man ein Album von ihnen anhört, die Dias der oben beschriebenen musikalischen Reise anschaut. Hört man sie jedoch live ist es so, als würde man bei der Hand genommen und durch ein fremdes Land geführt werden. Da ist es auch verschmerzbar das nicht immer jede Note absolut perfekt sitzt.
 
Aber auch Dornenreich, so interessant wie sie sein mögen, ist nicht ohne jeden Makel. Der markanteste Makel wären wohl die Lyrics. Dornenreich erzählt wunderbar träumerische Mär über Leben, Selbsterkennung, Niedergang und Tod eines „Menschwesens“. Es ist eine Geschichte für Philosophen. Für Denker, Für Emotionale und Lebende. Das Problem daran ist, dass diese Geschichte kryptisch und in Metaphorik erzählt – ZU kryptisch und ZU metaphorisch. Wären dies nur einzelne Stimmen könnte man dies als Leute abtun, die den Inhalt schlichtweg nicht verstehen. Die sich nicht differenziert genug mit den Texten auseinandersetzen oder zu ungeduldig sind, um der Lyrik eine „Chance“ zu geben. Doch es waren viele Stimmen die dies, vollkommen zu recht, bemängelten, bis man schließlich für einige Texte noch kleine Erläuterungen veröffentlichte, welche zumindest ein wenig Licht ins Dunkel werfen. Sie kauen dem Zuhörer beileibe nicht alles vor, aber sie sind definitiv das, was nötig war.  Nicht das die Texte per se durch ihre Mystik schlechter wären, mitnichten. Es ist nur einfach so das die Texte in ihrem Inhalt zu unverständlich sind. Um den Inhalt ohne die kleinen Hilfstexte „korrekt“ zu erkennen, muss man schon arge Brücken um EINIGE Ecken schlagen. Es gibt einfach eine Grenze und genau wie schon einige Andere zuvor, muss sich Dornenreich den Vorwurf gefallen lassen, dass die Grenze überschritten wurde. Es wirkt beinahe so, als wolle man den Status als „Kunst“ über diese Art von Textgestaltung erzwingen.
Doch selbst wenn dem so sein sollte, so tut Eviga dennoch eine großartige Arbeit dabei, die Texte zu singen. Die Stimmgewalt und –vielfalt die geboten wird, verdient einfach nur Respekt. Einzig schade ist der Wegfall von Valnes’ Stimme, welche wie ein sanfter Antagonist zu der von Eviga wirkte. Sie bildeten eine wunderschöne Symbiose, obwohl sie vollkommen unterschiedlich waren. Valnes schaffte es eine seltsame Art von Ruhe zu vermitteln, was Eviga nicht so recht gelingen will, selbst wenn er nicht kreischt oder schreit.
 
Ein zweites Problem das Dornenreich gelegentlich hat könnte man als „albuminterne Inkonsistenz“ bezeichnen und tritt bei den ersten drei Alben auf. Diese sind, wie bereits erwähnt, recht hart und metallig was ihre Gangart angeht. Doch auf allen Dreien gibt es einen Track, welcher einfach absolut in keinster Weise zum Rest des Albums passt (beim ersten Album wäre dies „Hofesfest“). Bei diesen Tracks hat man das Gefühl eine vollkommen andere Band zu hören und sie wirken absolut deplatziert. Auch hier gilt das die Tracks nicht schlecht per se sind, aber was ein sanfter Folk-Akkustikgitarrensong am Ende eines harten, lauten Black Metal-artigen Albums zu suchen hat, ist eine Frage, die man sich zu recht stellt. Das man von Dornenreich das Unerwartete bekommt ist normal, hier wurde aber die Grenze zum Unpassenden überschritten. Es ist beinahe so als wären diese Tracks wie eine Abzweigung auf dem Weg, den Dornenreich mit seinem Hörer geht. Ein kleines „Was wäre wenn...?“-Intermezzo quasi. Es wäre schön gewesen, wenn man es, der Konstanz halber, auf jedem Album zu hören bekommen hätte. So wirken die Lieder aber leider nur wie Experimente die man als Fehlschlag kategorisiert und deshalb nicht weitergeführt hat. Denn schlecht sind die Lieder ja keineswegs, sondern einfach nur konträr zu den Alben, auf denen sie zu finden sind.
 
Doch nun steht nach wie vor die Frage im Raum: ist Dornenreich gut? Nun, dies hängt ganz davon ab welchen Anspruch man an die Band stellt und was man bekommen möchte. Für die Leute die sich an Kunst erfreuen wollen dürfte Dornenreich eine Treppe auf dem Weg zum Himmel sein. Aber auch diejenigen die die komplexen Texte ausblenden, können sich immer noch an den schönen Melodien, den harten Riffs, den teils SEHR prägnanten Hooklines und einfach nur dem Variationsreichtum der Musik erfreuen, die Dornenreich gemacht hat. Die Chance das jeder Hörer zumindest ein Lied von Dornenreich findet, dass ihm gefällt, ist durchaus gegeben und das ist etwas, was man wohl nur von den allerwenigsten Musikern behaupten kann. Man steht auf hartes Geschrammel das den meisten Leuten nur Kopfschmerzen bringen dürfte? Dann her mit „Nicht um zu sterben“. Man mag akkustische, ruhige Musik mit ebenso ruhigem Gesang? Dann gibt man sich „Hexenwind“ hin. Man mag es minimalistisch? Dann legt man „In Luft geritzt“ ein. Und vielleicht finden ja auch jene Hörer von dort aus Zugang zum Rest ihres Schaffens und entdecken eine kleine Welt für sich. Dornenreich ist nicht gut... Dornenreich ist einfach nur Kunst. Man muss nicht alles mögen oder gut finden was sie gemacht haben, aber es steht außer Frage das Dornenreich sich selbst stets treu geblieben ist. Wie das Menschwesen selbst durchwanderte die Band verschiedene Phasen und Episoden und keine davon kann man als „richtig“ oder „falsch“ bezeichnen.
 
Nun ein Fazit zu schreiben ist schwierig. Dornenreich ist ein Erlebnis wie keine zweite Band. Zu sagen das ich die Band bedingungslos jedem empfehlen würde oder sie selbst abgöttisch liebe, wäre falsch. Dornenreich ist aber auf jeden Fall ein ganz besonderes Erlebnis, es ist Musik die man nicht nur einfach hören sollte. Für manche ist einfach nur Musik, wieder ein anderer kann sich in der Musik vollkommen verlieren und so mancher wird mit keinem einzigen Lied etwas anfangen können.
 
Eigentlich hatte ich vor eine Punktewertung an dieser Stelle zu vergeben… ich habe mich aber dagegen entschieden. Es wäre schlichtweg nicht angemessen. Nicht weil Dornenreich einfach so GUT ist, sondern weil Dornenreich so ANDERS ist. Und aufgrund dieser Andersartigkeit ist es schwer, wirklich zu einem Fazit zu kommen. Man könnte noch viele Seiten mit den Details des Erlebnisses füllen, das Dornenreich ist – aber es würde immer wieder nur auf Wiederholung des bereits gesagten hinauslaufen. Dornenreich ist nicht Metal, nicht Akkustik, nicht Folk und nicht Ambient. Dornenreich ist Kunst und doch nie mehr als Musik. Dornenreich ist. Auch vermag ich nach all diesem Nachdenken und Schreiben nicht die Frage zu beantworten „Wie klingt Dornenreich?“. Dornenreich kann wie vieles klingen und vermutlich hört jeder etwas anderes. Der eine sieht in „Trauerbrandung“ einen gekreischten Metal-Song, der andere hört Verzweiflung, Trauer und Zerbrechen des Menschwesens.
Vom rein künstlerischen Aspekt her jedoch ist Dornenreich absolut zweifelsohne ein Meisterwerk. Nur die Wenigsten schaffen es während ihrer Schaffensphase so wandelbar zu sein, egal auf welchem Gebiet sie agieren. Und dennoch schaffte man es über eine Dekade ohnen einen Totalausfall. Es gab keine Fehltritte in der Geschichte von Dornenreich, jeder Schritt ging immer nach vorne und bewegte sich auf neuem Grund. Mal ein wenig mehr, mal ein bisschen weniger, doch niemals gleich. Wer Dornenreich keine Chance gibt, hat es nicht verdient sich als Musikliebhaber zu bezeichnen, denn damit kam aus Österreich vielleicht eine der interessantesten Bands seit langer Zeit.
 
Ganz ohne Fazit will ich diesen Bericht aber dennoch nicht lassen: aufgrund der Natur des Genres, kann man keine Definition für „Avantgarde“ finden – Dornenreich sollte aber zumindest als allgemeine Referenz dafür angesehen werden. Es war mir eine wahre Freude und ich kann nur hoffen, dass ich das, was ich durch Dornenreich erleben, fühlen und hören konnte, irgendwann in meinem Leben noch ein zweites Mal erfahren darf.




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