Erlangen und der politische Comic (und alles andere)
Autor: roterKater
Das hier sollte eigentlich nur ein Kommentar unter meinem letzten Blog-Eintrag werden. Aber irgendwie gibt es doch schon wieder genügend Stoff für einen gesonderten Eintrag ab.
Wie ihr sicher mitbekommen habt, drehte sich das Presse-Echo zum vergangenen Comic-Salon hauptsächlich um politische Themen wie die umfassenden Ausstellungen zum arabischen Frühling und afrikanischen Comics. Klar, das gibt den besten Aufhänger für eine hauptsächlich politische Themen behandelnde Tagespresse, und dahingehend kann man werden dem Salon, der um Aufmerksamkeit und Finanzierung kämpfen muss, noch der eben auf diese Themen geeichten Presse einen Vorwurf machen. Natürlich ist es schade, dass die Preise häufig eher nach Themengebiet denn zeichnerischer und erzählerischer Finesse vergeben werden, und dass sich einige Snobs daran stoßen, wenn ein Preis, über den keine Jury bestimmt, da mal aus der Reihe schert. Darüber steht ja alles im letzten Artikel.
Jetzt gibt es aber durchaus auch Presse-Leute, denen die aufgesetzte Politisierung des Comics vermeintlich ebenfalls auf den Sack geht. Einer davon, Jens Balzer, hat für die Berliner Zeitung einen Artikel dazu geschrieben. Darin heißt es unter anderem:
In diesem Zusammenhang lohnt es sich daran zu erinnern, dass es früher auch einmal Comics gab, die komisch waren. [...]
Zum vorherrschenden Ton gerade auch in der deutschen Comic-Szene ist der Ton der politischen Seriösität und der bedächtigen Beschäftigung mit bedeutsamen Themen geworden; das konnte man auch beim Rundgang über die Erlanger Verlagsmesse wieder erleben. [...]
In Erlangen konnte man nun aber sehen, wie der Wille zur Literatur auf die aktuelle Comic-Produktion zurückschlägt: Die Leichtigkeit und der Unernst, der – auch avantgardistische! – Comics einst prägte, sind weithin verloren.
Zum vorherrschenden Ton gerade auch in der deutschen Comic-Szene ist der Ton der politischen Seriösität und der bedächtigen Beschäftigung mit bedeutsamen Themen geworden; das konnte man auch beim Rundgang über die Erlanger Verlagsmesse wieder erleben. [...]
In Erlangen konnte man nun aber sehen, wie der Wille zur Literatur auf die aktuelle Comic-Produktion zurückschlägt: Die Leichtigkeit und der Unernst, der – auch avantgardistische! – Comics einst prägte, sind weithin verloren.
Ich möchte daher an dieser Stelle nachdrücklich einen Comical Turn für die Comics fordern! Wir brauchen wieder mehr Gags! Mehr Knollennasen! Und ganz wichtig: mehr sprechende Tiere! Wer sich für schwierige Kindheiten, Beziehungskisten und existenzialistische Trübsal begeistert, für den halten Stadttheater und Autorenfilmer bereits seit langem ein reichhaltiges Angebot parat.
Dazu meinte Jitsch in den Kommetaren zum letzten Eintrag:
Also, der Feuilletonist der Berliner Zeitung sieht das scheinbar ähnlich wie du.
Nein, tut er nicht. Genau genommen ist das, was Jens Balzer schreibt, sogar noch schlimmer als der FAZ-Artikel. Während dort lediglich die Auszeichnung eines Unterhaltungscomics bemängelt wurde, behauptet Balzer, es gäbe diese Comics gar nicht. Und ich weiß nicht, auf welchem Comic-Salon der Mann war, aber auf dem, den ich besucht habe, war ein riesiger Panini-Stand, der unübersehbar für die neuen DC-Comics warb. Da haben Carlsen, Tokyopop und EMA neue Manga vorgestellt. Da waren Splitter und Cross Cult. Da war eine Spider-Man-Ausstellung. Und nicht zuletzt waren da unzählige Independent- und Kleinverlage, die genau diese Comics anboten, die Balzer angeblich in Erlangen so vermisst hat.
Also anstatt deren mangelnde Präsenz auf dem Salon oder in der deutschen Comicszene zu monieren, sollte er lieber deren mangelnde Präsenz in der feuilletonistischen Berichterstattung anmerken, und da soll er sich verdammt noch mal an die eigene Nase fassen! Warum schreibt er nicht über die Auszeichnungen für Weissblech, Alligatorfarm und Delfinium Prints? Warum hebt er nicht Danielas Publikumspreis gesondert hervor? Warum schreibt er nicht über die neue Jazam oder Steam Noir oder den Manga-Markt oder wenigstens den Comic-Clash? Warum redet er das alles weg, wenn ihm das Festival zu politisch ist?
So ein scheinheiliges Gezeter ist jedenfalls noch zehnmal schlimmer als das unverblümte Naserümpfen der gutbürgerlichen Comic-Snobs! Der Salon war nur unter anderem politisch! Wenn ihn das Politische nervt, soll er doch einfach über das Andere schreiben! Aber nein! Stattdessen paraphrasieren die ersten zwei Drittel seines Artikels genau denselben poltisierten Quark, der in jedem anderen Zeitungsartikel zum Salon genauso steht! Warum tut er das? Warum reduziert er den Salon darauf, wo es ihn doch so stört? Ernsthaft, ich verstehe das nicht!
Wenn er Knollennasen will, warum war er nicht beim Zwerchfell-Verlag? Wenn er sprechende Tiere vermisst, warum schreibt er nicht über die Disney-Zeichner, die Ehapa eingeladen hatte und die sogar Zeichenworkshops abhielten? Wenn er meint, es gibt keine lustigen Comics mehr, warum erwähnt er nicht Grablicht, das den fucking Max-und-Moritz-Preis gewonnen hat? Es gibt keine Leichtigkeit und keinen Unernst mehr? Hallo? Sogar die ICOM-Jury hat den in David Füleki und Levin Kurio gefunden!
Machen Sie doch bitte mal die Augen auf, Herr Balzer!
UPDATE:
Stafan Dinter von Zwerchfell meinte auf Twitter, der Verlag steht jetzt nicht so unbedingt für Knollennasen, aber das sei schon okay, schließlich haben sie vor 20 Jahren damit mal angefangen. Nur damit ihr Bescheid wisst ...
Wenn ihr noch Tipps hab, wo es in Erlangen tolle Knollennasencomics gab, kann ich die gerne noch nachtragen! Ist leider nicht so mein Gebiet!
Wahrscheinlich habe ich nicht so über die Aussage nachgedacht oder tatsächlich nur in deinem Beitrag wie in dem aus der Berliner Zeitung vor allem das Credo "Es wird zu viel auf (politisch) bedeutsame Comics gegeben".
Und sicher, ich war nicht auf dem Comicsalon, also konnte ich nicht wirklich wissen, wie verbreitet komische Comics tatsächlich noch waren.
Wenn ich den Artikel jetzt nochmal angucke, fällt mir vor allem eins auf: Da werden drei Platzierte vom M&M-Preis genannt, die alle ernste Themen haben, und dann zu der Forderung nach mehr lustigen Comics übergeleitet. Ohne darauf einzugehen, dass möglicherweise auch bei den anderen Platzierungen lustigere Sachen dabei sind. Wie eben Grablicht, aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der "Beste Kinder-Comic" und die Comicstrips von Flix besonders unlustig sind.
Aber wahrscheinlich liest und kennt man als Feullietonist sowas gar nicht und erinnert sich einfach nur noch an die lustigen Comics aus Kinderzeiten oder so.
Also: Ja, der Artikel war doch etwas einseitig. Wenn sich die Leser der Berliner Zeitung nur für ernstere Comics interessieren, dann kann man die Forderung nach mehr Witz auch ganz weglassen.
Und ich werde in Zukunft die Berichterstattung im Internet besser im Auge behalten als die der Berliner Zeitung.
wie gut du bist, wenn du gut bist,
sondern wie gut du bist, wenn du schlecht bist.“
Martina Navratilova
Besonder aufgeregt hat mich dieser Satz:
Das klingt ziemlich stark danach, als wollte Herr Balzer nicht wahr haben wollen, dass der Comic mitlerweile zu einem ernstzunehmendem Medium geworden ist, das mehr kann, als nur für den niveaulosen Lacher zwischendurch sorgen. Solche Artikel und Denkweisen machen es dem Comic in Deutschland besonders schwer sich als neutrales Medium zu etablieren, dass jedes Genre bedienen und jede Zielgruppe erreichen kann.
Die Frage ob sich genug "Unernst" zwischen den Neuerscheinungen findet, darf sich daher gar nicht stellen und es darf auch nicht das Ziel sein, ihn in diesem Punkt zu wiederlegen.
Ich denke eher, er findet es einfach sehr schade (genau wie du), dass sich die öffentliche Wahrnehmung durch Presse, Salon-Außendarstellung, M&M-Preise, GraNo-Boom usw. in letzter Zeit sehr stark auf seriöse und themenlastige Comics bezieht. Zu unterstellen, er hätte nichts von den "lustigen Comics" in Erlangen mitbekommen, halte ich für gewagt. Die waren natürlich da, aber eben nicht so stark sichtbar und nicht so im Vordergrund wie z.B. die Araber. Wer nicht vor Ort war und nur ein paar Schnipsel in den Medien gefunden hat, könnte tatsächlich den Eindruck bekommen, Comics seien jetzt nur noch ernst.
Dass Balzers Artikel (bis zum letzten Absatz) letztlich genau diesen Eindruck bestätigt, ist leider das Problem. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Aber in einer Tageszeitung hast du halt strenge Zeilenvorgaben, da kann er leider nicht nochmal 100 Zeilen für ein "Es gibt aber auch noch folgendes" verwenden. Stattdessen versucht er die Lage eben in dem knackigen Slogan vom 'Comical Turn' zu kondensieren, der sicher mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist. Für mich geht das in Ordnung.
Ja, das verbiegt ein bisschen die Realität und ist keine völlig ausgewogene Abhandlung über den Status Quo der Comics in Deutschland 2012. Es ist eine Vereinfachung und Zuspitzung, aber keine ganz falsche, und sie zielt in eine Richtung, die eigentlich in deinem Sinne sein müsste.
> Ich glaube, Jens Balzer und du seid gar nicht so weit auseinander.
Im Prinzip würde ich dir da zustimmen. Aber ich verstehe einfach nicht, warum er den Artikel dann so geschrieben hat, wie er dort erschienen ist. Egal wie man sein eigentliches Anliegen auch werten möchte, seine eigenen Worte laufen dem in jedem Fall entgegen. Entweder freut er sich über politische Brisanz, wie die ersten zwei Drittel seines Artikels vermuten lassen. Dann hätte er keinen Grund sich darüber zu beschweren. Oder er möchte lieber über Unterhaltungscomics berichtet sehen. Dann macht es keinen Sinn, das nicht zu tun und lieber lang und breit über die politischen Themen zu schreiben.
Man kann den Artikel eigentlich nur so verstehen, und das entspricht ja auch seinem Wortlaut, dass Balzer diese Comics dort einfach nicht gefunden hat. Und klar können wir jetzt befinden, dass das eigentlich nicht sein kann und Balzer gar nicht so viele Tomaten auf den Augen haben kann. Aber wir wissen das, weil wir in Erlangen waren. Oder ihn vielleicht auch irgendwie kennen. Beides ist bei der Zielgruppe seines Artikels nicht gegeben. Sollte da wirklich Ironie drin stecken und der Artikel als subversiver Seitenhieb auf die einseitige mediale Berichterstattung zu verstehen sein, dürfte das bei so gut wie niemandem auch so angekommen sein. Dazu hätte er einfach im Artikel deutlich machen müssen, dass es ihm nicht um das Festival, sondern um dessen Aufarbeitung geht, und das hat er nicht getan.
Ich will ja auch gar nichts gegen Balzer selbst sagen, und wahrscheinlich teilen wir wirklich weitestgehend dieselben Ansichten. Möglicherweise würden wir uns in einem persönlichen Gespräch auch richtig gut verstehen. Ich beziehe mich einzig auf den verfassten Artikel, und der ist einfach in jeder Hinsicht kontraproduktiv.
Und nein, Zeitknappheit, Zeilenvorgaben und fehlender finanzieller Ausgleich sind keine Ausrede für schlechte Arbeit. Ich meine, ich arbeite in der Comic-Branche, Herrgott nochmal! Wenn er tatsächlich die Rahmenbedingungen für einen qualitativ zufiredenstellenden Artikel nicht gegeben sieht, soll er ihn halt nicht schreiben und gut.
***Blog zu deutschen Manga-Publikationen***
Oder hier: http://twitter.com/Demon_Zeparu
Grad über den Comic Clash hätt ich mir echt viel mehr Berichte erwünscht.