Zum Inhalt der Seite



Von Desinfektionsmitteln und Menschenversuchen bescheuert, Biowaffen, Chemie, Labor, Wissenschaft

Autor:  Major

Eine Anekdote aus dem Labor.

Eigentlich ist mir das gar nicht so aufgefallen. Aber bei der Rückfahrt von der Arbeit kam wieder dieses Thema Tierversuche und Menschenversuche für die Stickoxidforschung bezüglich Dieselabgasen im Radio. Normalerweise werden Menschenversuche ja immer eher verteufelt als Tierversuche, da ist es genau anders herum.

Das Thema, an dem ich derzeit auf der Arbeit arbeite, hat auch etwas mit beidem zu tun. Ich bin Chemiker und Mikrobiologe und zur Zeit in ein Projekt mit ein bisschen Forschung und viel Wirtschaftsförderung zu Tränkewasserdesinfektion in der Nutztierhaltung involviert. Das heißt, ich optimiere derzeit an einer Applikation, dieses Desinfektionsmittel irgendwie ins Tränkewasser zu bekommen.

Warum aber eigentlich Tränkewasserdesinfektion? Die Tränkeleitungen für Nutztiere werden quasi niemals gereinigt, erfahren aber oft eine krasse Rückwärtsinfektion mit Keimen aus der Tierhaltung. Die kommen über das Tier auf die Abnahmestelle und wachsen dann rückwärts die Leitung entlang, während von der anderen Seite auch Keime kommen, die natürlicherweise im Wasser enthalten sind. Beide zusammen bilden dann idealerweise einen Biofilm. Eine Schleimschicht, unter der eine wilde Bakterien-WG wohnt. Da drin wohnen nicht nur gute Mitbewohner, sondern such fiese, mit denen sich die Tiere dann bei der Aufzucht herumschlagen dürfen. Deswegen sind Antibiotika zur Mast so beliebt: Wenn sich das Tier nicht mit Bakterien abgeben muss, wächst es schneller und kann seine Energie dafür aufwenden. Die Biofilm WG gibt immer wieder Keime ans Wasser ab und die landen dann im Tier.

Hier ist jetzt die Idee, wenn die Landwirte aus welchen Gründen auch immer, nicht putzen können innerhalb der Leitung, dann sollen die abgelösten Bakterien wenigens tot an der Wasserabnahmestelle ankommen. Und daher die kontinuierliche Tränkewasserdesinfektion.

Was nimmt man dafür? Das ist ganz dem Landwirt überlassen. Während es für Menschen genaue Bestimmungen gibt, was und wie viel rein darf (Hypochlorit, Chlordioxid oder Ozon), ist man bei Tieren deutlich freier. 

Heute lief dann mal wieder alles durcheinander und ich hatte mit meinem Kollegen (für Vertrieb) abgemacht, dass wir auch Plan B auf Reisen schicken, um damit einen Test zu fahren. Darauf musste ich dann die Menge berechnen, wie viel ins Paket soll. Wobei mir die Menge auffiel... Wtf, es sollen 0.1% ins kontinuierliche Tränkewasser? 0.1% von einem Pulverprodukt, wo Säure drin ist. Und Phosphat. Und Kaliumperoxomonosulfat. Das schmeckt doch bestimmt total doll danach!

Und an diesem Tag musste die Laborordnung dran glauben. Nicht im Labor essen und trinken, schon gar nicht die Laborchemikalien! Ich habe das Pulver gemischt ohne Seife und ohne Farbe, weil mir das zu eklig war. Ich habe eine Lösung mit 0.1% Pulver und Leitungswasser angesetzt und in einer leeren Mineralwasserflasche (statt wie den Kolben auf meiner Zeichnung, aber das sieht einfach besser aus ;)) gelöst. Und dann angesetzt und einen ordentlichen Schluck genommen. Runter mit der Laborordnung! ... Uaaarghh, widerlich! Wisst ihr, wie das schmeckt? Wie "Chemikalienschrank" riecht! Und das soll ich den Tieren als einziges mögliches Tränkewasser zu trinken geben. Stell dir vor, du darfst nur das trinken und bnekommst kaum 3 Schluck runter. Die Säure schmeckt nicht mehr durch, aber das Permonosulfat.

Wir haben das Prinzip jetzt nicht neu erfunden, diese Produktart wird ganz ähnlich schon seit Jahren verkauft in genau dieser Konzentration. Aber hat jemals jemand seine eigene Plörre probiert? Wir fahren immer die Schiene "Tränkewasser muss so gute Qualität haben, dass man mit dem Tier zusammen trinken können mag!". 

Ich habe dann auch nochmal das Produkt vom Konkurrenten probiert. Das war noch mehr Überwindung, weil der noch Farbe und Duft drin hat. Und es war noch ekliger. 

 

Ich verstehe seit heute, wieso früher die Wissenschaftler zuerst immer alles an sich selbst getestet haben. Das liegt einfach auf der Hand. Du bekommst die Ergebnisse sofort und mit einer Bandbreite an Information, die dir niemand sonst sagen  kann. "Bäh, eklig" erklärt einfach überhaupt nicht, wie das Zeug schmeckt, aber wenn ich es selber trinke, dann weiß ich es einfach. Und dann brauch ich mir auch keine 50 Hühner suchen, die zwei Tränkeleitungen mit Wasserzähler bekommen, ich annehme, dass sie das besser schmeckende Wasser trinken und dann schau, wovon mehr weg geht. Zumal ich im Betrieb gar keine Hühner halten kann. 

Ja, bei manchen Sachen macht das Sinn. Ich habe vorher abgesteckt, dass mein Experiment zwar eklig schmecken könnte, aber im Großen und Ganzen ungefährlich ist, weil die Inhaltsstoffe ungefährlich sind. Oder ich sie zumindest dafür halte. Bei anderen Experimenten macht das wieder weniger Sinn. Aber was soll ich sagen, echte Tierversuche kann ich tatsächlich nur ungefährlicher Art mit Milchkühen machen, die dabei nicht krank werden dürfen, weil sie mir nicht gehören. Ansonsten hab ich halt nur Bakterien im Labor und die sagen mir nicht, obs schmeckt. Die sagen mir nur "ich sterbe hier!" oder "Ich wachse hier!". 

 

Und morgen werde ich das Zeug nochmal anrühren und dann muss mein Kollege aus dem Vertrieb das trinken :D Wer das verkaufen will, muss auch wissen, wie es schmeckt! Bei so Konsumzeug finde ich das wichtig. Natürlich fressen wir nicht unsere eigene Seife, wir halten auch nicht die Zunge in Aldehydmischungen. Aber Dinge für die Kuhhaut? Auf die Hände. Dinge zum Schweine waschen? Auf eigener Haut testen. 

Naja und dann  fängt man eben auch an, sein eigenes Desinfektionsmittel zu trinken. Aber das mache ich nicht mit allen Desinfektionsmitteln! Ich habe bisher nur wenige getrunken. ... Also so 5 stück... 

Avatar
Datum: 06.02.2018 20:06
Ich finde es mega cool, dass du das so hältst! :D
Meinen höchsten Respekt! Es braucht mehr Leute wie dich in den Bereichen der Wissenschaft!
„Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg in einer Kupferrüstung zu stehen und "Scheiß Götter!" zu rufen.“
―Terry Pratchett
 
... oder es ist einfach Frustration gegenüber den Göttern ... ;D
Avatar
Datum: 06.02.2018 20:34
Finde ich eine sehr, sehr vernünftige Einstellung (vorausgesetzt, man achtet aufs Risiko). Und ja, wenn man Babys ins Badewasser stecken will, oder ihnen Milch warm macht, testet man ja auch erst mal kurz an sich selbst, und dieses Fürsorgeprinzip sollte man überall übernehmen. Tierversuche sind eh so murksig, so wahnsinnig schlecht auf den Menschen übertragbar (aber das brauche ich dir ja nicht zu erklären, du kennst das Thema ja zur Genüge selbst).

Ich weiß, es ist ein ganz anderes Fach, aber darum mag ich Experimentalarchäologie auch so - testen, ob die ganzen Rekonstruktionsversuche dem überhaupt stanhalten. Theoretisch kann man viel überlegen und rumdoktorn, aber man weiß nie, ob es auch so läuft, wenn man es nicht einfach al probiert. Oder wenigstens Ethnoarchäologie zur Hilfe nimmt und schaut, ob das bei anderen funktioniert. Auf die Art kann man die antiken Rezepte auch viel eher nachvollziehen.
Hab mal einen Kurs zu Kräuterheilkunde belegt, und eine der ersten Maximen war da auch: koste einfach mal und schau genau, wie du dich dabei fühlst - passt das überhaupt? Eigene Erfahrungswerte sind unersetzbar.

Wir sollten vor lauter Objektivität und Wissenschaftsanspruch nicht vergessen, dass wir bereits hervorragende Messobjekte sind.
Avatar
Datum: 06.02.2018 23:04
Mh lecker.
Gute Einstellung so, bevor man es anderen Wesen antut, erstmal selbst probieren, kann man auch noch auf so viele andere Bereiche anwenden ...
Auch keine Ahnung, woher das Geschrei um die Diesel-Versuche kommt ... das waren Versuche um die MAK zu bestimmen, erstmal völlig ungefährlich (ist ja nicht so, dass die Versuchspersonen da in einer dicken braunen Wolke stehen, so wie die armen Studenten im Chemiepraktikum) und zweitens verfehlt die Studie ihren Sinn, wenn man sie nicht an Menschen durchführt.

Ist es eigentlich normal, dass man als Wissenschaftler wieder in die orale Phase zurückkehrt und alles in den Mund nimmt? :D Wie z.B. diese richtig lecker nach Erdbeer duftende Seife (bluärgh) oder purer Süßstoff (bluärgh²) ...
炉離坤供目
Avatar
Datum: 07.02.2018 02:16
Als ich klein war, habe ich auch die Futterpellets, die mein Hamster bekommen sollte, erst mal selber probiert (mit Erlaubnis von Mama, die sich damals in der naturwissenschaftlichen Spitzenforschung umtat, also Ahnung genug gehabt haben dürfte, um die Risiken einschätzen zu können -- für den Hamster war das ja dann auch sehr hilfreich).

Daher halte ich Deine Einstellung für schlicht heldenhaft. orz
Es ist kein Anzeichen geistiger Gesundheit,
wenn man in einem verrückten System als gut angepaßt gilt.

Avatar
Datum: 07.02.2018 09:17
DukeTeNebris:
> Als ich klein war, habe ich auch die Futterpellets, die mein Hamster bekommen sollte, erst mal selber probiert (mit Erlaubnis von Mama, die sich damals in der naturwissenschaftlichen Spitzenforschung umtat, also Ahnung genug gehabt haben dürfte, um die Risiken einschätzen zu können -- für den Hamster war das ja dann auch sehr hilfreich).
>
> Daher halte ich Deine Einstellung für schlicht heldenhaft. orz

Richtig so, und auch das Futter selbst probiert? Man kann ja nie wissen, ob das auch genießbar ist . Diese Milchdrops waren immer sehr gut ... die hätte ich meinem Karnickel am liebsten alle selbst weggefressen. Ähem, alles für die lieben kleinen Haustierchen.
炉離坤供目
Avatar
Datum: 08.02.2018 12:02
Respekt. Und vielen Dank, dass du diese Infos und Erfahrungen teilst!
Ja, über sowas habe ich selbst ehrlich gesagt auch noch nie nachgedacht, aber auch, weil ich mit dem Thema absolut keine Berührung habe. Wenn man damit noch eher zu tun hat, kommt man sicher schon eher auf solche Ideen wie du. Da ich vor so chemischen Sachen stets einen gewissen, respektvollen Abstand wahre, wäre ich nicht einmal auf die Idee gekommen, das selbst zu trinken.
Wenn es erwiesenermaßen ungefährlich ist, gut, warum dann nicht mal probieren, was man da macht? Ich schließe mich den übrigen hier an - es müsste deutlich mehr Leute wie dich geben, ob in diesem oder anderen Wirtschaftsbereichen. Leute, die nicht alles objektiv betrachten und "ich arbeite halt nur, scheiß drauf, was am anderen Ende damit passiert" drauf sind. Leute, die mal nachdenken, bevor sie irgendwelche Gesetze beschließen, Firmen umstrukturieren oder was weiß ich alles tun. Ich komme aus dem Speditionsgewerbe und da gibt es viele Entschlüsse von Leuten "für den Fahrer", die absolut keinen Plan von der Materie haben und es dem Fahrer noch schwerer machen als ohnehin schon.
Gerade diese Leute, oder auch die gewöhnlichen Disponenten, die völlig realitätsfremd arbeiten, sollte man mal in den LKW setzen, damit sie sehen, wie es da draußen auf der Straße abläuft.

Gut, lassen wir das, bevor es zu weit abschweift. Aber ich denke, du weißt, was ich meine.
So oder so - mehr nachdenken würde in einigen Bereichen schon einiges bewirken.
~ In Wirklichkeit ist die Realität ganz anders. ~
おかミ
Avatar
Datum: 19.09.2018 02:55
Ich finde das auch extrem mutig und vorbildlich, wie du an deinen Beruf und das Thema "Tierversuche" herangehst. Auch dass du die Risiken im Auge behältst, darauf hinweist, und nicht zum allgemeinen Nachmachen animierst. Aber gerade die Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, was in die Nahrung, die Haut, oder sonstirgendwohin kommt, was für Menschen und Tiere bedeutsam ist, sollten sich selbst als Maß der Dinge sehen und sich fragen, ob sie das, was sie z.B. den Kühen anbieten wollen, auch ihren Kindern anbieten oder selbst essen/trinken würden.

Wie ist die Geschichte mit deinem Kollegen eigentlich ausgegangen? Hat er auch probiert? Und was hat er gesagt? Wär ja cool, wenn es die Betreffenden dazu veranlasst hat, tatsächlich noch mal über das Mischverhältnis nachzudenken.
http://fushiginanihon.blogspot.com

Wenn sich eine deutsche Studentin nach Tokyo verirrt...


Zum Weblog