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Phonetik III oder Warum der gemeine Deutsche nicht englisch klingt Phonetik, Uni, Wissenswertes

Autor:  Karopapier
Diesmal werde ich euch, wie versprochen, ein wenig über englische Vokale reden. Wie immer geht es um das British English, das sage ich deswegen dazu, weil vor allem bei den Vokalen ein sehr großer Unterschied zwischen BE und AE besteht.

Das erste, was man über Vokale lernt, ist, was ein Vokal ist:
Spoiler

Ein Vokal ist ein Laut, bei dessen Bildung kein Hinternis gebildet wird, das den Luftstrom aufhält oder zu hörbarer Reibung bringt; der, akustisch analysiert, keine Geräuschkomponente enthält, sondern eine harmonische Schwingung darstellt.

...eine sehr selbsterklärende und für den Nicht-Phonetik-Studenten auch absolut überflüssige Definition.


Das zweite, das man über Vokale lernt, ist, dass es fünf wichtige Merkmale gibt, anhand derer man Vokale unterscheiden kann:
1. Der Typ: Monophtong oder Diphtong?
2. Der Zungenteil: Wo wird der Vokale gebildet V (= vorne), M (=Mitte)oder H (=hinten)?
3. Der Öffnungsgrad: Wie nah ist die Zunge dem Gaumen?
4. Die Lippenstellung: Sind die Lippen gespreizt, neutral oder eher gerundet?
5. Die Quantität: Wie lang ist der Vokal?

Das Ganze wird dann in einer Abbildung festgehalten, die sich Vokaldiagramm nennt.


Das da ist eine Zunge. Oder besser gesagt eine stilisierte Skizze einer Zunge. Normaler Weise müsste die Zunge auch ein gutes Stück schräger sein und bestimmte Winkel in bestimmten Ecken haben, aber dafür habe ich nicht die Zeit und außerdem bin ich zu faul – es ist so oder so unkomplizierter, es so zu erklären, und macht für das Verständnis keinen Unterschied.

Die Abbildung zu einer nicht ganz so stilisierten Zunge, anhand derer ich das Diagramm erklären werde, wäre das hier:



Die durchgezogenen Linien werden sicher alle schon mal auf einer Abbildung gesehen haben – sehr wahrscheinlich im Biounterricht, falls es nicht im Biounterricht war ist es auch egal. Die Hauptsache ist, dass ihr folgendes erkennt:

1.: Es ist ein Querschnitt durch einen Kopf, bei dem Nasenhöhle, Mund mit Zunge und Zähnen und die Luftröhre eingezeichnet sind.
2.: Es ist eine gestrichelte Linie zu erkennen, die ebenfalls im Mund patziert ist und, ihrer Lage nach zu urteilen, etwas mit der Zunge zu tun hat.
3.: Sowohl die durchgezogen gezeichnete Linie für die Zunge als auch die gestrichtelte Linie haben einen Punkt.

Diese Zeichnung zeigt nämlich nichts anderes als die Zungenlage bei der Aussprache von /i/ und von /ɑ/. Ersteres wird durch die durchgezogene Linie verdeutlicht, zweiteres durch die gestrichelte. Und was die Punkte zu sagen haben, ist auch nicht so schwer: Sie zeigen die Lage des jeweils höchsten Punktes der Zunge. Das könnt ihr gerne mit dem Lineal nachprüfen, es ist tatsächlich so.

In dieser schon etwas ausführlicheren Abbildung seht ihr eine Form eingezeichnet, die dem Vokaldiagramm von oben schon relativ ähnlich sieht:



Ganz links oben und ganz rechts unten seht ihr wieder unser /i/ bzw. unser /ɑ/. Unter dem /i/ und über dem /ɑ/ seht ihr die restlichen sogennanten Kardinalvokale; links die hellen Vokale (den Begriff kennt ihr sicherlich schon aus der Schule), bei denen die Vorderzunge den Abstand zwischen Zunge und Gaumen bestimmt, rechts die dunklen Vokale, bei denen die Hinterzunge den Abstand bestimmt.
Zungenbewegungen weiter nach oben oder hinten (also hier rechts) lassen Konsonanten entstehen.

Noch viel vereinfachter wäre folgendes Bild:

Wenn ein Vokal auf der obersten Linie liegt, ist er geschlossen, der Abstand zum Gaumen ist also ... sozusagen nicht existent und er ist kein Vokal mehr, liegt er auf der untersten Linie, liegt der entgegengesetzte Fall vor und er ist offen, die Zunge hat also einen sehr großen Abstand zum Gaumen.

Das Ganze gibt es auch in durchnummerierter Form, das sieht dann so aus:


Früher waren Vokaldiagramme besonders wichtig, wenn es darum ging, neue Sprachen zu untersuchen. Aufnahmegeräte waren schwer und sperrig und vor allem zum Mitnehmen in unbekannte Gebiete, beste Beispiele hierfür sind Dschungel oder unzugängliche Gebirge, absolut ungeeignet. Deswegen wurden die jeweiligen Vokale in ein Vokaldiagramm eingetragen, um sie zumindest so weit wie irgendwie möglich dokumentieren und zu Hause analysieren zu können.

Bevor ich euch nun zeige, an welcher Stelle des Vokaldiagramms (eines ausführlicheren Vokaldiagramms um genau zu sein) welcher englische bzw. deutsche Vokal liegt, bekommt ihr eine Vokalliste – oder besser gesagt 2, für jede Sprache eine.

Da ich ein absolut perfekter Internetfreak bin und Formatierung im FF beherrsche, bekommt ihr jetzt meine unglaublich leserliche Handschrift zu spüren – ich scanne euch die Vokallisten jeweils ein. Das ist für mich weniger Sucharbeit und für euch bedeutend angenehmer als meine HTML-Versuche.
Ich habe auch extra wenig geschnörkelt.



Diese Liste bringt unglaublich viel. Vor allem denen, die sowieso eine miese Aussprache haben. Oder die keine Ahnung von Englisch generell haben. Oder denjenugen, die eine amerikanische Aussprache und zusätzlich keine Ahnung von Lautschrift haben – die würden "thought dann nämlich nicht wie (BE) /Ɵɔ:t/ sondern wie (AE) /Ɵɑ:t/ aussprechen. Und dementsprechend eben den Vokal dem falschen Zeichen zuordnen. (Auch die Leser, die keine Ahnung von Aussprache und/oder Lautschrift haben, werden sicherlich den Unterschied in der Schreibweise erkennen.)
Gut, man kann sich von der deutschen Vokalliste einiges herleiten, aber eben nicht alles.

Und dafür gibt es dieses tolle Vokaldiagramm – da ordnen wir nämlich jetzt alle tollen Vokale ein.

Das sieht dann so aus:


Es ist unsauber – wer sich beschweren will darf gerne ein eigenes, korrektes zeichnen – und auf Karopapier. Zumindest letzteres war allerdings beabsichtigt, unter den gegebenen Umständen fand ich, weißes Papier wäre ein allzu großer Bruch mit den Traditionen.

Sekundäre Vokale heißen übrigens so, weil sie immernoch im Bereich der Vorderzunge liegen, aber die Lippenstellung anders ist.

Aber zurück zum Vokaldiagramm: Fällt euch was auf? Falls ja: Super! Willkommen im Kreis der Eingeweihten! Falls nein: schaut euch mal an, wo beispielsweise das deutsche bzw. englische /i/ liegen. Oder /i:/. Oder /u:/. Besonders schön kann man es am /ɑ:/ sehen.
Oder, um es zu verkürzen: Die Vokale entstehen nicht an exakt der gleichen Stelle. Der Entstehungsort ist ein wenig verschoben – nicht viel, aber genug um den Unterschied zu hören. Zwar nicht unbedingt, wenn euer Gegenüber nur ein einzelnes Wort sagt, so groß ist der Unterschied nicht, sonst würde ja nicht in beiden Fällen das gleiche Lautschriftsymbol verwendet werden, aber sobald jemand länger in der Fremdsprache redet, aber die Vokalaussprache der eigenen Sprache verwendet, merkt man es doch. Und genau das ist der Grund, warum manche Deutschen um's Verrecken nicht englisch klingen!
Oder besser gesagt einer der Gründe (die Konsonanten gibt es ja auch noch), aber der wichtigere. Solltet ihr also eine sehr deutsche Aussprache haben, könnt ihr versuchen, eure Vokale etwas anzugleichen – das /u:/ ein klitzekleines bisschen weiter vorne zu sprechen, das /i:/ ein klitzekleines bisschen offener. Es mag anfangs schwierig sein, aber das Üben bringt eine Menge.


Eine Unterbrechung mache ich noch. Im nächsten Eintrag erkläre ich euch, was bei den Diphtongen passiert, wie die Konsonanten eingeteilt werden und was es mit Linking und der Großen Vokalverschiebung auf sich hat.
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Datum: 17.02.2011 17:33
> Und genau das ist der Grund, warum manche Deutschen um's Verrecken nicht englisch klingen!

Doch, sehr interessant für meinen Teil =)
Gleich zum nächsten...
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Religionskriege sind Konflikte zwischen erwachsenen Menschen, bei denen es darum geht, wer den cooleren imaginären Freund hat.


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