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Boston Boys - Fragmente

Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe
von

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Samsa – Februar 2016 I

»Samsa!«

Die Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken und ließ mich erstarren. Nein, nicht er! Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich mich in Luft aufgelöst.

Die Schritte auf dem Gras verstummten mit etwas Abstand hinter mir. »Hi.«

Da ich Lance aus den Augenwinkeln nicken sah, war das wohl nicht an mich, sondern an ihn gerichtet gewesen.

Doch ignorieren half nicht, damit er mich nicht bemerkte. Wie auch, er hatte mich ja zuerst entdeckt.

Nach dem ersten Wort wurde seine Stimme sanft und beruhigend. Ich konnte mir vorstellen, dass er sogar in die Hocke ging. »Keine Sorge, Isaac, ich hab deine Nachricht gelesen und will gar nicht mit dir darüber diskutieren. Ich akzeptiere deine Entscheidung. Ich würde dich auch gar nicht ansprechen, wenn ich nicht glauben würde, dass du dein Handy dringend zurück bräuchtest.«

Noch immer war ich nicht in der Lage, mich willentlich zu bewegen, doch meine Augen weiteten sich dennoch. Was hatte er mit meinem Handy zu tun?

»Andererseits ... vielleicht hast du auch schon ein Neues?« Jetzt war da doch Unsicherheit zu hören. Dass ich ihn nicht ansah, machte es sicher nicht einfacher. »Aber wenn du es noch brauchst: Es ist bei mir gelandet und du kannst es dir jederzeit abholen oder ich bring es dir irgendwohin. Wie es dir lieber ist. Hätte ich geahnt, dass du hier bist, hätte ich es auch mit ...« Er seufzte. Da ich seine Gestik gut genug kannte, war ich sicher, dass er sich unterm Kinn kratzte.

Er ließ mir Zeit, zu reagieren, aber das war auch egal, da ich eh kein Wort herausbrachte. Ich hatte genauso wenig damit gerechnet, ihn zu sehen. Der Schock lähmte mich und gleichzeitig hatte ich das dringende Bedürfnis, mich umzudrehen, ihm in die Arme zu fallen und ihm zu erklären, wie daneben ich mich benommen hatte und wie sehr ich es bereute; und hätte es mir doch selbst nicht geglaubt.

Stoff raschelte und ich kniff in Erwartung der Schritte auf Gras die Augen zusammen. Ich wollte, dass er ging; und doch auch nicht. Wenn er nur lange genug blieb, konnte ich mich sicher irgendwann aus der Starre reißen.

Doch die Schritte kamen nicht. Dafür streckte Lance neben mir seine Hand aus und hatte wenig später ein Stück Papier in der Hand.

»Wenn es dir lieber ist, kann auch jemand anders das Handy holen. Dann müsste ich das aber wissen ... Ich lass dir meine Nummer hier, gib einfach irgendwie Bescheid, ob und wie du es haben willst. Ich wünsch dir alles Gute.« Flüchtig, und vielleicht nur eingebildet, berührte er mich an der Schulter, bevor sich seine Schritte nun wirklich entfernten.

Der ungewollte Laut, der mir entwich, war eine Mischung aus Schreck und Bitte, es noch einmal zu tun; mich am besten einfach nur in den Arm zu nehmen und mir zu sagen, dass er mir verzieh. Doch noch im selben Moment war mir klar, dass er den Laut als abwehrendes Verhalten verstehen würde.
 

Nachdem die Schritte verklungen waren, sah mich Lance eine ganze Weile einfach nur an. Er wartete, dass ich ihm die Situation erklärte.

Und mir war bewusst, dass ich nicht darum herum kommen würde. Tino hatte mich vor meinem besten Freund ›Isaac‹ genannt. Lance wusste daher genau, dass es nicht nur eine flüchtige Bekanntschaft sein konnte.

Irgendwann wurde ihm die Zeit wohl doch zu lang und er lächelte leicht, während er mir die Visitenkarte entgegenhielt. »Dann ist ja gut, dass du noch kein neues Handy hast.«

»Ja«, murmelte ich. Dennoch fragte ich mich, wie das Handy bei Tino gelandet war.

»Und wer war das nun? Sollte ich eifersüchtig werden, weil er dich Isaac nennen darf?«

Das entlockte mir doch ein Schmunzeln. Als würde er deshalb wirklich eifersüchtig werden. So ungewöhnlich war das nun auch nicht. Es gab schließlich ein paar Menschen, die das durften. Fünf oder so ... »Tino.«

Lance zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Alter, wirklich? Glaubst du immer noch, ich würde mir bei dir irgendwelche Namen merken?«

Nein. Schließlich hatte ich Lance keinen Grund gegeben, sich den Namen zu merken. Ich hatte den richtigen Zeitpunkt, ihm von Tino zu erzählen, verpasst. Zuerst hatte es keinen Grund gegeben und dann war es so schnell gegangen ...

»Er hat mich mal zu dir gefahren.«

Lance’ Gesichtsausdruck machte deutlich, dass das noch immer viel zu wenig war.

»Als ich das mit Toby und Roger beendet habe und wir uns so gestritten haben. Ich war das Wochenende bei ihm.«

Mein bester Freund überlegte, fing dann an, etwas an den Fingern nachzurechnen. Die Falte auf seiner Stirn wurde immer tiefer. »Aber das ist ... über ein Jahr her.«

Verzweifelt fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare. Ich hätte es ihm wirklich irgendwann sagen sollen. »Ja. Ich hatte ihn danach nicht nochmal sehen wollen, aber er war so verständnisvoll und ... ich wusste nicht, wie ich dir von ihm erzählen sollte, ohne dass du falsche Schlüsse ziehst. Wir haben uns seitdem regelmäßig getroffen. Also bis ich letzten Monat mein Handy verloren habe.«

Lance ließ sich nicht anmerken, ob er mir böse war, weil ich nicht von Tino erzählt hatte. Aber vielleicht war ihm auch einfach nicht bewusst, wie tief das zwischen uns gewesen war. »Und warum dann nicht mehr?«

»Am Abend vorher ... wir hatten eine Meinungsverschiedenheit. Deshalb hab ich das Handy überhaupt erst verloren. Weil ich ohne für ihn eh nicht erreichbar war, hab ich ihm einen Brief geschrieben, dass ich ihn nicht mehr sehen möchte und ihm in den Briefkasten geworfen. Es hätte eh nicht mehr funktioniert.«

Zu meiner Überraschung nickte Lance bekräftigend. »Ja, das war sicher besser.«

»Was?!« Er hatte mir bei solchen Themen noch nie Recht gegeben.

Übertrieben verdrehte er die Augen. »Natürlich hast du es nicht gemerkt ... Ich hab ihn gerade mal ein paar Minuten gesehen, und sorry, aber der Typ ist vollkommen in dich verknallt.«

»Ich weiß.«

Nun war es an Lance, überrascht zu sein. »Du hast das echt bemerkt?«

Ich stöhnte genervt. Ich hasste es, wenn er glaubte, ich würde nichts von den Gefühlen der Menschen um mich rum mitbekommen. »Er hat es mir gesagt; Ende letzten Jahres. Aber ich wusste es schon vorher. Kurz nachdem ich ihm gesagt hab, dass ich mich in ihn verliebt hab.«

»Du warst in ihn verliebt?!«

Nun riss mir doch die Hutschnur. »Ja, verdammt! Im Gegensatz zu dem, was du von mir denkst, bin ich kein gefühlloses Arschloch, das andere nur ausnutzt! Dass ich sie anders zeige, heißt nicht, dass ich keine Gefühle habe oder andere sie nicht so annehmen könnten! Im Gegensatz zu dir macht er sich die Mühe, zu versuchen, mich zu verstehen.«

Er schnaufte. »Na so groß kann deine Liebe ja auch nicht sein, wenn er sofort keine Ahnung mehr hat, wie er dich erreichen kann, sobald du kein Handy mehr hast.«

Wütend biss ich die Zähne aufeinander. Das war nicht fair! Lance wusste ganz genau, dass ich meine Fickbekanntschaften nicht mit zu mir nach Hause brachte. Und auch wenn Tino schon lange nicht mehr nur das war, so hatte es nie einen Grund dafür gegeben.

Dennoch nagte sofort der Zweifel an mir, ob ich das dennoch hätte tun sollen. Wäre es das Richtige gewesen, es ihm wenigstens mal anzubieten? Oder zumindest zu fragen, ob er das wollte?

Aber nur, weil ich es nicht getan hatte, liebte ich ihn doch nicht weniger ...

Lance’ Blick sagte deutlich, dass er glaubte, mich damit erwischt zu haben.

»Du hast doch gar keine Ahnung, was zwischen uns war!«

»Nee. Woher auch? Du hast es ja auch nicht für nötig gehalten, mir irgendwas davon zu erzählen. So wichtig war es also ...«

»Lance!« Verdammt, machte er mir jetzt wirklich deshalb eine Szene?

Hilflos fuhr ich mir mit der Hand durchs Gesicht. »Es tut mir leid. Ja, ich hab’s versaut. Aber ich wusste echt nicht, wie ich dir davon erzählen sollte. Weil ich genau wusste, dass dann sowas kommt. Du hättest nicht einfach akzeptieren können, dass ich – Tino und ich – dass wir glücklich miteinander sind, ohne ›zusammen zu sein‹. Du hättest mir reingeredet, bis ich dir glaube, dass es ihm gegenüber nicht fair wäre und er das nur für mich behauptet. Aber glaub es oder nicht: Ich habe da selbst oft genug drüber nachgedacht, ob das so sein könnte. Und weißt du was: Ich glaube wirklich, dass ich mit Tino jemand gefunden habe, der mich versteht und ehrlich dasselbe möchte wie ich. Das lasse ich mir nicht von dir kaputt machen!«

Wut sprühte mir aus Lance’ Augen entgegen. »Ich muss da gar nichts kaputt machen. Das hast du ja offensichtlich schon allein geschafft.«

Was?! Das ... Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Fassungslos starrte ich ihn an, während mir die ersten Tränen in die Augen stiegen.

Wütend wischte ich sie weg und erhob mich. Ich nahm mir nicht mal die Zeit, meine Gitarre in den Koffer zu packen, sondern nahm jeweils eines in jede Hand und ging.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chaos-kao
2022-05-14T14:07:37+00:00 14.05.2022 16:07
Naja, so ganz Unrecht hat Lance ja nicht. Mehr als Erinnerungen scheint es aktuell ja wirklich nicht mehr zum kaputt machen zu geben. Schlauer warum es nun auf einmal nicht mehr mit Timo funktioniert, bin ich aber definitiv noch nicht. Samsa ist schon wirklich ein komplizierter Mensch. Ich hoffe er bekommt die Kurve noch. Würde ihn ja schon wünschen einfach mal glücklich zu sein...
Antwort von:  Vampyrsoul
27.05.2022 18:57
Ja, im Moment ist da wirklich nicht mehr viel zum Kaputtmachen. Ob das aber unbedingt so gesagt werden musste ^^'
Wie schon gesagt, es dauert noch etwas, bis genau gesagt wird, was passiert ist. Aber es kommt, versprochen.


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