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Boston Boys - Fragmente

Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe
von

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Samsa – August 2015 III

»Tino!«, ich schlug bewusst einen scharfen Ton an, als ich die Wohnung betrat und die Tür hinter mir schloss.

»Oh, du bist doch hergekommen?« Er kam aus dem Wohnzimmer und begrüßte mich im Flur.

»Ja, um dir deinen Schlüssel wiederzugeben.« Ich drückte ihm den in die Hand.

Als ich ihn bei meinem Treffen mit Dave in der Tasche meiner Motorradjacke gefunden hatte, war ich wirklich wütend geworden. Das war nicht, was wir abgemacht hatten!

»Schon gut, behalt ihn.« Er lächelte, als er ihn mir wieder entgegenhielt.

Zornig zog ich die Augenbrauen zusammen. »Wir haben gestern festgestellt, dass das nicht geht, wenn ich dich nicht aus Versehen bei Dates überraschen soll. Und ich möchte nicht, dass du mir Bescheid sagen musst.«

»Ja. Ja ich weiß. Aber ich hab darüber nachgedacht und es ist mir das Risiko wert. Ich meine, seitdem du den Schlüssel hast, bin ich eh dann meistens eher woanders hingegangen und dich schien es nicht zu stören, im Notfall auch allein hier zu sein. Ich find es zu schön, mich von dir überraschen zu lassen. Da kann ich mit leben, dass es auch mal schiefgeht.«

»Aber das kannst du nicht allein entscheiden!«

Sein Blick wurde schuldbewusst und er strich sich durch die kurzen Locken. »Tut mir leid. Ich hatte das Gefühl, du würdest ihn gern wiederhaben.«

»Ja, aber nicht so ...« Erschöpft seufzte ich. Ja, ich fand es auch schön, wie es die letzten Monate gelaufen war, aber das war dennoch etwas, was er nicht einfach so zu entscheiden hatte.

»Wie sonst?« Die Frage klang ehrlich.

»Du hättest mit mir reden sollen, ob das Risiko auch für mich in Ordnung ist. Weil ganz ehrlich: Ist es nicht. Zumindest nicht so wie gestern. Ich hab mich nach deinem Rauswurf schlecht gefühlt und wusste noch nicht einmal, was ich falsch gemacht habe. Und jetzt hängt mir ein Freund, den ich heute Morgen erst beruhigen konnte, in den Ohren, dass ich aufpassen soll, dass du nicht künstlich Drama machst, damit wir uns danach wieder ›versöhnen‹ können. Scheiße, Tino! Ich hab das schon einmal hinter mir, mich emotional manipulieren zu lassen und dass solche Entscheidungen für mich getroffen werden. Ich hab keine Lust, das nochmal mitzumachen!«

Tino sah mich besorgt an und legte seine Hand auf meine Schulter. Sanft führte er mich in die Küche, wo er den Schlüssel auf den Tisch legte und Kaffee aufsetzte. »Tut mir leid. Mir war nicht bewusst, dass ich da etwas über deinen Kopf hinweg entscheide. Ich dachte, ich mache dir damit eine Freude. Aber du hast recht, ich hätte noch einmal mit dir reden sollen, nachdem wir gestern etwas anderes besprochen haben. Und was den Rest betrifft: Ich verstehe, woher die Sorge deines Freundes kommt, aber es war wirklich keine Absicht.«

Ich legte den Kopf in die Hände und fuhr mir durch die Haare. Ich wollte ihm glauben, er hatte mir bisher keinen Grund gegeben, ihm nicht zu glauben, doch das hatte ich schon einmal gedacht. Damals hatte ich mit niemandem darüber gesprochen und hätte auch auf Warnungen nicht gehört. Diesen Fehler wollte ich nicht erneut machen.

»Darf ich?« Er kniete sich neben mich, um auf Augenhöhe zu sein, deutete an, mich anzufassen, und legte mir die Hand sanft in den Nacken, nachdem ich genickt hatte. »Ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll. Vermutlich kann man mir jede Versicherung, dass dein Freund falsch liegt, und jeden Trost als Manipulation auslegen. Ich kann dir nur anbieten, mir anzuhören, was deine Sorgen sind, wenn du den Schlüssel wieder nimmst, und vielleicht finden wir ja doch eine Lösung mit der wir uns beide anfreunden können? Wollen wir das versuchen? Oder lieber im Moment nicht?«

»Doch, bitte.« Ich griff nach seiner Hand und küsste sie.

Ehrlich lächelnd stand er auf. »Schön. Dann zieh mal deine Jacke und so aus und ich mach den Kaffee fertig, dann reden wir.«

 

Tino setzte sich auf den Stuhl neben mir und drehte sich so, dass wir uns gegenübersaßen, ohne die Tischplatte zwischen uns zu haben. Eine der Tassen schob er vor mich, von der anderen nahm er einen Schluck, bevor er den Schlüssel bis auf Armeslänge an mich heranschob. »Magst du erzählen, was du zu dem Thema denkst, und dann erzähl ich, was ich darüber denke, und am Ende sehen wir, ob wir uns irgendwo treffen können?«

Es war komisch, dass ich zuerst erzählen sollte. Es machte mich nervös, weil ich das Gefühl hatte, ich könnte etwas Falsches sagen. Doch es fühlte es sich auch richtig an. Als wollte er meine Meinung wirklich erfahren.

Ich atmete tief durch, sortierte meine Gedanken. Ich schaffte das!

»Ich komme gern spontan zu dir. Nicht nur, weil ich einfach gern hier bin, sondern auch, weil ich genau weiß, dass du dich darüber freust.« Dass er keinerlei Miene verzog, sondern mich weiterhin auffordernd neutral ansah, nahm mir ein wenig den Wind aus den Segeln. Ich hatte gehofft, ihm wenigstens ein Lächeln entlocken zu können, irgendetwas, was mir zeigte, was er hören wollte. Doch nichts. »Ich hab mich schon vorher mal gefragt, was wäre, wenn du gerade Besuch hast, wenn ich ankomme, aber es dann doch weggeschoben, mir gedacht, ich entscheide dann, wenn es so weit ist. Nur gestern früh ... Ich weiß es nicht, ich hab damit gerechnet, dass du mit so einer Situation lockerer umgehen würdest? Und dann warst du gestern so harsch, dass ich nicht mehr weiß, ob ich mir vorstellen könnte, das Risiko nochmal einzugehen. Ich bin an der Situation nicht unschuldig gewesen, aber ich wüsste auch nicht, was ich anders machen könnte, weil so verschlafen würde ich vermutlich genau dasselbe wieder machen. Und so ohne Erklärung, ohne Ahnung, ob es das nun endgültig war, rausgeschmissen zu werden und dann lange nichts von dir zu hören, war für mich ... schwierig. Weder habe ich Lust, mir solche Vorwürfe nochmal anzutun noch so harsch von dir angegangen zu werden.«

Einen Moment sah er mich an, wartete wohl, ob ich noch etwas zu ergänzen hatte, doch als ich einen Schluck von meinem Kaffee nahm, ergriff er das Wort: »Ich weiß, ich hab mich gestern schon entschuldigt, aber ich tu es nochmal: Es tut mir wirklich leid, ich hätte dich nicht so rauswerfen dürfen. Mir war nicht bewusst, dass es dich so sehr treffen würde und ehrlich gesagt ist mir das mit dem Schlüssel auch eher so rausgerutscht. Ich hab nicht darüber nachgedacht, dass es genauso gut bedeuten könnte, dass ich dich nicht mehr sehen will. Im Nachhinein sehe ich das natürlich. Es wäre etwas anderes gewesen, wenn ich dir ruhig gesagt hätte, dass das nicht funktioniert, ich bin mir sicher, dann wärst du nicht auf die Idee gekommen, aber das war die falsche Art. Wirklich, es tut mir leid. Aber das scheint dieses Wochenende allgemein so ein Problem von mir zu sein, dass ich einfach tue, aber nicht mit dir rede ...«

Diesmal war es an mir, ihn neutral zu betrachten. Es war gut, dass er sich entschuldigte, aber das allein brachte uns keine Lösung.

Doch er kam auch auf den Punkt: »Du sagst, dass du das Gefühl hast, an deinem Verhalten von gestern nichts ändern zu können, und das kann ich nachvollziehen, aber vielleicht kann ich etwas an meinen verändern? Ich hab dich absolut scheiße behandelt, nicht nur beim Rauswurf, dabei hab ich mich eigentlich gefreut, dass du da warst.« Er lachte freudlos und schüttelte den Kopf. »Ich war nervös und unsicher und dann werde ich oft harsch, wenn etwas nicht läuft, wie ich es möchte. Ich kann dir nicht mal versprechen, dass es nicht wieder vorkommt. Aber das Problem war vor allem, dass du gar nicht so schnell fertig sein konntest, oder? Ich meine, wenn ich mitbekommen hätte, dass du ins Schlafzimmer kommst, dann hätte ich es dir gesagt, das hatten wir ja schonmal und da war es okay, du bist dann entsprechend früh aufgestanden. Es würde dementsprechend schon reichen, wenn ich einfach früher aufstehe, wenn ich morgens verabredet bin, oder nicht? Oder ich leg vorsichtshalber einen Zettel auf den Küchentisch, falls du vorbeikommst.«

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Ja klar, so einfach könnte die Lösung sein. Und doch klang sie zu einfach, um keinen Haken zu haben. »Das mit dem Zettel ... dann könntest du auch genauso gut schreiben. Und bist du dann bei beidem nicht enttäuscht, wenn ich dann doch nicht da bin?«

Er lächelte zärtlich. »Das bin ich immer, wenn du morgens nicht hier bist.« Hart schüttelte er den Kopf, als hätte er Angst, ich wollte etwas dazu sagen, dabei blieb mir einfach nur die Spucke weg. »Aber das ist nicht dein Problem, sondern meines. Damit muss ich klarkommen. Du hast es selbst schon gesagt, ich freue mich jedes Mal, neben dir aufzuwachen, manchmal wünsche ich auch, es wäre noch viel öfter, und doch weiß ich, dass es mir zu viel wäre, wenn du jeden Tag hier wärst. Das wäre mir zu eng, zu bedrängt. Und ich weiß, dass es dir genauso gehen würde. Deshalb freue ich mich umso mehr, wenn du da bist: Du entscheidest dich ganz bewusst für meine Nähe. Das ist das, worüber ich mich freue. Und wenn ich dafür die paar Male, wo es vorkommt, eine Stunde früher aufstehen muss, dann kann ich ehrlich gesagt damit leben.«

Ich schluckte. Das war so ... unerwartet romantisch, dass mir Tränen in die Augen stiegen und ich lachen musste. Ich konnte damit gerade absolut nicht umgehen.

Schmunzelnd betrachtete mich Tino. »Sagst du mir, wenn du fertig bist?«

Ich schluckte das Lachen herunter. »Ja, bin ich. Wenn du keine Erwiderung erwartest.«

»Ich würde zumindest gerne wissen, ob das so für dich einen Versuch wert ist.«

»Jain. Es löst nur das Problem, wenn du morgens Besuch bekommst – dahingehend wäre es einen Versuch wert – aber nicht, wenn du abends schon Besuch hast.«

»Was würdest du denn tun? Also angenommen, du kommst hier an und merkst, dass bereits eine andere Person hier ist, was würdest du machen? Du hast gesagt, dass du schonmal darüber nachgedacht hast. Ich bin mir sicher, dass dir etwas dazu eingefallen ist, auch wenn es nur ein kurzer Gedanke war.« Abwartend sah er mich an. Dabei war ich nicht sicher, ob es die gute oder schlechte Art abwartend war.

Ratlos zuckte ich mit den Schultern. »Spontan hätte ich, je nachdem wie müde ich gewesen wäre, mich vermutlich einfach auf die Couch gelegt und dort geschlafen oder wäre nach Hause gefahren.«

»Und was hält dich davon ab, das jetzt genauso zu machen?«

»Wie gesagt, ich dachte da noch, du würdest lockerer damit umgehen, wenn das passiert. Jetzt hätte ich Angst, dass du dann sauer wirst, wenn ich auf der Couch liege, wenn du aufwachst und Besuch hast.« Ich atmete tief durch. Das war der einfachere Teil. Über das andere hatte ich nie mit ihm gesprochen und es war mir peinlich. »Und nach Hause fahren ... Eigentlich kann ich mir das nicht leisten.«

Nachdenklich nickte Tino. Dann sprach er langsam. »Ich hätte eine Idee, aber da ich es die letzten Tage nicht schaffe, die Dinge richtig anzugehen, muss ich kurz darüber nachdenken, wie ich das anbringe, ohne dir aus Versehen auf die Füße zu treten. ... Erstmal: Es wäre für mich in Ordnung, wenn du dann auf der Couch schläfst. Auch wenn ich dich in dem Fall bitten würde, dass du mir eine kurze Nachricht aufs Handy schickst, damit ich die andere Person darauf vorbereiten kann, bevor sie über dich stolpert. Wäre das in Ordnung?«

»Ja klar.« Ich fürchtete eher das, was noch kam. Es war klar, dass mir das nicht gefallen würde.

»Das andere ... Wenn du möchtest, kann ich etwas Geld hier in der Küche deponieren. Du könntest es dir einfach rausnehmen, wenn du es spontan brauchst. Es wäre mir egal, ob du es mir zurückzahlst oder nicht. Und ich weiß, dass es dir nicht leichtfällt, das anzunehmen, weil es dir peinlich ist und weil du Angst hättest, dass du mir etwas schuldest, aber glaub mir: Das musst du nicht. Mir ist es wichtiger, dass du gehen kannst, wenn du nicht hier sein möchtest, als irgendwelches Geld oder wie auch immer geartete Schulden. Und weil ich mittlerweile weiß, wie du tickst: Ich werde mich bemühen, dich deswegen nicht häufiger als vorher einzuladen oder Ähnliches. Nicht, wenn du es nicht von dir aus möchtest. Ich meine, ich kann es nicht versprechen, ich möchte immerhin, dass es dir gut geht, aber ich werd mich wirklich zusammenreißen.«

Verlegen lächelte ich. »Du bist doof.«

Er grinste zurück und kam zu mir. »Ich weiß und du stehst darauf.«

Als er die Arme um mich legte, ließ ich mich einfach hineinfallen. Ja, er wusste wirklich zu gut, wie ich tickte. Aber seine Aussage gab mir die Zuversicht, ihn notfalls auch darauf ansprechen zu können, wenn er es übertrieb.

»Dann nochmal die Frage: Möchtest du es unter den Bedingungen nochmal versuchen mit dem Schlüssel?«

An ihn gekuschelt nickte ich.

Erfreut drückte er mich enger an sich, küsste mich aber nach einem Moment auf den Scheitel und ließ los. »Ich vermute, du möchtest dann ein paar Minuten allein haben für einen Anruf? Oder kommst du mit ins Wohnzimmer? Nur kuscheln!«

»Gilt das Angebot auch in Kombination? Im Wohnzimmer kuscheln und dabei telefonieren?«

»Natürlich auch das!«



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  chaos-kao
2021-02-20T22:00:31+00:00 20.02.2021 23:00
Jaaa, ich weiß, die sind kein Paar im klassischen Sinne, aber sie kommunizieren wie ein Paar. Nein, falsch, sie kommunizieren offener und ehrlicher als es vermutlich die meisten klassischen Paare tun würden. Es ist schön, dass Samsa jemanden gefunden hat, dem Ehrlichkeit genauso wichtig ist wie ihm :)
Antwort von:  Vampyrsoul
23.02.2021 13:48
Andererseits: klassische (sprich: der gesellschaftlichen Norm entsprechende) romantischen Beziehungen sucht man bei mir ja eh vergeblich XD
Aber ja, Samsa ist da wirklich an jemanden geraten, der schon lange übt, solche Gespräche zu führen, und das zum Glück auch kann. Tino ist ja auf dem Gebiet nicht-klassische Beziehungen auch kein Anfänger. Und ohne ähnliche Grundwerte wären die beiden gar nicht so weit gekommen. (Die nächste Geschichte wird auch etwas mehr über Tinos Verständnis von Beziehungen handeln.)
Antwort von:  chaos-kao
23.02.2021 13:55
Da freue ich mich schon drauf :)


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