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Boston Boys - Fragmente

Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
CN: Drogen (Heroin)
Kinderprostitution (implizit)
Krankheit (HIV)
Tod

Spoiler: Samsas Traum & Samsas Erwachen (leicht)
Amigo del Alma (mittel) Komplett anzeigen

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Mat – Dezember 1984

»Mir ist immer noch kalt.« Peter drängte sich zitternd dichter an mich. Es war sein erster Winter, er würde sich noch daran gewöhnen.

»Wird gleich warm.« Selbst auf dieses Versprechen hoffend drückte ich mir den Inhalt der Spritze in den Arm.

Oh, wie wenig wusste ich, dass sie nie wirklich Wärme brachten. Sie betäubten nur das Gefühl der Kälte, jedes Gefühl. Sie brachten mich in eine Traumwelt, weg von der bitteren Realität, die wir in unserer jugendlichen Naivität für Freiheit hielten. Doch was war das für eine Freiheit, in der wir von Tag zu Tag lebten, nie sicher, ob wir nicht doch eines Tages endeten wie Zed, der in seiner Ecke des Tunnels elendig krepierte. Nur eines der vielen Dinge, denen ich nur für eine kurze Zeit zu entkommen hoffte.

Als ich Peter im Sommer aufgelesen hatte – diesem schmächtigen, so zerbrechlich wirkenden, aber durch seine androgynen Züge so anziehenden Jungen nicht einmal zwei Wochen gebend, bevor er wieder nach Hause rannte oder tot in einem Graben gefunden wurde – waren wir zu fünft gewesen. Fiend war, nur zwei Tage nachdem Peter sich uns angeschlossen hatte, an einer Überdosis draufgegangen. Niemand von uns hatte ihn wirklich betrauert. Bis wir es realisiert hatten, war es eh zu spät gewesen, und er trug seinen Namen nicht zu unrecht. Er war geduldet, aber wirklich gemocht hatte ihn niemand. Victor war, als es anfing kalt zu werden, eines Abends nicht mehr am Unterschlupf aufgetaucht. Wir vermuteten, dass er sich für ein paar Tage bei einem Freier aufhielt, doch was wirklich mit ihm geschah, sollten wir nie erfahren. Jedenfalls hatte niemand von uns ihn je wiedergesehen. Und Magnum, mit 16 der älteste von uns, war letztendlich im Herbst genauso elendig verreckt, wie Zed es früher oder später tun würde – tatsächlich schaffte er es noch fast eine Woche; deutlich länger als ich ihm in seinem Zustand gegeben hätte.

Sie waren nicht die ersten und nicht die letzten, die wir so sterben sahen. Mehr, als es ihnen zu erleichtern, konnten wir nicht tun. Wie viele es im Endeffekt waren, kann ich nicht sagen. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Nicht alle kannte ich beim Namen und bei denen ich ihn kannte, habe ich ihn im Laufe der Jahre vergessen. Doch es waren zu viele; manche nicht einmal als Zahl in irgendeiner Statistik verewigt.

Es fing ganz langsam an. Freier, die ausgemergelt aussahen und irgendwann nicht mehr kamen, Gerüchte, dass ›Gottes gerechte Strafe‹ die ›Homoseuche‹ auslöschte, die ersten von uns, denen es immer schlechter ging. Und dennoch fühlten wir uns unbesiegbar. Uns konnte es nichts anhaben, wir waren keine Schwuchteln, wir taten das doch nur, um zu überleben – außer natürlich denen, die es doch erwischte. So viel Bullshit, doch was hatten wir für eine andere Wahl, als uns das einzureden?

Ob ich das Virus zu diesem Zeitpunkt schon in mir trug, weiß ich nicht. Gut möglich. Peter ist bis heute der Meinung, es wäre die Spritze gewesen, die ich mir irgendwann später mit einem unserer Wegbegleiter teilte, doch ganz ehrlich: Es könnte zu jedem Zeitpunkt gewesen sein. Als wären wir in einer Position gewesen, etwas von den Freiern zu verlangen, von dem wir noch nicht einmal wussten, dass es uns geschützt hätte. Vielmehr ist es ein absolutes Glückspiel gewesen, wer von uns sich ansteckte und wer daran draufgeht. Peter hatte den Hauptpreis gezogen, ich die Niete. So war es nun einmal, daran ließ sich nichts ändern.

Jedenfalls waren eine Woche später nur noch Peter und ich übrig. Zwei Jungen, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten und dennoch jeden Tag darum kämpften. Als Zed endlich seinen letzten Atemzug tat und Peter und ich zusammengekauert vor Erleichterung und Trauer weinten, gab ich ihm das Versprechen, das mich bis heute an ihn bindet. Ich werde bei ihm bleiben und auf ihn aufpassen, solange ich lebe.

Mit Zeds Tod hatten wir alles verloren, was uns geblieben war: unsere Freunde, gar Familie, den Schutz den so ein Zusammenschluss bietet und den Tunnelabschnitt, den wir das letzte halbe Jahr unser Zuhause genannt hatten. Am nächsten Tag würden wir ihn verlassen, einen anonymen Hinweis geben, wo Zed zu finden war, und uns etwas anderes suchen. Es gab nur noch Peter und mich und die Traumwelt in die wir uns flüchten konnten, wenn wir genug Geld auftrieben.



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