Zum Inhalt der Seite

1000 Ways to Die in the West

Die Memoiren eines Flohgeistes
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog


 

M

iroku sitzt recht nachdenklich auf den Stufen seines Hauses, nun, genau genommen, des Familienhauses. Hinter ihm ist es still, furchtbar still.

Sango ist samt den Kindern unterwegs, und dem hoshi ist nur zu klar, dass es ein schierer Vorwand war sie wolle ihren Bruder besuchen. Kohaku eilt schließlich permanent von einem Ende Japans zu anderen um Menschen vor Oni und Yōkai zu schützen – sie dürfte ihn nicht finden. Nein. Das war eine schlichte Retourkutsche für ihn selbst.

Und Miroku ist ebenso bewusst, dass es seine Schuld war.

Nun ja, vielleicht auch die der hübschen Händlerin, die vor zwei Tagen mit ihrem Mann in das Dorf gekommen ist um Geschirr und andere Töpfereien zu verkaufen.

Ja, er hatte ihr Hinterteil gestreichelt, aber sie hätte doch nicht gleich so einen Aufruhr machen müssen, dass wirklich auch der Letzte im Dorf das mitbekommen hatte, von Sango und Kagome ganz zu schweigen.

 

Inu Yasha! Will der jetzt auch noch was dazu sagen? Aber der Hanyō guckt eher vorfreudig, als er mit einem Satz die Stufen empor springt und etwas vor ihm absetzt. Einen kleinen Flohgeist.

„Inu Yasha, Myōga?“ fragt der hoshi etwas erstaunt.

„Du kannst doch schreiben, Miroku?“ Inu Yasha grinst etwas. „Hier, Myōga-jiiji möchte etwas geschrieben haben.“

Was soll das denn? „Äh, du kannst doch auch schreiben?“

„Ja, aber ich habe keine Zeit. Kagome will mit mir einen längeren Ausflug machen. Bis dann.“

 

Und weg rennt sein Freund. Miroku braucht gar nicht zu Kagome zu gucken, die am Dorfrand steht und auf ihren Gefährten wartet, um zu wissen, dass sie dahinter steckt. So seufzt er und sieht zu dem alten Flohgeist. „Wieso schreibst du nicht selbst?“

„Es sollen auch Menschen lesen könne,“ erwidert der ehemalige Berater des Taishō prompt. „Meine Schrift ist fein, da hast du recht, aber eben auch sehr klein.“

Die Strafarbeit, denn etwas anderes ist das kaum, würde immerhin die Wartezeit auf seine Familie verkürzen. So steht der hoshi auf. „Ich hole Tinte und Papier.“

 

Als er damit zurück kommt, hat sich der kleine Floh niedergelassen, schaut aber fast enttäuscht auf. „Das ist alles? Nun ja, das Papier wird für heute schon reichen.“

„Hm?“ Miroku setzt sich vor ihn. „Wie lang soll dein Brief denn werden?“

Vier Hände heben sich abwehrend. „Ach, nein, doch kein Brief! Das stimmt, das hat Inu Yasha-sama ja gar nicht erwähnt! Das werden meine Memoiren!“

Ein unterdrücktes Seufzen. „Myōga, du bist schon ziemlich alt! Das wird ja ewig dauern, wenn du damit beginnst, dass du aus dem Ei schlüpfst! Wie soll die Geschichte denn heißen?“ Ja, eine Strafarbeit, eindeutig.

„Ja, das weiß ich noch nicht.“

„Aber du willst damit anfangen, wie du aus dem Ei schlüpfst?“

Ironie ist an Myōga in diesem Fall verschwendet. „Äh, nein. Damit, wie ich aus der Puppe schlüpfte. Weißt du, Flohgeister erinnern sich nicht an ihre Larvenzeit.“

Das wären noch immer Jahrhunderte und Miroku sucht hektisch nach einer, sinnvollen und höflichen, Lösung zur Ablehnung. Falls Myōga sich beschwert wird es auch nicht besser. Ah, dessen Treue zu seinem geliebten, verstorbenen, Herrn. „Du hast allerdings schon bedacht, dass du da vielleicht auch Sachen erwähnst, die der verstorbene Taishō gern verschwiegen sehen würde?“

Der kleine Floh richtet sich empört auf. „Wirklich, was denkst du von mir! Nun ja, ein bisschen, aber nur das, was damals sowieso jeder wusste. Nun ja, so gut wie jeder.“

„Und dann auch über Sesshōmarus Welpenzeit plaudern? Ich denke nicht, dass der das gern hat.“ Zu seiner Erleichterung wird Myōga wirklich etwas blasser.

 

In dem alten Flohgeist war soeben eine ganze Reihe an diesbezüglichen Erinnerungen aufgestiegen – der kleine Sesshōmaru, der von seiner Mutter übers Knie gelegt wurde, von seinem Vater quer über die Schnauze gebissen wurde, später als Jugendlicher bei Vernachlässigung der Kriegerehre als Mädchen behandelt wurde und Kimonos besticken musste, bei Ungehorsam insgesamt so manche Strafarbeit ableisten durfte… „Nein, so nicht,“ meint er dann allerdings schlicht. „Aber der erste Band soll ja damit enden, wie ich der Berater des mächtigen Inu no Taishō wurde.“

„Der erste Band?“ Miroku hört selbst, dass seine Stimme heiser klingt. Das kann ja eine Weile dauern bis er Sango und die Kinder wieder zu Gesicht bekommt. „Um Buddhas Willen! Mehrere Bände?“

„Ach, wir fangen einfach an, mit meiner Kindheit und Jugend.“

„Erst die Überschrift.“ Zeit schinden, irgendetwas muss ihm doch einfallen! „Die Abenteuer eines Flohs?“

„Du brauchst nicht zu spotten.“ Myōga ist beleidigt. „Ich weiß sehr gut, dass ihr mich für feige haltet, aber nur mit Vorsicht wird ein Flohgeist so alt wie ich es bin. Oh, wenn dieses Gesicht reden könnte … Äh, ich meine, ich habe wirkliche Abenteuer und Gefahren bestanden. Und daraus gelernt sie zu umgehen!“

„Schon gut, schon gut. Also, wie willst du deine Lebensgeschichte dann nennen? Wie ich Berater wurde? Schon seit tausend Jahren Berater der Hundefamilie?“

„Nein.“ Aber der Flohgeist legt eine seiner vier Hände unter das Kinn. „Tausend ist gut. Nein, wir sagen, wie es ist. Es gibt tausend Wege … Ja, genau. Eintausend Wege um im Westen zu sterben.“

Miroku nimmt seufzend die Feder auf. Sangos Zorn und Kagomes Plan, da ist er sicher. Inu Yasha ist vorab gelassen worden, der Hanyō kann keine Intrigen schmieden und wenn sein Leben davon abhängt. Die Memoiren eines uralten Flohgeistes! „Also, fang schon an zu diktieren: Ich wurde….“

 
 

Es gibt keine tödlichere Gefahr als das Leben

Salvador de Madariaga

 
 

Ich erinnere mich als wäre es heute.

Ich schlüpfte an einem warmen Tag und erstickte fast. Hektisch robbte ich mich durch das Gewirr der Haare und stand plötzlich im Freien. Und, um ehrlich zu sein, lag ich eher. Ich war aus einer Höhle voller Haare gedrungen, neben, hinter mir, vor mir, waren andere wie ich – kleine Flohgeistkinder, nackt, mit langen, schwarzen Haaren und sehr verwirrt. Erwachsene Flohgeister standen da, nahmen uns in die Arme, kleideten uns ein und erklärten uns willkommen im Clan. Vollkommen erschöpft und fast erschrocken ließ ich alles über mich ergehen.

 

Erst später erkannte ich, dass es sich um ein Dorf handelte. Ein kleines Dorf mit kaum vierzig Familien am Fuße einer steilen Felswand, in der auch die Schlupfhöhle lag. Über dem Dorf, Schatten und Schutz geben, beugte sich unser heiliger Baum. Ich kam, mit zwei anderen, einem Mädchen und einem Jungen, zu einem Paar, das als unsere Eltern fungierte. Sie hatten wohl nicht die Eier gelegt, aus denen wir als Larven später schlüpften, aber das war auch kompliziert, wie ich dann erfuhr. Nun ja.

Ich erhielt den Namen Myōga.

Schon nach wenigen Tagen verschwand Yamato, unser Vater, und kehrte erst Tage, oder waren es Wochen, später zurück, den Magen voll mit Blut, das er uns gab. Dann ging Mutter Nene. Sie verschwanden immer abwechselnd und es war nicht schwer zu erraten, dass sie auf die Jagd nach Blut gingen um den Nachwuchs und sich zu versorgen.

Sie erklärten uns auch, dass wir Flohgeister waren und vom Blut anderer Lebewesen überlebten. Wichtig in diesem Zusammenhang waren allerdings jene Geschöpfe, die wie wir magisch waren, oder, genauer, Yōki enthielten, also Oni und Yōkai. Unsere Eltern lehrten uns auch uns zu kämmen, aufrecht zu gehen, zu reden, kurz, alles, was man überhaupt braucht um zu wissen, dass man ein Flohgeist ist. Auch zu springen, ja, zielgerichtet zu springen, was nicht sehr einfach war, gebe ich zu. Zuerst übten wir nur in einer Sandgrube, dann an einem Gestell, das angeblich eine Kuh darstellen sollte. Später würden wir mehr lernen, versprachen sie, und deuteten vielsagend auf unseren Dorfvorsteher Mikoto. Dieser war ein sehr alter Flohgeist, wenngleich, glaube ich, nicht so alt wie ich heute.

Er nahm alle Flohkinder unseres Jahrgangs in seine tägliche Obhut als wir vierzig Jahre alt waren, in die Schule, wie er es nannte.

 

Diese befand sich ebenfalls in dem Steilhang oberhalb des Dorfes, eine Grotte, wie ich sie heute bezeichnen würde, in dem roten Gestein. Inzwischen wusste ich auch, dass unser heiliger Baum nicht nur Schatten warf durch seine dichten Blätter, sondern uns auch vor Sturzregen bewahrte. Zudem schützte er uns vor tatsächlichen Angreifern wie Vögeln, als Tiere und Yōkai, denn seine Äste waren mit großen und äußerst spitzen Stacheln bedeckt.

Unsere Eltern hatten uns bereits von der Vielfalt der Lebewesen erzählt, Tiere, Menschen, Oni und Yōkai. Sie hatten nie erwähnt, dass die Welt außerhalb des Dorfes gefährlich sei, aber das konnte ich mir denken. Zu oft passierte es, dass jemand nicht mehr zurück kam, eine Familie sich nur mit einem Ernährer zurecht finden musste – oder auch sich dann zwei Familien zusammenschlossen. So hatte ich beschlossen viel zu lernen um selbst da draußen in der uns unbekannten Welt zu bestehen. Und mich an Meister Mikoto zu orientieren.

Mein Bruder, Akari, war deutlich mutiger. Er wollte unbedingt hinaus, freute sich auf diese Welt. Heute würde ich sagen, es war diese Sorte von Mut, die in sehr ungleichen Maßstäben Helden und Grabsteine hervorbringt.

Natürlich sind auch Inu Yasha-sama und Sesshōmaru-sama mutig, ich wäre der Letzte, der das je leugnen würde, aber sie sind was und wer sie sind. Und, sie können es sich leisten. Ein Flohgeist eher weniger.

Mikoto, unser Dorfvorsteher und Lehrer, erklärte uns viel, stundenlang konnte er über Naturgewalten sprechen. Er beschrieb, woran man kommende Erdbeben erkennen kann, Vulkanausbrüche und deren Folgen, ja, selbst Taifune.

„Hier im Westen sind wir vor ihren übelsten Folgen oft geschützt,“ erklärte er. „Aber nicht immer. Man merkt, dass sie sich nähern, wenn der Luftdruck sich ändert. Die einzige Naturgewalt, vor der wir hier in aller Regel verschont bleiben, sind Tsunami, riesige Wellen, die auf das Land auftreffen und alles verschlingen, was sich ihnen in den Weg stellt. Da hilft nur die weite Flucht auf Berge. Aber nun zu etwas anderem. Wenn ihr in wenigen Jahren zu den Erwachsenen gezählt werdet, und das werdet ihr in dem Moment in dem erneut der Tag der Eiablage kommt, ihr tatsächlich fünfzig werdet, von eurem Schlupftag als wahrer Flohgeist an gerechnet, werdet ihr auch das Dorf verlassen. Zunächst natürlich nur in Begleitung eines erfahrenen Erwachsenen, dem oder der ihr auch bei dem kommenden Nachwuchs helft.“

Ich stutzte, denn irgendwie war es mir nie so erschienen, als ob meine Eltern Helfer hätten. Und so meinte ich, ein wenig vorlaut weil ungefragt: „Das hätte bei uns auch so sein sollen, sensei?“

Mikoto sah mich an. „Nun, es ist so, Myōga. Yamoto tut dies.“

Mir wurde kalt. Mein Vater war kaum älter als ich? Wie alt wurden Flohgeister noch, sobald sie dieses Dorf verlassen mussten? „Aber, vergebt, wenn ich nachfrage ….der Tag der Eiablage?“

„Ja, natürlich, das habe ich nicht erwähnt. Hm. Alle fünfzig Jahre legen alle Weibchen im Dorf Eier. Diese werden jeweils zu Nestern gebunden und in den heiligen Baum gehängt. Wenn ein Vogel, ein Unwetter ein Ei-Nest trifft, so werden doch alle andern verschont. Und die Stacheln schützen. Und ja, alle fünfzig Jahre gibt es eine neue Generation Flohgeister. Wir müssen uns schnell vermehren. Deutlich schneller als gerade schwerttragende Yōkai. Die können sich besser verteidigen.“

„Aber, sensei,“ wagte sich ein Junge vor, dessen Namen ich heute nicht mehr weiß. „Wir ernähren uns doch von ihnen, wieso müssen wir mehr sein?“

Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich Mikoto blass werden. Unwillkürlich raufte er sich seine schütteren Haare. „Bist du vollkommen übergeschnappt? Lebensmüde? Kein Flohgeist ernährt sich von schwertragenden Yōkai, und, wenn du deine Übungen anständig machen würdest, wüsstest du auch, warum. Ja, Akari?“

Mein Bruder richtete sich auf, ohne natürlich dem Lehrer ins Gesicht zu schauen. „Wir müssen erst lernen, darum üben wir jetzt auch nur an dem Ebenbild einer Kuh und erhalten ausschließlich Blut von Säugetieren.“

„Das ist schon einmal richtig. Ihr erhaltet das Blut von Säugetieren, zumeist von welchen aus menschlicher Obhut. Das hat einen guten Grund. Schlägt eine Kuh oder ein Pferd nach euch mit dem Schwanz oder bekommt euch unerfahrene Geister zwischen die Zähne, so werdet ihr platt gedrückt, womöglich sogar verletzt, aber ihr kommt nicht um. Darum ist erst als zweiter Schritt das Blut von Menschen vorgesehen.“

„Aber, sensei,“ sagte ein Mädchen. „Menschen besitzen doch auch kein Yōki, wie sollen wir uns denn von Säugetieren und Menschen ernähren können?“

„Menschen besitzen kein Yōki, richtig. Aber manche von ihnen besitzen das Gegenteil, Reiki. Sie sind in der Lage selbst Oni und einfache Yōkai zu läutern, umzubringen, und das würde ihnen auch mit euch gelingen. Darum sollt ihr zunächst an Säugetieren, dann an schlafenden Menschen die Kunst üben sich heranzuschleichen, zu trinken und bei Gefahr weg zu springen, ehe ihr euch an Oni und Yōkai wagt. Denn eines ist klar. Momentan lebt ihr von dem Blut, das eure Eltern von Säugetieren besorgen. Habt ihr je das Blut eines Oni getrunken, seid ihr daran gebunden, erst recht, wenn ihr die Macht des Blutes eines Yōkai kennen lernt. Dann genügt kein Säugetier mehr um euren Durst zu stillen.“

„Und nach den gewöhnlichen Yōkai, kommen dann endlich die, die bewaffnet sind,“ erklärte jemand, ich glaube, Akari.

„Nein!“ Mikoto wäre fast aufgestanden. Sein Schnurrbart zitterte förmlich. „Unverständig bist du! Niemals, niemals, hört ihr, wagt ihr euch an einen schwerttragenden Yōkai, schon gleich gar nicht in Menschenform. Das sind welche aus den Arten der Hunde, Wölfen Katzen und Füchse – mächtig und zu gefährlich. Sie bemerken allein eure Annäherung schon und würden euch umbringen.“

„Ich hörte aber es gibt noch mächtigere Yōkai als die Schwerttragenden…..“ wandte jemand ein.

„Oh ja, Daiyōkai, die Fürsten unter den schwerttragenden Yōkai. Mächtig, in der Tat. Und nie, niemals solltet ihr ihnen nahe kommen. Sie benötigen weder Waffe noch Hand, sie könnten euch allein mit ihrem Yōki töten. Nun, sagen wir, nicht jeder Daiyōkai ist ein Fürst, davon gibt es nur wenige, aber jeder Fürst ein Daiyōkai. Lasst eure Rüssel von allen, die ein Schwert tragen, das muss doch zu verstehen sein!“

Oh ja, ich hatte verstanden. Und ich nahm mir damals fest vor niemals einem Yōkai mit einem Schwert oder gar einem Daiyōkai zu nahe zu kommen. Am sichersten wäre es vermutlich das Dorf nie zu verlassen, aber das würde kaum gelingen, Blut musste für den Nachwuchs herangeschafft werden und auch die erwachsenen Flohgeister benötigten unseren Lebenssaft. Da kam mir eine waghalsige, aber durchaus logisch erscheinende, Idee. Mikoto war Dorfvorsteher und Lehrer. Der geachtetste Flohgeist. Und, soweit ich gesehen hatte, hatte er zumindest in den letzten Jahren das Dorf nie verlassen, sondern wurde mit versorgt. Das wäre doch auch ein Weg für mich? Vermutlich würde es nicht einfach werden, aber besser als der im Unbekannten lauernde Tod.

 

So ging ich nach dem Unterricht noch zu ihm und wartete höflich, bis er mich bemerkte.

„Myōga? Was möchtest du denn noch?“

„Darf ich mehr lernen?“ fragte ich, schon, um nicht direkt zu sagen, ich wolle sein Nachfolger werden. Das klang doch irgendwie unhöflich.

Meister Mikoto schien irritiert. „Was denn?“

„Alles, sensei. Ihr kennt doch alle Tiere in ganz Japan….“

Seine dunklen Augen musterten mich mit sichtlicher Neugier. Hatte ihn das noch nie jemand gefragt? „Ja, ich habe viel auf meinen Reisen gesehen, ehe ich wieder hierher kam. Aber, das Meiste habe ich bei meinem Lehrer gelernt.“

„Dann war das Euer Vorgänger?“ erkundigte ich mich hoffnungsvoll.

Aber Mikoto schüttelte den Kopf, dass seine wenigen Haare flogen. „Oh nein. Kein Flohgeist. Er hieß Nekohiko und lebte, nun, er lebt wohl noch immer, in einem Zauberwald in der Provinz Fukui. Ein sehr mystischer Wald voller Geheimnisse, die kein Schüler je ergründen könnte. Ja. Hekashin, lautet der Name. Und ich habe dort wahrlich viel gelernt, auch über Magie.“

Magie war, soweit ich wusste, einem Flohgeist verschlossen. Entsprechend starrte ich meinen Lehrer wohl an.

Er lächelte etwas. „Nein, ich vermag keine Magie zu wirken, kleiner Myōga. Aber ich kann sie sehen und zum Teil verstehen.“

Oh, das war sicher wichtig und selten. „Und Fukui, wo liegt das?“

„Im Nordosten des Westens.“

Ich musste wohl sehr verwirrt aussehen, denn er lachte.

„Wir leben hier im Gebiet des westlichen Territoriums, des westlichen Fürstentums, wie man auch sagt. Der Fürst und Herr hier ist ein Daiyōkai aus dem Blut der Hunde. Er schützt diese Gebiete vor Einfällen feindlicher Yōkai. Er ist schon recht alt und hat keinen Nachfolger.“ Das klang eher gemurmelt.

„Ach, deswegen meintet ihr, dass Kinder unter Yōkai viel seltener sind als bei uns?“

„Auch. Aber er hat eine Tochter. Nur dürfen unter schwertragenden Yōkai Frauen zwar kämpfen aber nicht herrschen. Jedenfalls, der Hekashin liegt noch in seinem Gebiet, aber nahe an der nordöstlichen Grenze. Und, Myōga, wenn du Interesse hast, werde ich dir einmal die Karten zeigen, auf denen der Westen und ganz Japan eingezeichnet sind. Daraus kann man Wege ableiten.“

„Oh ja, ich wäre begeistert, sensei,“ erklärte ich ehrlich. Je mehr ich wusste, desto wichtiger würde ich doch auch für das Dorf sein und umso mehr in Ruhe leben können. Dachte ich, ahnungsloses Kind, das ich doch damals war.

 

Mikoto hielt sein Versprechen und erklärte mir Karten, wie man sie las, allerdings nicht viel mehr, denn er wollte mir nun Lesen und Schreiben beibringen. Das sei sehr wichtig und obwohl ich es zuerst begeisternd fand, dass ich als einziger Schüler das zusätzlich lernen sollte, so war es doch anstrengend und sehr mühselig. Dennoch schlug ich mich durch, immer in der Hoffnung, dass ich dann der nächste Lehrer des Dorfes werden könnte, in Ruhe und Frieden leben könnte.

 

Viel zu schnell für mich näherte sich der erneute Tag der Eiablage. Nun wurden wir fünfzig und waren keine zu versorgenden Kinder mehr. Schon wenige Tage nach dem wichtigen Fest würden wir alle Neulinge mit erfahrenen Flohgeistern ausschwärmen um das erste Mal selbst Blut zu saugen, an lebendigen Säugetieren. Das sei für Anfänger am sichersten, hatte es oft geheißen. Ich glaubte dem. Selbst die Sprünge, die wir an dem Gestell geübt hatten, waren zunächst mehr als ungeschickt verlaufen. Um wie viel riskanter war es an einem lebendigen Tier, das beißen und zuschlagen konnte. Natürlich vermochte kein Säugetier einen Flohgeist umzubringen, aber ich konnte die Vorsicht durchaus verstehen. Aus unserer Familie sollte Akari mit Vater Yamato gehen, meine Schwester, Ayumi, mit Mutter. Ich sollte derweil warten, bei Meister Mikoto, der sowieso sich die meiste Zeit, bis auf die Nahrung, in den letzten Jahren um mich kümmerte.

Eigentlich war alles geregelt und ich gab zu ich freute mich auf das Fest. Zunächst würden die Weibchen die Eier legen, sie kunstvoll in dem jeweiligen Haus zusammenflechten. Die Töchter sollten zusehen, damit sie es beim nächsten Mal selbst machen konnten. Dann wurden die jeweiligen Nester mühsam empor geschafft, in unseren heiligen Baum, an diverse Äste verteilt, sicher, geschützt, unter dem dichten Blattwerk und umgeben von Stacheln. Danach würde es Blut für alle geben, Musik und Feuer, die größte Feier, die ich je erlebt hatte. Und, die das Dorf überhaupt kannte.

 

Umso ernüchternder war es, als Meister Mikoto uns am Tag vor dem Fest erzählte, dass alle fünfzig Jahre vierzig Nester mit jeweils fast hundert Eiern aufgehängt wurden, aber nur wenige Larven daraus zu schlüpfen kamen und von denen wiederum nur wenige das Stadium der Verpuppung überlebten.

„Seht euch doch an,“ sagte er. „Ihr seid jetzt kaum vierzig. Von vielen Hunderten, die es hätten schaffen können. Ihr seid die Überlebenden.“

Vierzig von sicher viertausend. Mir wurde kalt. Dazu die Gefahren durch Daiyōkai und Vulkane, Erdbeben und so weiter. Wie viele Wege gab es denn, um das Leben zu beenden? Ich wollte meinen Lehrmeister nicht vor den Anderen befragen, die sich nur auf das Fest freuten und das wohl überhört hatten, und wartete, bis wir allein waren.

Mikoto zuckte ein wenig die Schultern. „Das Leben endet immer mit dem Tod, Myōga. Es gelingt nur wenigen alt zu werden aus unserem Volk. Dazu muss man viel wissen und eine gewisse Vorsicht walten lassen. Ich sehe bei dir gute Anlagen, aber manches ist eben auch Schicksal. Nur eines ist gewiss – nicht einmal mächtige Daiyōkai leben ewig. Niemand. Es gibt nichts tödlicheres als geboren zu werden.“

DAS würde ich mir merken, nahm ich mir fest vor.
 

Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Fantasie

Erich Kästner

 
 

Es war ein wunderschöner Tag. Die Weibchen trugen meist zu zweit oder sogar zu dritt die sorgfältig zusammengewobenen Ei-Nester zu unserem heiligen Baum, wo alle Männer, auch wir, die gerade Herangewachsenen, warteten. Wir durften freilich nicht auf den Baum klettern, aber doch die für uns riesigen, wenngleich leichten, Pakete empor reichen, stemmen.

 

Danach wurden Lagerfeuer angezündet und Mikoto als Dorfvorsteher gab das Signal Fässer zu holen, die ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal sah. Sie bestanden aus Holz und waren mit Blut gefüllt, dass in den letzten Tagen nur für diesen Zweck eingesammelt worden war. Trommeln begannen zu schlagen, als wir uns um die Feuer niederließen und das Blut in Becher gegossen wurde. Mit Rücksicht auf uns Kleine gab es auch Blut von Säugetieren, die Erwachsenen nahmen Oni oder Yōkai zu sich. Dennoch fiel mir auf, dass trotz aller amüsanten Stimmung immer wieder Erwachsene fortgingen, andere zurückkamen und sich setzten, sichtlich erleichtert. Holten sie etwa immer noch Blut von draußen? Ich guckte genauer hin.

Nein, sie sprangen die steile, rote Felswand über dem Dorf empor, wo sie verschwanden. Nun ja, sie waren von hier unten nicht mehr zu sehen.

„Du bist in der Tat aufmerksam, Myōga,“ lobte Mikoto.

Ich sah zu ihm, da er sich neben mir niederließ und sich etwas entspannte, als er den Becher hob. „Trink nur. Der Ernst deines Lebens wird in wenigen Tagen beginnen.“

Ach, wie recht er hatte, ahnten wir zu diesem Zeitpunkt noch alle nicht. Ich hob ebenfalls meinen Becher. „Sagtet Ihr nicht, sensei, es sei für einen Flohgeist wichtig aufmerksam zu sein?“

„In der Tat. Aufmerksam, wie ein jeder, der sich über das schmelzende Eis eines Flusses begibt. Nun, das wirst du vielleicht eines Tages erleben. Für heute mag genug sein, dass immer vier Erwachsene oben stehen um Wache zu halten. Unser heiliger Baum schützt, aber leider wissen selbst die Vögel um unseren Jahrestag und sie werden wohl kommen. Du weißt, was dann zu tun ist.“

Ich war erschrocken, nickte jedoch. Vögel, also Tiere? Und wagten es uns während des höchsten Feiertages anzugreifen? Aber umso mehr verstand ich nun die Mahnungen meiner Eltern und auch Mikotos. Oberhalb des Dorfes, im Felsen lagen nicht nur die Schulgrotte und die Schlupfhöhle, sondern auch Höhlungen mit geradezu selbst für Flohgeister winzigen Eingängen, die tief in die Wand reichten. Bei Gefahr, so war uns immer eingeschärft worden, sollten wir dorthin fliehen. Ja, kein Vogel konnte so tief hinein in den Felsen, auch, wenn ich durchaus schon gesehen hatte, dass sie über scharfe Schnäbel verfügten, spitz und scharf, wie man bemerken konnte. Ich verspürte wenig Lust von so etwas gepackt zu werden und dort mein Ende zu finden. Dennoch schien mir etwas eigenartig. „Darf ich noch eine Frage stellen, Meister Mikoto?“

„Natürlich.“

„Vögel sind doch Tiere, sie leben bei Weitem nicht so lange wie wir. Wieso wissen sie dann, dass wir alle fünfzig Jahre dieses Fest feiern? Werden manche doch so alt?“

„Das ist eine ausgezeichnete Frage, Myōga. Du bist wirklich ein kluger junger Floh. Ich vermute, wissen tue ich es nicht, dass sie es sich irgendwie erzählen, den Jungen beibringen. Auch, wenn wir kein Fest haben, fliegen ja immer wieder Vögel über unseren Baum und unser Dorf. Jemand in unserer Größe sollte niemals auch nur Tiere unterschätzen.“

„Deswegen auch die regelmäßigen Übungen?“ Mindestens ein Mal im Jahr wurde geübt und angewiesen, wer in welcher Reihenfolge in die Fluchthöhlen gelangte. Ich konnte das durchaus verstehen, so entstand kein Wirrwarr und die sieben Eingänge wurden gleichzeitig genutzt.

„Ja, auch. Ich schmeichele mir der Erfinder der Übungen zu sein. Als ich jung war, gab es einmal einen Überfall von Yōkai. Vögeln, riesig an Gestalt und mit einem riesigen Maul. Sie fingen und fraßen viele von uns, während sie sich alle in Panik zu den Löchern drängten. Es war schrecklich. Als ich später bei Meister Nekohiko war, fragte ich, wie man solche Katastrophen verhindern könne, und er meinte mit Vorausschau. Natürlich hatte er recht. Wir werden nie ganz sicher sein, aber es ist wichtig auf alles vorbereitet zu sein.“

„Ihr werdet nicht mit mir das Dorf verlassen und auf die erste Jagd gehen?“ erkundigte ich mich zögernd, da ich schon ahnte, dass das nicht passieren würde.

„Nein. Ich mag dein Lehrer sein, euer Lehrer, aber das ist eindeutig eine Sache der Eltern. Sie wissen ja auch, welches Blut ihr bislang erhieltet, was ihr vertragt. Du bist klug, Myōga, aber denke nicht zu viel nach. Das Leben kann auch sehr schön sein. Und, du wirst sehen, bald hast du auch andere Gedanken, wenn du erst einmal einem Weibchen versprochen bist, eine Partnerin hast, Junge aufziehst.“

„Ja, sensei,“ murmelte ich, nur zu sicher, dass das genau das war, was ich nicht wollte. Immerhin war Meister Mikoto auch ohne Partnerin angesehen im Dorf. Und ich wollte ein Leben wie das seine führen. Allein, aber anerkannt, gewiss mit Verpflichtungen, aber in der relativen Sicherheit des Dorfes. Aber, was sollte ich schon tun?

 

Die Schatten wurden immer länger, da sich die Sonne senkte, nun, außerhalb des Bereiches unseres Heiligen Baumes, als plötzlich ein scharfer Pfiff zu hören war. Erschreckt blickte ich auf und erkannte die vier Wachhabenden buchstäblich von der Höhe des Felsens hinabstürzen. Alle Erwachsenen und dann auch wir Heranwachsenden sprangen auf.

„Vögel!“ rief Mikoto. „In die Höhlen, rasch!“

Aber die Meisten liefen schon los, zu dem jeweils ihnen zugeteilten Eingang. Zuerst die Weibchen, ja, das war so. warum eigentlich? Ich nahm mir vor das meinen Meister einmal zu fragen, wenn das hier vorbei war und stellte mich an, immer wieder einen besorgten Blick nach oben werfend. Ja, Stare. Sie kamen, soweit ich das von meiner Position aus sehen konnte, angeflogen und schossen förmlich in unseren Heiligen Baum, sichtlich auf der Suche nach den Eiern. Einige, wie ich sehen konnte, bezahlten das mit Blut. Der Baum und seine Stacheln schützten in der Tat. Allerdings wurden wohl auch einige fündig. Vierzig Überlebende von viertausend, dachte ich nur.

„Myōga!“ zischte Enoro hinter mir und ich sah, dass ich direkt schon vor dem Zugang war und legte mich rasch hin. Nur kriechend kam selbst ein Flohgeist durch den engen Eingang. Erst nach fast drei Metern öffnete sich die Höhle etwas, nach einer zweiten Passage sogar zu einer größeren Grotte, in der schon jemand die stets dort bereit stehenden Lampen angezündet hatte. Dies war eine der größeren Fluchthöhlen und zwanzig von uns fanden hier Platz und hoffentlich Schutz.

„Sind alle hier?“ Meister Mikoto sah sich um. „Dann setzt euch und wartet ab. Etwas anderes bleibt uns nicht, bis sie wieder weg sind.“

Ich gehorchte und ließ mich an einem feuchten Felsen nieder, ein Stalaktit oder Stalagmit, den Unterschied kenne ich bis heute nicht. Ich bin kein Freund von Höhlen, auch, wenn ich deren gewissen Nutzen durchaus schätze.

 

Eine Weile herrschte Schweigen, aber man konnte von draußen allerdings ab und an die Rufe der Vögel vernehmen. Noch waren wir nicht sicher genug um die Schutzräume wieder zu verlassen. Dann, plötzlich und vollkommen unerwartet, ertönte aus dem Dorf ein schreckliches Geschrei. Unser Dorfvorsteher stand auf.

„Ich gehe vorsichtig nachsehen“, meinte er.

Ich weiß bis heute nicht, was mich da ritt. Ich denke, ich wollte einfach beweisen, dass ich auch, wie er, zum Dorfvorsteher taugen würde. „Meister Mikoto, darf ich gehen?“

Er sah mich ein wenig zweifelnd an. „Myōga, das ist gut gemeint, aber es mag gefährlich werden. Dort sind nicht mehr nur Stare, denn das war kein Ruf eines solchen Vogels.“

„Ich bin jünger als ihr, Meister Mikoto, und wendiger.“ Nun ja, dachte ich mir noch, ob das wirklich eine so gute Idee gewesen war, als er nickte und sich wieder niederließ. Jetzt half alles nichts mehr, wollte ich meine Chance Dorfvorsteher zu werden nicht ruinieren, so, wie mich alle anderen hier ansahen. Daher schlich ich behutsam, ja nicht springend, um keinen noch so leisen Laut hervorzurufen, durch die Passage zu der ersten Grotte und guckte wohlüberlegt um die Ecke.

Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl einen Herzinfarkt zu bekommen, denn ETWAS sah zurück. Ich weiß es noch wie heute, oh, dieses schreckliche, rote, Auge, das mich anstarrte und den gesamten Eingang blockierte. Mit einem gewissen Aufschrei, jetzt unbekümmert wegen der Lautstärke, sprang ich zurück, Kleidung und Haare jäh schweißgebadet.

„Was ist, Myōga?“ erkundigte sich Mikoto prompt. „Ist ein Star am Ausgang?“

„Ich denke nicht, Meister,“ brachte ich irgendwie hervor. „Es war nur ein Auge, rot, und es starrte mich an.“

Sichtbarer Schrecken durchfuhr alle Flohgeister in diesem Raum und unser Dorfvorsteher nahm sich merklich zusammen. „Rot, sagst du. Nur ein Auge, und das war so groß wie der Eingang.“

„Ja. Es … es starrte mich an.“

„Yōkai.“ Mikoto deutete neben sich. „Setz dich. Das ist ungewöhnlich, aber verheißt nichts Gutes. Vögel, Stare, bereiten uns genug Ärger und kosten uns viel Nachwuchs. Yōkaivögel haben uns schon lange in Ruhe gelassen, seit …“ Er brach ab. „Wir warten.“

Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er nicht alles gesagt hatte.

 

Nach einigen Stunden unternahm es Meister Mikoto selbst nachzusehen, was draußen geschehen war. Ich begriff, dass das durchaus eine seiner Aufgaben als Dorfvorsteher war.

Als er zurückkehrte, nickte er. „Ich glaube, wir können hinaus. Es ist Nacht geworden, so dass die Tiere weg sind. Und was den Yōkai betrifft, so konnte ich auch keine solche Energie mehr wahrnehmen. Entweder er ist weiter gezogen oder den Vögeln gefolgt.“ Er strich über seinen Schnurrbart. Er war nervös.

Nervös, weil er allein nachsehen gegangen war? Oh, er hatte mir doch erzählt, dass es eine Katastrophe gegeben habe, bei der Yōkaivögel das Dorf angegriffen hatten, wohl schon vor langer Zeit, als er jung war. Fürchtete er, dass sie uns wieder entdeckt hatten? Das wäre bestimmt noch gefährlicher für die Eier, die nun Monate lang im Heiligen Baum hängen würden, bis die Larven schlüpften. Diese wurden dann in die Bruthöhle gebracht und gefüttert, bis sie sich verpuppten und als Flohkinder schlüpften. Schon wegen dieser Entwicklung und dem Verlust so viele Eier war es recht unwahrscheinlich, dass ein Flohgeist bei den Eltern aufwuchs, die für sein Ei verantwortlich gewesen waren.

Als wir die Schutzhöhle verließen sah ich mich rasch um und entdeckte erleichtert meine Eltern und Geschwister. Soweit ich sagen konnte, fehlte niemand. Die tierischen Vögel waren nur auf die Eier aus gewesen und so sahen alle besorgt in den Baum empor. Aber es war dunkel geworden und so nichts zu erkennen.

„Setzen wir uns wieder,“ meinte Mikoto. „Feiern wir, dass doch so einige Nester unberührt geblieben sind, wie ich denke und unsere Jugendlichen, die schon beim nächsten Vollmond ausziehen dürfen um ihre erste Jagd zu erleben. Wenn alle ihr erstes Blut gejagt haben, werden wir die neuen Paare zusammenstellen.“

Alle bis auf mich, wenn ich das so richtig sah, aber das war wohl ein kleiner Preis dafür, dass ich der Schüler des Dorfvorsteher im engeren Sinn war, mich hoffentlich als sein Nachfolger beweisen konnte. Dazu musste ich freilich noch viel lernen, das war mir klar. Ob ich auch einmal zu seinem Lehrer reisen konnte, in diesen Zauberwald? Aber dazu müsste ich auch das Dorf verlassen. Wobei, dieser Überfall der Vögel und der fremde Yōkai hatten nur zu gut bewiesen, dass es auch hier nicht vollkommen sicher war. Ach, wir armen Flohgeister waren wohl nirgends auf der Welt sicher. Moment mal. Was hatte mein sensei gesagt? Wenn alle die erste Jagd hinter sich hatten ….heiraten? Ohje. Das wollte ich doch eigentlich auch nicht. Hier im Dorf sitzen, Eier bewachen, Kinder bekommen und hüten, immer wieder auf die Jagd gehen … ja, das mochte das Leben eines Flohs sein, aber das war eben auch höchst gefährlich. Ich musste Zeit gewinnen und noch viel mehr lernen. So meinte ich leise, wieder einen Becher mit Säugetierblut in der Hand: „Gilt das mit der Braut auch für mich?“

„Natürlich.“

Da der Dorfvorsteher überaus verständnislos klang, versuchte ich zu erklären: „Ich hatte gehofft, ich könne noch zum Hekashin….“

„Oh, eher weniger. Du siehst ja selbst, wie dringend hier der Nachwuchs benötigt wird. Ich werde dir schon alles beibringen, was ich weiß, keine Sorge.“

Also war auch das keine Lösung. Nun ja, dachte ich, warum sollte das Dorf auch für mich eine Ausnahme machen. Es mochte durchaus auch andere geben, die nicht begeistert waren, aber so war das Leben eben und man musste sich damit abfinden. So fragte ich nur: „Haben alle Yōkai rote Augen?“

„Die gewöhnlichen ja. Diejenigen, die Menschenform annehmen können, also so aussehen wie ein Flohgeist nur mit zwei Armen, verändern ihre Augenfarbe auch mit ihrer Form. Nur in ihrer wahren Gestalt zeigen sich die Augen in rot, sonst sind sie unterschiedlich.“

„Dann war das ein gewöhnlicher Yōkai.“

„Hm, vermutlich. Theoretisch könnte es auch ein schwertragender Yōkai in seiner wahren Form gewesen sein, aber sie sind dann zumeist sehr groß und der Eingang doch sehr nahe am Boden.“ Er senkte die Stimme. „Das könnte ein Vogel gewesen sein.“

„Sie sind nicht so groß?“

„Unterschiedlich. Ich hoffe nur ...nun, gleich.“

Ich nahm an, dass er hoffte, dass das ein einzelner Vogel gewesen war und nicht, wie die Stare, mit einem ganzen Schwarm zurück käme. Das wäre vermutlich das Ende für alle restlichen Nester, einer ganze Generation Flohgeister. Traurig, aber wahr.

 

Nachdem mein Vater Yamoto ja offensichtlich nur eingesprungen war und nicht viel älter als ich selbst, wandte ich mich, als wir zuhause waren, leise an meine Mutter Nene. Leise, denn das hätte mir noch gefehlt, dass mich Akari oder Ayumi auslachten. Sie waren sowieso ein wenig neidisch, dass ich so viel bei dem Dorfvorsteher sein durfte. Mein Bruder allerdings hatte sich beruhigt, als er sah, wie schwer es auch mir fiel die Schrift zu erlernen. Er selbst übte lieber das Springen, weit und zielgerichtet.

„Kannst du mir sagen, wie oft die Vögel kommen? Jedes Mal?“

„Jedes Mal, wenn wir die Eier aufhängen, ja. Deswegen ist es ja auch so wichtig, aber das wird dir Mikoto sicher gesagt haben, dass ihr bald heiratet und Nachwuchs bekommt.“ Sie strich sich ein wenig über die grauen Haare, die sie mit Spangen empor gesteckt hatte. „Übrigens, Myōga, ich hörte, du hast einen Yōkai vor eurer Höhle gesehen?“

„Nicht wirklich, Mutter. Nur sein rotes Auge, das mir entgegen starrte. Aber Meister Mikoto meinte, es könnte sich nur um einen Yōkai gehandelt haben.“

Sie atmete durch. „Immerhin etwas.“

„Äh, was meinst du?“

„Vor vielen Jahren überfielen uns einmal Yōkai, Vögel. Es gab viele Todesopfer. Aber ein Vogel dieser Art würde sich kaum so bücken können, dass sein Auge am Boden ist. Es handelte sich wohl um eine andere Sorte. Womöglich haben die Stare es oder ihn angelockt. Yōkai fressen ja, wie Oni, auch Tiere und Menschen, falls sie die erwischen.“

„Ich denke, Meister Mikoto wird schon wissen, was er tut.“

„Ja, natürlich. Er kam soweit herum in ganz Japan. Als er zurückkehrte wusste und konnte er so viel mehr als wir alle.“

„Warum ging er denn?“

„Da frage ihn nur selbst.“ Aber dann meinte sie: „Es war nach dem Überfall der Vögel. Er verlor dabei seine Eltern und seine Verlobte und schwor, dass er solche Dinge zukünftig nie wieder zulassen würde. Als er zurückkehrte begann er mit den Fluchthöhlen, sie auszubauen und den regelmäßigen Übungen. Es war alles sehr vernünftig und als er auch die Ausbildung der Kinder übernahm, machten wir ihn zu unserem neuen Dorfvorsteher.“

Das hatte ich mir selbst schon zusammen gereimt. „Aber die Wachen oben bei unserem heutigen Fest gab es früher schon?“

„Ja, aber nicht zu viert und die bestimmten Rufe, besser, Pfiffe, was da kommt. Jetzt leg dich hin, Kleiner. Ich bin sicher, morgen wartet wieder viel zu studieren auf dich.“ Sie klang ein wenig stolz.

Ich gehorchte. Mein Meister hatte so viel gelernt, so viel Gutes für das Dorf bewirkt, das würde ich auch schaffen. Ich würde allen helfen und von allen anerkannt werden. Auch, wenn das wohl zunächst bedeutete, dass ich doch früher oder später einmal das Dorf verlassen musste. Müsste ich ja sowieso, wurde mir klar. Ich musste auf die Jagd nach Blut gehen. Und mich um den Nachwuchs kümmern. Also blieb mir erst einmal nur alles von Meister Mikoto zu lernen. Und das war wohl noch eine ganze Menge.

 

Mit neu erwachtem Eifer stürzte ich mich auf die Schriftzeichen, wobei in den folgenden Tagen auch Pflanzen- und Tierkunde auf dem Programm standen. Da wir schon in kurzer Zeit das Dorf für die erste Jagd verlassen sollten, wollte Meister Mikoto sicher gehen, dass wir möglichst viele Gefahren kannten. Und was gab es da nicht alles an Lebewesen, geradezu Unsummen von Reptilien und Insekten, zumeist auch in Yōkaiform, Säugetiere, Oni, die zum einen wie Würmer aussahen, zum anderen wie ein ganzer Berg aussehen konnten. Diese empfahl er uns als erste Oni anzuspringen. Sie waren so groß und ihre Hülle so dick, dass sie erst reagierten, wenn man sich schon satt getrunken hatte. Und unser Lehrer warnte noch einmal dringend vor schwerttragenden Yōkai.

Allerdings sah er sehr wohl, dass mein Bruder den Mund verzog. „Akari, du solltest mir glauben.“

„Ja, natürlich, sensei. Aber ich kann mir nicht vorstellen … ich meine, wir sind klein und schnell.“

„Das genau ist dein Problem. Und vermutlich auch des Einen oder Anderen hier. Ihr könnt es euch nicht vorstellen, weil ihr es nie erlebt habt. Und so habt ihr zum falschen Zeitpunkt vermutlich zu viel Mut.“

„Ich bin nicht feige,“ fuhr Akari prompt auf.

„Weil du dir nichts vorstellen kannst.“ Unser Dorfvorsteher klang scharf. „Angst zu haben ist für einen Flohgeist überlebenswichtig. Lieber einen Sprung zu viel als zu wenig. Nur ein Dummkopf hat keine Angst!“ Er stand auf. „Wir gehen jetzt und üben draußen ab heute jeden Tag den wichtigsten Sprung eures Lebens. Ihr werdet damit weit kommen, sehr weit, aber ihr werdet die Richtung nicht genau bestimmen können. Gleich, wenn ihr einer gefährlichen Lage entkommen wollt.“
 

Wenn du wünscht die Scylla zu vermeiden, verfällst du der Charybdis

 

Homer: Odyssee

 
 

Der Rest des großen Jahresfestes verlief ohne Störungen, allerdings wurden im Dorf bereits am nächsten Tag die potentiellen Ehepartner getuschelt. Ich hätte gehofft, so ich diesem Schicksal nicht entrinnen konnte, dass ich zumindest Ayumi heiraten sollte, meine Schwester oder im Blut eben auch nicht, bei der Vorgeschichte. Sie kannte ich und sie war ruhig, still. Aber sie sollte Akari bekommen.

Mutter Nene meinte zu mir, als wir gemeinsam das Dach unseres Hauses reparierten, dieses Mädchen da sei etwas für mich. Ein Flohmädchen, dessen Namen ich heute verdrän.… äh, vergessen habe. Es ist doch soviel passiert inzwischen. Jedenfalls wurde bestimmt, dass ich bei Meister Mikoto bleiben sollte, wenn die Eltern und Heranwachsenden das Dorf in drei Tagen verlassen würden um die erste Jagd zu begehen. Nur wenige andere Flohgeister würden mit uns zurück bleiben, jene, die ihren Partner in den letzten Jahren verloren hatten und auch entweder keinen neuen gefunden oder auch diesen verloren hatten, oder eben auch das dritte Kind, das Eltern aufgenommen hatten.

 

Es dauerte etwas, bis ich begriff, oder eher, zu begreifen glaubte, und meinen Lehrer fragte. „Es will mir scheinen, sensei, als wird damit gerechnet, dass bereits nicht alle Eltern oder Heranwachsenden von dieser ersten Jagd zurückkehren.“

Meister Mikoto sah mich aus seinen großen dunklen Augen an, ehe er seinen Schnurrbart strich. „Ja, du hast recht. Wer von dieser Jagd allein, ohne Partner oder versprochenen Partner, zurückkehrt wird einem derjenigen zugeteilt, die jetzt mit uns im Dorf bleiben. Natürlich erst, wenn auch du zurück bist.“

„So ist schon die erste Jagd gefährlich?“ fragte ich, den dicken Kloß im Hals schluckend.

„Gerade die erste Jagd. Du stellst wirklich intelligente Fragen für einen so jungen Floh. Aber, das habe ich mir schon gedacht, du denkst einfach zu viel. Sei vorsichtig, lerne viel, gerade über die anderen Lebewesen und versuche deine Partnerin und vor allem deine Kinder durchzubekommen, ihnen das Überleben beizubringen. So kannst du dem Dorf am Besten helfen.“

„Ja.“ Ich senkte den Kopf. Was sollte ich auch anderes gegenüber dem Mann sagen, der so viel für unser Dorf, seine Bevölkerung, getan hatte? Dass ich nicht heiraten wollte, dass ich Sicherheit wollte, die es für unsereins nicht gab? Illusionen. So meinte ich nur: „Ich weiß. Warum nur habe ich das Gefühl, dass ich der Einzige bin, in meinem Jahrgang, der Angst hat?“

„Du hast Fantasie. Und denkst. Beides kann gut und schlecht sein, wie ein Schwert. Menschen und manche Yōkai tragen es, Myōga. Manche schützen damit, manche morden. Eine Waffe hat immer zwei Seiten. Und der Wille, das Denken, ist eine magische Waffe. Keine Magie in dem Sinn, wie es manche Yōkai vermögen, aber doch mächtiger als man denken sollte. Und, wenn es dich tröstet – denke daran, ich habe dort draußen allein überlebt, ich habe in den Hekashin gefunden und wieder zurück. Das schafft man. Mit Vorsicht und Klugheit.“

Ja, da hatte der Meister natürlich recht. So seufzte ich nur etwas. „Aber aufgeregt darf ich sein.“

„Natürlich, Myōga, das sind wohl alle bei dem ersten Biss. Suche dir ein Säugetier danach einen Oni, möglichst einen Berggeist. Und nie einen …“

„Waffentragenden Yōkai,“ ergänzte ich im Chor mit ihm. Ja, das war mir klar.

 

Ich hatte an diesem Tag kein Glück, dachte ich, als mir das Flohmädchen über den Weg lief, auf das mich Mutter hingewiesen hatte. Sie blieb vor mir stehen.

„Myōga, schön, dich noch im Dorf zu sehen.“

„Äh, wo sollte ich denn sonst sein?“ fragte ich etwas verwirrt zurück. „Ich komme ja erst dran, wenn meine Eltern zurück sind, ich bin das dritte Kind.“

Sie schien erleichtert. „Ja, das stimmt natürlich. Ich dachte nur, du bist wieder bei Meister Mikoto.“

„Ja, ich lerne sicher viel bei ihm,“ gab ich zu. „Aber ich muss auch lernen Blut zu trinken, zu jagen.“

„Das stimmt. Und es beruhigt mich, dass du so vernünftig bist. Guck nicht so, Myōga. Du hast doch gehört, dass wir Gefährten werden sollen?“

„Nun ja, nichts offiziell,“ gab ich zu. „Was meinst du aber?“

„Wenn wir zusammen sind, wirst du doch die Lehrstunden bei Meister Mikoto sein lassen?“

„Was?“ Ich starrte sie an. „Wie kommst du denn auf diese Idee? Willst du etwa andeuten, dass Meister Mikoto, unser Dorfvorsteher, der Mann, der so viel für unser Dorf getan hat, ein schlechter Lehrer wäre?!“

„Nein, natürlich nicht,“ bemühte sie sich sichtlich. „Ich meinte nur, wir sind doch dann fertig ausgebildet.“

„Fertig? Hast du bemerkt, wie viele verschiedene Tiere und Yōkai es in Japan gibt? Lernen wird wohl unser ganzes Leben lang dauern.“

„Ja, das weiß ich schon.“ Sie schien nach Worten zu suchen. „Und das meinte ich ja auch nicht. Aber du wirst doch mit mir den Nachwuchs versorgen wollen, auf die Jagd gehen.“

„Ja.“ Was meinte sie nur? Sie atmete so auf.

„Ja, und dann wirst du doch auch Zeit brauchen, ich meine, das dumme Zeug mit dem Lesen und Schreiben braucht doch kein Floh!“

Wie konnte man nur die Kunst des Schreibens so missachten? Aber, das wusste ich inzwischen durchaus, dass es wichtiger war den Nachwuchs durchzubringen, ein erfolgreicher Jäger zu sein. Allerdings wollte ich Meister Mikoto verteidigen. „Nun, unser Lehrer kann das und so ist es wohl nicht schlecht auch davon eine Ahnung zu haben, wenn man Dorfvorsteher sein will, oder?“

„Oh, ja.“ Sie lächelte sichtlich erfreut. „Ja, das stimmt wohl. Natürlich. Aber ebenso natürlich auch muss der Nachwuchs durch. Das hat Vorrang, da sind wir uns einig? Ich meine, ich habe sicher nichts dagegen die Partnerin des Dorfvorstehers zu sein, aber eben ….nun ja, zweitrangig.“

„Ja, ich verstehe,“ murmelte ich. Und das tat ich. Das war das Schicksal, das mir bestimmt war und nichts und niemand würde es ändern können. Warum nur konnte ich nicht Ayumi bekommen, sondern musste mit dieser bissigen ….Das sollte ich nicht mal denken… Nun, mit ihr auskommen? „Ich wünsche dir jedenfalls guten Erfolg bei deiner ersten Jagd.“ Das war sicher höflich und unverfänglich. Wie sollte ich sie bloß dazu bekommen, dass ich weiter bei Meister Mikoto lernen durfte? Ob ich mit ihm darüber sprechen sollte? Oder schickte sich das nicht, Lehrer hin oder her?

„Danke.“ Sie lächelte. „Ich hoffe doch, dass wir bei der nächsten Zeremonie eigene Eier in den Baum hängen können. Ach, ihr Männer wisst gar nicht, wie gut ihr es habt.“ Sie hüpfte von dannen.

Ich hoffte, sie werde meinen nächsten Satz nicht mehr hören. „Nein, aber ihre Frauen werden es ihnen schon sagen!“

 

Am folgenden Tag zogen die Eltern mit ihren Kindern in Zweierteams aus dem Dorf. Nur zehn Leute blieben zurück. So leer hatte ich es hier noch nie gesehen und ich wandte mich unwillkürlich an meinen Lehrer.

Meister Mikoto sah, dass ich zu ihm blickte, aber er guckte in die Runde. „Geht in eure Häuser. Repariert, tut, zu was ihr sonst keine Zeit habt, bis alle, hoffentlich, zurück sind. Myōga, komm. Wir werden die erste Wache übernehmen.“

Wache? Aber ich folgte ihm die rote Felswand empor. Dort war ich noch nie gewesen. Ich kannte den Fels nur von unten. Hier oben war es eben, windig und, nun ja, ohne großartige Pflanzen. Ich erkannte einiges an Gras, ohne den Namen zu wissen. Im Hintergrund hoben sich weitere Hügel oder Berge, mit Bäumen bewachsen.

Unser Dorfvorsteher blieb stehen. „Hier halten wir Wache, wie du schon bei unserem Fest mitbekommen hast. Dann sind es vier, heute nur wir zwei. Wir stehen Rücken an Rücken um eine möglichst große Fläche absehen zu können. Das Gefährlichste für uns Flohgeister sind Vögel, seien sie Tiere oder Yōkai, die scheinbar aus dem Nichts auftauchen. Aber auch Echsen könnten es unerwarteterweise wagen hier empor zu klettern. Behalte daher immer den Himmel und auch den Boden vor dir im Auge. Ich werde es auch tun. Da nur so wenige im Dorf verblieben sind, werden die scharfen Augen der Jäger kaum hierher fallen, aber unsereins muss immer vorsichtig sein.“ Er drehte sich von mir weg und ich folgte seinem Beispiel.

Ich zögerte, aber dann frage ich doch: „Wir sind so bedroht, unser Volk ….warum schützt uns der Herr der westlichen Länder nicht?“

Meister Mikoto entkam ein seltsamer Laut, ehe er nach Luft zu ringen schien. „Oh, das kannst du nicht wissen,“ gab er dann zu. „Der Fürst des Westens ist ein Hund, ein Daiyōkai dieses Volkes. Und wenn ein Hund etwas nicht will ist es sich mit Flöhen gemein zu machen. Er lässt uns leben, das ist doch schon etwas. Überdies – er schützt den Westen, keine einzelnen Personen. Unser Leben, der Heilige Baum, das wird geschützt. Niemand einzelner. Dafür hätte er kaum Zeit und sogar Macht.“

„Ihr sagtet, er habe nur eine Tochter.“ Ich war enttäuscht. Gab es wirklich keinen Schutz für einen armen Floh? „Dann wird deren Ehemann der neue Herr?“

„Mal sehen. Bislang sollen alle Interessenten den Klauen des Fürsten zum Opfer gefallen zu sein. Er ist wohl noch stark genug jeden Gegner zu beseitigen.“

„Gegner? Ich meinte seinen Schwiegersohn, sensei.“

Mikoto klang nachsichtig. „Schwerttragende Yōkai. Jeder deiner Stärke ist Feind. Und wir müssen noch froh sein, Myōga. Weiter drüben im Osten, ich war dort nie, leben Drachen, genauer, der Herr der Drachen. Da ist selbst das Leben eines Artgenossen, gleicher Wesen, nichts wert. Armer, kleiner, intelligenter Floh. Finde dich damit ab, dass unser Leben sehr gefährlich ist.“

„Ja, sensei.“ Was sollte ich schon sagen.

„Hast du deine Braut schon kennen gelernt?“

„Ja.“ Ich zögerte, aber meine Meinung verschwieg ich wohl besser. „Sie meinte, sie wolle mit mir viel Nachwuchs.“

„Gut, das ist wichtig für das Dorf. Nun, für alle Flohgeister.“

Er klang so beruhigt, dass ich mich dem Himmel zuwandte. Manches musste man wohl einfach verschweigen, nicht zuletzt im eigenen Interesse. Und doch wünschte ich mir, dass ich weder noch hätte: weder die Braut noch das gefährliche Leben im Dorf und außerhalb. Aber, ich war nur ein Flohgeist und offenbar auf der untersten Stufe der Nahrungskette. Was sollte ich dagegen schon tun. Lernen, beschwor ich mich „Sensei, dieser Vogel … er hatte rote Augen und war ein Yōkai. Muss ich auch nach so etwas Ausschau halten?“

„Ja. Sie sind einzeln schon gefährlich, denn sie könnten Vorboten sein ….“ Unser Dorfvorsteher klang plötzlich zitternd. „Damals, als sie uns so verheerend überfielen, sandten sie auch nur ein oder zwei dieser scheinbaren Krähen aus, die uns kaum auffielen, ja, uns in Ruhe ließen. Dann aber kamen ...sie.“

„Das ...die Katastrophe damals?“ erkundigte ich mich mehr als zögernd, hin und her gerissen zwischen Neugier und Mitleid.

„Ja. Paradiesvögel. Was für ein Name für eine entsetzliche Spezies!“

„Wie ...wie sehen sie aus?“

„Groß, riesig, mit einem großen Körper und einem noch größeren Maul, scharfen Krallen an den Füßen. Und dazu, grässlich, sitzen auf dem Rücken zwei Oberkörper, menschlich, würde ich sagen, die lenken und auch greifen und fassen können…. Mörderische Bestien, ja.“

Ich wagte nicht mich umzudrehen. Mein Lehrer klang so ängstlich, so panisch, und mir wurde zum ersten Mal wirklich bewusst, was damals abgelaufen sein musste, warum anschließend alle ihn, der danach so viel gelernt hatte, als Dorfvorsteher akzeptiert hatten. Und, wie viel mir noch an Wissen und Erfahrung fehlte. „Die Höhlen schützen gegen sie?“

„Ja, die tiefsten. Sie können auch greifen und reißen Steine auseinander….“

„Und deswegen sind wir auch im Dorf nicht sicher.“

„Sehr richtig, Myōga. Sehr richtig.“

 

Ich hatte das Gefühl damit sei alles gesagt und er wolle das Thema nicht noch vertiefen. Paradiesvögel! Wie konnte man Bestien solchen Namen geben? Oder, wer hatte ihnen den gegeben? Flohgeister ja wohl kaum. Woher kamen eigentlich die Namen der Pflanzen und Tiere? Der Berge und Yōkai? So viele Fragen und so wenig Ahnung. Konnte man das im Hekashin bei Meister Nekohiko lernen?

 

Ich weiß nicht, wie lange wir dort standen. Es wurde langweilig, aber unser Dorfvorsteher schien zu ahnen, wenn ich in der Aufmerksamkeit nachließ, obwohl wir doch Rücken an Rücken standen, denn er fragte mich dann immer wieder etwas. So meinte ich irgendwann selbst, als ich merkte, dass ich wieder blinzelte: „Warum tragen schwertragende Yōkai eigentlich eines? Sie müssten doch so mächtig genug sein sich gegenseitig umzubringen,.“

„Das vermutlich schon. Aber gerade mächtige Wesen treffen untereinander Abkommen, leben nach strikten Regeln, um keine überflüssigen Toten zu verursachen, als Art zu überleben. Selbst der Herr der Drachen soll nicht jeden umbringen Und der ist dafür bekannt … aber zumeist sollen es Wesen anderer Arten sein.“

„Dann sollte ich wohl nie in das Land der Drachen,“ gab ich eilig zu Protokoll. „Es liegt im Osten, wenn ich das recht verstanden habe.“

„Ja, also, östlich des westlichen Fürstentums. Wie erwähnt, ich war dort nie. Ich hörte nur, von anderen, zugegeben, dass Drachen dazu neigen auch den harmlosesten Wanderern die Kehle auszureißen.“

Ich schluckte. „Das ist wirklich nicht nett….“

„Ach, nett. Kleiner Myōga – niemand ist nett zu dir. Gut, deine Eltern und ich, vielleicht, aber sonst …. Und Wesen anderer Arten werden dir nie wohlgesinnt sein, gleich welcher.“

Und doppelt kein Yōkai, kein Hundeyōkai und schon gar kein Daiyōkai. Ja, ich hatte verstanden Einsam war man als Flohgeist in seinem oft so kurzen Leben. Es war … man könnte fast trübsinnig werden. Kein Wunder, dass es die meisten bevorzugten im Dorf zu leben, sich um den Nachwuchs zu kümmern, zu überleben und eben nicht weiter nachzudenken. Wissen konnte auch weh tun, erkannte ich. War es womöglich besser nichts zu lernen, nichts zu wissen? Aber dazu wusste ich wiederum schon wieder zu viel. Eine verzwickte Lage.

Ich sah zum Himmel auf. Oben kreiste ein Falke, aber der tat uns nichts, das wusste ich. Als Beute waren wir für das Tier zu uninteressant, zu klein. Selbst von einer Maus hätte er mehr. Ob fliegen wohl schön wäre? Ich sah in den blauen Himmel zu der dunklen Silhouette auf. Und eigentlich nur darum fiel mir auf, wie der Vogel plötzlich abkippte, eilig weiterflog und so suchte ich die Luft hastig nach etwas ab, was ihn erschreckt haben könnte. Aber ich konnte keine anderen dunkeln Schemen erkennen. Erst als ich, weil mich die Sonne blendete, wieder tiefer guckte, erkannte ich etwas, das schwer flatternd auf die Anhöhe zukam. Groß, fliegend, mit seltsamen Auswüchsen oben…. Ich konnte es kaum erkennen, keuchte jedoch: „Sensei!“

Meister Mikoto fuhr herum, das spürte ich mehr, als ich es sah, denn ich rieb die tränenden Augen.

„Oh nein!“ Er klang schrill. „Er hat uns gesehen, schnell, spring, Myōga, renne! Nicht ins Dorf, weg, nur weg!“

„Ein Paradiesvogel?“ fragte ich noch, aber ich erkannte, wie er schon eilig davon hastete und versuchte seinen Sprüngen zu folgen.

Etwas rauschte knapp hinter mir, neben mir, und ich erkannte aus den Augenwinkeln eine scharfe Klaue, die mich gerade noch so verfehlt hatte.

In jäher Panik raste ich davon, sprang, wie ich nie zuvor gesprungen war, hastete Meister Mikoto nach. Nun, zumindest glaubte ich das. Hinter mir verklang irgendwann das Flügelrauschen, aber ich bekam es nicht mehr mit. Ich war schweißgebadet, mein Herz schlug bis zum Hals und meine Lungen schrien nach Sauerstoff, den ich kaum mehr bekam. Aber mir war klar, dass ich um mein Leben hetzte. Nur noch weg, das war alles, was zählte. Und so sprang ich, weitere Sprünge als je zuvor, auf Bäume, auf Felsen auf ...ich wusste es nicht einmal mehr.

 

Irgendwann kam ich zu Bewusstsein. Ich hing in einem Baum, klammerte mich an ihn und rang keuchend nach Atem. Mein Herz überschlug sich noch immer, aber mehr als da sitzen, ja, das bekam ich dann erst mit, ich saß auf einem Ast, war unmöglich. Es dauerte, bis ich irgendwie piepste: „Meister Mikoto?“

Niemand antwortete, außer dem Wind. Ängstlich blickte ich mich um. Ich saß auf einem Baum, in einem Wald, umgeben von Lauten, die ich noch nie gehört hatte. Immerhin war dieser grässliche Vogel nicht mehr da und ich erholte mich langsam. Nur, wo war Meister Mikoto? Hatte der ihn etwa….? Nein, er war doch vor mir gewesen? Aber, wo war er?

Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis ich einigermaßen wieder bei Atem war und mich richtig umsehen konnte. Ja, ich war in einem Wald. Irgendwie musste ich jedoch meinen Lehrer verpasst haben, als er eine Kurve schlug oder so. Nun, dann sollte ich möglichst hoch in den Baum steigen und erkunden, wo mein Dorf lag. Es war ja zum Glück ein sehr hoher Baum.

Noch ein wenig mühsam kletterte ich die wenigen Äste hinauf und hockte mich hin. Und, was soll ich sagen. Eine schreckliche, eisige Furcht, wenn auch eine ganz andere als bei dem Paradiesvogel, stieg in meinen Adern auf, eine Kälte, die meine Wirbelsäule einfrieren ließ.

Ich saß auf einem hohen Baum, inmitten eines Waldes, ja. Dieser Wald befand sich in einem Tal, groß und weit, ähnlich einer Schüssel, umgeben von ebenso mit Bäumen bestandenen Anhöhen. Kein Dorf in Sicht, keine rote Felswand. Woher war ich nur in dieses Tal gekommen? Und wohin sollte ich zurück? Ich hatte keine Ahnung. In meiner Panik war ich blindlings gesprungen.

Und jetzt….

Ich ließ mich auf den Zweig unter mir sinken. Ich war weg. Weg vom Dorf, das doch relative Sicherheit bot, weg von allem, was ich kannte. Und ich hatte keine Chance schnell dorthin wieder zurück zu finden. Ich war erledigt, alleine. Ein einsamer, junger, unerfahrener Flohgeist in einer mehr als feindlichen Umwelt.

Ich spürte, das meine Augen brannten und begann zu weinen. Zu weinen, wie nie zuvor und auch nur ein einziges Mal später in meinem Leben. Ich hatte mich nicht nur verirrt. Ich war verloren.

 
 

In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod

Friedrich von Logau 1604 – 1655

 

 
 

Ich habe heute nicht mehr die mindeste Ahnung wie lange ich da, nur unter einem Blatt versteckt, auf dem Baum saß, heulte, nach Atem rang und mich irgendwie erholte. Ich war verloren. Ohne Dorf, ohne Lehrer, ohne auch nur eine Ahnung zu haben wo ich mich befand. Und noch dazu, das wurde mir langsam an meinem schmerzenden Magen immer klarer – ich hatte mich auf der wilden Hetze so verausgabt, dass ich dringend Blut bräuchte. Säugetierblut, natürlich. Und ich hatte doch noch nie gejagt! Wie sollte das funktionieren, alleine, ohne Anleitung? Etwas wie ein Schatten, der über mich streifte, erinnerte mich daran, dass im Gegenteil ja nun ich selbst Beute war, allein, ohne die Augen der anderen. Was für ein grässliches Schicksal. Womit hatte ich das nur verdient?

Ich verkroch mich tiefer unter das Blatt. Wohin nur sollte ich? Säugetiere lebten ja wohl am Boden, und, das hatte ich doch gelernt, sollte ich zunächst welche in menschlicher Obhut jagen, da die nicht so gefährlich waren. Leider, leider hatte ich allerdings weit und breit kein Dorf entdecken können, ja, nicht einmal den Rauch einer Feuerstelle, die angeblich diese Wesen immer zu erkennen gab. Wohin also? Wie? Ich war hungrig, und vollkommen erschöpft. Ich musste mich dringend ausruhen und dann auch was zum saugen suchen, nur, wie und wo?

Eigentlich war nur eines klar. Wenn ich hier sitzen blieb, würde ich nicht überleben. Ach du armer Flohgeist!

Behutsam kletterte ich hinunter, vermied es auch nur kurz zu springen, um keine Erschütterungen auszulösen, niemanden auf mich aufmerksam zu machen. Als ich den dicht bewachsenen Waldboden unter mir entdecken konnte, blieb ich erneut halten. Dicht bewachsen war gut, dann würde mich kein Vogel sehen können, aber vermutlich waren die in solch einem Wald auch nicht das Hauptproblem. Ich musste etwas finden, eine Maus? Aber die waren schnell und bissig, so hatte es geheißen. Andere Säugetiere waren erst recht Fleischfresser und kamen schon deshalb nur zur Flucht in Betracht. Am sichersten freilich wäre ein Oni, genauer, ein Berggeist, aber der würde zwar nicht merken, wenn ich ihn stach, aber woher sollte ich ihn in einem Wald bekommen? Und, vor allem, wenn ich einmal das Blut eines Oni getrunken hatte, würde mich das eines Säugetiers nicht mehr sättigen, das hatte Meister Mikoto doch gesagt. Armer Meister Mikoto, hoffentlich war er diesen grässlichen Vögeln entkommen und heil ins Dorf zurück gekehrt.

Genau. Das war meine Chance. Ich fand es einen brillanten Einfall. Nun ja, ins Dorf zurück gehen konnte ich kaum, da ich keine Ahnung hatte in welche Richtung, aber mein Lehrer hatte doch gesagt im Nordosten läge der Hekashin, wo er gelernt hatte. Dort würde ich hoffentlich Wissen und Aufnahme finden. Ich musste nach Nordosten gehen. Das war einfach zu finden. Im Norden schien nie die Sonne und im Osten ging sie auf. Jetzt musste es Mittag sein, sie stand also im Süden. Norden war gegenüber.

Ich blickte noch einmal empor, sicher, dass ich unten sie kaum mehr so zu Gesicht bekommen würde, ehe ich den weiteren Abstieg wagte. Es gab hier auch Vögel, die unter den Baumkronen flogen, aber sie schienen mich nicht wahrzunehmen. Die Rufe von Affen waren zu hören – die fanden unter Umständen jemanden in meiner Größe einen netten Imbiss. Aber es gab sicher auch Reptilien und … Nur nicht daran denken, beschwor ich mich.

Ich musste ein Säugetier finden, anschleichen und trinken, das war wichtig. Überlebenswichtig, geradezu.

 

Behutsam landete ich auf dem Waldboden und orientierte mich Richtung Nordost. Immerhin das war ein Vorteil, Flohgeister konnten die Himmelsrichtungen genau bestimmen,, nun ja, fast genau, auch, wenn kein Stern oder keine Sonne zu sehen war. Das hatte angeblich irgendetwas mit magnetischen, unsichtbaren Linien zu tun, aber mehr wusste ich auch nicht darüber, hatte selbst Meister Mikoto nicht gewusst. Der Waldboden war weich, roch etwas modrig von zerfallenen Blättern. Es war schwül und einige Mücken versuchten ihr Glück bei mir. Sinnlos, natürlich, ich war ja selbst blutleer. Aber es war lästig und vor allem begannen ihre Stiche zu jucken, bis ich auf den Einfall kam mein Yōki etwas zu erhöhen. Das hielt sie ab. Leider war mir bewusst, dass ich damit auch deutlich für Yōkai und Oni im Umkreis zeigte, dass ich hier war, aber ich hoffte doch, dass ein so kleiner Happen die Mühe nicht wert wäre ihn extra hier im dichten Unterholz zu suchen.

 

Ich weiß nicht, wie lange ich so vor mich hin hüpfte, immer die Ohren gespitzt, bereit einen weiten Sprung zu wagen, als ich selbst Yōki spürte. Die Energie, die ich doch irgendwie suchte. Ich betete, zu wem auch immer, dass es ein Berggeist sei. Dann war ich freilich an Oni als Minimum gebunden, aber Säugetiere schien es hier weit und breit nicht zu geben, zumindest konnte ich keine wahrnehmen. Wieso allerdings sollte sich ein riesiger Berggeist hier aufhalten? Ich blieb stehen, den Rücken vorsichtig an einen Baum gedrückt, und sah mich um, spürte mit allen Sinnen. Das Blätterdach der Kronen war dicht und hier unten herrschte Halbdunkel, das Unterholz war kaum lichter. Die mittägliche Hitze war nur noch angestiegen und die Feuchtigkeit ließ die Witterungen rasch verschwimmen.

Vor mir schien etwas heller zu sein. Endete da etwa der Wald? Ich konnte es mir kaum vorstellen, so riesig das Tal von oben gewirkt hatte und wie dicht auch die Bäume auf den umliegenden Bergen – oder waren es Hügel? - gestanden hatten. Aber womöglich eine Lichtung? Vielleicht fand ich dort eine Witterung nach Säugetieren? Es musste hier doch auch etwas wie Rehe oder so geben, Hasen, irgendetwas! Sicher schwer zu erwischen und auch riskant, aber was blieb mir denn schon anderes übrig?

Kurz darauf stand ich im Schatten des letzten Unterholzes und betrachtete vorsichtig die Lichtung vor mir. Das hier schien das Ende der Talschüssel zu sein, denn jenseits des kaum bewachsenen Gebietes stieg der Bergring auf, direkt vor mir nur bewachsen mit einzelnen Gebüschen, so gar kleinen Bäumen. Etwas musste allerdings hier passiert sein, denn alle Pflanzen auf dieser Lichtung waren geknickt, ausgerissen, als sei etwas Riesiges hier durchgefegt. War es gar ein Taifun gewesen? Aber nein, davon könnte kaum eine so relativ kleine Lichtung entstehen. Meister Mikoto hatte doch gesagt, dass sie über das Meer kamen und ganze Landstriche mit Regen und Sturm verheeren konnten. Ein Tornado? Sie sollten desaströs sein, wenngleich kleinflächig.

Jedenfalls war klar zu erkennen, dass jenseits der Lichtung es felsig wurde, heller Fels, in dessen Spalten offenbar die kleineren Gewächse das Unwetter überlebt hatten. Allerdings war ich vorsichtig genug noch einmal zu spüren. Ja, ich hatte die Richtung Nordost beibehalten und es mochte als freundliches Omen erscheinen, dass der lichtere Berg vor mir genau in diese Richtung ragte. Was wohl dahinter lag? Wieder so ein feuchtheißer Wald? Oder doch ein dünnerer, durch den der Wind streifen konnte, wie ich es aus unserer Dorfumgebung kannte? Und es war so gut wie kein Yōki zu spüren. Nicht, dass ich selbst in meiner Verzweiflung und Einsamkeit annahm, das nur Oni oder Yōkai hinter mir her waren. Wenn ich über die Lichtung sprang war ich für Vögel deutlich zu sehen, auch in dem kaum bestandenen Weg nach oben war die Deckung mehr als karg. Sollte ich doch anders gehen? Aber dann würde ich womöglich die Richtung nach Nordosten verlieren und das war doch die einzige Chance, die ich in diesem Moment sah. Der mir unbekannte Hekashin erschien mir im Augenblick als die größte Hoffnung, ja, geradezu das Paradies.

 

Ich zuckte zusammen und sprang. Oh nein, nicht nach vorne, nach oben, schnurstracks ...ich wusste in diesem Moment nicht einmal wohin und hielt mich dann zitternd an irgendeinem Zweig fest. Ich hatte es nur aus den Augenwinkeln gesehen, nichts gehört, nichts gerochen, nichts gespürt. Hatte ich mich geirrt? Verfiel ich nun schon in absolut sinnlose Panik, auch, wenn gar nichts da war?

Aber, als ich nach unten blickte, erkannte ich einen schuppigen Körper schmal, mit einem sehr langen Schwanz, genauso gefärbt wie der Waldboden, der langsam eine sehr lange Zunge wieder einzog und mit dunklen Augen sich umsah, wo ich wohl abgeblieben war.

Mein Herz schlug bis zum Hals.

Der hatte mich auffressen wollen! Das war eine Langschwanzeidechse, freilich, nur ein Tier, aber für unsereins eine ebenso tödliche Gefahr, der man nur durch eben die durch das Yōki gesteigerten Fähigkeiten entkommen konnte. Ich musste aus diesem dichten Wald weg, beschloss ich noch immer an allen Gliedern zitternd, während ich mich hektisch umsah. Eidechsen, Vögel, Yōkai, wer wusste, was hier noch alles verborgen auf der Lauer lag.

Eine kleine Stimme in mir warnte allerdings, dass es auch auf einem offenen Berghang nicht unbedingt sicher sein mochte. So überlegte ich, als ich wieder einigermaßen denken konnte, also, nicht eher, als bis die Eidechse unter mir weitergekrochen war und nicht etwa den Baum empor stieg, dass es wohl am Besten wäre, sich nur sehr kurz, so kurz wie irgend möglich, auf offenen Flächen zu bewegen, immer wieder tunlichst in dem doch relativen Schutz der Bäume und Büsche zu bleiben. Fragte sich nur, was sich dort wieder verbarg.

Ach, hatte ich denn eine Wahl, müde und hungrig wie ich war, erschöpft? Ich hätte fast wieder zu weinen begonnen, als mir auffiel, wie spät es bereits geworden war. Ich musste dringend einen Unterschlupf für die Nacht finden, ja, am besten eine Höhle. Und die gab es ganz sicher nur da drüben in dem ansteigenden Berg.

Hastig blickte ich hinüber und suchte nach etwas ähnlichem. Genug Spalten und Risse schien es ja zu geben, aus denen die Pflanzen wuchsen. Das sollte doch auch tief genug für einen kleinen Floh wie mich sein, wenngleich dort auch andere Schutz gesucht haben mochten. Das war ein Risiko, das ich eingehen musste, denn als ich mich so langsam beruhigte schien es mir, als würde ich die Nähe einer Energie spüren. Schwer zu deuten, dazu war ich ja viel zu ahnungslos, aber ich hatte gehört, dass Yōkai, vor allem Daiyōkai, auch ihr Yōki verbergen konnten.

Deckung, Schutz!

Ein Teil von mir fand mich lebensmüde und verrückt, als ich mit weiten Sätzen vom Baum über die flach gedrückte Lichtung hastete, hinauf den Fels, zwischen die Wurzeln eines Baumes. Erst dort hielt ich inne.

Die Höhle war, noch war ja Tag, überschaubar groß. Überschaubar, vor allem. Hier war niemand außer mir. Über mir, um mich woben sich dickere Wurzeln mit feinen Fäden daran, die fast wie Haare wirkten. Hier würde mich so leicht niemand finden, glaubte ich. Kein Vogel. Und selbst eine Eidechse käme nur so mühsam durch das Wurzelgeflecht, dass ich an andrer Stelle hinaus hüpfen könnte. Eine gute Stelle für eine einsame Nacht. Meine Familie, mein Lehrer! Sie mussten ja glauben, ich sei gefressen worden und würde nie wieder zurück kommen.

Ach, es war einfach nur schrecklich. Und ich hatte nicht nur Hunger, ich war langsam ohne jede Energie. Die Flucht vor der Eidechse und jetzt hier herüber hatten mich den letzten Rest Kraft gekostet. Leider würden mir diesbezüglich die Wurzeln in keiner Weise helfen, da sie definitiv nichts für Flohgeister waren, ja, womöglich sogar giftig.

 

Ich ließ mich verzweifelt auf den Boden nieder und lehnte mich gegen die Wand. Was sollte, was konnte ich nur tun? Nirgendwo gab es etwas zu trinken, nirgendwo Sicherheit. Der einzige Trost, der mir blieb, war, das ich wohl schon ein gutes Stück weiter in den Nordosten gelangt war, näher zu dem Hekashin und Meister … Meister Nekohiko. Meine Gedanken waren schon nicht mehr klar, bemerkte ich. Es war alles so aussichtslos. Ich bildete mir sogar schon ein wieder Yōki zu spüren, nah und doch fern, wie Nebel, ja, wie eine Illusion. Jetzt begann ich auch noch zu halluzinieren. Es sah wirklich nicht gut aus, nein.

Yōki. Verborgenes Yōki, dachte ich dann. War etwa ein Daiyōkai hier in der Nähe? Aber, nein. Ich war einfach zu schwach und müde und die Wand hinter mir zeigte ihre Energie nur matt …

Myōga! Ich beschimpfte mich selbst, als ich aufstand. Ich würde es vermutlich als anderes Lebewesen auch schaffen unter einem Wasserfall zu verdursten, wenn ich mich jetzt erst umsah, die Höhlenwände mit allen vier Händen abtastete. Yōki, ich konnte es spüren. Ohne es zu ahnen, aber woher hätte ich auch wissen sollen, dass Berggeister auch bewachsen sein konnten, hatte ich mich in eine Hautfalte eben eines solchen geflüchtet.

Manche Oni, gerade Berggeister, verstanden es sich zu tarnen, ihre Energie vollständig zu verstecken. Nun ja, fast, denn gegen einen Flohgeist, der von ihnen lebte, half das nur bedingt. Es hätte diesem hier jedoch fast geholfen – und mich umgebracht!

Vorsichtig suchte ich eine schwächere Stelle in der festen, felsigen Haut, bis ich mit aller Kraft meinen Rüssel hineinstieß.

Litt ich an Halluzinationen, würde ich mir nicht nur gehörig meinen Rüssel verbiegen, sondern auch ihn nicht mehr herausziehen können. Irrte ich mich freilich nicht….

Ich hatte mich nicht geirrt, dachte ich, als ich glücklich das magische Blut spürte, das meine Kehle hinabrann. Blut. Yōki! Ich war gerettet.

 

Ich habe heute keine Ahnung mehr wie lange ich trank, bis ich satt war und rund wie eine Kugel zu Boden sank. Mir war schlecht und ich brauchte noch einmal eine gehörige Zeit um kleiner zu werden, alles zu verdauen. Inzwischen war es draußen Nacht geworden.

Und mir wurde klar, dass genau das passiert war, vor dem Meister Mikoto doch gewarnt hatte. Als junger, absolut unerfahrener Floh hatte ich kein Training an Säugetieren gemacht, sondern das Blut eines Oni getrunken. Fortan würde ich mindestens wieder das Blut eines solchen benötigen um mich sättigen zu können. Gleich, dachte ich in seltsamer Euphorie. Ich hatte es hier geschafft, warum nicht noch einmal? Und danach wären Yōkai dran, danach Daiyōkai….

Ich versank in einen tiefen Schlaf.

 

Als ich erwachte drang von oben Tageslicht unter die Wurzeln. Mühsam versuchte ich mich zu erinnern. Hatte ich es nur geträumt, dass ich in einem Berggeist war, ja, von ihm getrunken hatte? Nein. Ich war satt und fühlte meine Energiereserven vollständig aufgefüllt.

Was leider nur bedeutete, dass meine Jagd künftig schwerer wurde, denn wenn ein Flohgeist sich an Wesen mit Magie gesättigt hatte, langte ihm kein Blut einer minderen Art mehr. Kein Mensch, kein Säugetier würde mir künftig helfen können, nur noch Oni und Yōkai.

Irgendwo kam mir die vage Idee, dass ich gestern Abend noch geglaubt hatte mich zukünftig an Daiyōkai zu wagen, was für ein Irrsinn! Das war wohl das gewesen, was die Älteren gemeint hatten, wenn sie von einem Blutrausch sprachen.

 

Gleich, beschloss ich dann. Der Trank hatte mich gestärkt und ich würde so einige Tage nichts mehr benötigen, länger, als je Säugetierblut reichen würde. Das war die Gelegenheit möglichst rasch in den Nordosten zu gelangen.

Ich blieb allerdings vorsichtig und krabbelte nur behutsam, immer unter dem Wurzelwerk bleibend, hinauf, guckte gerade hinaus, als ein riesiger Schatten über mich flog. Ich zuckte hastig zurück und erkannte mit schreckgeweiteten Augen etwas wie eine gigantische Hand, die den Baum über mir ausriss, samt den Wurzeln und mich damit weg schleuderte.

Noch während ich eilig den Berg, nein, den Rücken des Felsgeistes, empor hastete, wurde mir klar, dass mein Stich ihn gejuckt und er sich gekratzt hatte. Bei der enormen Grüße hatte es gedauert bis das Empfinden im Gehirn angekommen waren und seine Hand sich bewegt hatte. Größe konnte durchaus auch von Nachteil sein, erkannte ich. Als Floh war man winzig und hilflos, dafür jedoch wenig und schnell. Jetzt war mir jedenfalls auch klar, wie diese Lichtung entstanden war – er hatte wohl ein Bein ausgestreckt gehabt.

Ich wagte erst wieder inne zu halten, als ich auf eindeutig anderem Boden stand, kiesig auf Gestein, ja, aber definitiv weit und breit kein Yōki. Oder? Ich spürte noch einmal lieber nach und witterte, dann erst sprang ich auf einen Baum und blickte mich um, wo ich nun wieder war.

 

Es war kein großes Tal, das vor mir lag, aber es schien dünner bewachsen. Nun ja, sehr hohe Bäume, aber nur Gras oder so etwas darunter. Allerdings würde dieses weiche Gras einem Menschen wohl bis zum Knie gehen, ich wäre darin verschwunden – und alle anderen möglichen Lebewesen, die sich darin verbergen konnten, auch. Dahinter jedoch stieg ein steiler Felsrand auf, der irgendwie seltsam wirkte. Jedenfalls, wie kein Berg, den ich je gesehen hatte, aber, das musste ich zugeben ,was hatte ich denn schon auch gesehen. Jedenfalls schien dahinter Rauch aufzusteigen. Lag dort etwa ein Menschendorf, das man ja daran erkennen konnte und sollte? Möglich, aber das würde mir kaum weiterhelfen, nachdem ich das Blut des Oni getrunken hatte. Jedenfalls lag es in meiner Richtung, Nordosten, und so machte ich mich wieder auf den Weg, in der festen Absicht vorsichtig zu sein und der noch festeren Absicht jeder Gefahr aus dem Weg zu gehen, um den Hekashin zu erreichen, ehe mir das Blut ausging.

 

Als ich den Talboden erreichte, wurde mir klar warum es hier kein Unterholz gab sondern nur Gras, wenngleich hohes. Die Erde war weich, gab sogar unter mir nach, und als ich nach tastete, fühlte ich, dass es sich nicht um fruchtbaren Boden, aber auch kein Gestein handelte. Später erfuhr ich, dass es Sandboden war.

Ob ich auf dem Boden im hohen Gras hüpfen sollte? Hier würde mich jemand nur aus Zufall sehen – ich ihn allerdings auch. Die Bäume standen zwar weiter auseinander, aber das sollte für mich als frisch voll getrunkenen Flohgeist kein Problem darstellen. Dachte ich, bis ich ein großes Nest entdeckte, das ein Stück vor mir in einem großen Baum hing und aus dem lebhaftes Vogelgezwitscher klag. Jungtiere, wohl. Mehrere Elternvögel flogen geschäftig hin und hinaus.

Instinktiv machte ich mich kleiner. Direkt in eine Nistkolonie zu springen war sicher kein Einfall, der mir ein langes Leben bescheren würde. Womöglich gab es hier mehrere davon? Also, es half nichts, durch das Gras – und nach oben permanent Ausschau halten. Immerhin schienen diese Vögel weiter weg zu fliegen, nicht direkt in der Nähe des Nestes zu jagen. Was für ein Flohleben!

 

 

Der Grad der Furchtsamkeit ist ein Gradmesser der Intelligenz.

Friedrich Nietzsche

 
 

Ich hüpfte also durch das weiche Gras, über den Sandboden. Manchmal gab es offenere Stellen, die ich lieber umrundete, um in Deckung zu bleiben. Immer wieder starrte ich nach oben, horchte besorgt auf das Rascheln des Grases, das ja meist der Wind sein mochte, aber ebenso die Näherung eines Raubtieres oder Yōkai verraten mochte. Lieber einmal zu viel springen als tot, hatte Meister Mikoto immer wieder erwähnt. Ich hatte schon nach diesen zwei Tagen in der Wildnis begriffen, warum er, der jahrelang von zuhause weg gewesen war, das so sicher behaupten konnte. Ja. Lieber einmal zu viel springen. Das Problem war nur, wenn ich das so recht bedachte, dass, wenn man immer umsonst sprang, man sich schneller erschöpfen würde, den getrunkenen Körpersaft schneller verbrauchen würde. Und das, wo ich nun an Oni gebunden war. Andererseits – was half mir das Blut, wenn ich starb? Ich musste weiter, nach Nordosten, das war mein einziges Ziel, und dabei möglichst noch einen Oni finden, am besten noch einen tumben Berggeist, der mir sein Blut ohne große Gefahr spenden konnte.

 

War da ein Rascheln gewesen? Ich erstarrte. Nein, kein Rascheln, aber irgendwie war da etwas, knackte förmlich leise im Gras. Im Gras knacken? Rechts von mir. Und da war auch Yōki. Energie. Das behutsame Knacken kam von hinter mir. Und von vorn. Wer auch immer da steckte, es waren mehrere Und sie hatten mich eingekreist. Fast, denn von links war noch nichts zu hören gewesen. Noch nicht. Und es besagte leider auch nicht, dass dort niemand war, höchstens, dass die dort zu geschickt gewesen waren.

Dennoch raste ich förmlich los, nach links.

Und entkam damit etwas, das nach meinem Kopf griff, knapp vorbei. Das Knirschen des vergeblichen Bisses jagte mir einen Schauder über den Rücken und ich hüpfte nur noch mehr, in immer weiteren Sprüngen, entkam noch zuschnappenden Scheren von links und rechts, dann war erst einmal nichts mehr um mich, aber ich spürte das Yōki sich hinter mir sammeln. Verfolgung?

Was war das nur gewesen? Ich musste das wissen, um zu wissen, wie ich der Jagd entkommen konnte.

Scheren? Knacken? Knirschen?

Yōkai, aber, welcher Art? Kein Reptil, das war sicher.

Als ob irgendjemand mich gehört hatte, landete mein nächster Sprung auf einer Lichtung.

Leider war sie alles andere als das. Es handelte sich, soviel konnte ich unter den wimmelnden Leibern erkennen, um ein Ameisennest. Yōkai. Ameisen. Und deren Zangen waren ebenso groß wie sie selbst.

Hektisch machte ich noch einen Sprung. So ein … Treiber. Und sie hatten mich genau zu ihrem Nest getrieben, wo sich hunderte dieser scharf bewehrten Zangen gegen mich erhoben. Das Nest schien geradezu riesig zu sein. Keine Chance nach rechts oder links auszuweichen, keine Chance. Gar keine Chance.

Doch. Eine einzige, kleine.

Ohne weiter nachzudenken machte ich einen weiten Satz mitten in die wuselnden Körper, sprang, hetzte immer weiter. Es war ein Wettspringen, an das ich mich bis heute erinnere. Ich hüpfte, duckte, sprang über Zangen und Scheren, sprang weiter, hetzte immer weiter, ohne einen Gedanken als den, weiter zu kommen, immer weiter …

Das wünsche ich niemandem.

 

Als ich endlich Ruhe hatte, fand ich mich in dem lichten Berghang unterhalb des Felsrandes.

Ich ließ mich an einem Baum zu Boden sinken. Körperlich war ich erstaunlicherweise nicht erschöpft, das Blut des Oni schien mir mehr als erwartet geholfen zu haben, aber ich war geistig vollkommen leer. So schoss ich einfach die Augen und blieb sitzen.

 

War das etwa das Leben eines Flohgeistes? Rennen, springen, gehetzt zu werden, bis einen doch irgendwann einer fraß? Das war schrecklich. Und noch dazu, wo ich den Fehler begangen hatte, nun ja, mir war ja nichts anderes übrig geblieben, als das Blut eines Oni zu trinken. Das bedeutete, ich würde wieder einen benötigen. Wie viele von den Berggeistern gab es überhaupt in ganz Japan? Würde ich noch einen finden? Und, wäre es nicht sinnvoll mir den als Wirt zu behalten, in seiner Nähe zu bleiben? An solch einen Riesen wagte sich doch wohl niemand heran? Ja, das würde ich tun, beschloss ich. Zumindest, wenn mir, oh schrecklichster Gedanke, dieser unbekannte Meister Nekohiko die Aufnahme als sein Schüler oder auch nur die Aufnahme in den Hekashin verweigerte. Ja, das war ein Plan. Kein sehr guter, das gab ich zu, aber mir fiel schlicht nichts besseres, anderes, mehr ein.

 

Etwas berührte mich und ich war mit einem Satz auf den Beinen und riss die Augen auf. Was war ich leichtfertig geworden!

Aber ich entspannte mich etwas, als ich in große Facettenaugen blickte. Vor mir stand ein Wesen meiner Größe, schwarz, mit Flügeln und Facettenaugen. Das musste ein Fliegengeist sein.

„Oh,“ sagte er. „Du bist ja gar nicht tot.“

„Äh, nein, hast du das gedacht? Du bist ein Fliegengeist, oder? Ich bin ein Flohgeist.“

„Ja, das dachte ich mir, dein Rüssel ist ja ganz anders als meiner. Du lebst doch gar nicht hier in der Gegend, oder? Ich sah jedenfalls noch nie einen deiner Art. Oh, mein Name ist Edo-po-ro aus Mikokadije.“ Er betonte jede Silbe seines Namens.

Das war doch kein Japanisch? Gab es auch andere Sprachen? Doch der Fliegengeist schien redselig zu sein und konnte mir womöglich auf meinem Weg zum, Hekashin weiterhelfen. „Ich heiße Myōga. Und ja, ich komme mehr aus dem Süden. Ich bin auf der Reise zu einem Wald namens Hekashin, der sich im Nordosten befindet, also, im Nordosten des Westens.“

„Aus dem Süden? Doch nicht aus dem Schwebenden Schloss?“ Er klang neugierig, aber auch ungläubig.

„Nein, aus einem Flohdorf,“ erwiderte ich verwundert. „Was ist denn das Schwebende Schloss?“

„Der Fürstensitz des Westens, weißt du nicht einmal das? Dass wir einen Fürsten und Schutzherrn haben?“

„Ja, doch, einen Daiyōkai der Hunde. Und er hat eine Tochter.“

„Na, immerhin.“

„He!“ War der Kerl arrogant. Sicher, ich war unerfahren, aber .. Ja, aber. „Und ich weiß, dass er einen Nachfolger braucht, weil sie das nicht werden kann.“

„Stimmt. Aber soweit ich hörte, starb noch jeder Interessent unter seinen Klauen. Er scheint da was besonderes zu suchen. Er mag alt geworden sein, aber sicher noch nicht schwach. - Nach Nordosten willst du? Kennst du die Gegend?“

„Nein, ich bekam nur das auf den Weg. Warum?“

„Keine so gute Idee, finde ich. Aber, komm, ich werde es dir zeigen. Ich habe seit Tagen mit niemandem geredet.“

„Ich auch nicht.“

Die Facettenaugen musterten mich und ich glaubte einen Schatten darüber huschen zu sehen. „Wilde Zeiten, hm. Du kannst nicht fliegen, oder? Und ich nicht hüpfen. Also gehen wir da hoch. Von oben kannst du dir die Sache dann mal ansehen, die Einöden des Hoyama.“

„Ja, danke, das ist nett,“

„Das schaffst du? Ich meine, du sahst so schwach aus, ich dachte schon….“

„Nein, das geht schon. Ich bin nur da nur weiter unten mitten durch ein Ameisennest gelaufen.“

„Auch eine Methode.“

Als wir losgingen, ich an seiner Seite, bemerkte ich, dass er keine Kleidung in dem Sinn trug. Nun, der Panzer in Schwarz war wohl eindeutig angeboren. „Einöden klingt nicht gut. Kann man sie umgehen?“

„Sieh es dir an, Myōga.“

„Hast du schon einmal den Herrn der westlichen Länder gesehen?“ erkundigte ich mich neugierig.

„Wie man es nennen will. Vor einiger Zeit preschte ein Daiyōkai mitten durch unser Dorf, Richtung Osten. Das liegt auch von hier im Osten, also, unser Dorf. Ein riesiger, weißer Hund. Unser Dorf landete unter einer Pfote und wurde ziemlich zerstört.“

„Habt ihr euch beschwert?“ erkundigte ich mich.

Edoporo blieb stehen. „Bist du vollkommen verblödet? Schon einen Yōkai darauf aufmerksam zu machen, dass er unser Dorf zerstört hat, wäre Selbstmord, wie viel mehr einen Daiyōkai oder gar den Fürsten! Sag mal! Er hat uns ja nicht einmal bemerkt.“

Ich hatte an Schadenersatz gedacht, aber das war wohl korrekt. So lenkte ich lieber ab. „Dein Dorf liegt also im Osten?“

„Ja, aber noch hier im Fürstentum, sicher ist sicher. Hunde neigen doch dazu ihr Eigen zu beschützen. Woanders ist es für uns Kleine gefährlicher.“

Noch gefährlicher? Ich schluckte entsetzt, lenkte aber lieber wieder ab, um mich nicht endgültig zu blamieren. „Aber von dem Hekashin hast du noch nie gehört?“

„Nein, aber nicht verwunderlich, wenn der so weit im Nordosten liegt, da leben andere Fliegen, da bin ich sicher.“

„Wegen dieser Einöde?“

„Einöden, sogar. Das ist ziemlich groß. Du wirst es gleich sehen.“ Denn wir hatten die Felsen erreicht.

 

Ich blieb stehen und guckte auf das, was meine Weiterreise blockierte. Das, was ich in der Entfernung als Rauch gesehen hatte, war kein menschliches Dorf, sondern ein Feuerberg, der mir recht hoch erschien. Allerdings hatte Meister Mikoto doch gesagt, die seien mehr spitz oben und der hier war schlicht flach. Das Trostloseste war allerdings die Gegend darum. Von dem Berg bis an die Felskante an der wir standen, und soweit man geradeaus, nach rechts oder links sehen konnte, war gewelltes, teils gerissenes Gestein, in dem nur dünn Gras wuchs, noch seltener kleine Gebüsche.

„Das sind die Einöden,“ erklärte der Fliegengeist. „Wenn du von hier nach Nordosten gehen willst, muss du dich an den Hoyama halten, das ist der rauchende Berg, schräg rechts hinter ihm vorbei.“

„Man kann die Einöden nicht umgehen?“ erkundigte ich mich kleinlaut.

„Ich kann es dir nicht genau sagen, nur das, was ich hörte.“ Er warf sich in Positur. „Also, vor vielen Fliegengenerationen befand sich hier eine dicht bewachsene Landschaft. Der Feuerberg brach ab und an aus, es gab Erdbeben, aber die Lava floss wohl so langsam, dass alle ihr ausweichen konnten. Dann allerdings explodierte der Vulkan förmlich. Das, was man jetzt sieht sei nur das untere Drittel. Es muss schrecklich gewesen sein. Nach den Erzählungen unserer Ahnen regnete es, leider nur Asche und Steine, glühende Steine, die alles in Brand setzten. Dann kam die Lava, die später erstarrte, das ist diese Mischung, die man jetzt da sieht. Angeblich soll die ganze Gegend meterhoch erstickt worden sein. Und dann kam das Schlimmste. Wer noch lebte und nicht fliegen konnte, wurde von etwas erfasst, das die Berghänge hinabstürzte, glühend heiß und schneller als der schnellste Falkenyōkai. Obwohl es solange her ist, hat sich die Gegend noch nicht davon erholt. Die Lava und der ganze Rest floss da ….“ Er deutete nach links. „Richtung Westen bis ins Meer. Bis dahin sieht es so aus. Also, ob du dahin gehst und die Querung versuchst oder hier – das ist nur ein Umweg.“

„Klingt ja verheißungsvoll,“ murmelte ich, um doch noch nach einer anderen Lösung zu suchen. „Und nach Osten floss es auch so weit?“

„Nicht ganz, aber ….wenn du die Einöden im Osten umgehen willst, befindest du dich bereits außerhalb des westlichen Fürstentums. Und dort regiert der Herr der Drachen.“

„Oh.“ Ich hatte von Drachen durchaus von Meister Mikoto gehört – und, dass ich sie dringend meiden sollte. Jeder Floh.

Edoporo nickte. „Du hast immerhin schon mal von ihnen gehört. Ja, sie sind riesig, skrupellos und bemerken unsereins nicht mal. Eine Gruppe meiner Verwandtschaft geriet einmal versehentlich, nun ja, sie waren auf dem Hochzeitsflug, hinüber und endete zwischen zwei kämpfenden Drachen. Sie verwenden ihr Yōki und spucken Feuer. Außerdem, aber so, wie du drein siehst, weißt du das, sind sie auch gegenüber größeren Yōkai nicht gerade zimperlich. Selbst unser Fürst geht nur mit einem Heer dorthin. - Du siehst müde aus. Willst du nicht schlafen?“

„Ich bin nicht müde!“ Was hatte der Kerl nur? Sah ich wirklich so matt aus? Ich fühlte mich gar nicht so und verschränkte demonstrativ meine vier Arme. „Ich muss zum Hekashin, und das werde ich auch schaffen!“

„Ja,ja, schon gut.“ Über die Augen des Fliegengeistes huschte erneut ein Schatten, ehe er sich auf den Bauch fasste.

„Was ist?“ erkundigte ich mich besorgt. Immerhin das erste Wesen seit Tagen, das mit mir geredet hatte, ja, nett gewesen war.

„Es geht schon, muss gehen. - Yōkai!“ Er fuhr herum

Was? Ich hatte nichts gespürt. Doch, jetzt, als ich aufmerksamer in den Wald hinter uns spürte, fühlte auch ich Yōki, allerdings verblassend. Sehr schwach schon. Und der Grund war für einen Flohgeist ersichtlich. Da pulsierte kein Blut in den Adern. Da musste soeben ein Dämon gestorben sein. „Er ist tot,“ sagte ich daher beruhigend nur, um von einem seltsamen Blick gestreift zu werden.

„Bist du sicher?“ Aber Edoporo rannte förmlich schon los.

„He, warte.“ Ich hüpfte hinterher. Was sollte das denn?

 

Nur einige hundert Meter weiter fanden wir den Toten. Es handelte sich wohl um einen Hasen oder ein Kaninchen, genauer würde ich es nie in Erfahrung bringen. Jedenfalls trug er eine Rüstung und ein Schwert und der relativ tierische Körper hatte Arme, Beine und menschenähnlichen Kopf, der allerdings verschwamm. Ja, doch. Die Menschenform eines Yōkai hielt seinem Tod nicht stand, nun, wenige Zeit.

„Du bist ein Glücksbringer, Myōga!“ Edoporo rannte schlicht zu der Leiche hin und setzte sich darauf.

„Was …“ Aber da erkannte ich es auch schon. Und meinen gleich doppelten Fehler. Edoporo war kein Mann, wie ich geglaubt hatte, sondern ein Weibchen. Offenbar randvoll mit Eiern, die sie nun auf den Toten ablegte. Ja, das begriff ich. Die schlüpfenden Nachkommen hatten nun zu fressen. Dennoch wurde mir kalt bei der Idee, dass sie mich auch schon für tot gehalten hatte…. Nett, nein. Niemand war nett ohne Hintergedanken zu einem armen Flohgeist. Und ich sollte aufpassen, noch besser aufpassen, nichts für gegeben nehmen. Warum nur hatte ich angenommen, das sei ein Mann? Ohne Kleidung, ohne weitere Hinweise. Irgendwie würgte es mich und ich drehte mich abseits. Um das zu tarnen, irgendwie wollte ich mich doch nicht blamieren, meinte ich: „Er scheint allein gewesen zu sein. Woran er wohl starb?“

„Keine Ahnung.“ Edoporo seufzte und es klang fast glücklich. „Aber ich bin froh drum. Jedenfalls bedeutet das auch, dass das wohl ein Bote oder Späher des Fürsten war und auch vermisst wird. Nun ja. Bis dahin bin ich im Dorf und du willst ja unbedingt in die Einöden.“

„Ich muss, sonst komme ich ja wohl nie zum Hekashin und der ist mein Auftrag.“

„Ja, ich denke Boten haben es oft schwer. - Jetzt geht es mir besser. Komm, Myōga.“

Als sie neben mich trat bemerkte ich durchaus, wie viel schlanker sie geworden war. Diese Eier mussten sie wirklich gequält haben. „Also, recht herum um den Berg?“ erkundigte ich mich.

„Nein, vorn vorüber und dann etwas rechts, so ungefähr. Hinter dem Berg, wenn auch ein Stück weg, sind eben die Drachen. Aber die kommen manchmal vorbei ….Nichts, was der Fürst zu schätzen weiß. Vielleicht auch darum der Hase. Und der ist dann an Drachenatem erstickt oder so. Nun, egal. Er hat mir sehr geholfen. He, Myōga, wenn du zurück kommst, kannst du ja in unserem Dorf vorbeisehen, es heißt Mikokadije. Jedes Insekt kennt es, das du fragt. Es ist immerhin das größte und militärisch wichtigste.“

Ich hoffe, ich schaffte es meinen Unglauben aus meinem Blick zu halten. „Mikokadije,“ wiederholte ich nur. Wieso um aller Götter willen sollte ein Fliegendorf militärisch wichtig sein? Das war ja ein Widerspruch in sich! Aber ich wusste wenig von der Welt, das war mir inzwischen durchaus klar geworden. „Danke. Diese Einöden, was lebt da?“ Womöglich ein Oni?

„Das weiß ich nicht. Bei dem schrecklichen Ausbruch damals ist ja alles gestorben, wer jetzt da ist … wie gesagt, ich war da nie, ich bleibe hier. Aber du musst ja. Dann mal alles Gute.“ Sie nahm nicht einmal Anlauf als sie abhob und losflog, deutlich beweglicher als zuvor.

Ich drehte mich lieber nicht mehr um und sprang wieder zu dem Steilabfall. Die Einöden des Hoyama, ja. Wahrlich der richtige Name. Einige Pflanzen, weit und breit kein Wasser, keine Tiere, keine Deckung. Nun ja. Ein rascher Blick nach oben zeigte immerhin auch keine Vögel. Ich würde mich allerdings immer an den Rissen halten müssen um im Notfall Deckung zu bekommen. Wobei, lieber vielleicht auch erst einmal sehen, was da in diesen Rissen so lebte oder sonst war? Nicht, dass alles Wasser da unten strömte und mich mitriss, wenn ich einfach hineinsprang oder Eidechsen den Schatten nutzen, oder …

Es half nichts. Meine einzige Chance war Meister Nekohiko und der Hekashin und so schloss ich nur die Augen, ehe ich den Sprung in die Tiefe machte.

 
 

Wer kein schönes Leben hatte, kann immer noch auf einen schönen Tod hoffen

Ian Fleming, 1905-1964

 
 

Bereits bei der Landung auf dem felsigen Untergrund wusste ich, dass die Wanderung über die Einöden des Hoyama noch unangenehmer werden würde als ich bislang dachte. Der Boden war heiß in der Mittagssonne geworden und das Gehen tat weh. So hüpfte ich weiter, auf der Suche nach einem Weg, der irgendwie Schatten versprach. Bei der dünnen Vegetation hier blieb es allerdings beim Versuch. Ob ich doch in einen der Risse springen sollte?

Ich blieb an einer Spalte stehen. Sie war relativ breit, wollte mir scheinen, aber ich wagte nach meinen bisherigen Erfahrungen nicht darauf zu hoffen, dass es da unten kein Leben geben würde, zumindest keines, das nicht einem Flohgeist feindlich gesinnt war. So guckte ich behutsam hinab. Unten war Schatten und gewisse Kühle stieg auf. Nichts zu spüren von Yōki oder auch nur Blut. War es doch harmlos? Aber, wie sollte ich in diesem Spalt denn die Richtung Nordosten einhalten? Ich brauchte den Hoyama als Anhaltspunkt. Überdies waren diese Risse verschieden lang, aber sie schienen mir doch zumeist in Richtung Westen zu laufen.

Es half wohl alles nichts, ich musste auf diesem heißen Boden weiter. Meine armen Füße würden ziemlich bald schmerzen, das war mir klar.

Ich hatte keine Wahl, denn als ich mich aufrichtete, glaubte ich etwas wie einen Schatten unten vorbeihuschen zu sehen. Da lebte doch etwas? Eine Schlange? Was auch immer das gewesen war, ich sollte da lieber nicht hinunter. Kein Yōki, schön, aber es gab auch genügend andere Wesen, die … Oh nein. Ich hatte die Vögel vergessen! Hastig warf ich einen Blick hinauf, aber am wolkenlosen Himmel zeigte sich kein Schattenriss.

Nun, es mochte im Moment so sein, aber ich sollte mich nicht in Sicherheit wiegen. So sprang ich lieber weiter. Hoffentlich würde es in der Nacht kühler werden. Ja, kühl, aber auch dunkel. Und da bestanden gute Chancen, dass ich in eine dieser Spalten springen würde, oder eher, fallen. Auch keine Option, die mir sehr zusagte.

Also sprang ich weiter, fühlte nur zu bald wie meine Füße nicht nur schmerzten, sondern in der Hitze taub wurden. Meine Sätze wurden notgedrungen kürzer. Vielleicht sollte ich doch in dies nächste Spalte springen? Diese schien nach Nordosten zu gehen. Nur ein bisschen Schatten, nur ein bisschen Kühlung?

Ich blieb halten und spähte vorsichtig hinunter. Diese war tiefer als die andere, aber ich konnte unten Glitzern entdecken. Wasser. Das würde mir zwar nichts zum Trinken geben, ich benötigte schließlich Blut, aber ein wenig Kühlung verschaffen. Nur …. Noch vor wenigen Tagen wäre ich einfach hinunter gesprungen, jetzt dachte ich nach. Wasser konnte manchmal auch tief sein und es gab diverse Tiere oder auch Yōki, die sich in Bächen tummelten. Was, wenn da auch wer wohnte?

So schön es gewesen wäre mich abzukühlen – nicht, wenn ich dafür sterben musste. Ich sollte mich einfach beeilen. Und, sobald diese Einöden hinter mir lagen, unbedingt einen Oni suchen, am besten einen Berggeist. Ich konnte förmlich spüren, wie mein Blutpegel sank. In dieser Hitze verbrauchte ich offenkundig einiges. Und ich konnte noch froh um meinen dichten schwarzen Haarschopf sein. Ich war zu jung, als dass mir die Haare schon wie so vielen früh ausfallen würden. Nun ja, unser Leben war auch zum Haare raufen, musste ich zugeben.

Hastig warf ich noch einen Blick nach oben, ehe ich mit möglichst gleichmäßigen Sprüngen weiter hüpfte, bemüht, die Aufsetzer kurz zu halten und mich gleich wieder abzufedern. Ob Meister Mikoto hier auch gewesen war? Ich konnte mich nicht entsinnen, dass er eine solche Gegend je erwähnt hatte. Feuerberge an sich ja, den Hoyama doch nicht? Und solche Einöden auch nicht. Wie hatte er denn je eigentlich in den Hekashin gefunden?

 

Mein Schatten war schon lang geworden, als ich endlich einen kleinen Busch fand, der nicht in einer Spalte wuchs, sondern hier oben. Ich konnte zwar entdecken, dass seine Wurzeln sich offenbar tief eingegraben hatten, aber eine vorsichtige und gründliche Überprüfung ergab, dass es sich wirklich um eine Pflanze und keinen getarnten Yōkai handelte. So ließ ich mich seufzend in den Schatten nieder, das Gesicht dem Hoyama zugewandt. Der rauchte schon den ganzen Tag, wie wohl immer, und ab und an hatte es leichte Erdbeben gegeben, allerdings so leichte, dass ich zu hoffen wagte, dass kein neuerlicher Ausbruch bevor stand. Aber, was wusste ich schon von Feuerbergen? Eines war nur ganz klar: ich war nun fast einen ganzen Tag in diesen Einöden unterwegs, wo es außer in den Spalten wohl kein Leben gab. So sehr mich das hätte beruhigen sollen, so unwohl wurde mir. Allein heute in den Stunden, hatte ich spürbar Yōki verbraucht. Und weit und breit war nichts von einem Oni u entdecken, wenigstens irgendwo ein Wurm. Was sollte ich nur tun, wenn das noch zwei Tage weiterging? Dann benötigte ich spätestens einen neuen Trunk! Ich würde wohl in der Nacht weiter marschieren, beschloss ich. Da war es kühler und so schlecht sah man als Flohgeist in der Dunkelheit nun auch nicht, dass ich direkt in eine Spalte fallen würde. Nicht, wenn ich langsamer wurde. Langsamer hieß ja zumindest auch, dass ich weniger Energie verbrauchen würde, zumal, wenn ich nicht die Tageshitze ausgleichen musste.

Doch, das klang nach einem Plan.

Jedenfalls hatte ich keinen anderen. Zu schlafen wagte ich sowieso nicht. Edoporo hatte mich zwar nicht fressen wollen, aber ihr Irrtum, ich sei tot, hätte mich ebenso umbringen können. Immerhin hatte ich den Namen ihres Dorfes – eine Möglichkeit weitere Informationen zu erhalten, falls das mit dem Hekashin nicht klappte. Sie hatte sich doch recht gut ausgekannt.

Ich hätte fast aufgeschluchzt.

Es war so schrecklich, so allein.

Nun, auf alle Fälle sollte ich zusehen, dass ich mehr die Richtung Nord einhielt. Nach Osten, in das Drachengebiet abzudriften, wäre nicht nur vielleicht tödlich, das war mir klar geworden. So sah ich nach, wo die Sonne unterging. Westen. Dann musste das Norden sein und ein wenig mühsam stand ich auf und machte mich in der beginnenden Dunkelheit auf den Weg.

 

Als die Sonne aufging, suchte ich müde, aber glücklich noch am Leben zu sein, wieder Platz unter einem hohen, vertrockneten Grasbüschel. In der Nacht hatten mich Sterne leiten können, und mir auch etwas gezeigt, was über mir geflogen war. Ich hatte mich schlicht zu Boden geworfen und die Eule oder was auch immer, hatte mich wohl nicht gesehen, oder nicht einmal der Landung wert gehalten. Nachts gab es andere Tiere und Yōkai als am Tag, das war mir durchaus klar und so hatte ich den Rest der Nacht eifrig damit verbracht nach Energien und Blut zu spüren, allerdings ergebnislos. Zum Glück, oder leider, denn der heutige Tag wäre wohl der letzte, den ich mit einigermaßen Kraft hüpfen konnte. Hoffentlich endeten die Einöden bald! Jedenfalls war mir nur klar, warum kein Fliegengeist solch ein Idiot war hier durchzugehen. Das blieb wahrscheinlich bloß Leuten wie mir überlassen, die keine Wahl hatten. Und das bedeutete leider auch, ich musste wieder durch die Hitze. Wichtig war es schnell hier wieder herauszukommen, oder auch einen Berggeist zu finden, jemanden zu finden, dessen Blut ich trinken konnte….

 

Bis es wieder dunkel wurde, war ich ziemlich erschöpft. Immerhin hatte mich niemand angegriffen, aber die einzigen Lebewesen, die ich ab und an gesehen hatte waren ameisenartige Tiere gewesen, die sich nicht weiter für mich interessiert hatten. Mit den letzten Strahlen der Sonne war ich auf einen hohen Felsen gesprungen, in der Hoffnung irgendwo Grün zusehen, wenigstens einen dunkeln Strich am Horizont, wenigstens etwas, in dem ich einen Oni vermuten konnte.

Vergeblich. Ich setzte mich niedergeschlagen hin und versuchte die Müdigkeit und den Durst zu ignorieren. Wie heute schon einige Male grollte der Feuerberg und schüttelte ein wenig die Erde durch. Besorgt sah ich zu dem Hoyama. Wirklich, der Gipfel meines Pechs wäre es, wenn ich jetzt auch noch in einem Vulkanausbruch umkommen würde.

Aber eigentlich sah der, wenn man von dem Rauch absah, ganz friedlich aus. Ich würde diese Nach hier bleiben, natürlich nicht hier oben auf dem Stein, sondern in Deckung unten, und morgen erst weitergehen. Ich musste mich erholen, wenn ich schon nichts zu trinken bekam, um wenigstens noch etwas durchzuhalten. Nur noch einen Tag, dann müsste doch endlich dieses unselige Land hinter mir liegen.

 

Ich musste eingeschlafen sein, denn mich weckte ein förmlicher Schwall von Yōki. Hastig sprang ich auf, aber ich war allein. Hatte ich es nur geträumt? Ich sah mich um. Die Morgendämmerung war hereingebrochen, aber ja, da war Yōki zu spüren: deutliche, dämonische Energie. Und am Horizont, gegen Norden hin, erkannte ich auch immer wieder aufblitzende Helligkeit, verbunden mit einem neuen Schwall an Yōki.

Mir war nicht ganz klar, was das bedeutete, aber da waren Yōkai, da war jemand, dessen Blut ich benutzen könnte, dessen Blut ich brauchte, und, ohne groß noch nachzudenken, machte ich mich auf den Weg. Natürlich würde ich behutsam sein müssen, erst die Lage peilen, aber ….Ich hatte Durst, ich war müde – und ich hatte wahrlich nicht mehr viel zu verlieren.

 

Erst im Näherkommen erkannte ich, dass das Yōki erlosch. War das doch der falsche Weg gewesen? Aber da war etwas, das ich brauchte und es war reine Gier, reiner Überlebensinstinkt, der mich weiter in diese Richtung laufen ließ. Zum hüpfen war ich bereits zu schwach.

Es mag kurz nach Mittag gewesen sein, als ich ein riesiges Areal erreichte, ein Gebiet, das vollkommen anders aussah als die bisherigen Einöden. Es hatte viel mehr tiefe Scharten, nun, um ehrlich zu sein wirkte es, als seien auch die Steine, ja, der Erdboden selbst von zuunterst nach zuoberst gekehrt worden. Vorsichtig ging ich näher an eine dieser Spalten und zuckte sofort zurück. Ganz anders, als bisher, ja. Da unten war glühendes Gestein zu erkennen, tief unter der Erde. Was auch immer hier den Boden aufgerissen hatte musste eine unglaubliche Macht besessen haben. Oder eher wohl: WER.

Ich brach in die Knie. Kein Yōki mehr, dafür der Boden aufgerissen, kein Berggeist, dafür nur noch Durst und Kopfschmerzen. Und, mir wurde klar, dass ich das nicht mehr lange durchhalten würde. Myōga wäre spurlos verschwunden, genauso wie so viele aus meinem Dorf.

Und das, wo ich doch bestimmt schon so nahe an den Hekashin herangekommen war!

Am liebsten hätte ich in gewissem Selbstmitleid zu weinen begonnen, aber der letzte Überlebensinstinkt kam in mir hoch. Yōki war hier gewesen, das war klar. Wo war dieser Yōkai hin? Oder, waren es gar zwei gewesen, zwei bewaffnete Yōkai? Von denen sollte ich mich wirklich fernhalten. Anscheinend hatten sie hier gekämpft und dabei Kräfte entfesselt, an die ich nicht einmal zu denken wagte.

Myōga, du Narr, schalt ich mich und raffte mich auf. Zwei bewaffnete Yōkai, die aneinander gerieten? Dann war höchstens noch einer da. Ich würde mich vorsichtig anschleichen. Wenn sie anscheinend zu Kampf hierher gekommen waren, dann kannte der Sieger doch bestimmt den Ausgang aus diesen Einöden. Natürlich würde ich ihn nicht gerade nach dem Weg fragen, aber unauffällig folgen. Richtung Norden, ja, da musste doch das Ende dieser schrecklichen Landschaft bald liegen.

 

War ich schon so müde? Ich konnte trotz allem keine Energie mehr spüren. Hatten sie sich etwa gegenseitig umgebracht? Und damit auch meine allerletzte Hoffnung das hier zu überleben?

Kein Yōki, aber meine gute Nase roch doch etwas wie Blut. Süßes Blut, lebenserhaltend, wichtig, Blut ist Leben ….ich wollte losrennen, stolperte mehr, ehe ich zu Boden stürzte, wirklich am Ende meiner Kräfte.

Immerhin lag vor mir etwas wie ein Steingewirr, sicher Felsen, die bei diesem Kampf förmlich aus dem Boden gerissen worden waren. Schatten. Ich musste nachdenken, ich musste Kraft sammeln, und so kroch ich einfach voran, erkannte erfreut den Schatten vor mir und kroch hinein, spürte Kühle, Weiche ...

Moment.

Ich wollte auffahren, in jäher, nie zuvor erkannter eisiger, Panik, als sich etwas sehr Spitzes um meinen Bauch und Rücken legte und ich hochgehoben wurde.

Ich gebe zu, ich konnte nicht anders als aufkeuchen, als mich der Besitzer dieser Krallen vor sein Gesicht hob.

Spitze Ohren, lange, weiße Haare, ein Schwertgriff über die Schulter ragend, die, ebenso wie der gesamte Oberkörper von einer dornigen und sicher schweren Rüstung bedeckt wurden, dunkle, blaue Male auf den Wangenknochen.

Nun, meinen Wunsch nicht zu sterben hatte ich soeben höchstselbst zu Grabe getragen.

Ein schwerttragender Yōkai. Und so, wie er seine Energie verbergen konnte, sogar ein Daiyōkai.

Wie viel Pech konnte ein einzelner Flohgeist eigentlich haben? Er hielt mich nur mit zwei Krallen, aber ich hatte weder Kraft noch Energie mehr um auch nur etwas zu versuchen. So ließ ich mich einfach hängen. Ja, ich gab auf.

Seine Stimme klang tief und ruhig. „Ein dummer Floh, der einem Hund ins Fell kriechen will.“

Das machte es kaum besser. Das Weiche war sein Fell gewesen? Aber, was für ein Fell, er war doch in Menschenform? Gleich, es war alles egal. Es sollte nur noch schnell gehen. „Tötet mich.“ Meine Stimme klang nicht nur in der Todesangst heiser, aber ich vermutete, er könnte sowieso mein Herz rasen hören. Meister Mikoto hatte doch gesagt, dass Daiyōkai unsereins allein mit ihrer Energie umbringen konnte. Lieber schnell, als ….

„Ein Kamikaze-Floh?“ Das klang fast spöttisch.

So, wie ich hing, konnte ich ihm nicht mehr ins Gesicht sehen, aber das wäre vermutlich auch ziemlich idiotisch gewesen.

„Wenn ich eine Frage stelle, Floh, erwarte ich eine Antwort.“ Kalt und ruhig.

Was für eine Frage? Oh, ob ich Selbstmord begehen wollte? Ich musste irgendwie antworten, sonst würde er mich vermutlich sehr langsam filetieren. Ein Hund. Ein Hundeyōkai! War er etwa der Fürst? Ich konnte nur flüstern. „Ich war auf dem Weg ...Hekashin ...verlaufen ...Durst…“

„Dann hat dich niemand hinter mir hergeschickt?“

Jetzt war ich irritiert. Und ich stellte fest, dass man sogar halb kopfüber noch denken konnte, zumindest, wenn man irgendwie doch noch aus dieser Lage entkommen wollte. Nun ja, um zu verdursten. Ich unseliger Floh! „Hekashin,“ beteuerte ich. Kannte er etwa den Wald nicht? „Ich ...Herr ….ich habe keine Energie mehr…“

Irgendwie schien er zu zucken. Amüsiert, vermutlich über das lächerliche, schwache Lebewesen, das sich an einen Daiyōkai wagte.

„Darum soll ich dich töten, weil du hoffst, es gehe schneller als zu verdursten.“

Wo er recht hatte….

„Manchmal bittet mich jemand um einen Gefallen. Manchmal um sein Leben. Um seinen Tod ist … interessant. Wie heißt du?“

„My ...Myōga.“

„Gut. Myōga. Sage mir einen Satz, warum du lebend für mich wertvoller bist als tot und ich erlaube dir mein Blut zu trinken.“

Ich zuckte zusammen. Das Blut eines Daiyōkai? Das würde mich nicht nur jetzt retten, sondern mir vermutlich bis in den Hekashin helfen! Aber ….und da machte ich mir trotz des ruhigen Tonfalles keine Illusionen – er gab mir wirklich nur einen Satz. Mühsam befeuchtete ich ein wenig meine trockenen Lippen. Nur ein Satz – um mein Leben oder meinen Tod. „Mein Lehrer sagte: das Unscheinbare zu beachten ist Einsicht.“ Und hängte doch noch einen zweiten Satz dran. „Aber das liegt allein bei Euch.“

 

 

 

 

Das Unscheinbare zu beachten ist ein Zitat aus dem tao-te-king

 
 

Aufrichtigkeit ist vermutlich die verwegenste Form der Tapferkeit

William Sommerset Maugham 1874 – 1965

 
 

Ich konnte kaum mehr atmen, denn, was immer nun passieren würde lag nicht mehr in meiner Hand. Das war die Entscheidung des Daiyōkai vor mir, der mich im wahrsten Sinn des Wortes in der Hand hatte. Und alles, was Meister Mikoto je über diese mächtigen Wesen gesagt hatte, war nichts, was nach Erbarmen oder Mitleid klang.

Ich fühlte mich hochgehoben, dann auf ein weiches Fell gesetzt. Halb spürte ich auch Metall. Fell? Metall? Ich hockte auf der Schulter. Da hatte er selbst in seiner Menschenform Fell? Aber, was sollte ich hier? Was wollte er von mir? Ich krallte mich irgendwie am Fell fest um nicht hinab zu stürzen.

„Müder Floh.“ Das klang fast nachsichtig und ich fühlte mich erneut gepackt, dann gegen etwas gedrückt, das ich auch als warm und weich empfand. Allerdings konnte ich nur zu gut den Schlag des Herzens vernehmen, das Rauschen von Blut. Er hatte mich an seinen Hals gesetzt! Und, da ich mich noch immer nicht regen konnte, packte er mich und stieß meinen Rüssel in seine Haut.

Blut, mächtiges, süßes Blut! Während ich instinktiv trank, kehrte mein Bewusstsein soweit zurück. Dieser Daiyōkai rettete mir das Leben! Ja, er hatte mir nicht nur erlaubt sein Blut zu trinken, und, oh besseres habe ich nie wieder getrunken! - sondern mich sogar eigenpfötig hineingestoßen. DAVON hatte Meister Mikoto sicher nichts erzählt. War das ein sehr ungewöhnlicher Daiyōkai? Träumte ich das Ganze auch nur? Gleich. Wenn das der letzte Traum vor dem Tod war, so wollte ich nicht daraus erwachen. So trank ich, schluckte, bis ich dick und rund angeschwollen war und endlich wagte den Rüssel zu ziehen.

Prompt fühlte ich mich fort geschnippt, prallte gegen einen Stein und fiel zu Boden. In den Schatten, dem so mächtigen Wesen gegenüber. Aufsetzen war unmöglich, dazu war ich zu dick geworden und so wandte ich nur den Blick. Ja, da saß er. Ein Bein angezogen, das andere nachlässig ausgestreckt. Über seine Rüstung voll Stacheln wanden sich auf beiden Schultern Fellteile. War das normal oder ein Statussymbol? Ach, ich wusste doch so vieles nicht. Seine Augen leuchteten Gold – und dahinter lag etwas ganz anderes. Yōki, erkannte ich selbst da, Dynamik. In diesem Mann musste förmlich ein Energiesturm toben. Nun das, was ich getrunken hatte und gerade mehr Energie und Kraft durch meine Adern fließen ließ als ich je auch nur erträumt hatte, war ja nur ein winziger Abklatsch davon. Wie mächtig, oder eher, so mächtig war ein Daiyōkai?

„Hekashin,“ sagte er.

Ich musste für einen Moment nachdenken. „Ja, Herr. Dort will ich hin. Mein eigener Meister hat dort gelernt und …“

„Du willst mehr lernen.“

„Ja.“ Sollte ich das mit zuhause erzählen, meinem verlorenen Dorf? Kannte er es gar? Aber ich wollte die Toleranzgrenze eines Daiyōkai eigentlich nicht kennen lernen. „Ich bin noch so jung.“

„Ich halte es für einen Fehler nicht lernen zu wollen. Ich selbst bin auf dem Weg in das Schwebende Schloss.“

„Was?“ brachte ich hervor und schaffte es irgendwie mich aufzusetzen, gegen den Stein zu lehnen.

Er schien überrascht, denn er zog eine Braue hoch. Nun, immerhin nur das.

So erklärte ich hastig: „Ich hörte nur, dass … nun, dass noch jeder Bewerber um die Hand seiner Tochter unter den Klauen des Fürsten starb.“ War dieser Mann so stark, dass er sich an einen Fürsten wagte?

Um seinen Mund zuckte ein Lächeln. „Myōga – ich empfinde es fast als sinnlos nett, dass du mich warnen willst. Hältst du mich folglich jedoch für schwach oder dumm?“

Ohoh. Das war ganz dünnes Eis, denn mit diesem Lächeln hatte mich etwas gestreift, das ich nur als Hauch des Todes bezeichnen möchte. „Weder noch, Herr,“ beteuerte ich eilig. „Nur eine Information. Die natürlich Ihr bewertet.“

„Für einen jungen Floh setzt du deine Worte erstaunlich geschickt. Nun gut. - Natürlich sterben die Bewerber um die Hand der Tochter. Kein Fürst wird seinen Nachfolger neben sich dulden.“

„Äh...und der eigene Erbe?“ entfuhr es mir.

„Der eigene Sohn wird den Fürsten auch eines Tages umbringen. Schwerttragende Yōkai. Aber meinethalben kann der Fürst des Westens seine Tochter behalten. Ich beabsichtige nicht die Nachfolge, ich will lernen. Und mich bei ihm als Taishō bewerben. Sieh nicht so drein, Myōga. Bei wem kann man lernen ein Heer zu führen, außer bei einem Fürsten?“

„Das ist wahr,“ gab ich zu. „Und, wenn ich das richtig sehe, würdet Ihr als sein Feldherr ihm Treue schwören, damit wärt Ihr auch nicht in diese ganze Nachfolgesache verstrickt. Nur, mit Verlaub – wenn es doch einen Nachfolger gibt?“

„Entweder er lässt mir den Titel und das Heer oder wir duellieren uns.“

Ich dachte an die umgepflügte Erde dort hinten. „Ihr seid sicher zu gewinnen.“

„Ich würde auch gegen den Fürsten gewinnen. Nur, ich will lernen.“

„Das ist sehr klug von Euch,“ gab ich zu. Langsam ging es mir besser und mein Körper hatte die wahrlich ungeheure Menge an Energie verdaut. Und ich konnte wieder besser nachdenken. Dieser Mann hielt sich für stärker als den Fürsten? Nein, das hatte er nicht gesagt. Er würde gewinnen. Was hatte nur diese Erde so umgepflügt? Warum spürte ich nun, da ich erholter und wacher war, eine unheimliche Präsenz, die von dem Daiyōkai ausging? Nein, von seinem Schwert, „Euer Schwert würde Euch sicher zum Sieg verhelfen,“ ergänzte ich darum. „Aber ich glaube, es ist weiser erst alles zu lernen, was immer man kann.“

„Das Schwert nennt man das Höllenschwert. Nur jemand aus meiner Blutlinie kann es kontrollieren. Der Fürst des Westens sollte angetan sein, wenn es sein Heerführer trägt.“

Ich begriff seinen Plan. Nein, er war nicht daran interessiert sich einen Fürstentitel zu erheiraten, er wollte lernen: ein Heer zu führen und vermutlich auch mit der höllischen Klinge, an die er scheinbar gebunden war, auszukommen. „Ihr scheint mir ein sehr weiser Mann zu sein,“ erklärte ich darum.

„Ein hübsches Kompliment von einem Floh gegenüber einem Hund.“ Er musterte mich noch einmal. „Allerdings hat mir das nie zuvor jemand gesagt und es so ehrlich gemeint.“

„Ihr würdet doch sowieso jede Lüge bemerken.“

„Das ist wahr, Myōga. Nun, angenommen, ich werde Taishō des Westens. Was sollte ich beachten?“

„Ja, das weiß ich doch nicht. Ich meine, ich bin weder Krieger noch Feldherr ….“ Ja, aber er erwartete sichtlich eine Antwort. So dachte ich nach, ohne dass er sich bewegte oder auch nur seine Energie erhob. Das war mehr als freundlich. Auch, dass er mich um Rat fragte, obwohl er doch wissen musste, wie ahnungslos und jung ich war. Oder war es eben deswegen? Eine schrecklich hinterlistige Falle? Nein, entschied ich. Er hatte mich trinken lassen. Nach allem, was ich wusste, machten Yōkai zwar was sie wollten, gerade Daiyōkai, aber sie bereuten nie was sie taten. Nun, ich konnte nur hoffen, dass er auch nie bereuen würde mir das Leben gerettet zu haben. „Ich denke, das, was ich zuvor erwähnte, was mein Meister sagte, stimmt. Das Unscheinbare zu beachten. Nie nur die großen Dinge sehen, die Starken, die Mächtigen.“

Eine Handbewegung. Weiter.

„Aber, wenn Ihr schon einen Rat von mir hören wollt, missachtet die Fürstentochter nicht wenn Ihr im Schloss seid. Frauen mögen nicht herrschen dürfen, aber sie sind nicht zu unterschätzen….“ Und da musste ich nur an meine eigene Verlobte denken, die hoffentlich nach meinem Verschwinden jemand anderem zugesprochen worden war.

„Dürfen, ja.“ Er winkte weiter.

„Ich denke ein Feldherr muss sich auch um das Gelände kümmern, das ihm zur Verfügung steht, alles mögliche durchdenken.Ich meine, hier, diese Einöden, dürften doch den Westen schon einmal ganz gut schützen. Natürlich nicht gegen Leute wie Euch.“

„Oder gegen Drachen. Mit einem davon geriet ich gestern aneinander. Er folgte mir aus dem Osten.“

„Sie sind recht blutdürstig, heißt es.“

„Ja.“

Ich fasste es nicht. Da saß ein so mächtiges Wesen, ein Daiyōkai, und befragte mich, gab mir sein Blut, tat so, als ob wir irgendwie befreundet wären … und doch wusste ich, dass er mich jederzeit umbringen konnte. Was mich schützte war wohl sein eigenes Blut, das durch meine Adern rann. Ich sollte wirklich, wenn er schon meinte, ich sei klug, ihn davon weiter überzeugen. „So wäre es, denke ich, kaum falsch, wenn Ihr der Taishō geworden seid, auch an der östlichen Grenze unauffällige Spione einzusetzen.“

„Dort befinden sich natürlich welche.“

„Natürlich, ich denke ja auch nicht, dass unser Fürst töricht ist,“ beteuerte ich eilig, während mir der Schweiß ausbrach. Die Stimme war jäh eisig geworden, jetzt blickte er mich wieder mehr neugierig an. „Aber auch die Drachen werden Späher haben und diese Posten doch wohl kennen. Was ich meinte, ist etwas anderes, kleineres. Drüben, am anderen Ende der Einöde, wo ich herkam, gibt es ein Dorf mit Fliegen namens Mikokadije. Ich lernte von dort jemanden namens Edoporo kennen, die erwähnte, dass sie militärisch wichtig sein.“

„Fliegen.“

„Herr, sie sind klein und unauffällig, wenn ich das als Flohgeist so formulieren darf. Keinem Drachen oder schwerttragenden Yōkai wird eine Fliege auffallen, die in gewisser Entfernung an ihm vorbei schwirrt.“

„Was du mir alles erzählst ohne dass ich dich bedrohe.“

Ich zuckte etwas die Schultern, um rasend nachzudenken, Was meinte er damit? „Ihr braucht mir nicht zu drohen, Herr. Eure Existenz mir gegenüber genügt. Und zum Zweiten – Ihr habt mir das Leben gerettet. Ich weiß nicht viel über Yōkai, aber mir wurde gesagt, dass sie nie die eigene Tat ungeschehen machen.“

„Sind alle Flohgeister so intelligent wie du?“

„Ich fürchte nur noch Meister Mikoto,“ gab ich zu, „Ich fiel durch meinen Wissensdurst stets negativ auf.“ Tatsächlich, er lächelte. Aber das war keine Todesverheißung, sondern echtes Amüsement.

„Wo liegt der Hekashin?“

„Im Nordosten des Westens, mehr weiß ich nicht. Ich hoffte jedoch, dass Meister Nekohiko bekannt sei.“

„Nekohiko, der Katzenmagier. Ja, von dem habe ich gehört. Allerdings nichts davon, dass er Lehrlinge hat.“

„Mein eigener Meister, Mikoto, war bei ihm Schüler. Vielleicht ist ein Flohgeist nicht aufgefallen?“ schlug ich vor. Das war ja eine schlechte Nachricht. Wenn dieser Katzenmagier keine Schüler mehr annahm, wohin sollte ich denn dann bloß? Nach Mikokadije? Und auch das würde mir nichts helfen. Mit jähem Entsetzen wurde mir klar, dass ich jetzt nicht einmal mehr vom Blut eines Gebirgsgeistes leben konnte – ich hing an Daiyōkai! Ach du armer Floh! Er hatte mir das Leben gerettet, ja, aber gleichzeitig, wohl bestimmt unwissend, dafür gesorgt, dass ich nur mehr das Blut eines Daiyōkai benötigen konnte. Bei allen Sternen, die jemals schienen… wie viel Pech konnte man haben?

Der Hundeyōkai vor mir wandte den Kopf nach rechts und links, ehe er fragend zu mir blickte. „Was hat dich erschreckt, Myōga?“

Oh, ihm die Wahrheit zu sagen, dass ich keine Ahnung hatte wo und wie ich meine nächste Mahlzeit bekommen sollte, würde undankbar klingen und sicher Folgen haben. Lügen würde er allerdings sofort bemerken. Also ….nun ja, die zweite Wahrheit. „Wenn Meister Nekohiko keine Schüler mehr annimmt, war meine Reise vollkommen sinnlos, alle Gefahren und so ...Nur, das Problem ist, ich finde so nicht mehr in mein Heimatdorf zurück. Ich bin oft geflohen, wurde viel gejagt.“

„Vorsichtig und klug.“

„Äh, danke, Herr.“

Er erhob sich und ich sah erst jetzt einen roten Flecken auf einem der beiden Fellanhängsel, die ihm weich über den Rücken flossen. Blut. Ja, er hatte gegen einen Drachen gekämpft und gewonnen, war allerdings verletzt worden. Nun, nichts, was ihm mehr noch etwas auszumachen schien. Allerdings, einen der wenigen Gesprächspartner der letzten Tage zu verlieren, erschien mir … arg. Auch, wenn der Mann gefährlich war, ein Daiyōkai, so war er doch mir gegenüber wahrlich großzügig gewesen. „Ihr geht weiter, Richtung des Schwebenden Schlosses.“ Natürlich bekam ich keine Antwort. Wohin auch sonst.

Aber eine Klaue deutete auf seine Schulter. „Floh!“

Ich sollte ….Nun, ich hatte keine Wahl und so machte ich den Sprung, krallte mich fest. Was sollte das jetzt? Ich vermutete über meinem Kopf lag mindestens ein großes Fragezeichen. Ein Daiyōkai, ein Hundeyōkai – und ließ einen Flohgeist auf sich reiten? Wohin wollte er mich mitnehmen? Ablehnen stand natürlich außer Frage.

Er strich seinen langen Zopf zurück als er gemächlich losging. „Du verstehst nicht?“

„Nein, denn das Schwebende Schloss liegt im tiefen Südwesten, der Hekashin im Nordosten.“

„In gut einer Stunde werden wir uns auch trennen und jeder geht seines Weges. Bis dahin lasse ich dich bei mir. So wird dich niemand jagen.“

„Das ist sehr großmütig von Euch,“ brachte ich hervor. Das war wahr. Nur ein Wahnsinniger würde versuchen einem Daiyōkai etwas von der Schulter zu nehmen. Ein lebensmüder Wahnsinniger.

„Nimm es als Dank für die Lektion, die ich von dir bekommen habe.“

„Das Unscheinbare zu beachten?“ fragte ich etwas verwirrt. ER und bedankte sich bei mir? „Ich habe mich noch gar nicht für Euer Blut bedankt…“ fiel mir ein.

„Man hält manches, wie Flohgeister, für Ungeziefer, Menschen, ebenso ….“ Er klang, als ob er mit sich selbst rede. „Und dann trifft man jemanden, der so mutig ist, dass er sogar einem Daiyōkai gegenüber die Wahrheit sagt. Selten genug gibt es solche Leute. Alles beachten.“

Ich fühlte einen seltsamen, unbekannten Stolz und eine Wärme aufsteigen, die ich noch nie gefühlt hatte. Ein Daiyōkai hielt mich für intelligent und mutig. Selbst, wenn ich durchaus überzeugt war, dass er falsch lag – ein derartiges Lob tat einfach gut.

 

Nach einer Stunde blieb der Daiyōkai stehen und ich sprang hastig von seiner Schulter. Vage deutete er nach rechts. „Dort enden die Einöden.“

„Ich wünsche Euch viel Erfolg im Schwebenden Schloss. Und gutes Lernen.“ Oh, war das zu viel gewesen, denn der goldene Blick senkte sich zu mir.

„Auch du lerne, Myōga. Vielleicht sehen wir uns eines Tages.“

Ich wich hastig zurück, als eine ungeheure Menge an Yōki aufflammte, seine Form veränderte, sein nur scheinbar menschliches Gesicht verzerrte. Dann stand ein riesiger weißer Hund vor mir, um dessen Brust und Schultern sich Fell bauschte. Waren das die Teile, die er als Anhängsel in seiner Menschenform trug? Wusste er womöglich nicht wohin damit? Ich konnte allerdings nur noch nachsehen, als er mit wehenden Ohren nach Westen galoppierte, und wandte mich selbst in die angezeigte Richtung. Wenn dort die Einöden endeten, womöglich würde ich jemanden finden, der mir den Weg zum Hekashin weisen konnte. Oder ich fragte nach Meister Nekohiko, der schien ja hier in der Gegend eher bekannt als sein Wald. Es war meine Hoffnung, und so sprang ich wieder los, gestärkt durch das Blut eines Daiyōkai und gestützt auf eine der stärksten Säulen unseres Lebens – falsche Hoffnung.

 
 

Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.

nach Jesus Sirach 3, 27-28

 
 

Während ich weiter hüpfte durch die noch immer heißen und recht einsamen Einöden, spürte ich, wie sehr das Yōki und das Blut des Daiyōkai in mir tobten. So stark, so mächtig, war ich nie zuvor gewesen! Allerdings war mir nur zu bewusst, dass das kaum ein Echo dessen war, dass dieser Hund, den ich da mit meinen letzten Versuchen getroffen hatte, an Macht besaß. Ich brauchte mich wahrlich nicht für stark halten, wenn das einige Tropfen Blut auslösten… Dennoch. Ich fühlte mich erfrischt. Nur leider, während ich erleichtert vor mir etwas wie Wald entdecken konnte, wurde mir immer deutlicher klarer, dass das wohl der letzte Trunk meines Lebens gewesen war.

Es sei denn, Meister Nekohiko kannte einen Ausweg. Es würde doch nie wieder einen Daiyōkai geben, der mir sein Blut freiwillig spendete. Und mit einer Attacke auf eines dieser Wesen erfolgreich loszugehen, nun ja. Ich konnte seit heute nur zu gut abschätzen auf was ich mich da einlassen würde.

Ich wusste von dem Hund ja nicht einmal den Namen, toll. Ich hätte mich auch nicht getraut ihn zu fragen, aber er war ganz sicher unter den Stärksten selbst der Daiyōkai. Im Notfall müsste ich das Schwebende Schloss aufsuchen, nach dem neuen Taishō fragen und ihm mein Dilemma erklären. War das ein Plan? Kaum. Ein ganzes Schloss voller Hunde und ich mittendrin? Das klang nicht nach einem Plan, das klang nach einer Selbstmordmethode.

Ach du je. Seit diese Paradiesvögel mein Dorf angegriffen hatten, hatte ich einfach nur noch Pech und ich konnte nur hoffen, dass das nicht noch zu steigern wäre.

 

Endlich erreichte ich den Wald. Er war dicht und feucht und ich setzte mich erst einmal in den Schatten, versuchte mich zu erholen und nachzudenken. Der Hekashin mochte hier irgendwo in der Gegend sein, aber wo? Und wen sollte ich danach fragen? Oder nach Meister Nekohiko? Wie hatte das der Hund genannt? Magierkatze? Katzenmagier? War das vielleicht der Name, nach dem ich fragen müsste? Nur, wen? Die Wahrscheinlichkeit nochmals an wen Freundlichen zu geraten, der mich nicht fressen oder sonst wie umbringen wollte, war mit gleich zwei Treffern in den vergangenen Tagen doch wohl rapide gesunken. Allein jedoch einen Zauberwald in einem vollkommen unbekannten Territorium zu finden erschien mir jetzt mehr als vage. Hier sah alles nach Wald aus.

Vielleicht sollte ich wieder auf einen der höchsten Bäume springen und mich umsehen? Das hatte ich ja schon getan, als ich vom Dorf …

Lieber nicht dran denken. Der Rückweg war mir wohl für dauernd versperrt. Da gab es schließlich keinen freundlichen, oder zumindest äußerst toleranten, Daiyōkai.

 

So suchte ich mir einen sehr hohen Baum, den höchsten, den ich finden konnte. Eine Zeder, glaubte ich damals, aber ich weiß es nicht genau. Jedenfalls guckte ich mich um und fand auf der einen Seite den Hoyama mit den umgebenden Einöden, wohin ich sicher nicht mehr wollte, auf der anderen schlicht dichten Wald, der sich über ganze Hügelketten erstreckte. Und wo war jetzt der Hekashin? Shin war doch eher ein lichter, kleiner Wald, das müsste man doch sehen, oder? Und nicht diesen endlos scheinenden Urwald vor mir. Wohin sollte ich armer Flohgeist nur?

Ich musste mich hastig festklammern, denn die Erde bebte. Was war jetzt los? Grollte der Vulkan sogar bis hierher? Ich sah dennoch hinab und … nun ja, war froh, mehr als zwanzig Meter weiter oben zu sitzen. Der Waldboden wölbte sich auf und heraus schoss etwas Langes, Riesiges, eine Kreatur, wie ich sie mir in meinen Alpträumen kaum hässlicher hätte ausmalen können. Schleimig, mit Erde bedeckt, schrecklich viele Beine an dem flachen Körper und ein aufgerissener zähnestarrender Mund. Das Erdbeben ließ nicht nach, auch, wenn ich doch glaubte, langsam müsste der Wurm, ja, genau, das war eine Sorte Wurmyōkai, aufhören. Nein, das waren ja zwei, zwei, ineinander verschlungene Würmer, die sich ein Stück über den Boden wanden, ehe sie gemeinsam wieder verschwanden.

„Wurmyōkai bei der Paarung,“ sagte jemand hinter mir und ich machte unverzüglich einen Mehr-Meter-Satz zum nächsten Baum.

Als ich mich umsah, atmete ich tief durch. Eine gigantische, behaarte Spinne hatte sich an mich angeschlichen und nur den Fehler gemacht mit mir zu reden, weil sie sich meiner zu sicher gewesen war. Spinnen konnten nicht so weit springen, das war mein Glück. Und jetzt erkannte ich auch, wenngleich nur mit Mühe, die feinen Fäden, die sie zwischen den Zweigen der Zeder gespannt hatte. „Du hast mich erschreckt!“ warf ich ihr vor, war aber gleichzeitig froh entkommen zu sein. Hoffentlich. Vorsichtig blickte ich mich diesmal besser um.

Sie zuckte die Schultern. „Hätten mich die Würmer nicht gestört, wäre ich schon dabei dich zu fesseln, Fliege. Oh, du bist ja ein Floh! Daher der weite Satz. Hm. So was habe ich ja noch nie gesehen. Du scheinst recht stark zu sein.“

Sie wollte mich doch nicht etwa zu sich zurück locken? Ich blieb wo ich war. „Ich bin Bote,“ log ich. „Ich soll in den Hekashin zu dem Katzenmagier.“

Sie winkte ein wenig mit den Vorderbeinen – ab. „Da kommt keiner rein. Der Kater mag keine Besucher. Vielleicht macht er bei Boten eine Ausnahme. Vom Fürsten, wohl?“

Das klang wirklich nicht gut. Aber, immerhin redete sie. Vielleicht bekam ich weitere Auskünfte? Ohne zu lügen? Möglicherweise erkannte sie wie der Hundedaiyōkai Lügen? Ich blickte mich hastig noch einmal um, ehe ich fragte: „Und, wo kann ich diesen Hekashin finden?“

Die Spinne kicherte. „Schätzchen, den kann man nicht finden, nur er dich. - Aber, wenn du da Richtung Ost gehst, wo die Sonne aufgeht, da, hörte ich, soll er liegen. Aber, da leben meine Schwestern ja auch.“ Sie kicherte wieder und diesmal klang es eindeutig boshaft.

 

Das klang vor allem nicht sonderlich gut. Ich musste, sollte, nur unter Tageslicht reisen, um diese heimtückischen Fäden glitzern zu sehen. Und dann? Was, wenn ich wirklich nicht in den Hekashin kam? Meine Sorge diesbezüglich wuchs bei jeder Begegnung an. Nahm Meister Nekohiko wirklich keine Schüler mehr an? Wehrte er nur aufdringliche Besucher ab? „Danke für die Warnung,“ sagte ich jedoch, ehe ich mich abwandte und sehr aufmerksam weiter hinunter sprang. Den Erdboden sollte ich meiden, das hatten die Würmer bewiesen, sehr einfache, dumme Yōkai, von denen ein Flohgeist jedoch gut zehren konnte, wenn er nicht hoch entwickelteres getrunken hatte, wie eben meine Wenig… Ach, wozu das Ganze sich selbst wiederholen. Es wurde ja nicht anders dadurch.

Die Wipfel der Bäume sollte ich auch meiden, dort hatten anscheinend die Spinnen ihre Netze und warteten auf unvorsichtige Insekten. Wie mich, wie ich zugeben musste. Die gewisse Erleichterung es durch die Einöden geschafft zu haben, hatte mich weniger auf der Hut sein lassen als es sinnvoll war. Nur nie mit der Wachsamkeit nachlassen! Niemals. Lieber zu früh fliehen als zu spät….

So sprang ich von Baum zu Baum weiter, nach Möglichkeit versteckte Fallen entdecken wollend, Augen, die unter Blättern lauerten und anderes.

Aber ich gelangte, ob mit Vorsicht oder Glück vermochte ich nicht zu sagen, gegen Abend an den Rand des Waldes. Nun ja, Korrekter wäre wohl den Rand einer Lichtung, denn nach einer kurzen Strecke ohne Bäume ging es wieder weiter. Sollte ich die Nacht auf der Lichtung verbringen? Da war ich für allerlei Nachtgetier zu erkennen, wenn ich mich nicht gut unter dem Gras versteckte, andererseits konnte ich selbst auch besser bemerken, wer sich an mich anschlich und sogar etwas den Himmel im Auge behalten. Es gab zwar Wolken, aber es würden doch die Sterne auftauchen.

Ich hüpfte mehr als vorsichtig in die Wiese, immer wieder umguckend, dann ging ich nur noch zu Fuß weiter. Irgendetwas stimmte hier nicht, da war ich sicher, mit einem Gefühl, wie ich es zeitlebens, nun ja, meines kurzen Lebens noch nie empfunden hatte. Eigenartig, nur zu fühlen, nicht zu sehen. Erneut blickte ich mich um, spürte mit allen Sinnen. Nein, immerhin kein Yōki in der Nähe, also auch keine Gefahr. Außer natürlich jeder Eidechse oder sonst etwas. Nur, was war dieses Zusätzliche?

Ich fand etwas, das mich an einen Löwenzahn erinnerte und kroch drunter, freilich so, dass meine Beine zusammengeklappt blieben für einen weiten Sprung. Dieser Rat Meister Mikotos hatte mich in den letzten Tagen mehr als einmal gerettet. Wie es ihm wohl gehen würde, allen im Dorf? Ich musste mir selbst zugeben, dass ich sogar geheiratet hätte und Kinder großgezogen, wäre ich nur wieder zuhause. Aber das war eindeutig unmöglich und so sollte ich mich damit auch gar nicht mehr aufhalten.

Was also war das nur? Es kam von dem Wald jenseits der Lichtung, oder? Was war da? Der Hekashin konnte es kaum sein, dazu war das doch viel zu dicht, kein Hain, definitiv nicht, aber…

Ich musste der dämlichste Floh aller Zeiten sein und hätte mir um ein Haar alle vier Hände vor die Stirn geschlagen. Das war anscheinend ein Nebeneffekt der Tatsache, dass ich das Blut des Daiyōkai getrunken hatte. Was ich spürte war Magie, schlicht und einfach. Jemand meiner Art konnte Magie weder weben und auch nicht erkennen, aber offenbar vermochte ich sozusagen geliehen nun letzteres. Aber, wenn da Magie war, ich einen Hain suchte und Urwald sah – handelte es sich etwa um das, was man einen Bannkreis nannte? Zauber, der den Zauberwald umgab um ihn vor unerwünschten Besuchern zu schützen? Oder lag da etwas ganz anderes, eine üble Falle für unvorsichtige Reisende?

Ich musste sorgsam sein und tapste mehr als ich lief in der beginnenden Nacht auf den Wald zu, den ich sah. Tatsächlich erhöhte sich der Druck dessen, was ich als Magie ansah, immer mehr. Eine Barriere sollte das wohl sein, keine Falle. Aber ich blieb immer wieder nach drei Schritten stehen, sah und hörte mich um, suchte nach Yōki oder anderen Hinweisen auf Lebewesen. Und wurde nicht fündig. So gelangte ich nach scheinbar endloser Zeit sehr nahe an den Waldrand – und prallte gegen ein unsichtbares Hindernis.

Ich hatte recht gehabt. Hier war Magie, ganz erhebliche vermutlich. Ein Bannkreis, der mich abwehrte, und, nach dem, was diese Spinne gesagt hatte, nicht nur mich.

Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet und setzte mich erst einmal vor Schreck hin. Irgendwie war mir der Hekashin, war mir Meister Nekohiko als letzte Zuflucht erschienen, hatte mich diese Hoffnung durch getragen … und jetzt?

 

Ruhig Blut, Myōga, mahnte ich mich. Bannkreise waren doch angeblich zu durchqueren, wenn man sie löste oder doch wohl die entsprechenden Sprüche kannte. Kannte ich leider nicht. Und ich besaß keine Anleitung, hatte ich doch nie zuvor Magie gespürt. Wie hätte das auch Meister Mikoto? Kein Floh, der nicht das Blut eines Daiyōkai getrunken hatte, würde das vermögen. Und ich vermutete, in all den Generationen zuvor belief sich die Anzahl auf Null.

Ich musste es einfach nochmal versuchen, anders.

So stand ich wieder auf. „Ich möchte zu Meister Nekohiko,“ sagte ich, ehe ich erneut auf den Bannkreis zuschritt. Und mich ebenso prompt schmerzhaft gestoppt fand.

 

Was sollte ich nur machen?

Yōki!

Ich fuhr herum und starrte die Katze, den Kater, an, der scheinbar aus dem Nichts gekommen war.

Buchstäblich eine weiße Katze, wenngleich aufrecht gehend wie ein Mensch, ein sehr … nun, ich gebe zu, ich empfand es als dämliches, Grinsen um den Mund, die Augen halb geschlossen. In der rechten Pfote umkrallte er … oder sie, ergänzte ich vorsichtig geworden … einen goldenen Stab mit einem ebensolchen Kreis oben, auf den er sich lehnte.

„Habe ich dich erschreckt, Flohgeist? Ich bin der Wächter des Hekashin. Wer seinen Bannkreis stört, ruft mich.“

„Ich wollte den Bannkreis ja nicht stören,“ beteuerte ich lieber eilig. Hinter mir lag immerhin dieser, der mir keinen Zugang gewährte, und vor mir stand dieser Kater, gewiss fast so hoch wie ein Mensch.

„Was wolltest du dann im Hekashin?“

„Äh, ich wollte der Schüler werden von Meister Nekohiko.“

Das Grinsen wurde stärker. „Und was veranlasst dich zu der Annahme Meister Nekohiko würde ausgerechnet einen Flohgeist aufnehmen, wo ihr doch über keinerlei Magie verfügt?“

„Mein… mein eigener Lehrer, Meister Mikoto, sagte, er habe hier sehr viel gelernt. Es mag lange her sein, aber …“

„Ach herrje.“ Der Kater hob eine Hinterpfote und lehnte sie an das andere Knie, stützte sich dabei auf dem Stab ab. „Und das hast du geglaubt. Natürlich, er war ja dein Meister. Und warum bist du nicht bei ihm geblieben? Ist er tot?“

„Äh, nein, ich hoffe nicht. Wir wurden bei einem Angriff getrennt…..“ gab ich zu. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich hier lügen sollte, wenngleich vorsichtig sein. Das klang alles nicht sonderlich verheißungsvoll. „Weißt du, ich will ja auch keine Magie lernen, das können Flohgeister ja gar nicht, nur einfach mehr lernen.“

„Du hast Magie in dir, also lüge nicht.“

„Das ist nicht meine,“ protestierte ich prompt. „Ich trank das Blut eines Daiyōkai und seither … naja, seither kann ich anscheinend wenigstens Magie spüren.“

„Das Blut eines Daiyōkai.“ Er klang spöttisch.

„Er schenkte es mir und rettete mir damit das Leben!“

„Blödsinn. Kein Yōkai, wie viel weniger ein Daiyōkai, schenkt Leben. Wie hieß er denn?“

Er glaubte mir nicht, seufzte ich in Gedanken. „Ich habe ihn nicht gerade nach dem Namen gefragt. Ich war dem Tode nahe und er … er rettete mich, er war ein Hund. Und er trug So´unga.“

Der Kater vor mir stellte abrupt wieder beide Hinterbeine auf die Erde. „Du weißt, was du gerade gesagt hast?“

„Das Höllenschwert, so nannte er es, ja.“

Er stieß den goldenen Stab auf den Boden und ich spürte eine Magiewelle. „Ein Flohgeist mit dem Blut des Trägers der höllischen Klinge. Nie und nimmer darfst du in den Hekashin. Und noch dazu diese Lüge mit einem Mikoto. Dreh um und verschwinde, kleiner Floh!“

Ich fasste es nicht. „Meister Mikoto sagte doch ….“

„Ja, und du hast ihm geglaubt, kleines Licht, das du bist. Wer denkst du, das du wärst, um bei dem mächtigsten Magier, den die Katzenwelt je sah, lernen zu dürfen?“

Gute Frage, dachte ich. So sagte ich nur: „Ja, ich verstehe ja. Aber, bei wem kann ich denn noch lernen?“

„Was willst du denn lernen?“

„Naja, wie die Welt ist, was es für Wesen gibt, wie sie leben ….“ Ich sah, dass das Grinsen sich vertiefte und versuchte meine bittere Enttäuschung zu verbergen „Ja, schon gut. Ich bin kein Magier, ich bin kein Daiyōkai, ich bin das letzte Glied der Nahrungskette.“

 
 

Lernen, ohne zu denken, ist eitel,

denken, ohne zu lernen, ist gefährlich.

Konfuzius

 
 

Ich starrte verzweifelt den weißen Kater und Wächter des Hekashin an. „Ehe ich gehe, kannst du mir nicht sagen, wohin ich mich wenden kann? Ich muss noch eine Menge lernen, ich kann ja nicht ins Dorf zurück.“

„Bildest du dir etwa ein, sie würden dich nicht mehr aufnehmen, nur, weil du einmal das Blut eines Daiyōkai getrunken hast?“

Rede, beschwor ich mich Er musste doch einfach jemanden wissen, einen anderen Magier als seinen Herrn? „Erstens finde ich gar nicht zurück und zweitens ist es bei uns Flohgeistern so, wenn man energiereiches Blut getrunken hat, kann man nichts mehr trinken, oder das ist nutzlos, wenn es weniger Energie hat. Ich bin jetzt an das Blut eines Daiyōkai gebunden. Und ich brauche dir kaum erzählen, dass es lebensgefährlich ist einen solchen zu überfallen. Freiwillig wird mir keiner mehr seines geben.“

„Das könnte wirklich ein Problem sein,“ sagte der Kater und stützte sich wieder auf den goldenen Stab, schien nachzudenken. „Bist du sicher?“

„Ja, das lehrt jeder, also, Meister Mikoto auch, aber jeder fängt mit Säugetieren an, dann Oni, dann Yōkai. Aber man soll nie schwerttragende Yōkai oder gar Daiyōkai angreifen, das wäre tödlich. Ist es bei mir ja auch, aber ich denke, davon hat er nichts gewusst, und ich war zu schwach um daran zu denken. Verstehst du mich jetzt? Ich muss lernen, alles, so viel es geht. Ich bin doch sonst schon so gut wie tot.“

„Es gibt vielleicht eine Möglichkeit. Wie ist dein Name?“

„Myōga.“ Ich hörte selbst, dass ich piepste, aber mein Herz raste bei der Vorstellung, dass es irgendeine Lösung gab, irgendein Wesen, dass mir helfen würde. „Wo soll ich hingehen?“

„Komm mit, Myōga.“ Er berührte mit dem Stab den Bannkreis und schritt hindurch. Ich folgte eilig. Und, oh, ich begriff endlich. Das war nicht der Wächter, das war der Meister höchstselbst! „Meister Nekohiko,“ keuchte ich, als ich hinter dem Zauber eine völlig andere Welt entdeckte.

Es war ein heller Wald mit Bäumen, wie ich sie noch nie gesehen hatte, silberne Stämme, hellgrünes Laub, dazwischen Wiesen auf denen Blumen wuchsen. Ein Bach schlängelte sich vorbei an einer kleinen Hütte, im Hintergrund erkannte ich einen Teich oder kleinen See, in den ein Wasserfall eine Felswand hinabstürzte. Das Plätschern klang seltsam laut. Alles war ruhig, friedlich. Und still. Zu still, eigentlich. Es gab keine Tiere.

Der Kater wandte sich zu mir und sah auf mich hinunter, die Augen nun geöffnet und ohne Grinsen. „Ja. Nekohiko bin ich. Dies ist der Hekashin. Meine Welt.“

„Es ist sehr still hier,“ flüsterte ich förmlich.

„Wenn Tiere hier wären, würden sie meine Pflanzen fressen und ich müsste laufend reparieren. Zur Meditation ist die Stille übrigens besser. - Du bist ein kluger Junge, Myōga, und in einer wirklich schwierigen Lage. Ich lasse dich eine Weile hier und du kannst von mir lernen. Aber eines Tages musst du wieder gehen, wie jeder Schüler. Komm.“

Er warf den goldenen Stab in die Luft und der verschwand. Ich starrte hin. „Das ist ja wie Zauberei.“

Der Meister kicherte etwas. „Myōga, das IST Zauberei. Nein, Flöhe haben es wirklich nicht mit Magie. Da spare ich mir jede Mühe. Lernen sollte du, über die Wesen in Japan, auch und gerade Daiyōkai, aber nicht Zauber.“

„Und… und das Blut?“

„Wenn ich mich recht entsinne, müsste das Blut dieses Daiyōkai noch etwas vorhalten. Bis dahin kann ich hier im Hekashin für Ersatz sorgen. Aber, wenn du ihn verlässt, musst du dich um dich selbst kümmern. Und du wirst ihn eines Tages verlassen müssen. Also lerne.“

„Sicher, Meister Nekohiko.“ Ich hätte ihn in diesem Moment freudig alles versprochen, ließe er mich nur hier, lernen und erst einmal einen Ersatz für das Blut trinken. Blut ist Leben, nicht nur aber vor allem für Flohgeister. „Ich lerne gern.“

„Dann setze dich hierher.“ Er deutete vor sich auf den Boden und ließ sich selbst nieder. „Und berichte mir von deinem Dorf, Mikoto, und wieso du allein hier her gekommen bist.“

Ja, das war klar, er wollte sicher genau wissen mit wem er es zu tun hatte und warum. So gab ich einen möglichst genauen Bericht, auch über die ganzen Zwischenfälle, die mir widerfahren waren, das Blut des Gebirgsgeistes und das seltsame Treffen in letzter Minute mit dem Daiyōkai.

 

„Er wollte zum Fürsten? Natürlich, um selbst Fürst zu werden.“ Der Meister hatte bei meiner Erzählung die Augen geschlossen.

„Nein, er sagte, er wolle lernen wie man ein Heer führe und das könne man nur als Taishō von einem Fürsten.“

„Dann wäre er ein sehr ungewöhnlicher Daiyōkai, alle schwertragenden Yōkai streben immer nach mehr Macht. Das liegt ihnen im Blut.“

„Um ehrlich zu sein, Meister, ich vermutete da auch, dass er lernen wolle, besser mit der höllischen Klinge umzugehen, er schien an sie gebunden.“ Warum nur wollte ich ihn verteidigen? Aber es stimmte ja auch.

„Wenn er derjenige ist, von dem ich hörte … Nun, sein Vater beschloss vor vielen Jahren So´unga an sich zu nehmen. Nur sein Sohn kann es nun tragen, ohne dass der Höllendrache darin ihn übernimmt. Es wäre arg für alles Leben, wäre dieses Schwert frei. Gebunden, nun ja. Hunde. Sie beschützen gern und ihnen war klar, dass sie nur mit dem Tragen dieses Schwertes alles Leben beschützen können.“

„Ja, er sagte etwas, nur jemand seiner Blutlinie könne es tragen.“

„Dann weiß er wohl, was Macht bedeutet. Und, dass es keine Macht ohne Leiden gibt. Darum will er nicht Fürst werden. Aber, Myōga, ist dir klar, was das bedeutet?“

Ich sollte wohl etwas lernen. „Äh, wenn Ihr so fragt…? Dass ich an das Blut eines Daiyōkai gebunden bin?“

„Das mag so sein. Aber diese eine, besondere, Blutlinie – wenn deine Aussagen stimmen bist du an sie gebunden. Sein Blut oder das seiner Kinder. Nichts anderes mehr.“

Ich bekam das Gefühl mein Herz höre auf zu schlagen, der Magen befand sich irgendwo in den Zehen. Ich hatte mich schon ein paar Mal gefragt, wie viel Pech ein einzelner Flohgeist haben könnte, aber das war vermutlich wirklich der Gipfel! „Das….das wäre sehr schlecht, verehrter Meister, oder?“

Der Katzenmagier dachte noch einmal nach. „Nun, wie gesagt. Ich nehme dich als meinen Schüler auf. Doch, wenn du mich verlässt, solltest du, musst du, den Taishō, denn ich vermute doch, dass er es wird, aufsuchen und ihm von deinem Problem erzählen. Dann musst du abwarten, wie er entscheidet. Immerhin, falls er je Kinder bekommt, kannst du das Blut von denen nehmen. Und seinen Enkeln und so… Aber Daiyōkai leben, wenn sie nicht im Kampf sterben, länger als Flohgeister. Wobei auch das bei dir nicht sicher ist. Ich muss in meiner Bücherei nachsehen. Das Problem ist nur, es gibt sehr wenig Nachrichten über euch Flohgeister. Niemand schreibt Bücher über sie und bis ich Mikoto kennen lernte, wusste ich auch nicht gerade viel über euch.“

„Wir sind Ungeziefer, ja.“ Das hatte schließlich auch der … der Daiyōkai gesagt. Und gemeint, er würde auch uns künftig mehr beachten. Aber, warum sollte er mir noch einmal helfen? Mein Leben lang helfen?

„Lobenswerte Selbsterkenntnis. - Du willst lernen und denkst nach. Gut. Wir versuchen es. Morgen werde ich dir die Quelle zeigen, aus der du dann trinken sollst. Die Einzige, wohlgemerkt, aus der du das hier im Hekashin kannst. Ich hoffe für dich, du besitzt die notwendige Disziplin und kannst deine Neugier im Zaum halten.“

„Ich denke schon,“ beteuerte ich. Was sollte ich mit anderen Quellen, wenn diese eine mir helfen würde? Während meiner Erzählung war mir wieder bewusst geworden, wie viel Glück ich t gehabt hatte überhaupt hier zu sitzen. Das würde ich unter keinen Umständen aufs Spiel setzen! Da der Meister sich erhob sah ich zu ihm, ohne jedoch aufzustehen. So hatte ich das auch von Meister Mikoto gelernt.

Er nickte. „So ist es gut, kleiner Floh. Aber, komm mit. Ich zeige dir deinen Platz in meiner Hütte.“

So folgte ich ihm in die von außen so winzig scheinende Hütte. Auch hier war Magie am Werk, denn von innen wirkte sie deutlich größer. Fast die Hälfte wurde von eng gestapelten Schriftrollen in Bambusregalen eingenommen, auf der anderen Seite lag eine Tatamimatte. Die einzige Einrichtung. Aber auf einen Wink des Meisters erschien eine zweite, direkt neben mir, neben der Tür. „Dein Platz,“ verkündete er. „Ich gebe dir nun etwas zu lesen. Du kannst lesen und schreiben?“

„Ja, soweit ich es bei Meister Mikoto lernen konnte. Ich kann noch nicht alle Zeichen.“

„Wir werden sehen.“

 

Am folgenden Morgen, wir hatten beide nicht schlafen müssen, aber ich hatte es wirklich genossen, einfach in Sicherheit zu sein und mich auszustrecken, die Augen zu schließen, sprang ich hinter dem großen, weißen Kater her.

Meister Nekohiko führte mich zu dem Wasserfall, den ich gestern bereits gesehen hatte, dann allerdings daran vorbei, ein Stück empor in die Felsen. Dort befand sich eine Quelle, nun, groß für mich, für einen Menschen vielleicht vier Hände groß, die aus einem natürlichen Becken drang. Soweit hier im Zauberwald überhaupt etwas natürlich war. Das Wasser war klar und rann über die vordere Kante auf den Boden, suchte sich dann den Weg hinab zu dem Teich.

Meister Nekohiko wandte sich zu mir um. „Hier. Du hast dir den Weg gemerkt? Dann gehen wir zurück. Wann immer du Durst verspürst, komm hierher und trinke. Aber hüte dich aus dem Wasserfall oder dem Teich dort zu trinken. Nur diese Quelle.“

„Ich habe verstanden.“ Erst nach einigen Malen Weg zu der Quelle verstand ich die Warnung. Man war versucht das Wasser, das ebenso klar aussah, aus dem Teich zu trinken, sich den letzten Weg steil hinauf zu sparen. Aber ich hielt mich an die Regel, durchaus nicht sicher, was die anderen Gewässer des Hekashin für Magie beinhalten würden. Diese Quelle jedenfalls schmeckte für meine Sinne nach Blut. Das war sicher ein Irrtum, aber es imitierte das Blut eines Daiyōkai recht gut.

 

Ich lernte viel in diesen scheinbar ewig gleichen Tagen. Wir standen bei Sonnenaufgang auf, machten einige Übungen, ehe ich zu lernen begann, bei Sonnenuntergang zog sich jeder auf seine Matte in der Hütte zurück und ich sah oft genug, wie der Meister noch meditierte. Manchmal gingen wir auch an andere Orte des Waldes, wo wir uns nur schweigend gegenübersaßen. Man könnte es Magie nennen, ich weiß es nicht, aber wenn wir nach Stunden aufstanden, war irgendetwas an mich weitergegeben worden, das ich nicht einmal benennen konnte.

Ich hatte nicht die mindeste Ahnung, wie lange ich schon hier war. Es wurde Nacht, es wurde Tag, der immer gleichförmige Rhythmus, ohne jede Jahreszeit, ließ die Zeit einfach dahin gehen. Und ich hatte wirklich viel gelernt, meine Schreibkünste vollendet, Tiere, Pflanzen, Yōkai, auch wie man Landkarten lesen konnte oder sie zeichnete, wie Japan insgesamt aussah, wer wo herrschte und wem man besser aus dem Weg ging, wie den Drachen unter ihrem König Ryuichi.

 

Dennoch war ich entsetzt, als Meister Nekohiko eines Tages meinte: „Es wird langsam Zeit für dich zu gehen, Myōga.“

Ich war entsetzt, hatte ich doch das friedliche Leben hier, ganz dem Studium und der Meditation, genossen. „Was? Ich weiß doch noch längst nicht alles.“

„Wer glaubt alles zu wissen, irrt. Und nur, wer auf der Suche ist, ist weise, Myōga. Noch nicht morgen, aber bald.“ Er nickte etwas. „Und du solltest dann wirklich den Taishō aufsuchen, so er noch am Leben ist, und ihn um Blut bitten. Vielleicht kannst du ihm mit deinem neuen Wissen nützlich sein.“

„So er noch am Leben ist?“ wiederholte ich verwirrt. Wie lange war ich schon hier?

„Schwerttragende Yōkai sterben oft genug durch eben die Klinge. Auch einem Heerführer kann das passieren. Und ehe du fragst, nein, ich weiß nicht, welche Zeit in der Welt vergangen ist. Ich war, seit ich dich einließ, nicht mehr draußen. Aber etwas sagt mir, dass es für dich an der Zeit ist zu gehen. So, wie es auch Mikoto tat und alle meine Schüler.“ Er hob eine Pfote. „Aber jetzt werden wir noch ein wenig meditieren.“

 

Wie recht der verehrte Meister mit seinem Gefühl hatte, zeigte sich schon am folgenden Tag, denn er erhob sich. „Jemand ist am Bannkreis.“

„Ein neuer Schüler?“ erkundigte ich mich seufzend, denn dann wäre meine Frist hier wirklich abgelaufen.

„Eher ein alter, wenn ich das richtig deute. Warte hier.“ Er hob die Hand und der goldene Stab mit dem Kreis befand sich darin, eigentlich ein Mönchsstab der Menschen, wie er mir erklärt hatte. Er benötigte ihn um durch den Bannkreis zu gelangen, den er selbst gelegt hatte, eine kleine Sicherheitsmaßnahme, wie er es genannt hatte, denn er konnte ihn buchstäblich im Nichts verschwinden lassen. Unmöglich für andere Personen ihn zu stehlen und diesen Bann aufzuheben.

 

Kurz darauf kehrte er mit einem Katzenyōkai zurück, eindeutig an Rüstung und Schwert als Krieger zu erkennen. „Das ist Myōga, mein derzeitiger Schüler. Hikari, ein ehemaliger Schüler. Er dient dem Fürsten des Westens.“

Ich neigte höflich den Kopf. Der Kater schien etwas erstaunt mich zu sehen. Aber nun ja, ich bin eben ein Floh.

„Setz dich Hikari, was führt dich her?“

Der Kater nahm das Schwert samt der Scheide ab, ehe er sich setzte und legte es neben sich. „Tatsächlich der Wunsch Euch wiederzusehen, sensei. Mein Auftrag führte mich hier vorbei. Der gesamte Westen wird alarmiert, die Krieger zum Schwebenden Schloss zusammengezogen.“

Nekohiko seufzte fast resignierend. „Ach, gibt es wieder Krieg unter den Yōkai. Man sollte annehmen, dass der Fürst genug Schlachten geschlagen und gewonnen hat. Und ich hörte, dass er einen Taishō hat.“

„Oh, ich bitte um Vergebung, Meister,“ sagte Hikari hastig. „Ich vergaß, dass viele Neuigkeiten Euch hier nicht erreichen. Der alte Fürst verstarb vor Jahren. Allerdings hatte er vor seinem Tod noch die Freude seinen Enkel sehen und anerkennen zu können.“

„Der Sohn der Tochter, also,“ murmelte ich, denn das war die einzige zulässige Schlussfolgerung. „Aber, wer ist dann ihr Ehemann und Fürst?“ Und, was war mit dem Daiyōkai mit dem Höllenschwert? Hatte ihn der Fürst doch umgebracht? Und der war schon Jahre tot? Wie lange war ich schon hier gewesen? Mein Haar war freilich noch immer schwarz und lang, es war nicht gewachsen, zugegeben. Aber ich wollte auch einen Fremden nicht nach dem Taishō fragen. Das ging niemand etwas an und ich vermutete doch, dass es dem Hund absolut nicht recht wäre, würde ich seine freundliche Geste in ganz Japan herumerzählen.

„Niemand.“ Hikari zuckte die Schultern. „Der aktuelle Fürst ist der Welpe. Vater ist allerdings der Taishō. Und genau das ist das Problem.“

Ich sah mehr als nur geringfügig verwirrt zu meinem Lehrer, der die Augen zusammengezogen hatte.

„Das bedeutet, Hikari, der Taishō und die Prinzessin sind keine offiziellen Gefährten?“

„In der Tat. Der Taishō wollte dem Fürsten, dem er Treue geschworen hatte, diese auch halten, keinen Kampf gegen ihn. Dieser konnte seinen Enkel anerkennen und damit ist der Kleine jetzt der Herr des Westens, seine Mutter die Regentin. Das Militär führt der Taishō an, oder besser, er tat es. Darum wird der Westen alarmiert. Er kehrte von einem Ausflug nicht in das Schwebende Schloss zurück. Die fähigsten Hundekrieger folgten seiner Fährte, die abrupt endete. Von ihm fehlt jede Spur, allerdings fanden sich noch sehr verschwommene Gerüche von Drachen.“

„Drachen.“ Meister Nekohiko warf mir einen mahnenden Blick zu. Ich hatte wohl zu tief Atem geholt. So fuhr er fort: „Irre ich mich, oder besitzt der Taishō nicht das Höllenschwert? Damit sollte er doch auch gegen Drachen ankommen.“

„Das ist wahr. Aber das ist eben auch weg. Und es steht zu befürchten, dass der Drachenkönig Ryuichi es nun entweder bereits besitzt oder bald besitzen wird. Die Regentin sprach es klar gegenüber den Unterführern aus – wenn die Drachen das Höllenschwert bereits in den Klauen hätten, hätten sie den Taishō umgebracht und liegen lassen. So ist davon auszugehen, dass er eine Falle bemerkte und es ihm noch gelang So´unga zu verbergen und zu versiegeln. Das allerdings bedeutet, dass es nur noch eine kurze Frist ist, bis sie wissen, wo es verborgen liegt. Aber, das ist der einzige sinnvolle Grund, warum sie den Taishō entführt haben.“

„Niemand kann solche Auskunft im Kerker der Drachen lange verschweigen.“ Meister Nekohiko sah auf seine Knie. „Wie alt ist der jetzige Fürst?“

„Ein Welpe, stark und viel versprechend, aber nicht kampffähig. Die Regentin hat die Bannkreise um das Schwebende Schloss verstärkt. An dem Ort, wo der Taishō verschwunden ist, werden Krieger stationiert und Späher ausgeschickt, falls Drachen dorthin zurückkehren. Das Höllenschwert muss dort in der Gegend sein, aber es ist selbst für Magiekundige nicht zu finden.“

Der Katzenmagier lehnte den Kopf beiseite. „Du hast doch nicht etwa angenommen ich würde dorthin gehen und es suchen?“

„Nun, eine vage Hoffnung,“ gab Hikari zu. „Ihr wisst, was es bedeutet, wenn So´unga in der Hand eines Unfähigen ist. Und den übernimmt.“

„Das sollte dem Drachenkönig auch bewusst sein. Nun, ich habe Ryuichi nur einmal getroffen,“ meinte Meister Nekohiko. „Er machte auf mich den Eindruck grausam, stark und selbstbewusst zu sein, aber das dürfte ihm gegen den Geist des Höllendrachen nichts helfen. Im Gegenteil. Seine Grausamkeit wird die Hölle befreien.“

„Könnte man nicht den Taishō befreien?“ erkundigte ich mich aufgeregt. Meine Blutquelle! Nun ja, da gab es wohl einen Welpen, meine allerletzte Hoffnung, aber wie einer besorgten Mutter mit einem Land im Kriegszustand und unter der Bedrohung buchstäblich durch die Hölle, erklären, dass man mal eben das Blut ihres Babys trinken will? Mein Lehrer und der Katzenkrieger wandten sich mir gleichermaßen ungläubig zu. Es war wohl eine dumme Frage gewesen. „Äh, ich meinte, mit dem Heer des Westens?“

„Myōga war noch nie außerhalb,“ erklärte Nekohiko ein wenig nachsichtig. „Das Schloss der Drachen ist aus Fels, umgeben von überaus starken Bannkreisen, besetzt mit den besten Kriegern dieses Volkes.“

„Überdies bringen sie den Taishō eher um, wenn sie merken, dass wir uns nähern,“ ergänzte Hikari. „Du kannst nicht kämpfen, Floh.“ Das war eine reine Feststellung.

Schön, die Frage war wohl dämlich gewesen, beschloss ich. Aber die Vorstellung, dass der Mann, der Daiyōkai, der mir das Leben gerettet hatte, ohne Hilfe da in einem Kerker saß, oder eher wohl lag, wenn sie Auskunft von ihm wollten, wo er das Höllenschwert verborgen hatte. Das war sicher nicht … schmerzfrei.

Der Meister nickte. „Danke für die Informationen, Hikari. Aber das Höllenschwert wage ich nicht einmal zu suchen. Es gibt und gab überaus wenige Personen, die sich in seiner Nähe aufhalten können, ohne übernommen zu werden. Ich halte mich nicht dafür. Und auf dich zählt die Regentin und der junge Fürst. Du hast einen Auftrag.“

Hikari verneigte sich. „In der Tat. Aber in Anbetracht der Lage erschien mir dieser Besuch einen Versuch wert.“

„Er war es wert. Ich begleite dich hinaus.“

 
 

Es gehört Mut dazu sich einer Angst zu stellen und sie auszuhalten

Hoimar von Ditfurth

 
 

Ich starrte Meister Nekohiko und Hikari nach, als sie in Richtung des Bannkreises verschwanden. Wann genau hatte sich mein Schicksal derart gegen mich gekehrt? Als ich beschloss nie zu heiraten, nie das Dorf zu verlassen? Nicht nur, dass ich jetzt an einen Daiyōkai gebunden war, um noch satt zu werden, ja, werden zu können, nein, ich war anscheinend auch an diese eine bestimmte Blutlinie gebunden, die augenblicklich nur noch aus zwei Personen bestand. Ein Kind, zwar beschützt von der Mutter und einem Heer Krieger, aber für mich gerade deswegen unerreichbar, zusätzlich vermutlich Ziel einer Drachenarmee – und dessen Vater, ein Mann, der mir das Leben gerettet hatte, und vermutlich gerade jämmerlich im Kerker der Drachen starb.

Gut, danke. Irgendwo musste mindestens eine Gottheit sitzen, die mich hasste.

Wie hatte Meister Mikoto vor scheinbar ewiger Zeit gesagt – das Leben endet immer tödlich? Ja. Aber musste es denn so ….so ohne jede Hoffnung sein?

Drachen galten als blutdürstig, natürlich nicht mit einem Floh zu vergleichen. Und ich musste daran denken, dass dieser Daiyōkai mir schwachem Geschöpf nicht nur erlaubt hatte sein Blut zu trinken, mich so gerettet hatte, sondern eigenhändig mich in in seinen Hals gestoßen hatte. Da war die Erinnerung an warmes Gold in den Augen, das edle, süße Blut, und dann dieses Lächeln. Oh nein, nicht dasjenige, das wie die Vorankündigung des Todes war, sondern das andere, das wirklich Erheiterung zeigte. So ein warmes Lächeln, und er hatte erfolgreich so getan, als wären wir in irgendeiner Weise ebenbürtig, ja, Freunde. Eine Illusion, wie ich nur zu gut wusste, aber, das hätte er nicht tun müssen.

Vielleicht nicht einmal tun sollen, denn weder das Lächeln noch der Blick gingen mir mehr aus dem Kopf.

 

Ich sah erst auf, als ich hörte, dass der Meister zurückkehrte, sehr nachdenklich. So blickte ich zu ihm. „Ihr macht Euch Sorgen?“

„Das wäre untertrieben.“ Er ließ sich nieder. „Das Höllenschwert verschwunden und bald in der Klaue Ryuichis. Das wäre das Ende der Welt wie wir sie kennen.“

Ein Reflex trieb mich dazu mehr erfahren zu wollen. „Es tötet alles Leben?“

„Der Tod wäre gnädig. Es tötet, ja, aber es raubt auch die Seelen, schluckt sie förmlich. Der Träger wäre in der Lage aus dem Schwert eine Armee Untoter zur rufen. Und wenn dieser Träger dann unter der Kontrolle des höllischen Geistes dieser Klinge steht…“

„Warum kam es überhaupt hierher? Ich meine, es scheint ja wirklich in die Unterwelt zu gehören.“

„Ja, aber ein Drache, Vater oder Großvater von Ryuichi, stahl es.“

„Aus der Hölle?“ vergewisserte ich mich. „Das stelle ich mir nicht gerade einfach vor.“

„War es wohl auch nicht, aber sobald das Schwert hier war, übernahm es den damaligen Drachenkönig und das Grauen begann. Erst als der Vater des jetzigen Taishō es an sich nahm, um genau zu sein, er forderte den Drachenkönig zu einem Duell in der wahren Form, wo dieser So´unga nicht einsetzen konnte, und dem die rechte Vorderpfote abbiss, gehörte ihm auch diese Klinge. Und nur Hundeblut, dieses eine, kann sie zähmen.“ Er musterte mich nachdenklich. „Wenn du ihn getroffen hast und er das Schwert trug – hast du nicht die Macht dieser Klinge gespürt? Wollte dich der Höllendrache nicht rufen?“

„Äh, nein, seinsei. Ich spürte wohl eine dunkle Aura, aber, ich meine, ich bin ein Floh und erschien ihm wohl nicht der Mühe wert.“

„Möglich. Oder du konntest widerstehen, weil du eben dieses Blut getrunken hattest. Wie schon einmal erwähnt, über Flohgeister ist wenig bekannt. - Immerhin scheint der Taishō das Schwert so gut verborgen zu haben, dass es möglichst niemand finden kann. Was leider nur bedeutet, dass er früher oder später Ryuichi erzählen wird, wie der dran kommt. Niemand kann das verschweigen. Es gibt da probate Mittel. Leider.“

Ja, das war mir klar. „Und es ist unmöglich ihn da rauszuholen.“

Der Katzenmagier schien die nicht vorhandenen Augenbrauen zu heben. „Myōga, du kleiner Dummkopf. Aus der Drachenburg? Das gesamte Heer des Westens stünde vor dem Bannkreis wie die Narren. Kein Daiyōkai kommt da durch, ebenso kein feindlicher Drache, übrigens, wie einst bei einem Drachenkrieg bewiesen wurde. Schlicht niemand.“ Er betrachtete mich. „Du möchtest ihm helfen, weil er dir das Leben gerettet hat? Und du ohne ihn keine Chance auf weiterleben hast? Verständlich, aber einfach undurchführbar.“

Ich dachte wieder an das Lächeln. „Ich weiß, ich meine, ich kann es mir vorstellen. Aber, Meister, wenn Ihr dort im Kerker wärt, würdet Ihr nicht auch hoffen, dass es irgendjemand wenigstens versucht?“

„Myōga.“ Er klang plötzlich sehr ernst. „Sieh mich an. Nein, sieh mir in die Augen. Hörst du doch das Rufen des Höllenschwertes und bist dir dessen nur nicht bewusst?“

„Nein, gewiss nicht, sensei.“ Da war ich mir sicher. „Ich habe sogar ziemlich Angst, aber, so wie es aussieht muss ich so oder so bald sterben, denn Ihr lasst mich ja nicht hier um aus der Quelle weiter zu trinken.“

„Das geht nicht, mein Schüler. Und das liegt nicht an mir. Die Zeit im Hekashin endet für alle einmal, so habe ich ihn einst geschaffen. Und, du weißt wenig von Magie, aber das sollte dir bewusst sein – Bedingungen kann man nicht einfach ändern.“ Er musterte mich nochmal.

Es war mir direkt unangenehm, aber ich hielt dem Blick stand, ehe ich doch zugab: „Es ist wegen diesem Daiyōkai selbst. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll… Er hat mich gerettet, ja, in dem er mir sein Blut gab. Aber danach haben wir uns einfach unterhalten, als ob wir gleichrangig wären, einfach ein Gespräch unter Freunden. Natürlich eine Illusion, dessen bin ich mir bewusst, aber er hätte sie nicht für mich erschaffen müssen. Oder mich, bevor wir uns trennten, noch eine Stunde auf seiner Schulter sitzen lassen, nur, damit ich wenigstens diese eine Stunde noch in Sicherheit wäre.“

„Du weißt, dass es eine Illusion war.“

„Ja, natürlich.“ Nein, das mit dem Lächeln würde ich auch dem Meister nicht erzählen. „Vielleicht ist er kein gewöhnlicher Daiyōkai. Aber, wenn ich schon so oder so sterben muss, dann will ich es wenigstens bei dem Versuch tun ihn zu retten.“ Meinen einzigen Freund, ja. Aber das würde ich auch nie zugeben.

„Ich kann dich nicht davon abhalten.“ Meister Nekohiko musterte mich noch einmal, plötzlich nicht mehr abschätzend, eher aufmerksam neugierig. „Es gibt ein Sprichwort unter Menschen: ein Floh kann einen Löwen in den Wahnsinn treiben, aber nie ein Löwe einen Floh. Nun, womöglich gilt das auch für Drachen und so hast du wirklich als einziger eine Chance. Komm mit in die Hütte.“

 

Da der Katzenmagier offensichtlich in einem Regal zu suchen begann, ließ ich mich auf meine Matte nieder, bis er sich umdrehte.

„So,“ meinte er. „Du bist wild entschlossen?“

„Ich habe keine Wahl,“ flüsterte ich. Zugegeben, es war Angst, die mir die Kehle zuschnürte, aber – was hatte ich denn für eine Wahl? Wenn ich mit dem bisschen Leben, das mir verblieb, noch etwas Sinnvolles anfangen wollte, mein ganzes erlerntes Wissen einsetzen wollte, war das der einzige Weg, der mir offen stand. Der Weg direkt in die Burg der Drachen. In den sicheren Tod.

„Gut. Dann gehen wir zu der Quelle, damit du dich noch einmal stärken kannst. Und dann wandern wir in den Osten des Hekashin, soweit er reicht. Ich werde dir auf diesem Weg noch etwas über Bannkreise beibringen.“

„Ihr meint, ich käme durch?“

„Möglich. Jeder Bannkreis schützt nur vor dem, an das sein Erschaffer dachte. Ich weiß nicht, ob Drachen überhaupt wissen, dass es Flohgeister gibt, sie sind nicht eure Beute, gewöhnlich, oder?“

„Nein,“ musste ich zugeben. Also, davon hatte Meister Mikoto nie erzählt.

 

Der Katzenmagier ging schweigend weiter und ich folgte ihm. Ich kannte ihn doch inzwischen gut genug um zu wissen, dass er mir alles, was er für wichtig hielt, nach der Quelle auf dem Weg in den Osten mitteilen würde. Zunächst war jedenfalls erst einmal wichtig, dass ich ein letztes Mal aus der geheimnisvollen Quelle trank, so viel, wie nur in mich hineinging ohne unbeweglich zu werden. Es war absehbar, dass dies meine letzte Mahlzeit sein würde, die ich zu mir nahm. Es sei denn, mir gelang es tatsächlich den Taishō zu retten. Einem Floh gegen Drachen. Es war nachgerade lächerlich.

 

Meister Nekohiko schwieg noch immer, als ich fertig getrunken hatte, aber er führte mich an den Rand des Hekashin, wanderte dann langsam nach Osten. Erst da fiel das nächste Wort.

„Vermutlich haben die Drachen und ihre Schamanen dein Volk und andere Kleine übersehen. Dann kommst du durch den Bannkreis um die Drachenburg. Wenn nicht – war es das. Aber natürlich gibt es noch ein Problem mit der Magie. Wenn du zurück willst, möglichst ja wohl mit dem Daiyōkai – diesen wird der Zauber abweisen.“

Zugegeben, an den Rückweg hatte ich bislang nicht gedacht, eigentlich zu sicher, dass es keinen mehr geben würde für mich. Erst im nächsten Moment erkannte ich, dass er die Pfote nach hinten ausstreckte. Etwas Goldenes lag darin, das ich eilig nahm. Eine Münze. „Sensei?“ Ich begriff gerade nichts.

„Eine sehr wertvolle Kleinigkeit,“ sagte der Katzenmagier. „Sie öffnet jeden Bannkreis. Ein einziges Mal. Falls du auf dem Hinweg bereits am Bannkreis scheiterst, sollte dir klar sein, dass du sie für den Rückweg dann nicht mehr benutzen kannst. Gelangst du als Floh jedoch hindurch, wirf sie auf dem Rückweg in den Zauber. Sie wird sich auflösen und der Taishō kann hindurch. Falls er schnell genug ist. Nach Tagen im Kerker wage ich zu bezweifeln, dass sein Yōki noch sonderlich hoch ist, geschweige denn von seinem psychischen Zustand zu reden. Es mag sein, dass er dich gar nicht mehr wahrnimmt oder zumindest nicht erkennt. Ryuichi und seine Söhne interessiert ihr Ziel, nicht, wie viel Schmerz jemand ertragen kann.“

„Danke,“ war sicher die richtige Antwort für die Münze, auch wenn die weiteren Informationen dazu führten, dass ich Schweißperlen am Rücken und auf der Stirn verspürte. Es wurde nicht besser oder aussichtsreicher, je mehr ich hörte. War das wirklich der einzig richtige Weg? Ich konnte doch unmöglich einen Daiyōkai tragen?!

 

Fast zwei Stunden später blieb Meister Nekohiko erneut stehen. Ich konnte mir den Grund denken, wieder spürte ich die Barriere, wenngleich nun seltsam vertraut. Er sah zu mir. „Wir gehen jetzt durch und ich werde dir den restlichen Weg beschreiben, so gut ich es vermag. Fragen, die du noch hast, solltest du daher bald stellen, denn dann werden wir uns trennen.“

Ich schluckte und nickte. Oh ja, ich hatte Angst, vor der Welt da draußen, die sich als so feindselig gegenüber Flohgeistern gezeigt hatte, vor den Drachen, geschweige denn davor in deren bewachte Festung gehen zu sollen, zu wollen. Ich musste irgendwie komplett übergeschnappt sein. Aber ich sah damals keinen anderen Weg, nun, um ehrlich zu sein, würde ich auch heute keinen anderen sehen. „Woran merke ich, dass ich an dem Bannkreis der Drachen bin, sensei?“

Der Katzenmagier warf mir tatsächlich eine etwas irritierten Blick zu, ehe er meinte: „Es ist sehr schwer für mich daran zu denken, dass du wirklich keine Ahnung von Magie hast, obwohl du sie ein wenig ausstrahlst. Sie ist nur geliehen, nicht die deine. Was spürst du hier?“

„Jetzt etwas wie ...Widerstand. Aber als ich von außen das erste Mal auf sie traf… ja, auch, aber anders.“

„Weil du nun von innen kommst. Gehen wir hinaus.“

Er öffnete die Barriere mit seinem Stab, den er unverzüglich auch wieder verschwinden ließ, und schritt hindurch. Ich sprang eilig hinterher. Im nächsten Moment spürte ich ein seltsames Kribbeln, vor allem am Kopf, aber auch am ganzen Körper. Und, als ich hastig zu meinen Haaren griff, sah ich nur noch, wie sie schwarz und lang an mir vorbeiglitten und zu Boden fielen. Meine tastenden zwanzig Finger trafen auf den blanken Kopf. Ich war kahl! Nun ja, wie mir hektisches Tasten bewies, ich besaß noch einen Haarkranz außen rum, aber das war es. Dafür allerdings war mein Schnurrbart deutlich länger geworden, und, soweit ich es erschielen konnte, ergraut. Um es kurz zu machen, ich sah fast aus wie jetzt. „Meister!“

„Keine Panik, Myōga. Im Hekashin vergeht keine Zeit, aber natürlich bist du älter geworden, erwachsen. Das hast du soeben nachgeholt. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich nie weiter als wenige Schritte vom Bannkreis entferne. Ich weiß nicht, wie alt ich hier draußen geworden bin, und selbst, wenn man behauptet, ein Kater hätte neun Leben… Nun, wenn du zu dem an sich undurchdringlichen Bannkreis der Drachen kommst, wirst du ihn entweder so spüren wie hier meinen. Vermutlich sogar aus größerer Entfernung, denn er ist deutlich stärker.“

„Mächtiger als Ihr?“

„Kleiner Floh, ich sagte stärker, nicht mächtiger.“

„Verzeihung,“ murmelte ich hastig.

„Wenn du ihn spürst, wird er auch dich abwehren und dann kannst du eigentlich gleich umdrehen. Wenn du ihn jedoch nichts spürst, weil er nicht auf Wesen wie dich mit ausgelegt wurde, wirst du ihn kaum oder sogar gar nicht bemerken. In diesem Fall gelangst du auch ebenso wieder hinaus. Solltest du den Taishō dabei haben, wird dir die Münze noch gute Dienste erweisen.Was willst du noch wissen?“

So viel, dachte ich in einem seltsamen Wechselbad aus Panik und Resignation. Oh, so viel. „Wie komme ich zu der Burg? Und, wie groß sind Drachen?“

„Siehst du dort hinten den Rauch? Das ist der Hoyama, den du ja schon kennst. Geh ungefähr in diese Richtung, wenngleich immer schräg weiter nach Osten. Hier, wo mein Hekashin endet, beginnt bereits das Drachengebiet. Du kannst bereits bald auf eine Patrouille treffen. Oder auch nicht. Sei behutsam. Und spare dir deine Kräfte auf. Teile das Blut in dir genau ein. - Drachen, ja. In ihrer wahren Form sind sie schlangenartig und je nach Alter wahrlich riesig. Der König besonders. Allerdings sparen sie sich oft die Unannehmlichkeiten, die diese Größe mit sich bringt, zumal die Krieger hier draußen, und sind in einer menschenähnlichen Form, ähnlich Yōkai, und auch ungefähr so groß. Sie haben ebenso spitze Ohren, lange Haare, aber ein kleines zweites Gesicht auf der Stirn, das ihnen auch in ihrer wahren Form eigen ist. Daran kannst du immer einen Drachen erkennen. Überdies sind die Krieger in Rüstung und bewaffnet, zumeist mit Schwertern. Nur die Mächtigsten haben nicht einmal das, sie töten durch ihr Yōki und Flammenbälle, die sie aus dem Mund schleudern können. Auch dies ist Yōki.“

Gefressen oder gebraten oder von einem Schwert aufgespießt, also. Was für Aussichten. Und da vorne warteten auch schon wieder die Einöden des Hoyama? Ich warf einen Blick zu dem Berg, ehe ich etwas kleinlaut fragte: „Aber ich muss nicht mehr in die Einöden?“

„Nicht in die des Hoyama. Allerdings neigen Drachen nicht dazu Menschen zu dulden. Du wirst hier keine Felder finden oder auch nur Wälder, sieh nur vor dich. Grasige Steppe, dazwischen immer wieder vulkanische Aktivität, wenn Ryuichi oder seine Söhne zur Übung oder in gewissem Zorn ihren Mächten freien Lauf gelassen haben.“

„Wie viele Söhne hat er denn?“

„Zwei. Angeblich, aber das hörte ich damals, da mag sich etwas dran geändert haben, sei es, dass er einen weiteren bekam, sei es, dass sich die Brüder gegenseitig umbrachten. Drachen, eben.“

Es wurde wirklich immer besser. „Und diese Drachenburg?“

„Sie ist aus Stein, angeblich wurde sie einst aus diesem Felsen buchstäblich herausgeschnitten. Sie ist von einer hohen Mauer umgeben. Ich hörte, aber ich fürchte, das hat noch keiner gesehen, der da lebendig herauskam, dass das Haupthaus gigantisch ist, denn in dem Thronsaal liegt Ryuichi zumeist in seiner wahren Gestalt. Und, falls du mich fragen willst, wo der Kerker ist – ich vermute im Keller, dazu Bannkreise, aber, das musst du wirklich selbst herausfinden.“

Jede Menge wertvoller Hinweise – und zugleich zum Wegwerfen, weil mehr Angst einjagend. „Sensei, eine Frage habe ich noch.“ Ich hörte selbst, wie meine Stimme zitterte und meine Kleidung am Rücken nass war. „Angenommen, es gelingt mir mit dem Taishō aus der Burg zu kommen – wohin sollte ich dann?“

„Wenn er nicht selbst laufen kann wird es schwierig, das ist dir klar. Ansonsten, so rasch es geht dorthin, wo er So´unga verborgen hat. Dort sind Krieger, hatte Hikari gesagt. Da kann er sich das Höllenschwert nehmen und Boten schicken, die das Heer rufen. Dann wäre der Westen sicher.“ Der Katzenmagier hob etwas die Pfote. „Geh nun, mein Schüler. Ich wünsche dir viel Erfolg. Du hättest es verdient, denn du bist der mutigste Mann, den ich je kennengelernt habe.“

„Aber, ich habe doch solche Angst.“

„Nur ein Narr hat keine Angst, kleiner Myōga. Und du bist keiner.“

 

Das war wohl ein ziemliches Kompliment, dachte ich und hüpfte etwas weg. Als ich mich umdrehte, hob ich zum Abschied noch einmal zwei Hände, Meister Nekohiko winkte zurück, ehe er wieder im Bannkreis verschwand und alles nur noch dichter Urwald zu sein schien. Ich war allein.

Nicht ganz, denn irgendwo vor mir befanden sich Drachenkrieger, denen ich sicherlich besser aus dem Weg gehen sollte. Ja, und irgendwo vor mir lag der Mann, dem ich mein Leben verdankte, der so nett zu mir gewesen war, vermutlich sterbend im Kerker. Ich sprang weiter, mit gleichmäßigen Sprüngen in die angewiesene Richtung Südosten.

 
 

Der Tod als Gewissheit? Geringe Chance auf Erfolg? Worauf warten wir noch?

Gimli in Herr der Ringe, Die Rückkehr des Königs

 
 

Ich hüpfte über das dürre Grasland, immer wieder an Spalten oder Teichen vorbei, in denen Lava oder kochendes Wasser nur zu sehr von der Nähe des Hoyama zeugte. Oder von den Drachen? Ich wollte es eigentlich nicht einmal wissen. Stattdessen blickte ich besorgt immer wieder nach oben, ob ein Vogel am Himmel zu sehen war. Konnten Drachen eigentlich fliegen? Das hatte ich vergessen zu fragen. Wie so vieles.

Eingedenk der Eidechse, die mich fast erwischt hätte und der Spinne, die so lautlos an mich heran geschlichen war, versuchte ich zugleich die Umgebung im Augen zu behalten, mögliche Deckungen. Das war leider leichter gedacht als getan. Zwar lagen hier immer wieder einzelne Felsbrocken herum, wuchsen Büsche, aber erstere würden mich kaum gegen jemanden aus der Luft decken, die mageren Büsche nicht gegen jemanden aus dem Erdboden. Ich musste einfach so gut es ging, voran – und gleichzeitig Energie sparen, die ich kaum mehr bekommen würde.

So versuchte ich gleichmäßige Fünf-Meter-Sprünge zu machen, die Energie der Landung in den nächsten Sprung mitzunehmen. Oh, ich hätte nie geglaubt, dass mir diese Übungen Meister Mikotos, die mir immer als so nutzlos vorgekommen waren, wirklich dermaßen nützlich werden konnten.

Ich vermag noch heute nicht zu sagen, wie lange ich so vorankam, ohne, dass ich ein Lebewesen traf. Worüber ich auch sehr froh war. Dennoch – die Sonne stand schon weniger hoch am Himmel, es musste Nachmittag geworden sein, als ich etwas spürte, das ich lieber nicht bemerkt hätte. Yōki. Lebendiges Yōki. Nach allem, was mit Meister Nekohiko gesagt hatte, konnte es sich nur um Drachenkrieger handeln. So brach ich förmlich den nächsten Sprung ab und rollte mich hinter einen Felsen, um mit klopfendem Herzen zu lauschen, versuchen nachzuspüren, wo die sich befanden.

Stimmen, offenbar beides männlich.

„Es ist vollkommen sinnlos hier langzugehen,“ beschwerte sich jemand.

„Schweig. Willst du etwa unseren König tadeln?“

„Nein, natürlich nicht.“ Das klang fast ängstlich und ich begann zu ahnen, welche Furcht selbst die eigenen Leute vor Ryuichi hatten. „Ich wäre nur lieber im Süden. Wenn das Westheer angreift, so doch von da, wo sie die Spur des sogenannten Taishō verloren haben.“

„Sei kein Narr. Natürlich ist das wahrscheinlicher, weshalb unser König in seiner Weisheit ja befahl, dass dort engere Linien stehen als hier. Aber wir sollen eben verhindern, dass irgendjemand ganz schlau sein will.“

„Überdies kommt doch sowieso seit Jahrhunderten niemand durch den Bannkreis.“

„Man sagt, diese Hündin sei eine verflixt gute Hexe. Und sie wird es nicht so gern sehen, dass ihr Bettgenosse bei uns ...hm….schläft. Du bist wirklich ein dummer Drache! Befolge deine Befehle und denk nicht zu sehr nach. Das tut bei dir nur weh.“

„He!“

Ich spürte eine rasch ansteigende Energie, dann Hitze. Etwas wie ein Feuerball flirrte förmlich an mir vorbei. DAS war dieses Drachenfeuer? Du liebe Güte! Und das Temperament der Drachen schien auch ein wenig unkontrolliert. Auf was hatte ich mich hier nur eingelassen? Aber jetzt sollte ich erst einmal liegen bleiben, am Besten gar nicht vorhanden sein

„Bist du vollkommen übergeschnappt?“ zischte vermutlich der Drache, der etwas mehr Köpfchen bewies. „Einfach so ….Wolltest du mich treffen?“

„Das hätte ich dann auch, du Blödmann. Ich dachte, da war etwas.“

Mein Herzschlag setzte fast aus. Der hatte mich bemerkt? Hektisch bemühte ich mich das Yōki in mir zu verbergen. Natürlich konnte ich das nicht so wie ein Yōkai oder gar ein Daiyōkai, aber mir war klar, dass ich einfach nicht anwesend da sein durfte. Denk an etwa anderes, Myōga, beschwor ich mich, denke an Bannkreise, an Magie, an Meditation… Ja, Meditation. Das hatte ich in der letzten Zeit mit Meister Nekohiko oft genug geübt und so ließ ich mich einfach fallen. Ich war Niemand. Ich war ein Nichts, nur der Schatten hinter einem Stein, nichts Lebendiges.

Erst nach einer Weile, wie lange, vermochte ich nicht zu sagen, fand ich mein Bewusstsein soweit wieder. Stille. Waren die Krieger weiter gegangen? Ich konnte kein Yōki spüren. Erst im zweiten Ansatz spürte ich das Blut durch Adern rauschen, den Herzschlag. Niemand außer einem Wesen, das von Blut lebte, konnte das wahrnehmen. Die Drachen waren noch da. Sie warteten wohl, ihre Energie unterdrückt. Wie lange noch? Sollte ich mich wieder vollständig verbergen?

„Da ist und war nichts,“ sagte einer der beiden. „Du hast dich geirrt. Und guck dich doch mal um, wie sollte sich hier ein Yōkai verstecken können?“

„Ich bin sicher, ich habe etwas gesehen, etwas Kleines.“

„Ja, eine Ameise, oder so. Gehen wir lieber, ehe es noch heißt, wir würden unsere Patrouille versäumen. Außerdem hast du vorher schon recht gehabt – niemand kommt durch den Bannkreis, gleich, wie stark er ist.“

Ich hörte wie die leisen Schritte schwanden, auch das Gefühl das so verlockend Blut versprach. Das konnte jetzt wirklich eine Gefahr für mich werden. Ich würde immer mehr Durst bekommen, immer verzweifelter nach Blut Ausschau halten. Und diesmal würde ich kaum in einen mehr als freundlichen Daiyōkai rennen. Bei meinem Glück eher in den Drachenkönig. Ach, du armer Floh!

Ich raffte mich vorsichtig auf, als ich mich einigermaßen sicher glaubte und hastete los. Die Sonne versank schon hinter dem Hoyama hinter mir und es würde bald die Dämmerung hereinbrechen. Ja, ich konnte auch nachts erwiesenermaßen sehen, aber den Bannkreis würde ich doch recht gern bei Tageslicht passieren. Wo auch immer der war, denn bislang spürte ich keinerlei Magie wie am Hekashin. Und so ähnlich sollte sich das doch wohl anfühlen? Aber andererseits hatte Meister Nekohiko ja gesagt, ich würde, wenn alles gut lief, gar nichts von dem Bannkreis spüren, wenn der nicht auf Flohgeister ausgelegt war. Warum sollte ich denn auch nur einmal Glück haben, mahnte mich eine Stimme im Hinterkopf.

Nicht undankbar sein. Ich hatte den Hekashin gefunden und ich hatte dort viel gelernt. Ja, und jetzt sprang ich durch das Drachenterritorium, um deren Staatsgefangenen Nummer Eins zu retten. Ich hatte einmal von Nagetieren gehört, die angeblich den Tod so liebten, dass sie ihn freiwillig suchten. Immerhin tat ich das nur gezwungen.

Weiter, beschwor ich mich, Ich musste zumindest diesen Bannkreis finden und durchqueren, dann wüsste ich doch, dass Hoffnung bestand den Taishō zumindest zu finden.

Es wurde dunkel und ich sprang immer noch durch die Ebene, so blieb ich an einer Spalte halten. Ganz offenkundig war das hier nicht natürlichen Ursprungs. Wenn ich die tiefen Kratzer in der Erde ansah, die Tatsache, dass dort unten jeweils Feuer floss, so erinnerte mich das an einen Krallenhieb. Das musste eine jeder Stellen sein, an denen Ryuichi oder seine Söhne geübt hatten. Na, toll. Ich würde diese noch umgehen und dann mir einen Platz suchen, wo ich den Rest der Nacht wenigstens einigermaßen sicher wäre. Immerhin, diese zwei Drachenkrieger hatten recht behalten: hier im Norden war die Postenlinie wohl ausgedünnt. Was natürlich leider auch bedeutete, dass ich, wenn ich den Taishō herausholen könnte und, wie Meister Nekohiko geraten hatte, in den Westen bringen sollte, auf so einige Drachen stoßen würde. Nun ja. Das Hineingehen in das Drachenreich war wohl noch das geringere Problem.

 

Was war das denn?

Ich blieb stehen und setzte mich an einen Busch, um von oben einigermaßen gedeckt zu sein, ehe ich erneut in die Nacht vor mir starrte. Schwer zu erkennen. Schwarz in der Schwärze, aber es ragte hoch und steil auf. Ein Berg, vielleicht ein erloschener Vulkan. So dachte ich eine Weile, ehe mir bewusst wurde, dass dort Yōki flimmerte. Energie, die sicher von mehreren Lebewesen stammte. Was das riesige Ding etwa die Drachenburg? Aber... ich atmete tief durch. Ich war durch den Bannkreis gelangt ohne ihn zu bemerken, das konnte das nur heißen, denn es war ja kaum davon auszugehen, dass die Drachen ihren wichtigsten Schutz dermaßen nahe an ihren Königssitz gebaut hatten.

Ich sollte mich erholen und mir das Ganze in der Morgendämmerung genauer ansehen. Jetzt …. Hm. Oder auch bei Nacht anschleichen? Brachte das etwas? Wachen würden immer am Tor stehen und wie ich da dran vorbei kommen sollte ….Ich hatte mir diese Aktion wirklich nicht überlegt.

Einen Plan, ich brauchte dringend einen Plan.

Ja, und kein Plan, ohne dass ich wenigstens wusste, wie diese Burg aufgebaut war, ob es überhaupt ein Tor gab, was für mich passierbar war oder gar, im Vertrauen auf den Bannkreis, unbewacht?

Gab es hier trotz allem Wachen? Wie viele Drachen und noch dazu Krieger gab es eigentlich?

Es half nichts, ich musste weiter. Mit war nur zu bewusst, dass mein letzter Trank, den ich da im Hekashin zu mir genommen hatte, irgendwann enden würde – und ich dann instinktiv, wahrscheinlich halb bewusstlos, das nächste Lebewesen mit Blut anfallen würde, das ich fand. Und da brauchte ich kaum raten was das hier wohl wäre. Ich blickte mich sorgfältig noch einmal um, spürte, ehe ich behutsam in Richtung der Drachenfestung sprang, wieder schön gleichmäßig, um Energie zu sparen.

 

Ich hielt an, als ich erkannte, was das da vor mir war. Ja, eine Burg. Hohe Mauern ragten aus der Ebene auf. Nur, eben nicht gemauert. Meister Nekohiko hatte recht gehabt. Diese Drachenfestung war aus Stein. Korrekter, wohl mitten in einen Felsblock hineingebohrt worden. Und, sie war riesig. Die sicher mehr als zehn Meter hohen Wände, die sich vor mir auftürmten, waren glatt und ohne Halt, offenkundig poliert worden, soweit ich das in der Dunkelheit erkennen konnte. Davor befand sich auch noch ein Graben, ein Wassergraben wohl, sicher auch drei Meter breit. Nun ja, ich könnte ihn überspringen, würde dann jedoch an der steilen Mauer aufprallen und abrutschen.

Toll.

Wo war denn nur der Eingang? Hier zumindest nicht. Aber logischerweise müsste sich doch eine Brücke über den Graben finden, ein Tor… Ich hüpfte also weiter. Wo war dieser verflixte Eingang? Alles sah gleichmäßig aus, poliert, der Graben unberührt. Das gab es doch einfach nicht. Konnten Drachen doch fliegen? Aber, irgendwie musste doch auch Versorgung in diese Feste? Zumindest Erz oder so für Schmiede? Oder wurde das auch alles getragen?

Töricht, wie ich war. Der Tor war natürlich ebenso mit einem Bannkreis versiegelt, einer optischen Täuschung, ähnlich der, die um den Hekashin vorgaukelte, dort würde nur Dschungel zu finden sein. Nur, wo war dieser Bannkreis? Würde ich ihn überhaupt sehen und finden?

Etwas deprimiert sprang ich weiter. So, direkt das Ziel vor Augen zu versagen erschien mir hart. Härter.

Was war das denn?

Ich blieb stehen, war allerdings aus doch gewisser Erfahrung vorsichtig genug mich mit dem Rücken zumindest an hohes Gras zu lehnen. Deckung, nie die Deckung vernachlässigen.

Ja, da änderte sich die Mauer. Aus dem Felsen brach, kaum drei Meter über dem Graben, etwas, was ich am ehesten als Rohr bezeichnet hätte. Das konnte doch kaum der Eingang sein? Schön, Drachen waren angeblich schlangenähnlich, aber … Nein, das war zu klein. Nicht für einen Flohgeist, klar, aber da würde ja selbst ein Mensch durchpassen. Oder ein Yōkai in Menschenform. Was war das? Ich versuchte etwas zu erkennen

Nun ja kein einfacher Eingang in die Burg, das wurde mir rasch klar. Direkt am Ausgang befand sich ein metallenes Gitter, das mit Magie gesichert war. Und das hier auch noch innerhalb des Bannkreises. Drachen mochten viel sein, jedenfalls garantiert nicht leichtsinnig. Allerdings war das ja wohl kaum der Eingang, eher eine Art … Ausfluss? Mir fiel ein, dass es ja in Burgen Badezimmer gab. Natürlich musste das gebrauchte Wasser auch entsorgt werden. Und wozu sonst war ein Wassergraben um die Burg geeignet? Wo allerdings war diese Burgtor?

Weiter, immer weiter, ehe ich erkennen musste, dass es tatsächlich keines gab. Nun ja, nichts offensichtliches. Anscheinend war es tatsächlich hinter einer Barriere versteckt. Und, wie sollte ich das jetzt finden? Und, vor allem, wie mit dem Taishō hier wieder herauskommen?

Mehr als nur ein wenig enttäuscht ließ ich mich an einem Stein nieder. Der einzige Weg in diese Festung, den ich gefunden hatte, war dieses Ausflussrohr. Das gesichert war. Und mich vermutlich direkt in ein Badezimmer führen würde. Wo auch ja ganz bestimmt keine Drachen existierten, oder anschließend in der Halle oder... Oder.

Es gab keine Wahl, ich musste da rein. Ich konnte jetzt schon spüren, dass mein Energiepegel sank und wollte gar nicht wissen, wann ich zu erschöpft wäre. Nur – das Gitter, das ich gesehen hatte wäre vermutlich nicht einmal das Hindernis. Ich war zu klein, um nicht durch die Lücken zu passen, problematischer war schon überhaupt zu dem Rohr zu gelangen. Immerhin befand es sich jenseits des Wassergrabens und da wollte ich wirklich nicht hineinstürzen. Ich konnte wie alle Flohgeister schließlich nicht schwimmen. Hinzu kam die magische Abwehr, von der ich wahrlich nichts verstand. Aber, ich hatte ja keine Wahl. So hüpfte ich erneut um die wirklich große Felsenburg herum, ehe ich den Ausfluss wieder fand. Gerade zurecht, um einen deutlichen Schwall Wasser herausfließen zu sehen. So warmes Wasser, das es selbst in dieser Umgebung noch dampfte. Puh. Das nächste Hindernis. Falls, wenn es mir gelang in das Rohr zu kriechen – wer garantierte mir, dass nicht dann auch ein Schwall kochenden Wassers, oder zumindest sehr warmen Wasser, von oben käme?

Es gab keine Garantie. Und ich hatte nur diesen Versuch um zu überleben, ja, den Taishō zu retten. Ich dachte wieder an das so warme Lächeln, ehe ich wirklich all meinen Mut zusammennahm und lossprang.

 

Es gelang mir das Gitter zu fassen, hektisch packte ich mit allen vier Händen zu. Es war mehr als schmerzhaft. Das Wasser hatte das Metall erhitzt und dazu kam diese Magie, die offenbar mit Youki reagierte. Zum Glück hatte ich nur mehr wenig davon. Sehr zum Glück, denn ansonsten konnte man hier vermutlich buchstäblich gegrillt werden, wenn man zu lange herumhing, im wahrsten Sinne des Wortes.

Hastig schwang ich mich durch das Gitter und pustete vorsichtig meine Hände an. Falls es mir gelang den Taishou zu finden und hierher zu bringen – wie sollte der, sicher geschwächt, dieses Gitter passieren? Gleich. Das war ein Problem, dem ich mich auch später widmen konnte. Jetzt war es erst einmal wichtig nachzusehen, wo ich eigentlich gelandet war – und dieses schräg aufwärts steigende Rohr möglichst rasch wieder zu verlassen, ehe der nächste Wassereimer oder was auch immer hineingekippt wurde. Ich sah mich um.

Ein Rohr, ja, eindeutig auch aus diesem Fels geschlagen, gebrannt oder was auch immer. Es führte immerhin nicht zu steil nach oben und so sprang ich weiter, machte mir allerdings so meine Gedanken. Für mich war es groß genug, ja, eigentlich fast riesig, aber wie sah das bei einem Daiyoukai in Menschenform aus? Passte der hier durch? Immerhin hatte ich absolut keinen anderen Eingang in diese Drachenfestung finden können. Und, wo würde ich landen?

 

Wenige Minuten später erfuhr ich es, als Halbdunkel vor mir, über mir, erschien. Ich musste den Sprung hinaus wagen, denn es gab nichts zum Festhalten, zumal der letzte Teil dieses Wasserkanals sehr steil aufwärts führte und ich empor musste, durch die runde Öffnung.

Ein wenig erstaunt blieb ich stehen. Das war ein Becken, geradezu riesigen Ausmaßes und der feuchte Geruch nach warmen Wasser füllte die Luft, das musste das Badehaus der Drachen sein. Und, der Größe nach, passte nicht nur ein kompletter Drache hier rein.

Altersdings stand ich hier wie auf dem Präsentierteller und es gelang mir immerhin im zweiten Versuch nach oben auf den Rand zu springen, mich umzusehen. Niemand da. Gut geraten.

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn – das lag nicht nur an der feuchtwarmen Luft. Dort drüben war eine Tür, offen, vielleicht um zu lüften, auf der anderen Seite, hinter mir, nun ja, etwas wie ein Fenster. Aber, das hatte ich von außen nicht gesehen? Lag dort auch ein Zauber? Gleich. Durch die Tür zu gehen würde mich sicher in einen Wohnbereich führen, wenn sich die Drachen auch nur einigermaßen an solche Regeln hielten, soweit hatte mir das Meister Nekohiko doch beigebracht.

Aber das Fenster? Die Mauer war von draußen nur glatt poliert gewesen, unmöglich, selbst für einen Flohgeist dort empor zuspringen. Aber, ich könnte buchstäblich einen Blick riskieren. Vielleicht musste ich mich gar nicht an den Bann wagen, um zu sehen wie weit oben ich mich schon in der Burg befand?

So machte ich den Satz und blieb auf dem schmalen, felsigen Absatz vor dem mit Holzgitter versehenen Fenster halten. Mehr als behutsam lugte ich hinaus. Es war immer noch Nacht, natürlich, aber das, was ich in dem Dunkel erkennen konnte, irritierte mich.

Vor mir lag die Außenmauer, dazwischen ein größerer Hof, in den ich nicht hinunter gucken konnte. Ich konnte jedoch Drachen spüren, dort drüben auf der Mauer, unten im Hof. Hatte mich dieser Kanal doch soweit nach oben gebracht? Moment mal. Wenn das da drüben eine Außenmauer mit Drachen war – wo befand ich mich dann? Darum war das Fenster nicht mit Magie gesichert, jedoch von außen nicht zu sehen – das hier musste das Wohnhaus sein, der Königssitz! Ich prüfte noch einmal, mit meiner doch sehr ahnungslosen Art, ob da nicht doch ein Bann lag, ehe ich es wagte, mit aller Kraft an der Kette zu ziehen und das Holzgitter einen Spalt zu öffnen.

Ja, eindeutig ein Innenhof. Und hier, als ich mich bückte, war die Mauer des Palastes, wie man ja wohl sagen konnte, auch bei weitem nicht so glatt geschliffen wie draußen. Jemand, der so klein war wie ich, konnte sich dort festhalten. Natürlich war das riskant.

Sehr riskant. Aber, meine einzige Chance etwas mehr über die Drachenburg und ihr Innenleben zu erfahren war es diesen Hof zu begutachten und ….ach du liebe Zeit.

Ein gutes Stück über mir befanden sich Energien. Das war kein Drache, nicht einmal fünf, das konnte, musste, der König sein, Ryuichi und mindestens einer seiner Söhne. Dann lag ziemlich direkt über mir der Thronsaal. Oder das Schlafzimmer? Egal. Ich musste dahin.

Wollte ich?

Nein.

Hatte ich Angst?

Fürchterliche.

Aber ich musste so oder so sterben, und ich befand ein leuchtender goldener Blick und ein Lächeln würden es mir leichter machen.

So quetschte ich mich durch das Gitter und begann, zugegeben schwitzend und mit einem eisigen Klumpen im Magen, irgendwie die Wand empor zu klettern, dorthin, wo drei offene Fenster flackerndes Licht zeigten und das Youki überaus mächtiger Drachen zu spüren war.

 
 


 

Errette die, die man töten will, und weiche nicht von denen, die man würgen will

Sprüche Salomos 24, 11

 

Irgendwie gelang es mir die Mauer emporzukriechen, zu einem der drei halbrunden Fenster, aus denen Lichtschein flackerte. Dort waren Drachen. Nur, wie viele? Wenn es sich um den König handeln sollte, allein, wäre das eine unvorstellbare Menge an Energie, aber selbst, wenn es außer ihm noch zwei oder drei andere wären ….Nun, ich sollte mich nicht erwischen lassen. Ich wagte es mich auf die steinerne Fensterbank zu knien und einen Blick um die Ecke in den Raum zu werfen. Ja, das war eine Halle, sicher der Hauptsaal der ganzen Drachenfestung. Auf einer Schmalseite, der großen Eingangstür direkt gegenüber saß ein Drachen in menschlicher Gestalt. Wie es Meister Nekohiko gesagt hatte, besaß er ein zweites Gesicht auf der Stirn. Er trug eine goldene Kette mit einem Medaillon auf der Brust. Das musste Ryuichi sein, der König. Und seine beiden Gesichter waren ziemlich zornig verzerrt, als er den Drachen ansah, der sich vor ihm auf dem Boden wand – auch in Menschengestalt. Neben ihm stand ein zweiter, ein wenig abseits, der sich sichtlich bemühte nicht anwesend zu wirken. Dessen Yōki war verborgen. Das des auf dem Boden Liegenden flimmerte, und mir wurde klar, dass er es wohl als Schutz aufgerufen hatte, jedoch am liebsten ebenso nichts zeigen wollte. Ganz offenkundig war der Drachenherr mehr als wütend.

„Ich fragte dich, Ryutsubasa, mein ältester Sohn, wieso es dir nicht gelingt diesen Hund zum Jaulen zu bringen!“

„Das tut er, mein Vater und König, oh ja.“

„Du bist nutzlos! Er soll sagen, wo das Höllenschwert ist!“

Ohne, dass ich es hätte kommen sehen können oder auch nur ahnen, machte Ryuichi eine buchstäblich wegwerfende Bewegung mit beiden Händen und ich erschrak vor der Höhe der darin gezeigten Energie. Der Königssohn wurde davon nicht nur aufgehoben, sondern förmlich aus dem Fenster weggeschleudert. Als er an mir vorbeiflog, begegneten sich unsere erschrockenen Blicke. Hoffentlich hielt er das selbst, hielten das alle, für eine reine Phantasie. Der Aufprall unten im Hof war hart und sicher schmerzvoll, selbst für ein Wesen dieser Macht. Die Erzählungen über das Temperament der Drachen schienen mir nun nicht übertrieben. Wenn mich hier einer fand... Aber, wenn ich etwas über den Taishō erfahren wollte, musste ich hier weiter zuhören. Und dann irgendwie … runter? Das hatte jedenfalls schon so geklungen, als ob sie ihn wirklich tagelang misshandelt hätten.

Ryuichi atmete ein wenig durch. „Wache!“ Da prompt ein Krieger eintrat. „Im Hof liegt ein jämmerlicher Versager. Sperrt ihn unten ein und sorgt dafür, dass er es nicht zu angenehm findet. Raus. - Nun zu dir, Ryuukossusei. Hast du etwas zu sagen?“

Das war also vermutlich der jüngere Königssohn und der sollte sich vermutlich wirklich überlegen, was er jetzt von sich gab.

Tatsächlich zögerte dieser ein wenig, ehe er meinte: „Mein Vater und König, ich kenne ebenso gut wie Ihr selbst das Talent meines älteren Bruders für derartige Verhöre. Wenn er von dem Hund noch immer nichts in Erfahrung bringen konnte, so womöglich, weil es der nicht selbst weiß.“

„Du bist noch dämlicher als dein Bruder! So´unga ist kein Schwert, das man mal eben verlegt!“

„Dessen bin ich mir natürlich bewusst. Aber falls Ihr Euch zu entsinnen beliebt … Der Taishō war allein unterwegs, als ihn unsere Krieger überfielen. Schon da war er unbewaffnet. Er ist nicht gerade töricht, sonst wäre er nie in diese Stellung gekommen. Was, wenn er die Annäherung unserer Krieger bemerkte, und das Höllenschwert zur Vorsorge durch ein Portal schickte, das er erschuf? Er ist ein Daiyōkai und hoffte wohl es wieder zu finden oder,“ ergänzte er hastig: „Er war sich bewusst, dass er rettungslos verloren ist, und schickte es irgendwo hin, nur, damit Ihr es nicht erhalten könnt. Dann wird kein Schmerz der Erde ihn zum Reden bringen, weil er es selbst nicht weiß.“

Ich vermutete, dass Ryuukossusei aufatmete, denn der Drachenherr lehnte sich etwas auf seinem, ja, Thron, zurück.

„Das traue ich dem dämlichen Hund sogar zu. Lieber niemand erhält So unga, als wir Drachen, denen es zusteht! Und natürlich bekam er Panik, als er unsere Krieger erkannte, ja. Das könnte passiert sein. Und das sagte der Kerl natürlich nicht, weil er weiß, dass ihm das keiner abnehmen wird, dass er so dämlich war. - Vorschlag?“

„Wenn mein Verdacht stimmt, könntet Ihr Eure Bemühungen ihn zum Reden zu bringen und soweit sein Leben zu verschonen doch einstellen.“

„Hinrichten? Ich hätte viele schöne Ideen, gebe ich zu, natürlich keine die ihm gefallen dürfte ...Nur, wenn ich deinen Bruder richtig einschätze, ist der Kerl schon mindestens halb tot. Es würde mich nicht freuen, wenn er gegen Mittag der Hinrichtung tatsächlich schon dran glaubt.“

„Nun, dann schickt den Schamanenheiler zu ihm. Er solle ihn soweit wiederbeleben, wie es notwendig ist.“

Eiwei, das klang gar nicht gut für den armen Taishō. Wie sollte ich ihn finden? Was sollte ich nur tun? War er wirklich schon so am Ende, wie es die Drachen glaubten? Vermutlich. Ich hatte ja keine Ahnung, was sie mit ihm angestellt hatten, aber …. Er musste hier weg, nur wie? Ich konnte ihn doch nicht tragen.

Ryuichi nickte etwas. „Du hast recht. Ein wenig Amüsement kann der Hund mir noch für meinen ganzen Ärger und den Verlust unseres herrlichen Schwertes bringen. Wache? Rufe Rurimaru.“

Ich schielte um die Fensterecke. Der Drachenprinz, oder wie immer der Titel hieß, sah zu seinem Vater und wagte wohlweislich nicht seine Aufmerksamkeit von dem abzulenken. Ryuichi dagegen entspannte sich etwas, ja, schloss die Augen beider Gesichter mit einem fast vorfreudig zu nennenden Lächeln. So wagte ich es, weiter in das Fenster zu kriechen, in den Raum zu gucken. Der war ziemlich leer, bis auf etwas wie einen Schwertständer oder so, der links nahe an der Tür stand. Die einzige Deckung, die ich in dem ganzen Saal entdecken konnte, sah man von dem Stuhl des Königs ab – und ich mochte zwar mein Leben verwirkt haben, aber lebensmüde war ich nicht. So sprang ich hinein und raste förmlich zu dem Schwertständer, blieb an einen der drei Füße gelehnt stehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich wagte nicht einmal keuchend und zitternd Luft zu holen. Dieser Rurimaru, der Schamanenheiler, der sollte zum Taishō gehen, konnte mir also den Weg zeigen. Oh, hoffentlich würden sich alle Blicke auf den richten, niemand auf den Boden, wo ich lief?

Als ich mich behutsam etwas umblickte, musste ich erkennen, dass sich meine Lage nicht gerade zum Besten geändert hatte. Wie war das doch? Erst wegspringen, dann denken und zum Schluss sich irgendwo in Gefahr begeben? Tja. So, wie ich hier stand, war ich von der sich öffnenden Tür hinter mir recht gut zu sehen, wenn der eintretende Schamane oder Krieger auch nur einen Blick auf den Boden fallen ließ, zumindest etwas nach rechts. Wich ich um diesen Schemel, Schwertständer, oder was auch immer es war, herum, kam ich ins Blickfeld des Drachenkönigs. In beiden Fällen vermutlich nur der Anfang des Endes. Ach du armer Flohgeist! Warum gleich noch mal war ich hier herein gehüpft?

Es dauerte, bis der Schamane kam und ich konnte sowohl Ryuichis ansteigende Energie als auch die ebenso kletternde Aufregung seines Sohnes bemerken. Na, immerhin war ich nicht der einzig Nervöse hier. Was leider nur dazu führte, wie riskant ein Treffen mit dem Drachenherrn selbst für seine engsten Familienangehörigen war. So viele Söhne sollte der ja wohl nicht haben und dennoch hatte der seinen Ältesten einfach aus dem Fenster geworfen.

 

Endlich öffnete sich die Tür und ein Drache, vermutete ich zumindest, trat ein, der ungewöhnlich im Verhältnis zu den Anderen gekleidet war. Statt einer Rüstung konnte ich von meinem Blickpunkt aus leinene Hosen und ein schulterfreies Hemd erkennen, darüber geworfen allerdings einen dunkelgrünen Umhang, der hinten über den Boden schleifte, an der Kehle durch etwas Goldenes Noch später fragte ich mich, was mich geritten hatte, als ich mit einem Satz in den Umhang sprang, auf die innere Seite kletterte, auf der Höhe der Knie des Schamanen mich mit allen vier Händen einklammerte. Das erschien mir zu diesem Zeitpunkt der sicherste Platz vor einer Entdeckung zu sein.

 

„Rurimaru.“ Ryuichi klang zornig. „Endlich.“

„Vergebt, mein König, ich war in den Kerkern….“

„Braucht der Hund so sehr ärztlichen Beistand?“

„Ihr selbst habt mir diesen versagt. Ich gehorche Euren Befehlen.“

Etwas lag in dieser Antwort, das mir sagte, dass dieser Rurimaru jedenfalls jemand war, vor dem sich auch der Drachenherr etwas in Acht nehmen musste. Der schien auch nur fragend zu gucken.

„Nun, mir wurde berichtet, dass Euer Ältester offenbar einen schwerwiegenden Unfall hatte.“

„Ja, ich habe ihn ein wenig wegwerfend behandelt. Aber, davon sollte er sich wieder erholen. Er ist schließlich ein starker Drache. Oder?“ Zum ersten Mal klang gewisse Besorgnis in der Stimme des Königs.

„Er scheint dann wohl sehr unglücklich aufgekommen zu sein, mein Herr. Mir wurde berichtet, ich solle rasch kommen, da er Halluzinationen hat. Er redet wohl immer davon, dass ein Spion in der Burg sei, den er bei seinem Sturz gesehen habe.“

Ach du rotes Blut! Der Kerl hatte mich tatsächlich gesehen! Zum Glück schien ihm niemand zu glauben. Nun, noch nicht.

„In der Burg. Bei seinem Sturz in den Hof?“ Ryuukossusei klang ebenfalls sehr irritiert.

„Sieh dann nach ihm, Rurimaru. Kann ein solcher Sturz so etwas verursachen?“ erkundigte sich Ryuichi. „Er ist mein Ältester.“

„Dessen bin ich mir bewusst, mein König. Und ja, wenn er unglücklich aufkam, könnte selbst ein so starker Drache Alpträume bekommen.“

„Aber sieh dir zunächst den Hund an. Er soll morgen hingerichtet werden. Wie auch immer du das anstellst, er soll mindestens von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang durchhalten.“

Der Schamane spannte sich an, ich konnte es fühlen, ehe er mit hörbarer Verwunderung sagte: „Ich werde mein Bestes geben, mein Herr und König, aber erlaubt mir die Feststellung, dass es eine Herausforderung ist. Soweit ich weiß, hatte ihn Ryutsubasa nun fast zwei Wochen in … Bearbeitung, ohne jede ärztliche Hilfe. Sein Yōki dürfte überaus niedrig sein. Eher ist es verwunderlich, dass er noch lebt.“

„Keine Ausreden. Du hast deine Anweisung.“

„Ja, mein König.“

 

Ich vermutete an dem Faltenwurf des Umhangs, dass sich der Schamane verneigte, ehe er sich aufrichtete und ging. Zum Einen war ich hier natürlich sicher solange mich nicht die Kraft in den Händen verließ, zum Anderen würde er mich direkt zum Taishō bringen. Ja, und dann?

Und dann musste ich eben darauf hoffen, dass mich mein Glück nicht verließe und die anderen Drachen dem Kronprinzen kein Wörtchen glaubten. Und zum Zweiten, dass dieser Schamane in der Tat so fähig war meinen Daiyōkai soweit zu heilen, dass der zur Flucht fähig war. Sobald mir eingefallen war, wie….

 

Rurimaru schritt scheinbar ewige Zeiten die Treppen hinunter. Immer wieder wurde ich gegen Stufen oder Wände geschlagen, immer wieder sogar sehr schmerzhaft, aber ich wagte nicht loszulassen. Wenn mich auch nur noch ein einziger Drache hier sah…

„Befehl des Königs,“ sagte er. „Lasst mich zu dem Hund und dann zu Ryutsubasa.“

„Natürlich, oh unser Schamane.“

Doch, der Kerl schien einen sehr hohen Rang unter den Drachen einzunehmen. Was natürlich leider nichts Gutes für mich verhieß, wenn der mich unter seinem Umhang entdeckte. Der Boden wurde jedenfalls anders, andere Steine, nicht so glatt. Mein Träger blieb stehen.

„Die Tür ist auf?“

Oh, das war ja mal positiv für mich? Und natürlich den Taishō?

Der Wächter, ich vermutete, das sei er, antwortete: „Befehl Ryutsubasas, er wollte sofort informiert werden, wenn der Hund das Atmen aufhört. Und weglaufen kann der nicht ….Aber jetzt…“

Ja, jetzt lag der Drachenprinz vermutlich im Kerker gleich gegenüber. Reizende Sitten waren das hier, wirklich, ganz reizend.

„Nein, weglaufen kann er wohl nicht,“ meinte Rurimaru nachdenklich. „Seine Energie ist kaum mehr auch nur noch zu spüren. Nun gut. Auf Befehl unseres Königs soll ich ihn heilen bis morgen früh. Bringt mir auf jeden Fall frisches Wasser.“

Der Drachenschamane ging weiter, in einen dunklen Raum, der mit seinem Eintritt immerhin erhellt wurde. Ich wollte gar nicht wissen, wie oder was, sondern sah meine Chance, aus dem Umhang zu gelangen. Meine Hände waren bereits verkrampft und irgendwann würde ich sie nicht mehr öffnen können. So ließ ich mich einfach fallen, als Rurimaru die Zelle betrat und mich noch etwas von dem Umhang mitschleifen, ehe ich mich wegrollte, wo ich die offene Tür vermutete, um mich hinter ihr zu verbergen.

Für einen Moment zuckte ich zusammen, als ich stand und mich zu orientieren versuchte. Der Taishō? Aber dann erkannte ich, dass es nur die Kleidung und die Rüstung war, ausgestopft mit Heu oder Stroh. Reiner Spott für ihn. Erst, als sich der Schamane, oder eher wohl Heiler, niederkniete, um ihn noch immer ein gewisses Licht, entdeckte ich den Daiyōkai. Er lag auf dem steinernen Boden, absolut unbekleidet, sah man von den Ketten um Hals und Händen ab, absolut regungslos. So hätte nicht einmal ich mehr ihn aufspüren können – da gab es praktisch keine Energie mehr. Nur noch ein matter Herzschlag, leises Blutrauschen verriet, dass der Körper dort noch am Leben war – und, wenn ich ihn mir genauer ansah, wusste ich, warum. Dieser Ryutsubasa hatte ihn eindeutig an die äußerste Grenze der Selbstheilung getrieben und plötzlich fand ich es nicht mehr schrecklich, dass Ryuichi den aus dem Saal geworfen hatte.

„Du bist dreiviertel tot, Yōkai,“ sagte Rurimaru. „Das wird schwer, in der Tat.- Ist das alles?“

Ich dachte schon, er redete mit mir und zuckte hinter die Tür, aber er meinte den Wächter, der einen kleinen Krug Wasser brachte. „Mehr. Viel mehr.“

„Aber, ich dachte …“ brachte der Krieger hervor.

„Ryutsubasa sollte ihn verhören, ja. Und der braucht vermutlich auch Wasser noch, also spute dich. Und der hier soll für seine Hinrichtung wieder bei Kräften sein.“

„Natürlich, o Schamane.“ Der Drachenkrieger eilte davon.

Der Drachenheiler goss Wasser in seine Hand und befeuchtete fast behutsam die Lippen des Taishō. „Du wärst vermutlich bald in deine wahre Gestalt zurückgegangen. Aber, man muss sagen, du hast Kraft in dir. Ja, genau, Wasser. Langsam, wenn du mich hörst, langsam. Wenn du es schluckst, wirst du ersticken. Schön langsam. Ich werde dich heilen.“

Ja, damit der König ihn umbringen konnte. Oh, wäre ich nur kein Floh, sondern...sondern… Ich gebe zu, ich war da wütend wie selten. Aber, ich konnte nichts tun, ja, sollte nicht einmal etwas tun. Ich war kein Heiler, und wenn Rurimaru meinen Daiyōkai wach bekam, zu Kräften bekam, wäre das nur gut für eine Flucht - wenn die dann ginge. Im ärgsten Fall blieb der hier hocken und bewachte seinen Patienten bis zur Hinrichtung. Und dann? Ich konnte ja wohl kaum einen Drachenschamanen bewusstlos bekommen. Nein, halt. Der hatte ja gesagt, dass er dann zu dem Königssohn müsse. Vielleicht ergab sich da eine Chance? Es würde nur eine geben. Also sollte ich, statt der Heilung zuzusehen, mich hinter die Tür verkriechen und irgendeinen Plan ausbrüten. Doch durch dieses Abwasserrohr? Das war doch zu schmal, wenn ich mir so die Rüstung fast neben mir ansah. Und aller Wahrscheinlichkeit nach war der Taishō zu schwach um sich da durch zu quetschen, von dem Sprung über den Wassergraben ganz zu schweigen oder der Flucht bis zum Bannkreis und dann weiter …

Ja, wohin. Im Süden lagerten dichte Drachenpatrouillen, aber auch im Norden waren Krieger postiert. Wie bekam ich den armen Hund nur in den Westen? Zu seinen eigenen Kriegern oder gar in das doch gesicherte Schloss? Würde er mich überhaupt erkennen oder in der Lage sein sich selbstständig zu rühren? Und, wie käme ich auch nur allein hier wieder weg? Was sollte ich nur machen, wenn er doch hingerichtet wurde? Die Nachricht seiner Gefährtin bringen? Auch eine Selbstmordmethode, nahm ich an. Es gab wahrlich mehr als einen Weg zu sterben, tausende….

 
 


 

Der Tod hat so viele Ausgänge für das Leben.

Beaumont and Fletcher (englisches Autorenduo um 1600)

 

Der Wächter kam und brachte anscheinend einen ganzen Kübel Wasser, denn der Drachenschamane meinte nur: „Gut. Wenn ich noch etwas benötige, wo stehst du?“

„Vor der Tür nach draußen, an der Treppe.“

„Geh.“

Ich hörte, wie sich die Schritte entfernten, wagte mich aber wohlweislich nicht aus meiner Deckung hinter der Tür. Allerdings hätte ich schwören mögen zu Eis zu werden, als ich die Worte des Drachen vernahm.

„Ich wasche den Taishō jetzt, Unbekannter. Ich habe nicht die mindeste Ahnung wer du bist und wie du durch den Bannkreis kamst, aber du bist ein überaus magiebegabter Hund. Ich hörte noch nie von Schamanen unter euch. Nun, du wirst es mir nicht sagen wollen. Aber ich gebe zu, dass du der beste Magier sein musst, der mir je unterkam. Unser Bannkreis wehrt jeden Zauber, jedes Yōki, ab. Und es gelang dir ungesehen in diese Festung einzudringen. Selbst ich nahm dich, oder das geringe Yōki, das du nicht weiter unterdrücken kannst, erst wahr, als du dich in meinen Umhang gehängt hast, gerade so, als wärst du nichts als ein Staubkorn. Magie, die meine übertrifft. Warum ich nichts sagte? Nun, ich bin Heiler. Und jemanden so leiden zu lassen ohne ärztliche Hilfe... Überdies, Unbekannter – nicht alle Drachen denken wie unser König. Er ist es und so folgen wir ihm. Aber, sage das deinem Herrn, wenn es dir gelingen sollte mit ihm wieder in den Westen zu gelangen.“

Ich holte tief Atem. Er hatte mich bemerkt, ja, nicht verraten? Nur, für wen oder was hielt er mich? Einen Hundeyōkai, ja, einen fähigen Magier, einen brillanten Schamanen? Da lag er so etwas von falsch, aber ich konnte ja auch nichts sagen. Womöglich heilte er dann den Daiyōkai nicht?

„So ist es gut, Taishō,“ meinte der Drache, sich wieder um seinen Patienten kümmernd. „Erhole dich etwas. Wasser ist Leben. Erst, wenn du einigermaßen erholt bist, kann ich deine Energie auffrischen. - Man sagt, Hunde sind treu. Aber ich gebe zu, Unbekannter, dass du mir eine ganz neue Definition dieses Wortes gegeben hast. Ich kann nicht mehr tun, denn ich werde mein Volk nie verraten. Ich werde dem Taishō seine Energie in gewissem Maß zurückgeben können. Wie viel er selbst dann noch zugeben kann, wie ihr aus dieser Festung und dem Drachenreich gelangt, liegt bei euch. Aber, das kann ich versichern, du bist der mutigste und loyalste Mann, den man sich nur vorstellen kann. - So ist es gut, Taishō. Ich werde jetzt deinen Kopf anheben und dann etwas Wasser in deinen Mund geben. Versuche es nicht zu schlucken, warte noch etwas. Du bekommst genug. So viel du benötigst. Und dann werde ich dein Yōketsu suchen, ja, natürlich, du willst es nicht zeigen, du hast es die ganze Zeit verborgen. Aber ich bin Heiler. Ich werde keine Fragen stellen. Nur dir ein Stück unseres Regenbogenkristalls dort hinein geben. Das wird deine Energie erhöhen. Wenn du so stark bist, wie ich glaube, solltest du danach selbst in der Lage sein dich zu regenerieren. Ich werde dann jedenfalls gehen und dich ...euch ...dem Schicksal überlassen. Aber, sei versichert, Taishō … So schwach und verächtlich du dir momentan auch erscheinen magst – mich hast du beeindruckt. Wie muss ein Anführer sein, dem auch nur einer seiner Untergebenen freiwillig bis in den Kerker der Drachen, nun, in den Rachen der Hölle folgt.“

 

Ich war keiner seiner Untergebenen, dachte ich automatisch. Und, der Schamane irrte sich gleich in mehrfacher Hinsicht, aber das war mit Sicherheit der ungünstigste Zeitpunkt damit herauszuplatzen. Wichtig war, dass er das tat, was er gesagt hatte – die Energie meines Daiyōkai zu erhöhen, mich nicht zu verraten und uns zumindest eine Chance zu lassen. Nur, welche? Ich hatte noch immer keinen Plan. Nun ja. Es hing auch davon ab, wie schnell oder wie sehr sich der Taishō erholen konnte.

Mein Blick fiel wieder auf diese lächerliche Karikatur, die die Drachen aus seiner Kleidung, seiner Rüstung erstellt hatten. Das Stroh musste weg, damit er es anziehen konnte. Nur, wie? Das war eine Menge, für einen einzelnen Flohgeist. Nun, sobald der Schamane gegangen war – und das wollte er, sollte er doch sich um den Drachenprinzen kümmern, würde ich das erledigen. Der Taishō war momentan sicher nicht in der Lage etwas zu machen, höchstens sich zu regenerieren. Und das würde Zeit brauchen. Zeit, die es sicher nicht allzu viel gab.

Diese Rüstung mit den Stacheln war wirklich lästig, groß, riesengroß und blockierte einiges. Andererseits würde der Daiyōkai sie auch nicht hier lassen wollen. Ich starrte sie in dem ungewissen Licht, das von dem Drachenschamanen ausging an. Das war doch zu groß, zu sperrig für das Rohr. Andererseits sah ich keine andere, nun, hatte keine andere Möglichkeit hier aus der Drachenburg wieder herauszukommen, zumal mit dem Staatsgefangenen Nummer Eins an der Hand? Und dann? Das Rohr, der Wassergraben? Selbst, wenn der Taishō jeden Stolz, jede Würde vergessen würde … Nun ja, dann würde er mich danach als Zeugen seiner Demütigung umbringen. Hatte ich nicht schon vor Stunden, Tagen, beschlossen, mein Leben sei zu Ende? Warum nicht bei dem Versuch sterben den Mann, der einem selbst das Leben gerettet hatte, das zu entgelten.

 

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich Yōki spürte, erst sehr schwach, dann jäh erhöht. Das musste das mit dem Regenbogenkristall sein, von dem Rurimaru gesprochen hatte. So lugte ich vorsichtig hinter der Tür hervor. Etwas wie eine dunkle, sich drehende, Scheibe war erschienen, in die der Drachenschamane etwas helleres gestoßen hatte.

Der meinte nun: „So ist es, Taishō. Nimm die Energie des Kristalls und verwende sie weise. Ich werde jetzt gehen und mich um Ryutsubasa kümmern. Ich habe nur eine Bitte, noch.“ Er erhob sich. „Sag mir deinen Namen, Unbekannter. Denn ich werde dich nie vergessen.“

„Myōga,“ hauchte ich prompt, um im nächsten Atemzug bereits zu erkennen, dass das ein Fehler gewesen war. Besaß ein Magier meinen Namen konnte er auch bannen, das hatte Meister Nekohiko doch gesagt.

Aber der Schamane nickte nur ein wenig. „Myōga. Ich sollte dir viel Glück wünschen, aber das wäre Verrat an den Drachen.“ Er verließ den Raum und damit wurde es dunkel.

Nur der vage Schein der Fackel draußen auf dem Gang erhellte noch den Raum. Ich wartete, bis ich hörte, dass der Heiler gegenüber die Tür fast betont zufallen ließ, ehe ich den Sprung hinüber zu dem Daiyōkai wagte, mich auf seine Brust setzte. „Herr?“

Keine Reaktion.

„Taishō!“

Er hatte die Augen geschlossen, atmete und, soweit ich es spüren konnte, nahm er die Energie dieses ominösen Kristalls, erhöhte die eigene. Das half nur wenig. Ich musste wissen, wie es ihm ging, was ich machen sollte, er war Heerführer, er sollte doch einen Plan haben?

„Oyakata-sama?“

Es war fast, als ob er noch immer nicht bei Bewusstsein war. Zögernd hüpfte ich in sein Gesicht. Ich musste ihn doch irgendwie wach bekommen? Aufmerksam machen, dass wir hier weg sollten? Nur, wie? Hunde. Nase. Ich starrte kurz im Halbdunkel das Riechorgan vor mir an, ehe ich den nächsen Sprung wagte und einfach meinen Rüssel mit aller Kraft dort hinein versenkte.

„Ah!“

Immerhin eine Reaktion. Ich sprang eilig auf die Brust zurück. „Oyakata-sama? Herr? Hört Ihr mich?“

„Wer…?“ Er brachte es kaum heraus ohne die Augen zu öffnen.

Ich war froh, dass er endlich reagierte. „Ich bin Myōga. Erinnert Ihr Euch? Wir trafen uns vor Jahren, denke ich, in den Einöden des Hoyama und Ihr habt mir das Leben gerettet. Ich bin ein Flohgeist.“

„Myōga.“

„Ja. Der Drachenschamane hat Euer Yōketsu gestärkt. Jetzt müssen wir es nur noch schaffen die Ketten abzunehmen und dann können wir hier verschwinden.“

„Myōga.“

Das war keine gute Nachricht, dachte ich. Er regenerierte sich etwas, ja, das spürte ich, aber er sah mich nicht an, er konnte kaum reden. „Ja, ich bin Myōga, ein Flohgeist. Wir unterhielten uns, dass wir beide lernen wollten, erinnert Ihr Euch?“ Keine Reaktion. Was sollte ich denn nur jetzt machen? Sein Yōki war noch immer weit unter dem eines Daiyōkai, vermutlich knapp über dem, mit dem er seine menschliche Form aufrecht erhalten konnte. „Wie kann ich Euch helfen?“

„Keine Chance.“

„Oyakata-sama, ich kam hierher in den Kerker der Drachen, gegen alle Möglichkeiten,“ erklärte ich etwas schärfer als es vermutlich ratsam gewesen wäre. „Und ich werde hier herausgehen, mit Euch. Denkt doch an Euren Sohn. Soll ein so kleiner Welpe denn ohne Vater aufwachsen?“

„Das Heer?“

„Kein Heer. Sie wären doch an dem Bannkreis der Drachen gescheitert. Ihr müsst mir vertrauen. Ja, ich bin nur ein Floh und Ungeziefer, wie Ihr sagtet, aber Ihr habt mein Leben gerettet. Vertraut mir doch.“

Er öffnete die Augen und versuchte mich anzugucken.

So sprang ich neben seinen Kopf, damit er das Gesicht nur wenden musste. „Diese Ketten haben Magie?“ Das wäre vermutlich die schlechteste Nachricht, die es gab. Ich verfügte über keine und der Drachenschamane hatte ja schon deutlich gemacht, dass er uns nicht weiter helfen würde, könnte.

„Ketten aus Hass.“

„Was bedeutet das, oyakata-sama? Wie kann man sie lösen?“

Er schloss die Augen wieder, aber ich spürte eine deutliche Schwankung, dann einen Anstieg der Energie. Ja, er erholte sich, einigermaßen, vermutlich. Aber, wenn ich diese Ketten um Hals und Händen nicht abbekam, würde das nur dazu führen, dass er länger brauchen würde um zu sterben. Morgen. Schon. War denn alles sinnlos gewesen? Magische Ketten? Ich hatte doch nicht die mindeste Ahnung davon. So sprang ich wieder auf seine Brust, die sich langsam hob und senkte, genau zwischen die beiden eigentlich so mörderischen Klauen, die mit Ketten an den Halsreifen gebunden waren.

Eine Idee, nur eine Idee. „Oyakata-sama, erholt Euch. Ich werde inzwischen versuchen das Stroh aus Eurer Kleidung zu sammeln….“

„Nein!“ Geflüstert, aber ein klarer Befehl.

 

Ich wollte schon fragen ob er gedachte, so, wie er war, nackt, nur angetan mit den zwei Fellteilen durch die Burg zu spazieren.

 

„Der Panzer.“

Was, wie, der Panzer? Oh, natürlich. Wenn ich das Stroh aufsammelte, würde diese lächerliche Figur in sich zusammenbrechen, und, wenn die Wachen draußen nicht taub waren, die sich über das Scheppern wundern. „Nur, die Ärmel, dann geht es nachher schneller,“ versicherte ich und sprang hinüber. Als ich mich kurz umwandte schien er schon wieder zu schlafen. Aber sein Herz, das konnte ich als Flohgeist nun wirklich wahrnehmen, schlug kräftiger, gleichmäßiger. Es gab eine Chance, doch. Nur, dazu müsste ich diese verdammten Ketten abbekommen, denn ganz offenkundig schaffte er es nicht allein und Rurimaru würde dabei kaum helfen. Der Schamane hatte ja schon gesagt, dass ein Stups in die richtige Richtung in Ordnung war, aber kein Verrat an seinem Volk oder auch dem König.

Ich rupfte hektisch die Ärmel leer, dann aus dem Kragen, kurz, alles, so viel ich wagte, um diese Figur nicht umfallen zu lassen. Hoffentlich kam der Wächter nicht vorbei, der würde sich doch fragen, warum hier Stroh herumlag, aber eigentlich war es egal. Ich musste diese Ketten loswerden, oder schlimmer, da ich es nicht vermochte, der Daiyōkai. Nur, wie? Ich sprang wieder auf ihn zwischen die Klauen. Ketten, schwarz und ja, es war wohl eine Art Magie. Ob ich die Münze, die Meister Nekohiko mir gegeben hatte, dafür verwenden sollte? Aber, was wäre dann mit dem Bannkreis um diese Festung? „Oyakata-sama?“ flüsterte ich. Keine Reaktion, nicht einmal ein Augenblinzeln.

So starrte ich die Hände vor mir an. Mörderisch und so … ja, im wahrsten Sinne des Wortes so gebunden. Ich musste plötzlich daran denken, dass mich diese Klauen gepackt hatten, nein, genommen, ohne mir weh zu tun, ja, mich in seinen Hals gestoßen hatten, um mir das Leben zu retten. Und ich armseliger Floh hockte jetzt hier und konnte gar nichts tun für ihn. Gar nichts, ich war nicht nur schwach, ich war unfähig, ja, das hatte er schon recht gesehen, ich war Ungeziefer. Und Rurimaru hatte sich als Schamane vermutlich in seinem gesamten Leben zusammen nicht so geirrt wie heute.

Ich brach in Tränen aus, weinte, wie kaum noch einmal später. Und nein, es war mir nicht peinlich. Ich war unfähig, das zeigte sich ja gerade ich war alles. Und ohne weiter nachzudenken warf ich mich vorwärts, zwischen die Hände, die mir das Leben gerettet hatten und nun so verdammt hilflos waren. nur weil ich meinen Lehrern nie richtig zugehört hatte, weil ich eben nur ein Flohgeist war, weil ich…

„Myōga.“

Ein Hauch nur, aber ich versuchte tränenüberströmt in sein Gesicht zu sehen. Er wiederum versuchte zu seiner Brust zu gucken, ehe er langsam die Hände hob.

„Was….?“

Ja, das wusste ich auch nicht, jedenfalls waren die Ketten um die Handgelenke weg.

 
 

Der Einfall war kindisch, aber göttlich schön.

Schiller, Don Carlos

 
 

Die Fesseln um die Handgelenke waren weg? Ich benötigte wahrlich einen Moment um das zu begreifen. Ja, was hatte ich getan? Ich hatte geweint, meine Unzulänglichkeit eingesehen .. Ich war schwach…

„Mach weiter, Myōga,“ drängte der Daiyōkai, heiser, wie er war.

Ja, gern, aber womit? Mit weinen? Ich robbte etwas empor zu der Halsfessel. Vor lauter Verwirrung waren meine Tränen versiegt, aber ja, genau, meine Hände und meine Augen waren noch tränennass. So rieb ich sie einfach an dem Metall.

Fesseln aus Hass, hatte der Taishō gesagt. War es etwa so, das nur Tränen sie lösen konnten? Weil ein Yōkai, geschweige denn ein Daiyōkai, nie weinte? Nicht weinen konnte?

Gleich, was immer es war, die Kette um den Hals verschwand und der Hund in Menschenform unter mir drehte sich auf die Seite, mich runter werfend.

„Ah…“ brachte ich entsetzt hervor, aus doch gewisser Sorge, er würde den Zeugen seiner Demütigung umbringen wollen. Aber nein, beruhigte ich mich dann. Sicher nicht jetzt und hier. Später, wenn wir im Westen waren, bestimmt. „Oyakata-sama?“

„Myōga.“

Mein Name klang fast wie ein Seufzen. So sah ich auf. „Herr?“

„Ich muss … den Panzer…“

Er konnte immer noch kaum reden, aber diese Worte bewiesen, dass sein Verstand deutlich klarer wurde. Ja, es war mir schlicht nicht möglich diese schwere Rüstung behutsam auf den Boden zu legen. Erst, wenn dies passiert war, könnte ich das restliche Stroh aus der Kleidung ziehen, er sich anziehen. So sprang ich hinüber. „Schnell.“ Schnell. In seinem Zustand, Myōga, du Idiot, schalt ich mich, als er auch nur versuchte auf die Knie zu kommen. Das wurde schwer. Und er brach zusammen, rieb seine Handgelenke. Natürlich. Tagelange Fesselung. Er hatte sich nicht bewegen können, vermutlich war das Blut gestockt. Das half nur leider nichts.

 

„Ihr habt vollkommen recht, oyakata-sama,“ erklärte ich daher. „Ihr müsst Eure Rüstung auf den Boden legen, sonst wird der Wächter nachsehen, Drachenschamane hin oder her. Ich kann das nicht.“

Er versuchte erneut sich auf Knie und Hände zu stützen, brach wieder zusammen. Und, wenn auch nur ein Gott seinen Fluch erhört hatte, hatte Rurimaru drüben mit Ryutsubasa alle Krallen voll zu tun, da der Königssohn keinen einzigen Knochen mehr heil hätte.

Half hier nur leider auch nicht weiter. Und je mehr Zeit verstrich, desto größer wurde die Chance, dass der Schamane gehen musste, die Wächter womöglich nachsehen kamen und so weiter. Kurz, unser Ende näher rückte. Ich stemmte daher alle vier Hände in die Hüften. „Ihr seid wirklich außerordentlich schwer zu retten, Taishō. Neben Eurem Yōki hat auch Eure Selbstbeherrschung gelitten.“ Ich konnte nur vermuten, dass das, was er da gerade über Flöhe murmelte, mir gelten sollte. „Was Ihr auch laufend beweist. Würdet Ihr jetzt Euch also bitte auf Eure berühmte Stärke besinnen und diese Rüstung da abziehen und leise auf den Boden legen, den Rest mache ich dann schon.“

Ein Knurren. „Myōga.“

„Ich weiß, Ihr bringt mich um, wenn wir im Westen sind. Aber, bis dahin werdet Ihr klug genug sein zu wissen, dass ich der Einzige bin, der nicht nur einen Weg aus dieser Festung weiß, sondern auch den Schlüssel für Eure Flucht durch den Bannkreis hat.“ Oh, ich habe nie, nie zuvor und auch nie später, so je mit einem Daiyōkai, geschweige denn mit diesem, geredet.

Aber es schien zu helfen, denn plötzlich kniete er vor dieser Figur, stand, wenngleich etwas wackelig und nahm die Rüstung ab, um sie behutsam auf den Boden zu legen, ehe er sich in die Knie sinken ließ.

„Gut,“ brachte ich irgendwie hervor und raste los, um hektisch das Stroh auf dem Boden zu verteilen, die Kleidung sauber zu bekommen.

Er musste mir eine Weile zugesehen haben, denn irgendwann sagte er: „Was dann?“

„Was….Oh, Ihr zieht Euch das über. Die Rüstung würde ich nicht empfehlen, das Rohr würde zu eng sein.“

„Das Rohr.“

„Äh, ja, da, so, wie ich hineingekommen bin.“ Ich unterbrach meine Arbeit nicht. Lieber nicht, denn er klang nicht sonderlich erfreut.

„Dir ist klar, Floh, dass ich mich nicht auf deine Größe verkleinern kann.“

„Das stimmt, Taishō.“ Er dachte immer besser mit, erholte sich also. „Jedoch sollte es groß genug sein, dass Ihr hindurch passt, nur eben leider, ohne den Panzer und vor allem die Stacheln. Und ja,“ ergänzte ich hastig: „Ich weiß, Ihr wollt ihn nicht hier lassen, dann zieht ihn eben mit und erst draußen vor der Festung an. Aber vor dem Morgengrauen sollten wir hier weg sein, am Besten sogar durch den Bannkreis. Erholen könnt Ihr Euch dann.“

„Du führst das Kommando, Floh?“

„Oyakata-sama, Ihr seid Feldherr. Ich will Euch nur hier herausbringen.“ Tja, wie sollte ich das sagen. „Ihr habt mir das Leben gerettet und das will ich ausgleichen. Ich bin mir bewusst, dass Ihr mich töten werdet für jetzt, für alles, was noch passieren wird ….aber, ich begleiche meine Schuld.“

Etwas wie ein erstickter Laut ließ mich doch umsehen. Aber er blickte mich nur an. So arbeitete ich weiter, bis der feine seidene Stoff und etwas Baumwolle zu Boden glitten.

Ich sah mich um, als ich mehr spürte, als hörte, dass der Taishō neben mich kam, nach seiner Kleidung griff, noch zitternd, zögernd, aber deutlich erholter als noch vor einiger Zeit, und sich anzukleiden begann.

Ich glaube, wir zuckten beide zusammen, als sich irgendwo draußen eine Tür öffnete, Schritte.

Dann rief der vorbeigehende Schamane, ohne auch nur in diese Zelle geguckt zu haben: „Wache, öffne mir. Ryutsubasa schläft, er bedarf der Ruhe.“

Ich sah beiseite, sah, wie der Taishō aufatmete. Ja. Rurimaru hatte solcherart dafür gesorgt, dass die Wache nicht mehr in diesen Teil des Kerkers kommen würde. Der Königssohn brauche Ruhe und auch der potentielle Hinrichtungskandidat sollte sich erholen. Der Drachenschamane hatte alles getan, was er glaubte zu dürfen. Und eine einzige Chance gegeben, ein Zeitfenster, das freilich immer knapper wurde.

„Was für ein Rohr?“ flüsterte der Daiyōkai neben mir.

„Es gibt ein Badehaus, dessen Abflussrohr …“ Ich sah, wie er die jäh rot werdenden Augen verengte. „Es ist die einzige Öffnung nach draußen, oyakata-sama. Das Burgtor ist mit Bannkreisen verborgen. Und sicher bewacht. Also, diese Badewanne hat ein Abflussrohr, dass direkt außerhalb dieser Burg führt. Leider hat es am Ende ein Gitter, das mit Magie gegen Yōki versehen ist. Ich kam so hindurch, Ihr werdet es beseitigen müssen. Das Rohr endet über dem Wassergraben um die Festung. Da muss man hinüber. Und dann sollten wir bis zum Ende der Nacht zumindest den mächtigen Bannkreis passiert haben, der die Drachen vor jedem Feind schützt.“

Der Taishō saß neben mir und schloss die Augen. „Der Bannkreis. Du bist hindurch gekommen. Wie?“

„Die Drachen vergaßen Ungeziefer, Herr.“

Etwas wie ein Lächeln huschte vorbei. „Das hast du mir übel genommen, Myōga.“

„Es ist so.“ Ich war froh um den Schatten eines Lächelns. Ja, er erholte sich. Und er würde alles, was er jetzt an Energie sammeln konnte, noch für die Flucht benötigen. „Bleibt noch ein wenig hier. Ich werde einmal sehen, wie die Tür beschaffen ist. Und wie viele Wachen.“

„Mindestens einer.“

„Ich werde es sehen.“ Und ich sprang hinaus, froh, dass er sich erholte, froh, dass er noch lächeln konnte. Matt, aber immerhin. Wenn ich schon tapfer sein sollte, und da hatten sich Meister Nekohiko und der Drachenschamane gemeinsam gründlich getäuscht, was war er dann?

 

Es war dunkel im Gang, aber, wenn ich genau hinhörte, vernahm ich das Rauschen von Blut, Herzschlag und Yōki. Vor der Tür stand eine Wache, ein Drache, sicher. Nur einer? Sich jetzt hier zu irren wäre fatal. So versuchte ich zu der Tür zu huschen, die anscheinend aus dickem Zedernholz geschaffen worden war, das erste Holz, das ich in dieser Drachenburg entdeckte. Nun ja, wenn man von dem Schwertständer in der Königshalle absah. Nur einer. Hm. Nur hier. Das hieß ja nicht, dass da nicht noch andere Türen kamen mit anderen Wachen. Hier waren nur ein, aus Sicht der Drachen, halbtoter, Hund und der Erbprinz. Das war wohl speziell für Sondergefangene, wie ich damals dachte. Erst viel später erfuhr ich, dass es keine anderen Kerker gab. Drachen machten in der Regel keine Gefangenen.

Fast schon verzweifelt versuchte ich mich daran zu erinnern wie viele Stufen der Schamane gebraucht hatte. Sehen hatte ich ja nichts können, so innen am Umhang. Und jetzt musste es andersherum gehen, natürlich nicht in den Königssaal, sondern nur in das Erdgeschoss, in dieses Badehaus. Hoffentlich war nachts da jetzt nicht der Treffpunkt für Drachen, sonst wäre die letzte Chance keine. Aber nein, beruhigte ich mich. Als ich um die Burg geschlichen war, war ja Wasser, heißes Wasser, aus dem Ablauf gekommen. Die Badezeit war wohl vorbei. Und solch ein großes Becken mit Wasser zu füllen, anzuheizen, bedurfte doch sicher der Vorbereitung und konnte nicht so eben spontan …. Ein Wache, ja. Keine Stimmen, kein anderes Blut. Und der Krieger stand direkt vor der Tür.

Ich kehrte zu meinem Daiyōkai zurück, der neben seiner Rüstung kniete, die Augen geschlossen, offenbar seine Energie bemüht rasch erhöhte. Auch, wenn sie noch immer jämmerlich war. Er sah allerdings auf, als ich vor ihm landete, hörte mich kommen. Ich erstattete Bericht.

„Er steht mitten vor der Tür?“

„Da konnte ich den Herzschlag vernehmen und hörte sein Blut, oyakata-sama.“

„Der Flohgeist hört die Beute.“ Das klang eher verstehend als spöttisch, wenngleich noch immer heiser.

„Ja, so ist es.“

„Doppelwachen sind immer sinnvoll, auch im eigenen Schloss, Myōga. Wie geht es dann weiter?“

Gut, dass ich schon nachgedacht hatte. „Ich weiß, dass wir in das Erdgeschoss müssen. Genau weiß ich nicht, wo der Ausgang des Kerkers ist, aber ich erinnere mich an die Halle dort und werde sicher den Eingang zum Bad finden. Ich gehe voran, dann sehe ich auch nach, ob sich jemand noch im Bad aufhält. Ich denke es zwar nicht. Aber mich mögen sie übersehen….“ Am Liebsten hätte ich ihn gefragt, wie er durch eine verschlossene Tür kommen wollte mit dem Posten davor, aber das schien sein geringeres Problem zu sein – verglichen mit der Aussicht durch ein Abwasserrohr kriechen zu sollen.

Mit zwei Handgriffen schloss er die Panzerung, so dass er sie mit einer Hand tragen konnte, ehe er aufstand. Noch immer ungelenk, aber er stand, seine Rüstung mit sich. Sie mochte schwer sein, zumal der Brustpanzer. Jetzt erst sah ich, dass man die Armschoner und den Hüftschutz dran anbringen konnte. Nun ja, falls jemand reiten wollte, oder so, vermutlich. Jedenfalls war das Ganze sehr durchdacht und verriet, dass nicht nur das Höllenschwert von einem Meister gefertigt sein musste. „Ich darf ihn nicht umbringen,“ murmelte er.

Sein Blick schnurgerade aus der Tür verriet mir, was er dachte. „Ryutsubasa? Wenn es dem gelingen sollte um Hilfe zu schreien, wird Euer Tod nur länger, oyakata-sama.“

Sein goldener Blick glitt zu mir. „Im Allgemeinen hasse ich es auf den Tod belehrt zu werden, noch dazu von Ungeziefer. Heute will ich eine Ausnahme machen. Du hattest in der letzten Stunde viel zu oft recht.“

Das war ein Lob – und eine Warnung. Ich hüpfte daher lieber aus der Zelle zu der Tür. Ich sollte wirklich aufpassen was ich von mir gab.

Der Taishō kam lautlos hinter mir her, lehnte seine Rüstung an die Wand ehe er mich fragend ansah.

Ich überprüfte noch einmal, wo ich das Herz des Postens hören konnte und sprang dorthin, deutete.

Der Daiyōkai nickte nur und sein Wink scheuchte mich zu seiner Panzerung. Mehr zur Vorsorge hielt ich mich dort fest, guckte aber neugierig zu, wie er das jetzt machen wollte. Natürlich war die Tür verriegelt, von der anderen Seite aus, das zeigte sich an dem schweren Gegenschloss. Der noch immer matte Hund vor mir atmete tief durch, ehe er sich bückte und die Finger unter die Zedernholztür schob. Was hatte er nur vor? Darüber blieb ich keine Sekunde im Ungewissen, denn er riss diese empor, hob sie aus den Angeln. Der Riegel wurde damit ebenfalls nach oben gerissen – dessen Schwachpunkt, war er doch bestimmt darauf ausgelegt das gewöhnliche Schieben der Pforte zu verhindern. Ich erhaschte gerade noch einen Blick auf den erschrocken herumfahrenden Drache da draußen, ehe dem das Holzportal förmlich auf den Kopf gedroschen wurde.

Der Taishō atmete tief durch. „Ist er tot?“ flüsterte er.

Diese ganze Aktion war rasch und fast lautlos abgelaufen. Bis auf ein, mir zumindest laut erscheinendes, Knacken des Riegels. Wortlos hüpfte ich hinüber, da er schon wieder nach seiner Rüstung griff. Nun ja. Das Holz war schwer und …. Ich sah mich rasch um. Nur eine Treppe führte nach oben, keine weiteren Türen, keine Wachen. Das hatte mein Daiyōkai mit Sicherheit auch schon festgestellt. Und, nun ja, der Drache war tot. Da der Herr neben mich trat, sah ich auf. „Da hat Zorn mitgespielt.“

Er zuckte die Schultern und wandte sich der Treppe zu. So eilte ich voran, hinauf, lautlos, nervös und immer in Sorge, was passieren würde, käme ein Drache herunter.

 

Nichts geschah, ehe wir eine weitere Tür erreichten, ebenfalls aus Holz. Ich hüpfte auf das, was ich als Schloss wahrnahm, ehe ich schlicht auf die Schulter des Daiyoukai hinter mir sprang. Ja, da gab es die Warnung, aber ich musste leise sein. „Ich glaube, der Riegel liegt nicht vor, Rurimaru sei dank. Dahinter sollte die Vorhalle kommen. Wenn Ihr so freundlich wärt die Tür einen Spalt zu öffnen, werde ich mich hinauswagen…“ Oh ja, das war sicher nicht gerade eine Überlebenstechnik. „Und das Bad suchen, überprüfen. Dann kehre ich zurück und informiere Euch.“

Statt einer Antwort machte er die zwei Schritte empor und legte behutsam die Klaue an die Tür, lauschte. Dann öffnete er sie und ich sprang hinaus.

 

Ja, ich hatte zu diesem Zeitpunkt mit meinem Leben abgeschlossen. Aber allein die Tatsache, dass er wieder lächelte, wenngleich nur ein Hauch, dass er eine Chance zum Leben bekam, ja, dass er mich, trotz aller Warnung gelobt hatte … Wichtig war doch nur noch, dass wir den Westen erreichten, ehe das Blut in mir erloschen war, dass er das Höllenschwert wieder bekam, dass er lebte.

Ich raste buchstäblich beflügelt durch die leere Halle, hastig nach dem Badezimmer huschen, aus dem ich gekommen war. Von irgendwo draußen klang Lärm, aber das war gleich, solange hier niemand war.
 

Der Lord lässt sich entschuldigen. Er ist zu Schiff nach Frankreich.

Schiller, Maria Stuart

 
 

Die Vorhalle, oder was auch immer, dieser Drachenfestung war riesig, zumal, wenn man selbst ein hektischer, schweißgebadeter, unseliger Flohgeist war, der sich gerade nicht erinnern konnte, wo es denn nun in das Badehaus ging. Immerhin war kein Drache zu sehen, kein Yōki zu spüren. Die Treppe da empor war es ganz sicher nicht, denn die führte in den Thronsaal. Unnötig zu sagen, dass ich da sicher kein zweites Mal hineingehen würde.

Von irgendwo draußen tönte Fauchen, manchmal wie Hämmern, aber ich dankte allen erreichbaren Göttern, dass niemand hier war. Da, das musste es sein, eine leicht offenstehende Tür. In meine Nase drang Wasserdunst. Ja, bitte. Und hoffentlich niemand drin!

Behutsam schlich ich mich durch den Spalt. Bitte kein Drache, der noch ein spätes Bad nehmen wollte. Aber, dann wäre die Tür doch wohl geschlossen gewesen. Drachen mochten ja raue Sitten haben, aber sie würden doch die Tür schließen… Ja, niemand da. Immerhin. Ich hüpfte zum Rand des Badebeckens. Tja.

Meine Erinnerung hatte mich nicht betrogen. Wo ich bequem durchkam, wäre es für einen Mann wie meinen Daiyōkai schon sehr eng. Die Rüstung konnte er vergessen. Zumindest sie anzuziehen, aber ich sah auch keine Möglichkeit, wie er sie durch diesen Engpass zerren wollte. Sicher, mit den Füßen zuerst und die Hände nach oben gestreckt, um den Panzer und den Rest mitzuziehen, das mochte gehen, aber… Es war sicher verflixt eng. Und daran, wenn ihn die Kraft verließ, er sich in seine wahre Form verwandeln müsste, wollte ich nicht einmal denken.

Ach, er war doch der Heerführer, dann sollte er doch einen Plan haben, beschloss ich. Ich armer Floh sah jedenfalls hier und darin die einzige Möglichkeit aus dieser Burg zu entkommen. Ob mir der Taishō das je verzeihen würde stand auf einem anderen Blatt.

So hastete ich, immer vorsichtig umschauend, zu der Tür Richtung Kerker, die er vernünftigerweise einen kleinen Spalt offengelassen hatte. Er selbst stand, wie ich schon vermutet hatte, hinter der sich öffnenden Tür. So landete ich auf seiner Schulter.

„Alles leer, oyakata-sama,“ meldete ich. „Ich denke, es sind nur noch wenige Drachen hier, da die meisten Euer Heer abfangen sollen. Und die, die hier sind, sind draußen und machen irgendetwas.“

„Das Gerüst für meine Hinrichtung,“ erwiderte er kalt, allerdings wohlweislich leise. „Geh, Myōga, voran.“

Ich sprang also gehorsam wieder Richtung Badezimmer. Als ich auf dem Beckenrand landete und mich umsah, spürte ich ein Frösteln. Oh je. Das war eindeutig das doch schon angewachsene Yōki des Daiyōkai hinter mir. Der sichtlich kaum erfreut den Abfluss betrachtete. So flüsterte ich hastig: „Der einzige Weg!“

„Wie führt dieses Rohr?“

Zum Glück begriff ich sofort, was er meinte. In dieser Laune wollte ich nicht zwischen seinen Klauen landen. Sicher, noch sollte er mich nicht umbringen, aber das wäre mit Sicherheit ein sehr schmerzhaftes Erlebnis. „Es geht steil hinab, ungefähr soweit, vom Boden bis zu Eurer Hüfte, dann schräg nach unten. Der Durchmesser bleibt die ganze Zeit gleich. Wo das Rohr endet, dort befindet sich ein Gitter, das auf Yōki schmerzhaft reagiert. Ich kann hindurch springen, aber Ihr werdet es beseitigen müssen. Dann endet das Rohr mehrere Meter über einem Wassergraben, der offenkundig das Badewasser aufnimmt.“

Sein nächster Satz verriet mir, warum er sicherlich ein erfolgreicher Feldherr war. „Lebewesen im Wasser?“

„Höchstens kleinere noch als ich. Keine Schlangen oder Drachen, oyakata-sama.“ Er nahm es hin, dass das Folgende zu einer Prüfung seines Stolzes werden würde. Und, da machte ich mir wenig Illusionen, als einziger Zeuge würde ich das nicht lange überleben. Ich war praktisch ein lebender Toter.

„Geh voran.“

Ich sprang also in das dunkle Loch. Nun ja, immerhin hatte er so verhindert, dass ich sehen konnte, wie er sich durch das Rohr winden musste. Als ich das Gitter erreichte, blickte ich mich um. In der Tat, dieser Hund konnte denken. Er war mit den Füßen voran hinabgeglitten, in seinen über den Kopf ausgestreckten Armen zog er möglichst leise seine Rüstung mit. Seine beiden Fellteile befanden sich unter ihm und ermöglichten es ihm so, sich mit den Füßen voran zu ziehen.

„Ich bin am Gitter,“ sagte ich leise. „Draußen ist es noch dunkel.“

„Drachen?“ Er klang keuchend, aber das war kaum ein Wunder nach allem, was er durchgemacht hatte.

„Ich spüre kein Yōki, keinen Herzschlag außer dem Euren.“

„Weiter!“

Ich griff nach dem Gitter, diesmal schon in Erwartung des Schmerzes, und schwang mich hindurch, ehe ich einen weiten Satz über den Wassergraben auf das feste Land machte. Zitternd vor Aufregung und auch bereits deutlichem Blutmangel, sah ich mich um. Das Gitter kam mir hinterher geflogen, wenngleich nicht so weit und endete mit einem lauten Platsch im Wassergraben. Zu luaut? Aber noch war keine sich nähernde Energie zu spüren.

 

Dann tauchten die Füße, die Hose, des Daiyōkai auf, und ich erkannte, dass er mir nicht nur gut zugehört hatte, sicher besser, als mancher in gesünderem Zustand, sondern das auch umgesetzt hatte. Kaum, dass er mit der Hüfte draußen war, fast das Gleichgewicht verlor und in den Graben stürzen würde, bewegten sich seine Fellteile als seien es bewusst gesteuerte Körperteile. Waren sie ja auch, aber woher hätte ich das damals wissen sollen. Sie fassten um das Rohr, hielten ihn so, als er sich ganz hinaus bewegte, seine Rüstung aus dem Kanal nachzog.

Irgendwie gelang es ihm die Beine anzuziehen und sich an der Wand abzustoßen, vermutlich mehr als mühsam den Satz über den Graben zu machen und keuchend auf dem Boden zu landen.

 

Ich eilte zu ihm. „Oyakata-sama,“ flüsterte ich glücklich. Immerhin. Er war aus der Drachenfestung, wenngleich bei weitem noch nicht in Sicherheit. Aber, das sah ich auch, er war bereits erschöpft. So würden wir nie in den Westen gelangen. „Gelingt es Euch Eure Rüstung anzuziehen? Sie werden spätestens bei Morgengrauen Eure Flucht bemerken. Dann sollten wir durch den Bannkreis sein.“

„Sag mir nichts, was ich selbst weiß.“ Es war ein kaum hörbares Knurren, unterbrochen von schwerem Atemholen. Aber er ließ die Rüstung langsam zu Boden und löste die Schnallen. „Dann nach Südwesten.“

„Nein, oyakata-sama.“ Au weia, dieser mordlustige Blick! So erklärte ich hastig: „Euch fehlen noch einige wesentliche Informationen, ehe Ihr die Lage vollständig beurteilen könnt. Der Drachenkönig hat praktisch sein ganzes Heer zwischen dem Ort, an dem Ihr entführt wurdet, und hier aufgestellt. Im Nordwesten befinden sich weitaus weniger Patrouillen, die man hoffentlich umgehen kann. Es ist ein Umweg, ja, und Ihr seid, ebenso wie ich erschöpft, aber es ist die beste Chance.“

Er legte sich die schwere Panzerung um. „Was genau hast du an dem Satz, dass ich vorlautes Ungeziefer auf den Tod nicht leiden kann, nicht verstanden?“ erkundigte er sich ohne mich anzusehen.

„Bringt mich um, sobald Ihr sicher im Westen seid,“ schlug ich vor, mich hektisch umsehend. „Aber ich werde Euch aus dem Drachengebiet holen, ob es Euch gefällt oder nicht!“

Darauf ging er nicht ein, was wohl gesünder für mich war. „Der Bannkreis?“

„Ich komme so hindurch, für Euch habe ich eine Magie geschenkt bekommen.“

„Es ist wohl allgemein bekannt, dass ich mich von Drachen entführen ließ.“

„Ihr wurdet vermisst im Schloss, und die besten Spürer fanden noch die Fährte von Drachen, wo die Eure endete. So ist der gesamte Westen in Alarmbereitschaft. Die Regentin hat das Schloss noch einmal gesondert gesichert.“

Ein seltsames Lächeln zuckte um seinen Mund. „Merke dir, Myōga, manchmal sind Geschenke auch sehr nützlich. Der Drachenkönig würde seinen Wunsch nach Magie des Jenseits sehr schnell und gründlich erfüllt bekommen, griffe er das Schwebende Schloss an. Ist die Magie, mit der du mich durch den Bannkreis bringen willst, von ihr?“

„Oh nein, von Meister Nekohiko.“ Sah ich so lebensmüde aus, dass ich mich in ein Schloss voller Hunde wagte? Nun ja, ich musste zugeben, ich hatte mich in ein Schloss voller Drachen gewagt. Der Taishō hielt mich vermutlich für den todessehnsüchtigsten Flohgeist aller Zeiten, zumal ich ihn schon einige Male in den letzten Stunden herumkommandiert hatte. Und ich würde bald sterben. Sei es durch den Blutmangel, sei es durch seine Hand.

„Dein Meister.“ Der zweite Unterarmschoner war angelegt und er richtete sich auf. „Setz dich auf meine Schulter. Nordwest, sagtest du. Wie viele Wachen?“

„Ich traf auf dem Herweg nur eine Doppelwache vor dem Bannkreis, aber sie gehen hin und her und erwähnten auch andere.“

„Wie weit bis zum Bannkreis?“

„Das kann ich nicht sagen, oyakata-sama. Ich sprang gleichmäßig voran, aber ich spürte ihn ja nicht.“

Er atmete deutlich hörbar. „Sobald wir durch sind, zum Hoyama. Da gibt es eine Grotte, die ich…. versiegeln kann. Ich muss mich ausruhen. Du auch, kleiner Floh.“

„Ja,“ gab ich zu und klammerte mich an seinem Schulterfell fest.

 

Es begann hell zu werden am östlichen Horizont, als der Taishō innehielt und vor sich deutete.

Er war matt, erschöpft, aber ich verstand, dass dort der Bannkreis sein würde und zog die Münze hervor, die mir Meister Nekohiko gegeben hatte. Sie wurde augenblicklich fast heiß in meiner Hand und ich warf sie mit aller Kraft nach vorne.

Ein Flimmern in der Luft, kaum sichtbar, dann rot werdend, dann schwarz. Der Daiyōkai machte samt mir den Sprung durch die Lücke und als ich mich umsah, war sie bereits wieder verschwunden, ebenso wie die so wertvolle Münze. Aber der Meister hatte ja erwähnt, dass man sie nur einmal verwenden könne.

„Der Hoyama!“ Ich deutete nach vorne, wo etwas links der Rauch aufstieg.

„Spring ab.“

Ich gehorchte sofort, da ich spüren konnte, wie seine Energie anstieg, anscheinend auf das größtmögliche, was er noch hervorbringen konnte. Und dann stand ich sprachlos im Schatten des riesigen weißen Hundes, ehe ich einfach wieder auf seine Schulter sprang, nun, eher in sein Nackenfell, und mich eilig festhielt, als er los trabte. Schneller konnte er wohl nicht mehr, aber es stand zu erwarten, dass Krieger hierher kommen würden, um nachzusehen was oder wer den Bann gestört hatte. Da die Dämmerung hinter uns schon deutlich wurde, wäre es nur eine kurze Frist, bis sie einen derart großen Hund in der Ebene entdecken würden. Kampffähig war der Daiyōkai allerdings kaum. Es war eher ein Wunder, dass er das hier noch durchhielt. Und ich hatte solchen Durst. Aber, das brauchte ich kaum erwähnen. Zum einen, weil der Taishō ja selbst jedes bisschen Kraft benötigte und zweitens kaum bereit war mich ein zweites Mal durchzufüttern. Ich würde mich erholen, vielleicht mit ihm in dieser Grotte, die er gemeint hatte, und dann zusehen, dass ich ihm noch bis in den Westen half. Und dann? Nun, egal. Er war aus der Drachenfestung entkommen, das zählte, er lebte. Was zählte schon Ungeziefer.

 

Ich weiß nicht, wie lange es so ging, ehe der Hund langsamer wurde und stehenblieb. Vor uns lagen bereits die Ausläufer des Hoyama, aus dessen Hauptkrater weit oben die Fahne an Rauch und Asche stieg, wie wohl immer. Ich sprang ab und er verwandelte sich in den nur scheinbar menschlichen Heerführer.

„Die Grotte….“ Er sah sich um.

Ich wollte die Frage nicht stellen wie groß die war – für seine Hunde- oder seine Menschenform. Ich war schon zwei Mal getadelt worden, ein drittes Mal würde er meinen Vorlaut sicher schmerzhaft beantworten. Obwohl er sowieso bemerkenswert geduldig mit mir Ungeziefer war.

Er ging mühsam, ja, fast schwankend, in eine Richtung.

Ja, da war ein Spalt und auf den steuerte er zu. Das war nicht sonderlich groß, selbst in seiner Menschenform würde er kaum hineinpassen. Nun, womöglich genau deswegen ein gutes Versteck, falls die Drachen nach einem Hundeyōkai Ausschau hielten. Sie war auch recht niedrig und er krabbelte mehr hinein.

Ich zögerte und so wandte er den Kopf. „Myōga!“

So sprang ich unter seinen Bauch, bis er sich niederlegte, umdrehte und irgendetwas machte. Magie, vermutlich. Damit hatte ich es nicht.

„Versiegelt?“ fragte ich nur.

Er nickte etwas und streckte sich halb sitzend aus, wie es seine Rüstung erlaubte, ehe er seine Fellteile um sich schlang. „Hierher.“

Ich verstand zuerst nicht, dann sprang ich in das weiche Fell und schmiegte mich an. Ich durfte in seinem Fell schlafen! Damit hatte ich wahrlich nicht gerechnet.

 

Dann grollte es irgendwo wie Donner. Selbst hier in dieser durch Magie verschlossenen Höhle war eine ungeheure Welle von Yōki zu spüren, die den Vulkan um und über uns zittern und grummeln ließ. Ich sah zu dem Gesicht des Daiyōkai auf und erkannte überrascht eine gewisse Heiterkeit in den goldenen Augen, ehe er zu mir blickte.

„Ryuichi. Er hat wohl bemerkt, dass sein Gefangener nicht zur Hinrichtung erscheint. Nun, der Inu no Taishō lässt sich entschuldigen. Er ist auf dem Weg in den Westen.“

 
 

Jegliche Furcht rührt daher, dass wir etwas lieben.

Thomas von Aquin

 
 

Ich erwachte nur langsam, müde und schwach – und mit brennendem Durst. Das war das erste, was ich begriff, dann auch die Tatsache, dass ich in weichem Fell lag und Blut unter mir rauschte. Herrliches, süßes, mächtiges Blut. Noch nur halb wieder da stieß ich meinen Rüssel durch das Fell in die Haut.

Keinen Sekundenbruchteil später fühlte ich mich umklammert, mehr als schmerzhaft zusammengedrückt und gegen eine Wand geworfen. Mühsam öffnete ich die Augen, zumal ich Yōki spürte.

Nun ja.

Für einen Flohgeist ist es nicht angeraten das Blut eines Daiyōkai trinken zu wollen, das hätte ich wissen sollen. Noch ärger allerdings wird die Sache, wenn du mit besagtem Daiyōkai zusammen in einer engen, durch ihn versiegelten, Höhle sitzt, er dir sogar erlaubt hat in seinem Fell zu schlafen – und dich jetzt zwei rote Augen anstarren.

„Vergebt, oyakata-sama, ich… ich habe geträumt.“ Das stimmte und war zugleich auch die einzige magere Rechtfertigung, die mir einfiel, als ich mich panisch an die Wand drückte und tief Luft holte, um mich wieder auszubeulen. Immerhin lebte ich noch.

Jedenfalls beherrschte sich der Taishō, der offenbar ebenso geschlafen hatte, mit nur drei Atemzügen. Seine Augen schimmerten in der dunklen Grotte wieder golden. „Myōga.“

„Ja, Herr. Bitte, verzeiht. Es lag nicht in meiner Absicht Euch zu belästigen. Ich war nur sehr erschöpft, träumte und naja, habe Durst.“

„Wann hast du das letzte Mal getrunken?“ Da klang ehrliches Interesse mit.

„Magisches Wasser, als ich den Hekashin verließ, das müsste vor einigen Tagen gewesen sein. Meister Nekohiko legte es so an, dass es mir half den Durst zu stillen.“ Oh je.

Prompt kam die Frage, die ich befürchtete. „Falsches Blut, also. Warum gab er dir nicht seines?“

„Es hätte nichts geholfen, oyakata-sama. Kein Blut dieser Welt kann mir mehr helfen, kein Mensch, kein Yōkai, nicht einmal ein anderer Daiyōkai.“

Seine nächste Frage bewies nicht nur, dass er auf dem Weg der Erholung war, sondern auch warum er ein Feldherr geworden war. „Kein anderer Daiyōkai. Nur mein Blut.“

„Wenn Ihr ein anderer wärt, würde auch das Blut eines anderen Daiyōkai helfen, aber, wer würde es mir schon erlauben … Und, da Ihr eben seid, wer Ihr seid, nämlich der Träger der Blutlinie, die So´unga beherrscht, tja.“

„Von meinem Sohn könntest du auch trinken.“

„Von Eurer Tochter, Euren Enkeln, ja. Aber die Sache ist eben die, dass ein Flohgeist, der sich zu hoch gewagt hat, verhungern wird.“

„Darum also hast du mich gesucht.“

Nicht wirklich. „Ich wollte Euer Leben retten. Ihr hattet es für mich getan. Aber ich war und bin mir bewusst, dass Ihr mich kaum mein Leben lang durchfüttern wollt.“ Fangzähne blitzten und nach einer vollen Sekunde Panik wurde mir bewusst, dass er lächelte. Dieses so warme Lächeln, das mich erst in diese Lage gebracht hatte. Warum? Dann dämmerte mir allerdings eine Erklärung. Man sagte Hundedämonen eine überaus feine Nase nach, so fein, dass sie jede Lüge bemerken würden. Das hatte ich im Moment ganz vergessen gehabt.

„Wie lange willst du mich denn noch begleiten?“

Gute Frage, müde, durstig, wie ich war. „Am liebsten solange, bis Ihr sicher im Westen bei Euren Kriegern seid. Aber ich weiß nicht, ob und wie lange ich das durchhalte. Ich bin bereits sehr am Limit.“

„Ein Flohgeist mit Ehre im Leib!“

Ich wusste wirklich nicht, ob er das spöttisch meinte oder wirklich überrascht war.

Aber er fuhr ruhig fort: „Dann gehe doch durch den Bann und sehe nach, ob sich irgendwo dort Drachen herumtreiben. Denn in einem gebe ich dir recht, Floh – wir sollten in den Westen. Wie lange ist es her seit meiner Entführung?“

„Ich schätze acht Tage. Sicher weiß ich es nicht. Ein Bote kam zu Meister Nekohiko, der ihn informieren wollte. Da wurde der Heerbann gerade aufgerufen und die Regentin hatte einen zusätzlichen Bann um das Schloss gelegt.“ Hatte ich ihm das nicht schon gesagt? Aber er war wohl auch nicht gerade besonders gut drauf. Gewesen, zumindest, denn er schien sich gut zu erholen. „Die Krieger werden sich wohl um den Ort Eures Verschwindens aufhalten.“

„Dorthin gehen wir sicher nicht. - Raus mit dir jetzt.“

Ich gehorchte eilig, da ich durchaus realisiert hatte, dass er von „wir“ gesprochen hatte, also anscheinend mich mit einbezog, mich nicht direkt umbringen wollte. Das war schon einmal etwas. Nur, warum nahm er an, dass ich durch den Bann… Nun, ich kam durch, und als ich mich umwandte erkannte ich auch den Grund. Das war kein Zauber, der einen Durchgang verweigerte, nur eine Illusion, dass es sich hier auch um Felsen handelte. Zu mehr war der Taishō wohl nicht mehr in der Lage gewesen. Hastig, so gut ich es noch vermochte, hüpfte ich draußen herum und erkundete die Gegend, mehr als motiviert von der Tatsache, dass er mich in den Westen mitnehmen wollte. Nun ja, selbst, wenn er mich noch einmal trinken ließ, sollte ich mir keine Illusionen machen. Der Machtunterschied zwischen uns war einfach zu riesig. Aber, was sollte es, er hatte mich wieder angelächelt, mich wieder so angesehen…. Dafür würde ich wahrlich sterben.

 

Als ich zurückkehrte, sah er mich nur an.

„Ich konnte in weitem Umkreis keinen Drachen sehen, bin zur Vorsicht jedoch auch noch ein gutes Stück Richtung der Einöden des Hoyama gesprungen.“ Müde ließ ich mich nieder. Ob ich das je noch.in den Westen schaffen würde, immerhin doch meine Heimat? „Ryuichi scheint anzunehmen, dass Ihr schnurstracks auf dem kürzesten Weg zurück wollt. Der Weg östlich um den Feuerberg scheint frei zu sein.“

Der Taishō lehnte sich zurück an die Felswand. „Ryuichi scheint das anzunehmen. Das Problem, mein lieber Myōga, ist nur, dass man nicht König der Drachen wird, wenn man nur stark ist.“

„Ihr meint, man sollte nie denken, dass jemand ein Narr ist, nur, weil er sich wie einer verhält?“

„In der Tat, mein Berater. Umso mehr muss ich mich beeilen. Wann wird es dunkel?“

„Das dauert noch, die Sonne hat erst gerade den Höhepunkt überschritten, oyakata-sama.“ Er hatte mich Berater genannt. Sicher, nur im Scherz, aber das wärmte doch etwas.

„Gut. Dann regenerieren wir uns bis dahin. Und dann werde ich die Einöden so rasch durchqueren wie ich es vermag – und die kleine Last tragen.“

„Vielen Dank,“ gestand ich ehrlich und ließ mich ebenfalls nieder. Das Tempo, dass ein Daiyōkai, noch dazu bestimmt in seiner wahren Form, selbst so matt noch vorlegen könnte – nichts mehr für mich und meinen Durst. Ich sah, dass er den Kopf schräg legte und mich musterte. Was war denn jetzt los? Ich hatte doch nichts falsch gemacht, sonst hätte er mich schon getadelt oder platt gedrückt. Nein, nicht umgebracht, er hatte gesagt WIR würden in den Westen gehen und, nach allem, was ich gehört hatte, ging ich davon aus, dass ein Daiyōkai nie von seinem Wort zurücktrat.

„Du hast mich nicht gefragt, wo So´unga sich befindet.“

„Das geht mich ja auch wirklich nichts an,“ erwiderte ich prompt. Ich entsann mich der seltsamen Ausstrahlung des Höllenschwertes – und, dass Meister Nekohiko gemeint hatte, es würde alle übernehmen, außer dieser einen Hundelinie. Was meinte er nur? Er zog so seltsam die Augen zusammen. Glaubte er etwa doch noch, ich könnte für den Drachenkönig arbeiten? Vielleicht, weil der Schamane uns doch geholfen hatte?

 

Aber dann schloss er die Augen und ich folgte diesem Beispiel, sicher, mich nicht noch in der letzten Zeit meines Lebens sinnlos bestrafen zu lassen. Und ja, zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit dem Leben abgeschlossen. Falls ich es schaffte, würde ich ihm so gut ich es vermochte in den Westen helfen, in Sicherheit, zu seinen Kriegern. Wenn ich vorher starb … nun ja. Ich war sicher, er würde mir ein Grab geben. Alles andere außer seiner Sicherheit, seinem Leben, war doch nichts mehr wert.

Mein Daiyōkai, mein Freund. Aber, das würde ich ihm nie wagen zu sagen.

 

Ich erwachte erst, als mein Name fiel und sah auf. Da der Taishō vorwärts rutschte, folgte ich ihm aus der Grotte. Ja, es war dunkel geworden.

Er stand im Mondlicht, eigentlich nur an den langen, weißen Haaren erkennbar, und prüfte die Größe des Mondes. „Fast Halbmond. Es bleibt nicht viel Zeit. Nun dann.“ Mit deutlich mehr Yōki als das letzte Mal verwandelte er sich in seine Hundegestalt. Ich sprang ohne zu zögern auf seinen Nacken, klammerte mich dort fest, als er los galoppierte. In einem weiten Bogen um den Hoyama, durch die dortigen Einöden.

Ich musste unwillkürlich an das Dorf der Fliegengeister denken, durch das ein riesiger weißer Hundeyōkai so gebrettert war – er hatte sie bestimmt nicht einmal wahr genommen. Das war ein Tempo! Mit weiten Sprüngen, immer geradeaus, sicher die Richtung haltend. Über Spalten, in denen unten Feuer loderte, Risse in der Lava. Manchmal nur machte er eine Kurve und ich vermutete, dass dort entweder der Boden zu dünn war oder kochendes Wasser aus dem Boden schießen konnte. Wenn ich jedoch bedachte, wie lange ich hier durch gebraucht hatte …

 

In der Morgendämmerung erkannte ich in der Ferne eine schwarze Linie, die sich mit besserem Licht und im Näherkommen als bewaldete Hügel zeigten. Das war sicher das Ende der Einöden, der Westen.

Kaum, dass wir den Wald betraten, wenn man das so sagen kann, denn mein Daiyōkai war langsamer geworden, verwandelte er sich zurück. Ich guckte fragend von seiner Schulter auf, aber er sah sich um, witterte, sicherte.

Dann erst blickte er zu mir. „Nun, den Westen haben wir erreicht. Ich spüre die Magie. Du siehst schrecklich aus nach dem Ritt.“ Und das war Spott.

Ich wollte schon die Schultern zucken, als ich erstarrte, denn seine Klaue schwebte vor mir, vor seiner Schulter, aber sie griff nicht nach mir. Ich war sicher über meinem Kopf stand nicht nur ein Fragezeichen.

„Komm vorne in meine Rüstung, kleiner Floh.“ Das klang nachsichtig. „Kriech in meinen Haori und trinke.“

WAS? Ich hätte es fast geschafft von seiner Schulter zu kippen. So fasste er mich mit zwei Fingern und schob mich einfach hinein. Das zweite Mal, dass er mir helfen musste sein Blut zu trinken. Ich sollte dankbar sein, aber dazu sah ich mich nicht mehr in der Lage. Da war Wärme, war Schutz, war Blut, war … mein Leben und so trank ich, nicht, bis ich rund war, das wäre in der Rüstung zu eng gewesen, aber ich gesättigt war. Dann erst fühlte ich, dass er durch den Wald schritt, offenbar mit einem gewissen Ziel. Behutsam zog ich mich aus dem Haori zurück und setzte mich zwischen diesen und die Rüstung. Das war bestimmt höflicher als auf seiner bloßen Haut zu sitzen. Nur, wohin wollte er? Zu So´ungas Versteck? Und ich sollte das nicht sehen? Auch gut. Ich fühlte mich stark wie eh und je, nun ja, wenn ich das Blut eines Daiyōkai getrunken hatte. Es würde lange vorhalten, wenn ich mich nicht wieder so verausgabte.

„Auf meine Schulter, Myōga.“

Und wieder überraschte er mich. Mochte es in seiner Rüstung auch bestimmt der sicherste und angenehmste Platz der Welt und des ganzen Universums sein – nicht, wenn er mich da nicht wollte. So gehorchte ich wortlos. Er ging durch einen Wald, über Hügel, durch bewaldete Täler und ich bemerkte sehr wohl, dass Yōkai ihre Energie verbargen, wenn er sich näherte, Tiere verstummten. Er war ein Daiyōkai und sein Wesen war Macht. Nun gut, hier auf seinem Fell saß ich vermutlich auch recht sicher. Sollte ich etwas fragen? Nein, lieber nicht. Obwohl mich schon interessiert hätte, wohin wir gingen. So sagte ich nur: „Danke, oyakata-sama.“

Keine Antwort.

Erst zwei Hügel weiter blieb der Taishō halten, als suche er etwas, orientierte sich und ging dann in eine andere Richtung weiter. „Du bist intelligent,“ stellte er dann fest.

Das war zwar schmeichelhaft, aber ich meinte: „Für einen Flohgeist?“

„Um die Wahrheit zu sagen, ich kenne wenige Leute, die ihre Grenzen sehen und einhalten.“

„Dann bin ich wohl töricht, denn ich verstehe nicht, was Ihr meint.“

„Du hast mir einen sehr großen Gefallen getan, unter Risiko des eigenen Lebens, denn dir war klar, was passiert, wenn dich die Drachen erwischen. Dennoch nimmst du dir weder die Freiheit nach dem Höllenschwert zu fragen noch mich darum zu bitten dir als Austausch erneut mein Blut zu überlassen.“ Er klang fast als ob er mit sich selbst redete und ich hütete mich zu dem Kompliment, das sicher eins sein sollte, etwas zu sagen. „Dir war klar, dass es allein meine Entscheidung ist. Und immer sein wird.“

Sollte das heißen… Nein, ich interpretierte vermutlich zu viel hinein. „Natürlich ist es das, oyakata-sama. Ich bin mir der Macht eines Daiyōkai, Eurer Macht vor allem, vermutlich mehr bewusst als sonst jemand. Ich spüre Euer Blut in meinen Adern.“

„Das ist wahr, und außer meinem Sohn bist du das einzige Wesen. Nun gut. Ich gehe zu einem Treffpunkt. Zum Glück ist es noch genug Zeit, wo ich jemanden treffen werde, der So´unga hatte.“

„Das geht?“ entfuhr es mir.

„Er ist ein junger, aber überaus talentierter, Schmied, der sich selbst von dem Schwert der Hölle nicht übernehmen lässt. Zugegeben, ich war froh ihn zu finden. Allerdings hütete er sich seinen Wohnort mir zu sagen. Zum Glück gab ich nach.“

„Zum Glück.“

„Ich wusste tatsächlich nicht, wo sich So´unga befand, als Ryutsubasa mich ….fragte.“ Er sah kurz zu mir. „Oh, danke. Du hast wirklich geglaubt, ich hätte dieser Tortur widerstehen können? Du überschätzt meine Macht. Es gibt Grenzen, bis wohin man etwas verschweigen kann, wenn man es weiß.“

„Ich begreife,“ sagte ich langsam, wirklich überrascht von diesem, doch recht intimen, Geständnis. „Der Schmied nahm das Schwert und trug es mit sich nach Hause und Ihr machtet mit ihm Ort und Zeit der Rückgabe aus. Das hättet Ihr allerdings den Drachen sagen können.“

„Dann käme er nicht. Tōtōsai ist ein sehr guter Schmied mit überaus heikler Kundschaft. Und, er schmiedet nur für Leute, die er leiden kann.“

„Dann wundert es mich bei Euch nicht“, erklärte ich ehrlich.

Es war ein sehr schalkhaftes Lächeln, das mich streifte, ehe er einen Satz einen Abhang hinunter machte. Dort befand sich eine Lichtung mit einem riesigen Baum in der Mitte. Ohne weiteres ging der Taishō darauf zu und ließ sich nieder, lehnte sich daran, eindeutig auf diesen seltsamen Schmied wartend, der ihm das wohl gefährlichste Schwert aller Welten wieder bringen sollte. Hoffentlich hatte er sich nicht geirrt. Aber anscheinend herrschte im Westen noch Frieden, mordete So´unga nicht.

 
 

Ein Herrscher, der nicht weise ist, kann auch nie weise beraten werden

Sprüche Salomos

 
 

Ich blieb in dem weichen Schulterfell sitzen. Floh will ja nicht ausgerechnet einen Daiyōkai beim Nachdenken stören. Und, was hätte ich auch fragen sollen? Er wartete hier auf einen Schmied, dem er So´unga anvertraut hatte, das mit Sicherheit gefährlichste Schwert aller drei Welten. Hoffentlich verdiente der Schmied auch das Vertrauen und kam.

 

Ich weiß heute nicht mehr, wie viel Zeit vergangen war, als ein lautes Plopp mich vorsichtig aufsehen ließ. Der Inu no Taishō erhob sich geschmeidig. So war ihm fast nichts mehr anzumerken, aber ich konnte noch immer spüren, dass sein Yōki bei weitem noch nicht die Höhe erreicht hatte, wie damals, als wir uns das erste Mal trafen. Nun, das war eigentlich klar.

Ein wenig erstaunt sah ich auf einen jungen Ochsen mit drei Augen, der offenbar gerade vom Himmel gekommen war. Von seinem Rücken glitt eindeutig ein Schmied, das verriet der Geruch, die Berufskleidung ebenso wie die Tatsache, dass er seine schwarzen Haare nach oben zu einem Zopf gebunden hatte – sicher, um sie nicht versehentlich im Feuer zu versengen. In seinen Händen lag eine Schwertscheide , die auf ein recht große Klinge hindeutete. Ja, fiel mir ein, der Herr trug sie ja auf dem Rücken.

„Tōtōsai,“ lautete die sachliche Begrüßung, die mir den Namen des Schmiedes verriet.

„Na, du hast ja vielleicht Nerven, Taishō!“

Die Antwort des Unbekannten ließ mich fast zusammenzucken. Der duzte einen Daiyōkai, einen Feldherrn, den Vater des derzeitigen Fürsten des Westens? Da fragte sich wohl eher, wer da Nerven hatte.

Tōtōsai fuhr etwas gereizt fort: „Hier, nimm das Höllending wieder! Und ich sage dir, wenn du den ganzen Westens mir schenken würdest – ich rühre dieses Schwert nie wieder an!“

„Gab es Ärger?“

„Minimal. Ich meine, nur ein sehr dummer Schmied lässt sich von einem Schwert übernehmen, selbst, wenn er es nicht selbst geschmiedet hat. Aber das Ding redet in einer Tour und verspricht einem Himmel und Hölle.“

„Es lügt.“ Der Taishō schnallte sich seelenruhig die Scheide auf den Rücken. „Meine kleine Bitte hat dir also Ärger verursacht?“

„Wenn du nicht gebeten hättest, wäre ich nicht einmal in meinen Alpträumen auf die Idee gekommen, das anzurühren“

„Du bist nun einmal ein Genie.“

„Hrm.“ Tōtōsai schien geschmeichelt und beruhigte sich etwas, ehe er erneut Atem holte. „Und, was dich betrifft, du komischer Hund – weißt du eigentlich, dass der ganze Westen der Meinung ist, dass du im Kerker der Drachen sitzt, oder eher gerade umgebracht wirst? Dass der Heerbann zusammengerufen wurde? Und dann sitzt du hier seelenruhig unter einem Magnolienbaum, der noch etwas älter ist als du – und … Ach, wie nennt man so etwas?“

„Korrekt.“

„Was?“

„Ja, ich war im Drachenkerker und ja, ich sollte hingerichtet werden. Die Tatsache, dass ich dir So´unga gegeben hatte, war das Einzige, was Ryuichi davon abhielt in den Westen einzufallen. Nun, nicht nur.“

Ich sah, wie die Augen des ziemlich unhöflichen Schmiedes groß wurden. Aber er musste wirklich nicht nur ein Genie, sondern ein Unikat sein, wenn er nicht nur mit dem Höllenschwert umgehen konnte, sondern auch ungestraft so mit einem Daiyōkai reden konnte.

„Hör mal Taishō, ich weiß nicht, was passiert, wenn ein Hundeyōkai manche bunte Pilze im Wald futtert, aber niemand entkam je dem Drachenschloss ….“

„Myōga.“

Der Befehl ließ mich aus dem Schulterfell kriechen und diesen Tōtōsai angucken.

Der rang sichtlich nach Atem. „Gut, jetzt habe ich alles gesehen. Taishō, das ist ein Flohgeist!“

„Stimmt.“ In der Stimme meines Daiyōkai lag gewisse Erheiterung. Der wusste wohl, mit wem er redete und wollte den auf den Arm nehmen.

„Und du bist ein Hund, ein Daiyōkai noch dazu.“

„Das stimmt auch, mein guter Tōtōsai.“

„Was glaubst du eigentlich, was deine Gefährtin sagt, wenn du ihr Flöhe aus dem Drachenkerker in ihr schickes Schloss schleppst?“

„Danke, vermute ich.“ Der Herr der Hunde wurde ernst. „Tōtōsai, das ist Myōga, mein Berater. Und du wirst dich gegenüber ihm anständig benehmen.“

Tōtōsai warf mir einen Blick zu. „Berater, ja? Kannst du auch reden, Berater Myōga?“

„Ich rede nur, wenn ich gefragt werde,“ gab ich hoheitsvoll zurück. Berater, das klang gut. Und, verrückt oder nicht, es stand außer Frage, dass der Schmied eine Art Freund des Daiyōkai war. Und dem hatte er mich so vorgestellt!

„Fast.“ Ein sanftes Lächeln des Taishō galt mir. „Nun, sagen wir, in Notfällen.“

Ja, das musste ich zugeben, ich hatte ihn angeredet, angeschrien, ihn gestochen, beleidigt – aber alles nur zu dem Zweck ihn wach zu bekommen und aus dem Kerker. Aber davon sollte wohl Tōtōsai nichts erfahren.

Mein Daiyōkai richtete sich auf und spürte anscheinend. „Du solltest gehen, Tōtōsai. Dein Auftritt und der meine haben Krieger alarmiert. Sie werden gleich hier sein. Und … natürlich.“ Erneut ein Lächeln, fast mit Zuneigung, das sichtlich keinem von uns beiden galt.

Ich konnte es nicht deuten, aber Tōtōsai wurde merklich blass. „Sie kommt?“

„Sie weiß stets, wenn sich ein Daiyōkai im Westen aufhält und die Grenzen durchbricht.“

„Äh, naja, dann ...wir sehen uns, Taishō. Viel Spaß mir ihr, Myōga!“

Keine Minute waren Ross und Reiter, natürlich Ochse und Reiter, verschwunden.

So erlaubte ich mir einen fragenden Blick.

„Die Regentin des Westens. Sie weiß, dass ich entführt wurde, aber nun ahnt sie gewiss nicht, dass ich zurück bin und will den Eindringling stellen.“

„Eine Frau?“

„Sie ist die Regentin. Und lehrtest du mich nicht, auch sie zu beachten? Ich kam nur durch den Bannkreis, weil ich ihn kenne. Umso alarmierter wird sie sein. Und sie ist eine besorgte Mutter, nicht zu vergessen. Auch ein anderer Daiyōkai hätte erhebliche Probleme mit ihr. Und einem kleinen Geschenk, das ich ihr zur Geburt unseres Sohnes überreichte. Verschwinde in meinem Panzer. Die Krieger brauchen dich einstweilen nicht kennen zu lernen.“

Aber die Regentin, war daraus zu schließen. Na, hoffentlich ging das gut. Immerhin sollte mich mein gerade erworbener Status als Berater doch vor der Dame schützen? Aber als Regentin war sie doch eigentlich wohl dem Taishō gegenüber befehlsbefugt? Gut, eigentlich der Sohn. Na, das konnte ja sowieso etwas werden, wenn der Sohn schon in der Wiege dem Vater Befehle erteilen könnte? Oder konnte er eben nicht, weil Vater zu Kind immer etwas anderes war? Nun ja, ich würde ja merken, wie sie den Welpen erzogen. Wie der wohl war? Jedenfalls war ich erst einmal in Sicherheit, falls mein Daiyōkai nicht auf den spontanen Einfall kam einen Rachefeldzug gegen Ryuichi zu unternehmen und mich mitzunehmen. Das würde ich ihm wohl ausreden müssen.

 

Ich konnte es so nicht sehen, aber da stürmten mehrere Dämonen auf die Lichtung, dem Yoki nach zu urteilen. Das sie hastig unterdrückten, vermutlich, als sie sahen, wer sich zu ihnen umdrehte.

„Herr!“

Wahrscheinlich warfen sie sich zu Boden.

„Wir glaubten ….“

„Ihr glaubtet, Ryuichi wäre in der Lage mich aufzuhalten.“ Der Taishō klang eisig und wohl nur ich erriet, dass das nicht dem besorgten Redesprecher galt, sondern dem Drachenkönig samt ältesten Sohn.

„Dem war offenkundig nicht so,“ sagte eine weibliche Stimme, deren Besitzerin einen Schwall an Energie vor sich herschob, der mich fast erschreckte. Das musste die Regentin sein.

„Ich werde der Herrin des Schwebenden Schlosses Bericht erstatten. Allerdings wäre es wichtiger den Heerbann, den Ihr freundlicherweise bereits gerufen habt, in Richtung Drachen zu führen. Ryuichi schien mir ein wenig ...angespannt, als ich entkam. Der Westen muss geschützt werden.“

„Natürlich, Taishō. Ich darf sagen, dass ich erfreut bin, dass Euer Yōki rein ist.“

Ich wusste nicht, was sie meinte, aber mein Daiyōkai nickte. „Sie haben mir Schmerz zugefügt, waren aber nicht in der Lage mich zu übernehmen. Später dazu mehr, wenn Ihr gestattet. - Geht ihr nun und alarmiert den Heerbann. Wir treffen uns an der Grenze zu den Einöden des Hoyama.“

Ich konnte spüren, dass die Krieger hastig davon liefen.

„Myōga.“

Ich sprang gehorsam aus dem Panzer und setzte mich auf sein Schulterfell. Das also war die Regentin? Hu! Die Yōki war wirklich nicht von schlechten Eltern und ihre goldenen Augen musterten mich ebenso eisig wie es die des Taishō vermochten. Sie war jung, schön und mächtig, das war schon mal klar. Die weiße Boa um ihre Schultern war sicher ebenso ein Rangabzeichen wie der Sichelmond auf ihrer Stirn. Schneeweiß fiel das Haar. Ich guckte lieber zu meinem Daiyōkai, denn sie sah mich so an, dass ich nicht annahm auch nur noch fünf Minuten zu leben, wenn ich dessen Schulter verließ.

Ein Mundwinkel zuckte erheitert hoch. „Ja, das dachte ich auch, als ich ihn das erste Mal sah, Teuerste. Das ist Myōga, ein Flohgeist. Ich habe ihn zu meinem Berater ernannt, denn er ist einer der klügsten, aber sicher der mutigste Mann, den ich je außerhalb eines Daiyōkai traf.“

Ich wollte fast etwas über diesen Ausschluss protestieren, aber dann fiel mir ein, dass der Taishō sicher nicht den verstorbenen Fürsten beleidigen wollte.

Sie hob die schmalen Augenbrauen. „Mutig?“

„Ohne ihn wäre ich nicht hier. Er folgte mir in den Kerker der Drachen und zeigte mir den Weg hinaus. Lasst es Euch erzählen, während ich ein Treffen mit Ryuichi und vor allem Ryutsubasa habe. Sie wollten So´unga von mir, nun sollen sie den Höllendrachen kennen lernen. - Ich habe So´unga zufällig verborgen gehabt.“

Das war gelogen, aber er wollte wohl nicht, dass sie von Tōtōsai erfuhr, vielleicht auch nur jetzt nicht. „Zu ihr, Myōga.“

Ich sprang und spürte schon in der Landung, wie sich die Härchen der Boa unter ihrer Energie aufrichteten. Na, begeistert war sie nicht einen Floh in dem tadellosen Pelz zu haben. Aber immerhin zuckte sie weder zusammen noch hob die Klaue.

Da der Feldherr, leider, verschwand, immerhin ohne auf die Idee gekommen u sein, ich solle ihn in iene Schlacht begleiten, sah ich fragend etwas empor.

Sie musterte mich. Erst nach einer Weile, in der mir der Schweiß ausbrach, sagte sie: „Du schweigst, Floh?“

„Ihr hattet mich nicht zu Sprechen aufgefordert,“ erschien mir die beste Antwort. Der Taishou mochte ja nett sein, aber, wie ich damals schon ahnte und später nur zu gut feststellte, alle Hundeherrschaften waren impulsiv und spontan. Und skrupellos.

Sie wandte sich um. „Wie hast du ihn kennengelernt?“

Ich wollte schon fragen, was sie meinte, als mir es einfiel. Er hatte ja gesagt, ich sei ihm in den Kerker der Drachen GEFOLGT – also mussten wir uns zuvor bereits begegnet sein. Da war jemand von schneller Auffassungsgabe. „Vor einigen Jahren, werte Dame.“ Ach herrje. Es gab da bestimmt den einen oder anderen Prunkt, den ich nicht erwähnen sollte, aber, wie sollte ich das unselige Abflussrohr umgehen? Ach du armer Floh!

 
 

 <br>

Zweifle nicht an dem, der dir sagt, er hat Angst

Aber hab Angst vor dem, der dir sagt, er kenne keine Zweifel.

 

Erich Fried

 
 

Tja, wie hatte ich den Taishō kennen gelernt und was alles durfte ich der Dame erzählen? Eine Lüge würde sie definitiv wittern – mit unschönen Folgen für mich, auch, wenn ich wohl am Leben bleiben würde. Zumindest, bis der Herr von einem Patzer meinerseits erfuhr. Zum ersten Mal bemerkte ich, in was für eine mächtige, aber auch schwierige, Familie ich da reingeraten war.

„Äh, es war vor einigen Jahren, edle Dame. Ich war auf dem Weg zu meinem neuen Lehrer. Nekohiko. Er lebt im Wald Hekashin. In den Einöden des Hoyama verlor ich meinen Weg und war dem Hungertod nahe, als ich Yōki spürte, sehr mächtiges Yōki. Irgendwann, ich weiß nicht mehr genau wie lange es dauerte, ich war wirklich sehr schwach geworden, erreichte ich einen unverkennbaren Kampfplatz und folgte der Fährte des Siegers. Nicht gerade in der Hoffnung er ließe mich trinken, aber in der vagen Hoffnung er kenne den Ausweg aus diesen Einöden. Ich war sehr schwach, ja, dem Tode nah. Noch kaum mehr bei Bewusstsein kroch ich in sein Fell. Natürlich fand er mich.“ Ich sah vorsichtig auf, aber sie hörte nur zu, sah schweigend geradeaus, ohne in ihrem Spaziergang inne zu halten. „Ich wusste, dass mein Leben zu Ende war und bat ihn um einen schnellen Tod. Stattdessen erlaubte er mir sein Blut zu trinken und rettete mir damit das Leben. Danach unterhielten wir uns. Ich erzählte von meinem Plan in den Hekashin zu gehen und er erwähnte, dass er zu dem Fürsten des Westens gehen wolle um dessen Taishō zu werden. Danach trennten wir uns.“ Jetzt sollte ich noch besser aufpassen. „Ich lernte vieles bei Meister Nekohiko. Eines Tages kam jemand vorbei, der dem Meister erzählte, dass der Westen den Heerbann aufrief und der Taishō verschwunden sei, wohl von Drachen entführt. Ich musste sowieso den Hekashin zu diesem Zeitpunkt verlassen, aber das war nicht der alleinige Grund. Vielleicht glaubt Ihr es nicht, edle Dame, aber auch ein Flohgeist hat Ehre. Der Taishō hatte mir das Leben gerettet. Da das Heer nicht durch den Bannkreis der Drachen käme, blieb nur die Hoffnung, dass die Magier, die ihn gelegt hatten, nicht an ein so kleines, schwaches Wesen wie mich gedacht hatten. Meister Nekohiko gab mir etwas mit, damit ich einmal durch den Bannkreis käme. Eine Person einmal.“

„Der Taishō hinaus.“

„Ja. Wenn der Bannkreis auch mich abweisen würde, wäre es das. Nun ja. Ich entkam den Drachenwachen und spürte nicht einmal, dass ich durch den Bannkreis gelangte. Plötzlich erkannte ich vor mir die Drachenfestung. Ich suchte einen unauffälligen Weg hinein, was sich als recht schwer entpuppte. Ich habe es nicht mit Magie und der Eingang liegt ebenfalls hinter einem Bannkreis verborgen. Ich fand jedoch ein Rohr, mit dem wohl ab und an Wasser aus der Burg in den Graben geleitet wurde. Natürlich war es auch gesichert und der Zauber schmerzte, aber … Nun ja. Ich schaffte es ungesehen bis zum Thronsaal der Drachen.“

Jetzt blieb die Regentin nicht mehr ganz so ungerührt und wandte mir den Kopf zu, ohne jedoch stehen zu bleiben.

„Gerade zu recht, werte Dame, denn der König hatte sich eben entschlossen den Heiler zu dem Taishō zu schicken, damit dieser sich weit genug erholen könne um am nächsten Tag hingerichtet zu werden. Ich … ich klammerte mich an den Mantel des Heilers und gelangte so in den Kerker, zu dem Taishō. Dort verbarg ich mich, während der Heiler seine Aufgabe erledigte und verschwand. Dann gab ich mich dem Herrn zu erkennen. Es gelang mir die Fesseln aufzumachen, so dass er …“ Fliehen war ein ziemlich heikles Wort und da war auch noch das Abflussrohr. „Nun ja. Er tötete den Wachposten vor der Tür und ich wies ihm den Weg, wie ich hineingekommen war.“ Nur nicht erwähnen, dass es durch eine Badewanne gegangen war, wie eng es gewesen war. „Der Herr erholte sich rasch und wir kamen zu dem Bannkreis, den ich mit Hilfe des Zaubers meines Meisters auch für den Taishō öffnen konnte. Durch einen Umweg über den Norden des Hoyama entging der Herr den Drachenposten, die vornehmlich südlich aufgestellt sind und kam her, um sein Schwert wieder aufzunehmen.“

„Warum hatte er es verborgen?“

„Es steht mir nicht zu ihn danach zu fragen, werte Dame.“ Das sollte sie selbst wissen und klang sicher besser, als dass er es einem vorlauten, vertrottelten Schmied in die Pfoten gedrückt hatte. Oder dass ich ihm den Tipp gegeben hatte wo die Drachenposten standen.

Sie schloss auch nur kurz die Augen, ehe ein Lächeln um einen Mundwinkel spielte, das mir einen eisigen Schauder über den Rücken jagte. „Floh, gleich, was du dem Taishō getan hast – versuche einmal von meinem Welpen zu trinken und du stirbst. Gleich.“

Schade, aber das war ja zu erwarten gewesen. Dennoch meinte ich: „Bitte, traut mir etwas Überlebensinstinkt zu, Herrin. Ich werde niemals das Blut eines Daiyōkai ohne dessen Einladung trinken.“

„Du hast es bereits versucht.“

Sie hatte aufgepasst und war intelligent. „Das stimmt, aber ich war da bereits mehr tot als lebendig.“ Das mit der Blutlinie könnte ich vielleicht später einmal versuchen, wenn der Welpe älter wäre und nicht mehr so von seiner Mutter bewacht wurde. Dachte ich zumindest. Ich konnte ja nicht ahnen, dass der Sohn, der älteste Sohn des Taishō ein dermaßen, äh, reizendes Temperament besitzt. Damals war er nur gut einen Meter groß, ohne den Schwanz mitzurechnen, und konnte sich noch nicht einmal in seine Menschenform verwandeln. Dennoch war sein Yōki bereits deutlich und beachtenswert. Nun ja, bei den Eltern?

 

Der alte Flohgeist atmet tief durch. „So, Miroku, hier kannst du aufhören zu schreiben, denn der zweite Band soll beinhalten, wie ich als Berater fungierte und dergleichen.“

Der Mönch legt erleichtert die Feder aus der schmerzenden Hand und betrachtet nachdenklich die Papiere. „Das willst du wirklich veröffentlichen?“

„Ja, warum nicht? Ich bin doch der Einzige noch, der das alles weiß.“

„Lebt diese Dame noch?“

„Äh, sie. Ja, sicher. Ich gehe auch davon aus, dass der Herr ihr das Meiste damals unter vier Augen dann erzählte.“

„Und du willst wirklich veröffentlichen, dass der Taishō so geschwächt war, durch ein Abflussrohr kriechen musste …“ Miroku seufzt. „Du weißt doch vermutlich, was Sesshōmaru von seinem Vater hält? Und du glaubst, der würde dir eine solche Blamage seines Erzeugers durchgehen lassen?“

„Das sollen ja nur Menschen lesen, soll nur für Menschen veröffentlicht werden,“ erklärt Myōga unverzüglich, ohne verhindern zu können, dass plötzlich eine große Schweißperle auf der Stirn steht. „Ich glaube kaum, dass er je Bücher für Menschen in die Hand nimmt, wo er selbige doch so gar nicht schätzt.“

„Ich will deinen Optimismus nicht trüben, aber … Kagome? Wenn sie Inu Yasha erzählt, dass ein Buch über seinen Vater existiert und der das beim nächsten Duell, äh, Trainingskampf der Zwei erwähnt? Überdies ….“ Er nickt nach außerhalb des Hauses, wo der freudige Aufschrei eines jungen Mädchens zu vernehmen ist.

„Sesshōmaru-sama!“

Der Mönch zuckt ein wenig die Schultern. „Es ist natürlich dein Buch, es sind deine Memoiren. Und es ist dein Leben.“

„Dann hätten wir uns doch ganz umsonst die Arbeit gemacht.“ Myōga verschränkt zwei Hände und kratzt sich mit der dritten an der mittlerweile schweißgebadeten Stirn. „Ich sehe ja durchaus die Bedenken und die Zweifel und… Aber, weißt du was? Du nimmst alle Blätter und wirfst sie in den Knochenfressenden Brunnen. Mit ein bisschen Glück verschwinden sie in der Zeit, in die Zeit, aus der Kagome stammt. Dann werden es doch nur Menschen lesen.“

 

Miroku ist sich da nicht ganz so sicher.

Kagome hatte einmal Shippō erzählt, dass der Gedanke an Kitsune nicht ausgestorben sei, obwohl sie in ihrer Zeit keine Dämonen mehr, nun, so gut wie, gesehen habe. Es gäbe noch immer die Erinnerung an einen Feuerfuchs in diesem Netz oder wie sie es genannt hatte.

Aber gut. Da draußen schlendert irgendwo ein sehr mächtiger Hundedämon durch das Dorf, den eine Beleidigung seines Vaters zu sehr finalen Aktionen treiben könnte. Sein eigenes Schwarzes Loch existiert auch nicht mehr. Nun gut. Der Knochenfressende Brunnen hatte einst sogar das Höllenschwert abbekommen und es in Kagomes Zeit transportiert. Warum also nicht ein paar Blätter. Er steht auf.

„Also schön, Myōga. Dann gehen wir mal hinüber. Myōga? Flohopa?“

Aber der ist bereits über alle Berge.

 
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel beginnen also die Erinnerungen eines alten Flohgeistes. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel erfährt der unerfahrene junge Floh, dass seine Pläne den ein oder anderen Haken haben... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Es mag gut sein einen Sprung zu kennen, der einen weit führt, aber, wenn man die Richtung nicht bestimmen kann...? Das nächste Kapitel bietet Myouga allein zuhause, zu ja, mit Meister Mikoto, sowie ein bis zwei Kathastrophen (von Verlobungen mal abgesehen....)


hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Armer Floh, allein im Wald.... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Der arme Floh bekommt nicht einmal mit wieviel er lernt, während er so durch die Gegend hetzt Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Während des kleinen Zeitsprungs haben sich die Probleme eines kleinen Flohgeistes wohl soeben potenziert. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das mit dem Löwen und dem Floh ist ein Zitat von Alfred Brehm. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel geht es also in die Kanalisation. Hoffen wir mal, dass kein Drache unter Schlaflosigkeit leidet und einen gewissen Jemand nicht so weit die Kräfte verlassen, dass er seine wahre Gestalt annehmen muss.....

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja, was sagt floh, ohne die Dame zu verärgern oder den werten Taishou bloß zu stellen? Und ohne Mama zu erklären, dass er im Notfall auch das Blut von Baby-Sess zum Überleben bräuchte? Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (39)
[1] [2] [3] [4]
/ 4

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kerstin-san
2023-02-27T17:56:25+00:00 27.02.2023 18:56
Hallo,
 
das war eine sehr unterhaltsame Reise, auf die man mitgenommen wurde und ich bin fast etwas enttäuscht, dass die Geschichte hier schon zu Ende ist. Wer hätte gedacht, dass Myouga ursprünglich so behütet aufgewachsen ist und wie es letztendlich dazu gekommen ist, dass er die Bekanntschaft der Hundedämonen gemacht hat? Ich finde, dass du da sehr kreativ warst und Myouga eine tolle Hintergrundgeschichte verpasst hast.
 
Ich musste übrigens kichern, als Miroku am Schluss einwendet, warum es vlt. nicht die beste Idee wäre diese Memoiren zu veröffentlichen (auch wenn es echt Schade um die ganze Arbeit wäre, die er sich gemacht hat) und Myouga sich natürlich gleich aus dem Staub macht, als Sesshoumaru auf der Bildfläche erscheint.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von:  Sanguisdeci
2022-11-27T16:22:33+00:00 27.11.2022 17:22
Eine wundervolle Geschichte! Was wohl in Band 2 und 3 vorkommen mag, wenn Band 1 bereits so fesselnd ist?
Von: Morgi
2022-11-25T10:47:14+00:00 25.11.2022 11:47
Hallo!

Göttlich, wie ihr die Warnung über die Lippen perlt, den Saugrüssel von ihrem Söhnchen zu lassen. Und der entpuppt sich noch als nicht-wandlungsfähiger Welpe in bestem Fell? Putzig. Jetzt möchte ich natürlich unbedingt erfahren, wer sich in ihrer Abwesenheit um Sesshoumaru kümmert, was Ryuichi blüht, wie sich Mirokus Schreibarbeit im Brunnen in Probleme verwandelt ...
Das darf noch nicht zu Ende sein!

Viele Grüße, Morgi
Antwort von:  Hotepneith
25.11.2022 11:54
Wenn Miroku wieder schrieben kann, Sesshoumaru seinen Besuch beendet hat...
Ich weiß nciht, ob Myouga bei genauem Überlegen nicht doch beschliesst Band 2 und 3 auszulassen. Immerhin hat er übersehen, dass die Lady noch quicklebendig ist, ihr Sohn seinen Eltern in jeder Hinsicht nahe steht und Inu Yasha neugierig sein könnte, was Papa betrifft.
Was Ryuichi samt Ältestem blüht dürfte klar sein - immerhin gibt es geraume Zeit später nur noch Ruukossusei udn der fiel der Familie ja schon, nun, lästig, genug.

Danke für das Lesen und die Kiommentare. Ich habe diese Geshcihte auf Wunsch einer Leserin auf ff.de geschrieben.

hotep
Von: Morgi
2022-11-25T10:40:25+00:00 25.11.2022 11:40
Hallo!

An das Bild von Myouga in ihrem Pelz werde ich mich noch sehr, sehr lange erinnern. Wie herrlich ist das bitte? Jetzt schuldet er ihr Bericht, darf nichts auslassen und sie ist ebenso begabt darin, eine Lüge beim Haarschopf zu packen wie der Gatte. Es sollte mich nicht wundern, wenn er sich binnen der nächsten Minuten nicht zurück in den Drachenkerker wünscht.
Ich bin jedoch überrascht, dass Taishou den Heerbann und Gegenangriff ausführt, statt sich eine weitere Nacht der Erholung zu gönnen. Naja, andererseits dürften die damit nicht rechnen und Sou'unga hat bereits vorher genug getuschelt, um hellauf wüten zu wollen. Was hab ich bei Toutousais Beschwerde gelacht! Der redet wahrlich, wie ihm der Schnabel gewachsen ist - und überlebt's.

Viele Grüße, Morgi
Antwort von:  Hotepneith
25.11.2022 11:49
Danke. Nun, ich dachte von irgendwem müssen die beiden Junfs ja ihr Talent für Spontanideen haben... Und ja, er mag noch ncict wieder topfit sein, aber So´unga ist es - und er dürfte genug Zorn und Rachedurst verspüren den Höllendrachen frei laufen zu lassen... Außerdem wollte ich dem armen Floh nicht auhc noch eine Schlacht antun....

also übt er sich in : wie sage ich die Wahrheit und lasse elegant einiges aus...


hotep
Von: Morgi
2022-11-25T10:31:18+00:00 25.11.2022 11:31
Hallo!

Die Ruhe vor dem Sturm. Toutousai hat sich zu etwas hinreißen lassen, was mit halsbrecherisch noch milde umschrieben ist, aber es unterstreicht seinen eigensinnigen, unbelehrbaren Charakter. Die Vorstellung, er sei jung, erheitert mich über die Maßen! Ja, Myouga hat es gut getroffen und bewiesen, dass er den Tod nicht schreckt - für ein Lächeln. (Er muss doch auch den Haarkranz einbüßen, sobald er erkennt, wie der Welpe gestrickt sein wird, den er bislang nicht traf.)
Die Vorstellung, wie sich Sesshoumaru des väterlichen Bluts bewusst wird - wie Myouga es tat -, ist wieder ein beneidenswertes Detail.
Möge den beiden das Glück ein Weilchen hold sein, allein, ich glaub es nicht. Die Zitate zum Kapiteleinstieg sind jedesmal schön gewählt.

Viele Grüße, Morgi
Von: Morgi
2022-11-25T10:18:52+00:00 25.11.2022 11:18
Hallo!

Der Spitzbub, schade, dass er das dem Drachenkönig nicht in eines seiner Gesichter sagen konnte (und weh dem, der gerade dem Schuppentier im Wege steht). Leider ist Gefahr erkannt nicht gleichzusetzen mit Gefahr gebannt, der Herr geschwächt und die Armee in einer anderen Himmelsrichtung. Wie er in dem Zustand dem Höllenschwert widerstehen soll, puh, aber man darf der werten Gattin vertrauen: Die schützt das Schloss, und wie! Immerhin wissen wir nun, warum die Drachen sich den abwesenden Taishou nicht zum Grund nahmen und direkt alles - ohne Höllenschwert - dem Erdboden gleichmachten.

Viele Grüße, Morgi
Von: Morgi
2022-11-25T10:08:46+00:00 25.11.2022 11:08
Hallo!

Da lernen zwei auf Messers Schneide zu tanzen. Abzuwarten, bis Myouga zurückkehrt, bietet die Gefahr entdeckt zu werden. Der Erbprinz ist geschwächt, der Spion ihm bewusst (ich kann nur betonen, dass sich ihre Blicke beim Fenstersturz trafen, Zeitlupentempo im Film wäre nichts dagegen), er dürfte sich schneller erholen ... Drache im Nacken, Drachen vor der Nase, also wehe, da läuft in der Kanalisation etwas schief.
Den Umgang zwischen Floh und Taishou mochte ich. Er ist immer noch ein gefährlicher, nicht zu unterschätzender Hund und hängt mit beiden Krallen, allen Fangzähnen und dem Stolz am Leben. Vermutlich hätte er sich nicht träumen lassen, dass ihm die gute Tat damals je wieder einholt - und dann auf solch eine Art. Ich ahne, warum sogar die Regentin/Fürstin Myouga später hinnehmen dürfte.

Viele Grüße, Morgi
Von: Morgi
2022-11-25T09:56:11+00:00 25.11.2022 10:56
Hallo!

Hass wird von Mitleid gelöst? Das würde erklären, weshalb die Ketten verschwanden. Kein Drache konnte erwarten, dass irgendjemand über das Schicksal des Hundes eine Träne vergießen würde, auch wenn es, zugegeben, an der Ehre des Heilerhandwerks kratzte. Rurimaru hat viel gewagt. Ich möchte um seinetwillen hoffen, dass Ryuichi das nicht kombinieren kann und den Regenbogenkristall im Energieschub erkennt, und auch, dass sich Taishou an die "Starthilfe" erinnern wird, so wie er sich bei der Ehrlichkeit an Myouga erinnern konnte. Wie schwach der Hund war! Die Nachwehen der Folter sind eindrücklich. Ryutsubasa ist nicht zimperlich, dem möchte man frisch geheilt nicht begegnen, hängt doch sein Hals daran, wenn der Gefangene unter seinen Leuten entkommt.

Viele Grüße, Morgi
Von: Morgi
2022-11-25T09:45:40+00:00 25.11.2022 10:45
Hallo!

Raue Sitten, die dort herrschen. Ryukotsusei beweist seinen messerscharfen Verstand, und es sollte mich nicht wundern, wenn der die drohende Lebensgefahr gegenüber dem Älteren auch von seinem Hals lieber weit weghält: Beide aus dem Weg schaffen, Vater und Erstgeborenen, aber dass dieses Komplott zufällig mit Myougas Fluchtplänen überschneidet, wäre zu viel gewünscht. Ablenkung jedoch...
Ich grüble noch etwas, ob der Schamane Freund oder Feind ist. Er schien es zu bereuen, dass er zwei Wochen nicht zum Heilen vorgelassen wurde und im Gegensatz zu dem geringfügig mitleidsfähigen König Ryuichi auch nicht sofort als abwegig einzustufen, dass der Älteste einen Spion bemerkte. Dazu das magische Blut in Myougas Adern, huh! Zumindest ist dessen Rolle als Heiler nachvollziehbar und nützlich. Umso morbider, dass er auch nur schalten und walten darf, um die Hinrichtung und den Spaß an der Sache auszukosten. Ruyichi, deine Arroganz ist eines Vorbilds unter Monstern würdig!

Viele Grüße, Morgi
Von: Morgi
2022-11-25T09:31:45+00:00 25.11.2022 10:31
Hallo!

Was für ein Nervenkitzel. Ich bin hellauf begeistert, wie es schon bei Nekohiko hinter dem Bannkreis aussah und wie du das noch einmal in der Drachenburg übertriffst. Erst war ich davon überzeugt, er würde durch die Kanalisation schlüpfen und sah schon einen Taishou durch Unrat kriechen, aber ein Badehaus? Und wo ein König mit Söhnen ist, dürfte eine Mutter nicht allzu weit entfernt sein (schön, dass Sesshoumarus Mama ihren Ruf unter den beiden Vasallen hat, hihi).
Ich freue mich sehr, dass wir auf diese lebensmüde Reise mitgenommen werden. Hineinkommen ist knifflig, herauskommen nahezu unmöglich. Wie geschwächt müsste der Taishou sein, um an der Übermacht auch nur die Hälfte des Weges vorbeizuschlüpfen... ich bin ahnungslos, und das genieß ich!

Viele Grüße, Morgi


Zurück