Chapter I
Niemals hätte es Chifuyu für möglich gehalten, jemandem seinen tiefsten Respekt zu zollen. Und doch hatte Baji Keisuke genau das geschafft.
Im Alleingang war es Baji gelungen, die Mandala-Gang vollständig auszuschalten – und das auch noch ohne einen einzigen Kratzer davonzutragen. Seine Bewegungen...seine Tritte...seine Schläge...all seine Techniken unterstrichen die wilde Ader einer blutrünstigen Bestie, die stets ihren Kampfdurst stillen musste. Kein Wunder also, dass er einen prägenden Eindruck bei ihm hinterlassen hatte.
Seit diesem Ereignis hingen die beiden in der Schule in jeder freien Minute miteinander ab und verbrachten ihre Zeit damit, ihr gemeinsames Yakisoba zu teilen und hier auf dem Schuldach zu verspeisen. Nichts außer das Schlürfen ihrer Nudeln bildete die Akustik auf ihrem Lieblingsplatz – ansonsten herrschte stets angenehmes Schweigen zwischen ihnen.
Nachdenklich saß Chifuyu mit verschränkten Beinen auf dem Boden, den Ellbogen stützend auf sein Knie, sodass er seinen Kopf an seiner Handfläche anlehnen konnte und sich die ungestylten Haare aus dem Gesicht pustete. Des Öfteren hatte er sich selbst dabei erwischt, wie er einen Seitenblick zu Baji geworfen hatte und sich fragte, was genau es war, was ihn so sehr an ihm faszinierte. War es seine monströse Stärke? Seine intensive Aura? Oder doch etwas anderes? Er wusste es nicht.
Die Tatsache, dass dieser Poindexter nicht nur ein Mitglied der berühmten Tokyo-Manji-Gang, sondern auch der Captain der ersten Division war, hatte noch immer eine bleibende Wirkung auf ihn. Alleine, wenn er an das intensive Olivgrau seiner Augen dachte, dass einem drohte zu verschlingen...
„Oi, Chifuyu! Wartest du schon lange?“ Wenn man vom Teufel sprach.
Grinsend schritt Baji auf ihn zu, dabei stachen seine weißen Fangzähne hervor – seine Augen hingegen, waren hinter den dicken Gläsern seiner Brille verborgen. Wie immer, wenn sie in der Schule waren. Dennoch konnte Chifuyu erkennen, dass sich etwas in seinem Blick verändert hatte. Auch als dieser ihm das Yakisoba entgegenhielt und neben ihm Platz nahm, ebbte das flaue Gefühl nicht ab.
Er versuchte sich keineswegs etwas anmerken zu lassen und fischte sich den Inhalt aus der Plastiktüte heraus. Als Chifuyu bemerkte, dass sein Kumpel ihn scheinbar noch immer etwas merkwürdig musterte, konfrontierte er ihn damit. „Hab ich was im Gesicht, oder wieso siehst du mich so merkwürdig an?“
Etwas verdutzt, starrte ihn Baji an, ehe seine dunkle Lache wie ein Schall über die gesamte Dachterrasse wiederhallte. Erst als er Chifuyus perplexen Blick bemerkte, klärte er die Situation auf.
„Nein, es ist nicht dein Gesicht, sondern deine Haare.“
Überrascht starrte ihn Chifuyu an und nahm eine blonde Strähne zwischen seinen Fingerspitzen. „Meine Haare?“
„Hai. Es ist das erste Mal, dass ich sie so ohne Gel sehe. Du wirkst damit viel mehr du selbst. Ich finde, es steht dir.“
Chifuyu wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Keiner hatte ihm bisher ein solches Kompliment gemacht. Es war...ungewohnt.
Um sich seine aufkeimende Nervosität nicht anmerken zu lassen, widmete er sich zügig den dampfenden Nudeln, die sie sich anschließend gemeinsam teilten und das Schlürfen wieder die Akustik bestimmte.
Mit dem kleinen Unterschied, dass ein wohliges Gefühl durch seinen Körper floss.
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Chapter II
Während sein Sensei irgendetwas von japanischer Geschichte faselte, starrte Chifuyu nachdenklich aus dem Fenster und beobachtete das Geschehen außerhalb des Schultors. Bajis Worte wollten ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen und so versank er völlig in Gedanken.
„Du wirkst damit viel mehr du selbst.“
Was genau hatte er damit gemeint?
Plötzlich riss ihn das leise Vibrieren in seiner Hosentasche aus seinem Gedankenstrudel heraus. Kurz schielte Chifuyu durch den Raum, ob jemand etwas bemerkt hatte, ehe er verwundert sein Handy in die Hand nahm. Noch überraschter wirkte er jedoch, als er sah, dass Baji ihm geschrieben hatte.
Oder wohl eher was er ihm geschrieben hatte.
[Baji-san]
» Hey, hast du nach der Schule schon was vor? «
Bis auf ihre Treffen innerhalb des Schulgeländes oder ihrem gemeinsamen Schul- und Heimweg hatten sie sich bisher noch nie darüber hinaus privat getroffen. Schließlich tippte er mit etwas zittrigen Fingern eine Antwort zurück.
[Chifuyu]
» Nein hab ich nicht, wieso? «
[Baji-san]
» Okay, jetzt hast du etwas vor. Ich hol dich nach der Schule ab. Warte vorm Haupteingang auf mich. «
Baji hatte seine Frage nach dem Grund ihres Treffens einfach ignoriert. War irgendetwas nicht in Ordnung? Hatte er etwas getan, was ihn verärgert hatte?
Er warf einen stummen Blick auf die Wanduhr und wartete mit einem unruhigen Gefühl im Bauch auf das Ende des Unterrichts ab.
:・。゚☆✴☆゚・:
Wie verabredet stand Chifuyu nach Schulschluss vorm Haupteingang und hielt Ausschau nach Baji. Obwohl er sich immer wieder versucht hatte einzureden, dass nichts wäre, konnte sein Kopf einfach nicht abschalten.
Warum das plötzliche Treffen? Wieso hatte er ihm keine Infos genannt? War er etwa...-?
Das laute Aufheulen eines Motors ließ ihn aufblicken und als er erkannte wer vor ihm stand, blinzelte er vor Unglaube.
„Hier bin ich! Hast du lange auf mich gewartet?"
Chifuyu schüttelte nur mit dem Kopf und bestaunte ehrfürchtig das Motorrad vor ihm. „Wow! Das ist eine GSX 250E! Woher hast du das Teil?"
„Hai! Hab ich damals gefunden und wieder zusammengeschraubt, mein ganzer Stolz!", erwiderte Baji und deutete auf den Sitz hinter sich. „Ich bin nicht hierher gekommen, damit du es anstarrst, sondern um mit dir ne kleine Spritztour zu machen. Also steig auf!"
Aufgeregt nahm Chifuyu hinter ihm Platz und krallte sich an seinen Sitz fest. Ihm klopfte das Herz bis zum Hals und gleich würde er das erste Mal auf einem Motorrad mitfahren.
„Ist es dein erstes Mal?", erkundigte sich Baji und er nickte. „Na dann ist heute dein Glückstag!"
Schon startete er ohne Vorwarnung den Motor und fuhr los.
Sofort peitschte ihm der Wind übers Gesicht und seine Haare flogen wie wild in allen Richtungen. Aber es fühlte sich atemberaubend an!
„Alles klar dahinten?" Baji schielte kurz zu ihm rüber.
„Hai!", entgegnete er grinsend, woraufhin sein Kumpel sich kommentarlos wieder nach vorne wandte.
Chifuyu genoss diesen Moment in vollen Zügen. Nur Baji, er und dieses berauschende Gefühl, welches er verspürte. Die Zeit schien endlos zu sein und er wollte nicht, dass dieser Moment je endet.
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「 ⚜CRSP 」
Chapter III
„Da wären wir.“
Zu Chifuyus Enttäuschung endete ihre kleine Spritztour schneller als gedacht und nun standen sie gemeinsam vor dem Gelände einer Lagerhalle. Einladend sah es hier definitiv nicht aus – in diese trostlose Gegend setzte doch kein Mensch einen Fuß rein. Was wollten sie also hier?
„Baji-san. Wo sind wir?“ Langsam stieg er von dem Motorrad ab und betrachtete die etwas trostlose Ortschaft.
Indes hatte Baji bereits das Gelände betreten. Er drehte sich vielsagend zu ihm um und winkte ihm mit dem Finger zu sich rüber. „Komm mit, du wirst es bald erfahren.“
Mit einer Mischung aus Neugierde und Ungewissheit folgte ihm Chifuyu schließlich. Nach außen hin wirkte er ziemlich unberührt, aber in Wirklichkeit schluckte er in diesem Moment einen dicken Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte, herunter. Allmählich näherten sie sich der Lagerhalle. Als sie am Tor ankamen, stellte Chifuyu zu seiner Überraschung fest, dass aus dem Inneren dumpfe Geräusche zu hören waren.
Wer verbrachte seine Zeit freiwillig in dieser abgelegenen Gegend?
Währenddessen begab sich Baji in die Hocke und zog den Riegel nach oben, sodass er das Tor öffnen konnte. Die Stimmen verstummten augenblicklich und drei Augenpaare richteten ihre Aufmerksamkeit auf sie.
„Jo Leute, alles klar bei euch?“
Statt ihm jedoch zu antworten, zückten zwei von ihnen jeweils einen Geldschein hervor und drückten es dem Dritten im Bunde genervt in die Hand.
„Ich hätte niemals gedacht, dass Mitsuya die Wette gewinnen und Baji ihn wirklich hierher bringen würde“, meinte der blonde Hüne mit dem langen Zopf und sein Nebenmann mit dem blonden Irokese grunzte zustimmend.
Während besagter Mitsuya sich mit einem Grinsen das Geld in die Hosentasche schob, schritt Baji empört auf seine Freunde zu. „Oi, ihr Ärsche habt tatsächlich ne Wette abgehalten?“
Irgendwie fühlte sich Chifuyu absolut fehl am Platz und verstand nicht wirklich, was vor sich ging. Und Bajis Freunde wirkten nicht gerade wie der nette Nachbar von nebenan. Anscheinend bemerkte dieser die Gedanken seines Kumpels und stellte sich zu ihnen.
„Chifuyu, dass sind meine Freunde. Draken, Mitsuya und Pah“, stellte er sie der Reihe nach vor. Kurz wanderte Bajis Bick durch die Halle und sah dann fragend zu ihnen. „Wo steckt eigentlich Mikey?“
Draken neigte seinen Hals und rieb sich gelangweilt drüber. „Er meinte, er kommt nach. Muss vermutlich noch was mit Emma erledigen.“
Inzwischen hatte Chifuyu den Abstand zwischen ihnen verringert und war zur kleinen Gruppe hinzugestoßen. Er verbeugte sich kurz und stellte sich vor. „Matsuno Chifuyu. Freut mich euch kennenzulernen.“
Unerwarteterweise legte Mitsuya einen Arm um ihn und zog ihn zur Seite, was ihnen skeptische Blicke vom Rest der Gruppe einbrachte. „Wir wissen, wer du bist. Baji hat schon ein wenig von dir erzählt. Einige von uns haben sogar deine Existenz angezweifelt, weil er sonst nie über andere Leute spricht – schon gar nicht mit einem Lächeln im Gesicht.“
Erstaunt blickte Chifuyu ihn mit leicht geöffneten Lippen an. Zu wissen, dass Baji in seinem Freundeskreis so über ihn dachte, verursachte ein angenehmes Gefühl in ihm.
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