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Vogelfrei

von

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Die Gefährten

Goldenes Licht brach sich einen Weg durch die dichten Baumwipfel, während sie dem bewachsenen Pfad durch den Wald folgten. Hier und da ein Knacken im Geäst, das die Anwesenheit von Tieren deutlich machte, ansonsten war bislang nichts sonderlich verdächtig. Dieser Ort wirkte nahezu idyllisch, wenn man bedachte, weswegen sie hierhergekommen waren. Die Pferde hatten sie im Dorf gelassen, so wie einige ihrer Habseligkeiten – niemand würde sich trauen, zwei Krieger, wie sie beide es waren, zu bestehlen. Schließlich sollten sie die Leute von einer Plage befreien, der sie selbst nicht gewachsen waren.

„…wozu suchen wir diesen Kerl überhaupt?“, brummte er schließlich, woraufhin sein blonder Kamerad ihn fragend ansah. „Als ob wir nicht auch allein dazu in der Lage sind, dieses Ding zu finden.“

„Nun…der Wald ist recht groß…und es kann nicht schaden, jemanden dabei zu haben, der sich hier auskennt. Außerdem soll er ein guter Fährtenleser sein.“

„Hn. Ein wunderlicher Einsiedler wohl eher…“, höhnte er, woraufhin sein Kamerad seufzte.

„Enji…“

„Sogar die Dorfbewohner haben ihn so genannt.“

„Du weißt, dass die Menschen oftmals zur Übertreibung neigen.“

Da konnte er nicht widersprechen. Genau diese Tatsache ließ ihn nämlich daran zweifeln, dass sie hier wirklich etwas anderes als ein Rudel Wölfe oder einen Bären finden würden. In solchen Fällen war es selten das, wofür die Leute es hielten. Bevor er sich dazu äußern konnte, erkannte er die kleine Hütte, zu der man sie geschickt hatte, und hielt inne.

„Toshinori.“

Angesprochener folgte seinem Blick, musterte die heruntergekommene Unterkunft. Vermutlich fragte auch er sich, wie man darin leben konnte. Die Hütte sah nicht so aus, als würde sie das nächste Unwetter überstehen. Auf dem mit Stroh ausgelegten Dach saßen drei wilde Katzen mit braun-grau gestreiftem Fell und pinseligen Ohren. Ihre grünen Augen mit den schlitzförmigen Pupillen folgten ihnen unablässig, als sie sich näherten.

Eine weitere Wildkatze hatte sich an der Feuerstelle auf ein paar Fellen zusammengerollt. Als sie sich näherten, hob sie den Kopf und fauchte sie warnend an.

„Uhm…“, kam es von Toshinori. „Ich glaube, sie mag uns nicht…“

„Tse…als ob mich das interessiert“, brummte Enji und stampfte einmal auf, um sie zu vertreiben.

Die Katze sprang mit gesträubtem Fell auf und bleckte ihre Zähne – ängstlich sah anders aus. Anscheinend war sie nicht gewillt, ihren Platz kampflos aufzugeben. Irrte er sich oder war das Tier ziemlich groß für eine Katze? Er kannte Hunde, die kleiner waren…
 

„Mich interessiert, warum zwei Fremde meine Freunde verstören.“

Er zuckte ebenso wie Toshinori zusammen, als die heisere Stimme in ihrer unmittelbaren Nähe ertönte. Wo zur Hölle…kam sie aus der Hütte? Er stockte, als sich die aufgehäuften Felle zu bewegen begannen – und der zottelige, schwarze Schopf eines Mannes zum Vorschein kam. Blutunterlaufene, müde Augen blickten sie an, während die Katze immer noch auf ihm stand und weiter drohte.

„…uhm, verzeiht…wir hatten nicht die Absicht…Eure…Freunde zu verstören. Mein Name ist Yagi Toshinori und dies ist Todoroki Enji. Wir haben nach Euch gesucht – Ihr seid doch Aizawa?“, fing der Blonde an zu reden und war dabei wie immer furchtbar höflich.

Enji konnte diesen komischen Kauz schon jetzt nicht ausstehen. Wunderlich war wohl noch untertrieben gewesen. Ein abschätziger Blick traf sie beide, dann setzte sich der Mann auf und rieb sich über das stoppelige Kinn.

„Und was wollt Ihr von mir?“, kam es schroff zurück.

„Wir hörten, Ihr seid ein guter Fährtenleser, der sich in den Wäldern auskennt. Wir benötigen Eure Hilfe.“

„Meine Hilfe“, wiederholte Aizawa und kraulte die Katze, die sich eng an seine Brust schmiegte, hinter den Pinselohren. „Ich wüsste nicht, warum ich irgendwelchen Fremden helfen sollte.“

Enji knirschte hörbar mit den Zähnen und übernahm nun das Reden.

„Weil wir Euch in Rang und Titel überlegen sind und es Eure Pflicht ist, ehrenhafte Krieger des Königs, wie wir es sind, zu unterstützen!“, knurrte er ungehalten, woraufhin Aizawa die dunklen Augen verengte.

„Ehrenhafte Krieger, huh? Na dann…verschwindet erst recht.“

Mit diesen Worten hatte er doch tatsächlich den Nerv, sich wieder unter die Felle zu legen, die Katze dicht an die Brust gepresst. Enji spürte, wie seine Geduld langsam schwand, und er legte die Hand an sein Schwert.

„Ihr wagt es-“

„Aizawa-san…bitte. Ihr müsst doch von der Notlage der Bauern gehört haben? Von den Angriffen auf ihr Vieh, die geplünderten Felder?“, fiel Toshinori ihm ins Wort und sah den Mann ernst an. „Es sollen sogar schon Menschen verletzt worden sein.“

„Der Starke frisst den Schwachen“, brummte Aizawa mitleidlos und kehrte ihnen ohne Umschweife den Rücken. „Ich sehe keinen Grund, in die Natur einzugreifen. Dieses wilde Tier könnt ihr ehrenhaften Krieger sicher allein erledigen.“

„Es ist kein Tier.“

Aizawa warf ihnen einen unbeeindruckten Blick über die Schulter zu.

„So?“

„Die Menschen gehen von einem Dämon aus“, fuhr Toshinori unbeirrt fort.

Aizawa zog die Stirn in Falten, sah ihn an, als überlegte er, ob dies ein Scherz war. Vielleicht auch, ob der Blonde nicht ganz dicht war. Das war keine neue Reaktion für sie beide, denn nicht viele Menschen konnten behaupten, einen Dämon gesehen zu haben. Beziehungsweise konnten die meisten nicht mehr darüber reden. Es gab die unterschiedlichsten Arten von ihnen, einige ähnelten den Menschen, andere waren wahre Monster. Sie waren selten und es konnte nur darüber spekuliert werden, wo sie herkamen…doch sie waren eine ernstzunehmende Gefahr.
 

„Ein Dämon“, wiederholte Aizawa und setzte sich erneut auf. „Sicher, dass Ihr nicht letzte Nacht zu viel Wein hattet?“

„Jetzt pass mal auf, du-“

„Wir verstehen, dass Ihr nicht daran glaubt, aber es gibt sie. Den Beschreibungen der Bauern nach zu urteilen, ist es ein großes Wesen mit Flügeln und Klauen. Die Schafe wurden im Sturzflug gepackt und noch in der Luft zerrissen. Kein Vogel wäre stark genug dafür.“

Enji fragte sich, wie Toshinori so ruhig bleiben konnte angesichts dieser Frechheiten. Es wirkte fast so, als würde Aizawa sie provozieren wollen. Vielleicht war er neidisch, weil seine Existenz im Gegensatz zu ihrer so unbedeutend war. Schließlich reisten sie durch die Lande und halfen den Menschen in Not. Sie waren ehrbare Männer mit Rang…und dieser Kerl war nicht mal im eigenen Dorf gern gesehen. Kein Wunder, dass er mit so vielen Katzen zusammenleben musste.

„Mal angenommen, ich würde euch glauben…“, erwiderte Aizawa langsam. „Wieso benötigen zwei solch hochrangige Krieger ausgerechnet meine Hilfe? Dämonen sind nicht mein Gebiet. Ich verfolge Kaninchen und Hirsche…keine Monster.“

„Spuren sind Spuren. Außerdem sollst du ein passabler Schütze sein…“, grollte Enji widerwillig.

Mittlerweile wünschte er sich, sie hätten den komischen Knilch gar nicht erst aufgesucht. Es war offensichtlich, dass er sie ihrer Stellung wegen nicht leiden konnte. So einen Querulanten dabei zu haben, verkomplizierte bestimmt alles.

„Ihr tragt eine Armbrust bei Euch. Also werdet Ihr wohl so passabel wie ich sein“, gab Aizawa trocken zurück. „Oder wollt Ihr bloß prahlen?“

„Genug! Ich zeige dir gleich, wie passabel ich zielen k-“

„Enji“, ermahnte Toshinori ihn, doch es reichte ihm.

„Nein!“, blaffte er zornig. „Dieser heruntergekommene Mistkerl provoziert uns absichtlich! Wenn er nicht gewillt ist, uns zu helfen, soll er hier weiter verrotten!“

Aizawa schnaubte leise, seine Miene blieb finster, was Enji den Anlass gab, gehen zu wollen. Natürlich konnte Toshinori es nicht einfach dabei belassen. Er seufzte hörbar aus, ehe er auf Aizawa zuging, welcher das misstrauisch beobachtete. Ohne Scheu kniete sich der blonde Hüne vor ihn und lächelte ihn freundlich an…ehe er sich den ledernen Handschuh auszog und die Finger nach der Katze ausstreckte.

Sowohl Aizawa als auch das Tier spannten sich an, doch dann schnupperte letzteres an ihm. Vorsichtig, aber wenigstens blieb das Fauchen aus. Enji war so verdutzt wie Aizawa, als die Katze ihre Nase an der großen Pranke rieb und schließlich sogar schnurrte. Anscheinend wurde Toshinori akzeptiert…was vermutlich an seiner ruhigen Ausstrahlung lag. Etwas, in dem sich Enji und er grundlegend unterschieden. Er war eher der temperamentvolle Typ, dem leicht der Geduldsfaden riss.

Toshinori lächelte selig, während er die getigerte Katze unterm Kinn kraulte und dann zu Aizawa sah, der immer noch perplex drein schaute. Damit hatte er wohl nicht gerechnet.
 

„Aizawa-san, ich bitte Euch noch einmal, uns zu begleiten. Bei einem Dämon, der des Fliegens mächtig ist, wäre es von Vorteil, jemanden mit Ortskenntnis dabei zu haben, der noch dazu ein guter Schütze ist. Wir haben schon einige Dämonen erlegt – und glaubt mir, das ist nichts, was wir auf die leichte Schulter nehmen. Eure Unterstützung wäre uns daher mehr als willkommen.“

Ironisch, dass Toshinoris stärkste Kraft weder seine Muskeln noch sein Schwert war, sondern seine entwaffnende Freundlichkeit. Etwas, das Enji schon immer auf die Palme gebracht hatte. Der Kerl war einfach so herzensgut, dass er einem damit auf die Nerven gehen konnte.

Wenigstens war es amüsant zu sehen, wie Aizawa nicht wusste, was er darauf antworten sollte. Man merkte ihm sein Zögern an, ehe die Resignation eintrat. Scheinbar war in dem Mistkerl doch irgendwo ein Funken Anstand versteckt, wenn die Masche bei ihm gezogen hatte.

„…nun gut, meinetwegen begleite ich Euch“, gab er auf und setzte die Katze ab, ehe er sich erhob.

Seine dunkle Kleidung war genauso heruntergekommen wie sein Zuhause. Wie konnte man nur so leben…

Enji war wohlhabend aufgewachsen, kannte es nicht anders, von daher fragte er sich, ob der Mann tatsächlich freiwillig so lebte. Als Ausgestoßener in den Wäldern mit so vielen Katzen. Oder hatten sie ihn verbannt? Fragen würde er nicht, denn er wollte diesem nicht das Gefühl geben, es interessierte ihn.

„Das freut mich!“, kam es ehrlich von Toshinori. „Oh, und macht Euch keine Sorgen! Wir werden Euch im Falle des Falles beschützen!“

Dabei reckte er enthusiastisch die Faust in die Luft und grinste ihn breit an. Enji hätte es verstanden, wenn er es sich anders überlegt hätte, doch Aizawa starrte ihn nur an.

„…toll.“

Mehr als dieser sarkastische Kommentar kam nicht, ehe er seinen Köcher samt Pfeilen und Bogen schulterte und sich einen geflickten Mantel überwarf. Eine Rüstung oder wenigstens einen Brustpanzer besaß er wohl nicht, daher fragte keiner von ihnen danach. Toshinori schien jedenfalls nicht sonderlich getroffen von der abweisenden Art zu sein, denn er lächelte nur nachsichtig. So viel Verständnis konnte Enji nicht aufbringen.

„Wir sollten los. Ich habe keine Lust, das Vieh bei Nacht anzutreffen“, grollte er ungeduldig.

„…schon fertig“, erwiderte Aizawa trocken und streichelte der Katze ein letztes Mal über den Kopf.

Nun, das konnte ja nur eine heitere Reise mit dem Kerl werden. Er war immer noch unsicher, ob sie nicht ohne ihn besser dran sein würden. Das würde sich wohl zeigen…
 

„Seid Ihr eigentlich hier aufgewachsen?“

Nun, wenigstens übernahm Toshinori den Teil mit der Konversation, auf die er selbst gut verzichten konnte. Enji warf einen Blick zu ihrem zwielichtigen Begleiter, der vor ihnen ging, konzentriert wirkte. Tatsächlich kam jedoch nach einigen Sekunden der Stille eine Antwort.

„Nein.“

Das war aussagekräftig und Enji konnte sich ein Schnauben nicht verkneifen; da war ja jemand eine richtige Quasselstrippe.

„Woher stammt Ihr?“, ließ sich Toshinori dadurch nicht entmutigen.

„…aus einem Dorf tief im Norden, das Euch ohnehin nichts sagen wird.“

„Oh, Enji und ich sind weit gereist, Ihr würdet Euch wundern“, erwiderte Toshinori mit einem heiteren Lächeln, auf das jedoch keine Reaktion folgte.

Stattdessen legte Aizawa seine Handfläche an die zerkratzte Rinde eines Baumes, hielt für einen Moment inne und schloss die Augen. Enji tauschte einen Blick mit seinem blonden Kameraden, der klug genug war, die Stille nicht zu brechen. Er selbst verbiss sich einen spöttischen Kommentar nur mit Mühe; hatten sie es hier etwa mit einem Baumflüsterer zu tun?

Die Finger des Mannes glitten noch einmal über die Rinde, dann hob er den Kopf und blickte prüfend in die Baumkronen, welche durch den Wind leise raschelten. Enji konnte nichts Sonderbares entdecken – und die Kratzer konnten auch von einem Bären stammen. Oder einer dieser viel zu großen Wildkatzen, die sich um Aizawa geschart hatten.

„Hn“, kam es nichtssagend von diesem, bevor er sich löste und weiterging.

„Gedenkt Ihr, uns aufzuklären?“, fragte Enji genervt.

„…sollte es nötig sein…ja.“

„Wie freundlich…“

Der Sarkasmus seiner Worte schien Aizawa nicht im Geringsten zu kümmern, jedenfalls machte er sich nicht die Mühe, darauf zu reagieren. Abermals legte sich die Stille über sie, während bloß ihre Schritte und die Geräusche umherhuschender Tiere ihren Weg begleiteten. Nun, dass sich Tiere hier überhaupt aufhielten, bezeugte nicht gerade die Anwesenheit eines Dämons. Tiere flohen vor diesen Kreaturen, suchten in schierer Panik das Weite. Oft waren ganze Felder verdorrt, Wälder wie ausgerottet, falls sich eine der Kreaturen dort angesiedelt hatte. Enji erinnerte sich an jedes einzelne Monstrum, das sie je zur Strecke gebracht hatten – vor allem an das letzte vor knapp einem halben Jahr. Seine Narbe, die sich über seine linke Gesichtshälfte zog, begann wie auf Kommando zu pochen.
 

„…es ist des Fliegens mächtig, huh?“

Er blickte auf, als Aizawa nach einer Weile die Stille brach und gleichzeitig stehen blieb. Toshinori und er taten es ihm gleich, wobei sein Mitstreiter die Stirn runzelte.

„So wurde es uns mitgeteilt. Wir haben die Kadaver der Tiere nicht selbst begutachten können“, erwiderte er und lugte dann an dem Dunkelhaarigen vorbei.

Dieser kniete sich hin, hob etwas vom Boden auf und drehte es zwischen seinen Fingern. Es waren zwei Federn von einer Farbe, die Enji noch nie zuvor gesehen hatte. Sie leuchteten tiefrot, erinnerten an Blut – und ihm fiel kein Vogel ein, der eine solch intensive Farbe trug. Nun, Mutationen gab es überall, aber auch die Größe der Federn schien ihm…abnormal.

„Seid Ihr je einem Dämon mit Federn wie diesen begegnet?“, brummte Aizawa, ohne sich zu ihnen umzudrehen.

„Nein“, gab Toshinori nachdenklich zurück. „Aber sie haben die verschiedensten Formen, es wäre also nicht unmöglich…dass dieses Wesen gefiedert ist.“

Enji nickte einmal zustimmend, ehe er den Blick durch die Baumkronen schweifen ließ, wie es zuvor Aizawa getan hatte. Er stockte, als er zwischen den Blättern weitere rote Federn entdeckte. War dieses Ding vor kurzem noch hier gewesen?

„Wenn es Flügel wie ein Vogel hat“, überlegte er laut, „und sehr viel größer ist…kann es sich nur schwer verstecken. Vor allem mit einer so auffälligen Farbe im Gefieder.“

„Da gebe ich dir Recht, allerdings könnte es auf die Weise sehr schnell den Ort wechseln. Möglicherweise hat es den Wald bereits wieder verlassen…“, spekulierte Toshinori.

„Unwahrscheinlich, oder? Dämonen handeln instinktiv und sind an ihr Revier gebunden. Hier gibt es genügend Nahrung.“

„Das mag sein, aber wenn es sich durch die Luft bewegt, kann es die Felder im Umfeld plündern und sich hierher zurückziehen, um seine Beute in Ruhe zu verspeisen. Vielleicht hat es irgendwo…ein Nest?“

„…es hat jedenfalls recht große Krallen“, unterbrach Aizawa sie monoton und deutete auf den Boden.

Die Erde dort war aufgewühlt, so als wäre sie umgegraben worden. Daneben waren ein paar Abdrücke zu sehen, die ebenfalls an einen Vogel erinnerten.

„Es ist hier gelandet…hat vielleicht kurz gerastet und sich dann vom Boden abgestoßen, dabei die Erde zerstört. Ausgehend von der Tiefe…muss es die Größe eines Menschen besitzen“, fuhr er fort.

Enji gab ein abfälliges Geräusch von sich.

„Dieses Ding muss ja grotesk aussehen…“, spottete er und versuchte, es sich vorzustellen. „Nun…mit einem zu groß geratenen Huhn können wir es leicht aufnehmen. Da gab es schon ganz andere Monster, denen wir den Garaus gemacht haben.“

Aizawa warf ihm einen unbeeindruckten Blick zu, als er sich aufrichtete.

„Ihr haltet nicht viel von Bescheidenheit, hm?“

„Wie bitte?!“, entkam es Enji erzürnt, doch der Dunkelhaarige wandte sich bereits ab.

„Wir sollten weiter, bevor die Dunkelheit hereinbricht“, meinte er nur und ging dann einfach.

Enji knirschte mit den Zähnen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte und diese drückte. Wenn das dazu dienen sollte, um ihn zu beruhigen, funktionierte es nicht. Er schlug die Hand weg, ohne seinen Kameraden anzusehen.

„Er soll nur so weitermachen…“, knurrte er finster.

„Reg dich doch nicht über ihn auf“, kam es bloß von Toshinori. „Er wird seine Gründe haben, uns mit so einem Verhalten zu begegnen.“

„Oder er ist einfach ein Mistkerl.“

„Nun…das ist natürlich auch möglich“, schmunzelte der andere. „Nichtsdestotrotz…unterstützt er uns bei unserer Mission. Ganz verkehrt kann er also nicht sein.“

„Dein Optimismus ist widerlich, weißt du?“

Toshinori lachte auf, unangenehm schallend wie immer – und schlug ihm mit Kraft gegen die Schulter, sodass er etwas nach vorn ruckte. Die meisten anderen Menschen wären mit dem Gesicht im Dreck gelandet.

„Und deswegen ergänzen wir uns so gut!“

Enji schnaubte, ehe sie beide sich daran machten, ihrem unfreundlichen Begleiter zu folgen.

Nur kurz warf der Rothaarige einen Blick zurück, zog die Stirn in Falten; ob er sich dieses seltsame Gefühl einbildete? Das Gefühl, dass sie beobachtet wurden…auch wenn er niemanden entdecken konnte. Er würde wachsam bleiben.
 

Nach einigen weiteren Stunden tauchte die Abenddämmerung den Wald langsam in rot-orangefarbenes Licht. Sie hatten auf dem Weg vereinzelt weitere Federn gefunden und etwas daran machte Enji misstrauisch. Er bekam das Gefühl nicht los, dass dies kein Zufall war. Oder war das Ding in der Mauser und verlor deshalb Federn? Aber selbst wenn…falls es über die Baumkronen hinwegflog, würden sich die Federn durch die Luft verstreuen. Stattdessen fühlte es sich an, als würden sie einer gelegten Spur folgen – und seine beiden Reisegefährten schienen dasselbe zu denken. Gut, bei Aizawa konnte er nur spekulieren, denn dieser zog es ja vor, zu schweigen.

„Ich schlage vor, wir suchen uns einen Platz für die Nacht“, durchbrach Toshinori die Stille. „Wir sollten ein Feuer entzünden, um wilde Tiere abzu-“

Das plötzlich laute Knacken im Geäst ließ sie alle drei herumfahren und zu den Waffen greifen. Enji zuckte zusammen, als etwas vor ihnen von oben zu Boden fiel. Etwas, das das Gras rot färbte und weiß schimmerte. Aizawa war der Erste, der auf das Etwas zuging und sich davor kniete. Toshinori und er selbst folgten ihm langsam, dabei ihre Umgebung nicht aus den Augen lassend. Enjis Hand ruhte auf seinem Schwertgriff, bereit, es jederzeit zu ziehen, um sich oder die anderen zu verteidigen. Er riskierte einen Blick zu dem Haufen aus Knochen, Fleisch und Eingeweiden – wobei vieles davon nicht mehr vorhanden war. Das einzig Vollständige an dem Kadaver war der Kopf, dessen trübe Augen ins Nichts glotzten. Wolle und Fell darauf waren mit Blut besprenkelt.

„…die Knochen sind beschädigt“, hörte er Aizawa murmeln. „Teilweise zersplittert…was auch immer es gerissen hat, verfügt über eine immense Kraft.“

Enji verengte die Augen, während er den Blick wieder hochwandern ließ.

„Und jetzt fällt uns seine Beute einfach vor die Füße…natürlich“, erwiderte er sarkastisch.

„Es muss noch in der Nähe sein“, stimmte Toshinori zu. „Die Federn, die uns auf dem Weg präsentiert wurden…“

„Es legt uns eine Spur“, sprach Aizawa aus, was sie alle dachten.

„Tse…es führt uns an der Nase herum“, knurrte Enji und ließ den Blick erneut schweifen.

„Du hast es auch gespürt, oder?“, fragte Toshinori leise. „Das Gefühl, beobachtet zu werden…“

„Ja. Vielleicht ist es hier, während wir sprechen…auch wenn ich nicht verstehe, wie wir es nicht sehen können. Eine Kreatur dieser Größe…“

Sie verfielen sofort wieder in Schweigen, als etwas raschelte. Enji sammelte sich kurz, ehe er sein Schwert losließ und die Armbrust packte, diese herumriss und in die Richtung schoss, aus der das Geräusch kam. Ein paar Spatzen wurden hoch gescheucht…darauf folgte Stille. Da der Bolzen nicht wieder zurückkam, musste er wohl irgendwo stecken geblieben sein. Ärgerlich, doch er würde bestimmt nicht versuchen, dort hoch zu klettern. Geschweige denn Aizawa fragen, für dessen Gewichtsklasse dies sicher einfacher war.

„Hn. Gehen wir weiter“, brummte er nur, woraufhin Toshinori nickte.

„Ja. Ein Lager aufschlagen…“

Auch Aizawa schien nicht widersprechen zu wollen. Wenn dieses Ding eine Spur legte…und ihnen folgte, war es klug. Vielleicht sogar in der Lage, die Menschensprache zu verstehen. Wenn es sie für einfältig hielt, würde es früher später einen Fehler machen und sich selbst enttarnen.
 

Mit einem Mal schoss etwas von oben auf sie zu, blieb knapp vor Aizawas Fuß im Boden stecken. Der Bolzen, den Enji eben noch verschossen hatte. Erneut griffen alle zu ihren Waffen, wobei Enji ebenso wie Toshinori direkt die Armbrust nahm und Aizawa seinen Bogen spannte.

„Oi, kein Grund, gleich gewalttätig zu werden.“

Enji fuhr herum und schoss, noch bevor er etwas sah. Entgeistert sah er zu, wie sein Bolzen noch in der Luft gefangen und festgehalten wurde. Von einer Hand, die keine war. Die Beschreibung Huhn war gar nicht mal unpassend, wenn man sich das Wesen anschaute. Sein Körper war dem der Menschen recht ähnlich – ignorierte man die Extremitäten. Diese waren zur Hälfte menschlich, doch Unterarme und Waden erinnerten an die Gliedmaßen von Vögeln. Die scharfen, gebogenen Krallen hielten den Bolzen fest, während es auf einem dicken Ast saß und die Beine baumeln ließ. Seine Gestalt erinnerte an die eines schlanken Jünglings mit zerzausten, blonden Haaren und einem getrimmten Kinnbart, doch seine Ohren liefen spitz zu, wie die eines Kobolds aus den Sagen. Seine Augen besaßen die Farbe von Bernstein, die Pupille schmaler, als es normal war, und die schwarzen Markierungen um diese herum ließen ihn zusätzlich an einen Vogel erinnern. Er trug eine halblange, schwarze Hose und ein lockeres, braunes Gewand mit kurzen Ärmeln, das an der Taille mit einem dunkleren Band geschnürt war. Und da waren sie…die riesigen, roten Flügel. Von der Farbe frischen Blutes und mit einer beachtlichen Spannweite.

Für einen kurzen Moment war er von dem Anblick gebannt, wenngleich er sich diese Faszination selbst nicht erklären konnte. War die Kreatur irgendwelcher Magie mächtig?

„Schließlich wollte ich bloß nett sein und euch eure Waffe wiedergeben. Schön vorsichtig damit, ja? Sonst tut sich noch jemand weh.“

Das Ding zwinkerte ihnen zu, während es mit dem Bolzen in seiner Klaue herumspielte. Enji riss die Armbrust hoch, bereit, erneut zu schießen, während die anderen beiden es ihm gleichtaten.

„Wage es nicht, uns zu drohen, Dämon!“, warnte er ihn, behielt ihn fest im Blick.

„Drohen? Ich will bloß eine Eskalation verhindern. Seht mal…es war ganz amüsant, euch zu beobachten, hier und da eine Feder zu verlieren…aber wenn ihr weiter auf mich Jagd macht, muss ich mich verteidigen. Dann verletze ich einen von euch, derjenige erliegt seinen Wunden, die anderen schwören Rache und das ganze Spiel wiederholt sich.“

„…und was schlagt Ihr stattdessen vor?“, fragte Toshinori gefasst, woraufhin die Kreatur schmunzelte.

„Eine friedliche Lösung?“

Enji grollte.

„Verhandle nicht mit dem Monstrum, Toshinori! Nur, weil es unsere Sprache spricht, ist es keiner von uns! Hast du nichts aus dem letzten Mal gelernt?! Es spricht mit gespaltener Zunge!“

„Ich weiß…keine Sorge. Ich wiederhole meine Fehler nicht“, kam es von seinem Freund, über dessen Gesicht ein Schatten huschte.

„Also eine gespaltene Zunge hab ich nicht, seht ihr?“, rief das Wesen ihnen zu und streckte ihnen die Zunge raus. „Ganz normal – na gut, meine Zähne sind etwas schärfer als eure, aber wenn ihr mich brav in Ruhe lasst, werde ich keinem von euch wehtun. Eigentlich finde ich euch recht amüsant. Vor allem du da…mit der heftigen Narbe! Du hast ne kurze Zündschnur, oder? Das – hoppala!“

Enji hatte einen weiteren Bolzen auf ihn abgeschossen, doch der Dämon fing diesen mit der freien Klaue, schüttelte den Kopf und sah ihn tadelnd an.

„Ich hab’s ja gesagt. Kurze Zündschnur, hm?“

„Schweig, Dämon!“

„Nicht so unfreundlich! Mein Name ist Hawks…und ich bin eine Harpyie. Freut mich, eure Bekanntschaft zu machen!“

Dreist grinste er sie an, während er die Bolzen achtlos fallen ließ und sie mit seinen unmenschlichen Augen fixierte. Zwar wirkte er leichtherzig, doch anhand seiner gespannten Körperhaltung erkannte man, dass der Dämon wachsam war. Intelligenz, Schnelligkeit…alles Attribute, die es schwierig machen würden, ihn zu erlegen.
 

„…wenn du eine friedliche Lösung willst, hättest du die Nutztiere nicht reißen sollen. Damit bringst du die Bauern dazu, solche Leute wie die beiden, anzuheuern.“

Aizawa hielt noch immer seinen Bogen auf Spannung, doch seine Stimme klang weiterhin ruhig. Dafür, dass dieser bislang nie einem Dämon begegnet war, wirkte er recht gefasst. Andere in seiner Situation wären wahrscheinlich durchgedreht.

„Was soll ich sagen…ich bin recht gefräßig und die Schafe sahen so köstlich aus, da konnte ich mich nicht zurückhalten. Ich habe da diese Schwäche…was ich will, muss ich mir nehmen. Aber kommt schon…die paar Tiere, die ich mir gegönnt habe, sind doch kein Drama.“

„Ihr nehmt den Bauern ihre Lebensgrundlage. Das ist nichts, worüber man scherzen sollte“, wies Toshinori ihn ernst zurecht, woraufhin der Dämon seufzte.

„Gut, vielleicht waren es ein paar mehr…wenn das euer einziges Problem ist, werde ich eben demnächst wieder mehr Wild jagen. Einverstanden?“

„Zu spät!“, antwortete Enji erzürnt. „Du hast Menschen angegriffen und verletzt! Du bist eine Gefahr für unsere Gemeinschaft und deswegen werden wir dich zur Strecke bringen!“

„Na…nun bleib aber mal sachlich, hm? Wie würdest du reagieren, wenn dich ein paar Verrückte mit ihren Mistgabeln attackieren? Gut, ich hab mich an ihrem Vieh vergriffen…aber die können froh sein, dass ich so ein gutherziger Dämon bin! Immerhin hab ich keinem den Kopf abgerissen – und das geht mit den Klauen ganz leicht. Seht ihr?“

Er hob einen seiner Hühnerfüße an und wackelte damit herum. Wollte dieses Ding sie eigentlich komplett zum Narren halten?! Er kam sich veralbert vor und das konnte er überhaupt nicht leiden.

„Komm da runter, damit wir dich erlegen können! Oder fürchtest du einen Kampf mit uns?!“, blaffte er den zu groß geratenen Vogel an.

Dieser neigte den Kopf seitlich, grinste ihn an.

„Du willst einen Kampf? Ist das nicht ein bisschen unfair? Immerhin seid ihr zu dritt und ich bin allein.“

„Ihr seid uns aufgrund Eurer Klauen und Flügel offensichtlich überlegen“, gab Toshinori zurück. „Insofern ist es ausgeglichen, denkt Ihr nicht? Immerhin habt Ihr es die ganze Zeit geschafft, Euch vor uns zu verbergen, trotz Eurer auffälligen Färbung…Ihr müsst also recht flink sein.“

Der Dämon blinzelte den Blonden an, ehe sich seine Flügel plötzlich veränderten. Die Federn plusterten sich auf, wirkten dadurch größer – sollte das eine Drohung sein? Enji sowie die anderen beiden wichen einen Schritt zurück, nur für den Fall, dass das Ding auf sie zu stürzte. Stattdessen passierte jedoch etwas, mit dem keiner von ihnen gerechnet hatte…

„Aww~! Du schmeichelst mir, Mensch…aber in der Tat. Ich bin flink. Und…hast du schon mal so hübsche Flügel wie meine gesehen? Selbst bei meiner Art ist solch eine Farbe unheimlich selten, die meisten Harpyien tragen Braun. Man kann sich auf die Weise natürlich besser tarnen…von daher muss ich diesen Nachteil mit Schnelligkeit ausgleichen!“, plapperte der Dämon los und wippte dabei hin und her.
 

Was zur Hölle stimmte mit diesem Viech nicht? Toshinori hatte er jedenfalls sprachlos gemacht, denn dieser stand mit offenem Mund da und starrte den Dämon an.

„Du sollst ihn nicht mit Komplimenten beglücken!“, zischte Enji ihn von der Seite an, woraufhin sich Toshinori mit der freien Hand den breiten Nacken rieb.

„Ich…ja…also…uhm…das war so nicht…“

„…natürlich bedarf es gründlicher Pflege, damit das Gefieder so glänzt…“, zwitscherte der Vogel ungeachtet dessen weiter.

Aizawa ließ den Bogen etwas sinken, runzelte die Stirn.

„Ihr wirkt nicht wie eine Bestie…“, meinte er monoton, woraufhin der Dämon innehielt.

„Nun, Bestie habt ihr mich genannt. Schließlich kann man doch ganz gut mit mir reden, hm? Was haltet ihr also davon, wenn ihr nun kehrt macht und meinen Wald verlasst?“, schlug der Dämon vor, wobei er mit den roten Flügeln raschelte. „Ich verspreche auch, den Schafsherden fern zu bleiben. Kann ja keiner ahnen, dass sie mir gleich ein paar Krieger auf den Hals hetzen…“

Deinen Wald, huh?“, wiederholte Enji spöttisch.

„In der Tat. Ich habe diesen Ort zu meinem Revier auserkoren.“

„Eine Plage wie du hat kein Revier!“, grollte er, woraufhin der Dämon eine Braue hob.

„Tja. So ist es aber…was willst du nun machen, Mensch? Wieder auf mich schießen? Versuch dein Glück…“, provozierte er ihn und bleckte dabei die spitzen Zähne.

Enji zögerte nicht länger, sondern schoss den Bolzen in dessen Richtung, jedoch wurde er erneut abgefangen. Er musste das Vieh vom Baum runterholen…im besten Fall die Flügel treffen. Er konnte nicht allen ausweichen, wenn sie also zu dritt…

„Steht da nicht rum, sondern schießt!“, knurrte er seine Begleiter an, welche zögerten.

Toshinori fasste sich als Erster, hob die Armbrust an und zielte.

„Es tut mir leid, Dämon…aber Ihr stellt eine zu große Gefahr dar. Wir können Euren Worten nicht vertrauen…“

Etwas wie ein Schatten von Bedauern huschte über das jugendliche Gesicht des Dämons, ehe dieser hörbar seufzte.

„Sagt aber nachher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt…“, murmelte er und zuckte mit den Schultern. „Ihr Menschen seid so stur…es ist wahrlich frustrierend.“

Im nächsten Moment musste er gleich zwei Bolzen ausweichen, indem er sich einfach vom Baum fallen ließ. Seine gewaltigen Krallen gruben sich in die Erde, während er sich aufrichtete – und Enji zögerte nicht, sein Schwert zu ziehen, auf ihn loszurennen.

„Deckung, Toshinori!“, rief er und ein Bolzen flog an ihm vorbei, auf den Dämon zu.

Dieser breitete seine roten Schwingen zur vollen Größe aus und schlug einmal mit diesen. Der erzeugte Wind zerrte an seinem Körper, riss ihn beinahe von den Füßen. Der Bolzen wurde ebenfalls davon geschmettert, traf ihn um ein Haar am Kopf. Verdammt…

Er knirschte mit den Zähnen, musste sein eigenes Schwert in den Boden rammen, um dem Wind standzuhalten. Dann plötzlich hörte es einfach auf, denn der Dämon stieß sich mit einem ohrenbetäubenden Schrei von der Erde ab und erhob sich in die Luft, brach ungeachtet der Zweige und Blätter durch die Baumkronen. Ein schrilles Piepen blieb in seinem Gehör zurück, machte es ihm schwer, nicht auf die Knie zu sinken. Was zur Hölle…? Hinter ihm hatten sich Toshinori und Aizawa die Hände auf die Ohren gepresst, welche sie nun langsam wieder lösten.

„Ich habe keine Lust mit euch zu kämpfen“, hörte er den Dämon von weit oben rufen, doch sehen konnte er ihn nicht mehr. „Erfreut euch eures Lebens und seht zu, dass ihr verschwindet. Beim nächsten Mal bin ich vielleicht weniger nett.“

Enji fluchte laut, zog wütend sein Schwert aus dem Boden und ließ den Blick schweifen. War das Monster tatsächlich geflohen? Was für ein feiger Dämon…erbärmlich. Doch immerhin wussten sie nun, mit was sie es zu tun hatten. Sie würden Maßnahmen ergreifen können, um dem Ding den Garaus zu machen. Verschwinden? Niemals…sie fingen gerade erst an!

Der Zwiespalt

„Euer…Freund ist hartnäckig.“

Toshinori blickte auf, als Aizawa ihn unvermittelt ansprach. Bisher hatte sich dieser in Schweigen gehüllt und er hatte ihn gelassen. Einem Dämon zum ersten Mal zu begegnen, konnte verstörend sein. Sicherlich musste der andere dies erst einmal verarbeiten. Sie waren trotz der Drohung des gefiederten Dämons im Wald geblieben – vor allem Enji hatte darauf beharrt. Er kannte seinen Freund gut genug, wusste um dessen Stolz und wie sehr er es hasste, an der Nase herumgeführt zu werden. Folglich hatten sie ihr Lager an einer windgeschützten Stelle aufgebaut, ein kleines Feuer errichtet, das zumindest wilde Tiere fernhalten würde. Den Dämon würde es sicherlich nicht abschrecken, aber dieser würde sie vermutlich auch so finden. Enji war noch einmal losgezogen, um die Grenzen um ihr Lager abzustecken, hatte er gesagt. Toshinori wusste, dass es nichts brachte, sich ihm anzuschließen, wenn er dermaßen gereizt war. Da stieß man auf taube Ohren, zumal sich der andere gut allein verteidigen konnte. Er warf einen Blick zu Aizawa, der neben ihm im Schneidersitz saß und in die lodernden Flammen sah, wobei sich diese in seinen dunklen Augen spiegelten.

„Das kann ich nicht bestreiten“, erwiderte er mit einem Lächeln. „Wir sind zusammen aufgewachsen und er war schon immer so. Temperamentvoll, ehrgeizig…“

Aizawa gab ein Schnauben von sich.

„…Ihr meint wohl, reizbar und starrsinnig.“

Toshinori neigte den Kopf, während er den anderen von der Seite her musterte. Es wunderte ihn nicht, dass dieser nicht viel von Enji zu halten schien.

„Mir ist bewusst, dass er nicht immer einen positiven ersten Eindruck vermittelt…aber glaubt mir bitte, dass er ein guter Mann ist.“

Aizawa löste den Blick langsam von den Flammen und erwiderte den seinen. Aufgrund der unregelmäßigen Bartstoppeln und der wilden Mähne, die ihm teilweise ins Gesicht fiel, wirkte Aizawa älter, als er es vermutlich war. Sicherlich jünger als sie beide, vielleicht Mitte zwanzig. Es war schwer, ihn zu lesen, so monoton, wie er meistens drein blickte.

„Ein guter Mann würde nicht versuchen, ein offensichtlich vernunftbegabtes Wesen zu töten, ohne es richtig angehört zu haben.“

Einen kurzen Moment dachte Toshinori über die Worte nach, ließ den Blick dabei über ihr Lager schweifen. Ganz Unrecht hatte Aizawa da nicht, jedoch hatte dieser bislang anscheinend nicht viel mit Dämonen zu tun gehabt. Er wusste nicht, was sie beide wussten. Was sie am eigenen Leibe erfahren hatten. Besonders Enji.

Ein Schatten huschte bei dieser Erinnerung über sein Gesicht, die blonden Brauen zogen sich etwas zusammen.
 

„Ich kann Eure Bedenken nachvollziehen“, gab er leise zurück. „Auch ich habe einst einen Dämon verteidigt. Ich hatte geglaubt, er wäre…anders. Im Gegensatz zu den meisten Bestien war dieser von menschenähnlicher Gestalt…wie das Wesen, das wir heute trafen. Es handelte sich ebenfalls um einen jungen Mann…und er beteuerte, nichts mit den verschwundenen Mädchen zu tun zu haben. Er sei kein Mörder und bat uns um Gnade. Ich wurde weich…während Enji mich einen einfältigen Narren schalt. Wir diskutierten heftig…und während wir das taten, zeigte der Dämon sein wahres scheußliches Gesicht und zerriss meinem Kameraden das seine. Enji hätte dabei beinahe sein Augenlicht eingebüßt…und das nur, weil meine Urteilskraft von Mitleid getrübt war.“

Er würde nie vergessen, wie sich das Monster auf seinen Freund gestürzt hatte. Dessen heißes Blut war ihm an die Wange gespritzt, es hatte ihn regelrecht gelähmt…ehe er dem Ding den Garaus gemacht hatte, bevor es doch noch einen von ihnen hatte töten können. Eine schreckliche Erinnerung.

„Es ist gerade mal ein halbes Jahr her“, fuhr er fort. „Doch es verfolgt mich oft genug. Meinetwegen hätte er sterben können. Solch ein Risiko kann ich nie wieder eingehen. Daher…verurteilt uns nicht für unsere Entscheidungen, Aizawa-san. Wir haben unsere Gründe…so wie Ihr vermutlich auch.“

Der andere runzelte die Stirn, als er den letzten Satz vernahm.

„Was wollt Ihr damit sagen?“

Toshinori sah ihn ruhig aus seinen blauen Augen an.

„Ich meine Eure unverhohlene Abneigung gegen Krieger wie uns. Auch Ihr werdet dafür Gründe haben…auch wenn ich weiterhin hoffe, dass wir Euch davon überzeugen können, dass wir eigentlich ganz nett sind.“

Er grinste dabei breit und streckte den Daumen in die Höhe, doch Aizawa schien sich davon genauso wenig einnehmen zu lassen wie Enji. Letzterer boxte ihn meistens dafür in die Seite oder fauchte ihn an, er solle den Unsinn lassen. Dabei war eine positive Einstellung doch wichtig!

Aizawas Ausdruck wurde etwas finsterer, während er recht krumm da saß und ihn anfunkelte.

„Die meisten von Euch sind Heuchler. Ich verabscheue Heuchler.“

Toshinori blinzelte, ehe er sich den Nacken rieb, dabei nach den richtigen Worten suchte.

„Uhm…Ihr seid wirklich…ehrlich. Immer geradeheraus, huh? Ein guter Charakterzug…ich schätze Ehrlichkeit“, begann er und lächelte leicht. „Jedoch ist der erste Eindruck nicht immer der einzig Wahre. Ich bitte Euch daher erneut, nicht vorschnell zu urteilen. Kein Mensch ist ohne Fehler, doch wir bemühen uns.“

Bei Aizawa schien er dabei einen Nerv getroffen zu haben, so abfällig, wie dieser schnaubte. Ein schwieriger Mann…doch ebenso interessant.
 

„Ich kannte genügend Eurer Sorte, die von Tugend und Ehre predigten…und im Endeffekt bloß überhebliche Schwachköpfe waren, die ihre Position ausnutzten. Männer Eures Standes können sich nahezu alles erlauben. So etwas macht mich krank.“

Die Verbitterung troff geradezu aus seinen Worten, was Toshinori vermuten ließ, dass es dabei um eine recht persönliche Angelegenheit ging. Nun, er kannte Aizawa kaum, wie konnte er also verlangen, dass er ihm seine Geschichte erzählte? Für einige Sekunden blieb er still, dachte über dessen Feindseligkeit nach.

„Sicherlich mögt Ihr Recht haben. Nicht jeder ist gleich. Nicht jeder mit Rang und Titel hat diese auch verdient. Vielleicht gibt es sogar wirklich Dämonen, die Euren Einspruch verdienen. Wir sind alle irgendwo voreingenommen…Ihr selbst seid diesbezüglich jedoch keine Ausnahme.“

Aizawa antwortete ebenfalls nicht sofort, vielleicht weil er merkte, dass er sich wie Enji, den er ja nicht leiden konnte, verhielt. Er schüttelte schließlich den Kopf, wobei ihm die dunklen Locken in die Stirn fielen.

„Nein. Das bin ich nicht“, gab er zu, was Toshinori wunderte. „Und Ihr? Wo reiht Ihr Euch ein?“

Bei der Frage stutzte er, denn eigentlich hatte er sie doch schon beantwortet? Oder nicht?

„Ich sagte doch, dass ich keine Ausnahme bilde…“

„Ihr versteht Euch jedenfalls darauf, die richtigen Worte zu benutzen. Das zu sagen, was Leute hören wollen…Euch beliebt zu machen…nicht wahr?“

„Uhm…bei allem Respekt, Ihr kennt mich erst wenige Stunden…aber um Eure Frage zu beantworten – ich bin so ehrlich, wie Ihr es zu sein scheint. Nur weniger scharfzüngig. Und ich bin ein Krieger mit Leib und Seele, so wie es auch Enji ist. Reiht mich ein, wo es Euch beliebt.“

Kaum dass er es ausgesprochen hatte, fragte er sich, ob das ein wenig zu forsch war. Er hatte nicht vor, Aizawa zu beleidigen. Aber es war die Wahrheit. Er verhielt sich respektvoll und freundlich, weil es ihm so beigebracht worden war. Sicher lag es auch in seiner Natur…seine Lehrmeisterin hatte ihn oft zu sanftmütig genannt. Deswegen war er kein verlogener Mann.

Aizawa sah ihn lange einfach nur aus seinen fast schwarzen Augen an. Sie waren so dunkel, dass man die Pupille kaum von der Iris unterscheiden konnte.

„Ihr besitzt scheinbar mehr Rückgrat, als ich annahm.“

Verdutzt blickte er den anderen Mann an, wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte.

„Ihr hieltet mich für rückgratlos?“

„Wegen des Dämons. Ja“, erwiderte Aizawa leichthin und zuckte mit den Schultern. „Ihr wirktet, als würdet Ihr dagegen sein, ihn zu töten. Ich nahm an, Ihr würdet bloß Eurem…Freund nachgeben, um einen Streit zu vermeiden.“

Das ergab Sinn, wenn er darüber nachdachte.

„Ich habe tatsächlich gezweifelt, aber wie Ihr nun wisst…nicht zum ersten Mal. Ich kann solch ein Risiko nicht zweimal verantworten. Wenn Enji oder Euch etwas geschehen würde…“

„Ihr kennt mich kaum. Ich kann mein Risiko allein tragen, danke“, unterbrach Aizawa ihn rüde, woraufhin Toshinori den Kopf schief legte.

„Ich muss Euch nicht gut kennen, um Euch schützen zu wollen, Aizawa-san. Es ist meine Berufung, die Menschen vor Leid zu bewahren.“

Dieser schnalzte mit der Zunge, ehe er einen ihrer gesammelten Äste ins Feuer warf, woraufhin kurz einige Funken aus diesem stoben. Im Schein des Feuers schienen die Augen des anderen Mannes rot zu glühen, doch im selben Moment war es wieder vorbei.
 

„In dem Fall bin ich auf Eure wahre Natur beinahe so gespannt wie auf ein Wiedersehen mit dem Dämon“, meinte er tonlos.

Spannung hörte sich eigentlich anders an. Toshinori wurde aus diesem Kerl nicht schlau.

„Meine…wahre Natur?“

„Ob Ihr bloß ein guter Redner seid…oder etwas dahinter steckt. Erfahrungsgemäß werdet Ihr eine Enttäuschung sein.“

Toshinori räusperte sich, fuhr sich mit der großen Hand durch seine blonden Haare – auch wenn seine beiden vorderen Strähnen sofort widerspenstig zurücksprangen.

„…Ihr seid wirklich gnadenlos in Eurer Meinung, hm?“

„Ja.“

„Nun…dann bleibt mir keine andere Wahl. Ich werde Euch wohl vom Gegenteil überzeugen müssen!“, kam es von Toshinori und er grinste ihn breit an.

Aizawa hob lediglich eine Braue, ohne eine Miene zu verziehen, doch er nickte.

„Wir werden sehen.“

„Haha, in der Tat! Das werden wir!“

„…wir werden was?“

Toshinori, der eben noch voller Euphorie seine Faust in die Luft gereckt hatte, hielt inne, als er die vertraute Stimme hörte. Anscheinend war Enji erfolgreich gewesen – wenn auch nicht mit der Jagd nach einem Dämon. Er sah zu dem toten Hirsch, den er gerade von seiner Schulter zu Boden fallen ließ.

„Ich habe unser Abendessen besorgt.“

Aizawa begutachtete das Tier kurz, ehe er sein Jagdmesser zückte und sich erhob. Sicherlich war er geübt im Ausnehmen von Wild und Kleintieren. Dieser kniete sich vor den Hirsch, machte sich dann unaufgefordert ans Werk.

„Ihr hättet Euch lieber an kleinere Tiere gehalten. So viel werden wir nicht essen können“, stellte er fest, während seine ruhigen Hände durch Fell und Fleisch schnitten.

Enji warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Könnt Ihr eigentlich noch mehr als uns zu kritisieren?“, fragte er zynisch und setzte sich zu ihnen ans Feuer.

„Schießen“, kam es stumpf zurück, ohne dass der andere seine Arbeit unterbrach. „Weswegen Ihr mich unter anderem ja dabei haben wolltet.“

„Von Eurem Talent hat man zwar nicht viel gesehen, aber na ja…und zu Eurer Anmaßung – den Rest werden sich schon die Wölfe holen.“

Darauf antwortete Aizawa diesmal nicht, zuckte bloß mit den Schultern, während er fortfuhr, ihr Abendessen vorzubereiten. Toshinori beobachtete die beiden still und ohne sich einzumischen; ob diesen bewusst war, wie ähnlich sie sich auf ihre pessimistische Art waren? Nun, besser, er erwähnte es nicht.
 

„Wir sollten morgen Fallen aufstellen“, meinte Enji eine Weile später, ehe er ein Stück aus seinem mittlerweile gebratenen Fleisch mit den Zähnen riss.

Toshinori warf ihm einen Blick zu, drehte seinen Stock in der Hand und nahm dann ebenfalls einen Bissen vom Fleisch, welches darauf gespießt war. Es tat gut, endlich etwas im Magen zu haben, nachdem sie den ganzen Tag unterwegs gewesen waren.

„Der Dämon schien recht intelligent“, gab er zu bedenken. „Ich weiß nicht, ob wir hier mit so etwas weiterkommen.“

„Dann müssen die Fallen eben wohl überlegt sein“, knurrte Enji zurück, ehe er zu Aizawa sah, der still aß. „Eure Einschätzung, Waldschrat?“

Der Dunkelhaarige hob eine Braue, drehte dann langsam den Kopf zu ihnen.

„Seit wann kümmert Euch meine Meinung?“, fragte er trocken.

„Nun, da Ihr ja angeblich alles besser wisst…könnt Ihr das nun beweisen. Also?“

„…“

Aizawa richtete seinen Blick wieder auf die Flammen, während er abermals in sein Stück Fleisch biss und in aller Ruhe kaute. Die beiden schienen sich einmal mehr auf die Probe zu stellen und ihm entging nicht, wie Enji die Augen verengte.

„Mit Bärenfallen würdet Ihr hier nicht weit kommen. Er wird sich nicht viel am Boden aufhalten…nicht mit diesen Flügeln. Netze in den Bäumen hängen vom Zufall ab – sollte er unaufmerksam sein, könnte er sich darin verfangen und es Euch einfacher machen. Ansonsten wissen wir, dass er gierig ist – das hat er selbst gesagt. Ein Köder wäre daher eine Möglichkeit. Da er uns jedoch schon mal beobachtet hat, könnte er es wieder tun. Damit wäre jede Falle sinnlos, sodass wir uns aufteilen müssten, um dies zu verhindern. Er kann uns nicht alle gleichzeitig verfolgen.“

Toshinori nickte langsam, lächelte Aizawa anerkennend an.

„In Euch scheint ein guter Stratege zu stecken, Aizawa-san.“

„Ja…bei einem Einsiedler wie Euch nur schwer zu glauben…“, bemerkte Enji angesäuert, doch Aizawa schien es nichts auszumachen. „Vor allem, da Ihr ja dagegen wart, ihn zu erlegen.“

„Meine Ansichten darüber haben sich nicht geändert – und Ihr habt auch nicht danach gefragt“, meinte er bloß und aß dann ungerührt weiter. „Stellt Eure Fragen präziser, wenn Ihr eine andere Antwort wünscht.“

Toshinori seufzte leise, ehe er sich an seinen rothaarigen Kameraden wandte, bevor dieser sich noch auf ihren Begleiter stürzte.

„Der Vorschlag mit den Netzen und Ködern ist gut. Wir sollten morgen zurück zum Dorf gehen und sehen, ob sie uns etwas zur Verfügung stellen können.“

Enji brummte missgelaunt, wohl auch, weil der ursprüngliche Vorschlag von Aizawa kam.

„Von mir aus.“

Und mit diesen Worten biss er wieder in sein Fleisch, riss ein großes Stück heraus und kaute wütend darauf herum. Toshinori beließ es dabei, wandte sich seinem eigenen Essen zu. Seine Gedanken schweiften zu dem Dämon zurück, denn auch, wenn er gesagt hatte, er könne kein zweites Mal ein Risiko eingehen, hallten dessen Worte in seinem Kopf wider.
 

Dann verletze ich einen von euch, derjenige erliegt seinen Wunden, die anderen schwören Rache und das ganze Spiel wiederholt sich.
 

Das war viel weitsichtiger, als viele Menschen erkannten. Auch er selbst war nicht frei von solchen Gefühlen, die jeder Vernunft entbehrten, weil die Emotionen überhandnahmen. Dass gerade ein Dämon, eine als eigentlich primitiv geltende Kreatur, in solch eine Richtung dachte, verwunderte ihn. Auch hatte er sie drei entkommen lassen, beziehungsweise war er geflohen und hatte somit nicht mal den Versuch unternommen, sie anzugreifen. Sicherlich konnte es ein Trick sein…manche Dämonen taten so etwas. Mit ihrer Beute spielen, bevor sie sie verzehrten. Trotzdem…wollte ein Teil von ihm glauben, dass diese junge Harpyie die Wahrheit gesagt hatte. Nicht, dass es etwas ändern würde, denn er hatte seine Entscheidung bereits getroffen…doch das Bedauern darüber konnte er nicht ganz beiseiteschieben. Es war eben, wie seine Mentorin oft gesagt hatte – er war ein Träumer mit dem festen Glauben an das Gute. Bloß gab es dafür in dieser Welt wenig Platz.

So in seine Gedanken vertieft, entging ihm Aizawas undefinierbarer Blick, welcher schon seit einer Weile auf ihm lag.
 

Am nächsten Morgen zogen sie früh los, wobei Toshinori erst auf dem Weg etwas einfiel, das er am vorigen Abend außer Acht gelassen hatte. Er wandte sich Aizawa zu, der ein Stück vor ihnen ging.

„Ihr habt Euch gestern nicht zu unserem Vorhaben geäußert. Verzeiht, dass wir Euch nicht gefragt haben, ob es auch für Euch in Ordnung ist, das Dorf aufzusuchen. Da Ihr uns auf unserem Weg begleitet, habt Ihr natürlich ein Mitspracherecht.“

Enji neben ihm schnaubte leise.

„Er hat ja wohl einen Mund, den er benutzen kann, wenn ihm etwas nicht passt“, antwortete er für Aizawa, der einfach weiterging.

Toshinori sah seinen Freund tadelnd an, ehe er wieder zu ihrem Begleiter sah, welcher sich mit der Antwort Zeit ließ.

„Wie Euer Kamerad so schön gesagt hat – Ihr erfahrt es, wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin. Wenn ich auch nicht begeistert davon bin, das Dorf zu betreten, verstehe ich die Notwendigkeit. Es gibt einige Fischer dort, aufgrund des Sees in der Nähe. Netze werdet Ihr wohl finden, wenn auch nur gegen den richtigen Preis.“

Toshinori nickte verstehend, auch wenn er nicht glaubte, dass dies ein Problem sein würde. Davon abgesehen, dass sie einige Münzen bei sich führten, waren die Menschen dankbar genug, dass sie sich des Dämons annahmen.

„…fragt sich nur, ob sie Euch das Dorf betreten lassen“, kommentierte Enji neben ihm ruhig. „Der Wirt aus der Taverne fand wenig schmeichelhafte Worte für Euch.“

„Enji!“, kam es empört von Toshinori, der fand, dass dies zu weit ging.

„Was?“, ranzte der zurück. „Wir wissen kaum etwas über ihn…außer, dass er im Dorf unbeliebt ist. Etwas, das ich nachvollziehen kann…aber da gibt es bestimmt noch mehr Gründe als seine Unfreundlichkeit.“

Aizawa warf ihnen einen regelrecht gelangweilten Blick über die Schulter zu, schien sich nicht von dem Gespräch angegriffen zu fühlen. Etwas, das Toshinori nicht verstehen konnte. Würde man so über ihn reden, hätte es ihn verletzt. Zumal sie seine Hilfe benötigten. Es erschien ihm unangemessen, so etwas dermaßen unsensibel anzusprechen, wie Enji es tat.

„Wenn Ihr jetzt eine tiefschürfende Geschichte erwartet, muss ich Euch enttäuschen“, brummte Aizawa monoton. „Die Abneigung der Dorfbewohner beruht auf Gegenseitigkeit. Ich bin anders. Alles, was anders ist, wird gefürchtet oder geächtet. Sie kommen heimlich zu mir, wenn sie etwas wollen. Wirksame Kräuter gegen Krankheiten, ein verschwundenes Kind im Wald…zwei Krieger, die einen Fährtenleser brauchen…derlei Dinge eben. Sie bezahlen mich dafür und meiden mich danach wieder. Eine stille Übereinkunft.“

Er wandte den Blick wieder nach vorn, ging weiter voran.

„…sie werden sich nicht freuen, mich zu sehen…mich aber wie jedes Mal dulden.“

„Das klingt einsam“, bemerkte Toshinori leise.

„Ich bin nicht einsam. Ihr habt die Katzen gesehen. Sie sind bessere Gesellschaft als so mancher Mensch“, erwiderte Aizawa ungerührt.

Enji schnaubte leise, schüttelte den Kopf.

„Ihr seid wahrlich ein komischer Kauz.“

„Denkt über mich, was Ihr wollt.“
 

Enji schien gerade zu einer Antwort ansetzen zu wollen, als sie alle drei gleichzeitig innehielten. In der Ferne ertönte etwas, das zumindest Toshinori nicht direkt einordnen konnte. War das…Hufgetrappel? Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als der riesige Hirsch auch schon aus dem Dickicht hervorbrach – und hätte sich Aizawa nicht zur Seite geworfen, hätte ihn das Tier wohl mitgenommen. Mit diesem Geweih hätte das tödlich ausgehen können, doch ihnen blieb keine weitere Zeit darüber nachzudenken. Auch Enji und er selbst wichen aus, wurden jedoch sogleich zu Boden gerissen, als sie von einer Art Windböe erfasst wurden. Etwas sauste im Sturzflug an ihnen vorbei und noch bevor sie es begriffen, hörten sie den markerschütternden Schrei des Hirsches, welcher zweifellos soeben sein Ende fand.

Als sich Toshinori umdrehte, sah er zuerst die gewaltigen, roten Schwingen des Dämons, dessen gebogene Krallen im Rücken des am Boden liegenden Hirschs steckten, diesem zweifellos die Knochen brachen. Er erinnerte sich wieder an den Kadaver…und bei dem Anblick ergab alles einen Sinn. Wie gelähmt sah er zu, wie der Dämon ausholte und dem sich vor Qualen windenden Tier seine beiden Klauen, die sowas wie seine Hände darstellten, in den Hals rammte, um ihm diesen mit einem Ruck umzudrehen. Ein letztes Aufbäumen und es brach zusammen, blieb zitternd am Boden liegen, bis auch dieses verebbte. In dem Moment, als der Dämon seine scharfen Zähne im Fleisch des Hirsches versenkte, hatte dessen Gesicht nahezu alles Menschliche verloren. Die Pupillen waren noch schlitzförmiger, der Mund wirkte breiter, sodass er einen großen Fetzen herausreißen konnte und diesen ohne viel zu kauen verschlang.

Toshinori wusste, dass dies der Lauf der Dinge war. Der Starke fraß den Schwachen – Enji hatte mit dem Hirsch in der letzten Nacht nichts anderes gemacht. Dennoch war er von der grausamen Szene wie gebannt, musste sich fassen, ehe er zu Aizawa sah, welcher ähnlich verstört wie er selbst wirkte. Möglicherweise, weil sie beide soeben begriffen, wie einfach der Dämon dasselbe mit ihnen tun konnte. Gegen diese Klauen würden sie keine Chance haben – nicht, wenn sie sie einmal gepackt hatten. Sie würden ihnen die Knochen brechen, die Organe zerreißen…und wenn das Monstrum ihnen nicht die gleiche Behandlung wie eben dem Hirsch zukommen ließ, würden sie elendig verbluten.

Enji rappelte sich als Erster von ihnen auf und seine Miene zeigte offenen Ekel, während er zu seiner Armbrust griff. Toshinori tat es ihm gleich, darauf bedacht, keine allzu hektischen Bewegungen zu unternehmen; scheinbar war der Dämon so in seinem Jagdrausch, dass er sie entweder nicht bemerkte oder ihm ihre Anwesenheit schlichtweg egal war. Gierig fuhr er fort, seine Beute zu zerlegen, wobei ihm das Blut vom Kinn tropfte.
 

„Das würde ich an eurer Stelle nicht tun.“

Die Stimme des Dämons klang rauer als noch am Vortag, als er diese erhob, ohne sich ihnen zuzudrehen oder mit dem Fressen zu pausieren. Er schlang ein weiteres Stück herunter, schloss dabei genießend die bernsteinfarbenen Augen.

„…es ist unhöflich, jemanden beim Essen zu stören. Ihr habt doch Manieren?“

Ein Grinsen legte sich auf die blutbeschmierten Lippen der Kreatur, als diese sich nun doch zu ihnen umdrehte. Die Pupillen hatten wieder ihre ursprüngliche Form angenommen, wirkten nicht mehr ganz so unmenschlich wie noch zuvor. Mit den scharfen Klauen schob er sich mehr Fleisch in den Mund, sah sie gut gelaunt an.

„Oder wollscht ihr wasch abhaben? Tja…Pesch. Isch teile nischt gern, also kusch…“

Er vollführte eine wegwerfende Bewegung mit dem Arm, schlackerte mit den Klauen in der Luft herum und machte sich dann wieder über seine Beute her. In der nächsten Sekunde musste er damit die Bolzen abwehren, die auf ihn geschossen wurden. Enji und er hatten zeitgleich die Armbrust betätigt, während Aizawa seinen Bogen noch gespannt hielt. Toshinori ging nicht davon aus, dass er sich an diesem Kampf beteiligen würde, sollte die Kreatur sie nicht offen angreifen. Er würde ihn nicht dazu zwingen, konnte dies auch nicht, doch sie beide würden kämpfen müssen.

„Was ist euer Problem?“, murrte der Dämon und raschelte mit den roten Flügeln. „Ich jage friedlich im Wald. Fernab von den Bauern. Also…geht eures Weges und sucht euch ein anderes Ziel. Da draußen laufen genügend Menschen herum, die böser sind, als ich es je sein könnte, also k – hey!!“

Er hatte gerade noch Enjis Bolzen ausweichen können, welcher ihn beinahe im Gesicht getroffen hatte.

„Wir verhandeln nicht mit Monstern!“, zischte dieser und schoss erneut, was jedoch wieder abgeschmettert wurde. „Stell dich!“

Der Dämon schnaubte, löste widerwillig eine seiner Fußkrallen aus dem toten Hirsch und verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen.

„Ich bin eigentlich ein echter Spaßvogel…aber wenn man mir das Essen versaut, werde ich ungemütlich, Mensch. Also. Geht. Weg.“

Er riss auch die andere Kralle aus seiner Beute und baute sich drohend vor ihnen auf, die Flügel gespreizt. Toshinori dachte nach, dabei die Worte der Kreatur verdrängend, denn sie würden ihn daran hindern, ihn zur Strecke zu bringen. Es musste sein…nicht wahr? Er konnte nicht schon wieder riskieren, dass jemand durch sein Mitgefühl verletzt wurde.

„Verzeiht uns“, murmelte er und zog dann sein Schwert.

Dieses Mal würde es anders laufen, dieses Mal kannten sie die Tricks des Dämons. Dieser blickte ihn verdutzt an, vermutlich weil er dieselbe Aktion wie beim letzten Mal nicht erwartet hatte.

„…du musst lebensmüde sein, Me-“

Noch bevor Toshinori in unmittelbarer Nähe war, warf er sein Schwert mit so viel Kraft, wie er aufbringen konnte, in dessen Richtung. Der Dämon stockte merklich, hatte damit nicht gerechnet und wich zur Seite aus, wo ihn im selben Moment einer von Enjis Bolzen in den Oberschenkel traf, was ihn zum Taumeln brachte. Ein schriller Schrei erschütterte ihr Gehör, als ihn der zweite Bolzen in den Arm traf – knapp den Flügel verfehlte.

Toshinori hatte soeben die Armbrust hochgerissen, als sein Gleichgewichtssinn durch das Piepen in seinen Ohren gestört wurde, ihn wanken ließ. Was war das für eine Fähigkeit?! Auch beim letzten Mal hatte der Dämon sie mit seinem Geschrei wie paralysiert. Er hörte Enji neben sich stöhnen, doch er schoss noch einmal, streifte zumindest einen Flügel – was die Kreatur jedoch nicht davon abhalten konnte, vor ihnen zu fliehen. Zwar streifte er die Äste weniger elegant als beim letzten Mal, sodass es Blätter und Zweige auf sie nieder regnete, doch er entkam. Die Flügelschläge, zunächst laut, verklangen, je mehr er an Höhe gewann. Die Baumkronen ließen nicht zu, dass sie ihn auch nur mit den Augen verfolgen konnten.
 

„Ihr Menschen seid wirklich alle gleich“, hörten sie ihn noch rufen. „Mit euch kann man einfach nicht reden.“

Dann war er verschwunden. Stille legte sich über den Platz…und es war Enji, der sie zuerst brach, indem er vor Wut gegen einen der Bäume schlug.

„Verdammte Scheiße!“, fluchte er laut und funkelte dann Aizawa an, der soeben den Bogen sinken ließ. „Wir hätten ihn eben erwischen können! Wenn Ihr auf seine Flügel geschossen hättet, wäre er zumindest flugunfähig gewesen!! Dann hätten wir ihn leicht töten können!! Ihr habt seine Flucht zu verantworten!!“

Aizawas Blick verdunkelte sich bei den Anschuldigungen, die leider nicht ganz von der Hand zu weisen waren. Ihre Chancen wären zu dritt höher gewesen, doch er wusste, was ihren Begleiter abgehalten hatte. Er konnte es nachvollziehen…wenn er auch inzwischen eine andere Meinung vertrat.

„Ich bin weder ein Krieger wie Ihr, noch sonst in irgendeiner Weise mit Euch verbündet oder Euch unterstellt“, erwiderte er eisig. „Ihr habt mir weder Befehle zu erteilen, noch mir irgendwelche Ansagen zu machen!“

„Dann seid Ihr nicht nur ein Narr, sondern auch überflüssig!“, fauchte Enji ihn an, außer sich vor Wut. „Ich sollte Euch…!!“

„Enji!“, fuhr Toshinori dazwischen, packte dessen Hand, die sein Freund bereits erhoben hatte. „Hör auf!“

Ein zorniger Blick aus türkisfarbenen Augen traf ihn, ehe ihm die Hand entrissen wurde.

„Bist du jetzt auf seiner Seite?! Wir hätten es gerade schaffen können! Wenn er nicht…“

„Ich habe zugesagt, Euch zu begleiten. Euch zu führen…nicht, dass ich mich an einem unsinnigen Mord beteilige“, unterbrach Aizawa ihn mit kalter Beherrschung.

„Wann begreift Ihr, dass dieses Vieh kein Mensch ist?!“, blaffte Enji zurück. „Hat Toshinori Euch nicht erzählt, was ihm sein ach so tolles Mitgefühl gebracht hat?! Aber nur zu…lasst Euch reißen, wie er diesen Hirsch gerissen hat! Oder habt Ihr Euch da abgewandt wie ein Feigling?!“

Das Problem war, dass Toshinori beide Seiten verstand. Er hatte einst wie Aizawa geredet und gehandelt – doch es war seinem Freund zum Verhängnis geworden. Ausnahmen konnte er nicht mehr zulassen, nicht, wenn es andere Menschen miteinschloss. Sein eigenes Leben war die eine Sache – das seiner Kameraden eine andere.

„Ja!“, grollte Aizawa. „Einen Hirsch, Ihr sagt es! Er hat getan, was verlangt wurde…sich von den Schafsherden ferngehalten und Wild gejagt…“

„Das könnt Ihr nicht wissen!!“

„…und trotzdem Ihr ihn angegriffen habt, hat er keinen von uns gerissen, sondern ist schon zum zweiten Mal geflohen! Mir ist egal, was mit Eurem Gesicht passiert ist – dieser Dämon ist nicht dafür verantwortlich gewesen! Wenn Ihr ihn trotzdem töten wollt, seid Ihr selbst der Feigling – und noch dazu primitiv!“

„Ihr wagt es…?!“

„Genug!“
 

Toshinori trat zwischen die beiden Männer, streckte die Arme aus, um sie voneinander fernzuhalten. Gerade war er nämlich nicht sicher, wer hier zuerst die Kontrolle verlor und sich auf den anderen stürzte. Beide wirkten dermaßen zornig, dass er es jedem von ihnen zutraute – und das konnten sie in keinem Fall gebrauchen. Tief atmete er durch, sah von einem zum anderen.

„Ihr habt beide gewissermaßen Recht. Ich kann nachvollziehen, dass Ihr Euch weigert, Aizawa-san. Ihr schuldet uns nichts und es steht Euch frei, Eure eigene Meinung zu haben und nach bestem Gewissen zu handeln. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass Ihr uns geholfen hättet, hätte uns der Dämon attackiert. Nicht wahr?“

Ein undeutliches Brummen war die Antwort, doch Toshinori ging nicht darauf ein.

„Ihr wisst, warum wir die Dinge anders sehen, als Ihr es tut…daher bitte ich Euch, nicht so anmaßend zu sein.“

Bevor dieser etwas dazu sagen konnte, wandte er sich Enji zu.

„Ich verlasse mich auf ihn, Enji, wenn es darum geht, unser Leben im Ernstfall zu schützen…und das solltest du auch. Er war die ganze Zeit bereit, zu schießen, sollte es nötig sein…doch hat er nicht dieselben Erfahrungen wie wir, daher können wir nicht von ihm verlangen, dass er wie wir handelt! Es bringt nichts, ihn deswegen ständig anzugehen – damit erreichen wir auch nicht mehr.“

Sein Freund knirschte hörbar mit den Zähnen, schien auch zunächst widersprechen zu wollen, doch dann schnaubte er bloß verächtlich. Toshinori atmete abermals durch, ehe er die Arme sinken ließ.

„Lasst uns erstmal zusammen zum Dorf reisen, wie wir es vorgehabt haben. Danach…sehen wir weiter, hm?“

Ein müdes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als beide bloß nickten, sich aber einen letzten vernichtenden Blick zuwarfen. Nun gut, den musste er ihnen wohl zugestehen. Freunde wurden diese beiden wohl wirklich nicht mehr…

Der Dieb

Als sie den Weg runter ins Dorf zurücklegten, fiel es Enji immer noch schwer, seine Wut zu zügeln. Vor allem, da er wusste, dass Toshinori gar nicht so Unrecht hatte. Es mochte stimmen, der komische Kauz schuldete ihnen keine Loyalität sowie er keine Erfahrungen mit Dämonen aufweisen konnte – aber gerade wegen Letzterem hätte er auf sie beide hören sollen. Er mochte den Kerl mit seiner respektlosen Art ohnehin nicht. Was bildete sich dieser eigentlich ein? Schließlich waren sie hoch angesehene Krieger, die sich um die Belange der Menschen kümmerten. Sie waren ehrenvolle Männer, während dieser zwielichtige Kerl regelrecht unbedeutend war.

Dessen offensichtliche Abneigung gegen sie beide ärgerte ihn über alle Maßen…und noch mehr die Tatsache, dass Toshinori dies hinnahm. So war dieser schon immer gewesen – viel zu nett, viel zu höflich. Es kam selten vor, dass sein Freund aus Kindertagen aus der Haut fuhr – wenn es jedoch geschah, konnten einem die Unglücklichen leidtun.

Seine Gedanken kehrten zu dem Dämon zurück, welcher ihnen abermals entkommen war. Der groteske Anblick des Wesens bei der Jagd…auf welche Weise es den Hirsch getötet hatte…ein wahres Monster. Diese Klauen waren zum Töten geschaffen, gaben den Opfern keine Chance, zu entkommen. Der auf den ersten Blick hübsche, gefiederte Jüngling hatte in diesem Moment sein wahres Gesicht gezeigt. So wie damals…und es bestärkte ihn nur zusätzlich darin, dass sie das Richtige taten. Seine Narbe begann wieder so unangenehm zu pochen, sodass er sich kurz darüber rieb. Sie würden das Ding zur Strecke bringen. Es für die Menschen unschädlich machen, so wie die anderen vor dieser Kreatur.
 

Im Dorf selbst wurde ihre Ankunft mit großer Freude begrüßt, auch wenn die hoffnungsvollen Gesichter einen bitteren Beigeschmack mit sich brachten; schließlich hatten sie den Dämon nicht erlegt. Er überließ es Toshinori, den Menschen die Situation zu erklären und sie zu beschwichtigen, während er selbst sich dem Ältesten zuwandte, welcher die Verantwortung für die Leute trug. Dieser bedeutete ihm, ihm zu folgen, was Enji auch tat, nachdem er einen kurzen Blick in Richtung Aizawa geworfen hatte. Dieser stand abseits von ihnen, lehnte an einer Hütte und beobachtete alles mit ausdrucksloser Miene. Wie er gesagt hatte, schienen die Leute zwar über ihn zu tuscheln, aber sie duldeten ihn offensichtlich.

Er schüttelte innerlich den Kopf über den zwielichtigen Mann, ehe er dem Dorfältesten folgte.

„Ihr konntet den Dämon also leider nicht erlegen“, stellte dieser betrübt fest, als sie außer Hörweite waren. „Es…handelt sich doch um einen…nicht wahr?“

Enji schnaubte leise.

„In der Tat…und nein. Bedauerlicherweise ist uns dieses Monster entkommen, bevor wir ihm den Gnadenstoß geben konnten…doch macht Euch keine Sorgen. Wir werden nicht eher ruhen, bis wir seinen Kopf haben.“

Der Älteste nickte langsam, sah ihn jedoch fest an.

„Wir vertrauen Euch, Todoroki-sama…habt Dank, dass Ihr und Euer Kamerad euch der Sache annehmt. Dass Ihr beide unverletzt seid, bezeugt Eure Stärke.“

Die Lobpreisung war sicherlich nett gemeint, doch Enji musste zugeben, dass dies am Dämon lag. Dieser hatte ja lieber feige die Flucht ergriffen, als sich ihnen zu stellen, von daher nahm er das Lob eher unwillig an. Einen falschen Eindruck wollte er nicht vermitteln, weswegen er nicht dagegen sprach.

„Wie dem auch sei…Ihr könnt uns helfen, indem uns Eure Fischer Netze zur Verfügung stellen. Stabile Netze nach Möglichkeit, um den Dämon festzuhalten. Da er geflügelt ist, ist es schwer, ihn einzufangen.“

Der alte Mann strich sich durch seinen weißen Bart, nickte dann.

„Natürlich. Ich weiß nicht, ob die Netze stabil genug sein werden…aber wir werden Euch in jeglicher Hinsicht unterstützen. Ich sehe, was ich tun kann…bis dahin, fühlt Euch weiterhin als unsere Gäste und ruht Euch aus.“

„Habt Dank.“

Enji neigte kurz den Kopf, bevor er sich wieder zu Toshinori gesellte, welcher sich anscheinend mit den Dorfkindern beschäftigte. Jedenfalls stand eine kleine Gruppe von drei Jungen und zwei Mädchen vor ihm und alle blickten ihn mit glänzenden Augen an.

„Erzählt uns eine Geschichte!!“

„Ja! Wir wollen eine Geschichte von Euren Heldentaten hören!!“

Toshinori rieb sich den Nacken, lächelte schief, doch es war klar, dass er die Bälger nicht abweisen würde. Sein Freund war auch bei seinen eigenen Kindern sehr viel beliebter, als es Enji selbst war. Wundern sollte es ihn wohl nicht, schließlich war er allgemein kein so geselliger Mensch wie Toshinori. Ihm fehlte es an Feingefühl. Das war Tatsache…

„Eine Geschichte…ah! Da fällt mir doch ein…damals, als Enji und ich an einer alten Ruine vorbeikamen, da ereignete sich Folgendes…“

Gut, den konnte er wohl erstmal vergessen. Enji bedeutete ihm, dass er schon mal in die Taverne gehen würde, woraufhin Toshinori ihm kurz zunickte, sich dann aber wieder den Kindern zuwandte. Kurz zögerte Enji, schaute aber schließlich in Richtung Aizawa, welcher den Blonden mit nachdenklichem Blick betrachtete.

„Passt es nicht in Euer Bild, das Ihr von uns habt?“, fragte er spöttisch, woraufhin Aizawa eine Braue hob. „Gewöhnt Euch dran…er ist wirklich so freundlich, wie er tut. Ich weiß, schwer nachvollziehbar.“

Aizawa schwieg einen Moment, zuckte dann aber mit den Schultern.

„Er ist mir sympathischer, als Ihr es seid“, gab er unumwunden zu, woraufhin Enji schnaubte.

„Gleichfalls“, bemerkte er trocken, besann sich aber. „Der Älteste spricht mit den Fischern. Wir sollen uns in der Taverne niederlassen und warten – ich könnte mir zwar angenehmere Gesellschaft vorstellen, aber von mir aus könnt Ihr mich begleiten.“

„…großzügig“, kommentierte Aizawa dies tonlos und schob die Hände in die Taschen seiner Hose.

Enji entgegnete nichts mehr darauf, sondern wandte sich einfach um. Mit gewisser Selbstzufriedenheit stellte er fest, dass ihm der Dunkelhaarige folgte.
 

Nach dem dritten Schälchen Sake fühlte er sich innerlich schon etwas ruhiger. Er warf einen Seitenblick auf Aizawa, welcher neben ihm an der Bar saß und sich ebenfalls nicht zurückhielt. Anscheinend vertrug der Mann was, wenn er so zulangte. Nun, das wäre dann die erste sympathische Eigenschaft des Waldläufers, wie er für sich feststellte. Nach und nach füllte sich die Taverne mit mehr Menschen, hauptsächlich Männern, und es wurde lauter um sie herum. Am Ende eines langen Tages verspürte wohl der ein oder andere das Verlangen danach, sich ein bisschen gehen zu lassen.

Enji konnte es ihnen nachempfinden, auch wenn er kein Händler, Bauer oder dergleichen war. Das Leben als Krieger war auch nicht immer einfach gewesen, vor allem in seinen jüngeren Jahren. Toshinori und er hatten eine ganze Menge Dreck fressen müssen, um sich ihr Ansehen zu verdienen. Da spielte es keine Rolle, ob man, wie in Enjis Fall, der Sohn eines Kriegers war oder nicht. Lehrjahre waren wohl niemals Herrenjahre.

„Ihr gedenkt, über Nacht zu bleiben?“

Enji warf dem Dunkelhaarigen einen knappen Blick zu, ehe er nickte.

„Ist das ein Problem für Euch?“, fragte er zurück. „Falls dem so sein sollte…keiner zwingt Euch, weiter mit uns zu reisen, falls Ihr es Euch anders überlegt. Ihr wärt nicht der Erste, der vor einem Dämon kapituliert.“

Aizawas rechter Mundwinkel zuckte mit einem Anflug von Spott nach oben, was nicht ganz zu seinem sonstigen, monotonen Verhalten passen wollte.

„Wollt Ihr mich loswerden?“, erwiderte er und orderte mehr Sake. „Keine Sorge. Ich tue nie etwas, das ich nicht will…schon gar auf den Wunsch irgendwelcher hohen Herren. Ich bin neugierig, was weiter passieren wird…also komme ich mit Euch.“

„Huh…der Dämon scheint Euch nicht zu schrecken“, brummte Enji, der schon anderes erlebt hatte.

Auf die Frage, ob er ihn loswerden wollte, ging er nicht ein. Eigentlich war es ihm recht egal, was der andere Mann tat, solange er nicht wieder unverschämt wurde oder sie beide behinderte.

„Ehrlich gesagt…schrecken mich die meisten Menschen mehr als dieser Dämon“, gab Aizawa zurück.

„Schlechte Menschen sind einfacher zu beseitigen als eine geflügelte Bestie“, meinte Enji bloß, woraufhin Aizawa ein verächtliches Schnauben von sich gab.

„Schlechte Menschen kommen einfacher mit ihren Taten davon, nicht wahr? Man muss sie nur gut rechtfertigen.“

Dagegen konnte Enji nicht einmal etwas sagen, auch wenn es ihn ärgerte. Es stimmte schon, was er da von sich gab…und unweigerlich fragte er sich, zu welcher Kategorie er selbst wohl gehörte…mit all seinen Fehlern. Fehler, die er Aizawa natürlich nicht unter die Nase reiben würde. Das ging diesen nichts an.

„Ihr könnt einem wirklich die Stimmung versauen“, brummte Enji und kippte ein weiteres Schälchen.

Aizawa setzte schon zu einer Antwort an, als es draußen plötzlich lauter wurde.
 

„Was zur Hölle…?!“, knurrte Enji, als Schreie ertönten, und knallte den Sake auf den Tresen.

Er stürmte hinaus, Aizawa in seinem Rücken, als der Geruch von Verbranntem in seine Nase stieg. Draußen liefen die Dorfbewohner hektisch umher und die Ursache fand sich auch direkt. Jemand hatte eine der Hütten angezündet, woraufhin die Leute hektisch Eimer mit Wasser holten, um das Feuer zu löschen. In der finsteren Nacht loderten die Flammen in einem grellen Orange empor, tauchten die Umgebung in flackerndes Licht. Eine Gruppe von gut zwanzig Männern, einige davon auf Pferden und allesamt bewaffnet, schien das Dorf zu bedrohen.

Toshinori hatte bereits sein Schwert gezogen, hielt gleich drei von ihnen in Schach, während die anderen auf die übrigen Menschen losgingen, sie niederschlugen und in ihre Hütten einfielen. Enji knirschte mit den Zähnen, als ihm bewusst wurde, dass das Dorf von Banditen überfallen wurde. Er entdeckte bereits einige regungslose Menschen, die in ihrem Blut lagen.

Fluchend zog auch er sein Schwert und wetzte los, um eine am Boden liegende Frau davor zu bewahren, erschlagen zu werden. Er zögerte nicht, dem Mann das Schwert durch die Brust zu treiben, welcher Blut spuckte und zitternd zusammensackte. Wer eine wehrlose Frau angriff, hatte es nicht besser verdient.

Er fuhr herum, rammte dem Mann, der ihn von hinten angreifen wollte, die Faust ins Gesicht und hoffte, dass er ihm den Kiefer gebrochen hatte.

„Verdammtes Pack!“, grollte er zornig.

Aus den Augenwinkeln sah er etwas an sich vorbeizischen, zuckte zusammen, als er den Windzug nahe an seiner Wange spürte. Ein Pfeil, wie er wenig später erkannte. Von Aizawa geschossen, der den Bogen noch in der Hand hielt, der Blick entschlossen. Enji verpasste seinem blutenden Gegner einen festen Tritt, ehe er kurz hinter sich sah, wo ein anderer Angreifer am Boden lag – der Pfeil steckte tief in seinem Auge.

Enji schnaubte leise, denn ihm war klar, dass der Dunkelhaarige ihn soeben davor bewahrt hatte, verletzt zu werden. Sicher hätte er sich nicht töten lassen…aber er hätte vielleicht Schaden genommen. Dabei hasste er es, in der Schuld eines anderen zu stehen. Noch dazu in Aizawas, den er nicht ausstehen konnte.

Er knirschte mit den Zähnen, ehe er sich abwandte, um sich die übrigen Männer vorzunehmen – darüber ärgern konnte er sich später noch. Jetzt mussten sie diese Leute beschützen!

Toshinori schien jedenfalls keine Hilfe zu brauchen, riss gerade einen der Banditen am Bein von seinem Pferd herunter, als würde dieser nichts wiegen, und schlug ihn nieder. Dann tauschte er kurz einen Blick mit ihm, wandte sich aber sofort dem nächsten zu. Vermutlich hatte das Gesindel die Nacht nutzen wollen, um unbeobachtet in der Nacht ins Dorf einzufallen, wo niemand mit einem derartigen Überfall rechnete. Ihr Pech, dass sie es nun mit ihnen zu tun bekamen.

„Scheiße!! Rückzug!!“, schrie einer von ihnen, vermutlich der Anführer, und riss an den Zügeln seines Pferdes.

Aizawas Pfeil traf ihn ins ungeschützte Bein, sodass er erschrocken aufschrie, was wiederum dessen Pferd zum Scheuen brachte. Kaum dass er zu Boden fiel, sich hektisch aufrichten wollte, war er schon von den wütenden Menschen des Dorfes umringt, die mittlerweile Mistgabeln und Fackeln geholt hatten. Die Schreie des Mannes verklangen in der Nacht, als sie auf ihn einstachen…und auch seine restlichen Männer, die in der Unterzahl waren, fanden schnell ihr Ende. Es war vorbei.
 

Glücklicherweise hatte das Feuer nicht zu viel Schaden angerichtet, es war bei der einen Hütte geblieben. Sie halfen den Menschen, ihre Toten zu begraben, während sich um die Verletzten gekümmert wurde. Eigentlich hätte ihr Abend bedeutend ruhiger enden sollen, aber na ja…das konnten sie jetzt wohl vergessen.

Er ließ den Nacken knacken, streckte sich etwas, ehe ihm Aizawas Blick auffiel, welcher an der hölzernen Wand einer Hütte lehnte. Es war wohl, wie Toshinori gesagt hatte – im Zweifelsfall war er auf ihrer Seite. Dennoch gefiel es ihm nicht, in der Schuld des Mannes zu stehen.

„Hn. Wenn Ihr eine Entschuldigung oder Dank erwartet, muss ich Euch enttäuschen. Ich hätte das auch allein geschafft“, brummte er angefressen, was Aizawa jedoch nicht kommentierte.

Stattdessen zuckte er mit den Schultern und verschwand dann in Richtung Taverne, wobei sich Enji fragte, ob er dort wohl genau wie sie ein Zimmer mieten würde. Der seltsame Kauz schien sich ja weiterhin an ihre Fersen heften zu wollen.

„Das ist wirklich schrecklich…“

Er drehte sich zu Toshinori um, welcher betrübt zu den trauernden Dorfbewohnern sah. Einige der Frauen hatten ihre Männer und Kinder ihre Väter verloren.

„Wären wir nicht vor Ort gewesen, wären noch mehr Menschen tot“, brummte er bloß, denn warme Worte waren nicht seine Stärke.

Sein blonder Kamerad nickte, blickte nachdenklich zu den Menschen, denen sie geholfen hatten.

„Ich weiß. Trotzdem wünschte ich, ich hätte sie eher bemerkt…und nicht erst, als die Hütte brannte. Ich war durch die Kinder abgelenkt und hatte die Umgebung nicht mehr im Blick…wäre ich aufmerksamer gewesen, hätten wir sie vielleicht alle retten können.“

Enji schnaubte.

„Du wärst eigentlich bei uns gewesen…und nicht hier draußen. Also hättest du sie in dem Fall noch später bemerkt. Hör auf, dir darüber den Kopf zu zerbrechen. Das hilft auch keinem.“

Toshinori lächelte bitter, nickte aber zu seinen Worten. Die Reaktion seines Kameraden wunderte ihn nicht; es war dessen Art, sich für solch vermeintliches Versagen verantwortlich zu fühlen. Es war nicht so, dass es Enji egal war…doch Vorwürfe brachten nichts. Besonders in solch einer Situation nicht.

„Komm…Aizawa ist schon zurück zur Taverne. Nachher lässt er dir nichts vom Sake übrig.“

Toshinori seufzte leise, folgte ihm aber. Sie wussten beide, dass der blonde Hüne nur selten Alkohol trank. Von wegen Kontrolle behalten und so ein Kram. Dennoch…es gab Momente, in denen konnte ein Schälchen Sake nicht falsch sein…und wenn er sich Toshinoris betrübte Miene so ansah, durfte es ruhig eins mehr als sonst sein.
 

Am nächsten Morgen waren sie schon früh auf den Beinen. Nachdem sie die Gelegenheit genutzt hatten, ein Bad zu nehmen und ordentlich zu essen, packten sie ihr Hab und Gut für die Weiterreise zusammen. Was sie beide wunderte, war die Tatsache, dass eine der Satteltaschen verschwunden war. In dieser hatten sich ein Kompass, ein Messer sowie einige Flaschen gefüllt mit Sake und einige Münzen befunden. Es war ärgerlich und er fragte sich, ob jemand den Tumult genutzt hatte, um sie zu bestehlen. Den Dörflern traute er solch eine Dummheit eigentlich nicht zu…und außerdem hätten sie doch dann alles gestohlen? Es war seltsam, doch den Ärger, wie selbst Enji zugeben musste, nicht wert…auch wenn das mit dem Kompass wirklich bitter war, doch so hatte Aizawa zumindest einen weiteren Nutzen für sie.

Sie würden zu Pferde einen Abstecher zum angrenzenden See machen, um die Netze abzuholen, die ihnen auf Geheiß des Dorfältesten gestellt werden würden, und sich danach direkt wieder auf die Jagd nach dem Dämon machen.

„Alles in Ordnung, Aizawa-san?“, riss ihn Toshinoris Stimme aus den Gedanken und er wandte sich um.

Der Angesprochene blickte die Pferde mit Missbilligung an, schien sich diesen auch nicht mehr als nötig nähern zu wollen.

„Ich werde zu Fuß reisen“, kam es knapp von diesem, woraufhin Enji grinsen musste.

„Sagt bloß, Ihr könnt nicht reiten?“, fragte er spöttisch nach und schloss den Riemen der Satteltasche.

„…“

Das darauffolgende Schweigen war wohl Antwort genug und es amüsierte Enji, ganz im Gegensatz zu Toshinori, der die Stirn runzelte. Dann aber hellte sich dessen Miene auf und er tätschelte seinem Apfelschimmel den Kopf, was die Stute gutmütig hinnahm.

„Keine Sorge, Aizawa-san! Morgenstern hier ist eine ganz Liebe und so robust wie ein Kaltblüter! Ihr wiegt ja sicher nicht so viel, da könnt Ihr für eine Weile hinter mir aufsitzen!“

Aizawa starrte ihn an, als glaubte er, dass dies ein schlechter Scherz sei. Da Toshinori ihn aber regelrecht anstrahlte, musste er diese Hoffnung wohl begraben.

„Ich-“

„Widersprecht nicht und tut, was er sagt“, ranzte Enji ihn an und stieg auf seinen Fuchs. „Er wird sich ohnehin nicht davon abbringen lassen.“

Aizawa funkelte ihn finster an, doch wie Enji es vorhergesagt hatte, stieg sein blonder Kamerad in den Sattel und hielt dem Dunkelhaarigen auffordernd die Hand hin. Dieser wirkte alles andere als begeistert, doch bei dem strahlenden Lächeln war er machtlos, sodass er diese schließlich annahm.

„Einen Fuß in den Steigbügel und dann hoch mit Euch!“, meinte er euphorisch grinsend, während dessen Pferd die Ruhe selbst war.

Aizawa tat es schweigend, keuchte aber erschrocken auf, als der Hüne ihn mit einem plötzlichen Ruck hochzog und er dadurch beinahe von der anderen Seite wieder runterfiel. Mehr aus Reflex klammerte er sich an Toshinori fest, welcher ihn gut gelaunt über seine Schulter hinweg ansah.

„Na also! Und schon sitzt Ihr im Sattel! Gut festhalten, ja?“

Er grinste breit und tätschelte dann Morgensterns Hals, welche ein leises Brummen von sich gab. Man sah Aizawa an, wie unwohl er sich fühlte, und eine gewisse Genugtuung darüber konnte sich Enji nicht verkneifen. Vor allem, als Toshinori die Zügel ergriff und sein Pferd antrieb, welches wie von Sinnen lospreschte…und damit ihr Begleiter abermals fast herunterfiel. Infolgedessen presste sich dieser wie eine zweite Haut an seinen Vordermann und Enji wettete darauf, dass Aizawa leise fluchte. Tja, Morgenstern war eben wie ihr Besitzer…
 

Als sie am See ankamen und Aizawa abstieg, taumelte dieser ein wenig, wirkte zittrig. Pferde waren diesem wohl wirklich nicht geheuer, wenn man ihn sich so ansah.

„Seid Ihr in Ordnung, Aizawa-san?“, fragte der blonde Hüne besorgt und stieg ebenfalls von seinem Pferd.

Dieser nickte nur still, auch wenn er immer noch blass um die Nase war. Für jemanden wie Enji, der mit Pferden aufgewachsen war und schon früh mit dem Reiten angefangen hatte, war dies unverständlich, aber wer wusste schon, aus welchem armen Kaff Aizawa stammte. Vielleicht gab es dort nicht mal Pferde? Fragen würde er sicherlich nicht.

Er stieg von Feuersturm herunter, welcher ihm einmal durchs Haar schnaubte, sich aber ansonsten ruhig verhielt. Sein Pferd war im Gegensatz zu Toshinoris launischer – und er hatte schon mehr als einmal gehört, wie gut dieses zu ihm passte. Nun, leugnen konnte er das leider nicht, jedoch war das Tier in jeder noch so brenzligen Situation gefasst, besaß scheinbar Nerven aus Stahl, was gerade bei einer Dämonenjagd von Vorteil war.

Die Fischer schienen sie schon zu erwarten, sodass sie die Pferde in der Nähe des Stegs anbanden und zu ihnen herübergingen. Das Sonnenlicht spiegelte sich im klaren Wasser des Sees wider, in dessen Mitte sich eine kleine grüne Insel befand. Die hölzernen Boote lagen am Ufer, an welchem Schilf und Moos wuchsen, waren jedoch zusätzlich am Steg festgemacht. Es wirkte regelrecht idyllisch, sodass es Enji nicht wunderte, dass die Menschen hier einige Hütten errichtet hatten, vermutlich permanent hier lebten.

„Ihr müsst die edlen Herren sein, die uns angekündigt wurden?“, begrüßte sie einer der Männer und neigte ehrfürchtig den Kopf. „Wir haben die Netze, die wir entbehren können, für Euch zusammengetragen…jedoch…seht selbst…“

Sowohl Enji als auch Toshinori stutzten, als sie zu den Netzen geführt wurden, welche allesamt zerrissen waren. Die Löcher so groß, dass diese nichts mehr gefangen halten würden, und sie zu flicken, würde wohl einiges an Arbeit in Anspruch nehmen…wenn man sie nicht besser neu knüpfte. Er schnaubte leise, sah zu dem Mann, der sie hergeführt hatte und offensichtlich betrübt über den Schaden war.

„Das Werk der Banditen? Sind sie auch hier eingefallen?“, erkundigte er sich, woraufhin der Mann zögerte.

„Wir sind nicht sicher. Es muss geschehen sein, als wir das Feuer sahen und zum Dorf liefen, um zu helfen. Keiner von uns hat etwas mitbekommen und-“

Er hielt inne, als sich Aizawa zu den Netzen kniete und das Material betrachtete, ehe er die zerrissenen Stellen mit den Fingern nachfuhr. Er zog eines der Netze auseinander und nun sah man die riesigen Löcher noch besser.

„…das war keine Klinge“, brummte er nachdenklich. „Und mit bloßen Händen schaffen es die wenigsten Menschen…“

Er verstummte, scheinbar in seinen Gedanken versunken, und Enji ahnte, worauf er hinauswollte. Das konnte doch nicht sein…oder? Andererseits hatten sie in der vorletzten Nacht offen am Feuer darüber geredet und…
 

„Oh~ habe ich euch euren hübschen, kleinen Plan versaut? Das tut mir aber leid…“

Sie fuhren synchron herum, als die bekannte Stimme ertönte und gleichzeitig das schrille Wiehern der Pferde sowie die panischen Schreie der Fischer.

„Ich muss zugeben, mit ein bisschen Glück wäre die Idee gar nicht mal so schlecht gewesen. Ich habe euch ja tatsächlich durch die Bäume verfolgt und na ja…einmal nicht aufgepasst und zack! Mitgehangen, mitgefangen, huh?“

Der Dämon lachte über seinen eigenen Witz, während er über dem See schwebte, wobei seine Flügel unablässig schlugen. Durch die Sonnenstrahlen leuchtete sein rotes Gefieder regelrecht, sodass es noch auffälliger wirkte. Belustigt funkelte er sie aus seinen unmenschlichen Augen an, streckte dann eine mit scharfen Klauen besetzte Hand aus, in der er etwas aus braunem Leder hielt. Die vermisste Satteltasche – und bei der Erkenntnis wurde Enji übel.

„Wie bist du unbemerkt ins Dorf gekommen, Kreatur?!“, rief er, während die Fischer merklich zurückwichen.

Der Dämon grinste noch breiter, griff in die Tasche und holte den Kompass heraus, drehte diesen geduldig in seinen Krallen.

„Das war gar nicht so schwierig…ihr wart ja abgelenkt vom Überfall dieser Typen. Also bin ich durchs Fenster und hab mich etwas umgesehen. Hab gleich am Geruch erkannt, welches euer Zimmer ist. Sowas ist ein Klacks für mich…ups!“

Er ließ den Kompass wie aus Versehen fallen, wo er in den Tiefen des Sees verschwand.

„Ihr spielt mit dem Feuer, Dämon“, kam es ruhig von Toshinori, der seine Armbrust zog.

„Ach, tue ich das? Ihr habt mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich machen kann, was ich will. Ihr glaubt mir nicht, ihr wollt mich töten…warum mir also keinen Spaß mit euch erlauben? Upsi…“

Die Goldmünzen landeten eine nach der anderen im Wasser, wobei die Harpyie ein betroffenes Gesicht machte.

„Ich bin aber auch ein Tollpatsch…“

„Du wagst es, uns zu veralbern?!“, zischte Enji zornig und zog ebenfalls seine Armbrust, doch der Dämon lachte bloß.

„Na gut, ich merke schon, ihr seid nicht zu Scherzen aufgelegt – seid ihr irgendwie nie. Muss ein ziemlich tristes Leben sein, so ohne Humor…“, plapperte er weiter und wich spielend leicht einem der Bolzen aus, welcher im See versank. „Ihr verschwendet eure Munition…aber hey, nur weiter so…kommt mir ja nur zugute. Also…wo war ich? Ach ja…tristes Leben, humorlos…“

Der Dämon sah von einem zum anderen, ehe er die Tasche packte und einfach umdrehte, um sie über dem See auszukippen. Genau vor ihren Augen. Er führte sie mit voller Absicht vor und das auch noch vor den Fischern.

Am liebsten hätte Enji dem vermaledeiten Federvieh den Hals umgedreht, doch dieser war zu weit entfernt. Sie würden ihn so nur schwer erwischen können…und das wurmte ihn ungemein.
 

„Tja…selbst schuld. Ich bin eigentlich ganz umgänglich, aber ihr habt mich angeschossen und mir mein Mittagessen versaut. Da bin ich wirklich nachtragend, wisst ihr? Keiner lässt sich gern das Essen madig machen…“

Er schnalzte mit der Zunge und warf dann die Satteltasche einfach in den See.

„Also zahl ich es euch zurück und ihr könnt nichts dagegen tun. Heh…ist ein scheiß Gefühl, oder? Tja und mit euren Spielzeugen könnt ihr mich hier nicht vom Himmel holen – dazu bin ich zu schnell. Letztens war einfach ein ungünstiger Moment, aber hier…gerade jetzt…ich könnte euch im Sturzflug packen und euch jeden Knochen brechen, während ich euch die Eingeweide aus euren zappelnden Körpern reiße…uh, ihr würdet quieken wie die Schweine.“

Er funkelte sie belustigt an, machte aber keine Anstalten, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Das war beim letzten Mal auch so gewesen…er drohte, aber griff nicht an. Was war das für eine List? Oder nährte er sich von der Angst der Menschen? Bei den Fischern funktionierte es jedenfalls, denn einige von ihnen rannten schreiend davon.

„Aber ich tu’s nicht…weil ich ein nettes Vögelchen bin. Also sag ich es euch noch mal…geht einfach. Verschwindet aus meinem Wald und ich bleibe von nun an brav.“

Enji knirschte bei dem Angebot mit den Zähnen, denn es machte ihn unfassbar wütend. Wie der Dämon so tat, als seien sie auf dessen Gnade angewiesen…niemals. Er hob abermals die Armbrust, zielte auf den Vogel, welcher leise seufzte.

„Narren…“, brummte er und spreizte die Flügel. „Wenn ihr es n-“

Ein plötzlicher Ruck ging durch den Körper des Dämons, dann erstarrte er und…klatschte bewegungslos vom Himmel. Direkt in den See…wo er eine Weile nicht mehr hochkam. Stille legte sich über den Ort und er sah von Toshinori zu Aizawa – bei welchem er innehielt. Bildete er sich das seltsame Glimmen in dessen Augen ein? Er blinzelte einmal, nur um zu erkennen, dass es beim nächsten Wimpernschlag verschwunden war. Die Miene ihres Begleiters war so ausdruckslos wie eh und je. Verunsichert wandte sich Enji wieder ab, denn in dem Moment tauchte der Dämon wieder auf und paddelte sichtlich angestrengt zur Insel, wo er sein nasses Gefieder schüttelte.

Der Blick der Kreatur wanderte von einem zum anderen, dann schnaubte sie und verschwand zwischen den Bäumen.

„Wir sollten weiter“, hörte er Aizawa sagen. „Die Fallen haben sich erledigt. Somit hält uns hier nichts mehr, nicht wahr?“

Enji verengte die türkisfarbenen Augen, während er Aizawa eindringlich musterte. Das eben…hatte das etwas mit diesem zu tun? Doch eine plausible Erklärung wollte ihm nicht einfallen.

„Aizawa-san hat Recht, Enji. Bis wir die Insel erreicht haben, kann der Dämon sicher wieder fliegen und uns entkommen – was auch immer da gerade passiert ist. Mh…vielleicht haben ja sogar Dämonen sowas wie…Schwächeanfälle? Wir sollten ihm jedenfalls besser in den Wäldern auflauern“, stimmte Toshinori zu.

Enji schnaubte nur, weil er nicht wusste, was er dazu sagen sollte. Schwächeanfälle? Er glaubte es kaum.

„…gut“, meinte er jedoch bloß, wobei er den Dunkelhaarigen immer noch fixiert hielt.

Er würde diesen wohl in nächster Zeit besser im Auge behalten. Irgendwas ging da eindeutig nicht mit rechten Dingen zu…

Das Blut

In den darauf folgenden zwei Tagen ließ sich der Dämon nicht mehr bei ihnen blicken und sie fanden auch keine Spuren von diesem. Nicht mal die roten Federn. Seine Hoffnung darauf, dass sich seine beiden Gefährten aufgrund des gemeinsamen Trinkens in der Taverne näher gekommen waren, begrub Toshinori recht schnell wieder. Irgendwie schien vor allem Enji seit dem Überfall auf die Dörfler noch schlechter auf Aizawa zu sprechen zu sein, als es zuvor der Fall gewesen war. Dabei hatte dieser sie beide doch sogar im Kampf unterstützt, wenn er sich recht entsinnte.

Er verstand wirklich nicht, was da passiert war, doch er hielt es für das Beste, sich vorerst nicht einzumischen. Schließlich waren die beiden erwachsene Männer, die so etwas bestimmt unter sich regeln konnten. Enji und er hatten früher auch viele Dispute gehabt und dennoch schützten sie heute einander den Rücken, waren sogar Freunde geworden. Bei der Erinnerung an damals musste er leicht schmunzeln, da er sofort das Bild eines jüngeren Rotschopfes, welcher ihn zum Kampf forderte, im Kopf hatte. Soweit er sich erinnerte, war Toshinori der erste Gegner in dessen Altersklasse gewesen, den er nicht hatte schlagen können. Wie hatte dies damals an Enjis Stolz gekratzt…
 

„Was zur Hölle…?!“

Toshinori blickte auf, als ihn die Stimme seines Kameraden aus den Gedanken riss und direkt packte er Morgensterns Zügel fester, legte an Tempo zu, um zu dem anderen aufzuschließen. Aizawa, der sich mittlerweile wohl ein bisschen ans Reiten gewöhnt hatte, zuckte heftig zusammen und krallte sich abrupt an seinen Seiten fest.

„Nh…was…?“, hörte er ihn brummen.

Hatte dieser etwa an seinem Rücken gedöst? Irgendwie ehrte ihn dieses Vertrauen ja, auch wenn es sonderbar war, auf einem Pferd zu schlafen. Schließlich hätte er herunterfallen und sich etwas brechen können…

„Was ist pa-“

Er brach seine Frage direkt ab, als er sah, was seinen Freund zum Innehalten gebracht hatte. Sie hatten den Wald in den frühen Morgenstunden verlassen, nachdem sie ihn zwei Tage lang durchkämmt und nichts gefunden hatten. Sie waren am Fuße des Berges entlang geritten, wo die Bauern ihre Tiere grasen ließen. Möglicherweise war der Dämon wieder hierher zurückgekehrt, um erneut zu wildern.

Womit zumindest Toshinori nicht gerechnet hatte, war der schreckliche Anblick, der sich ihnen nun bot. Hinter ihm glitt Aizawa nicht sehr elegant vom Pferd, schaffte es aber, nicht hinzufallen, und schritt durch das blutgetränkte Gras. Sowohl Toshinori als auch Enji zögerten kurz, ehe sie ebenfalls abstiegen und näher kamen. Mit unleserlichem Gesichtsausdruck kniete sich Aizawa neben die Leiche, deren zerfleischtes Gesicht nicht mehr zu identifizieren war. Lediglich ein paar bunte Bänder um die Handgelenke und ein paar längere Haare, an denen…etwas klebte, das vielleicht…Gehirn war…ließen darauf schließen, dass dies mal eine Frau gewesen war. Die Knochen der Frau waren zersplittert, lagen teilweise ein paar Meter weiter verstreut.

„…was auch immer sie erwischt hat, war riesig…und hatte scharfe Zähne“, hörte er Aizawa murmeln.

Enji schnaubte angewidert.

„Vermutlich unser Dämon…oder habt Ihr vergessen, was er mit dem Hirsch gemacht hat?“

Aizawa schwieg kurz, wirkte skeptisch, wenn er auch nicht gleich verneinte.

„Ihr sagt es. Der Hirsch wurde von mächtigen Klauen gerissen…das hier…etwas ist anders. An ihren Überresten sind Bisswunden…das müssen gewaltige Kiefer gewesen sein.“

„Und? Die Knochen sind gesplittert, wie bei den Schafen…und wer weiß, wie scharf seine Zähne wirklich sind? Sie können sich tarnen, um uns…menschlicher zu erscheinen…“

Toshinori wandte sich mit einer Mischung aus Ekel und Bedauern ab, während die beiden weitersprachen. Er runzelte die Stirn, als ihm tiefe Rillen in der Erde auffielen…das Gras war an diesen Stellen verdorrt. Ein paar Schritte weiter lagen, inmitten der zerrissenen Schafskadaver, zwei weitere Leichen. Eine davon so klein, dass er den Kopf des Jungen nicht hätte sehen müssen, um zu erkennen, dass es sich um ein Kind handelte. Die leeren Augen waren weit aufgerissen, der Mund zu einem Schrei geformt…es war furchtbar. Was immer hier gewütet hatte, war unglaublich gierig und mordlustig gewesen.

Selbst Toshinori war der Meinung, dass dies nicht die Harpyie gewesen sein konnte. Dessen Jagdverhalten mochte maßlos sein, aber nicht auf diese Weise. Jemand mit so einem starken Hang zum Töten konnte sich unmöglich derart zusammenreißen. Nicht mal die Fischer hatte er gerissen, sondern taktisch gehandelt. Nein. Etwas anderes war hier gewesen und hatte die kleine Familie und deren Tiere brutal abgeschlachtet.

Toshinori kniete sich neben den abgetrennten Kopf des Jungen und schloss dessen Lider, ehe er sich wieder erhob. Dann ging er zurück zu den anderen beiden, welche immer noch diskutierten, ob es sich um die Harpyie handelte oder nicht.

„Seht Euch die Haut an…sie ist violett verfärbt“, argumentierte Aizawa gerade. „Etwas muss sie vergiftet haben…und ich denke nicht, dass unsere Harpyie so etwas kann.“

Enji knirschte mit den Zähnen, weil er offensichtlich nicht widersprechen konnte.

„Es ist einerlei, wer oder was es war“, meinte Toshinori ruhig. „Lasst uns diese armen Menschen begraben und Gebete für sie sprechen. Das ist…alles, was wir noch für sie tun können. Danach werden wir diese Bestie jagen.“

Sowohl Aizawa als auch Enji widersprachen ihm nicht, sondern nickten ausnahmsweise in stiller Übereinkunft. Toshinori selbst fühlte neben dem Bedauern blanke Wut; was auch immer dieses schreckliche Gemetzel angerichtet hatte, würde dafür büßen. Er würde nicht eher ruhen, bis dieses Monster erlegt war. Mit diesem Gedanken ging er zur Hütte, wollte sehen, ob er einen Spaten fand, mit dem sie leichter die Erde umgraben konnten.
 

Nachdem sie die kleine Familie begraben und die Kadaver der Schafe beiseite geräumt hatten, ergriff Enji als Erster das Wort.

„Nun, Fährtenleser? Irgendeine Idee, wohin das Vieh verschwunden ist?“, wandte er sich an Aizawa, welcher nachdenklich auf die Gräber blickte.

Sie hatten Steine und Holzbretter auf den Erdhaufen platziert, sodass es halbwegs anständig aussah. Hoffentlich würden ihre gepeinigten Seelen nun in Frieden ruhen können.

„Dort drüben waren Schleifspuren. Tiefe Rillen im Boden…ich denke, es bewegt sich kriechend fort“, führte Aizawa seine Überlegungen aus. „Ich habe hinter der Hütte ein ungewöhnlich großes, tiefes Loch entdeckt…daher liegt es nahe, dass es sich unterirdisch fortbewegt…“

Toshinori stockte merklich.

„Ihr meint…es könnte soeben…unter unseren Füßen…?“

„Möglicherweise. Wir sollten wachsam bleiben“, meinte Aizawa bloß, woraufhin Enji schnaubte.

„Ich fasse es nicht. Normalerweise sind Dämonen so selten, dass manche sie immer noch für Aberglauben halten…und wir haben es jetzt schon mit dem zweiten in nicht mal zwei Wochen zu tun. Ist diese Gegend ein Nest, oder was?“, grollte er und blickte missmutig in die Ferne, wo die Sonne bald untergehen würde.

Toshinori seufzte leise, musste ihm aber innerlich zustimmen. Anscheinend war ihnen das Glück gerade nicht wohlgesonnen, aber es brachte ja nichts, sich darüber aufzuregen.

„Nun, wir sollten vielleicht über Nacht hier bleiben“, schlug er vor. „Auch wenn es makaber ist…aber wir können die Pferde unterstellen und haben einen geschützten Platz. Zumal dieses Monster vielleicht in der Nähe auf uns lauert…oder zurückkommt, wenn es neue, potenzielle Beute wahrnimmt.“

Aizawa nickte, wenn er auch das Gesicht verzog.

„…also machen wir uns zu Ködern.“

„Besser wir, als weitere unbescholtene Menschen sterben zu lassen“, erwiderte Toshinori, ehe er mit einem aufmunternden Lächeln anfügte: „Aber seid unbesorgt, Aizawa-san…ich versprach Euch, Euer Leben zu schützen. Daran halte ich mich.“

Eben jener blickte ihn verdutzt an, ehe er rasch den Blick abwandte.

„Wie gesagt. Nicht nötig“, murrte er abweisend, was Enji mit den Augen rollen ließ.

„Seid Ihr fertig? Ich habe keine Lust, weiter hier herumzustehen und Eurem Gehabe beizuwohnen. Lasst uns sehen, was die Speisekammer hergibt…ich übernehme die erste Wache.“

Toshinori lächelte schief, warf einen kurzen Blick zu Aizawa, bevor er sich daran machte, ins Innere der Hütte zu gehen. Tatsächlich schien die Speisekammer nicht geplündert worden zu sein, sodass sie dort gepökelten Schinken und andere Nahrungsmittel fanden. Nun…der Dämon schien sein Fleisch frisch zu bevorzugen…
 

Obwohl Enji draußen Wache hielt, fiel es Toshinori schwer, ein Auge zuzumachen. Dies mochte zum Teil daran liegen, dass sie das Ehebett von Verstorbenen benutzten. Er lag neben Aizawa, welcher ihm den Rücken gekehrt hatte, und lauschte dessen leisem Atem. Durch das Fenster konnte er den sternenklaren Himmel samt Vollmond sehen.

„Ich kann Euch denken hören…“

Toshinori warf einen Blick zu Aizawa, lächelte schief.

„Verzeiht…die vielen Ereignisse wühlen mich wohl auf.“

„…ich nahm an, ihr wärt dergleichen gewöhnt“, hörte er ihn murmeln.

„Nun, das bin ich…dennoch gibt es Dinge, an die gewöhnt man sich nie. Wären wir etwas eher hier gewesen, hätten wir sie vielleicht retten können. Ihr Schicksal betrübt mich…vor allem das des Jungen. Er hatte noch sein ganzes Leben vor sich.“

Aizawa schwieg eine ganze Weile, hielt die Lider weiterhin geschlossen…und kurz fragte sich Toshinori, ob er vielleicht eingeschlafen war.

„…Ihr seid überraschend emotional.“

Der Blonde seufzte leise, als er die Worte vernahm.

„Ihr seid nicht der Erste, der mir dies vorwirft. Mir wurde schon oft geraten, mich von derlei Schicksalen zu distanzieren, es nicht so nah an mich heranzulassen…aber so bin ich nun einmal.“

Aizawa schnaubte leise.

„Ich sagte nicht, dass es etwas Negatives ist. Nur…dass es überraschend ist. Je mehr man erlebt, umso mehr stumpft man ab.“

Toshinori runzelte die Stirn, wandte den Kopf zu ihm.

„Sprecht Ihr aus Erfahrung?“, wollte er wissen.

„…möglicherweise“, kam es zögernd zurück, doch näher ausführen wollte der Dunkelhaarige dies wohl nicht.

Toshinori musterte ihn einen langen Moment, ehe er lächelte, sich dann wieder umdrehte, um ebenfalls die Augen zu schließen.

„Ich denke nicht, dass Ihr abgestumpft seid, Aizawa-san. Die Dörfler können Euch nicht leiden – und dennoch helft Ihr ihnen. Ihr helft uns, obwohl Ihr uns nicht wohlgesonnen seid…und Ihr verteidigt die Harpyie, anstatt sie aufgrund dessen, was sie ist, zu verurteilen. Ihr seid weit mehr, als Ihr durchblicken lasst.“

Aizawas darauffolgendes Schweigen ließ Toshinori hoffen, dass er sich nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Dennoch stand er zu seiner Meinung, würde diese nicht zurücknehmen.

„…schlaft einfach“, murrte Aizawa schließlich nur.

Hatte er ihn in Verlegenheit gebracht? Manche Leute mochten es nicht, auf ihre positiven Eigenschaften hingewiesen zu werden – was Toshinori nicht verstand. Lieber etwas Nettes sagen, als…
 

Das plötzliche Beben, das die Hütte erschütterte, ließ sie beide hochfahren. Die Pferde wieherten schrill und zugleich hörte man Enjis lautes Fluchen von draußen. Toshinori sprang aus dem Bett, griff nach seiner Rüstung und zog sie sich, so schnell es möglich war, an, ehe er sein Schwert zog und zusammen mit Aizawa hinauseilte.

Der Anblick der Kreatur ließ ihm die Haare zu Berge stehen. Sie erinnerte an einen riesigen Wurm – was nun auch die tiefen Rillen im Boden erkläre. Das Vieh hatte hinten und vorn jeweils zwei Beine mit kurzen, aber scharfen Klauen und dort…wo sich das Gesicht befinden sollte, nur ein rundes, gezahntes Maul. Speichel tropfte zwischen den Zähnen hervor, während es grunzende Laute von sich gab. Enji, der gerade einem Hieb des Monstrums ausgewichen war, holte aus und…trennte ihm eines der fragiler wirkenden Vorderbeine ab, woraufhin es schreiend zu Boden stürzte. Ihm wurde heiß und kalt, als sein Freund sich zur Seite warf, beinahe unter dem Vieh begraben wurde.

„Zielt auf Beine und Brust!!“, brüllte Enji ihnen zu und sprang auf, um Abstand zu gewinnen.

Beine und…Brust. Sicher. Das Ding hatte mit viel Glück ein Herz im Körper sitzen – sie hatten nicht die Kraft, ihm den riesigen Kopf abzutrennen, also mussten sie auf eine Schwachstelle hoffen. Einer von Aizawas Pfeilen traf das Ungetüm in die Seite, da es sich just in diesem Moment zu winden begann. Knapp an der Brust vorbei, doch wenigstens besaß es keine undurchdringliche Haut, sonst wäre dies bedeutend schwieriger gewesen.

„Gebt uns Deckung! Nehmt unsere Armbrüste, wenn die Pfeile ausgehen!“, rief er Aizawa zu und rannte los.

Wenigstens schien der Wurmdämon nicht besonders schlau zu sein, so unbeholfen, wie er am Boden lag und den Kopf hin und her warf. Sein Schwanz riss Toshinori die Beine weg, doch er rollte sich ab und sprang sofort wieder auf. Vielleicht…er warf einen Blick zu Enji, welcher verstand und sich direkt vor dem Schlund des Monsters platzierte.

„Hey!! Du hässliche Missgeburt!!“

Und mit diesen Worten zog er sich das Schwert durch die Hand, was den Dämon gierig sabbern ließ. Solange der Wurm lag, würde Aizawa ihn nicht richtig treffen können…doch kaum witterte dieser das Blut, kam Leben in das Vieh. Es bäumte sich mit einem kreischenden Geräusch auf und schlingerte über die Erde – die Beine zog es dabei an, gebrauchte diese gar nicht zur Fortbewegung. Vermutlich dienten diese nur zum Festhalten der Beute…

Toshinori rammte ihm das Schwert in den Schwanz, hoffte, dass es damit kurzzeitig den Fokus von Enji nehmen würde – doch es brachte nichts. Sein Freund schmiss sich abermals zur Seite, als der Wurm mit dem Kopf ausholte, um ihm den Kopf abzubeißen.

„ENJI!“, brüllte Toshinori, doch in dem Moment traf der Bolzen die Kreatur direkt ins Maul.

Aizawa schoss abermals, traf ihn erneut in den gewaltigen Schlund, woraufhin der Wurm sich kreischend nach hinten warf, sodass Toshinori beinahe zermalmt wurde. Er ignorierte den stechenden Schmerz in seinem Bein, zog dieses hinter sich her, während er Abstand zu gewinnen versuchte.

Seltsamerweise bewegte sich der Wurm plötzlich nicht mehr, zuckte nur mit den noch verbliebenen Beinen – als würde ihn etwas paralysieren. Hatten Aizawas Bolzen eine Schwachstelle getroffen? In dessen Maul? Was es auch war, es ermöglichte Enji, auf die auf dem Rücken liegende Kreatur zu klettern…und ihr mit einem festen Ruck sein Schwert in die vermeintliche Brust zu stoßen.
 

Toshinori rappelte sich auf und tat es ihm gleich, zog sich am Körper des Wesens hoch und stach auf es ein. Grünes Blut rann aus den Wunden, die sie dem regungslosen Wurm zufügten. Keuchend tauschte er einen Blick mit Enji, welcher ebenso außer Atem war, das Schwert noch im Fleisch des Monsters steckend.

„…ich glaube…das war’s…“, entkam es seinem Freund, dem der Schweiß auf der Stirn stand.

„Ja, ich denke auch, es-“

Er stockte, als ein Zittern unter ihren Füßen dafür sorgte, dass Toshinori abrutschte und fiel. Reflexartig rammte er dem Wurm erneut das Schwert in die Seite, welcher daraufhin aufbrüllte und mit der noch verbliebenen Vorderkralle um sich schlug.

„Verdammtes Monstrum!!“, grollte Enji, den es beinahe wegfegte.

Er holte aus und stach erneut auf das Wesen ein, welches einen letzten, schrillen Schrei von sich gab und dann wegkippte…knapp neben Toshinori auf dem Boden einschlug. Grünes Blut versickerte langsam in der Erde…

Stille legte sich über den Platz, das Wiehern der Pferde verstummte ebenfalls.

Toshinori nahm einen tiefen Atemzug, ehe er sich wankend erhob, dabei sein rechtes Bein so wenig wie möglich belastete. Gebrochen war es wohl nicht, da er es noch bewegen konnte…aber er wollte kein Risiko eingehen. Sein Blick glitt zu Aizawa, dessen Haare regelrecht zu Berge standen und dessen Augen stark gerötet waren. Vielleicht war es der Schock über den Anblick des Wesens, der ihn so mitnahm, obwohl er körperlich in Ordnung war? Er lächelte diesen erschöpft an, als er humpelnd näher kam.

„Ihr seid wirklich ein großartiger Schütze, Aizawa-san…ohne Euch wären wir nicht so unbeschadet davon gekommen. Nicht wahr, Enji?“

Er warf einen Blick über die Schulter, wo sein Freund wankend auf sie zukam. Toshinori stutzte, als ihm das schwere Keuchen sowie die ungesunde Gesichtsfarbe seines Freundes auffielen. Dieser krallte die Hand in seinen rechten Oberarm, an welchem das Blut hinablief. Erst jetzt sah er die tiefen Wunden, die anscheinend von den Klauen des Monstrums stammten, die ihn getroffen hatten, als er sich bei ihrer Ankunft zur Seite geworfen hatte…und die violett verfärbte Haut. War das Gift etwa an den Klauen…?

Aizawa eilte an ihm vorbei, als der Rothaarige wankte, und er hielt ihn gerade noch rechtzeitig, ehe er auf dem Boden aufschlagen konnte. Allein dass sich Enji nicht wehrte, machte deutlich, wie sehr es ihm zusetzte…und Panik stieg in Toshinori auf. Sie hatten kein Gegengift dabei und er wusste nicht, ob heilende Pflanzen hier helfen konnten.

„Ich kümmere mich um ihn“, hörte er Aizawa sagen und nickte langsam. „Ruht Euch einen Moment aus. Ihr seid blass.“

„Es…geht mir gut, aber Enji…“

„Bleibt sitzen. Ich kümmere mich“, wiederholte Aizawa eindringlich und Toshinori gehorchte diesmal schweigend.
 

Etwas später hatte Toshinori wenigstens die Feuerstelle vor dem Haus entzündet – er konnte nicht einfach untätig sein. Sein Bein pochte schmerzhaft, doch es war auszuhalten. Sein Blick glitt zu Aizawa, der soeben aus der Hütte kam und sich zu ihm setzte. Er sah müde aus, die Augen immer noch gerötet.

„…wie geht es ihm?“, fragte der Blonde leise.

Sein Begleiter seufzte, blickte in die orange lodernden Flammen.

„Schlecht“, gestand er. „Er fiebert und ist nicht bei Sinnen. Ich habe die Wunden gereinigt und soweit versorgt. Ich…werde aber noch mal losgehen und nach Kräutern suchen, die helfen können. Jedoch…bin ich nicht sicher, ob sie gegen das Gift eines Dämons wirksam sind.“

Toshinori schluckte bei den ehrlichen Worten hart, schüttelte dann den Kopf.

„Er ist stark. Er wird es überleben“, erwiderte er fest, auch weil er nichts anderes glauben wollte.

Aizawa schwieg kurz, ehe er nickte und sich erhob.

„Ich suche die Kräuter und koche ihm einen Sud daraus. Im Haus gibt es abgefülltes Trinkwasser“, murmelte er. „Ihr wartet hier.“

„Passt auf Euch auf…“, bemerkte Toshinori bitter, da er sich unnütz vorkam.

Aizawa wandte sich dann auch um, nur um in der nächsten Sekunde innezuhalten. Verwirrt sah der Blonde an seinem Begleiter vorbei, erkannte dann, was dessen Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Auf dem toten Dämonenwurm saß, so als sei es das Selbstverständlichste, die Harpyie und putzte in aller Ruhe ihr rotes Gefieder. Obwohl er in einiger Entfernung hockte, sah man deutlich seine riesigen Schwingen. Was zur Hölle…war er gekommen, weil er ihre Schwäche erkannt hatte? Oder wollte er sich an dem Fleisch des anderen Dämons laben? Einige ihrer Art waren Kannibalen, es wäre daher nicht ungewöhnlich gewesen.

Als der Dämon ihre Blicke bemerkte, sah er auf und grinste sie breit an. Dann schwang er sich von dem Leichnam herunter und kam auf sie zu, wobei er die Flügel gespreizt hielt. Eine Drohung?

Aizawa legte seine Hand an seinen Bogen, die andere umfasste einen Pfeil, während Toshinori sein Schwert umfasste.
 

„Beruhigt euch, Menschlein“, zwitscherte die Harpyie gut gelaunt. „Ich bin nicht hier, um euch aufzumischen, falls ihr das glaubt. Ha! So wie ihr ausseht, seid ihr ziemlich mitgenommen, das würde ja so gar keinen Spaß machen. Nein, nein…“

Er zwinkerte ihnen zu, woraufhin Toshinori die Augen verengte.

„Was wollt Ihr hier, Dämon? Uns ist gerade nicht zum Scherzen…“

„Das kann ich mir denken. Meine Güte, hier stinkt’s ja regelrecht nach totem Wurm…und nach Krankheit. Pfui…hat wohl den mürrischen Rotschopf erwischt?“, plapperte der Dämon einfach weiter.

„Seid Ihr hier, um zu spotten?“, fragte Aizawa genervt. „Falls ja…verschwindet. Ihr kostet uns Zeit.“

Die bernsteinfarbenen Raubvogelaugen richteten sich nun auf den Dunkelhaarigen…und sein Grinsen wurde breiter.

„Nicht so frech…“, schnurrte er regelrecht. „Ich bin doch nicht deswegen hier, sondern natürlich, um euch zu helfen!“

Toshinori stockte der Atem bei den Worten, ehe ihn die unverhohlene Wut packte.

„Was erlaubt Ihr Euch in so einer Situation…wir sollten Euch-“

„Jagen? Erschießen? Abstechen? Jaja…das habt ihr ja alles schon erfolglos versucht, nicht wahr?“, unterbrach ihn der Vogel mit einer wegwerfenden Geste. „Dass ihr noch nicht wieder geschossen habt, liegt daran, dass ihr genau wisst, dass ihr einen Kampf gegen mich verlieren würdet. Ihr seid angeschlagen, alle beide, und euer Freund ist näher am Abgrund des Todes, als euch bewusst ist. Das Gift dieses Abschaums dort drüben wird ihn umbringen. Langsam und qualvoll...und dagegen könnt ihr rein gar nichts machen. Diese Würmer mögen zwar strohdumm sein, aber ihr Gift hat es in sich. Ui…mir wiederrum…kann diese Abscheulichkeit nichts anhaben. Mein Blut ist sehr viel stärker.“

Er stolzierte vor ihnen herum, wobei der Schein des Feuers seine Federn glänzen ließ. Toshinori fragte sich, was dieses Schauspiel sollte. Wollte er sich rächen, indem er ihnen vorhielt, dass Enji sterben würde? Oder wartete er auf eine Lücke, um sie zu töten? Das Verhalten des Dämons ergab für ihn absolut keinen Sinn und auch Aizawa wirkte ratlos.

„Ihr spracht von Hilfe“, meinte dieser langsam. „Was meint Ihr damit?“

Der Dämon grinste ihn amüsiert an, neigte den Kopf, was ihn einem Vogel noch ähnlicher machte.

„Na, ihr habt es zwar nicht verdient…aber wie gesagt, ich bin ein nettes Vögelchen. Ich kann ihm das Gift aussaugen und ihm etwas von meinem Blut abgeben. Das wird die Reste neutralisieren und ihn retten.“

Das Angebot verschlug Toshinori die Sprache; hatte er sich verhört? Was trieb der Dämon für ein perfides Spiel mit ihnen? Er würde doch nicht wirklich…oder doch? Argwöhnisch sah er den gefiederten Jüngling an, der sie breit angrinste und dabei seine Fangzähne entblößte. Das hier war kein Mensch…man konnte einem Dämon nicht trauen, rief er sich in Erinnerung und schnaubte.

„Ihr wollt Zeit schinden, um unseren Kameraden leiden zu sehen“, mutmaßte er unsicher, woraufhin die Harpyie empört mit dem Gefieder raschelte.
 

„Also bitte! Du denkst, ich habe nichts Besseres zu tun, als hierherzukommen, um zu sehen, wie ein Totgeweihter ins Gras beißt? Toshi…du heißt doch Toshi, oder?“

„Für Euch Yag-“

„Also, Toshi…nein, ich bin nicht deswegen hier“, fuhr ihm der Vogel dreist über den Mund. „Euer grimmiger Freund stirbt so oder so, Kräuter hin oder her…das Gift wird seine Eingeweide zersetzen, langsam und schmerzhaft. Ich kann ihn retten. Letzte Chance.“

Aizawa musterte ihn skeptisch, verschränkte dann die Arme, was deutlich machte, dass er keinen Angriff des Dämons mehr fürchtete. Zugegeben…dieser machte keine Anstalten, ihnen den Tod zu wünschen, aber…der Gedanke, dass Enji durch dessen Blut…gerettet werden sollte, behagte ihm nicht. Sein Freund würde ihn verprügeln, sollte er davon erfahren, dass er das zugelassen hatte.

„Dämon…was, wenn…Euer Blut eine Mutation hervorruft?“, fragte er zögerlich, was den Dämon schmunzeln ließ.

„Netter Gedanke. Wäre schön, nicht mehr die einzige Harpyie im Umkreis zu sein…aber leider funktioniert das so nicht. Euer Freund wird sich ein paar Tage übermenschlich stark fühlen, doch diese Wirkung hält nicht ewig an. Es ist ein Effekt von kurzer Dauer, also keine Sorge. Ihr habt nichts zu befürchten.“

„Das…wisst Ihr…woher?“, fragte Toshinori skeptisch, woraufhin der Dämon zwinkerte.

„Sagen wir, ich habe so meine Quellen...“

Toshinori haderte mit sich, ob er da noch nachfragen wollte – denn die Harpyie konnte ihnen ebenso gut Lügen auftischen, wenn sie es nicht preisgeben wollte. Sie hatten zu wenig Zeit…

„Und was wollt Ihr dafür?“, erkundigte sich Aizawa ruhig. „Ihr tut so etwas doch sicherlich nicht ohne Gegenleistung.“

Der Dämon warf ihnen einen langen Blick zu, zuckte dann mit den Schultern.

„Fürs Erste einen Platz bei euch am Feuer…sozusagen einen kleinen Waffenstillstand für die heutige Nacht“, meinte er und wirkte nun weniger verspielt als noch vor seinem Angebot. „Ich weiß, dass ihr mich bei Sonnenaufgang wieder jagen werdet. Das liegt in eurer Natur…von daher…“

Toshinori wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Der Dämon wollte einen Waffenstillstand. Für diese Nacht…und dafür würde er Enji retten. Irgendwie erschien ihm das viel zu unverhältnismäßig. Warum sollte es der Harpyie wichtig sein, die Nacht bei ihnen am Feuer zu verbringen? Wie ernst dieser plötzlich war…so, als würde es ihm tatsächlich etwas bedeuten.

Toshinori tauschte einen Blick mit Aizawa, welcher seufzte.

„Wir haben keine Wahl, oder? Der Dämon hat Recht…es steht schlimm um Euren Freund und ich bin mir nicht sicher, ob die Kräuter helfen. Wir…sollten ihm Glauben schenken.“

Das klang so plausibel, dass man nicht widersprechen konnte.

„…Enji wird mich umbringen“, murmelte Toshinori kopfschüttelnd und immer noch mit sich hadernd.

Einem Dämon vertrauen…einmal hatte er dies getan und es hatte seinen Freund fast das Leben gekostet. Nun befand er sich in einer ähnlichen Situation und nichts anderes schien dessen Leben retten zu können. Was für eine Zwickmühle…
 

„Nun gut“, ergab er sich, auch wenn an der Entscheidung ein bitterer Geschmack haftete. „Wir haben keine Zeit, um weiter zu diskutieren. Ich lege das Schicksal meines Freundes in Eure…Klauen, Dämon. Sollte er sterben, werde ich nicht eher ruhen, bis ich Euch erlegt habe, wie Ihr einst diesen Hirsch vor unseren Augen. Seid Euch dessen gewiss.“

Der Dämon verdrehte angesichts dieser Drohung bloß die Augen und winkte ab.

„Schon verstanden, jaja, ich bin brav und halte mein Wort. Nun holt ihn hier raus ans Feuer…ich betrete keine menschliche Hütte. Los, los! Ihr wollt ihn doch retten?“, trieb der Vogel sie an. „Ach und übrigens…ich heiße Hawks! Nicht Dämon, nicht Harpyie…einfach Hawks!“

Toshinori blinzelte, als er so darauf beharrte, nickte dann aber.

„In Ordnung…Hawks. Wartet hier.“

Er ging mit Aizawa in die Hütte, wo ihr Freund, eingewickelt in mehrere Decken, im Bett lag und rasselnd atmete. Der Schweiß glänzte auf dessen blasser Stirn, während er immer wieder unruhig zuckte, die Lider jedoch geschlossen hielt. Er hatte Enji selten so angeschlagen erlebt und es machte ihm Angst.

„Es ist die richtige Entscheidung“, brummte Aizawa neben ihm. „Ich denke nicht, dass der Dämon…dass Hawks…unehrlich ist. Das ergäbe keinen Sinn.“

Toshinori nickte leicht.

„Ja. Vielleicht…dennoch ist es…er ist ein Dämon. Ich kann nicht glauben, dass er uns…helfen will…das passt nicht zusammen. Aber…wir haben keine Wahl.“

Mit Aizawas Hilfe schaffte er es, Enji nach draußen ans Feuer zu tragen, wo sie ihm ein warmes Lager bauten, damit er nicht fror. Der Dämon sah ihnen dabei neugierig zu, während er mit seinen langen Vogelbeinen im Schneidersitz saß und herumwippte.

„Oh oh…das sieht wirklich nicht gut aus. Ihr habt Glück, dass ich da bin, hehe...sonst könntet ihr euch jetzt von ihm verabschieden.“

Toshinori stieß beherrscht die Luft aus, ehe er den Dämon ernst anblickte.

„Ich bitte Euch, redet nicht so viel und…helft ihm lieber. Ich…verzeiht, meine Ungeduld, aber er ist mein Freund. Ihr versteht vielleicht meine Sorge…“

Der Dämon sah ihn mit einem undefinierbaren Blick an, setzte sich dann aber neben den Rothaarigen, dem es zusehends schlechter ging. Er berührte dessen verbundenen Arm mit den Klauen und rümpfte die Nase, als er die Bandagen löste.

„Ich habe keine Freunde, daher…nicht wirklich. Nein“, murmelte er und beugte sich herunter.

Er grub seine scharfen Zähne tief in Enjis Wunde, welcher daraufhin ächzte und sich zu winden begann. Toshinori wollte ihn schon festhalten, doch da legte der Dämon eines seiner langen Beine über dessen Brust, hielt ihn so unten. Mit einem unguten Gefühl sah er zu, wie der Vogel das Blut seines Freundes trank…um diesem das Gift zu entziehen. Es dauerte viel länger, als es Toshinori lieb war, doch blieb er untätig an Enjis freier Seite sitzen, während sein Freund leise stöhnte.

„So…“, kam es schließlich von…Hawks, welcher sich über den blutigen Mund wischte. „Der erste Schritt ist getan. Mh…du da, Aizawa, ja? Drück was auf seine Wunde, damit nicht noch mehr Blut rauskommt, danach kannst du sie neu verbinden…und Toshi, du stützt seinen Kopf, ja? Ist gleich vorbei.“

Aizawa, der bisher still beobachtet hatte, gehorchte auch und drückte ein sauberes Stück Stoff gegen die Wunde, während Toshinori Enjis Kopf anhob und auf seinem Schoß ablegte. So würde es einfacher sein. Wie leichenblass sein Freund aussah…
 

Mit gemischten Gefühlen sah er Hawks dabei zu, wie dieser sich mit seinen Klauen den Oberarm aufriss und ihn gegen Enjis Lippen drückte.

„Schön runterschlucken, damit du groß und stark wirst…“, säuselte der Dämon grinsend und drückte seine Haut zusammen, damit mehr Blut aus der Wunde lief.

Toshinori räusperte sich.

„Ist das…nicht unangenehm für Euch?“, fragte er, woraufhin Hawks schmunzelte.

„Nicht im Geringsten.“

Er fütterte Enji weiter mit seinem dickflüssigen, tiefroten Blut, woraufhin sein Freund würgte und zitterte, sogar kurz die Augen öffnete. Sein Blick war nicht fokussiert, glasig…vermutlich bekam er kaum etwas mit.

„Ist das…normal?“

„Ja, alles gut. Sein Körper stößt das Blut ab…wenn er ne gewisse Menge in sich hat, wird es leichter. Ist halt Dämonenblut, das verleibt man sich ja nicht alle Tage ein, hm?“, scherzte der Dämon und wackelte mit seinen buschigen Brauen.

Toshinori seufzte tief.

„Ich wünschte, Ihr würdet darüber keine Witze machen…“

„Ach komm…ich hab euch doch gesagt, dass ich ihm das Leben retten werde. Versprochen ist versprochen!“

Hawks strahlte ihn dabei regelrecht an und Toshinori konnte nicht fassen, dass er sich hierauf wirklich eingelassen hatte. Hoffentlich bereute er das nicht noch…
 

Nach einer Weile war es vorbei und sein Freund lag ruhig schlafend am Feuer. Dessen Gesicht nahm langsam wieder etwas Farbe an und das Zittern verebbte, also wirkte das Blut wohl. Es erleichterte Toshinori über alle Maßen, auch wenn das Misstrauen gegenüber Hawks nicht ganz wich. Dieser saß mit ihnen am Feuer und wärmte seine krallenbesetzten…Füße am Feuer, während er auf einem Bein des Wurm-Dämons kaute. Zumindest konnten sie nun sicher sein, dass das Gift ihm nichts anhaben konnte.

„Dann erzählt mal was über euch!“, forderte der Dämon sie auf und schmiss das abgenagte Bein über seine Schulter. „Reist ihr schon lange zusammen? Wie habt ihr euch kennengelernt? Habt ihr schon viele Dämonen getroffen? Eh…ihr könnt auch was anderes erzählen! Oder soll ich von mir reden? Sonst denkt ihr noch, dass ich eure Schwachstellen herausfinden will…haha…also, ich bin ja ne Harpyie, wie ihr wisst. Ich esse gern Schafe – na gut, das war jetzt nicht so das passende Thema, was? Ich bin ein guter Jäger und verdammt schnell, wie ihr ja gesehen habt. Ich bin schon als Küken hierhergekommen und darüber trotz allem sehr froh. Ihr wisst ja nicht, wie die Dämonenwelt so ist…ihr würdet da keine zehn Sekunden überleben!“

Er wedelte mit der Klaue hin und her, ehe er sie breit angrinste, sich wohl eine Antwort erhoffte. Aizawa neben ihm fing sich als Erster, runzelte die Stirn.

„Ihr seid ziemlich geschwätzig“, bemerkte er monoton, woraufhin Hawks lachte.

„Das wärst du auch, wenn du nie jemanden zum Reden hättest. Die meisten schreien um Hilfe oder gehen auf mich los – so wie ihr. Das ist anstrengend…und frustrierend.“

Dessen Stimme nahm einen verbitterten Unterton an, was Toshinori ernsthaft irritierte.

„Dä…ich meine…Hawks, seid Ihr hier, bei uns…weil Ihr…Nähe sucht?“, fragte er ungläubig, woraufhin der Dämon schief lächelte.

„Ich habe doch gesagt, dass ich keine Freunde habe. Das Leben als Dämon ist hier zwar sicherer als drüben…aber leider genauso einsam. Ich bin anders als ihr…und ich verstehe euer Handeln, denn ihr habt Angst. Trotzdem…ich bin nicht wie diese Monster, die ihr jagt. Ich habe keine Freude daran, Menschen zu reißen…bis heute habe ich nie einen Menschen gefressen. Wozu auch? Ihr seid wie ich…nur schwächer und ohne Flügel. Das wäre…falsch.“

„…Ihr habt eben einen der Euren verspeist“, bemerkte Aizawa trocken.

„Das hohle Ding da drüben? Also bitte…wir unterscheiden uns ja wohl deutlich in Aussehen und Intelligenz!“

Er schnalzte mit der Zunge, spreizte seine Flügel einmal, als würde er sich strecken, und funkelte sie beide dann wieder an.

„Nein, nein…ich fühle mich euch viel verbundener als diesen Viechern.“

Toshinori konnte das alles nur schwer glauben, allerdings steckte wohl keine List dahinter. Der Dämon…Hawks…hätte sie vorhin töten können – das Überraschungsmoment sowie ihre Erschöpfung wären auf seiner Seite gewesen. Stattdessen hatte er ihnen seine Hilfe angeboten und saß nun mit ihnen am Feuer, um sich mit ihnen zu unterhalten. Was für ein seltsamer Dämon…

„Jemandem wie Euch bin ich auch noch nie begegnet“, gestand er ein wenig überfordert.

Hawks grinste schief, setzte sich in den Schneidersitz und stützte die Klauen auf seine Oberschenkel. Er wirkte regelrecht entspannt, was Toshinori nicht nachvollziehen konnte; immerhin hatten sie ihn zu töten versucht. Wieso glaubte er ihnen, dass sie ihn nicht doch angreifen würden? Andererseits…saßen Aizawa und er selbst ja auch hier, ohne einen Angriff zu fürchten. Na ja…teilweise zumindest. Die Bedenken verschwanden nicht einfach.
 

„Das mag daran liegen, dass sich die höheren Dämonen gar nicht erst zu erkennen geben“, bemerkte Hawks schließlich. „Einige von uns sind von Natur aus so menschenähnlich…oder in der Lage, ihre Gestalt zu verändern, dass sie gar nicht auffallen. Ohne meine Flügel und Klauen würdet ihr mich vermutlich auch nicht direkt unterscheiden können. Einige paaren sich sogar mit Menschen…und zeugen Nachwuchs.“

Toshinori runzelte die Stirn.

„Ihr meint, sie verführen und vergewaltigen sie…“

„Unsinn. Klar, gibt es auch solche…aber ihr müsst euch echt mal von der Vorstellung verabschieden, dass wir alle gleich ticken. Unter euch Menschen gibt es doch auch schlechtere und bessere“, brummte Hawks und rollte dabei mit den Augen.

Aizawa schnaubte.

„Da hat er allerdings Recht…“

„Sag ich ja!“

Hawks strahlte den Dunkelhaarigen an, welcher darauf nicht einging, sondern sich etwas von dem Trockenfleisch nahm. Toshinori beobachtete den Dämon nachdenklich, denn dessen Worte beschäftigten ihn. So, wie Hawks es sagte, klang ihre Meinung tatsächlich sehr oberflächlich…doch wann hatte man schon Gelegenheit, einen Dämon näher kennenzulernen? Wollte er das überhaupt? Sein Sinn für Gerechtigkeit bejahte dies…seine Erfahrung sagte etwas anderes. Kein leichtes Thema…zumal sie Hawks eigentlich zur Strecke bringen sollten.

„Hawks…Euch ist bewusst, dass Ihr…unser Auftrag seid? Verzeiht, aber…es ist…Ihr solltet nicht versuchen…Euch mit uns anzufreunden…dafür sind wir zu verschieden“, endete er schließlich.

Die Harpyie sah ihn mit einem Ausdruck an, der Toshinori bewusst machte, wie hart seine Worte klangen. Andererseits entsprachen sie der Wahrheit. Er räusperte sich mit einem Seitenblick auf Enji, welcher immer noch schlief, nur zwischendurch zuckte oder leise brummte.

„Seine Narbe stammt von einem der Euren – auch wenn Ihr meint, keine Verbindung zu ihnen zu haben, wird mein Kamerad das anders sehen. Wenn er hiervon erfährt, wird er Euch umso mehr verabscheuen. Er wird nicht ruhen, bis Ihr tot seid, und…ich werde ihn nicht daran hindern. Ich weiß, dass wir Euch einen Platz am Feuer versprochen haben…den hattet Ihr. Bis jetzt. Wir sind Euch dankbar, doch es…wäre das Beste, wenn Ihr nun geht…“

Es fiel ihm furchtbar schwer, den Dämon von ihrem Lager zu verscheuchen. Es fühlte sich falsch an und das nicht nur, weil er wusste, wie Aizawa dazu stand. Das hier war undankbar und trotzdem nahm er es nicht zurück. Es stimmte ja, was er sagte…

Hawks schaute ihn einige Sekunden nur an…dann legte sich langsam ein Lächeln auf seine Lippen. Es wirkte nicht so heiter wie zuvor.

„Ja. Das ist mir bewusst…sagte ich ja schon“, gab er leise zurück und schüttelte dann den Kopf. „Es ging nur um die Nacht. Etwas quatschen und so…na ja, ihr habt euer Wort gehalten, hm? Ich halte meins…von daher werde ich mich wohl mal vom Acker machen. Bevor die Sonne aufgeht und so. Nicht, dass der Große da noch mal wach wird und den Schock seines Lebens kriegt, huh? Wäre ja wirklich ungünstig, wenn ich ihm den Hintern rette und er dann doch stirbt.“

Obwohl der Dämon grinste und dabei zwinkerte, wurde Toshinori das Gefühl nicht los, dass dieser enttäuscht war. In ihm selbst machte sich das schlechte Gewissen breit, doch es ging nicht anders…oder doch? Er ignorierte Aizawas Seitenblick, der ihm irgendwie strafend erschien.

„Nun denn…netter Plausch…auch wenn ihr das dem Rotschopf da besser nicht auf die Nase bindet. Versteh schon, wenn das euer kleines Geheimnis bleiben soll.“

Hawks plapperte munter weiter, als würde es ihn nicht stören, streckte dabei seine gewaltigen Schwingen mit den roten Federn aus.

„Also dann…wir sehen uns bestimmt. Macht mir das Leben in Zukunft nicht so schwer, ja?“

Er bleckte grinsend die Zähne, wenn da auch so ein Ausdruck in seinen Augen war, der nicht ganz dazu passen wollte. Irgendwie…schnürte es Toshinori die Kehle zu. Auch dann noch, als sich der Dämon in die Lüfte erhob und langsam aus ihrem Sichtfeld verschwand.

Die Heimkehr

Als Enji wach wurde, erinnerte er sich kaum noch an das, was zuvor passiert war. Er fühlte sich ausgelaugt und seinen Kopf pochen, als hätte er einen über den Durst getrunken. Sein Hals war rau und trocken, sodass er reflexartig husten musste. Die Sonnenstrahlen blendeten ihn unangenehm und er schloss die Augen wieder, hob den Arm, um sich über diese zu reiben. Er wusste noch, dass sie gegen einen wurmartig aussehenden Dämon gekämpft hatten. Hatten sie ihn bezwungen? Natürlich, sonst würde er ja nicht mehr unter den Lebenden weilen, nicht wahr? Vorsichtig setzte er sich auf, denn sein gesamter Körper fühlte sich eigenartig, beinahe fremd an. Er warf einen müden Blick auf seinen rechten Oberarm, der bandagiert worden war. Hatte ihn das Monstrum etwa verletzt? Auch daran fehlte ihm die Erinnerung, aber es musste wohl so gewesen sein.

Hatten sich Toshinori und Aizawa um ihn gekümmert? Tse…falls ja, war er ihnen wohl eine Last gewesen. Unangenehm. Er ließ den Blick über seine Umgebung schweifen, wo der tote Riesendämon immer noch unberührt lag. Die Feuerstelle, an der er geruht hatte und in drei Decken gewickelt worden war, war verloschen. Er hielt inne, als er in der Hütte ein leises Scheppern hörte, und drehte den Kopf in die Richtung. Anscheinend waren die beiden im Inneren, er hörte sie reden – wenn auch nur Bruchstücke.

„…nicht richtig...“

„…bewusst, dass…reden wir nicht mehr darüber.“

„…Fehler…“

„…Mission…versteht doch…“

„…sehe das anders…“

„…Ihr seid jung…irgendwann…werdet Ihr nachvollziehen können, wieso wir-“

Toshinori verstummte, blieb im Türrahmen stehen, als er bemerkte, dass er wach war. Scheinbar hatte dieser ihm Wasser und etwas zu essen bringen wollen, denn er hatte beide Hände voll. Erleichterung zeichnete sich auf dem Gesicht seines Freundes ab – hatte es so schlimm um ihn gestanden? Wenn er sich dermaßen kräftig fühlte, konnte er das nicht recht glauben, aber Toshinori neigte ja des Öfteren zur Übertreibung.

„Enji, du…es geht dir besser?“, fragte dieser und eilte an seine Seite.

Der Rothaarige schnaubte aufgrund der, aus seiner Sicht, überzogenen Reaktion.

„Ich habe zwar keine Ahnung, was passiert ist, da dich das anscheinend so überrascht – aber ja. Es geht mir besser.“

Hörbar atmete Toshinori aus, lächelte jedoch schief.

„Der Dämon hat dich verwundet…am Arm und…die Wunde war wohl infiziert und…deswegen…bist du ohnmächtig geworden. Du hattest starkes Fieber und…Aizawa-san hat dir einen Sud zubereitet. Es hat wohl…geklappt.“

Jetzt verdankte er seine schnelle Genesung auch noch dem kauzigen Kerl? Das wurde ja wirklich immer schlimmer. Grimmig blickte er eben jenen, welcher soeben im Türrahmen auftauchte, an.

„Ihr seid wohl nicht so leicht tot zu kriegen“, kam es trocken von diesem.

„Natürlich nicht!“, ranzte er zurück. „Hn…was auch immer Ihr getan habt, ich fühle mich gut genug, um nicht mehr hier herumliegen zu müssen!“

Toshinori seufzte.

„Übertreib es nicht gleich, ja? Dein Körper ist geschwächt…also trink und iss erst einmal etwas. Dann sehen wir weiter, hm?“

Obwohl es Enji nicht passte, nahm er den Becher mit Wasser an und gab seinen Widerstand fürs Erste auf. Es brachte ja doch nichts, sich der – ungewollten – Fürsorge seines Freundes zu widersetzen. Dafür kannte er diesen zu lange.
 

„…und wie gehen wir jetzt weiter vor? Habt ihr euch schon Gedanken gemacht?“, brummte er schlecht gelaunt, woraufhin Toshinori sichtlich zögerte.

Das konnte nur heißen, dass es ihm nicht gefallen würde. Sein Freund faltete die großen Hände ineinander, während sich auch Aizawa zu ihnen setzte. Ob dieser wohl bereits im Bilde war? War es darum gegangen, als die beiden diskutiert hatten? Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Toshinori zu, welcher nun das Wort ergriff.

„Nun, wir sind alle angeschlagen von dem Kampf gegen den Wurmdämon. Mein Bein ist vermutlich verstaucht, der Schwellung nach zu urteilen. Aizawa-san hat kaum noch Pfeile, die Bolzen sind gebrochen…und unsere Schwerter sind in einem furchtbaren Zustand, was wohl am Gift des Dämons liegt. Die Fischer werden uns so schnell keine Netze zur Verfügung stellen, wenn sie denn überhaupt wirksam sind. Wir brauchen bessere Waffen, wenn wir siegreich gegen die Harpyie sein wollen.“

Enji konnte dessen Ausführungen nur zustimmen, aber er ahnte, dass es da einen Haken gab, weswegen er abwartete.

„…dein Landsitz ist nur einen Tagesritt von hier entfernt.“

In dem Moment verstand Enji die Zurückhaltung und seine Miene verschloss sich. Sicherlich war dies die einfachste Lösung, denn dort hätten sie die Ressourcen für wirksame Waffen gegen einen geflügelten Dämon. Das angrenzende Dorf besaß eine gute Schmiede und viele Händler kehrten dort ein, um ihre Geschäfte zu abzuwickeln. Ohne eine bessere Ausrüstung würde ihnen der Dämon immer wieder entkommen…es gab da nur zwei Probleme.

Erstens würden sie den Dämon damit weiter walten lassen, wie es ihm beliebte, und sei es auch nur für einige Tage…und zweitens mied er seinen Landsitz die meiste Zeit über aus guten Gründen. Andererseits musste er hin und wieder vorbeischauen, um nach dem Rechten zu sehen – das war seine Pflicht. Innerlich seufzte er, nickte dann aber.

„Nun gut. Wenn du meinst, dass du den Ritt mit deinem Bein schaffst…“, bemerkte er noch, woraufhin Toshinori schief lächelte.

„Es wird schon gehen. Zur Not wird mir Aizawa-san sicher helfen, nicht wahr?“

Der Angesprochene stutzte merklich, als er genannt wurde, sah verwirrt auf.

„Uhm…“

„Keine Sorge!“, redete Toshinori einfach weiter. „Ich bringe Euch das Reiten schon noch bei! Es ist gar nicht so schwer und Morgenstern ist ein wirklich geduldiges Tier!“

„Ah…“

Die mangelnde Begeisterung hielt seinen Freund nicht davon ab, weitere von Morgensterns Vorzügen zu erwähnen, doch Enji hörte nur noch nebenbei zu. Der Gedanke an sein sogenanntes Zuhause sorgte nicht gerade für Freude bei ihm. Am besten bereitete er sich schon mal mental vor, damit er sich zusammenreißen konnte – gerade Aizawa sollte nichts von seinen Problemen erfahren. Es reichte schon, dass Toshinori oberflächlich Bescheid wusste.
 

Tatsächlich brauchten sie am Ende fast zwei Tage, um sein Anwesen zu erreichen. Seltsamerweise strotzte Enji regelrecht vor Kraft, kaum dass sie losgeritten waren. Während Toshinoris Bein mehr Probleme als gedacht machte, hatte er das Gefühl gehabt, er hätte die ganze Nacht durchreiten können. Es irritierte ihn zwar, doch im Endeffekt schob er es auf das Adrenalin, das der Dämon wohl in ihm freigesetzt hatte. So ein lebensbedrohlicher Kampf konnte einem vor Augen führen, wie leicht es vorbei sein konnte.

Trotzdem musste er Rücksicht auf die anderen beiden nehmen, die mit ihm nicht mithalten konnten – was ihm von Aizawa den ein oder anderen Kommentar eingebracht hatte. Sei es drum, sie hatten es schließlich hergeschafft und das war die Hauptsache – auch wenn es ihn immer noch ärgerte, dass sie weiterreisten, ohne den Dämon vorher erlegt zu haben. Sobald sie Vorräte und Waffen aufgestockt hatten, würden sie dies nachholen, so viel war sicher.

Schon von Weitem konnte man die hohen Mauern sehen, die um sein Anwesen gezogen waren, um dieses entsprechend zu schützen. Aus der Entfernung konnte man lediglich die mit Schilfrohr verkleideten Dächer ausmachen.

Enji stieg von seinem Pferd, als sie sich dem Tor näherten, an dem wie immer zwei Wachposten standen. Es wunderte ihn nicht, dass sie einen Moment brauchten, um ihn als ihren Herrn zu erkennen – es war Fakt, dass er nicht oft hier einkehrte. Genau genommen waren seine Besuche mehr Pflicht als alles andere…und der letzte auch schon wieder ein halbes Jahr her. Dies war vermutlich der Grund dafür, dass sie sein Gesicht so unhöflich anstarrten. Seine lange Abwesenheit…und die Narbe, die sich über die linke Seite zog. Bei seinem letzten Besuch war diese schließlich noch nicht da gewesen. Er straffte die Schultern, während er auf sie zuging, woraufhin sie eilig den Kopf neigten.

„Herr…Ihr seid zurück…“

„Willkommen! Wir haben nicht mit Euch gerechnet…sonst hätten wir der Herrin Bescheid gesagt und-“

„Nicht nötig“, schnitt Enji ihnen knapp das Wort ab. „Lasst meine Kameraden und mich hinein. Die Reise war lang und anstrengend. Und ruft jemanden, der sich um die Pferde kümmert.“

Erst jetzt schienen sie Toshinori und Aizawa zu bemerken und neigten ebenfalls demütig den Kopf, ehe sie das Tor für sie öffneten. Enji drückte einem von ihnen, Kido, Feuersturms Zügel in die Hand und betrat dann nach langer Zeit wieder den Grund und Boden, auf dem er selbst aufgewachsen war.

Das Todoroki-Anwesen lag inmitten eines kunstvoll angelegten Gartens mit groß gewachsenen Ahorn- und Kirschbäumen, welche bald blühen würden. Der Weg zum Haus, in dessen Mitte sich ein rechteckiger Innenhof befand war von verschiedenen Blumen und Sträuchern umgeben.

Er hielt inne, als er Stimmen und Lachen aus der Nähe vernahm, und drehte den Kopf in besagte Richtung. Nur ein paar Sekunden später tobten zwei seiner Kinder über die Brücke, die über dem mit Seerosen und Schilf geschmückten Teich zu seiner Linken verlief. Als sie ihn erkannten, stockten sie merklich, klammerten sich an das Geländer der Brücke und sahen sie misstrauisch an.

Enji nahm es mit einem unangenehmen Stich in der Brust wahr, wenn er es sich auch nicht anmerken ließ. Stattdessen machte er ein paar Schritte auf sie zu, bis sie in Reichweite waren.
 

„Begrüßt man so seinen Vater?“, knurrte er vorwurfsvoll. „Natsuo, Fuyumi…kommt her und sagt unseren Gästen guten Tag!“

Der Junge zog eine Schnute, was deutlich machte, dass es ihm nicht passte, während sich das Mädchen beschämt auf die Lippen biss, ehe sie ihn anstieß und am Arm mit sich zog.

„Ach, lass doch, Enji…sie haben gerade so schön gespielt“, hörte er Toshinori hinter sich sagen und warf ihm einen finsteren Blick über die Schulter zu.

„Sie haben sich zu benehmen…also halt dich raus“, erwiderte er ungehalten, woraufhin der Blonde verstummte.

Er vernahm das unterschwellige Funkeln in Aizawas dunklen Augen, doch wenigstens behielt er einen Kommentar für sich. Vor seinen Kindern ließ er bestimmt nicht seine Autorität untergraben. Er sah zu den beiden, die unsicher vor ihm stehen blieben, herunter, wobei ihm auffiel, dass vor allem Natsuo wieder ein Stück gewachsen war. Von der Statur her kam er eindeutig nach ihm, auch wenn er erst zehn Jahre alt war – doch das helle Haar hatte er ebenso wie seine Schwester von ihrer Mutter. Fuyumi musste mittlerweile dreizehn sein…und Enji graute es davor, dass sie bald zur Frau werden würde. Mit ihrem hübschen Gesicht, den großen, grauen Augen und ihrem sanften Wesen würde sie sicherlich bald den ein oder anderen Verehrer vor der Tür stehen haben – ein schrecklicher Gedanke.

„Willkommen zurück, Otou-san“, murmelte sie mit einem wackligen Lächeln und neigte den Kopf vor ihm.

Sein Blick blieb für einen Moment an der blumenförmigen Spange, die ihre weißen Haare mit den roten Strähnen zierte und die gut zu ihrem rosafarbenen Yukata passte, hängen. Natsuo schaute ihn immer noch voller Trotz an, während er mit verschränkten Armen neben seiner Schwester stand. Anscheinend würde sich sein Sohn lieber die Zunge abbeißen, als ihm ein nettes Wort zukommen zu lassen. Er wusste, dass dieser ihm immer noch nachtrug, was passiert war. Ganz verübeln konnte er es ihm nicht.

„Und herzlich willkommen, Toshi und…uhm…“, kam sie ins Stocken und sah Aizawa fragend an.

„Aizawa“, brummte dieser nur, wohingegen Toshinori das Mädchen anstrahlte.

„Du bist ja eine richtige kleine Dame geworden, Fuyumi-chan! Und so hübsch wie deine Mutter.“

Seine Tochter lächelte ein bisschen verlegen, doch zweifellos freute sie sich über das Kompliment. Enji hasste es, dass sein langjähriger Freund so viel besser mit seinen Kindern umgehen konnte als er selbst. Er versuchte ja, einen Draht zu ihnen zu bekommen…aber er hatte zu viel in der Vergangenheit falsch gemacht, als dass es so einfach hätte sein können.

„Und dieser junge Mann da ist wohl Natsuo-kun? Wenn du weiter so wächst, holst du deinen Vater ja bald ein!“, wandte er sich an seinen Sohn, der krampfhaft nicht zu zeigen versuchte, dass es ihm schmeichelte.

„Hn…kann sein…“, brummte er ausweichend, woraufhin Enji schnaubte.

„Sieh ihn an, wenn er mit dir redet“, meinte er ernst, ehe er sich umsah. „Wo ist eure Mutter?“

„Sie ist mit Shouto bei der Schaukel…“

Enji nickte bloß und ging dann an ihnen vorbei, um seine Frau aufzusuchen. Er hörte noch, wie Toshinori sich erneut an die beiden wandte, mit ihnen plauderte und Aizawa miteinbezog. Es ärgerte ihn zwar, doch vielleicht war es besser, wenn er erstmal allein mit seinem Weib sprach.
 

Wie Fuyumi gesagt hatte, fand er Rei und ihren Jüngsten bei der Schaukel, die er einst für seinen Erstgeborenen hatte anbringen lassen. Sie war immer noch so hübsch wie am Tag ihres Kennenlernens, schien kaum gealtert zu sein. Beim Anblick des warmen Lächelns, das die Lippen seiner Frau zierte, wurde ihm flau im Magen. Vermutlich, weil sie ihm nicht einmal mit solch ehrlicher Zuneigung begegnet war.

Eine Weile beobachtete er sie dabei, wie sie Shouto anschubste, woraufhin dieser lachte und noch höher schaukelte. Seine zweifarbigen Haare flogen durch den Wind, seine Augen, das eine grau, das andere türkisfarben, leuchteten...er war schon wieder gewachsen. Fünf Jahre…und obwohl er versuchte, seine Fehler nicht zu wiederholen, wusste er nicht, ob es reichen würde. Fuyumi fürchtete ihn, Natsuo verabscheute ihn…und Touya…war eine andere Geschichte.

Er verdrängte die deprimierenden Gedanken und räusperte sich vernehmlich, woraufhin Rei den Blick hob und auch Shouto stockte. Während sein Sohn verwirrt dreinsah, wirkte seine Frau regelrecht erschrocken über seine Anwesenheit. Die plötzliche Spannung war greifbar, sodass Shouto die Schaukel anhielt und unschlüssig zu seiner Mutter sah. Diese schluckte, legte ihm die Hand auf die Schulter, während sie ihn immer noch ansah, als stünde ein Dämon vor ihr. Vielleicht wäre ihr dies ja sogar lieber gewesen.

Enji überwand die wenigen Schritte zwischen ihnen, woraufhin sie die schmalen Schultern straffte.

„Du…bist zurück“, lautete ihre leise Begrüßung. „Wir haben nicht mit dir gerechnet, sonst…hätten wir…dir…“

„Einen besseren Empfang geboten?“, unterbrach er sie schroff. „Lass gut sein, Weib. Ich lege keinen Wert darauf.“

Sein Blick glitt zu seinem Sohn, welcher nun neben seiner Mutter stand, sich an ihrer Hand festklammerte. Wie sie ihn alle ansahen, als wäre er ihr Feind…es weckte den Zorn in ihm, doch er unterdrückte ihn. Gerade, als er seinen Sohn zurechtweisen wollte, wie er es bei den anderen beiden getan hatte, sah dieser ihn stirnrunzelnd an.

„…was ist mit deinem Gesicht passiert?“, fragte er und Enji stockte ebenso wie seine Frau.

Auf eine solch direkte Frage war er nicht vorbereitet, wusste auch zunächst nicht, was er darauf erwidern sollte. Wenn er Shouto jetzt wegen seines respektlosen Verhaltens anfuhr, würde dieser sich bald ebenso vor ihm zurückziehen wie seine anderen Kinder. Es war schwer, den Mittelweg zu finden.

Er atmete durch und kniete sich dann vor seinen Sohn, um auf Augenhöhe zu sein.

„Ein Dämon hat versucht, mich zu töten. Wie du siehst, hat er versagt…mir jedoch diese Narbe hinterlassen“, erklärte er beherrscht. „Hn…das nächste Mal begrüßt du mich aber erstmal, bevor du mir so eine Frage stellst, verstanden?“

Shouto blinzelte kurz, nickte dann aber brav.

„Ist gut. Entschuldigung, Otou-san…und willkommen zuhause.“

Enji brummte zufrieden und fuhr ihm durch die zweifarbigen Haare, ehe er sich erhob.

„Gut…und jetzt geh zu deinen Geschwistern. Toshinori ist da…er freut sich bestimmt, dich zu sehen, hm?“

Shouto zögerte merklich, warf einen schnellen Blick zu seiner Mutter, doch als diese ihm zunickte, löste er sich von ihrer Hand und verschwand um die Ecke. Enji erhob sich wieder, musterte seine Frau für einen Moment, bevor er die Stimme erhob.

„Wir werden einige Tage bleiben, um Vorräte und Ausrüstung aufzustocken. Lass zwei Zimmer vorbereiten – wir haben diesmal einen Einsiedler im Schlepptau. Heute Abend will ich das Onsen benutzen…und es soll ein ordentliches Mahl geben.“

Rei sah ihn nicht an, während er sprach – und er hasste es. Er hasste es, dass sie ihm nicht mal ein bisschen Aufmerksamkeit schenkte. Ihm irgendwie zu signalisieren gab, dass es ihr etwas bedeutete, dass er zurück war. Und wenn es bloß Enttäuschung gewesen wäre, dass der Dämon ihm nicht den Kopf von den Schultern getrennt hatte – diese absolute Monotonie in ihrem Gesicht machte ihn zornig. Dieser leere Blick.

„Hast du verstanden?“, fragte er jedoch nur mit mühsamer Beherrschung.

„Ja“, murmelte sie tonlos. „Ich kümmere mich darum.“

Ihm fielen die dunklen Schatten unter ihren Augen erst jetzt auf, was darauf schließen ließ, dass sie immer noch Probleme mit dem Schlafen hatte. Vermutlich war es schlimmer geworden, seitdem Touya…

Er biss sich auf die Lippe, kehrte ihr dann lieber den Rücken, anstatt nachzufragen. Sie redeten ohnehin kaum miteinander, es würde nichts bringen.

„Und sieh zu, dass das zweite Schlafzimmer ebenfalls bereit steht. Ich werde dort nächtigen.“

Mit diesen Worten ging er, bevor er ihre Erleichterung noch mitbekommen konnte. Tief in seinem Inneren wusste er, dass er Fehler gemacht hatte. Dass er die Hauptschuld an alldem trug. Das Beste, was er tun konnte, war, Rei den Abstand, den sie benötigte, zu gewähren.
 

„…und dann hat Aizawa-san dem Dämon einen Bolzen mitten ins Maul geschossen! Das Monstrum gab einen fürchterlichen Schrei von sich und fiel zu Boden! So, dass euer Vater und ich die Bestie erklimmen und ihm unsere Schwerter mitten ins Herz treiben konnten! Doch dann…wir rühmten uns schon des Sieges, als plötzlich wieder Bewegung in die Kreatur kam…und sie beinahe euren Vater erwischte! Glücklicherweise konnte er ausweichen…und wir griffen den Dämon erneut mit vereinter Kraft an, um ihn letztendlich zu bezwingen!“

Enji nippte an seinem Sake, während er seine drei Kinder beobachtete, wie sie alle drei mit offenen Mündern an dem niedrigen Tisch saßen und Toshinoris Erzählungen lauschten. Sie schienen sogar das Essen darüber zu vergessen, sodass der Wildschwein-Eintopf unberührt vor ihnen stand. Kurz überlegte er, ob er etwas sagen sollte, doch dann ließ er es. Wenn sich seine Kinder schon mal von seinen Heldentaten beeindrucken ließen, wollte er dies lieber nicht unterbinden – auch wenn die hauptsächliche Euphorie wohl eher von Toshinori geschürt wurde. Dieser betonte seine Worte, um ihnen Spannung zu verleihen, und benutzte die Stäbchen in seiner Hand, um damit zu gestikulieren – was sich ebenfalls absolut nicht gehörte.

Sogar Rei, welche neben ihm saß, musste über seinen blonden Kameraden schmunzeln. Wenigstens war die Stimmung so etwas lockerer, schien doch sonst ein Damoklesschwert über ihnen zu schweben.

„Hat Otou-san daher die Narbe?“, kam es aufgeregt von Shouto, woraufhin Enji schnaubte.

Toshinori derweil lächelte schief, ehe er verneinte.

„Das ist eine andere Geschichte…und wenn euer Vater es erlaubt, erzähle ich sie euch morgen.“

„Darf er, Otou-san?!“

Enji stockte, als er in die leuchtenden Kinderaugen sah, wohingegen die anderen beiden eher zurückhaltend waren. Doch auch sie schienen die Geschichte hören zu wollen, sodass er leise seufzte.

„Von mir aus…“

Sein Blick glitt kurz zu Aizawa, der all dem still beiwohnte, was Enji jedoch lieber war, als sich einen spitzfindigen Kommentar wegen seiner Verletzung anhören zu müssen. Vielleicht hielt sich der Einsiedler aber auch nur zurück, weil er sich hier in seinem Haus befand.

„Und es ist keiner von euch verletzt worden?“, fragte Natsuo skeptisch. „Wenn der Dämon so stark war?“

„Nun, euer Vater wurde am Arm verwundet, als der Dämon seine scharfen Krallen nach ihm ausstreckte - doch natürlich kann so eine Wunde euren Vater nicht niederstrecken. Mich erschlug die Bestie beinahe mit ihrem mächtigen Körper. Ich hatte Glück, dass sie lediglich mein Bein erwischt und nicht all meine Knochen zermalmt hat. Ohne Aizawa-sans Hilfe wären wir aber mit unseren Wunden nicht so leicht davon gekommen – er kennt sich mit Heilkräutern sehr gut aus!“

War ja nicht zu fassen, was sein Freund da für Lobeshymnen verteilte – auch wenn es ja nicht gelogen war.
 

„Seid Ihr eine Hexe?“, rutschte es Natsuo heraus und ließ Aizawa damit stutzen.

Enji konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, auch wenn es natürlich über alle Maßen unverschämt war, jemandem so etwas zu unterstellen. Dennoch…Aizawa mit seinen langen, struppigen Haaren und den blutunterlaufenen Augen…noch dazu im Wald lebend und mit Kräutern hantierend…das passte zusammen. Wobei sich seine Laune trübte, als er an den Vorfall von neulich denken musste…

„…wenn dem so wäre, täte ich besser daran, es niemandem zu erzählen“, erwiderte der Einsiedler bloß und zuckte mit den Schultern. „Meint ihr nicht?“

Kurz herrschte Stille am Tisch und den Kindern schien plötzlich unwohl zu sein. Zumindest so lange, bis Toshinori dem dunkelhaarigen Mann auf die Schulter schlug und dieser dadurch seine Schüssel mit Eintopf über dem Tisch verteilte.

„Aizawa-san macht bloß Spaß! Er wirkt vielleicht etwas düster, aber er hat das Herz am rechten Fleck! Er ist uns ein treuer Kamerad auf unserer Reise gewesen…Ihr braucht also keine Angst vor ihm zu haben!“

Aizawa schnaubte bloß, während er wehmütig auf die Reste in seiner Schüssel sah.

„Hn.“

„Außerdem gehört es sich nicht, Leuten so etwas vorzuwerfen, Natsuo“, brummte Enji in Richtung seines Sohnes, welcher schmollend seinem Blick auswich.

Toshinori lächelte schief, ehe er sich an seine Frau wandte, welche noch kein Wort gesagt hatte.

„Wie ist es dir denn so ergangen, Rei? Der Garten sieht übrigens traumhaft aus – ich freue mich schon darauf, wenn die Kirschblüten blühen!“

Rei wirkte zuerst irritiert, dass sie angesprochen wurde, lächelte aber, als sie sich gefangen hatte. Beiläufig fiel Enji auf, dass sie kaum gegessen hatte. Er fragte sich, ob dies an seiner Anwesenheit lag…oder an den allgemeinen Umständen. Sie sah weniger ausgemergelt aus als bei seinem letzten Besuch.

„Danke, ich…kümmere mich selbst darum“, murmelte sie. „Mit Hilfe der Gärtner, aber…es ist eine schöne Aufgabe.“

Sie umging seine Frage danach, wie es ihr ging, aber das wunderte Enji nicht. Sie gärtnerte also selbst? Solange sie die Kinder und die Verwaltung dabei nicht vernachlässigte, sollte es ihm recht sein. Er musste sich darauf verlassen können, während er unterwegs war.

„Das glaube ich dir!“, erwiderte Toshinori mit einem offenen Lächeln. „Na ja, mich würde niemand in seinen Garten lassen…ich bin da zu grobmotorisch, fürchte ich.“

Er rieb sich den Nacken und zuckte dann mit den breiten Schultern, woraufhin Reis Lächeln eine Spur wärmer wurde.

„Es ist gar nicht so schwer…und die Kinder helfen mir oft, nicht wahr?“

„Ja! Okaa-san sagt, dass ich demnächst mein eigenes Beet anlegen darf!“, kam es stolz von Fuyumi und sie sah erwartungsvoll von Toshinori zu ihm.

Oh.

„Uhm…das ist…ich werde es mir ansehen, wenn es fertig ist“, sagte er rasch, was sie zum Strahlen brachte.

Zum Glück hatte seine Tochter ein recht sonniges Gemüt…er wollte wirklich nicht der Grund dafür sein, dass sie traurig war. Nicht schon wieder.

„Was sind denn deine Lieblingsblumen, Fuyumi-chan?“, erkundigte sich Toshinori freundlich und hielt das Gespräch damit am Laufen.

Während seine Tochter ihm aufzählte, welche Blumen sie mochte, ließ er sich von Rei noch etwas Sake nachschenken. Diese wirkte ein bisschen gelöster als noch zuvor, wobei ihre Anspannung zweifellos an ihrem Besuch lag. Einerseits bitter, andererseits sollte er wohl froh sein, dass nicht die altbekannte Stille herrschte, weswegen er größtenteils zuhörte…
 

Nach dem Essen begaben sie sich zu dritt in das Onsen, welches hinter seinem Anwesen lag. Bei dem Gedanken an ein heißes Bad, das sie schon eine ganze Weile nicht mehr genossen hatten, hob sich seine Laune direkt. Sie entkleideten sich, wuschen sich rasch mit kaltem Wasser, ehe sie das mit hohen Bambuswänden umrahmte Onsen betraten. Nur ein größerer Spalt blieb offen, gab den Blick auf einen kleinen Zengarten frei.

Enji atmete durch, kaum dass er das Handtuch abgelegt und sich in das Steinbecken hatte sinken lassen. Das hier war nicht mit den kalten Seen zu vergleichen, in denen sie sich sonst notdürftig wuschen. Manchmal bot man ihnen ein erhitztes Bad im Zuber an, doch mit seinem Onsen konnte dies nicht mithalten – vor allem da in diesem bequem sechs Leute Platz nehmen konnten.

Er lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und warf dann einen Blick zu den anderen beiden, die sich ebenfalls hineinsetzten. So dürr, wie er gedacht hatte, war Aizawa gar nicht. Sicher, kein muskulöser Hüne wie sie beide, doch er wirkte drahtig…und nicht weniger vernarbt als sie beide. Die langen, nassen Haare hatte er sich mit einem Band hochgebunden – und irgendwie wirkte er ohne das ganze Gestrüpp in seinem Gesicht eine Spur jünger. Enji wandte sich ab, bevor ihm noch Interesse an dem Waldläufer unterstellt wurde.

Er hörte Toshinori wohlig seufzen, während sich auch dieser ausstreckte und entspannt zurücklehnte.

„Das ist herrlich…“, hörte er ihn sagen. „Wir sollten öfter herkommen, Enji.“

Der Rothaarige ahnte, dass er dabei nicht unbedingt die Annehmlichkeiten des Onsen meinte, es aber nicht so direkt vor Aizawa sagen wollte, dennoch ärgerte es ihn. Toshinori wusste Bescheid, wenn auch nicht im genauen Detail, und sollte ihn mit seinen Ratschlägen verschonen.

„Wir reisen weiter, sobald wir erledigt haben, wozu wir hergekommen sind“, erwiderte er schroff, woraufhin der Blonde ihm einen langen Blick aus seinen blauen Augen zuwarf.

„Enji…ich denke, die Kinder-“

„Freuen sich, dass du sie mit deinen Geschichten begeisterst. Ich weiß“, fuhr er seinem Freund dazwischen, was diesen verstummen ließ. „Mich sehen sie lieber von Weitem oder noch besser – gar nicht. Also reisen wir in spätestens zwei Tagen ab.“

Er ignorierte dessen betroffene Miene, wandte den Blick stur in Richtung Zengarten. Warum hatte der andere auch damit anfangen müssen? Er hatte sich gerade entspannen wollen, aber natürlich kam das Thema auf. Was wusste Toshinori schon? Dieser hatte keine eigenen Kinder, nicht mal eine Frau…geschweige denn, dass er…

„Das wird ja nicht von ungefähr kommen…“

Enji verengte die Augen, als Aizawa es tatsächlich wagte, seinen Kommentar dazuzugeben – und dabei sah er ihn nicht mal an, sondern unter halbgeschlossenen Lidern ins klare Wasser.

„Seid Ihr sicher, dass Ihr, als Außenstehender, über mich und meine Familie urteilen wollt?“, fragte er mit warnendem Unterton.

„Ich urteile nicht. Ich beobachte“, erwiderte Aizawa knapp. „Und wenn Ihr jedes Mal gleich so aggressiv werdet, wenn man Euch anspricht, wundert mich gar nichts mehr.“

Enji spürte das Feuer des Zorns in seiner Brust auflodern; wie sie ihn alle belehren wollten. Dabei wussten sie gar nichts.
 

„Ich sah keine Frau in Eurer schäbigen Hütte, Aizawa – nur eine Schar von Katzen. Was mich ebenfalls nicht verwundert, wenn man Euch näher kennenlernt.“

Er hatte sich eine bissige Entgegnung erhofft, doch stattdessen wagte es der andere zu…grinsen. Keines, das seinem Gesicht schmeichelte. Es wirkte eher unheimlich…gar bedrohlich? Nicht, dass er sich vor dem undurchsichtigen Waldschrat gefürchtet hätte.

„Ihr denkt also, dass ich in meiner Hütte lebe, weil ich keine andere Wahl habe? Da kann ich Euch beruhigen…es war meine freie Entscheidung, die Menschen zu meiden und die Tiere vorzuziehen. Davon abgesehen habt Ihr aber Recht…ich wäre wohl wirklich kein passabler Ehemann für eine Dame.“

Enji runzelte die Stirn bei den viel zu ehrlichen – und gleichgültigen – Worten, denn anscheinend reizte Aizawa seine Provokation nicht im Geringsten.

„Was zur-“

„Nun ist es aber gut“, mischte sich Toshinori ein. „Wir sind doch nicht hier, um uns gegenseitig anzufeinden, nicht wahr? Enji, es tut mir leid. Ich wollte dir nichts vorschreiben, aber…ich denke, du solltest wirklich öfter hier sein. Wenn es irgendwie hilft…kann ich auch mit Rei reden.“

Es war gut gemeint, das war Enji bewusst…dennoch fühlte es sich an, als würde der andere ihn ständig an seine Unzulänglichkeiten erinnern. Als wäre er besser als er selbst. Vielleicht war er das sogar – und der Gedanke machte es noch schlimmer.

Dennoch biss er innerlich die Zähne zusammen, um nicht aus der Haut zu fahren. Er durfte sich diese Blöße nicht geben, weswegen er sich zusammenriss.

„Nein. Ich rede morgen selbst noch mal mit ihr und…schon gut. Lass es einfach gut sein und...konzentrieren wir uns darauf, diese Harpyie zur Strecke zu bringen. Dazu sind wir schließlich hier. Es ist schändlich genug, dass wir das nicht gleich erledigen konnten.“

Da er in diesem Moment wütend ins Wasser sah, entging ihm der Blick, den Toshinori mit Aizawa tauschte. Als er wieder aufsah, nickte sein Freund langsam.

„Ja…das…stimmt. Wir sollten uns wahrlich dem…Dämon widmen.“

Warum auch immer das so unsicher klang. Aber gut, Toshinori besaß ein weiches Herz und vielleicht glaubte er auch jetzt noch, dass dieser Vogel gar kein so übler Kerl war. Von Aizawa fing er gar nicht erst an, doch dieser schwieg zu dem Thema, sodass Enji einfach fortfuhr, weiter ihren nächsten Feldzug zu planen.

Weil dies Priorität hatte und Leben retten würde…und ihn von seiner familiären Situation ablenkte, aus der er keinen Ausweg sah. Aber das mussten die beiden nicht wissen und ganz bestimmt würde er keine Einmischung dulden. Das hier war sein Problem. Damit würde er allein fertig werden.

Der Abgrund

Toshinori wurde mitten in der Nacht durch ein undefinierbares Geräusch geweckt. Er öffnete die Augen, hatte ohnehin einen leichten Schlaf, was wohl hauptsächlich an seiner Tätigkeit als Krieger lag. Es konnte durchaus tödlich enden, Verdächtiges zu ignorieren…und so setzte er sich langsam auf. Er griff neben sich und zog sich den blauen Yukata über, ehe er sich von seinem Futon erhob und in Richtung Schiebetür schlich. Der Gästekomplex des Anwesens lag am anderen Ende, somit sollte sich nachts keiner außer Aizawa und ihm dort aufhalten. Dennoch sah er einen Schatten, öffnete so leise wie möglich die dünne Tür, schob den blonden Kopf heraus und…erstarrte.

„…Aizawa-san?“

Der Angesprochene kniete mit dem Rücken zu ihm auf dem hölzernen Boden und sah über seine Schulter zu ihm. Seine wilde Mähne fiel ihm nun wieder ungebändigt über den Rücken. Auch er trug den blauen Yukata, der ihnen aufs Zimmer gebracht worden war, und erhob sich nun langsam. Ein leises Maunzen ertönte und da entdeckte Toshinori die kleine schwarze Katze, die in den Armen des Mannes lag und sich kraulen ließ. Ihre gelben Lampenaugen schlossen sich, während sie wohlig schnurrend die Streicheleinheiten genoss.

Toshinori musste schmunzeln, da er unweigerlich daran erinnert wurde, wie sie ihn kennengelernt hatten. Mit den vielen Katzen um ihn herum, eine auf ihm liegend. Er kam näher, neigte mit amüsiertem Blick den Kopf.

„Konntet Ihr nicht schlafen?“, erkundigte er sich, woraufhin Aizawa zu der Katze heruntersah.

„So in etwa.“

Toshinori lächelte schief, deutete dann auf den Steg der Veranda, welche den kompletten Innenhof umrahmte. In der Mitte stand ein Brunnen, drum herum auch hier einige Grünflächen mit kleineren Bäumen und Blumen.

„Ich könnte Euch und Eurer neuen Freundin etwas Gesellschaft leisten?“

Aizawa blickte ihn einen Moment still an, ehe er nickte und sich auf den hölzernen Steg setzte, dabei in den dunklen Nachthimmel schaute. Der Vollmond tauchte das Anwesen samt Umgebung in blasses Licht, das es irgendwie unwirklich erscheinen ließ. Toshinori nahm neben seinem Begleiter Platz, ließ den Blick einige Sekunden lang schweifen, wobei er über seine nächsten Worte nachdachte.

„…das alles hier muss auf Euch einen miserablen Eindruck machen“, mutmaßte er, woraufhin Aizawa schnaubte.

„Wollt Ihr Euren Freund nun wieder in Schutz nehmen? Welche Gründe schiebt Ihr diesmal vor?“

Toshinori warf ihm einen Seitenblick zu, hob eine Braue.

„Ich weiß nicht, wie Ihr aufgewachsen seid, Aizawa-san…aber zweifellos hat dies Spuren bei Euch hinterlassen oder irre ich?“

Da der andere merklich stockte, war die Frage damit wohl schon beantwortet. Das musste auch Aizawa selbst erkennen, denn er wirkte zerknirscht.

„Ihr seid misstrauisch, verurteilt zuweilen vorschnell Menschen, die Ihr kaum kennt…und Ihr schert Euch wenig darum, was die Leute von Eurer Ehrlichkeit halten“, sprach er langsam weiter.

„Und Ihr seid harmoniebedürftig, viel zu verständnisvoll, viel zu höflich – es sei denn, es geht darum, mir meine Fehler vorzuhalten – und überraschend emotional“, konterte der Jüngere, während er die Finger im Fell der Katze vergrub.

Toshinori blinzelte ihn an, ehe er lachen musste – leise, um nicht doch noch jemanden zu wecken.
 

„Ich dachte, das Emotionale sei positiv? Ihr habt allerdings Recht. Es mag daran liegen, dass ich von Menschen großgezogen wurde, die sehr viel Wert auf Tugendhaftigkeit gelegt haben. Sie waren sowohl streng mit mir als auch gerecht. Es wird wohl auch daran liegen, dass ich eine Waise war, bis sie mich von der Straße aufgelesen und einen Mann aus mir gemacht haben. Wobei…meine Adoptivmutter stets meinte, ich sei als Weltverbesserer geboren worden…“, erwiderte er heiter. „Und im Übrigen sehe ich Eure Eigenschaften nicht als Fehler an…Ihr habt sicher Eure Gründe. Wenn Ihr mögt, erzählt mir gern mehr über Euch.“

Aizawa maß ihn mit einem undefinierbaren Blick aus seinen dunklen Augen, zuckte dann mit den Schultern.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin eine Waise wie Ihr…und weiß nichts über meine Eltern. Sobald ich konnte, habe ich das Waisenhaus, in dem ich lebte, verlassen und bin von einem Ort zum anderen gereist.“

„Allein? Das stelle ich mir recht einsam vor…“, bemerkte Toshinori.

„…manchmal ist man allein besser dran“, gab Aizawa zurück, doch dessen anfängliches Zögern machte Toshinori stutzig.

Vielleicht gab es da noch etwas, das der andere ihm lieber nicht mitteilen wollte. Er würde ihn nicht dazu drängen, denn vielleicht handelte es sich dabei um eine schmerzhafte Erinnerung.

„Nun, ich bin froh, dass ich von meinen Adoptiveltern recht früh aufgenommen wurde. Sie haben mich ausgebildet und durch sie habe ich Enji kennengelernt. Wir waren zuerst Rivalen, dann Freunde. Ich kenne ihn wahrlich lange und ich weiß, dass er auf Euch wie ein schlechter Mensch wirken muss, aber das ist er nicht.“

Aizawa schnaubte leise.

„So? Dann ist das hier keine arrangierte Ehe, die ohne Einverständnis des damals vermutlich sehr jungen Mädchens zustande kam?“

Toshinori blickte ihn ein paar Sekunden still an, atmete dann hörbar aus.

„Doch. Genau das ist es, was passiert ist“, brummte er. „Vergesst dabei nur nicht, dass Enji ebenfalls sehr jung war…und dass der Druck, der auf beiden lag…hoch war. Enjis Familie entspringt einer Generation von angesehenen Kriegern und…so schnell wie möglich viele Erben zu zeugen, ist sozusagen seine Pflicht. Die Hochzeitsnacht…muss wohl ein ziemliches Desaster gewesen sein.“

Er schüttelte den Kopf, als er daran zurückdachte. Bis heute wusste Toshinori nicht, was genau passiert war; damals hatte Enji kein Wort darüber verloren, doch sein Ausdruck und sein Verhalten nach jener Nacht hatten genug ausgesagt.

„…manche Dinge muss man nicht aussprechen, um sie zu erkennen. Seitdem…ging es wohl drunter und drüber. Sie wurde schwanger, wir wurden auf Missionen geschickt. Die Distanz…hat ihre Beziehung nicht verbessert. Er hat sich nach Touyas Geburt bemüht und es ging wohl einige Zeit gut…aber so ein Trauma ist nicht leicht zu überwinden, denke ich. Es hat Spuren hinterlassen. Bei ihnen beiden. Rei hat sich immer mehr zurückgezogen…Enji ist ein temperamentvoller Mensch.“

Er rieb sich den Nacken, fühlte sich schuldig, über dieses Thema mit Aizawa zu sprechen. Andererseits hatte er noch nie zu irgendwem ein Wort darüber verloren…und er hatte das Bedürfnis, die Dinge richtig zu stellen.
 

„Und Ihr denkt, das rechtfertigt es?“, erwiderte Aizawa ungläubig.

„Sicherlich nicht. Ich…denke nur…dass ich wohl auch eine Menge falsch machen könnte…bei einer Frau…uhm…“

Er wurde rot, kratzte sich verlegen an der Wange. Er spürte Aizawas Blick auf sich brennen, was es nicht gerade angenehmer machte. Es dauerte einen Moment, dann fiel der Groschen wohl und Aizawa entgleisten die Gesichtszüge.

„…Ihr wollt mir ernsthaft weismachen, dass Ihr bis heute noch nie einer Frau…beigelegen habt? Noch nie? Niemandem?“, fragte er ungläubig.

„Eh…nein. Ich…halte nicht viel von belanglosen Affären oder Etablissements. Uhm…das erscheint mir…unmoralisch. Ich…möchte mich für jemanden…aufsparen, den ich wirklich liebe. Jemanden, den ich auch ehelichen möchte. Da…bin ich wohl recht altmodisch…und gerade nach dieser Geschichte…aber…so ist es eben.“

Toshinori lächelte schief, erwiderte Aizawas Blick, der deutlich machte, wie schwer er das fassen konnte. Die wenigen, die davon erfuhren, reagierten so – ausgenommen Enji, der sich diesbezüglich gar nicht äußerte. Bei seinen gelegentlichen Abstechern in die Bordelle fragte er zwar immer, ob er mitkommen wollte, doch er drängte nicht darauf.

„…Ihr schafft mich“, murrte Aizawa und schüttelte den Kopf. „Jemand wie Ihr ist mir wirklich noch nie begegnet…“

Toshinori wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Vielleicht besser weiter im Text, bevor es noch seltsamer wurde. Kurz betrachtete er die zusammengerollte Katze auf Aizawas Schoß, welche gähnte und dabei ihre spitzen Zähne zeigte.

„Jedenfalls…ist er um einiges strenger und mit höheren Erwartungen großgezogen worden, als es bei mir der Fall war. Ich denke…das hat er auf seine Kinder projiziert. Bei Touya hat er den Bogen…überspannt. Er ist vor etwa drei Jahren weggelaufen und seitdem hat niemand mehr etwas von ihm gehört. Enji hat ihn lange gesucht…aber vergeblich. Das…hat die Situation nicht verbessert. Rei hatte einen Zusammenbruch…“

Betrübt blickte er vor sich hin, während er daran zurückdachte, suchte schließlich wieder Aizawas Blick.

„Mittlerweile ist er der Meinung, es sei besser, Abstand zu seiner Familie zu halten. Er spürt ihre Ablehnung und weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Er will Rei nicht wieder verletzen…und auch wenn ich nicht denke, dass das unbedingt der richtige Weg ist…verstehe ich ihn. Ihr nicht auch?“

Aizawa haderte merklich mit seiner Antwort, strich der Katze durch das weiche Fell.

„…ich heiße es nicht gut“, antwortete er nach einer Weile. „Vieles davon nicht…aber ich bin nie in solch einer Situation gewesen. Ich denke…Ihr habt nicht ganz Unrecht, wenn Ihr sagt, dass er kein schlechter Mensch sei. Er ist bloß ein Idiot mit schlechten Entscheidungen.“

Toshinori lächelte gezwungen.

„Nun, da lasst Ihr Euch wohl nicht vom Gegenteil überzeugen…aber das ist in Ordnung. Tut mir nur den Gefallen und sagt ihm nicht, dass wir darüber geredet haben, ja? Ich möchte nicht, dass er sich von mir hintergangen fühlt. Ihr wisst ja, wie er ist…“

Aizawa seufzte tief.

„Ja…das weiß ich wohl. Keine Sorge. Ich habe nicht vor, ihm etwas davon unter die Nase zu reiben. Ihr habt mir dies unter vier Augen anvertraut – das weiß ich zu schätzen.“

Toshinori nickte, lächelte den anderen warm an, ehe er ein Gähnen unterdrücken musste. Nun, es war immer noch mitten in der Nacht und sie saßen hier schon eine ganze Weile.

„Wir sollten vielleicht schlafen…so, wie ich Enji kenne, wird er morgen früh los wollen, um im Dorf die Besorgungen zu machen.“

Aizawa stimmte ihm brummend zu, erhob sich dann ebenso wie er selbst. Die Katze schien er mit aufs Zimmer nehmen zu wollen, was Toshinori nicht wunderte, lebte dieser doch mit einem Rudel von ihnen zusammen.

„Nun denn…ich wünsche Euch eine gute Nacht, Aizawa-san.“

„…gleichfalls.“

Mit diesen Worten kehrte ihm der andere den Rücken und ging in Richtung seines Zimmers, das nicht weit von seinem entfernt lag. Toshinori hatte das Gefühl, dem sonderbaren Mann ein wenig näher gekommen zu sein. Es freute ihn und er hoffte, dass dieser ihm irgendwann vielleicht auch etwas mehr über sich anvertraute. Er sah ihm einen Moment nach, ehe auch er sich daran machte, sich wieder schlafen zu legen.
 

Der nächste Tag verlief wie erwartet, denn Enji wollte früh ins Dorf reiten, um eine bessere Ausrüstung im Kampf gegen Dämonen zu besorgen. Vor allem eine neue Schusswaffe, die Netze katapultieren konnte, war in Bezug auf die Harpyie interessant. Vielleicht konnten sie diese damit vom Himmel holen…auch wenn an dem Gedanken ein bitterer Beigeschmack haftete.

Toshinori konnte nicht vergessen, wie er den Dämon von ihrem Lager weggescheucht hatte, trotzdem dieser Enjis Leben gerettet hatte. Und nun waren sie hier, um effektivere Waffen zu besorgen, damit sie ihn niederstrecken konnten. Insgeheim hoffte er, dass…Hawks so klug war, sich einfach ein neues Gebiet zu suchen und dort Wild zu jagen, sodass er niemanden stören würde. Er hätte es lieber vermieden, den Dämon zu töten – wenngleich es entgegen seinen eigentlichen Überzeugungen war.

Obwohl Aizawa nichts dazu sagte, sondern sich mit ihnen bei dem Waffenhändler umsah, wusste Toshinori, dass er dasselbe dachte. Dass auch er nicht gegen den Dämon kämpfen wollte – und es wohl auch nicht tun würde. Nun, sie konnten nicht ehrlich zu Enji sein – dieser würde ausrasten, wenn er erfuhr, dass sie ihm Dämonenblut zu trinken gegeben hatten. Vermutlich wäre sein Freund eher gestorben, als dem nachzugeben. In was für eine komplizierte Situation sie sich da gebracht hatten…

„…hörst du mir überhaupt zu? Hey!“

Er blickte auf, als er so plötzlich aus seinen Gedanken gerissen wurde, und hob den Kopf, um in Enjis verärgerte Miene zu sehen. Dieser hielt ihm eines der Netze entgegen, breitete es vor seinem Gesicht aus.

„Stahlverstärkt. Das wird er nicht so einfach zerreißen können!“, klärte er ihn auf, woraufhin Toshinori nickte.

„Ja…eine gute Wahl“, murmelte er und hörte Aizawa, der sich ein paar Pfeile aus Eisen besah, schnauben.

Enji schien vorzuziehen, den anderen Mann zu ignorieren, und wandte sich stattdessen an den Händler.

„Ich nehme alle davon. Der Preis spielt keine Rolle – ich rate Euch jedoch davon ab, mich über den Tisch zu ziehen.“

„Natürlich nicht, Herr! Das würde ich nie wagen…“

Toshinori dachte bei sich, dass sich wohl niemand bei Verstand trauen würde, Todoroki Enji das Geld aus den Taschen zu ziehen. Schon gar nicht, wenn dieser solch ein finsteres Gesicht zeigte und so bedrohlich grollte. Er schüttelte innerlich den Kopf und besah sich die ausgestellten Schwerter. Nun, er war zufrieden mit dem seinen, aber einen Schleifstein sollte er vielleicht besser mitnehmen.

„Aizawa, wenn Ihr Euch dazu entschließt, mit uns gegen die Harpyie zu kämpfen, zahle ich Euch die Pfeile – ich verschwende allerdings ungern Geld.“

„Und ich lasse mich nicht für Geld zu Entscheidungen drängen, die ich nicht vertrete. Behaltet Euer Geld daher gern.“

„Ich denke nicht, dass jemand wie Ihr Geld ausschlagen solltet…“

„…von jemandem, der reich und verzogen geboren ist, nehme ich aus Prinzip keine Ratschläge an.“

„Ihr wagt es…?!“

Toshinori seufzte stumm, drehte einen verzierten Dolch in seiner Hand und heftete den Blick darauf. Er sah in sein eigenes Gesicht, das sich in der Klinge spiegelte, und versuchte, ernst dreinzuschauen. Nein, denselben Mörderblick wie Enji hatte er wirklich nicht drauf. Er verzog den Mund zu einem breiten Grinsen, das seine Zähne entblößte – ja, das war besser. Bei der immer schärfer werdenden Diskussion hinter ihm drehte er sich schließlich doch um; er konnte sowas nicht ignorieren.

„Ich denke, wir sollten dem guten Mann nicht weiter seine Zeit stehlen, wenn wir hier fertig sind, hm?“, meinte er ruhig und warf einen kurzen Blick zu dem Händler, der etwas blass um die Nase war. „Geben wir die restlichen Waffen in Auftrag und reiten dann zurück. Fuyumi-chan hat gemeint, sie würden an einem kleinen Bach in der Nähe picknicken…vielleicht sollten wir zu ihnen stoßen?“

Man sah Enji an, dass dieser alles andere als begeistert von seiner Unterbrechung war. Andererseits konnte er wohl nichts dagegen sagen…oder ihm gefiel die Idee, etwas Zeit mit seinen Kindern zu verbringen, besser, als er zugeben wollte.

„Von mir aus“, knurrte er daher nur und wandte sich dem Händler zu, um das Geschäft abzuschließen.

Man würde ihnen die restliche Ausrüstung liefern, während sie einen Teil davon bereits jetzt mitnahmen. Zukünftig wäre ein drittes Pferd wohl von Vorteil – er würde Aizawa das Reiten schon noch beibringen. Immerhin hielt dieser sich schon ganz gut auf Morgenstern, wenn auch mit ihm zusammen.
 

Nach ihrem Abstecher ins Dorf ritten sie zurück zum Anwesen, nur um festzustellen, dass Rei bereits mit den Kindern zu besagtem Bach gegangen war. Kido und Onima hatten sie begleitet, um sicherzugehen, dass ihnen nichts passierte. Ein besseres Wetter hätten sie sich jedenfalls nicht aussuchen können, denn die Sonne schien an diesem Tag am wolkenlosen Himmel, ließ die Temperaturen steigen. Vielleicht wirkte sich dies auch positiv auf seinen Freund aus, denn dieser sträubte sich nicht weiter dagegen, seiner Familie einen Besuch abzustatten. Die Pferde nahmen sie nicht mit, immerhin war der Bach nicht weit vom Todoroki Anwesen entfernt.

Es dauerte auch nicht lange, bis sie diese gefunden hatten – Reis weißes Haar leuchtete in der Sonne geradezu, während sie mit Fuyumi auf einer großen Decke saß und dieser beim Erzählen zuhörte. Das Licht brach sich im klaren Wasser des Baches, welcher ein paar Meter weiter durch den Wald verlief und von hohen Bäumen umgeben war. Onima lehnte an einem dieser Bäume, ließ den Blick über die Umgebung schweifen, während von Kido und Enjis Söhnen nichts zu sehen war. Als er sie erkannte, straffte er sofort etwas mehr die Schultern, neigte den Kopf vor ihm.

„Todoroki-sama…“

Auch Rei blickte auf und ihr Lächeln wankte für einen Moment, ehe sie sich aber wieder fasste, während Fuyumi ihnen offenherzig zuwinkte.

„Meine Söhne?“, erkundigte sich Enji bloß, wobei er angespannt wirkte.

„Sie wollten Wildblumen für ihre Mutter pflücken…Kido ist bei ihnen.“

„Hn. Von mir aus“, brummte er nur und verschränkte die Arme.

„Otou-san, Toshi, Aizawa! Wir haben leckere Kuchen!“, rief Fuyumi ihnen zu und strahlte sie an, woraufhin Toshinori schmunzeln musste.

Er stieß Enji an, welcher sichtlich zögerte, sich dann aber seufzend mit ihnen dazu gesellte. Immerhin war die Decke ziemlich groß, sodass sie alle mit genügend Platz auf diese passten.

„Wart ihr erfolgreich?“, fragte Rei leise, während sie ihnen Wein einschenkte.

„Keine Sorge“, erwiderte Enji schroff. „Wenn alles nach Plan verläuft, reisen wir in zwei Tagen ab.“

„Ich…wollte nicht-“

„Was Enji sagen möchte, ist, dass wir sehr erfolgreich waren“, unterbrach Toshinori sie freundlich. „Wir haben einige neue Waffen gefunden, die hilfreich gegen geflügelte Dämonen sein können. Wenn alles fertig ist, werden wir unsere Jagd fortführen.“

Enji brummte etwas Unverständliches, doch wenigstens legte sich Reis betroffene Miene etwas, auch wenn sie den Blick gesenkt hielt. Fuyumi dagegen sah aufmerksam von einem zum anderen.

„Ihr jagt einen Dämon mit Flügeln?“, wollte sie neugierig wissen. „Wie sieht er aus?“

Sie sah zu ihrem Vater, welcher merklich stockte, dann aber versuchte, die Harpyie zu beschreiben.

„…wie ein blonder Jüngling. Bloß mit den Beinen eines Vogels…und scharfen Klauen, anstelle von Händen. Er hat große, rote Flügel…mit denen er uns bisher immer entkommen konnte.“

„Oh…“, murmelte sie langsam. „Das klingt ja eigentlich…gar nicht so fürchterlich.“

Enji nahm einen Schluck vom Wein, ehe er schnaubte.

„Fürchterlich ist er trotzdem. Aber ja. Die meisten Dämonen sehen nicht so…menschlich aus“, meinte er knapp, woraufhin Aizawa brummte.

„Geschweige denn, dass sie sonst so intelligent sind, hm?“

Toshinori lächelte schief, mischte sich ein, bevor Enji einen bösen Kommentar dazu abgeben konnte, der erneut zum Streit führen würde.

„Jedenfalls werden wir ihn sicher finden und ihn erlegen. Also keine Sorge“, meinte er beschwichtigend und blendete Aizawas Seitenblick dabei bewusst aus.

In dem Moment wurde ihr Aufmerksamkeit jedoch ohnehin von etwas anderem gestört…
 

„Herr, ihr seid…uhm…hier…“, kam es von einem atemlosen Kido, welcher viel zu nervös wirkte, als dass dies etwas Positives bedeuten konnte.

Enji verengte die türkisfarbenen Augen, während er den Mann musterte, der darunter noch etwas zusammenzuschrumpfen schien.

„Wo sind die Kinder?“, knurrte er, woraufhin Kido schluckte.

„Ich nahm an…sie wären hier.“

„Was?!“

„Ich schwöre Euch, Herr, ich habe sie kaum aus den Augen gelassen, aber…plötzlich waren sie einfach weg! Ich habe nach ihnen gerufen, aber sie…haben nicht geantwortet“, stammelte Kido und biss sich auf die Lippen.

„Das darf doch nicht wahr sein!“, donnerte Enji los und erhob sich, während Rei immer blasser wurde. „Da habt ihr eine verdammte Aufgabe und-“

„Enji“, meinte Toshinori eindringlich. „Beruhige dich. Es sind Kinder…sicherlich wollten sie nur ein wenig die Umgebung erkunden. Wir werden sie jetzt gemeinsam suchen und finden.“

Der Blonde ahnte, dass Enji gerade an Touya dachte, den niemand je wiedergefunden hatte. Zumindest Shouto war aber viel zu klein, als dass er absichtlich weggelaufen wäre – und beide Kinder würden ihre Mutter wohl nicht einfach verlassen, so sehr, wie sie an ihr hingen. Nein, bestimmt hatten sie sich von etwas ablenken lassen oder ein Spiel gespielt. Der arme Kido blickte schuldbewusst drein, nickte dann ernst.

„Ja, Herr…Yagi-sama hat Recht. Sie…wir werden sie finden. Sie können nicht allzu weit sein und zu viert…“

„Aizawa-san ist ein guter Fährtenleser“, stimmte Toshinori zu und sah auch Rei aufmunternd an. „Wir werden gleich mit ihnen zurückkehren. Wartet Ihr hier.“

Rei schluckte hart, grub eine Hand in ihren Kimono, während sie mit besorgter Miene nickte. Enji dagegen schien es schwer zu fallen, keinen Tobsuchtsanfall zu bekommen – was ja auch irgendwie verständlich war.

„Schön…“, knirschte er mit unterdrücktem Zorn. „Suchen wir sie…“
 

„An dieser Stelle habe ich sie verloren“, meinte Kido zerknirscht, als sie eine Weile gelaufen waren.

Toshinori blickte sich um, während sich Aizawa bereits hinkniete und mit der Handfläche den Boden berührte. Durch die Unebenheit der Hügel und das dichte Unterholz war der Wald an diesem Platz alles andere als übersichtlich. Er konnte sich gut vorstellen, wie leicht man sich hier verlieren konnte, wenn man nicht aufpasste.

Enji, der zunehmend gereizter wirkte, folgte seinem Blick, ehe er tief Luft holte und nach den Kindern rief.

„Natsuoooo, Shoutoooo!!“

Donnernd hallte seine Stimme durch den Wald, doch eine Antwort kam nicht. Toshinori presste die Lippen zusammen, als lediglich ein paar Vögel aufgescheucht wurden…ansonsten blieb es still um sie herum. Sein Blick schweifte zu Aizawa, welcher sich gerade erhob und konzentriert wirkte, dabei ein paar Schritte weiterging. Hatte er etwas gefunden?

„Könnt Ihr Euch verdammt noch mal nützlich machen?!“, grollte Enji, als hätte er denselben Gedanken gehabt.

Aizawa ignorierte ihn, den Blick gen Erde gerichtet, und lief einfach weiter, sodass sie keine andere Wahl hatten, als ihm zu folgen. Nach ein paar Minuten hielt der Dunkelhaarige inne, ließ seinen Blick schweifen, ehe er sich abermals hinkniete.

„…hier ist die Erde aufgewühlt. Diese große Wurzel…es kann sein, dass einer der beiden darüber gestolpert ist. Mh…“, murmelte er in sich hinein, hob dann etwas vom Boden auf. „Und die Blumen…hat jemand gepflückt und liegen gelassen.“

Toshinori nickte langsam, warf einen aufmunternden Blick zu Enji.

„Da siehst du…er ist nützlich, hm? Wir werden die zwei schon finden“, meinte er, was der andere mit einem Schnauben hinnahm.

„Gehen wir weiter…sie sind dort entlang“, brummte Aizawa, als hätte er die Worte nicht gehört.

Kido atmete pfeifend aus, während er neben ihnen ging.

„Es tut mir wirklich, wirklich überaus leid, Herr…“

Enji kommentierte dies nicht, sondern ging mit finsterer Miene weiter, woraufhin Kido niedergeschlagen den Kopf hängen ließ. Nun, wenn sie die Kinder fanden, würde Enji ihm schon vergeben, doch bis dahin…hätte sich Toshinori wohl auch Sorgen gemacht. Nun gut, sie waren noch nicht allzu lange verschwunden und wilde Tiere näherten sich den Menschen eher selten. Banditen wussten es besser, als hier in den Wäldern nahe der Todoroki Residenz herumzulungern…nein, sie würden schon in Ordnung sein.
 

Sie wanderten weiter durch den Wald, wobei sie hin und wieder nach den Jungen riefen. Enji schien zunehmend nervöser zu werden – und Toshinori ahnte, dass dies nicht nur an ihrem Verschwinden lag. Sie kannten diesen Wald beide von früher…und Aizawa führte sie viel zu nah an den Rand.

Selbst Toshinori wurde bei dem Gedanken daran, was da passieren konnte, flau im Magen…und genau in diesem Moment hob Aizawa die Hand, sodass sie alle stehen blieben. Still lauschten sie auf Geräusche, vernahmen schließlich leises Schluchzen und Gemurmel.

Enji stockte, doch dann gab es kein Halten mehr für ihn und er stürmte an ihnen vorbei, in die Richtung, aus der das Weinen kam. Sie folgten ihm aus dem Wald heraus, zum Abhang, den Toshinori soeben noch gefürchtet hatte…und da saß er.

Natsuo. Mit aufgeschürften Knien, dreckiger Kleidung und verheultem Gesicht kniete er viel zu nahe am Abhang und rieb sich mit den erdigen Fingern die Augen. Der Anblick schockierte nicht nur ihn, auch Enji war leichenblass geworden und ging wankend auf seinen Sohn zu, der sie gar nicht zu bemerken schien.

„Natsuo.“

Der Angesprochene zuckte heftig zusammen, sah mit geröteten Augen zu seinem Vater auf, der sich vor ihn kniete und seine Schultern umfasste. Seine Unterlippe begann heftig zu beben und sofort rannen neue Tränen seine Wangen hinab.

„…Natsuo…wo ist dein Bruder?“, würgte Enji hervor, die blanke Panik im Blick. „Wo ist Shouto?!“

Natsuo schluchzte anstelle einer Antwort herzzerreißend und drehte den Kopf weg.

„Natsuo!“, zischte Enji ihn an und schüttelte ihn. „Wo ist er?!“

„Enji…“

Toshinori legte ihm die Hand auf die Schulter, während sich Aizawa und Kido dem Abhang näherten, der viel zu tief herunterging. Sollte passiert sein, was er vermutete…

„Natsuo…wo ist dein Bruder? Was ist passiert?“, wiederholte Enji und sah seinen Sohn weiterhin an.

Dieser zitterte am ganzen Körper, schien unter Schock zu stehen. Als er endlich antwortete, brach seine Stimme immer wieder weg.

„…nicht…ich wollte das…nicht…er ist…einfach gerannt und ich…hab…hab versucht…aber da…war…ein…ein Reh und er hat noch nie…er ist hinterher und ich…h-hab…ihn aus den Augen verloren und…er…er…stand…da…am…am Rand…und ich wollte…ich wollte ihn…festhalten, aber…aber…er…ist einfach…einfach…“

Enji starrte seinen Sohn bloß fassungslos an, war anscheinend viel zu geschockt, um irgendwie darauf zu reagieren. Bei Aizawa schien Kido kurz davor zu sein, hinterherzuspringen, denn er fiel viel zu nahe am Abhang auf die Knie, blickte mit leerem Blick hinab. Toshinori wusste, wie lange Kido und Onima schon für Enji arbeiteten – dass sie ihm und der Familie loyal waren. Das hier…war furchtbar. Für alle Beteiligten…und er wusste nicht, was er sagen sollte.

„…er…ist gefallen“, wisperte Natsuo so leise, dass man es kaum verstand. „…und…ich konnte…ihn nicht retten. Ihm nicht helfen…er…Shouto…er…er ist…da runter…gestürzt…einfach…abgerutscht und…“

Stille legte sich über den Abhang. Eine schreckliche Totenstille. Er drückte fest Enjis Schulter, welcher keine Regung zeigte, durch Natsuo hindurch zu starren schien. Tief atmete der Blonde durch, ehe er Natsuo in seine Arme zog, ihn so zu beruhigen versuchte, wie es Enji gerade nicht konnte.

Erneut ein Kind zu verlieren, musste schlimmer als alles sein, was sie sich vorstellen konnten. Er spürte, wie Natsuos Tränen sein Gewand durchnässten, doch er ließ ihn, streichelte ihm sanft durchs Haar und murmelte ihm zu, dass es nicht seine Schuld war.

Das hier…war ein furchtbarer Unfall…und als er sah, wie sich Enji übers Gesicht wischte, ebenfalls zu zittern begann, begannen auch seine eigenen Augen zu brennen.
 

„Oi! Was ist das denn für eine Trauerstimmung hier?“

Toshinori zuckte nicht als Einziger erschrocken zusammen, als er die viel zu bekannte Stimme hörte. Das…konnte nicht sein, oder? Doch als er sich zum Abhang umdrehte, sah er die gewaltigen roten Schwingen, die ihn in der Luft hielten. Das breite Grinsen, das spitze Fangzähne entblößte, und die funkelnden Bernsteinaugen, die an einen Raubvogel erinnerten.

Hawks.

Und…was noch viel wichtiger war…war der regungslose kleine Körper, den er in den Armen hielt.

Shouto.

Der Lohn

Enji wusste nicht, welches Gefühl in diesem Moment überwog – Verzweiflung, Trauer…Wut? Auf Kido? Natsuo? Sich selbst? Da waren so viele verschiedene Emotionen in ihm, dass er kaum noch Luft bekam. Der Gedanke, noch ein Kind verloren zu haben, verursachte einen unvergleichlichen Schmerz in ihm. Er lähmte ihn regelrecht, sodass er froh war, als Toshinori ihm sein Kind abnahm…denn er selbst wäre nicht fähig gewesen, auch nur ein Wort des Trosts von sich zu geben. Dafür stand er selbst zu sehr unter Schock.

„Oi! Was ist das denn für eine Trauerstimmung hier?“

Erst, als er die unverkennbare Stimme des Dämons vernahm…mit dem gewohnten Anflug von Heiterkeit und Spott…kam Leben in ihn. Die Harpyie. Richtig. Sie mussten die Harpyie töten. Sicher würde er sich besser fühlen, wenn er dieses abscheuliche Monstrum tötete. Der Hass schwelte in ihm wie ein neu entfachtes Feuer…verdrängte die erbärmlichen Gefühle, die ihn fesselten. Er würde sich besser fühlen, wenn er die Welt von dieser dämonischen Plage befreit hatte…egal, wie er ihn vom Himmel holen musste.

„Du wagst es…über den Tod meines Sohnes zu scherzen, du widerliche, abscheuliche Miss-“

Er hielt in seinem Wutausbruch inne, als er den regungslosen kleinen Körper in den Armen des Dämons erkannte. Shouto. Das Gesicht aschfahl, seine Kleidung mit Blut besudelt und…atmete er? Keiner rührte sich, alle sahen sie zu dem Dämon, der bei seiner Beschimpfung den Kopf schief gelegt hatte und nun trotzig wirkte.

„Tse…ihr Menschen habt es echt nicht so mit Dankbarkeit, was? Meine Güte…er lebt noch. Seht ihr ihn nicht atmen? Nein? Hier! So!“, plapperte der blonde Jüngling drauf los. „Seht ihr?“

Er packte den Jungen unter den Armen und schwenkte ihn hin und her, sodass dessen Kopf vor- und zurückschnappte – wie bei einer Puppe. Was beängstigend war – vor allem so weit oben über dem Boden. Nicht nur Enji blieb bei dem Anblick die Luft weg, auch Toshinori hörte er aufkeuchen.

„Dämon! Ich meine…Hawks…bitte…schüttle ihn nicht so durch und…du verletzt ihn, glaube ich, mit deinen Krallen…“

Der Dämon blinzelte verwirrt, ehe er bemerkte, dass sich seine Klauen in die Seiten Shoutos gebohrt hatten. Dieses verdammte Vieh würde ihn noch aufschlitzen…

„Ups…das tut mir jetzt wirklich leid“, kam es überraschend reumütig von dem Vogel und er nahm ihn wieder auf den Arm wie zuvor. „Auch die anderen Wunden…das war keine Absicht! Ich schwör’s! Aber mit den Klauen kann man schwer zupacken, ohne was anzukratzen, wisst ihr? Wobei ihr froh sein solltet! Wäre ich nicht zur Stelle gewesen und hätte ihn aufgefangen, wäre er auf dem Boden geplatzt wie ein überreifer Kürbis! Ui, das wäre ne Sauerei gewesen…und wenn ihr mal gehört hättet, wie der mir ins Ohr geschrien hat! Getreten und geschlagen wurde ich für meinen Einsatz! Da schuldet ihr mir jetzt aber wirklich so einen leckeren Eintopf, wie den, den ihr gestern hattet…meine Fresse, da war ich vielleicht neidisch…“

Stille legte sich über den Abhang, während sie den Dämon allesamt mit einer Mischung aus Verwirrung und Entsetzen ansahen. Sogar Natsuo hatte aufgehört zu schluchzen und starrte die Harpyie mit offenem Mund an.
 

„…Ihr seid uns hierher gefolgt und habt uns die ganze Zeit beobachtet?“, entkam es Aizawa ungläubig.

Der Dämon wackelte grinsend mit seinen buschigen Augenbrauen.

„Was soll ich sagen? Ich habe einen Narren an euch gefressen, wenn ihr versteht? Konnte ja keiner ahnen, dass ich hier auch noch spontan den Lebensretter spielen muss. Ihr habt echt Glück, dass ich euch niemals in dieses riesige Menschendorf gefolgt wäre – da hab ich lieber nach den Kinderchen geschaut. Süße Wonneproppen, nebenbei bemerkt~!“

Enji spürte Kidos Blick in seine Richtung, so als wartete er auf einen Befehl von ihm, doch die Wahrheit war, dass er gerade selbst überfordert war. Sie konnten den Dämon nicht angreifen, wenn dieser seinen Sohn in den Fängen hielt – davon abgesehen, dass nur Aizawa seinen Bogen mit sich trug. Aber wenn Shouto doch noch in die Tiefe stürzte, weil sie den Dämon provozierten…nein. Das Risiko war zu groß, sodass er sich selbst zur Ruhe mahnte.

„Genug der Albernheiten!“, grollte er gereizt. „Was willst du für mein Kind, Dämon? Sprich.“

Eben jener runzelte die Stirn.

„Du bist echt nicht gut im Zuhören, was? Eintopf! Den leckeren mit Wildschwein! Da ist mir richtig das Wasser im Mund zusammengelaufen…“, schwärmte der Jüngling und seufzte leise. „Und ich würde es bevorzugen, ihn einfach irgendwohin gestellt zu bekommen. Ohne List und Tücke. Immerhin bin ich so nett, dir deinen Sohn fast unversehrt zurückzugeben…wie hast du ihn noch gerufen? Shouto?“

Enjis Kiefer malmten geräuschvoll, während er um seine Beherrschung rang. Er nickte auf die Frage hin bloß, doch als der Dämon ihn nur abwartend ansah, atmete er besonders tief durch.

„…du kriegst deinen verdammten Eintopf, wenn ich mein Kind zurückbekomme. Einen ganzen Bottich meinetwegen. Darauf…hast du mein Wort…auch wenn ich dich lieber vom Himmel schießen würde. Jetzt gib mir Shouto!“

Der Dämon musterte ihn einmal von oben bis unten, ehe er zu seinem bewusstlosen Sohn herunterblickte. Sein Herz raste bei dem Gedanken daran, dass es sich das Monstrum anders überlegen könnte. Allerdings erfasste sein scharfer Blick dann Natsuo, der mit verheultem Gesicht still zugehört hatte.

„Ihr geht jetzt alle einen Schritt zurück. Aizawa wird seinen Bogen schön ablegen…und der Knirps da – ja, genau, du! Natsu-kun, richtig?“

Der Dämon lächelte seinen Sohn freundlich an, welcher hart schluckte, dann aber tapfer nickte – trotzdem dieses Untier einfach seinen Spitznamen gebrauchte.

„Du kommst an den Abhang…nicht zu weit natürlich. Wir wollen ja nicht, dass wieder einer fällt, hm?“

Er zwinkerte dem Jungen zu, was erneut die Wut in Enji schürte.

„Das wird er nicht tun! Er bleibt hier und du übergibst mir meinen Sohn!“, grollte er warnend, woraufhin der Dämon eine Braue hob.

„Ich kann Shouto-kun auch loslassen…“, meinte er gedehnt und löste langsam eine Kralle nach der anderen.
 

„Nein!!“, schrie Natsuo auf und schlug Toshinoris Hände weg, um sich an ihnen vorbeizudrängen. „Bitte tu ihm nichts! Bitte nicht! Ich…ich komme zu dir! Und…die anderen…werden wegbleiben. Ich verspreche es! Bitte lass ihn nicht fallen…bitte nicht…“

Die Harpyie hielt in der Bewegung inne, musterte seinen älteren Sohn ein paar Sekunden. Schließlich lächelte er wieder so freundlich und nickte dann.

„Du bist echt ein tapferer Junge, Natsu-kun. Keine Sorge…ich will ihm ja gar nichts antun. Sonst hätte ich ihn ja gar nicht erst gerettet. Das wäre ja Unsinn, hm? Sobald dein Vater und die anderen da ein paar Meter hinter dir stehen, gebe ich ihn dir. Ich bin ja schließlich ein lieber Dämon!“

Natsuo schluckte hart, warf ihnen aber einen eindringlichen Blick über die Schulter zu. Aizawa schmiss kommentarlos Bogen und Köcher ins Gras, machte sich daran, die geforderte Distanz zwischen sie zu bringen. Auch Kido und Toshinori gehorchten, sodass Enji nichts anderes übrig blieb, als dasselbe zu tun.

„…tu einem der beiden was und ich-“

„Jaja, schon kapiert. Deine Rache wird fürchterlich sein, du wirst mich töten…ich kenn das alles schon. Nun mal bisschen zackig auf eure Plätze – der Kurze hier kann jederzeit wach werden und wenn er wieder so ein Geschrei macht, lass ich ihn noch aus Versehen fallen.“

Er schnalzte mit der Zunge, fand das wohl noch witzig – im Gegensatz zu allen anderen. Angespannt beobachtete er, wie Natsuo näher kam, woraufhin auch der Dämon ihre Distanz verringerte. Er landete auf dem Abhang, faltete die Flügel auf seinem Rücken zusammen und beugte sich zu dem Jungen herunter. Vorsichtig übergab er ihm seinen Bruder, wuschelte Natsuo einmal durch die weißen Haare.

„Das nächste Mal musst du ihn retten, klar? Ich kann ja nicht immer da sein. Bin ja kein Held wie dein Vater“, meinte er zwinkernd und winkte Enji zu allem Überfluss auch noch dreist zu.

Enji ballte die Fäuste, hätte gerade alles für seine Armbrust getan; was sich dieses Federvieh hier erdreistete. Und überhaupt, warum hatte es seinen Sohn gerettet? Für Eintopf? Da steckte doch zweifellos mehr dahinter. Das wäre ja sonst…er fand nicht einmal passende Worte dafür.

Sein Sohn sah den Dämon an, dann seinen Bruder…und wieder den Dämon. Anscheinend wusste er nicht recht, was er sagen sollte, nickte dann verstehend.

„Mach ich…“, nuschelte er und die Harpyie lächelte.

„Guter Junge!“, rief er euphorisch, ehe er zu ihnen herüber schaute. „Einer von euch stellt mir den Eintopf genau hierhin, da, wo Natsu-kun steht. Einen ganzen Bottich, ja? Wie von dem grimmigen Rotschopf versprochen…“

Er zeigte dazu dreist auf ihn und zwinkerte ihm zu, woraufhin Enji spürte, wie die Wut erneut in ihm aufloderte. Dieser verdammte Vogel…er würde diesen schon noch zur Strecke bringen. Nur nicht heute…nicht, nachdem er Shouto gerettet hatte. Für…Eintopf.
 

„Den sollst du haben – denke aber nicht, dass mich das das nächste Mal davon abhält, dich vom Himmel zu holen!“, grollte er laut genug, was den Dämon zum Lachen brachte.

„Aww~“, gurrte dieser verzückt. „Noch nie hat mir jemand zauberhaftere Worte zugezwitschert…du bist ja ein richtiger Süßholzraspler, Rotschopf~! Traut man dir gar nicht zu, hehe…“

Enji starrte ihn an, wobei sein Gesicht zu brennen begann – er wollte gar nicht wissen, wie die anderen schauten, mied deren Blicke konsequent. Was zur Hölle sagte der abscheuliche Vogel da?! Das war doch gar nicht…

„Schweig still, du Schandmaul!“, zischte er diesen an, woraufhin der Dämon gackernd mit den Flügeln schlug, sich vom Boden abstieß.

„Schon gut…war doch nur ein kleiner Scherz! Meine Güte, sind wir aber empfindlich…“, meinte er amüsiert und ließ den Blick einmal über alle Anwesenden schweifen. „Ich freu mich aufs Abendessen~! Bis dann! Man sieht sich~!“

Und mit diesen Worten verschwand er mit kräftigen Flügelschlägen aus ihrem Sichtfeld. Enji fühlte sich für einige Sekunden wie gelähmt, hatte noch immer nicht verarbeitet, was hier soeben passiert war. Ein Dämon hatte sein Kind gerettet. Für Eintopf. Das glaubte ihm doch niemand – mit Ausnahme derjenigen, die hier bei ihm standen…er hielt inne, sah zu seinen Söhnen.

Rasch eilte er auf diese zu, kniete sich neben Natsuo, der den bewusstlosen Shouto hielt. Enji fiel ein Stein vom Herzen, als er dessen Atem vernahm – er lebte. Er war fast unversehrt und…lebte. Gott sei Dank…

„Oi…“

Enji blickte zu Natsuo, welcher auf seinen Bruder hinunter sah.

„…warum hat der Dämon ihn gerettet?“, hörte er ihn leise fragen. „Gibt es…auch gute Dämonen?“

Für wenige Sekunden wusste Enji keine Antwort darauf. Der Dämon, so ungehobelt und dreist er auch war, hatte sein Kind vor einem tödlichen Sturz bewahrt…er konnte es nicht einordnen. Alles in ihm weigerte sich, der Kreatur eine gute Seite zuzugestehen, sodass er abfällig schnaubte.

„Ich weiß nicht, was im Kopf eines Monsters vor sich geht, Natsuo…und ich will es auch nicht wissen. Sie sind hinterlistig und gefährlich, also denk nicht weiter darüber nach.“

Er sah, wie sein Sohn die Unterlippe vorschob, wohl nicht damit einverstanden war. Wenigstens hielt er einen Kommentar zurück, sodass Enji ihm einfach nur Shouto aus dem Arm nahm. Pure Erleichterung erfasste ihn dabei und er drückte sein Kind an seine Brust, schloss für einen Moment die brennenden Augen. Nicht auszudenken, wenn er noch eines verloren hätte…

Der Gedanke an Touya, welcher schon seit drei Jahren wie vom Erdboden verschwunden war, schnürte ihm den Hals zu. Nein. So etwas durfte nie wieder geschehen…und vielleicht hatte Toshinori Recht damit, dass er öfter hier sein musste. Wäre er es heute nicht gewesen, wäre auch der Dämon nicht erschienen und Shouto gestorben. Was auch immer der Grund war…das Vieh hatte seinen Sohn gerettet. Nicht, dass er deswegen seine Deckung vernachlässigen würde.
 

„Herr…es tut mir so leid“, kam es von einem leichenblassen Kido. „Es…das ist alles meine Schuld und wenn Ihr…egal, welche Konsequenzen es hat, ich werde sie ertragen.“

Enji musterte ihn einen langen Moment, ehe er laut ausatmete, um seinem Ärger Luft zu machen. Er kannte Kido und Onima seit Jahren und sie waren ihm immer loyal gewesen. Gute Männer, auch wenn das heute nicht hätte passieren dürfen.

„Ja. Es ist wirklich deine Schuld…und nochmal werde ich solch ein Versagen nicht dulden, verstanden?“, knurrte er, woraufhin Kido zusammenzuckte.

„Ja, Herr, ich…eh…nochmal?“

„Geh mir für heute aus den Augen. In Zukunft erwarte ich Besseres von dir!“, ranzte er den anderen Mann an, dessen Augen sich vor unverkennbarer Erleichterung mit Tränen füllten.

Auch das noch.

„Ja…ja, Herr, verzeiht, ich…natürlich! Ich werde Euch nicht wieder enttäuschen! Danke…ich danke Euch!“, würgte er gerührt hervor, ehe er sich schluchzend davonstahl.

Innerlich den Kopf schüttelnd sah er ihm nach, bis er Toshinoris und Aizawas Blicke auf sich spürte. Er funkelte die beiden an.

„Was?“, schnappte er aggressiv, woraufhin Toshinori lächelte.

„Das war nett von dir.“

„Hmpf…neue Leute zu suchen, erfordert mehr Aufwand, als mir lieb ist. Davon abgesehen…hättet ihr nicht weglaufen dürfen“, meinte er an Natsuo gewandt.

Dieser kaute auf seiner Lippe, schien aber nicht widersprechen zu wollen. Vielleicht fürchtete er, dass er ihn und Shouto anschrie, wenn er das tat. Enji konnte es ihm nicht verübeln, wenn er bedachte, wie oft er die Kinder schon wegen weniger angebrüllt hatte. Er war ein mieser Vater.

„Hn…ich bin jedenfalls froh, dass es euch gut geht“, brummte er daher etwas versöhnlicher und legte ihm kurz die Hand auf den weißen Schopf.

Natsuo sah irritiert und misstrauisch zu ihm auf, wehrte sich aber nicht gegen die Hand.

„…mh“, machte er bloß ausweichend, woraufhin Enji seufzte und die Hand wegnahm.

„Dein Bein sollte sich zuhause jemand ansehen…kannst du laufen oder soll ich dich tragen?“

„Geht schon“, nuschelte Natsuo, der wohl zu stolz war, um Hilfe anzunehmen.

Vermutlich weil er es war, der diese anbot, aber gut. Damit musste er wohl klar kommen. Er warf einen Blick zu Aizawa, der Bogen und Köcher wieder aufsammelte und diese schulterte, dann wieder zu ihnen stieß. So selten es auch vorkam…Enji war froh, wenn sie zuhause waren.
 

Zumindest schien Shouto von dem, was passiert war, nicht nachhaltig verstört zu sein. Er weinte nicht mal mehr, schien eher verwirrt zu sein, nachdem er wieder zu sich gekommen war. Als Natsuo ihm beschrieb, was passiert war, lauschte er ihm mit großen Augen und offenem Mund. Enji sparte es sich, den Jungen auszuschimpfen, und beließ es bei einem kurzen Tadel, der wohl auch ausreichte, um ihm bewusst zu machen, wie gefährlich sein Handeln gewesen war.

Nun…und wenn das nicht fruchtete, gab es da immer noch Rei, die nach der Geschichte vollkommen aufgelöst war und Shouto weinend an ihre Brust drückte. Das würde sicherlich für ein schlechtes Gewissen sorgen, so laut, wie seine Frau schluchzte. Bei dem Anblick wurde ihm flau im Magen, erinnerte es ihn doch an den Vorfall mit Touya…und einige andere Dinge, die zwischen ihnen passiert waren. Dinge, die zerbrochen und nicht mehr zu reparieren waren. Das hatte er mittlerweile begriffen, weswegen er nicht mal den Versuch unternahm, Rei irgendwie zu trösten.

Er wandte sich ab und verschwand Richtung Küche, um bei den Bediensteten den Eintopf in Auftrag zu geben – Kido sollte diesen später am Abend an den Abhang stellen. Dann war der Vogel zufrieden und er war diesem nichts mehr schuldig. Wobei er sich in der gleichen Sekunde fragte, wie Eintopf das Leben seines Sohnes aufwiegen sollte. Besser, er verschwendete keine Gedanken mehr daran.
 

In der Nacht fiel es ihm schwer, Schlaf zu finden, denn er kam einfach nicht zur Ruhe. Nicht, dass es je einfach gewesen war. Nicht in diesem Haus. Selbst früher nicht, als seine Eltern noch gelebt hatten. Es gab immer eine Art von Druck, die einen belastete. Einige Zeit lang war Toshinori seine Nemesis gewesen, die er zu bezwingen versucht hatte – vergeblich. Mittlerweile hatte er sich zwar nicht damit abgefunden, aber arrangiert. Sie konnten auch Rivalen im Guten sein, schließlich war der Blonde einer der wenigen, die ihn ernsthaft forderten…und zudem war er ehrlich. Wenn man so wohlhabend aufwuchs, wie es bei Enji der Fall gewesen war, kamen die Speichellecker ganz von allein, um ihren Vorteil rauszuschlagen. Toshinori war ein Straßenjunge gewesen, bevor er von mächtigen Leuten aufgenommen worden war – das hatte wohl seinen Charakter geformt.

Anfangs hatte er diesen Tölpel dafür gehasst, dass er ihm ebenbürtig war, obwohl er erst seit Kurzem Rang und Namen gehabt hatte. Er hatte dessen Talent nicht anerkennen wollen…denn es ging mit der Missbilligung seiner Eltern vonstatten. Versagen war inakzeptabel. Einer seiner Grundsätze, die ihn geformt hatten…und die er selbst jetzt nur schwer ablegen konnte. Vielleicht wäre Touya nicht weggelaufen, wenn er seine eigene Erziehung nicht auf seine Kinder projiziert hätte…

Enji seufzte genervt und drehte sich auf die andere Seite, starrte auf die Papierwand, durch die das Mondlicht schien. Dann schlug er die Decke zurück, erhob sich von seinem Futon – wenn er nicht schlafen konnte, würde er eben so lange im Onsen sitzen, bis sein Körper von der Wärme eingelullt war. Vielleicht würde er danach endlich schlafen können.

Ein Stich durchfuhr ihn, als er an Reis Schlafzimmer vorbeiging – vermutlich schlief Shouto wieder bei ihr im Bett. Etwas, das er anfangs zu unterbinden versucht hatte, da er den Jungen nicht verweichlichen wollte. Dieser sollte kein Muttersöhnchen werden. Zumal er vor einigen Jahren noch die Nähe zu seinem Weib gesucht hatte – vergeblich. Nach Shoutos Geburt hatte sich das gänzlich erledigt.

Gut, sie hatten auch davor nicht häufig miteinander geschlafen. Wozu auch? Er hatte vier Kinder mit Rei gezeugt und auch, wenn Touya davongelaufen war, hatte er noch zwei weitere Erben. Seine Blutlinie würde nicht so schnell untergehen, damit hatte er die Erwartungen erfüllt.

Enji entkleidete sich und wusch sich mit kaltem Wasser, um sich zu reinigen, ehe er rüber zum steinernen Becken ging, aus dem der Dampf aufstieg. Mit einem leisen Seufzen ließ er sich hineinsinken und lehnte sich entspannt zurück, während er den Blick gen Nachthimmel schweifen ließ.

Hätte man ihn gefragt, woran es lag, dass Rei und ihn praktisch nichts verband, dass sie einander mieden…er hätte es nicht aussprechen können. Es war zu viel passiert, als dass sie das noch hätten gerade biegen können. Dabei hatte er ihr damals nicht wehtun wollen…er hatte doch auch nicht gewusst, wie sowas funktionierte. Das hatte er erst später bei den Huren gelernt, die er noch heute lieber aufsuchte als seine Frau.

Wie erleichtert er damals gewesen war, als sich herausgestellt hatte, dass seine Zukünftige hübsch und klug war. Mit Blumen hatte er sie umworben, ihr den Hof gemacht…so, wie es die Etikette verlangte. Einige Male hatte sie ihn sogar angelächelt, doch ihre grauen Augen waren stets mit Traurigkeit gefüllt gewesen. Er hatte sie mit 17 geehelicht, sie war 14 gewesen…und die Hochzeitsnacht war das Schrecklichste gewesen, was ihm in seinem Leben je passiert war. Wie eine Porzellanpuppe hatte sie dort gelegen, sich nicht bewegt…nur ausgeharrt, bis er fertig gewesen war. Danach hatte sie begonnen, sich vor ihm zurückzuziehen. Oft hatte sie nachts neben ihm im Bett leise geweint und…er hatte es irgendwann nicht mehr ertragen. Verdammt…er hatte keine Ahnung von Frauen gehabt.

Rei war schwanger gewesen und er auf Missionen geschickt worden, um seinem Namen Ehre zu machen und seine Pflicht zu erfüllen. Er war bei keiner Geburt anwesend gewesen, abgesehen von Shoutos, was mehr Zufall gewesen war. Vielleicht wäre alles anders geworden, wenn es nicht schon am Anfang so schrecklich schief gelaufen wäre. Aber das war es…und nun konnte er nicht mehr machen, als den Schaden zu begrenzen.

Enji schloss für einen Moment die Augen, während er voller Bitterkeit an seine vergangenen Fehler dachte…
 

Anscheinend war er für eine Weile weggedöst, bestimmt nur ein paar Minuten, doch es reichte aus, um ihm kurzzeitig die Orientierung zu nehmen. Er war wohl im Sitzen weggedämmert, den Kopf in den Nacken gelegt und sein Körper in sich zusammengesackt. Von dem heißen Wasser war ihm ganz schwindelig, sodass er einen Moment brauchte, um sich zu sammeln. Er richtete sich wieder auf, fuhr sich einmal mit der großen Hand durch das vom Dampf nasse Gesicht und blinzelte.

Unweigerlich erstarrte er, als er in zwei bernsteinfarbene Augen sah, die ihn ein wenig verdutzt anblickten.

„…“

„…“

„Ups…ich dachte irgendwie, du schläfst länger…“

Der Dämon grinste ihn schief an, während er dort, ihm gegenüber, auf dem Beckenrand saß und seine langen Vogelbeine im Onsen baumeln ließ. Seine dreckigen, mit Krallen besetzten Füße, die er sicherlich nicht vorher gereinigt hatte und…Enji sprang ruckartig auf.

„Was fällt dir e-“, wollte er losbrüllen, doch der Schwindel ließ ihn taumeln und seine Stimme heiser klingen.

„Oi, nicht so hektisch, Großer! Schön langsam, ja? Nicht, dass du dich noch ins Wasser übergibst. Wäre ja echt schade drum…und übrigens würde ich hier nicht so rumbrüllen. Du weckst noch deine Kinderchen…“

Er schüttelte tadelnd den Kopf und wedelte mit seiner Klaue herum, während er einfach dort am Beckenrand sitzen blieb. Vertraute das Vieh darauf, dass er ihm so dankbar war, dass er es nicht töten wollte? Das war sicher nicht der Fall...nur hatte er keine Waffe in Reichweite. Verdammt. Warum hatten seine Wachen den Dämon nicht bemerkt? Mit diesen Flügeln und der Größe…das Mistvieh war viel zu schnell, wie er nicht zum ersten Mal bemerkte.

„…schrei und ich schlitz dir hier und jetzt die Bauchdecke auf“, meinte der Vogel plötzlich mit einer so ernsten Miene, dass es ihn schauderte. „Setz dich, Mensch.“

Die unmenschlichen Pupillen wurden noch schlitzförmiger, erinnerten mehr denn je an ein Raubtier, das auf seine Beute lauerte. Reißzähne blitzten hervor, als der Dämon bis über beide Ohren grinste…und Enji setzte sich mit finsterem Blick. Er würde sich nicht kampflos ergeben, wenn ihn das Monstrum hier reißen wollte. Es wäre zwar aussichtslos, gegen es mit bloßen Händen zu kämpfen, aber…

Er hielt inne, als der Dämon in gackerndes Gelächter verfiel, wobei seine Miene wieder menschlicher wurde.

„Oh Mann…du hättest mal dein Gesicht eben sehen sollen! Ich meine…ich weiß ja, dass ich den bösen Dämon drauf habe, aber…dass das selbst bei dir funktioniert…ich hatte dich für so einen abgebrühten Kerl gehalten, der sich niemandem ergibt. Haha…oha…wenn Blicke töten könnten, was?“

Enji fühlte den Zorn in sich aufsteigen – und den Drang, diesen dreisten Vogel zu ertränken. Dann war das eben nur ein Spiel für diesen gewesen? Die Drohung? Er hatte noch nie ein Wesen getroffen, ob Mensch oder Dämon, das so undurchsichtig wie dieser war.

„Wer sagt etwas von sich ergeben, Dämon?“, knurrte er und funkelte ihn an. „Ich stürze mich nur nicht unbewaffnet und kopflos auf eine Kreatur wie dich. Deine Klauen könnten mich in der Tat aufschlitzen…“

„Da hast du allerdings Recht – auch wenn du mich verwunderst. Bisher hielt ich dich eher für den kopflosen Typen, der zu viel Temperament hat.“

Dabei zwinkerte ihm der Dämon auch noch unverschämt zu, während er weiterhin gelassen mit den Beinen in seinem Onsen hing und dies genoss. Das war wirklich eine bodenlose Frechheit…und vielleicht verharrte er deswegen ohne jegliche Anstalten im Wasser. Der Dämon war dermaßen schnell, dass er fliehen würde, sobald er nach den Wachen rief. Oder aber er machte seine Drohung am Ende doch noch wahr.

Was ging nur im Kopf eines solchen Wesens vor…was bezweckte es hiermit? Offenbar war der Vogel ja durchaus zu logischem Denken fähig, wenn man bedachte, wie er sie bisher an der Nase herumgeführt hatte. Dessen niederer Drang, zu jagen und zu fressen, schien mäßiger ausgeprägt, schließlich hatte es sie bislang nicht angegriffen. Im Gegenteil…
 

„Oje, wenn du es bezwecken könntest, würde ich jetzt wohl in Flammen aufgehen, was?“, scherzte der Dämon munter weiter und hob eine seiner Klauen aus dem Wasser, zeigte mit einem…krallenbesetzten Zeh auf ihn. „Dabei solltest du mir doch wirklich dankbar sein! Immerhin habe ich deinen Sohnemann gerettet!“

Enjis Kiefer malmte geräuschvoll.

„…und du hattest deinen Eintopf.“

Der Dämon ließ seine Klauen wieder ins Onsen sinken, seufzte dabei langgezogen.

„Oh komm schon! Als ob der das Leben deines Kindes aufwiegt…nein, nein, das kauf ich dir nicht ab. Du scheinst zwar eher der strenge Vater zu sein, aber ich hab gespürt, dass deine Panik heute am Abhang nicht gespielt war. Du liebst die drei Kleinen, hm?“, plapperte die Harpyie von Neuem los und wackelte dabei mit den buschigen Augenbrauen. „Kann ich dir nicht verdenken. Mann, ich wünschte wirklich, ich hätte auch Eltern, denen ich wichtig bin…da wird man ganz melancholisch.“

Dabei legte er eine Klauenhand an sein Kinn, rieb sich den gestutzten Bart, während er nachdenklich vor sich hinblickte. Was war das hier für ein Theater? Warum erzählte er ihm solche Dinge? Enji verstand dieses Federvieh einfach nicht. Er machte einen auf menschlich, schien sie zu verfolgen; spielte er bloß gern mit seiner Beute?

„Als ob deine Art dazu fähig wäre…“, brummte er dunkel, woraufhin der Dämon den Kopf auf die Seite legte und ihn musterte.

„Wozu? Ihren Nachwuchs liebevoll aufzuziehen? Nun, ich gebe zu…ich weiß dies nicht aus erster Hand, aber irgendwoher müssen ja auch wir kommen, hm? Einige von uns legen Eier und brüten diese aus, andere gebären wie ihr Menschen. Manche werden nach der Geburt gefressen, andere aufgezogen, bis sie stark genug sind…“

Enji verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran, wie dieser schleimige Wurm, der ihn vergiftet hatte, aus einem Ei kroch. Ekelhaft.

„…warum erzählst du mir das?“, knurrte er nur, woraufhin der andere mit den Schultern zuckte.

„Ich bin ein gesprächiges, soziales Vögelchen – nur leider wollen die meisten Menschen nicht mit mir reden. Warum nicht die Gelegenheit nutzen? Nun, wo du mir so wehrlos ausgeliefert bist, haha…also, weiter im Text – willst du irgendwas über mich wissen, ja? Stell ruhig Fragen! Ich tausche mich wahnsinnig gern aus!“

Das konnte nur ein schlechter Witz sein. Was stimmte nicht mit dem Vieh…
 

„Deine Schwachstelle.“

Anscheinend hatte der Vogel nicht damit gerechnet, denn er stutzte sichtlich, blinzelte ihn an. Sein Mund schloss sich wortlos, während er nicht zu wissen schien, was er darauf antworten sollte. Sekunden vergingen. Dann zuckten die Mundwinkel des anderen nach oben und ein amüsiertes Funkeln trat in seine bernsteinfarbenen Augen.

„Ja, das wäre wohl eine Information, die dir gefallen würde, hm?“, meinte er und paddelte wieder ein bisschen mit seinen Füßen im Wasser herum. „Ganz schön fies von dir, mich immer noch töten zu wollen, nachdem ich…hach, was soll’s.“

Er machte eine wegwerfende Handbewegung mit der Klaue und seufzte theatralisch.

„Weißt du…die Wahrheit ist…ich bin unbesiegbar! Jawohl! Nicht totzukriegen, also auch keine Schwachstelle. Enttäuscht?“

Und dabei lächelte er ihn so zuckersüß an, dass Enji schlecht wurde. Außerdem musste dies eine aalglatte Lüge sein. Nun, er hatte darauf keine ehrliche Antwort erwartet. Man konnte über den Dämon ja sagen, was man wollte, aber intelligent war er.

„Unbesiegbar, huh?“, gab er gleichgültig und damit auch provokant zurück. „Wohl kaum, so oft, wie du vor uns geflohen bist. Wärst du dazu nicht in der Lage…hätten wir uns längst deinen Kopf geholt.“

Scheinbar hatte er den Stolz der Kreatur verletzt, denn diese sah ihn entrüstet an.

„Bitte? Das glaubst du doch selbst nicht, Mensch! Wenn ich nicht so nachsichtig mit euch wäre, würdet ihr unter der Erde verwesen! Ihr habt eure Waffen…aber ohne die…nun, man sieht, wie du mir gerade ausgeliefert bist.“

„Glaub mir, Dämon, ich verlasse mich nicht nur auf meine Waffen. Deine Krallen sind gefährlich…aber nimmt man sie dir, bleibt bloß ein schmächtiger Jüngling übrig.“

„Oh, du unterschätzt meine Kraft…“, gab der Dämon mit einem Grinsen zurück. „Und davon abgesehen...ändern reine Spekulationen nichts an den Tatsachen. Ich habe Klauen und du nicht.“

„Wir haben schon ganz andere Dämonen bezwungen. Dagegen bist du ein kleiner Fisch.“

Das stimmte sogar, wenn er an einige Monstrositäten dachte, die Toshinori und er erlegt hatten. Viel größer, viel mehr Zähne…so wie der Wurm letztens, wenn auch ohne nennenswerte Intelligenz oder Beweglichkeit. Die menschenähnlichen Dämonen, die waren es, die einem gefährlich werden konnten, schon aufgrund ihres täuschenden Aussehens…aber das musste er dem Vogel ja nicht auf die Nase binden.

„Und dennoch jagt ihr mir vergeblich nach, hm? Deine Provokation wirkt bei mir nicht, Rotschopf. Tut mir ja leid, aber ich hab dann doch lieber Köpfchen als eine abscheuliche Fratze oder Gift im Körper – und eigentlich ist es das, was du am meisten fürchtest, nicht wahr? Dass ich einen auf nett mache und dir oder deinen Freunden dann die Eingeweide rausreiße. Oder noch schlimmer…deiner Familie. Auch wenn ich nicht weiß, ob du wirklich an deinem Weibchen hängst. Es ist doch bei Menschen nicht üblich, in getrennten Zimmern zu schlafen?“

Enji wusste bei dieser unverschämten Frage zunächst nicht, was er dazu sagen sollte. Was fiel diesem gefiederten Monster ein?! Leider hatte er genau ins Schwarze getroffen – zumal das auch noch bedeutete, dass er ihnen wirklich nachgestellt hatte.

Der Dämon schien sich seines wunden Punktes entweder nicht bewusst zu sein oder er wollte ihn zusätzlich provozieren, denn er legte nachdenklich die Klaue ans Kinn, strich über seinen gestutzten Bart.

„Zumal ich sie ja dann noch viel einfacher töten könnte, wenn du sie allein lässt – eh, nicht, dass ich das vorhätte, keine Sorge! Ich sag ja, ich fresse keine Menschen. Also ich meinte eigentlich damit, dass man sein Weibchen und den Nachwuchs beschützen sollte. Dämonen halten es jedenfalls so – abgesehen von denen, die ihre Weibchen töten. Wobei es ja auch solche gibt, die ihre Männchen fressen. Wirklich gruselig, wenn man so drüber nachdenkt. Mh…jedenfalls habe ich bei deinem Weibchen Tränen gerochen. Ich glaube, es geht ihr nicht so gut. Da solltest du dich vielleicht mal drum kümmern?“

Enji ballte unter Wasser die Fäuste, fühlte die heiße Wut in sich brodeln, während der Vogel weiterplapperte. Nein. Das war keine Unwissenheit, oder? Und selbst wenn, hatte dieser darüber nicht zu urteilen. Was fiel diesem Vieh ein?!

„Ich weiß ja nicht viel über menschliche Belange und so, aber vielleicht machst du ihr Geschenke? Vielleicht lächelt sie dann mal wieder?“

Enji konnte und wollte sich nicht länger beherrschen. Zu groß waren Zorn und Schuldgefühle, welche er sonst immer ganz gut verdrängen konnte. Gerade war dies nicht der Fall.

„Halt den Mund!“, zischte er und konnte sich nur schwer beherrschen, nicht zu brüllen. „Das geht dich Ausgeburt der Hölle überhaupt nichts an! Und natürlich befürchte ich, dass du einen von uns früher oder später tötest! Einem wie dir zu vertrauen, ist glatter Selbstmord! Da kannst du dich noch so menschlich aufführen, du bist nicht wie wir! Also rede nicht von meiner Familie!! Wage es nicht, dich ihnen je wieder zu nähern oder einem von uns nachzustellen!! Und jetzt verschwinde, ehe ich das Risiko in Kauf nehme und dir mit bloßen Händen den Hals umdrehe!!“

Zum Ende hin war er doch lauter geworden und tatsächlich hatte dies einen Effekt auf den Dämon. Sein Grinsen fiel, der Blick veränderte sich, verlor die Heiterkeit und…ja, das war Bitterkeit. Eine Bitterkeit, die er selbst oft fühlte, dem anderen aber nicht zugestehen wollte. Niemals.

„Schon verstanden“, hörte er den Dämon ungewohnt knapp sagen, ehe er die Beine aus dem Wasser schwang und sich erhob. „Mein Fehler. Ich vergesse ständig, wie undankbar und verbohrt eure Art ist. Nun, immerhin konnte ich ein bisschen das Onsen genießen. Das war die Rettung deines Sohnes wohl wert.“

Er spreizte die roten Flügel, sodass sie noch größer wirkten, jedoch hatte Enji nicht das Gefühl, dass dies eine Drohung darstellen sollte. Auch, wenn er es nicht wahrhaben wollte, so wirkte der Dämon niedergeschlagen. So, als würden ihn seine Worte…verletzen? Dabei hatten diese Wesen keine Gefühle. Sie kannten nur Instinkt und Trieb.

„Bevor deine Männer von deinem Geschrei angelockt werden und das hier eskaliert, hau ich wirklich lieber ab“, riss ihn der Dämon aus den Gedanken und erhob sich mit einigen Flügelschlägen in die Luft. „Man sieht sich. Oder so.“

Und bevor Enji antworten konnte, war er am Nachthimmel verschwunden. Es machte die Situation nicht unbedingt weniger seltsam. Vor allem, da Enji nun das unangenehme Gefühl bekam, dass er einen Fehler begangen hatte. Dabei hatte er das nicht. Kein bisschen. Er war im Recht…und er wusste wirklich nicht, warum es sich nicht auch so anfühlte. So eine Scheiße…

Der See

Der nächste Morgen kam viel zu schnell, denn dank des unerwünschten Besuchs des Dämons hatte Enji auch den Rest der Nacht kaum ein Auge zugetan. Es ärgerte ihn, dass er sich von der Kreatur dermaßen hatte provozieren lassen, auch wenn er wohl von Glück sagen konnte, dass sich diese nicht auf ihn gestürzt hatte. Der Dämon hätte ihn mit Leichtigkeit töten können, während er geschlafen hatte. Aber auch im wachen Zustand hätte Enji ohne Waffen wohl nur schwer eine Chance gegen ihn gehabt, wenn ihn diese Erkenntnis auch erzürnte. Trotz dieser ganzen Gedanken kam er jedoch nicht umhin, sich abermals zu fragen, was der Dämon mit seinem Verhalten bezwecken wollte.

Er provozierte und verspottete, verhielt sich ihnen gegenüber wie ein leichtsinniger Jüngling und rettete sein Kind, nur um etwas zu essen und ein Bad als Gegenleistung zu fordern. Von allen Dämonen, die er bislang getroffen hatte, war die Harpyie bislang der Undurchsichtigste. Es ergab sich absolut kein Muster aus seinem Verhalten…und dann war da noch dieser bittere Ausdruck in seinen bernsteinfarbenen Augen. Enji konnte nicht vergessen, wie der Dämon ihn angesehen hatte. Diese Enttäuschung, bei der er sich noch so oft einreden konnte, dass sie gespielt war, und es dennoch nicht abtun konnte.

Gleichzeitig schalt er sich für seine Zweifel, denn er kam sich dabei schon wie Toshinori vor. Es war nicht seine Art, die boshafte Natur der Dämonen infrage zu stellen. Das hatte ihn schon einmal fast den Kopf gekostet. Allerdings hatte der damalige Dämon sich recht schnell als Bestie entpuppt, während die Harpyie…ausdauernd war. So viele gute Gelegenheiten und keine hatte er ergriffen.
 

„…schon wieder weiter?“

Er hielt inne, hatte nur den letzten Teil des Satzes vernommen, da er noch in Gedanken gewesen war. Davon abgesehen, dass er gedacht hatte, dass er allein war. Feuersturm, den er gerade noch in seiner Box gestriegelt hatte, gab ein lautes Schnauben von sich und stieß ihn auffordernd mit den Nüstern an – anscheinend hatte sein Pferd etwas gegen die Unterbrechung.

Er warf Rei, die in der Tür stand, einen knappen Blick zu und wandte sich dann wieder dem Tier zu.

„Ich nahm an, das würde dich erfreuen“, brummte er schroff zurück, denn sie würden noch am Nachmittag weiterziehen.

Der Dämon würde ihnen hoffentlich erneut folgen, sodass sie ihn von seiner Familie weglocken und erledigen konnten. Mit der neuen Ausrüstung sollte das um einiges einfacher werden…und danach schlief er vielleicht auch besser. Die betretene Stille hielt ein paar Sekunden an, ehe Rei erneut das Wort ergriff.

„Enji, ich weiß, dass es…nicht einfach ist…mit uns und dass…dass-“

„Lass gut sein“, unterbrach er sie, bevor es noch unangenehmer wurde. „Wir haben eine Vereinbarung. Kümmere dich um die Kinder, verwalte das Anwesen…mehr verlange ich nicht.“

Starr blickte er auf das kurze, rote Fell seines Pferdes, während er sprach, wollte ihr Gesicht nicht sehen. Er ertrug den Ausdruck in ihren grauen Augen nicht, der ihm sagte, dass all das hier seine Schuld war. Dass Touyas Verschwinden in seiner Verantwortung lag. Wann immer er hier war, erdrückten ihn diese Gefühle.

„Du…solltest dennoch…öfter herkommen, wenn du eine Bindung zu ihnen aufbauen möchtest.“

Er schluckte merklich, wenngleich er sich wunderte, dass sie dies ansprach; bisher war sie doch immer froh gewesen, ihn in der Ferne zu wissen? Vielleicht hatte sie ja bemerkt, dass er sich bemühte, ein besserer Vater zu sein.

„Toshinori meinte, dass du…aufgelöst warst…wegen Shouto. Dass es dir nahe ging und…nach…nach Touya-“

Natürlich hatte Toshinori sich nicht raushalten können. Was wunderte es ihn überhaupt? Obwohl es bestimmt wieder nur gut gemeint war, weckte es die Wut in ihm. Konnte sich dieser Kerl nicht einmal aus seinen Angelegenheiten heraushalten?

Er fuhr herum, funkelte seine Ehefrau finster an.

„Ja. Stell dir vor, Rei, es ist mir nicht egal, was aus meinen Kindern wird. Und ich habe auch Touya nicht aufgegeben. Gäbe es irgendeinen Hinweis…würde ich diesem unverzüglich nachgehen. Mehr kann ich nicht tun…also gib dich damit zufrieden, dass ich dich weitgehend mit meiner Anwesenheit verschone, indem ich meine Arbeit tue und Monster wie das von gestern jage!“

Als er ihren erschrockenen Blick sah, bereute er es direkt, sie so angefahren zu haben; das passierte ständig. Auch als sie damals immer wieder geweint hatte, hatte er sie oft angeschnauzt, sie sollte endlich damit aufhören. Nach Touyas Verschwinden hatte er sie angebrüllt, weil er jemandem die Schuld hatte geben müssen. Er war einfach nicht gut darin, sein Temperament zu zügeln…und deswegen schimmerten in ihren Augen bereits wieder neue Tränen.

„…es tut mir leid“, fügte er zerknirscht an und atmete tief durch. „Wir ziehen im Laufe des Tages weiter. Schon wegen des Dämons.“

Er sah, wie sie nickte, ihn nicht länger anschaute. Wie es so oft der Fall war. Die Kinder waren wohl das Einzige, was sie noch irgendwie miteinander verband. Apropos Kinder…

„Wegen Fuyumi…“, begann er zögerlich und sie hob ruckartig den Kopf. „Sie ist…in einem gewissen Alter…“

So, wie sie ihn anstarrte, erwartete sie anscheinend das Schlimmste von ihm. Konnte er ihr dies verdenken? Wohl kaum, nach allem, was passiert war. Aus diesem Grund versuchte er, sich zu zügeln, nicht wieder wütend wegen ihrer Reaktion zu werden.

„Enji…bitte…“, brach es über ihre Lippen. „Sie ist noch nicht so weit. Sie-“

„Das weiß ich selbst“, knurrte er sie an und bereute es sogleich. „Ich meine…ich weiß. Deswegen will ich, dass du mögliche Anträge einer Verbindung ablehnst, bis sie so weit ist. Bis sie daran um ihretwillen Interesse zeigt.“

Scheinbar hatte er seine Ehefrau damit sprachlos gemacht, was ausreichend zeigte, was sie von ihm hielt. Sei es drum, vielleicht bescherte es ihr Erleichterung, zu wissen, dass er ihre gemeinsame Tochter nicht an den nächstbesten Jungspund aus gutem Hause verkaufen würde. Nicht, wie es bei ihr geschehen war.

„Ja. Das…werde ich. Danke.“

Man hörte ihr an, dass ihr direkt leichter ums Herz wurde und das bisschen Wärme, das in ihre Augen zurückkehrte, sprach ebenfalls dafür.

„Außerdem will ich die Männer vorher kennenlernen, bevor sie sich ihr in irgendeiner Weise nähern“, fuhr er fort. „Und ich will, dass du sie dir ebenfalls ansiehst. Mir sagst, was du von ihnen hältst. Der Rest ist dann Fuyumis Entscheidung.“

Sie verstand wohl, wie er das meinte, denn tatsächlich bildete sich ein zartes Lächeln auf ihren Lippen. Er wusste, dass es nicht ihm galt, sondern der Erkenntnis, dass es ihrer Tochter nicht wie ihr ergehen würde. Hoffentlich nicht.

„Und…rede vielleicht mit ihr“, brummte er und wandte sich schließlich wieder Feuersturm zu, welcher ihm seinen warmen Atem in den Nacken blies. „Du weißt, was ich meine.“

Da ihm die Situation wieder unangenehm wurde, konzentrierte er sich auf die Fellpflege seines Pferdes. Immerhin war es das Richtige, was er hier tat. Auch wenn es ihn an seine eigenen Fehler erinnerte.

„…ist gut“, murmelte sie leise und er nickte bloß.

Da er nicht mehr darauf antwortete, wurde es still zwischen ihnen. Er hörte, wie sich Reis Schritte nach Kurzem von den Stallungen entfernten.
 

Der Abschied von seinen Kindern fiel ihm schwer, auch wenn Natsuo ihn wie immer fast gänzlich ignorierte. Er warf seinem älteren Sohn einen längeren Blick zu, ehe er innerlich seufzte.

„Pass auf deine Mutter und deine Geschwister auf, solange ich weg bin, verstanden?“, meinte er, woraufhin Natsuo ihm wenigstens einen kurzen, grimmigen Blick schenkte.

„Hab ich vor“, kam es trotzig zurück, woraufhin er nickte.

Dann sah er zu Fuyumi, welche ihn zaghaft anlächelte, die Hände in den rosafarbenen Stoff ihres Kimonos vergraben. Ihr Anblick weckte erneut die Angst in ihm, dass ihr jemals jemand so wehtun könnte wie er selbst ihrer Mutter. Das würde er nicht zulassen. Niemals. Seine Tochter würde in keiner arrangierten Ehe landen und schon gar nicht so früh. Die Kerle, die es wagten, ihr den Hof zu machen, würde er sich vorher zur Brust nehmen.

Er stutzte, als ihm bewusst wurde, dass sie sein finsterer Blick nervös machte – sie konnte ja nicht wissen, was in seinem Kopf vorging.

„Uhm…“, entkam es ihm unschlüssig, da er nicht wusste, wie er sich verabschieden sollte.

Fuyumi war so freundlich, es ihm abzunehmen, indem sie wieder ehrlicher lächelte, ein paar Schritte auf ihn zu machte und den Kopf vor ihm neigte.

„Ich wünsche dir eine gute Reise, Otou-san. Euch allen. Kommt unverletzt zurück.“

Enji zögerte, ehe er sich dazu überwand, kurz ihre Schulter zu drücken.

„Ja…das werden wir. Danke, Fuyumi“, meinte er ernst und sah dann zu seinem Jüngsten, der eng bei seiner Mutter stand.

Rei wirkte so erschöpft wie bei seiner Ankunft und er wusste, dass das sein Verdienst war. Er hätte sie bei den Stallungen nicht so angehen dürfen, auch wenn er sich entschuldigt und ihr einige ihrer offensichtlichen Sorgen genommen hatte. Er atmete tief durch, kniete sich dann zu Shouto herunter, der ihn mit seinen runden Kinderaugen anschaute.

„Und du…keine Alleingänge mehr, hörst du?“, sagte er mit leichtem Tadel in der Stimme, fuhr ihm dann aber einmal durch das zweifarbige Haar. „Mach uns keinen Kummer.“

Shouto senkte für einen Moment schuldbewusst den Blick, nickte jedoch.

„Verstanden“, nuschelte er und schaute ihn fest an.

„Gut.“

Enji erhob sich, tauschte einen raschen Blick mit seiner Frau, die ihn müde anlächelte. Immerhin lächelte sie. Das war selten genug, zeigte ihm, dass er das Richtige getan hatte.

„Wie besprochen, du kümmerst dich um alles, bis ich zurückkehre“, sprach er sie an, woraufhin sie gehorsam den Kopf neigte.

„Das werde ich.“

Mehr hatten sie einander nicht zu sagen. Es würde keinen liebevollen Abschied geben – die Chance darauf hatte er längst vertan und wenn er ehrlich war, hatte er aufgehört, sich danach zu sehnen. Früher, als er noch Hoffnung in ihre Ehe hatte setzen wollen, da hatte er sich so etwas gewünscht.

Enji kehrte ihnen den Rücken, während Toshinori noch ein paar Worte mit Rei und den Kindern wechselte, sich ebenfalls verabschiedete. Unwillkürlich keimte der Groll gegen seinen Freund wieder in ihm auf, doch er schluckte ihn fürs Erste runter. Als er aufs Pferd stieg, ignorierte er wie immer Aizawas unangenehm stechenden Blick.
 

Sie ritten bis zur Abenddämmerung durch, ehe sie sich bei einer Höhle niederließen, die nicht von Tieren bewohnt war. Eine längst verglühte Feuerstelle im Inneren machte deutlich, dass schon einmal Menschen hier gewesen waren, um ihr Lager aufzuschlagen. Sie banden die Pferde an und legten ihre Habseligkeiten ab, ehe Enji aufblickte.

„Sammelt ihr das Holz zusammen, ich werde jagen gehen.“

Er schulterte seine neue Armbrust, würde diese gleich mal testen – und etwas von seiner Wut gleich mit abbauen. Diese hatte sich zwar gelegt, war aber noch nicht gänzlich verschwunden. Es wurmte ihn, dass Toshinori sich ständig in seine Belange einmischen oder beweisen musste, dass er ihm überlegen war. Auch wenn es sich bloß um seine sozialen Fähigkeiten handelte.

„Soll dich nicht jemand beg-“

„Nein. Ich gehe allein“, schnitt er dem Blonden schroff das Wort ab, welcher daraufhin mit kritischem Blick verstummte.

Wenigstens sprach er ihn nicht darauf an, sodass er sich einfach abwandte und im Wald verschwand. Tief atmete er durch, während er erstmal ein paar Meter hinter sich brachte, einfach um allein zu sein. Eigentlich wusste er, dass Toshinori es bloß gut meinte, irgendwie die Wogen zu glätten versuchte – dennoch nervte es ihn gewaltig. Sollte er sich verdammt noch mal endlich eine eigene Frau suchen und Kinder mit ihr zeugen, um die er sich dann kümmern konnte, anstatt sich bei seinen Familienverhältnissen einzumischen. Oder noch schlimmer…für ihn zu sprechen.

Es trug nicht dazu bei, dass er sich abregen konnte, weswegen er leise fluchte, einen Stein wegkickte, der irgendwo im Unterholz landete. Die Luft um ihn herum war mittlerweile kühler geworden, doch auch sie konnte sein erhitztes Gemüt nicht vollkommen beruhigen. Vielleicht war es auch die Mischung aus allem. Seine Angst um die Kinder, die Erinnerungen an Touya, seine zerrüttete Ehe…

Enji runzelte die Stirn, als ihm plötzlich der Nebel auffiel, der sich über die Umgebung gelegt hatte, doch gleichzeitig fiel ihm etwas ein. In der Nähe gab es einen großen See, vielleicht konnte er dort etwas für ihr Abendessen besorgen? Er ging weiter, wobei die Geräusche des Waldes leiser wurden und der Nebel stärker. Es beunruhigte ihn nicht einmal, denn sein Instinkt sagte ihm, dass alles in Ordnung war. Dass er sich nicht sorgen musste. Innerlich wurde er ganz ruhig, setzte einen Schritt vor den anderen, bis er durch den Nebel und die Bäume, welche sich allmählich lichteten, den See entdecken konnte.
 

Und nun wusste er auch, wer dieses warme, wohlige Gefühl der Ruhe in ihm auslöste. Für einen Moment war er von dem Anblick der schönen Frau, die dort am Ufer stand, und ihrem leisen Gesang gebannt. Eine so sanfte Stimme hatte er noch nie vernommen. Es steckte eine Traurigkeit und Sehnsucht darin, die ihn in seinem Inneren ergriff. Ihm war, als würde sie seinen Schmerz kennen und ihm mit ihrem Gesang die Last von seinen Schultern nehmen wollen. Ihre blonden Haare schimmerten im Licht des Mondes beinahe weiß. Sie fielen ihr bis zum unteren Rücken hinab, umschmeichelten ihre schlanke Gestalt, die in einem Gewand aus verschiedenen Blautönen steckte. Ihr Gesicht, so hell wie Porzellan, wirkte zart und anmutig, sodass es wohl jedem Mann den Kopf verdreht hätte. Die langen Wimpern ließen ihre meerblauen Augen noch größer wirken, die vollen, roten Lippen bewegten sich, während sie ihn zuerst gar nicht bemerkte.

Enji wollte sie nicht erschrecken, indem er sich heimlich anschlich, weswegen er aus dem Dickicht der Bäume hervortrat und sich räusperte. Ihr Gesang verstummte und sie schrak merklich zusammen, machte einen Schritt zurück.

„Habt keine Angst“, sagte Enji schnell, der sie nicht in Furcht versetzen wollte. „Ich…verzeiht, dass ich Euch gestört habe, doch Euer Gesang…er ist wunderschön. Ich war davon wie gebannt.“

Die junge Frau wirkte für einen Moment misstrauisch, doch dann flog ein scheues Lächeln über ihre Lippen. Es ließ sie noch schöner wirken, falls dies überhaupt möglich war.

„Schon gut, Herr…Ihr…Eure Worte schmeicheln mir“, sprach sie mit derselben melodischen Stimme. „Komplimente von einem Mann wie Euch…Ihr seid doch ein Krieger?“

Enji nickte auf ihre Frage hin und kam näher, nun, da sie keine Angst vor ihm zu haben schien. Warum auch? Sie hatte ja Recht. Er war ein Krieger und damit auch einer jungen Frau wie ihr zum Schutz verpflichtet.

„Das bin ich“, erwiderte er fest und bemerkte ihren Blick, mit dem sie ihn musterte.

„Sicher seid Ihr ein erstaunlicher Mann…mit erstaunlichen Fähigkeiten“, flüsterte sie und überwand die Distanz zwischen ihnen. „Und kennt Geschichten…“

Enji klebte an ihren Lippen, während sie ihm die Worte zu hauchte und er wünschte sich nichts sehnlicher, als sie zu küssen. Vielleicht hatte er zu lange keins der Freudenhäuser aufgesucht, sodass ihn der Drang nach Nähe so heftig überkam. Vielleicht lag es daran, dass ihn seine Frau verschmähte…aber er wollte sich gut fühlen. Die Wärme einer Frau spüren.

„…ich würde nur zu gern mehr über Euch erfahren…“

Er keuchte auf, als sie ihre zierlichen, kühlen Finger an seine Wange legte, darüber streichelte. Es schauderte ihn bei der sanften Berührung und er lehnte sich dagegen.

„…Ihr seid sicherlich ein interessanter Mann“, raunte sie ihm zu, wobei er sich herunterbeugte, vor ihren Lippen schwebte. „Ein starker Mann…und dazu so gut aussehend…jemand, der zu beschützen vermag…“

„…das bin ich in der Tat“, brummte er und wollte den Blick nicht aus ihren blauen Tiefen lösen.

Das Lächeln kehrte auf ihre Lippen zurück und der Drang, sie zu küssen, wurde so mächtig, dass er sich vorbeugte und – im nächsten Moment explodierte der Schmerz in seinem Kopf.
 

Enji wich reflexartig zurück, wollte sich die Handflächen auf die Ohren pressen, denn das schrille Kreischen schien seinen Kopf bersten lassen zu wollen – doch er konnte nicht. Im ersten Moment sah er nichts, alles drehte sich…das Bild vor seinen Augen war unscharf. Die Schönheit vor ihm war ebenfalls verschwommen. Sein Körper…er hatte kein Gefühl mehr darin, konnte keinen Muskel rühren. Etwas stimmte nicht…und als er an sich heruntersah, erkannte er es.

Etwas hatte ihn…eingewickelt. Er konnte sich nicht bewegen, denn da waren glitschige, schuppige...Arme? Er konnte es nicht zuordnen, aber es erinnerte ihn an einen Tintenfisch, nur sehr viel größer. Der Schock ließ ihn sofort klar werden und während ihm die kalte Angst in den Nacken kroch, hob er den Blick. Ein trockenes Ächzen entwich ihm, als er in die grässliche Fratze eines Monsters blickte. Die Haut ebenso wie die Tentakel grau-silbrig geschuppt, mit spitzen Ohren, die an Flossen erinnerten, und riesigen, hellblauen Glubschaugen mit jeweils einer runden Pupille. Am schlimmsten war jedoch das von aufgedunsenen Lippen umrahmte Maul, aus dem scharfe Zähne hervorblitzten…und Enji begriff entsetzt, dass die unbekannte Schönheit nie existiert hatte. Das Wesen besaß einen frauenähnlichen Oberkörper mit kleinen Brüsten und Kiemen an den Seiten, der in einem Unterkörper aus mehreren Fangarmen endete. Die menschlichenähnlichen, jedoch geschuppten Arme hatte es gehoben und presste sich die mit scharfen Krallen versehenen Hände auf die Ohren. Es wirkte, als hätte es Schmerzen.

In der nächsten Sekunde ertönte erneut dieser furchtbare Schrei, der ihm das Gehör zu zertrümmern schien – doch er kam nicht von dem Monster, denn dieses litt ebenso darunter. Enji stockte, als etwas von oben herunter geschossen kam und sich auf den geschuppten Dämon stürzte, diesem die Klauen durch die Fratze zog. Das Wesen brüllte auf, fasste sich an die blutige, linke Gesichtshälfte, die nun zerstört war…gleichzeitig lockerte sich der Griff um seinen Körper.

„Steh da nicht rum!!“, rief ihm eine viel zu vertraute Stimme zu. „Weg von ihr!!“

Dann erkannte er die Harpyie, die soeben wieder angriff, doch diesmal reagierte der andere Dämon. Einer seiner Tentakel erwischte ihn in der Luft und peitschte ihn zu Boden. Enji stockte, erlangte jedoch endlich seine Fassung wieder, sodass er es schaffte, seine Arme zu befreien. Er griff hektisch an seine Seite, nutzte die Unaufmerksamkeit des Dämons und zog sein Schwert, um es diesem durch die Fangarme zu treiben. Vor Wut und Schmerz brüllte das Ding erneut auf und schleuderte ihn von sich über das Ufer, wenn auch nur, um wohl mehr Bewegungsfreiheit zu haben, denn die Harpyie hatte sich indes wieder in die Luft erhoben und griff erneut an.

Enji spürte jeden Knochen im Körper, als er sich aufrappelte und ungläubig zusah, wie die beiden Dämonen gegeneinander kämpften. Die Erkenntnis, dass er ohne den gefiederten Blonden soeben gefressen worden wäre, traf ihn heftig.
 

Eben dieser gab wieder einen seiner schrillen Laute von sich, doch diesmal war der andere Dämon schneller. Einer der Fangarme, von denen Enji sechs zählte, packte dessen rechtes Bein und…dann hörte man es laut knacken. Der Vogel schrie vor Schmerz auf, als ihm das Bein gebrochen wurde, stürzte sich allerdings gleichzeitig auf seinen Gegner und jagte ihm die freie Fußklaue durch den Unterkörper. Enji zuckte zusammen, als sich beide Dämonen ineinander verkeilten, und er sah, wie sich die scharfen Zähne in die Seite der Harpyie vergruben und ihr durch die Kleidung ein Stück Fleisch herausrissen.

Ein widerlich breites Grinsen verzerrte die blutigen Lippen der Dämonin, während diese auf dem Fleisch herumkaute und es schluckte, dabei die mitgenommene Harpyie immer mehr einwickelte, sie mehr in Richtung des Sees zog. Der blonde Jüngling wollte schreien, doch das andere Wesen tauchte ihn kurzerhand unter Wasser.

„Wenn ich dich ertränke, bringt dir dein widerliches Gekreische nichts mehr“, säuselte sie mit der Stimme, die ihn zuvor noch verzückt hatte.

Enji packte die blanke Wut. Er schob sein Schwert in die Scheide und griff, ohne noch weiter zu überlegen, zu seiner Armbrust, die er auf dem Rücken befestigt hatte. Da der Dämon damit beschäftigt war, die zappelnde Harpyie unter Wasser zu halten, konnte er sich ohne Probleme nähern und schießen. Der erste Bolzen traf das Wesen in den Rücken, durchbohrte es von hinten, was es aufkreischen und herumfahren ließ.

„Du…wagst es…Mensch?!“, zischte ihn die Dämonin an. „DU WAGST ES?!“

Enji knirschte mit den Zähnen, während er ohne Vorwarnung erneut schoss, diesmal einen ihrer Fangarme erwischte. Sie konnte nicht zu weit vom Wasser weg, ohne die Harpyie loszulassen. Also schoss er weiter, doch einem direkten Kopfschuss wich sie aus.

„Ich werde dich zerreißen!!“, fauchte sie und wollte sich in ihrer Raserei schon auf ihn stürzen.

In der Sekunde schoss die Harpyie aus dem Wasser und der grelle Schrei, den sie ausstieß, brachte ihn dazu, die Armbrust fallen zu lassen. Er drückte sich die Hände auf die Ohren, während die der Dämonin zu bluten begannen. Sie hatte keine Zeit mehr zu reagieren, denn die Harpyie hatte sich mit Zähnen und Klauen auf ihren Oberkörper gestürzt, zerfetzte ihr diesen samt ihrem scheußlichen Gesicht, während beide halb im Wasser lagen. Enji presste sich die Faust auf den Mund, um bei dem Anblick nicht zu würgen. Die Fangarme des Wesens versuchten vergeblich, den Blonden herunterzureißen, zerrten an dessen rechten Flügel, brachen ihn mit einem grausigen Knacken wie zuvor schon das Bein, doch es half nichts. Die Harpyie zerriss ihre Organe, zerfraß ihr das Gesicht, bis der Körper unter ihr nur noch totes Fleisch war und alle Spannung daraus wich.

Selbst, als sich wirklich nichts mehr rührte, blieb der gefiederte Dämon über ihr, die Mimik unmenschlich verzerrt und schwer keuchend. Der gebrochene Flügel hing zerfleddert an ihm herab, sein verletztes Bein war verdreht.

Enji wusste nicht, was er tun sollte, fühlte sich gerade einfach nur überfordert. Er hatte noch keine Zeit gehabt, zu verdauen, dass ihm der Dämon soeben das Leben gerettet hatte. Das hatte er doch? Zweifellos. Erst die Sache mit Shouto und nun das. Wäre die Harpyie nicht rechtzeitig erschienen, wäre er dieser Missgeburt auf den Leim gegangen und…hätte sich von ihr fressen lassen. Ohne Gegenwehr. Wie war das nur möglich? Es zehrte an seinem Stolz, dass er auf solch einen billigen Trick hereingefallen war. Dennoch hatte er sich ihr nicht entziehen können, hatte unter ihrer Macht gestanden. Erbärmlich.
 

Enji hielt inne, als der gefiederte Dämon aufzustehen versuchte, jedoch wankte und auf allen Vieren landete. Er stöhnte leise, fasste sich an die blutige Seite, wobei er sich wohl zu sammeln versuchte. Der ungebrochene Flügel entfaltete sich, während er den anderen nicht bewegt bekam. Daraufhin fasste er einen erneuten Versuch, aufzustehen, was ebenso kläglich wie zuvor endete. Auf die Weise würde es ein Kinderspiel sein, ihn zu erlegen. Er konnte nicht wegfliegen, nicht wegrennen…und sich ebenso wenig effektiv zur Wehr setzen, wenn es darauf ankam.

Wieso zur Hölle hatte der andere ihn gerettet? Ohne irgendeinen Nutzen davon zu haben, hatte er ihn aus den Fängen dieses Monstrums befreit und sich in Gefahr begeben. Enji wiederum hatte auf das Ding geschossen, um der Harpyie zu helfen – beinahe so, als wären sie vorhin Verbündete gewesen. Mit einem Dämon zusammen kämpfen, das war doch absurd. Vollkommen absurd…und dennoch war genau das geschehen.

Enji warf einen Blick nach unten, wo seine Armbrust lag. Es würde ein Leichtes sein, den Dämon jetzt zu treffen. Dann wäre es endlich vorbei. Er atmete tief durch, beobachtete dessen armselige Versuche mit einer gewissen Bitterkeit. Er selbst hatte bloß einige Prellungen von seinem Sturz, als ihn die grausige Dämonin von sich geschleudert hatte. Keine ernsthaften Verletzungen. Er lebte, weil…verdammt.

Enji ließ die Armbrust liegen und ging auf den durchnässten Dämon zu, der sich mit Mühe und Not von dem Kadaver wegschleifte. Er hinterließ blutige Schlieren im Gras, presste fest die Lippen zusammen, um seine Laute zu unterdrücken. Als sich Enji näherte, begann er zu knurren wie ein wildes Tier. Die bernsteinfarbenen Raubvogelaugen waren weit aufgerissen, wirkten unmenschlich. Der intakte Flügel breitete sich erneut aus, einer Drohung gleich, während er Abstand zwischen sie zu bringen versuchte. Sein Blick fiel auf das Vogelbein, welches immer noch in einem unnatürlichen Winkel abstand. Trauerspiel.

„Wehr dich nicht“, brummte er und merkte erst zu spät, wie seine Worte klangen.

Als nächstes fegte ihn der Windstoß von den Füßen, als sich die Harpyie mit letzter Kraft aufrichtete und mit seiner Schwinge schlug.

„Verdammt noch mal!!“, entkam es Enji zornig und er stand rasch wieder auf. „Ich will doch nur-“

Doch der schrille Schrei, den der Vogel ausstieß, ließ ihn verstummen und sich abermals die Ohren zuhalten. Mit halb zusammengekniffenen Augen sah er, wie sich der Dämon von ihm wegschleifte, sogar ein paar wenige Schritte humpelte, bis er wieder auf die Knie sank. Nein, so wurde das nichts.

Enji fluchte laut, nahm Anlauf und stürzte sich in einem Anflug von Wut von hinten auf den davon kriechenden Dämon, um ihn niederzuringen – was eine wahrlich beschissene Idee war.

Natürlich wehrte sich der Dämon, schlug um sich und zappelte, wobei er unmenschliche Laute von sich gab, in schiere Panik verfiel.
 

„Hör auf, verdammt!! Ich will dir helfen!!“, schnauzte Enji ihn an und bekam prompt einen nassen Flügel ins Gesicht gehauen.

„Lass. Mich. Los!!“, brachte der Dämon angestrengt und gleichermaßen verzweifelt hervor. „Lass mich!! Hör auf!!“

Er schlug um sich, erwischte ihn mit der Klaue am Bein, woraufhin Enji das Gesicht verzog. Dennoch ließ er ihn nicht los, hielt ihn so fest, wie es ihm möglich war, ohne auf die Gegenwehr zu reagieren. Sein eigenes Adrenalin machte ihn stark – auch wenn er Glück hatte, dass der Dämon so angeschlagen war.

„Fass mich…nicht…an!!“, fauchte dieser weiter und versuchte sogar, ihn zu beißen. „Lass mich…in Ruhe!!“

Enji reagierte nicht darauf, atmete nur schwer und hielt ihn weiter von hinten fest umklammert. Er würde warten, bis die Kraft des anderen nachließ, bis er sich beruhigte…und das dauerte. Er schrie und biss und schlug um sich wie ein Verrückter, doch nach einer Weile brach er endlich unter ihm zusammen. Enji ließ nicht los, blickte zu einem Punkt in der Ferne, während er dem abgehackten Atem lauschte und das Brennen seiner Wunden still ertrug. Er spürte das Zittern des erschöpften Körpers unter sich, fragte sich, was er hier eigentlich tat. Dann sagte er sich, dass es das Richtige war. Er würde nicht damit leben können, den Vogel zu töten…oder dafür verantwortlich zu sein, dass es jemand anderes tat. Nicht, nachdem er ihn vor diesem anderen Dämon gerettet hatte. Er stand in der Schuld der Harpyie…und es wäre ehrlos gewesen, ihn sich selbst zu überlassen.

„…ich will…nicht sterben“, hörte er ihn leise sagen.

Enji schnaubte, spürte, wie Wasser und Blut des Dämons auch seine eigene Kleidung immer mehr durchnässten. Generell war es unangenehm, einer Kreatur, die er eigentlich verabscheute und die er töten sollte, so nahe zu sein. Vor allem wenn er sich daran zurückerinnerte, wie brutal er diese Dämonin getötet hatte. Aber gut, er hatte sich entschieden.

„Wirst du nicht. Nicht heute. Nicht, bis wir quitt sind…und jetzt halt die Klappe, hör auf, dich zu wehren und lass mich dich zu unserem Lager bringen, damit sich der Einsiedler deine Wunden ansehen kann.“

Für einige Sekunden kam keine Antwort, doch da war zu viel Spannung in dem anderen, als dass dieser ohnmächtig sein konnte. Merkwürdig, wenn man bedachte, wie vorlaut der Dämon sonst immer gewesen war, allerdings hatte er sonst nicht in solcher Bedrängnis gesteckt. Von daher wohl kein Wunder.

„…kann ich dich loslassen oder muss ich dich bewusstlos schlagen?“, hakte er nach.

Abermals Stille. Dann ertönte ein langgezogenes Ausatmen unter ihm.

„Na gut“, murmelte der Dämon nach einer Weile und schloss die Augen. „Dann…musst du mich aber tragen…“

„Du hattest gerade noch genug Kraft, um mich zu beißen und zu kratzen. Ich stütze dich. Gib dich damit zufrieden“, erwiderte er ungehalten.

„Wegen dir habe…ich diese Kraft…ja eben nicht mehr“, kam es müde zurück. „Mir tut alles weh…ich verliere Blut…und du liegst auf meinem gebrochenen Flügel…“

Enji knirschte mit den Zähnen, rollte sich dann von dem Vogel herunter, welcher jedoch schwer atmend liegen blieb. Die nassen Haare fielen ihm in das blasse Gesicht und es schien ihm wirklich schlecht zu gehen, sodass er sich eine weitere Bemerkung sparte. Wahrscheinlich musste er den verletzten Vogel tatsächlich tragen, wenn dieser nicht schauspielerte…was er irgendwie nicht glaubte, wenn er dessen Wunden so betrachtete.

Missmutig half er dem Dämon daher auf die Beine und hievte ihn sich über die Schulter. Der Dämon war unerwarteterweise leichter als gedacht – schwer wog jedoch Enjis Gewissen.

Die Herkunft

„Er ist schon recht lange weg.“

Aizawa brummte die Worte nur, während er mit Yagi in der Höhle saß, den Kopf auf die Knie gestützt und dem Knistern des Feuers, das sie mittlerweile errichtet hatten, lauschend. Irgendetwas beunruhigte ihn, doch er konnte selbst nicht genau benennen, um was es sich handelte. Nichts in ihrer Umgebung erweckte den Eindruck, dass sie in Gefahr waren. Die Pferde grasten draußen nicht weit entfernt und anhand des immer mal wieder leisen Schnaubens ging es ihnen wohl gut.

„Ja“, stimmte Yagi ihm zu und gab ein Seufzen von sich. „Ich fürchte, dass er wütend auf mich ist.“

Aizawa schnaubte leise.

„Er ist immer wütend.“

„Uhm…nun ja...oft, würde ich sagen“, meinte Yagi und kratzte sich an der Wange. „Aber er wird schon wieder zurückkommen.“

Warum ihm der Blondschopf dieses aufmunternde Lächeln schenkte, erschloss sich Aizawa nicht. Sollte Todoroki von irgendwas gefressen werden, würde das Yagi wohl mehr treffen als ihn. Er mochte den Kerl nicht mal. Dass er mit den beiden Männern noch reiste, lag viel mehr an der Harpyie als an seinen Weggefährten. Dieser Vogel hatte das Interesse in ihm geweckt, seit sie ihn das erste Mal getroffen hatten. Vielleicht weil er dem allgemeinen Bild widersprach, was die Menschen von Dämonen hatten. Nahm man diesen abscheulichen Wurm als Beispiel, konnte man es einem nicht verdenken.

Und wenn Aizawa ehrlich zu sich selbst war, konnte er seinen Alltag nicht gerade als spannend bezeichnen, was also hatte er zu verlieren? Sein Leben vielleicht, aber mit der Angst kam er zurecht. Wer die Angst vorm Tod sein Leben bestimmen ließ, lebte auch nicht.

Abgesehen davon wusste er immer noch nicht, was er von dem blonden Kerl neben sich halten sollte. Äußerlich ein Bär von einem Mann, mit Händen, die aussahen, als könnten sie Schädel mit Leichtigkeit zertrümmern – nun gut, sie sahen nicht nur so aus, wie er mittlerweile wusste. Dennoch war er kein hohler Muskelprotz, analysierte Situationen genauso wie sein rothaariger Freund – anders hätten diese beiden wohl auch nicht so lange überlebt.

Yagi mit seinen himmelblauen Augen, seinen goldblonden Haaren und einer so positiven Ausstrahlung, dass einem davon schlecht werden konnte. Alles an ihm schrie nach einem Heiligen – und Aizawa wusste aus Erfahrung, dass Menschen sich gern so sahen, es aber nicht waren. Jeder hatte ein schmutziges Geheimnis, irgendein befleckendes Laster…und dann kam Yagi und sagte ihm, dass er noch Jungfrau war. Zur Hölle. Wie war das möglich? Vor allem mit dem Aussehen und dazu seinem Ansehen als Krieger…da warfen sich ihm die Frauen doch sicherlich haufenweise an den Hals?

Aizawa war überzeugt davon, dass er wusste, nach welchen Regeln sich die Welt drehte. Yagi brachte mehr noch als der Dämon, Hawks, seine Überzeugung ins Wanken – und das konnte er nicht ausstehen.

Nicht so sehr, wie er Todoroki nicht ausstehen konnte, aber es wurmte ihn doch. Sogar mit dem Dämon hatte Yagi verhandelt, um das Leben seines Kameraden zu retten. Sich an die Abmachung gehalten und ihn am Feuer sitzen lassen. Aizawa wusste, dass auch der Blonde kein gutes Gefühl dabei hatte, die Harpyie weiter zu jagen. Vor allem, nachdem Hawks nicht nur Todoroki, sondern auch eines seiner Kinder gerettet hatte. Falls das alles zu einem Plan gehörte, erschien es Aizawa doch recht viel Aufwand.

Er hatte nicht viele Dämonen in seinem Leben getroffen – und ja, er war diesbezüglich nicht ganz ehrlich zu den beiden Kriegern gewesen. Warum auch? Es war oftmals besser, sich unwissend zu stellen. Jedenfalls waren die paar, die er getroffen hatte, ähnlich wie der Wurm gewesen und daher keine guten Beispiele. Seitdem er sich in diesem Waldstück niedergelassen hatte, war sein Alltag wirklich ruhig geworden, was ja nicht unbedingt schlecht sein musste. Eigentlich.
 

„Seid unbesorgt, Aizawa-san“, riss ihn Yagis Stimme aus den Gedanken. „Er kann schon auf sich aufpassen.“

Was? Dachte der Blonde etwa, Aizawa wäre wegen Todorokis Verbleib so still? Als ob ihn das dermaßen beschäftigen würde. Er wünschte dem Mann nicht den Tod, da er schon anerkannte, dass dieser nicht nur schlecht war, aber so sehr am Herzen lag er ihm nicht.

„Ich habe n-“

„Oh mein Gott, Enji!!“, rief Yagi in diesem Moment und sprang auf, als hätte ihn etwas gestochen.

Aizawa blinzelte, folgte dann seinem Blick und erstarrte ebenfalls. Besagter Rotschopf schleppte sich soeben zu ihnen ans Feuer – und er war nicht allein. Über seiner Schulter hing doch tatsächlich die Harpyie, die Flügel schlaff herunterhängend und entweder bewusstlos…oder tot.

Vermutlich wurde nicht nur Aizawa heiß und kalt bei diesem Anblick; hatte Todoroki die Harpyie etwa im Alleingang getötet? Sah er deswegen so mitgenommen aus? Weil sie sich einen harten Kampf geliefert hatten? Wobei er dafür zu glimpflich davongekommen zu sein schien. Mit einem flauen Gefühl im Magen sah er zu, wie Todoroki die Harpyie schwer atmend und seltsam vorsichtig ablegte. Da war so viel Blut…

„Hast du ihn…ist er…ist er…?“, stammelte Yagi und man hörte das Entsetzen in seiner Stimme.

„Lange Geschichte“, brummte Todoroki ausweichend, was in Aizawa die Wut schürte.

„Erzählt sie uns nur“, knirschte er mühsam beherrscht. „Ich bin sicher, Ihr könnt es kaum erwarten, uns von Eurer Heldentat zu berichten.“

Er spie das Wort aus, als wäre es Gift, und meinte es auch genau so. Nur dank Hawks war Todoroki überhaupt noch am Leben. Wegen der Harpyie war sein Kind nicht in den Tod gestürzt. Und dieser hatte die Harpyie…

„Bevor Ihr mich weiter mit Blicken zu töten versucht...“, knurrte Todoroki ihn an. „...macht Euch nützlich und seht nach ihm, bevor er verendet. Er hat einiges abbekommen und muss zusammengeflickt werden. Ich hab keine Ahnung, ob Dämonen verbluten können…“

Aizawa stockte, war nicht sicher, ob er sich gerade nicht verhört hatte. Was sollte er tun? Auch Yagi starrte seinen Freund an, als zweifelte er an dessen Verstand.

„Enji, was hat das zu bedeuten?“, fragte er, während sich Aizawa neben Hawks kniete.

Er drehte den Dämon vorsichtig auf die Seite, da er nicht wusste, wie dieser reagieren würde, wenn er wach wurde. Vielleicht würde er Panik bekommen und angreifen. Wäre ihm nicht zu verdenken. Er griff nach seinem Dolch, um die zerfetzte und blutgetränkte Kleidung vom Oberkörper zu entfernen, sodass er besser an die Wunde kam.

„Der bescheuerte Vogel hat mir das verdammte Leben gerettet“, kam es widerwillig von dem rothaarigen Krieger. „Hat mich, warum auch immer, davor bewahrt, von so einem geschuppten Monstrum gefressen zu werden. Die Wunden…hat er also praktisch wegen mir. Ich konnte ihn nicht liegen lassen...oder ihn gar töten. Tse.“

Anscheinend steckte da ja doch gewisses Ehrgefühl in Todoroki. Wer hätte damit gerechnet, ging es Aizawa durch den Kopf, während er die Verletzung betrachtete. Eine tiefe Fleischwunde, die immer noch blutete. Das konnte er so nicht nähen, bloß abbinden, um die Blutung zu stillen. Wuchs so etwas bei Dämonen von allein zusammen?
 

„Ich verstehe“, hörte Aizawa Yagi sagen, während er sich erhob, um etwas zum Reinigen und saubere Bandagen zu holen. „Das war die richtige Entscheidung, Enji.“

„Das werden wir noch sehen“, kam es skeptisch zurück. „Spätestens sobald er zu sich kommt und uns nachts in Stücke reißt. Ich hab gesehen, was er mit der Dämonin gemacht hat.“

„Er hat es jedoch getan, um dich zu beschützen, oder nicht?“, erwiderte Yagi sanfter. „Deine Wunden…war das auch diese Dämonin? Das könnte sich entzünden, also sieht Aizawa-san es sich vielleicht nachher auch mal an?“

Aizawa riskierte einen knappen Blick, ehe er sich wieder seinem hauptsächlichen Patienten zuwandte. Soweit er das erkennen konnte, hatte Todoroki bloß Schürfwunden und ein paar Kratzer am ganzen Körper verteilt, doch es sah nicht bedenklich aus. Solange die Dämonin nicht giftig war, würde auch die Schramme an dessen Kinn keine großen Folgen haben.

„Die Dämonin? Das war der verdammte Vogel, als ich ihm erklären wollte, dass ich ihm helfen will. Da ist er durchgedreht.“

„Wer kann’s ihm verdenken“, brummte Aizawa und tunkte den Lappen in das Wasser seines Trinkbeutels. „Ihr wart bislang nicht unbedingt der Vernunft zugänglich.“

„Könnt Ihr einmal still sein und einfach nur tun, worum man Euch bittet?!“, zischte Todoroki ihn missgelaunt an.

„Nein.“

Aizawa sagte es trocken, während er sich wieder dem verletzten Dämon zuwandte, die Haut grob vom Blut befreien wollte, ehe er sie verband. Er zuckte zusammen, als sein Handgelenk ohne Vorwarnung so fest umklammert wurde, dass er fürchtete, es würde brechen. Scharfe Klauen gruben sich in seine Haut und ihm brach im ersten Moment der Schweiß aus, weil er wusste, wie leicht er ihm die Arterien zerfetzen konnte. Sowohl Yagi als auch Todoroki griffen zu ihren Schwertern, doch Aizawa hob die freie Hand, ließ sie verharren.

Hawks‘ weit aufgerissene Augen starrten ihn an, die Pupillen schlitzförmig, und er hörte dessen schweren Atem. Ruhig erwiderte er dessen Blick, bewegte sich nicht, um den anderen nicht in erneute Panik zu versetzen.

„Es ist alles in Ordnung“, sprach er den Dämon an. „Ich werde dich vom Blut reinigen, die Blutung stillen und die Wunde verbinden. Danach schiene ich das, was vermutlich gebrochen ist, damit es wieder richtig zusammenwächst. Niemand wird dir etwas antun.“

Sekunden vergingen, in denen sich keiner regte, und auch Hawks blieb ganz still. Dann löste er die Klaue von seinem Handgelenk und schloss die Augen wieder. Es war seltsam, den Dämon so stumm zu erleben, doch das hieß wohl, dass er ziemliche Schmerzen haben musste. Als ihm jedoch auffiel, dass dieser zitterte, kam Aizawa der Gedanke, dass er vielleicht nur wachsam war. Dass er seine verbliebene Kraft sammelte, um im Ernstfall zuschlagen und sich befreien zu können.

Aizawa atmete tief durch, ehe er einfach weitermachte, dabei jegliche Nervosität abzulegen versuchte. Vielleicht spürte Hawks diese ja? Natürlich hätte er auch nachhelfen können, damit dieser gar nicht erst angreifen konnte – aber was würde das für eine Vertrauensbasis schaffen? Davon abgesehen, dass die anderen beiden es mitbekommen würden, und das galt es unter allen Umständen zu vermeiden.
 

Während er sich um den Dämon kümmerte, erzählte Todoroki ihnen nun ausführlicher, was genau passiert war. Anscheinend war er dem Tod dank Hawks gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. Dass ihnen die Harpyie auch jetzt gefolgt war, wunderte Aizawa nicht wirklich, schien sie doch einen Narren an ihnen gefressen zu haben. Oder aber sie beide hatten denselben Grund, wenngleich das nicht erklärte, warum er diese Dämonin davon abgehalten hatte, einen seiner Jäger zu fressen. Eigentlich hätte ihm das gelegen kommen müssen – ebenso wie die Vergiftung.

„…verstehe es nicht. Das ergibt keinen Sinn, oder?“, brummte Todoroki Yagi zu.

„Ich weiß, Enji. Es ist gegen alles, was wir wissen. Gegen unsere Prinzipien…und trotzdem können wir nicht so tun, als sei es nie passiert.“

„Tse…musst du mir nicht sagen. Was meinst du, warum er hier ist? Unter anderen Umständen hätte ich ihm einen Bolzen zwischen die Augen geschossen. Apropos…ich muss noch mal zurück. Ich konnte nicht ihn und die Armbrust tragen. Davon abgesehen, dass ich wegen dieser ganzen Misere nichts zu essen mitgebracht habe.“

Aizawa musterte Hawks, den er inzwischen in ihre Decken gewickelt hatte, da er immer noch zitterte. Da seine Hose immer noch feucht und blutverschmiert gewesen war, hatte er ihm diese ausgezogen – das Oberteil war nicht mehr zu retten gewesen. Er wusste nicht, ob sich Dämonen verkühlen konnten, aber sicher war sicher, zumal er den nackten Körper direkt bedeckt hatte. Vorher hatte er dessen Flügel und Bein notdürftig mit stabilen Ästen und Bandagen geschient, ihn auf die Seite gedreht, sodass er auf seiner gesunden linken Hälfte lag. Ob Hawks wirklich schlief oder ohnmächtig war, vermochte Aizawa nicht zu sagen, doch es war ihm auch einerlei. Die Hauptsache war, dass er Ruhe bekam, um genesen zu können.

„Bist du sicher, dass du schon wieder losziehen kannst? Ich sollte allein gehen“, meinte Yagi und blickte seinen Freund ernst an.

„Schwachsinn“, murrte Todoroki ungehalten zurück. „Ich weiß genau, wo sie liegt, und außerdem fehlt mir nichts. Die paar Kratzer werde ich auch so überleben.“

„Nun gut“, bemerkte der Blonde zögerlich und wandte sich dann ihm zu. „Aizawa-san, meint Ihr, wir können Euch eine Weile mit dem Dämon allein lassen?“

Aizawa brauchte Todorokis verächtliches Schnauben nicht, um sich dessen sicher zu sein. Was glaubte Yagi eigentlich, wie er die Zeit seines Lebens ohne die zwei überlebt hatte? Er war kein Fräulein in Nöten, sondern wusste sich zu verteidigen – besser, als die beiden ahnten.

„Geht“, antwortete er jedoch bloß. „Ich komme zurecht.“

Der Blondschopf strahlte ihn daraufhin zuversichtlich an, während sich Todoroki mit einem abfälligen Geräusch abwandte.

„Dann lasst Euch nicht fressen.“

„Das kann ich nur zurückgeben“, lautete Aizawas monotone Erwiderung.

Bevor der Krieger zu ihm herumfahren konnte, wurde er von seinem Freund aus der Höhle geschoben. Beinahe schade, doch Aizawa zuckte nur mit den Schultern und lehnte sich gegen die Wand in seinem Rücken. Dann würde er mal warten.
 

„…sie wissen es nicht, huh?“

Aizawa war beinahe weggedöst, als ihn das Gemurmel des Dämons den Kopf heben ließ. Er rieb sich die brennenden Augen, warf diesem einen müden Blick zu. Dessen Stimme klang zwar kraftlos und er lag immer noch so da, wie er ihn platziert hatte, aber er fixierte ihn wachsam aus seinen bernsteinfarbenen Augen. Die Pupille war wieder etwas runder, sodass es sein Gesicht menschlicher wirken ließ – trotz der spitzen Ohren.

„Sie wissen was nicht?“, fragte er, obwohl er sich innerlich anspannte.

Hawks grinste schief.

„Schon irgendwie witzig“, sprach er weiter. „Dabei hab ich euch ursprünglich nur deswegen an den Hacken geklebt. Weil ich dachte, wenn du mit ihnen reist…dann müsst ihr anders sein. Offener. Wenn ihr erstmal merkt, was ich für ein guter Kerl bin…aber na ja, daraus wurde ja nichts.“

Aizawa spürte sein Herz bei jedem weiteren Wort schneller in seiner Brust rasen. Seine Gedanken von zuvor wurden wieder präsenter, auch wenn es nur eine Spekulation gewesen war, so schien ein Funken Wahrheit darin zu stecken.

„Mittlerweile denke ich…du weißt es nicht mal selbst, oder?“, fuhr Hawks fort und leckte sich die trockenen Lippen. „Du weißt, dass du diese Fähigkeiten hast…aber du weißt nicht, warum das so ist. Wette, dein Leben war ziemlich anstrengend. Dieses ständige Versteckspiel, damit keiner merkt, dass du nicht normal bist.“

Aizawas Miene verschloss sich bei den Worten, denn scheinbar las der Dämon in seinem Gesicht. Gerade wusste er nicht, was überwog. Neugierde oder die Angst. Ihm war die ganze Zeit klar gewesen, dass Hawks möglicherweise wahrnehmen konnte, was mit ihm nicht stimmte. Ein wenig hatte er es ja sogar darauf angelegt, als er ihn paralysiert und ins Wasser hatte stürzen lassen. Riskant, ja, aber ein Teil von ihm hatte Gewissheit erlangen wollen.

„Keine Panik, Rotauge“, seufzte Hawks und kuschelte sich in die Decken. „Ich werde es Toshi nicht auf die Nase binden – oder gar unserem Hitzkopf. Bin ja kein Unmensch. Genau genommen bin ich überhaupt kein Mensch.“

Bei dem darauffolgenden Lachen verschluckte sich Hawks und spuckte Blut auf die Decke, sodass Aizawa alarmiert hochfuhr. Dass sich der Dämon dabei auch noch zusammenkrümmte, war garantiert kein gutes Zeichen.

„Oh verdammt…“, krächzte dieser erstickt und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Diese…verdammte Sirene hat mich echt erwischt…aber ich werde es überleben. Hab eine gute Selbstheilung…wird bloß ein paar Tage dauern – aber deine Fürsorge war trotzdem nett. Ich schulde dir was. Oh, und sag das nicht den beiden Kriegern. Wenn der Hitzkopf denkt, ich sterbe eventuell in der Nacht weg, ist er vielleicht netter zu mir.“

Aizawa schnaubte, setzte sich aber wieder auf den Boden.

„Vielleicht redest du mal weniger, wenn das in deinem Zustand so anstrengend ist“, riet er ihm trocken, woraufhin die Harpyie schuldbewusst grinste.

„Aber dann kann ich dir ja gar nicht sagen, was du bist…“

Aizawa merkte, wie ihn dieses Spielchen zu nerven begann. Entweder der Dämon spuckte es aus oder er ließ es. Er würde sicher nicht darum betteln. Egal, wie sehr ihn die Frage quälte – und das tat sie seit Jahren.
 

„Dann lass es eben“, knurrte er ungehalten, woraufhin Hawks abermals seufzte.

„Du stehst nicht so auf Rätsel, oder? Na gut, dann eben auf die langweilige Tour“, meinte er fast schon enttäuscht. „In dir steckt Dämonenblut.“

Aizawa presste kurz die Lippen aufeinander, denn ja, es war naheliegend gewesen, aber es so zu hören…so endgültig…das war ein Schlag in den Magen. Er war also tatsächlich nicht menschlich. Nicht gänzlich zumindest…oder?

„Also nicht nur. Du bist auch menschlich. Ich glaube, der Teil überwiegt sogar. Muss schon die zweite Generation sein, schätze ich, weil ich es kaum riechen kann. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, ist es mir beinahe entgangen. Als ich dir und Toshi davon am Feuer erzählt habe, von den hohen Dämonen, die sich mit Menschen paaren, da dachte ich, du würdest dich verraten. Aber du hast gar nicht reagiert, also bist du entweder ein guter Lügner oder…du hattest keine Ahnung. Letzteres, huh?“

Aizawa blickte ihn bloß matt an, wusste nicht, wie er sich fühlen sollte. Dass etwas mit ihm nicht stimmte, war keine Frage gewesen. Einen Dämon in der Familie zu haben, war jedoch noch mal etwas ganz anderes. Vor allem, da er seine Familie nicht kannte. Er wusste nichts über seine Herkunft.

„…Letzteres“, stimmte er tonlos zu und Hawks‘ Lächeln wankte merklich.

„Verstehe“, brummte er und sah wehmütig ins Feuer. „Du weißt auch nicht, wo du herkommst.“

Aizawa warf ihm einen langen Blick zu, nickte schließlich; anscheinend hatten sie noch eine Gemeinsamkeit. Keine, über die man sich freuen konnte, und das machte es bitter.

Eine ganze Weile schwieg er und auch der Dämon sagte nichts, was ungewohnt für diesen war. Jedoch war er dann doch der Erste, der das Wort wieder ergriff.

„Denkst du, sie werden mich töten?“, fragte er leise. „Ich meine, wenn sie wiederkommen. Vielleicht war das gerade nur das Adrenalin und wenn das nachlässt, kommen sie zur Besinnung.“

Aizawa blickte ihn einen langen Moment an, bevor er antwortete: „Du sprichst aus Erfahrung.“

Hawks lächelte freudlos.

„Natürlich. Von euch Dreien bist du der Einzige, dem ich annähernd vertrauen kann – auch wenn ich mit den Verletzungen sowieso keine große Wahl habe.“

Das entsprach wohl der Wahrheit, wenn er sich ihr Gespräch von eben noch mal durch den Kopf gehen ließ. Immerhin wusste dieser, was er war, und wenn Todoroki davon erfuhr, stand er vermutlich als Nächster auf der Abschussliste. Bei Yagi war er sich diesbezüglich nicht sicher, aber wozu ein Risiko eingehen? Nein, davon musste keiner erfahren und er glaubte Hawks, dass dieser den Mund halten würde.

„Ich denke, es geht hier um Ehrgefühl. Du hast ihm das Leben gerettet und zuvor schon das seines Sohnes. So wenig ich von ihm halte, so glaube ich nicht, dass er dich hinterrücks im Schlaf absticht. Er wird sich revanchieren wollen. Was danach geschieht, kann ich dir nicht sagen.“

Hawks nickte ganz langsam, schien darüber nachzudenken, ehe er wohl beschloss, dass das einleuchtend war. Bei dem Thema fiel ihm noch etwas ein.

„Warum hast du ihm überhaupt geholfen?“, wollte er wissen. „Versteh mich nicht falsch, aber du wärst nicht in diesem Zustand, wenn du dich rausgehalten hättest.“

Ein Ausdruck von Verlegenheit huschte über die jugendlichen Züge des Dämons, als dieser herumdruckste und Aizawa damit vollkommen verwirrte. Was war denn nun los? Bevor er jedoch noch etwas sagen konnte, verschloss sich Hawks‘ Miene plötzlich und er senkte die Lider, vergrub die Nase unter der Decke.
 

„…sollte schon reichen.“

„Du hast die Schafe gesehen. Das Vieh wird den Hirsch vermutlich komplett fressen.“

„Falls er wach ist und fressen kann. Seine Wunden sahen schrecklich aus.“

„Er ist ein Dämon. Wer weiß, wie schnell der heilt. Vergleiche ihn nicht mit uns.“

Aizawa lehnte sich wieder an die Wand, während die beiden Männer näher kamen und erst Hawks, dann ihn musterten. Ihre Beute hatten sie wohl direkt vor der Höhle liegen gelassen, schließlich würde er dort ausgenommen werden.

„Scheinbar hat Euch der Dämon noch nicht gefressen“, kam es trocken von Todoroki, der seine Armbrust nicht ablegte.

„Die Enttäuschung tut mir leid“, erwiderte Aizawa im selben Ton, woraufhin Yagi seufzte.

„Bitte streitet nicht schon wieder“, mahnte er sie. „Aizawa-san, wir haben einen Hirsch erlegt. Wärt Ihr so freundlich, mir zur Hand zu gehen? Ich denke, Enji sollte sich ausruhen, nach allem…“

„Wie oft noch?“, grollte dieser ungehalten. „Mir fehlt nichts. Aber von mir aus, tut euch keinen Zwang an. Ich behalte die Bestie im Auge.“

Aizawa schnaubte leise.

„Vielleicht sollte besser jemand den Dämon vor Euch schützen…“

„Macht Euch keine Sorgen, Aizawa-san. Enji und ich sind uns einig, dass Hawks bei uns bleiben wird, bis es ihm besser geht. Es wäre nicht richtig, jemandes Leben zu nehmen, wenn einem das eigene von diesem Jemand gerettet wurde.“

„Nenn das Monster nicht beim Namen“, knurrte Todoroki und setzte sich in einigem Abstand zur Harpyie ans Feuer. „Wir sind keine Freunde oder so ein Mist. Sobald er wieder fliegen kann, sucht er besser schnellstens das Weite.“

„Enji…“

„Ich hoffe, Euch fällt noch auf, was Ihr für einen Unsinn von Euch gebt“, bemerkte Aizawa kühl, kehrte dem Rothaarigen dann den Rücken, um mit Yagi hinauszugehen.

Todorokis Fluchen ignorierte er dabei gekonnt, denn wie hieß es? Bellende Hunde bissen nicht? Zumindest war er nach wie vor sicher, dass Hawks heute Nacht nicht durch die Hände der beiden Männer sterben würde. Zumal er offensichtlich so klug war, sich bewusstlos zu stellen. Bei dieser spitzen Zunge konnte das nur von Vorteil sein.
 

Während er den Hirsch ausnahm, spürte er Yagis Blick unangenehm intensiv auf sich ruhen. Anscheinend besaß Hawks ein sehr sensibles Gespür, sodass er nicht fürchten musste, dass einer der beiden ihr Gespräch mitangehört hatte. Dennoch fühlte er sich plötzlich unwohl, was zweifellos daran lag, dass er nun wusste, was mit ihm nicht stimmte. Verdaut hatte er es noch nicht, trotzdem es ja eigentlich nichts änderte. Seine Fähigkeiten besaß er seit Jahren, nun war ihm deren Ursprung bekannt. Nichts, was ihn aus der Bahn werfen sollte, auch wenn die alte Frage in ihm aufkeimte, was mit seinen Eltern geschehen war. Warum er bereits als Säugling in diesem Waisenhaus abgegeben worden war. Erfahren würde er es vermutlich nie.

„Soll ich Euch nicht doch zur Hand gehen?“, hörte er Yagi fragen und schob die Gedanken beiseite.

Aizawa, dessen Hände in den Gedärmen des Tieres steckten, schüttelte den Kopf, sich innerlich fragend, ob dieser wusste, wie falsch man solche Worte auffassen konnte. Wahrscheinlich nicht, wenn er an ihr Gespräch in jener Nacht dachte. Gott, was war los mit ihm? Diese Jungfrauen-Sache beschäftigte ihn eindeutig zu sehr. Es war nervig.

„Schon gut. Ich mache das lieber allein“, gab er zurück. „Behaltet Ihr lieber Euren Freund im Auge.“

„Ihr könnt unseren Worten guten Gewissens Glauben schenken“, erwiderte Yagi ruhig. „Mittlerweile wisst Ihr doch, dass wir uns daran halten?“

Das konnte er nicht leugnen, auch wenn er es gerne getan hätte. Trotzdem er die beiden vor Hawks verteidigt hatte, wollte er ihnen gegenüber keine Zugeständnisse machen. Leider war er nicht so verbohrt, dass er dies unberechtigterweise tun konnte, weswegen er nur etwas Unverständliches brummte. Es reichte, um Yagi wieder zum Strahlen zu bringen – und Aizawa hasste es, dass er ihn nicht mal ansehen musste, um dies zu wissen. Man spürte es einfach. Wie konnte man so eine positive Ausstrahlung haben?

„Na also!“, kam es gut gelaunt von dem blonden Hünen, so als hätte Aizawa überschwänglich bejaht. „Ich glaube, Ihr werdet langsam warm mit uns, nicht wahr?“

Oh Gott, nicht die Nummer. Sie waren sicher keine Freunde und Aizawa wusste nicht mal, nun da er das Rätsel um seine Fähigkeiten gelöst hatte, wie lange er mit den beiden noch reisen würde. Es kam darauf an, wie lange Hawks für seine Genesung brauchen würde. Allein würde er diesen nicht mit den beiden lassen. Zwar waren auch der Dämon und er selbst keine Freunde, aber er fühlte sich diesem ein Stück weit verbunden. Zumindest wollte er dessen möglichen Tod verhindern.

„Wenn Ihr das glauben wollt.“

„Oh Aizawa-san…Ihr seid Enji manchmal wirklich nicht unähnlich.“

Das darauffolgende, laute Lachen ließ Aizawas Braue zucken und er rammte das Messer mit mehr Kraft als nötig in das Fleisch des Hirsches. Wie konnte er diesen Vergleich ziehen? Als ob er sich mit dem Rotschopf vergleichen lassen wollte. Es so offen zu leugnen, würde Yagi jedoch nur bestätigen.

„Hn.“

„Ich bin jedenfalls froh, dass Ihr mit uns reist“, fuhr Yagi unbeirrt fort. „Ihr seid uns ein wertvoller Gefährte geworden.“

Die Wärme und Ehrlichkeit in der Stimme des blonden Kriegers trafen ihn an einem wunden Punkt, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Vielleicht lag es auch an dem, was Hawks ihm erzählt hatte. Möglicherweise machte es ihn emotionaler, als es normalerweise der Fall war. Oder aber er war zu lange allein unterwegs gewesen, sodass er sich nicht mehr erinnerte, wie es sich anfühlte, gewollt zu sein. Das letzte Mal…damals, als er und…doch, das war lange her. Zu lange und eigentlich hatte er sich vorgenommen, solch einen Fehler nie wieder zu begehen.

Es war der Grund dafür, dass er sich in diesem Wald verschanzt und lieber mit einem Rudel Katzen zusammengelebt hatte. Jetzt saß er hier mit dem blonden Krieger bei ihrem Lager sowie dem Rotschopf samt Dämon in der Höhle und bereitete ihr Abendessen zu. Er wusste nicht, was skurriler war.

Dass er nicht antwortete, schien Yagi nicht zu stören, denn er blieb einfach weiter bei ihm sitzen und beobachtete ihn mit diesem Lächeln, gegen das man nichts ausrichten konnte.

Genau diese entwaffnende Freundlichkeit würde ihm vermutlich irgendwann zum Verhängnis werden…und das nicht zum ersten Mal.

Die Schuld

Wider Erwarten schlief der Dämon die nächsten zwei Tage so gut wie durch. Er wurde nur wenige Male wach, um etwas Nahrung zu sich zu nehmen. Meistens wurde dies von einem aggressiven Knurren oder gebleckten Zähnen sowie einem drohenden Rascheln der Flügel begleitet. Dann rollte sich der Dämon wieder in die Decke und gab keinen Laut mehr von sich. Es war vollkommen widersprüchlich zu seinem bisherigen Verhalten, doch Enji nahm an, dass er seine Kräfte sammeln wollte. Vielleicht ging es ihm tatsächlich so schlecht, vielleicht war es bloß eine List, da er fürchtete, sie würden ihn sonst doch töten.

Ihm ging der Blick des Dämons nicht aus dem Kopf, als er diesen endlich niedergerungen hatte. Die unverkennbare Erschöpfung und Angst, die diesen mürbe gemacht hatten. Die Worte, die er so gebrochen hervorgestoßen hatte. Er wollte nicht sterben? Warum hatte er sich dann für ihn mit dieser scheußlichen Dämonin angelegt? Das ergab keinen Sinn für ihn. Ohne das Eingreifen der Harpyie wäre diese nun nicht so zugerichtet.

Nein, er würde den Dämon nicht einfach töten, nachdem dieser ihn vor dem Tode bewahrt hatte…und schon gar nicht, bevor er Antworten auf seine Fragen bekommen hatte. Alles in ihm sträubte sich, daran zu glauben, dass der Vogel dies grundlos getan hatte. Weil er ein guter Kerl war oder dergleichen. Es gab keine guten Dämonen. Diese Bestien wurden von ihren niederen Instinkten getrieben, kannten kein Erbarmen. Unweigerlich erinnerte er sich daran, mit welcher wilden Brutalität die beiden Dämonen aufeinander losgegangen waren. Wie die Harpyie der Dämonin das Gesicht zerfressen…ihr die Gedärme aus dem Leib gerissen hatte…

Sein Blick ruhte während dieser grausigen Erinnerung auf dem gefiederten Jüngling, der dort neben ihm in der Höhle lag und friedlich zu schlafen schien, ging man von den gleichmäßigen Atemzügen aus. Wo er ihn so betrachtete, wirkte er regelrecht harmlos. Trügerisch harmlos.

Enji seufzte innerlich, fühlte sich genervt von der ganzen Situation. Es war bereits späte Mittagszeit und die anderen beiden schon eine ganze Weile unterwegs. Toshinori hatte sich im nächsten Dorf, das einige Stunden entfernt lag, umhören wollen und den Einsiedler mitgenommen. Zunächst hatte Aizawa hier bleiben wollen, doch Enji hatte darauf bestanden, selbst über die Harpyie zu wachen. Zumal er den Dämon verhören wollte und es Aizawa zutraute, ihn einfach entkommen zu lassen, sollten die Wunden doch nicht mehr so schwerwiegend sein – was kannte er sich mit den Heilkräften dieser Kreatur aus?
 

„…du bist unheimlich, weißt du?“

Enji zuckte zusammen, als er das Nuscheln des Dämons hörte, und sah im nächsten Moment in dessen bernsteinfarbene Augen. Müde wurde er angeblinzelt, Nase und Mund waren unter einer der Decken, in die er gewickelt war, versteckt. Was zum…? Er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu fassen und etwas entgegnen zu können.

Ich bin unheimlich?“, knurrte er zurück, woraufhin der Dämon nickte.

„Jemandem beim Schlafen so anzustarren, ist unheimlich. Ich meine, ich weiß ja, dass ich ein hübsches Kerlchen bin, und sicher hast du noch nie so leuchtend rote Flügel wie die meinen gesehen, aber es ist dennoch unanständig.“

Enjis Augenbraue begann zu zucken, während er sich fragte, ob er gerade tatsächlich von einem Dämon bezüglich gesellschaftlicher Gepflogenheiten belehrt wurde. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein.

„Hör auf, so zu tun, als würde ich dir nachstellen!“, schnauzte er ihn an, woraufhin der Dämon den Kopf rasch komplett unter die Decke steckte.

Was sollte das Getue jetzt wieder? Dieses freche Vieh hatte doch nie im Leben Angst vor ihm. Wollte er an sein Mitleid appellieren? Wieder kamen ihm jene Worte in den Sinn, als der Dämon vor ihm zu fliehen versucht hatte, und sie nagten an ihm, ließen ihn sich schlecht fühlen. Dabei hatte er ihm noch gar nichts angetan.

„Lass den Unsinn!“, murrte er und zog an der Decke, sodass das Gesicht des Dämons wieder zum Vorschein kam.

Ihm entging nicht, wie dessen Klauen zuckten und sich kurz in den Stoff bohrten, dann aber wieder locker ließen. Das Lauernde in dessen Blick verschwand nicht, wurde jedoch von einem Grinsen abgemildert; dennoch spürte Enji, wie sich sein Puls beschleunigte. Instinktiv erinnerte er sich daran, dass sein Schwert neben ihm an der Wand ruhte und der Dämon angeschlagen war.

„Schrei mich doch nicht gleich so an“, brummte dieser und zog die Decke bis unters Kinn. „Schließlich bin ich verletzt und da möchte man betüddelt werden!“

Enji schnaubte verächtlich.

„Gib dich damit zufrieden, dass wir dich bisher nicht in die Hölle geschickt haben“, meinte er grantig, woraufhin der Vogel eine Schnute zog.

„Das wäre auch wirklich undankbar, nachdem ich mich deinetwegen mit dieser Sirene angelegt habe und fast drauf gegangen bin“, maulte er anklagend, was Enji stutzen ließ.

„Sirene?“, wiederholte er.

Der Dämon nickte, während er ein wenig herumrutschte, wohl eine bequemere Position zu finden versuchte. Im Endeffekt legte er sich jedoch wieder auf die Seite, wollte ihm anscheinend nicht den Rücken zuwenden. Wer konnte ihm das verdenken...
 

„Sirenen sind Dämoninnen, die eigentlich unter Wasser leben, aber zum Jagen kommen sie an die Oberfläche. Platzieren sich irgendwo gut sichtbar und locken Männchen mit ihrem Gesang an. Es wirkt ähnlich wie…hm, wie erkläre ich das…wie ein Rausch! Als wenn du einen über den Durst getrunken hast! Sie beeinträchtigen die Wahrnehmung, erschaffen eine Illusion und würgen dich mit ihren Tentakeln zu Tode. Die meisten ihrer Opfer sterben vermutlich, ohne wach zu werden. Es sei denn, die Sirene ist besonders sadistisch – dann frisst sie dich bei lebendigem Leibe auf.“

Enji verzog das Gesicht, als er an die scharfen Zähne dachte, die sich um ein Haar in sein Fleisch geschlagen hätten. Dann kam ihm allerdings noch ein anderer Gedanke.

„Du sagtest Männchen. Warum konntest du dich ihr trotz ihres…Gesangs nähern?“, wollte er wissen.

„Tja, auf mich wirkt dieses Gesäusel nicht. Sirenen und Harpyien sind seit Urzeiten verfeindet. Unser Lebensraum liegt oftmals sehr nah beieinander, da ihr Zuhause das Meer oder anderes Gewässer ist und wir unsere Nester in den Klippen bauen. Sie sind überempfindlich, was unsere Schreie angeht, und wir können es unter Wasser nicht mit ihnen aufnehmen.“

Ein schiefes Lächeln überflog die Lippen des Dämons und Enji musste daran denken, wie die Ohren der Sirene zu bluten begonnen hatten, während er selbst es noch relativ gut ausgehalten hatte.

„Dachte schon, das war’s, als sie mich in den See gezogen hat – aber du hast sie gut abgelenkt“, fuhr die Harpyie nachdenklich fort. „War ne richtig gute Zusammenarbeit, was?“

Alles in Enji sträubte sich dagegen, dies anzuerkennen, auch wenn es stimmte. Da er dies aber nicht aussprechen konnte, äußerte er sich nicht dazu.

„Hast du deshalb eingegriffen?“, fragte er stattdessen und behielt ihn genau im Blick. „Weil ihr natürliche Feinde seid?“

Etwas, das Enji nicht deuten konnte, flackerte in den Raubvogelaugen auf, so als würde ihm die Antwort darauf auf der Zunge liegen, doch er sprach sie nicht aus. Stattdessen druckste er merklich herum und zog die Decke wieder höher, sodass sein Mund bedeckt war.

„Wenn ich das bejahe…tötest du mich dann?“, murmelte er und fixierte ihn wie schon zuvor lauernd.

Enji zweifelte nicht daran, dass sich die Harpyie wehren würde, sollte er Anstalten machen, zum Schwert zu greifen. Nun, kein Wunder. Wer wollte schon sterben?

„Deine Gründe ändern nichts an dem, was passiert ist“, gab er zurück und sah ihn ernst an. „Du hast mir das Leben gerettet…und zuvor meinem Sohn. Ich stehe in deiner Schuld. Es gefällt mir nicht, doch es ist eine Tatsache. Deswegen werde ich nichts unternehmen, solange diese Schuld nicht beglichen wurde.“

Scheinbar überraschten den Dämon seine Worte, denn er starrte ihn ein paar Sekunden lang nur verwirrt an. Dann wich die Spannung sichtlich aus seinem Körper und er atmete tief durch, pustete sich ein paar blonde Strähnen aus der Stirn.

„Dann kann ich ja endlich aufhören, euch wie ein Köter anzuknurren“, brummte er und streckte sich gemächlich aus, sodass einer seiner krallenbesetzten Füße unter der Decke hervorlugte. „Hatte echt Schiss, dass ihr mich im Schlaf abstecht oder so. Man weiß ja nie, so aggressiv, wie du immer bist…dachte, ich lasse euch mal lieber nicht vergessen, dass ich euch ausweiden kann. Kann ich übrigens. Aber ich will nicht.“

Enji spürte schon wieder, wie der Zorn in ihm aufstieg – und das Verlangen, dem unverschämten Dämon eine Kopfnuss zu verpassen. Was fiel diesem Vieh eigentlich ein?! Das war wirklich ungeheuerlich, aber er riss sich zusammen, knirschte bloß mit den Zähnen.

„Du wirst uns mit deinem Geplapper eher in den Wahnsinn treiben“, grollte er, was die Harpyie grinsen ließ.

„Ach was! Ich bin bloß ein aufgewecktes Vögelchen!“

„…leider.“

„Immerhin habe ich nicht vor, euch aufzufressen“, entgegnete der Dämon viel zu gut gelaunt.

„Sei einfach still…“

Zu seiner Verwunderung schmunzelte der gefiederte Jüngling bloß und kuschelte sich dann wieder in die Decke, schloss die Augen. Vielleicht war er ja doch angeschlagener, als er wirkte, wenngleich er seine Klappe nicht halten konnte. Er wurde nicht schlau aus der Kreatur…
 

Erst, als Toshinori und Aizawa zurückkamen, regte sich der Dämon wieder, blickte aufmerksam zu den Neuankömmlingen empor, ohne sich dabei zu bewegen.

„Oh, Ihr seid wach!“, kam es überrascht von Toshinori und er lächelte. „Geht es Euch besser?“

In seinen Armen lag ein zusammengefaltetes Bündel aus Stoffen, das verdächtig nach Kleidung aussah. Enji zog die Brauen zusammen, während der Dämon das Lächeln erwiderte und dabei seine spitzen Zähne zeigte.

„Bin noch ein bisschen lahmgelegt, der Flügel heilt leider nur langsam – aber ansonsten fühle ich mich ganz gut.“

Aizawa maß ihn mit einem langen Blick, ehe er sich neben den Dämon kniete und ihn auffordernd ansah. Daraufhin schlug dieser die Decke zurück, sodass der Dunkelhaarige seinen Oberkörper begutachten konnte. Die Verbände hatte er in den letzten Tagen mehrfach gewechselt, damit der Vogel keine Infektion bekam – falls das bei Dämonen möglich war. Vorsichtig löste Aizawa die Verbände, was sich der andere widerstandslos gefallen ließ.

„Das freut mich, Hawks“, meinte Toshinori mit einem warmen Lächeln, ehe er sich an Enji wandte. „Aizawa und ich haben uns etwas umgehört. Es kann gut sein, dass wir schon bald einen neuen Auftrag haben.“

Die Worte ließen Enji hellhörig werden und den Unmut darüber, dass Toshinori den Dämon so freundlich und respektvoll behandelte, in den Hintergrund treten.

„Sprich weiter“, forderte er den Blonden auf, welcher sich neben ihn setzte und das Bündel Stoff auf dem Boden ablegte.

Am Rande bekam er mit, wie Aizawa die Verletzung des Dämons inspizierte. Es war zumindest keine offene Wunde mehr, schien gut abzuheilen, obwohl nur so wenig Zeit vergangen war. Daran sah man mal wieder, wie sehr sich ihre Rassen voneinander unterschieden.

„Die Leute meinten, dass es südlich von hier, zwei Tagesritte entfernt, ominöse Vorfälle gab. Blutleere Leichen wurden aufgefunden, zumeist handelte es sich um junge Frauen. Sie verschwinden in der Nacht, oftmals aus ihren Zimmern ohne jede Spur.“

„Klingt nach einem Dämon“, kam es spöttisch von der Harpyie, welche jedoch gleich darauf zusammenzuckte.

Aizawa hatte sich seinem geschienten Bein gewidmet, dieses probeweise bewegt – scheinbar war der Bruch auch dort noch nicht geheilt.

„Findest du das lustig?“, knurrte Enji ihn an, woraufhin der Dämon seufzte.

„Oh ja, nichts macht mich glücklicher als tote Menschen…vorzugsweise junge Damen, möglichst unschuldig. Weil ich ja so böse bin.“

„Du wagst es-“

„Hawks. Darüber scherzt man nun wirklich nicht“, mahnte Toshinori streng, woraufhin der Dämon die bernsteinfarbenen Augen verdrehte.

„Jaja, ich verstehe schon. Galgenhumor ist nicht euer Ding, huh? Schon gut, schon gut, ich bin still. Beachtet mich einfach gar nicht und – au! Pass mit dem Flügel auf! Der ist empfindlich!“, zeterte er, als Aizawa diesen vorsichtig auseinanderfaltete.

Dieser hob eine Braue, ließ ihn aber direkt los, um ihm nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen. Stattdessen setzte er sich zu ihnen und warf einen Blick zu den beiden Kriegern.

„Euch ist bewusst, dass wir ihn mitnehmen müssen – und dass die Menschen ihn nur zu gern verantwortlich für ihre Leichen machen werden? Ihr habt gesagt, dass er bei uns bleibt, bis seine Wunden verheilt sind. Nun, das sind sie nicht. Also solltet Ihr eine Entscheidung treffen.“

So sehr es ihm widerstrebte, dem Einsiedler Recht zu geben, musste er doch zugeben, dass dieser Recht hatte. Es stimmte, dass der Dämon ein gefundener Übeltäter für das Leid der Betroffenen sein würde. Er selbst hatte versucht, ihn für die Taten des gigantischen Wurms verantwortlich zu machen.
 

Enji fing Toshinoris Blick auf, der ihm sagte, dass dieser ungern warten würde, da es vermutlich weitere Leben kosten würde, aber sie ebenso an sein Versprechen gebunden waren. Die anderen beiden hier zu lassen, den verletzten Dämon und den Einsiedler, barg ebenso ein Risiko. Nein, das stand ebenfalls außer Frage.

„Keine Panik wegen mir“, mischte sich ihr Problemfall ein. „Nehmt mich einfach mit und bis wir da sind, bin ich wieder auf den Beinen!“

„Mit dir als Last werden wir bedeutend langsamer sein“, brummte Enji, woraufhin ihn der Dämon empört ansah.

„Wie bitte?! Du bist echt gemein, Rotschopf!“

Toshinori lächelte angesichts ihres Wortwechsels schief, wandte sich dann ihm zu.

„Es stimmt schon, dass wir dadurch langsamer sind, doch immerhin reisen wir zusammen. Du kannst deine Schuld ihm gegenüber nicht begleichen, wenn du ihn zurücklässt. Das wäre ebenfalls falsch…und wer weiß, vielleicht kann uns Hawks sogar helfen?“

„Genau! Toshi hat es verstanden!“, pflichtete ihm die Harpyie aufgebracht bei. „Ich habe viel bessere Sinne als ihr! Ich wittere einen Dämon schon, da habt ihr noch nicht mal mit der Spurensuche angefangen! Außerdem bin ich viel schneller als ihr, ich kann fliegen und-“

„Warum solltest du dich gegen deine eigene Art stellen? Schon wieder? Und komm mir nicht mit der Todfeind-Nummer…“, unterbrach Enji ihn genervt, woraufhin es dem Dämon kurzzeitig die Sprache verschlug.

Dann verengte er die Augen, presste die Lippen zusammen und zog in einem Anflug von Trotz die Decke wieder über sich, vergrub sich bis zur Nase darin. War er nun beleidigt? Das war doch wirklich…was stimmte nicht mit diesem Vogel? Schließlich war das von seiner Seite aus eine legitime Frage, oder nicht? Er tauschte einen Blick mit Toshinori, welcher schief lächelte; verstand dieser die Reaktion des Dämons etwa?

„Ich denke, Hawks missfällt es, dass Ihr ihn mit allen anderen Dämonen in einen Topf werft“, bemerkte Aizawa trocken.

„Wüsste nicht, was daran falsch sein sollte“, schoss Enji zurück, was den anderen Mann hörbar ausatmen ließ.

Bevor dieser ihm jedoch zweifellos unschmeichelhafte Worte an den Kopf werfen konnte, mischte sich Toshinori in ihr Gespräch ein.

„Genug davon!“, meinte er ernst. „Wenn Hawks uns seine Hilfe anbietet, sollten wir darauf zurückgreifen. Zumal er ja ohnehin mit uns kommen muss. Hier zu bleiben, ist in seinem Zustand zu riskant.“

Da wollte keiner widersprechen, auch wenn der Dämon immer noch angefressen wirkte. Sollte den mal einer verstehen. Was erwartete die Kreatur? Dass sie jetzt alle Freunde wurden? Lächerlich. Das hier war eine Lösung auf Zeit und danach würden sie getrennte Wege gehen. Wieder Feinde sein.
 

„Bevor wir aufbrechen, sollten wir noch mal zum See gehen“, wandte Aizawa mit einem Blick auf den Dämon ein. „Nun, da die Wunden nicht mehr offen sind, solltest du dich gründlich waschen, bevor sich noch etwas durch die Keime entzündet.“

„Davon abgesehen, dass der Geruch schon nicht mehr angenehm ist…“, brummte Enji, was die Harpyie empört nach Luft schnappen ließ.

„Willst du damit sagen, dass ich stinke?!“

Bei dem Funken sprühenden Blick wünschte Enji sich fast, er hätte es nicht laut ausgesprochen, und auch die anderen beiden sahen ihn tadelnd an. Dabei war das doch bloß die Wahrheit. Machte der Waldschrat schließlich auch ständig. Unhöflich sein und es als Wahrheit tarnen, da sollten die sich mal nicht so anstellen.

„Tut mir wirklich leid, dass getrocknetes Blut und Schweiß nach drei Tagen nicht mehr nach Blumenwiese duften“, knurrte er zurück.

Der Dämon setzte sich langsam auf und schlug prompt mit der gesunden Schwinge nach ihm, woraufhin Enji nach hinten auswich.

„Ups…“, kam es monoton von diesem. „Ich habe wohl meinen Körper nicht unter Kontrolle…das tut mir schrecklich leid.“

Sprach er und schlug allen Ernstes noch mal nach ihm aus, erwischte ihn um ein Haar im Gesicht. Wütend malmte Enji mit dem Kiefer; anscheinend ging es dem Federvieh nicht mehr ganz so schlecht…

„Beruhigt euch, beide“, meinte Toshinori diplomatisch und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hawks, Aizawa-san hat schon Recht, dass Ihr Euch vom Blut befreien solltet, damit sich nichts entzündet oder dergleichen und…überdies haben wir Euch saubere Kleidung mitgebracht. Ein Umweg zum See wäre daher wohl sinnvoll, hm?“

Der Dämon sah seinen Freund zunächst mit einem Ausdruck an, als würde er ihn gleich ebenfalls schlagen. Dann aber entspannte sich seine Mimik langsam und er atmete hörbar aus, nickte knapp.

„Na schön…von mir aus.“

„Moment mal“, mischte sich Enji ein und wischte die Hand des Blonden von seiner Schulter. „Was soll das denn heißen?! Ihr habt mein Geld für ihn verschwendet!?“

Aizawa schnaubte.

„Verzeihung, dass wir ihn nicht einfach nackt mit uns reisen lassen. Aber es ist gut zu wissen, welche Vorlieben Ihr habt…“

„Schweigt sofort still!! Das ist nicht, was ich sagte, ich-“

„Oho, so ein Krieger bist du also?“, stieg die Harpyie mit ein und wackelte mit den buschigen Augenbrauen. „Ich wusste ja gleich, dass es komisch ist, jemanden beim Schlafen zu beobachten…“

„Leg mir keine Wörter in den Mund! Du bist nicht mal ein Mensch!“, fuhr Enji ihn an, wovon sich der Dämon gänzlich unbeeindruckt zeigte.

„Aber ich sehe annähernd menschlich aus“, behauptete er und hob kurzerhand die Decke an. „Da. Alles dran. Nicht viel anders als bei euch – gut, die kleinen Federn habt ihr nicht. Du zumindest nicht, immerhin hab ich ja einen guten Blick auf dich gehabt, während ich dich im Onsen-“

„Schweig!! Das will keiner sehen!! Kennst du keine Scham?!“, schnitt Enji ihm scharf das Wort ab, ehe ihm etwas einfiel. „Und außerdem hast du mich zuerst beim Schlafen beobachtet! Also nenn mich nicht komisch oder unheimlich!“

„Jaja, ganz ruhig…musst ja nicht sofort so ausrasten, meine Güte“, wiegelte der Dämon seine Anschuldigungen ab und wickelte sich wieder in die Decke. „So, alles wieder eingepackt.“

Sowohl Toshinori als auch Aizawa hatten dem Wortgefecht still gelauscht, sahen von einem zum anderen. Enji wollte gar nicht wissen, was die beiden nun dachten.
 

„…ihr wart zusammen im Onsen?“, fragte Toshinori ungläubig. „Wann?“

„Ach, das war keine große Sache!“, plapperte der Dämon sofort wieder los. „Unser Rotschopf hier konnte wohl nicht schlafen, nachdem sein Spross beinahe das Zeitliche gesegnet hat. Da ist er noch mal aufgestanden, um ein Bad im Mondschein zu nehmen. Dort ist er dann doch eingedöst und ich hab mich zu ihm gesellt. Das war so schön warm…jedenfalls bis er wach geworden ist und mich rausgeworfen hat. Das war weniger nett, aber na ja…“

„Du bist praktisch in mein Haus eingebrochen!“, grollte Enji, doch die Harpyie winkte ab.

„Papperlapapp! Ich hab mir bloß meine Belohnung geholt.“

„Interessant“, kam es trocken von Aizawa, der sie beide mit einem undefinierbaren Blick musterte. „Wie auch immer, wir sollten langsam los, bevor noch mehr seltsame Geschehnisse ans Licht kommen. Mir reicht dieses fürs Erste. Kannst du aufstehen, Hawks?“

Enji wollte widersprechen, besann sich dann aber eines Besseren. Nein. Er sollte sich eigentlich gar nicht mehr dazu äußern, das würde ihm bloß noch mehr Probleme machen. Zumal er nichts Falsches getan hatte. Die Harpyie war es, die sich zu bestimmten Dingen erdreistete. Dieser Vogel kannte einfach keine Zurückhaltung.

Enji beobachtete, wie sich dieser in die Decke wickelte und sich aufzurichten versuchte. Sein gebrochenes Bein sowie der verletzte Flügel schienen dabei sein Gleichgewicht zu stören, sodass er wankte. Nein, dieser war noch weit davon entfernt, wieder vollständig genesen zu sein.

„Das kann man ja nicht mitansehen!“, knurrte er genervt und schob Aizawa, der ihn stützen wollte, beiseite.

Dann packte er den Dämon und warf ihn sich erneut über die Schulter, wobei dieser ihm die Klauen durch seine Kleidung in den Rücken rammte.

„Pass doch auf, verdammt!“, blaffte er ihn an und trug ihn aus der Höhle.

„Tut mir ja leid, dass ich nicht darauf vorbereitet war…“, maulte der Dämon und löste vorsichtig die Klauen aus seinem Fleisch.

Enji schnaubte anstelle einer Antwort darauf und machte sich daran, den vermaledeiten Vogel irgendwie aufs Pferd zu hieven – was mit Feuersturm nicht recht klappen wollte. Sein Pferd schien den Dämon ebenso wenig ausstehen zu können wie er selbst, scheute und biss nach diesem, weswegen Toshinori es mit Morgenstern versuchte. Die Stute war generell um einiges ruhiger als sein Fuchs, sodass der Dämon schließlich über ihrem Rücken hing – auch wenn es viel gutes Zureden seitens ihres Besitzers brauchte.

„Das ist unbequem“, maulte die Harpyie und sah sie anklagend an.

„Meckere nicht rum!“, brummte Enji genervt. „Sei froh, dass wir dich nicht mit einem Seil an ihrem Sattel festbinden und dich einfach hinterherschleifen lassen.“

„Du bist ein richtig fieser Mensch. Ich frag mich echt, wie die zwei das auf Dauer mit dir aushalten.“

„Ach, halt den Mund.“

Der Dämon moserte leise herum, blieb aber über Morgensterns Rücken liegen, wobei seine Gliedmaßen ohne Spannung herunterhingen. Toshinori lächelte diesen aufmunternd an, ehe sie ihre restlichen Habseligkeiten zusammenpackten und sich zum See aufmachten.
 

„Ui, da haben die Raben wohl schon ordentlich zugelangt, was?“

Der Dämon warf einen Blick zu dem Kadaver der Sirene, auf dem tatsächlich ein paar schwarze Vögel hockten und sich gütlich taten. Widerlich. Enji zog leicht an Feuersturms Zügeln, um ihn von der Sirene wegzulenken, was wohl auch in Toshinoris Sinne war, denn er folgte ihm kommentarlos. Der See war groß genug, um sich eine freie Stelle zu suchen, an der ihnen nicht vom Verwesungsgeruch übel wurde. Es schauderte ihn, als er daran dachte, dass hier seine Leiche hätte liegen können, wenn alles anders gekommen wäre. Wie viele Männer dieses Monster wohl schon auf dem Gewissen hatte?

Der Gedanke sorgte unweigerlich dafür, dass seine Abneigung gegen den vorlauten Dämon gemildert wurde. So frech dieser auch war, aufgrund seines Eingreifens lebte er noch. Todfeind hin oder her, seine Begründung änderte die Tatsache an sich nicht. Also nahm er sich zusammen und half dem Federvieh vom Rücken des Schimmels herunter – auch wenn dieses ihm daraufhin erneut die Klauen in die Haut rammte.

Bei dem wütenden Blick seinerseits grinste der Dämon schief, löste behutsam Kralle für Kralle aus seiner Rippengegend.

„Das ist echt keine Absicht…“

„Das wäre ja auch noch schöner“, knurrte Enji, während er diesen weiter aufrecht hielt. „Geh dich waschen.“

„Und wie soll ich das machen, wenn ich nicht mal richtig laufen und stehen kann? Bisschen Hilfe wäre schon angebracht, Großer.“

Zu allem Überfluss rutschte dem Dämon in dem Moment die Decke von den Hüften, sodass er diesen nun nackt in den Armen hielt, wobei der andere sich an ihn klammerte. Nein, das war ja gar nicht merkwürdig, ging es ihm sarkastisch durch den Kopf.

„Recht hat er schon“, bemerkte Aizawa, der sich ins Gras gesetzt hatte und den Blick über den See schweifen ließ.

Auch Toshinori schien ihm in den Rücken fallen zu wollen, indem er ihn anlächelte und zustimmend nickte.

„Eigentlich ist ein Bad vor der Weiterreise generell keine schlechte Idee“, überlegte er und begann dann, seine Rüstung abzustreifen.

Enji hob eine Braue, schüttelte den Kopf und setzte den Vogel im Gras ab, wo dieser sitzen blieb und sein gebrochenes Bein betrachtete, das immer noch von Stöcken und Bandagen geschient wurde. Da Enji kein Gegenargument einfiel, zog auch er sich aus, sah missmutig auf die kleinen, blutigen Wunden an seinen Seiten, wo sich die Krallen hineingegraben hatten. Er wandte sich wieder dem Verursacher zu, welcher ihn vollkommen ungeniert von oben bis unten interessiert musterte. Natürlich waren Blicke normal und eigentlich nichts dabei, da sie schließlich alle Männer waren, doch gehörte es sich nicht, dies so auffällig zu tun.

„Hast dir alles eingeprägt?“, knurrte er den Vogel daher an, welcher die Augen nur langsam von seinem Schritt löste und dabei breit grinste.

„Fast. Kann ich noch ein paar Sekunden lä-“

„Hoch mit dir!“, blaffte Enji ihn an und zerrte den Dämon an seinem Oberarm hoch, um ihn Richtung See zu schleifen.

„Oi!! Nicht so – warte doch mal!“, entkam es diesem erschrocken und er klammerte sich nun an seinem Arm fest.

Na toll. Noch mehr Kratzer. Er ignorierte Toshinori, der ihnen verdutzt nachsah, und watete mit dem Dämon ins klare Wasser. Es war zwar kalt, aber die Temperaturen mild, von daher ging es. Die Aussicht auf eine heiße Quelle war leider nur selten gegeben.
 

„Ist das kalt!“, jammerte der Dämon, als sie sich beide bis zum Bauch im Wasser befanden, und schlug aufgebracht mit seinem gesunden Flügel. „Urgh…dein Onsen war viel angenehmer. Können wir nicht wieder dorthin zurück?“

Enji warf ihm einen ungläubigen Blick zu, ehe er den Dämon an den Schultern packte und runter in den See drückte. Da sie hier ihr eigenes Körpergewicht nicht tragen mussten, viel leichter waren, würde der andere es wohl auch allein schaffen, sich zu reinigen.

„Weniger reden, mehr waschen. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit“, meinte er mitleidlos.

Der Blonde zog eine Schnute, machte sich aber daran, der Aufforderung Folge zu leisten. Nur einen Moment beobachtete Enji ihn dabei, wie er vorsichtig seinen intakten Flügel ins Wasser tauchte – der andere hing sowieso schon drin – und diesen mit den Klauen durchstreifte. Abgesehen von den riesigen roten Schwingen wirkte sein Körper tatsächlich sehr menschlich. Der schlanke, haarlose Torso eines Jünglings, dessen Arme in skurrilen, scharfen Klauen endeten. Zumindest hatte sich die Stelle, an der ihm die Dämonin das Fleisch herausgerissen hatte, geschlossen, auch wenn die Haut noch wund aussah.

Enji wandte sich ab, um sich selbst zu waschen, warf vorher noch einen knappen Blick zum Ufer, wo Toshinori Aizawa wohl aufforderte, ebenfalls in den See zu springen. Huh…brachte dieser den Einsiedler etwa in Verlegenheit oder warum schaute dieser so konsequent auf seine Hände? Na gut, vielleicht musste sich sein Freund nicht gerade splitterfasernackt und breitbeinig vor den anderen Mann stellen – der war echt genauso schamlos wie der Dämon.

Enji schüttelte innerlich den Kopf, tauchte dann einmal unter Wasser, um auch seine Haare zu waschen. Als er wieder hochkam, wischte er sich über das nasse Gesicht, spürte dabei abermals die bernsteinfarbenen Augen auf sich ruhen. Er konnte den Ausdruck nicht deuten und obwohl es sich unangenehm anfühlte, ließ er sich nichts anmerken.

„Bist du fertig?“, fragte er daher nur, während er sich sagte, wie skurril diese ganze Situation generell war.

„Ja, alles sauber – oh, und erinnere mich dran, mich mit Blümchen einzureiben, damit ich deine zarte Nase nicht wieder belästige.“

Die spöttischen Worte wurden von einem zuckersüßen Lächeln begleitet, für das er den frechen Vogel am liebsten komplett unter Wasser getaucht hätte. Er besann sich, atmete einmal durch, ehe er ihn am Arm packte und zurück zum Ufer watete, wo Aizawa es sich wohl überlegt hatte und sich nun doch entkleidete. Den musste mal einer verstehen.

Er setzte den Dämon auf der Decke ab und reichte ihm dessen neue Kleidung, sowie ein Tuch, mit dem er sich trocknen konnte, ehe er dasselbe tat. Aus den Augenwinkeln fiel ihm auf, dass ihr unliebsamer Begleiter tatsächlich auch untenherum menschlich aussah. Zuvor hatte er nicht richtig hinsehen, die Anmaßungen nicht noch bestärken wollen, doch nun riskierte er einen Blick. Auch dort unten war er recht haarlos…doch an den Beckenknochen befanden sich ein paar winzige, flaumige Federn in demselben auffälligen Rotton. Seltsam. Wie so vieles an dem Dämon.

Enji wandte diesem den Rücken zu und griff nach seiner Kleidung, um sich anzuziehen. Dabei ignorierte er erneut den unangenehm stechenden Blick, welchen er nicht zu deuten vermochte, in seinem Nacken.

Das Laster

Wenn Enji ehrlich war, war er froh darüber, mal eine Weile für sich zu sein, kaum dass er sich von ihrem Nachtlager entfernt hatte. Die Weiterreise hatten sie den ganzen Tag zu Fuß bewältigt, wobei sie den Dämon aufs Pferd gesetzt hatten – Morgenstern hatte es einigermaßen unbeschadet überstanden, trotz der scharfen Krallen. Die Stute besaß ein ähnliches Gemüt wie ihr Besitzer, was wohl ihr Glück war, denn irgendwie mussten sie den nutzlosen Vogel ja transportieren. Und das möglichst so, dass diesen niemand sah, weswegen sie seine Flügel unter der Decke versteckt hatten. Wenigstens waren ihnen kaum Leute begegnet, sodass es keine Komplikationen gegeben hatte.

Mit dem Dämon konnten sie allerdings keine Bleibe im nächsten Dorf suchen, sodass sie ihr Lager erneut im Wald aufgeschlagen hatten. Enji kannte sich in der Umgebung aus, war einige Male zuvor schon mit Toshinori vorbeigekommen und anhand der ganzen Strapazen der letzten Tage kam ihm dieser Ort mehr als gelegen. Natürlich war sein Freund wie immer errötet, als er diesen gefragt hatte, ob er ihn begleiten wollte, bevor er höflich abgelehnt hatte. Nichts anderes hatte Enji erwartet, ebenso dass der Einsiedler kein Interesse an einem Abstecher in solch ein Milieu bekundet hatte. Dieser schien Frauen generell nicht sonderlich zugeneigt zu sein und Enji war versucht gewesen, Aizawa darauf hinzuweisen, dass dort vielerlei Vorlieben bedient wurden. Allerdings hatte er wenig Lust gehabt, unliebsame Gegenfragen gestellt zu bekommen, weswegen er es dabei belassen hatte.

Der Dämon dagegen hatte sich unter der Decke zusammengerollt, kaum dass sie Halt gemacht hatten, und war kurz darauf eingeschlafen. Enji fragte sich, ob es diesem wirklich noch so schlecht ging oder ob er es ausnutzen wollte, dass sie sozusagen auf ihn aufpassten. Nun, da sein Flügel immer noch recht traurig herabhing und sein Bein nicht besser aussah, mussten sie ihm das wohl glauben. Zumindest war ihm auf diese Weise ein spitzzüngiger Kommentar erspart geblieben – Aizawas finsterer Blick hatte ihm schon gereicht.

Vermutlich weil er aus seinem Ehebruch keinen Hehl gemacht hatte. Warum auch? Die Verbindung zu seiner Frau war nur noch eine Formalität, die sie aufrechterhielten, weil es sich so gehörte. Enji bezweifelte, dass Rei sonderlich betrübt darüber sein würde, dass er sich zuweilen in Freudenhäusern aufhielt. Nach ihrem letzten Gespräch war sie vielleicht ein bisschen positiver gestimmt, aber an ihrer Beziehung änderte das nicht das Geringste. Da machte er sich keine Illusionen.
 

Es war ein gutes Gefühl, das Bordell zu betreten, denn man sah ihm seinen Rang anhand seiner Kleidung direkt an. Und dass er genügend Geld besaß, um sich eine Nacht hier leisten zu können, sodass ihn die beiden Männer am Eingang direkt hineinließen. Zumal ihn der Besitzer des Bordells schon beim Betreten des Vorraums direkt erkannte und überschwänglich begrüßte.

„Todoroki-sama! Welche Freude, Euch wieder einmal in meinem Hause begrüßen zu dürfen! Wonach steht Euch heute Nacht der Sinn? Ich schicke Euch nur zu gern zwei unserer begabten Jünglinge, mittlerweile sehr erfahren und-“

„Heute nicht“, fuhr er dem Mann über den Mund. „Lass nach Yu schicken.“

Der Mann nickte eifrig und bedeutete einem seiner Lakaien, besagte Dame auf das beste Zimmer des Hauses zu schicken. Enji folgte dem Besitzer des Bordells hinein, wo dieser ihn zur Treppe geleitete, die zu den privaten Gemächern führte. Der Raum, den sie dabei durchquerten, wurde von Kissen und kleinen Tischen dominiert, an denen einige Gäste saßen und sich von verfügbaren Damen und Jünglingen bezirzen ließen. Aus reiner Neugierde hatte Enji das ein oder andere Mal nach einem von ihnen verlangt…und festgestellt, dass es zwar zunächst befremdlich, am Ende aber nicht viel anders war. Mund war Mund, Hand blieb Hand. Mehr hatte er nicht zugelassen oder gegeben, erschien es ihm irgendwie verwerflich – Ironie hin oder her. Es war jedenfalls nicht unangenehm gewesen, ganz im Gegenteil, was wohl daran lag, dass ein Mann selbst am besten wusste, was Männer mochten.

Wenigstens war er dank Toshinoris Tugendhaftigkeit nie in Erklärungsnot gekommen. Der Verkehr mit demselben Geschlecht war nicht verboten, wohl aber etwas, das man im Geheimen ausübte, vor allem wenn man hohen Ranges war. Von Zeit zu Zeit reizte ihn dieses Verbotene, besonders da das Risiko, einen Bastard zu zeugen, nicht existent war. Dennoch war ihm heute mehr nach einer Frau…genau genommen, nach der, deren Dienste er schon des Öfteren in Anspruch genommen hatte.

Das Zimmer kannte er ebenfalls, machte es sich schon mal auf einem der Kissen, welche auf dem mit Tatamimatten ausgelegten Boden lagen, bequem. Ein sauberer Futon war schon in der Ecke des Raumes ausgerollt worden, während auf dem kleinen runden Tisch bereits der Sake stand. Ein paar Kirschblütenzweige steckten in goldenen Vasen, dekorierten den Raum ebenso wie einige teuer aussehende Skulpturen. Die Schiebewände aus Papier waren ein Stück weit geöffnet und gaben den Blick auf den kleinen Balkon frei. Die kühle Nachtluft war angenehm, weswegen er sie nicht schloss. Von unten tönte leise Musik hinauf, draußen entfernt die Stimmen der Leute, welche sich in diesem Viertel herumtrieben.

Lange musste er nicht warten, denn wenige Minuten später betrat die von ihm gewünschte Dame das Zimmer. Ihre langen hellblonden Haare fielen ihr in weichen Wellen den Rücken hinab, umrahmten ihr hübsches Gesicht, aus dem ihn die dunklen, im Licht violett schimmernden Augen amüsiert anfunkelten. Ihr lilafarbener Kimono mit den rosa Blüten entblößte ihre Schultern samt Dekolleté, deutete ihre Kurven an, die sie trotz ihrer schlanken Statur besaß.
 

„Na, wenn das nicht mein Lieblingskunde ist…“, säuselte sie belustigt und nahm ihm gegenüber am Tisch Platz. „Hattet ihr etwa Sehnsucht nach mir, Todoroki-sama?“

Er gab lediglich ein Schnauben von sich, das ihrer Laune keinen Abbruch tat. Stattdessen griff sie nach der Flasche mit Sake, schenkte ihnen beiden ein Schälchen ein. Yu arbeitete schon seit einigen Jahren in diesem Freudenhaus und er wusste, dass die Ursache irgendeine Verschuldung gewesen war, die sie nicht in der Hand gehabt hatte. Trotz dieser Umstände hatte sie sich mit diesem Schicksal arrangiert, es sich zum Ziel gemacht, genügend zu verdienen, um besagte Schulden zu tilgen und sich somit die Freiheit zu erkaufen. Es würde schade sein, sie eines Tages nicht mehr hier treffen zu können.

„Ich habe Euer sonniges Gemüt vermisst, wisst Ihr?“, sprach sie weiter, was ihn eine Braue heben ließ.

„Da bist du die Einzige“, brummte er missmutig und kippte den Sake herunter.

Sie verzog ihre rosa Lippen zu einem Lächeln, schenkte ihm direkt unaufgefordert nach. Die ersten Male hatte sie sich den Mund rot geschminkt – etwas, das Enji nicht leiden konnte. Generell war ihm übertriebene Schminke zuwider, was sie mittlerweile wusste und beherzigte.

„Wollt Ihr mir sagen, was Euch betrübt? Oder bevorzugt Ihr es, wenn ich Euch…auf andere Gedanken bringe?“, erkundigte sie sich, was ihn kurz innehalten ließ.

Es war nicht so, dass er ihr oder irgendjemandem sonst aus diesem Milieu sein Herz ausschüttete. Sie waren keine Freunde. Dennoch, sie war nicht bloß schön, sondern auch klug, sodass sie sich oftmals recht lange unterhielten, bis es zu dem kam, weswegen er eigentlich hier war.

„Nachher ist noch genügend Zeit zum Reden“, erwiderte er, woraufhin sie nickte.

„Verstehe.“

Sie griff nach ihrem Schälchen, nahm einen Schluck davon und seufzte leise. Es fühlte sich jedes Mal befremdlich an, wie frei sie sich in seiner Gegenwart benahm. Dass sie nie wegzuckte oder erschrak, wenn er sie anfasste, obwohl sie doch ihrer Lage wegen allen Grund dazu gehabt hätte.

„Wie lange noch, bis du diesen Ort verlassen kannst?“, fragte er ruhig, ließ sie kurz stocken.

Sie neigte den Kopf, während sie überlegte.

„Nun, so spendabel wie Ihr stets seid, denke ich, dass es nur noch drei Monate sein werden“, meinte sie langsam. „Wie seltsam, nicht wahr? Der Gedanke, von hier fort zu können…ich weiß nicht einmal, was mich ohne diese Anstellung erwartet. Wer weiß, vielleicht verlasse ich das Bordell und kehre alsbald zurück, weil mich die Welt dort draußen erschreckt.“

Enji musterte sie ein paar lange Sekunden, ehe er abermals schnaubte und sein Schälchen wieder auf dem Tisch abstellte.

„Das kann ich nur schwer glauben. Du hast eine halbe Ewigkeit darauf hingearbeitet – und du bist stur.“

Daraufhin musste sie lachen und Enji fragte sich nicht zum ersten Mal, ob es echt war. Falls nicht, war sie eine unglaublich gute Schauspielerin.

„Oh, das ist wahr, da habt Ihr wirklich Recht! Nichts gegen Eure angenehme Gesellschaft, aber Ihr seid nicht der einzige Freier und manche Männer sind richtige Schweine. Da bin ich nicht traurig drum, diese hoffentlich nie wieder sehen zu müssen. Aber wie war das? Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“

Sie zwinkerte ihm zu, wobei in Enji die Frage aufkeimte, ob er tatsächlich so angenehm war. Wenn er mit ihr schlief, fühlte es sich zumindest für ihn unglaublich an. Es war kein Vergleich zu dem Verkehr, den er mit Rei gehabt hatte. Mit Yu war es leidenschaftlich, sie stöhnte seinen Namen, zerkratzte ihm vor Wonne den Rücken…und danach blieb sie bei ihm liegen. Strich ihm durchs Haar und redete leise mit ihm oder hielt ihn einfach nur. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, wie ihm eine Hure, die den Akt mit vielen Männern vollzog, so viel Befriedigung und Behaglichkeit geben konnte. Es war gut, sich gewollt zu fühlen. Wie ein ganzer Mann. Er sehnte sich danach.

Yu riss ihn aus den Gedanken, indem sie um den Tisch herumkam und sich vor ihn kniete, ihn dabei mit diesem Funkeln in den violetten Augen ansah. Ihre schlanken Finger legten sich auf seine Oberschenkel, streichelten diese und allein diese sanften Berührungen ließen ihn angenehm schaudern. Sein Blick senkte sich auf ihr üppiges Dekolleté, während er sich mit den Armen nach hinten abstützte, zuließ, dass sie seine Hose öffnete…
 

Wie immer nutzte er die Zeit, für die er bezahlte, aus, sodass es nach der dritten Runde vermutlich schon nach Mitternacht sein musste. Gut, er konnte theoretisch auch bis zum Morgengrauen bleiben, das Geld hatte er bereits gezahlt, doch sein Pflichtbewusstsein sagte ihm, dass er zu den anderen zurückkehren sollte. Weniger, weil er glaubte, dass der zu groß geratene Vogel Toshinori und Aizawa angreifen würde, sondern eher falls sich doch irgendwelches Gesindel im Wald herumtrieb. Oder gar jemand den Dämon bei ihnen entdeckte und Alarm schlug.

Dennoch blieb er eine Weile mit dem Kopf auf Yus Oberschenkeln liegen, ließ sich durch die Haare streicheln. Er hielt die Augen geschlossen, während sie wohl beide ihren Gedanken nachhingen. Er fühlte sich seit Langem mal wieder innerlich völlig ruhig, nahezu ausgeglichen, was ihm wieder bewusst machte, wie gut ihm diese Art der Intimität tat. Seine Frau hätte er nie einfach grob von hinten…nein. Ein schlechtes Gewissen hatte er hierbei nur zu Anfang gehabt, mittlerweile war dies kein Thema mehr.

„Erzählt Ihr mir noch eine Eurer Geschichten?“, hörte er sie fragen und öffnete die Augen wieder.

Yu sah nicht zu ihm herunter, während sie sprach, sondern blickte zu einem Punkt in der Ferne. Der lilafarbene Kimono hing ungebunden über ihren schmalen Schultern, bedeckte ihre Brüste nur zur Hälfte. Enji schwieg einen Moment, machte sich bewusst, dass auch sie wahrscheinlich einfach nur vergessen wollte.

„Es war finstere Nacht, als ich mich auf den Weg machte, um unser Abendessen zu erbeuten. Völlig unerwartet nahm mich der Gesang einer Frau ein. Nichts, mit dem man im Wald rechnen würde, also folgte ich der Stimme, die mich zu einem See führte…“

Er erzählte die Geschichte ein wenig anders, erwähnte nur die Sirene und dass ihm ein anderer Krieger im Kampf gegen diese geholfen hatte. Sie sollte nicht wissen, dass er in der Schuld eines Dämons stand, wobei er bezweifelte, dass es ihr überhaupt um die Wahrheit ging. Viel eher schien sie sich ihrer eigenen Situation entziehen zu wollen und das war in Ordnung.
 

Es war spät, als sich Enji zurück zum Lager begab, wobei die kühle Nachtluft recht erfrischend war. Es sorgte dafür, dass er wieder etwas klarer wurde, hatte er bei dem Sake doch ordentlich zugelangt. Er war nicht betrunken – das war er ohnehin selten, denn es bedeutete, dass er sich eine Blöße gab. Dennoch spürte er das wohlige Gefühl des Alkohols, das seine Gedanken einlullte. Nun, in ein paar Stunden, wenn sie weiterzogen, würde dies vergangen sein.

Das Feuer war bereits verloschen, als er das Lager erreichte, und seine beiden Weggefährten schienen zu schlafen. Wer noch nicht schlief, war der Dämon, der sich gleich in zwei ihrer Decken gewickelt hatte und ein Stück von ihnen entfernt an einem Baum lehnte. Hatten sie diesem etwa die Wache überlassen? Unfassbar. Die bernsteinfarbenen Augen glühten im schwachen Mondlicht regelrecht, fixierten ihn, kaum dass er sich ihm näherte. Enji meinte, ihn die Nase rümpfen zu sehen, was ihn unweigerlich verärgerte, auch wenn er es nicht ganz deuten konnte.

„War wohl ein erfolgreicher Abend, so wie du riechst“, kam es spöttisch von dem Dämon, was Enji schnauben ließ.

„Und wenn…was geht es dich an?“

Zuerst schien es so, als würde der Dämon sich beherrschen müssen, seine Gedanken dazu nicht auszusprechen, dann tat er es aber doch.

„Oh, nichts. Eigentlich. Ich wundere mich nur darüber, ob das bei euch Menschen so üblich ist. Also, sich trotz einer Partnerin mit anderen Weibchen zu vergnügen. Wir Harpyien sind monogam, wenn wir den einen Partner fürs Leben gefunden haben. Es gibt niemanden daneben.“

Dieses Lodern in den Augen der Harpyie gefiel ihm nicht, ebenso wenig wie dessen unverschämten Worte. Den Partner fürs Leben, huh? Es war nicht so, dass er von Anfang an vorgehabt hatte, Ehebruch zu begehen, aber seine Situation ließ nichts anderes zu. Doch wieso sollte er das einem Dämon erklären? Es ging diesen nichts an.

„Mich interessiert nicht, was deine…Rasse zu tun pflegt und meine Ehe ist meine Sache.“

Trotz seiner harschen Worte setzte er sich dem Dämon gegenüber, da er nun sowieso nicht würde schlafen können. Nicht, nachdem der andere die Beziehung zu seiner Frau angesprochen hatte. Musste der Vogel einem alles ruinieren? Leider reichte der Alkohol nicht aus, um alle Gefühle zu betäuben.

„Ich bin doch bloß neugierig!“, beharrte der Dämon wie ein bockiges Kind. „Ich meine, vor einigen Tagen warst du noch daheim, bei Frau und Kindern – zu denen du anscheinend kein gutes Verhältnis hast – und nun kommst du wieder und stinkst nach Alkohol, süßem Parfüm und fremdem Schweiß. Da fragt man sich halt…warum? Warum hast du eine Partnerin, wenn du sie nicht ehrst? Wenn sie so einfach zu ersetzen ist?“

Die Fragen erzürnten ihn, nicht nur, weil der andere so dreist war, sondern auch, weil sie alte Wunden aufrissen. Dabei hatte er sein schlechtes Gewissen doch ein für alle Mal begraben.
 

„Weil sie mich nicht will“, knurrte er und funkelte den Dämon wütend an.

Dieser blinzelte ihn an, schien von seiner Ehrlichkeit überrumpelt – und Enji kam der Gedanke, dass der Alkohol wohl seine Zunge lockerte. Verdammt. Er hätte gar nichts antworten sollen. Die Kreatur konnte das doch sowieso nicht nachvollziehen.

„Aber…ihr habt einander doch gefunden? Auserwählt. Oder nicht? Ich meine, irgendwas muss euch doch zusammengeführt haben, weswegen ihr eine Bindung eingegangen seid?“, kam es verwirrt von diesem.

Enji rief sich die unverschämten Worte, die der Dämon ihm im Onsen entgegengeschleudert hatte, erneut ins Gedächtnis. Vielleicht hatte dieser ihn gar nicht provozieren wollen. Vielleicht war es tatsächlich dieses Unverständnis gewesen, mit dem er ihm gerade jetzt wieder begegnete.

„Unser Stand. Wir sind beide aus gutem Hause gewesen und unsere Eltern haben diese Entscheidung für uns getroffen. Es ist meine Pflicht gewesen, zu heiraten und Nachkommen zu zeugen, damit unsere Linie nicht ausstirbt“, erwiderte er schroff, woraufhin der andere stutzte.

Für einige Sekunden wurde Enji mit einem Blick bedacht, der ihm missfiel. Er konnte ihn nicht ganz deuten, aber dieser Ausdruck…konnte nichts Gutes bedeuten.

„Aber das kann doch nicht klappen?“, kam es schließlich entsetzt zurück. „Wenn ihr das bloß nach…einem Titel entscheidet, dann fehlt doch das Wesentliche! Was ist, wenn dir ihr Geruch nicht gefällt? Oder ihr deiner nicht? Eure Seelen müssen doch im Gleichklang schlagen? Eure Kräfte harmonieren? Wie sollst du wissen, dass sie die Richtige ist, wenn du das alles nur davon abhängig machst, woher sie kommt? Oder ob sie ein Weibchen ist, das deine Jungen austragen kann? Für die meisten von uns Dämonen ist das Geschlecht gar nicht von Bedeutung. Ob Männchen oder Weibchen ist nicht relevant, wenn alles andere passt.“

Das Geschwafel des Dämons ergab für ihn ebenso wenig Sinn wie die Gepflogenheiten der Menschen offensichtlich für diesen. Kein Wunder, sie waren eben von Grund auf verschieden. Warum unterhielt er sich überhaupt mit diesem? Aber das so einfach auf sich sitzen zu lassen, konnte er auch nicht.

„Du redest Unsinn!“, grollte er. „Was interessiert mich der Geruch?! Das ist einerlei! Man heiratet, zeugt Kinder und arrangiert sich.“

Der Dämon maß ihn mit einem Blick, der deutlich machte, was er davon hielt.

„Deswegen bist du auch immer so gut gelaunt und ausgeglichen“, brummte dieser mit gewisser Ironie. „Und weil du so glücklich mit deiner arrangierten Ehe bist, musst du Freudenhäuser besuchen.“

„Schweig!“, zischte Enji diesen an. „Glück spielt keine Rolle! Meine Ehe ist meine Pflicht! Und das andere verstehst du nicht! Wie auch? Wer würde schon mit einer Bestie wie dir verkehren wollen?“

Das Letzte war vielleicht zu heftig gewesen. Er sah dem Dämon an, dass dieser für einen Moment getroffen war, schon allein, weil nicht direkt ein frecher Spruch folgte. Enji wollte sich nicht schuldig fühlen, aber dessen Ausdruck wog doch auf seinem Gewissen.

„Ah, wenn du keine Argumente mehr hast, wirst du fies, eh?“, meinte der Dämon leise und zog die Decke bis zum Kinn hoch. „Und auch, wenn ich dir gar nichts beweisen muss, hab ich sehr wohl schon mal Verkehr gehabt. Sogar mit Menschen. Tse.“

Er schaute ihn dabei nicht mehr an, blickte missmutig auf seine krallenbesetzten Füße. Enji fragte sich, ob es wirklich eine positive Erinnerung sein konnte, denn es wirkte nicht so. Sein Stolz verbat ihm, danach zu fragen, aber sein Gewissen drängte ihn. Musste er sich für seine Worte entschuldigen?
 

„Du etwa nicht?“, gab er stattdessen angefressen zurück. „Dir passt mein Verhalten nicht, also kritisierst und beleidigst du mich. Wer gibt dir das Recht dazu?“

Der Dämon blieb für einige Sekunden stumm, dann hob er langsam den Blick. Anscheinend hatte Enji Recht, denn er widersprach nicht sofort. Tief atmete sein Gegenüber durch, zuckte dann mit den Schultern.

„Na schön“, gab er nach. „Das war vielleicht auch nicht ganz fair. Trotzdem musst du mich nicht dauernd wie ein dummes Monster ohne Empathie behandeln.“

Zweifellos tat Enji das, das konnte er nicht leugnen. Wie auch nicht? Er hatte Dämonen nie als etwas anderes betrachtet und jetzt damit anzufangen, fühlte sich falsch an. Andererseits hatte der andere ihn und sein Kind vor dem Tode bewahrt, also unterschied er sich wohl von den anderen Kreaturen. Er verfügte über Intelligenz und laut seiner eigenen Aussage ebenso über…Gefühle.

Möglicherweise lag es am Alkohol, aber das Eingeständnis des Dämons drängte ihn dazu, seinem Beispiel zu folgen. Daher atmete er ebenfalls durch, straffte die Schultern.

„Gut. Das war…in Anbetracht der Tatsachen…auch nicht fair von mir“, gestand er und zögerte bei seinen nächsten Worten. „Wenn du…willst, erzähl mir davon. Es scheint keine sonderlich gute Erfahrung gewesen zu sein.“

Verdutzt sah ihn die Harpyie an.

„Eh, du…willst was über mich wissen? Wirklich? Du solltest öfter trinken, wenn du dadurch zu einem netteren Menschen wirst…“

„Entweder du erzählst oder ich gehe schlafen. Entscheide dich und hör auf, meine Geduld zu strapazieren!“, blaffte er ihn an, woraufhin sich der Vogel bis zur Nase unter der Decke versteckte.

„Jaja…nicht so böse“, nuschelte er und seufzte leise.

Dann schob er den Kopf wieder unter der Decke hervor, schien zu überlegen, wo er anfangen sollte. Enji fragte sich wirklich, was für ein Mensch sich mit einem Dämon einließ. Ja, die Harpyie war ansehnlich, wirkte auf den ersten Blick wie ein hübscher Jüngling, doch diese blutroten Flügel konnte doch niemand übersehen? Geschweige denn diese unnatürlichen Augen mit der Musterung oder dessen spitze Ohren? So gesehen war er schon gespannt auf die Geschichte, auch wenn er es nicht zugegeben hätte.
 

„Das ist schon eine halbe Ewigkeit her“, begann der Dämon schließlich. „Ich war damals noch nicht ausgewachsen, aber da wir etwas langsamer altern…ich denke, ich war ungefähr 15 oder 16. Nach euren Maßstäben. Ja, ich denke, das kommt hin. Jedenfalls war ich auf der Jagd – ich glaube, ich habe damals so eine entlaufene Ziege durch den Wald gehetzt – und plötzlich habe ich gebratenes Fleisch gewittert. Das hat meine Neugierde geweckt, weshalb ich die Ziege habe laufen lassen und dem Geruch gefolgt bin.“

Enji hob skeptisch eine Braue, blieb aber still. Nur kurz sah er zu ihren Reisegefährten, die jedoch einige Meter von ihnen entfernt friedlich zu schlafen schienen. Gut so, er wollte nicht, dass sie dachten, er hätte Interesse am Leben des Dämons. Er wandte sich Besagtem wieder zu.

„Es waren drei Jünglinge auf der Durchreise, ungefähr im selben Alter und volltrunken vom Wein. Als ich mich ihnen vorsichtig näherte, luden sie mich direkt zu sich ans Feuer ein. Damals waren meine Flügel noch kleiner und ich trug einen Umhang bei mir, um sie zu verstecken. Sie erkannten mich nicht als Dämon, sodass sie mich wie einen ihrer Art behandelten. Ich verstehe nicht viel davon, aber sie meinten, dass sie diese Reise machen würden, um zum Mann zu werden. Irgendwelche Aufgaben erledigen und sowas.“

Der Dämon wirkte immer noch nicht so, als sei es sonderlich angenehm, sich diese Erinnerung zurückzurufen. Im Gegenteil, sein Ausdruck zeigte Bitterkeit.

„Es floss noch mehr Wein, da sie eine dieser Aufgaben erfüllt hatten. Ich weiß nicht mehr, um was genau es ging, aber…sie haben irgendwann angefangen, sich gegenseitig zu berühren. Es war faszinierend und für mich vermutlich weniger schockierend als für die meisten Menschen. Wie gesagt, wir Dämonen machen unsere Vorlieben nicht unbedingt am Geschlecht fest.“

Enji musste schlucken, als ihn der Dämon mit einem unerwartet intensiven Blick bedachte, der ihn schaudern ließ. Wahrscheinlich die unterdrückte Scham darüber, dass er Jünglingen nicht abgeneigt war, obwohl es verpönt war. Aber das konnte der andere unmöglich wissen…nicht wahr?

„Ich wollte den Umhang nicht ablegen, aber das musste ich auch nicht, und sie waren so betrunken, dass sie es nicht gemerkt haben. Vielleicht wollten sie es in dem Moment auch nicht merken oder fanden den Nervenkitzel im berauschten Zustand toll. Ich bin mir da nicht sicher. Aber es war…schön. Ich glaube, ich habe mich…da das erste Mal gewollt gefühlt. Keine Menschen, die schreiend vor mir weglaufen oder mich umbringen wollen. Ich war…einfach nur ein Junge. Einer von ihnen. Die ganze Nacht. Und es war so verdammt schön, dass ich dachte, dass ich meinen Platz vielleicht endlich gefunden habe. Menschen, mit denen ich zusammenleben könnte, die tolerieren, dass ich nicht wie sie bin.“

Enji schnürte es unweigerlich die Kehle zu, denn es war genau das, was er fühlte, wenn er das Bordell besuchte. Wenn er mit Yu schlief, die ihm sagte, was für ein Mann er war. Wenn sie vorgab, sich nach ihm zu sehnen, und nach dem Akt mit ihm. Gewollt zu sein…diesen Wunsch kannte er. Zufall? Berechnung? Nein, der Dämon konnte bestimmt keine Gedanken lesen. Das wäre ihm dann doch früher aufgefallen?
 

„Bis zum Morgengrauen“, fuhr die Harpyie mit monotoner Stimmlage fort. „Dann wurden sie wach, erkannten, was ich bin, und jagten mich in ihrer Furcht und Abscheu zum Teufel.“

Er sah ihn dabei nicht länger an, sondern fixierte einen Punkt in der Ferne, und Enji konnte nicht verhindern, dass es ihn traf. Dieser traurige Blick berührte etwas in ihm, das nicht sein sollte. Mitleid mit einem Dämon…unfassbar.

Und trotzdem war der Schmerz des anderen beinahe greifbar, sodass ihm schier die Worte fehlten. Er wollte nicht nachtreten, aber er konnte ihn auch nicht aufmuntern, schließlich wäre das der blanke Hohn gewesen, so oft, wie er den anderen aufgrund seiner Rasse verurteilte. Unschlüssig blickte er diesen an, stutzte, als sich langsam ein aufgesetztes Lächeln auf den Lippen des Dämons bildete.

„Nun, immerhin habt ihr mich diesmal nicht weggejagt. Das ist doch schon eine Verbesserung meiner Situation, was?“, scherzte er mit weniger Elan als sonst. „Schon klar, dass ich hier nicht mehr willkommen bin, wenn ich wieder auf den Beinen bin…aber das bisschen Gesellschaft ist mehr, als ich erwartet habe. Dachte eigentlich, du wartest nur drauf, dass ich schlafe, und hackst mir dann den Kopf ab oder so. Rammst mir einen Bolzen durchs Herz. Das Übliche halt.“

Enji schnaubte daraufhin, blickte ihn finster an.

„Ich habe meine Gründe, schlecht von dir zu denken, Dämon“, brummte er. „Aber ich bin kein ehrloser Mann. Dein Leben für meines und das meines Kindes. Auch wenn es mir nicht gefällt, so begleiche ich meine Schulden. Meine Vorurteile kann ich jedoch nicht einfach ablegen.“

Sein Gegenüber lächelte schief.

„Vielleicht ja irgendwann?“, fragte er hoffnungsvoll. „Du hast vorher auch nicht gedacht, dass dir ein Dämon den Hintern retten würde. Du wolltest kein Wort mit mir wechseln und jetzt kennst du sogar die Geschichte über meine Entjungferung. Wenn das mal kein Meilenstein in unserer Beziehung ist, Rotschopf.“

Enji funkelte die Harpyie an.

„Scheinbar geht es dir gut genug für dumme Sprüche…“

„Aww, sag das nicht! Ich bin immer noch angeknackst und sage das doch nur, um die Stimmung ein bisschen aufzuheitern!“

Enji beobachtete, wie der Dämon mit der heilen Schwinge schlug, diese dabei aus der Decke befreite. Abrupt fragte er sich, wie lange sie hier eigentlich schon saßen und miteinander sprachen. Es war spät und die Müdigkeit zerrte allmählich an seinem Geist.

„Wer hat dir überhaupt die Wache aufgetragen?“, überging er dessen Worte und rieb sich übers Gesicht.

„Tja, scheint, als würden deine beiden Gefährten darauf vertrauen, dass ich sie nicht auffressen will. Ich meine, das ergibt ja auch wenig Sinn, so gut wie ihr euch um mich kümmert.“

„Ah ja.“

Enji warf ihm einen zweifelhaften Blick zu, war jedoch überrascht, als die Harpyie diesen so intensiv erwiderte. Er erinnerte ihn an einen Raubvogel, der seine Beute fixiert hielt – was jedoch nicht zu der Behauptung des Dämons passen wollte, dass er sie eben nicht als solche sah. Der Dämon schaute ihn nicht zum ersten Mal auf diese Weise an und ihm erschloss sich die Bedeutung nicht.
 

„Ich werde es dir gern noch einmal versichern, auch wenn du meinen Worten nicht glaubst“, hörte er ihn sagen. „Ich reiße keine Menschen. Das habe ich nie. Nicht, um mich zu nähren. Aber gegen Angriffe setze ich mich zur Wehr, denn ich lasse mich nicht widerstandslos umbringen.“

Der Dämon bleckte kurz die spitzen Zähne, als wolle er seinen Standpunkt verdeutlichen, ehe er weitersprach.

„Ich habe ebenso schlechte Erfahrungen mit deiner Art gemacht wie du mit meiner. Trotzdem versuche ich, mit euch auszukommen. Das ist für mich auch nicht immer einfach, aber was bringt es mir, euch wahllos zu töten? Das ändert nichts an meiner Situation, verschlimmert sie vielleicht sogar.“

Er schüttelte den Kopf, wobei die zerzausten, blonden Haare herumwirbelten.

„Halte dir das vor Augen. Vielleicht schläfst du dann ruhiger in meiner Nähe.“

Bei den letzten Worten klang der Dämon erschöpft, so als sei er es leid, sich erklären zu müssen. Es war nicht so, als würden dessen Worte irgendwas ändern. Mögliche Lügen wurden dadurch nicht aus dem Weg geräumt, allerdings erwischte sich Enji dabei, wie er mit der Harpyie sympathisierte.

Lächerlich, wenn er darüber nachdachte, denn sie beide verband nichts. Nur weil dieser sich danach sehnte, erwünscht zu sein, und Enji ebenfalls…

Vielleicht war es genau diese Tatsache. Dass er dieses Gefühl kannte und es ihn daher mürbe machte. Er wollte das nicht, aber er konnte es auch nicht leugnen. Verdammt.

Tief atmete Enji durch, versuchte, seine Gedanken zu ordnen, ehe er etwas darauf erwiderte.

„Wir werden sehen“, gab er knapp zurück und erhob sich. „Wenn du sowieso schon die ganze Zeit Wache hältst und noch so viel plappern kannst, mach dich nützlich und tu es weiterhin.“

Obwohl er es ruppig wie immer äußerte, sah ihn der Dämon verdutzt an. Ein kleiner Vertrauensbeweis. Enji wusste nicht, ob er würde schlafen können, wenn er sich auf den gefiederten Jüngling verlassen musste. Er würde es versuchen, trotz seines inneren Widerwillens.

„Ja…mach ich…“, kam es irritiert von dem Dämon. „Schlaf deinen Rausch aus.“

Ein schiefes Grinsen lag auf dessen Lippen, doch das Funkeln in dessen bernsteinfarbenen Augen – freute er sich? Einerlei, dachte sich Enji, während er sich wortlos abwandte und sich zu seinem Lager begab. Sich auf einen Dämon zu verlassen...das war einfach absurd.

Auch, als er sich hingelegt hatte, die Decke über seinen Körper zog, fiel ihm das Einschlafen schwer. Zu viele Gedanken in seinem Kopf, die ihn nicht ruhen lassen wollten – und der Blick des Dämons, der ihn zu verfolgen schien. Das würde eine lange Nacht werden…

Das Wiedersehen

Die nächsten zwei Tage wurde Toshinori das Gefühl nicht los, dass er etwas verpasst hatte. Genau genommen, seit Enjis nächtlichem Besuch im Freudenhaus, den er eigentlich nicht guthieß. Ehebruch war nichts, das er befürwortete, auch wenn die meisten Männer es nicht so eng damit zu sehen schienen. Jedenfalls hatten sie schon des Öfteren mit anderen Kriegern auf der Durchreise getrunken und diese hatten die Freudenmädchen trotz Eherings nicht verschmäht. Für ihn selbst ein Unding, schließlich war Treue doch ein wichtiger Aspekt in einer Beziehung. Andererseits, wenn er so an Enji dachte, heirateten vermutlich nicht alle aus Liebe, und infolgedessen passierten solche Dinge dann vielleicht. Er konnte keine Erfahrungen in diesem Bereich vorweisen, also hielt er sich heraus, wenn er nicht explizit nach seiner Meinung gefragt wurde.

Dass sein Freund nach einem Besuch in solch einem Milieu besser gelaunt war, war keine neue Erkenntnis, jedoch benahm er sich auch Hawks gegenüber weniger feindselig. Zu behaupten, dass Enji dem Dämon gegenüber keine Vorbehalte mehr hatte, wäre zu viel des Guten, aber er unterließ unnötige Anfeindungen. Hawks selbst war zwar frech wie eh und je, doch er schlief auch viel, schien seine Kräfte für seine Heilung zu benötigen.

Toshinori konnte nicht verhehlen, dass er begann, den Dämon gern zu haben. Je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, umso natürlicher fühlte sich dessen Gegenwart an. Wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, zweifelte er nicht länger an Hawks‘ Absichten. Dieser hatte Enji bereits zweimal das Leben gerettet – einmal ohne dessen Wissen – und ebenso dem kleinen Shouto. Was für eine List sollte das sein, die den Dämon beinahe sein Leben gekostet hatte? Sie hätten ihn des Misstrauens wegen töten können, damit hätte er also nichts gewonnen. Nein. Warum auch immer Hawks trotz seiner dämonischen Herkunft das Herz am rechten Fleck hatte – es musste so sein.

Wie hatte Aizawa einmal gesagt? Warum sollte es nicht auch unter den Dämonen solche und solche geben – wie auch bei den Menschen? Apropos Aizawa…Toshinori war sich nicht sicher, doch er musste ihn mit irgendetwas verärgert haben. Anders konnte er es sich nicht erklären, dass der ohnehin schon recht stille Mann plötzlich so wortkarg zu ihm war.

Das war schade, denn er genoss es, sich mit diesem zu unterhalten. Es war nicht so, dass Enji als Weggefährte keine Herausforderung darstellte, doch sie waren seit Jahren Freunde. Aizawa war zwar oft ähnlich negativ eingestellt, aber er hatte dennoch eine andere Sicht auf die Welt. Toshinori fühlte sich durch seine ungeschönten Worte nicht beleidigt – im Gegenteil, es reizte ihn, mehr über den verschlossenen Einsiedler herauszufinden.

Allerdings wollte er ihn ebenso wenig bedrängen, weswegen er das Thema erstmal nicht ansprach. Ohnehin kamen sie ihrem Ziel immer näher und sie mussten sich bald überlegen, wo sie Hawks unterbringen konnten. Da der Dämon immer noch nicht ganz fit war, wollten sie ihn weder sich selbst überlassen, noch ihn ins Dorf mitnehmen. Würde ihn jemand erkennen, konnte das für sie alle vier böse enden.
 

„Wären seine Flügel nicht so verdammt riesig und auffällig, wäre es einfacher“, knurrte Enji, der Feuersturm am Zügel durch den Wald führte.

Sie hatten ihre Habseligkeiten in den Satteltaschen des Fuchses verstaut, während Hawks wieder über Morgensterns Rücken hing. Er tätschelte seiner Stute den Hals, hielt ihre Zügel locker in der Hand. Hinter ihm schnaubte Hawks beleidigt.

„Tut mir ja echt leid, dass euch meine Flügel solche Umstände machen…“

„Hmpf.“

Toshinori schwieg einen Moment, ehe er über seine Schulter zu dem Dämon sah, dessen Flügel gerade unter der Decke versteckt waren. Dennoch sah man natürlich ein paar rote Federn darunter hervorschauen.

„Enji hat leider Recht, Hawks. Es birgt ein gewisses Risiko, dich in ein Dorf mitzunehmen.“

Er sah der Harpyie den Unwillen an, doch es war nun einmal die Wahrheit.

„Also lasst ihr mich hier irgendwo schutzlos zurück? Was ist mit deinem Versprechen, Rotschopf? Was ist, wenn Menschen vorbeikommen und mich erledigen? Oder andere Dämonen? Weil sie meine Schwäche riechen? Was wenn-“

„Davon hat überhaupt keiner was gesagt!“, blaffte Enji diesen an.

„Es ist aber die logische Konsequenz“, bemerkte Aizawa, der ein paar Schritte hinter ihnen ging.

„Wenn Ihr keinen besseren Vorschlag habt, dann schweigt doch einfach still, Aizawa“, grollte Enji genervt.

Der dunkelhaarige Mann schaute ihn ohne jede Regung an, ließ sich von den Worten nicht provozieren, als er erneut das Wort erhob.

„Vielleicht habe ich den?“, gab er ruhig zurück. „Ich könnte mit ihm an der Grenze zum Dorf warten und dafür sorgen, dass ihm nichts passiert, während Ihr euren Auftrag erledigt.“
 

Für ein paar Sekunden sagte keiner von ihnen etwas. Dann blieben sowohl Toshinori als auch Enji stehen und wandten sich zu ihm um. Auch Hawks hatte ihm den Kopf zugedreht, wirkte nicht minder irritiert.

„Also, auch wenn das ja nett gemeint ist – ich will mich nicht trennen. Die kämpfen gegen einen Dämon! Da brauchen sie bestimmt unsere Hilfe! Wir sind doch keine Kameradenschweine!“, empörte er sich, woraufhin Aizawa eine Braue hob.

„Ich-“

„Davon abgesehen, dass Ihr es kaum mit einem Dämon oder einem Mob Dörfler aufnehmen könntet“, fuhr Enji abfällig fort.

„Wie könnt-“

„Ich bin ebenfalls dieser Meinung, Aizawa-san“, wandte Toshinori ernst ein. „Wir lassen weder Euch noch Hawks zurück. Wir müssen einfach die bestmögliche Entscheidung für unsere Gruppe treffen.“

Man sah Aizawa an, dass es ihm absolut nicht passte. Anhand des zornigen Funkelns in den dunklen Augen rechnete Toshinori bereits mit Widerspruch, doch stattdessen knurrte der andere nur etwas Unverständliches und schritt einfach an ihnen vorbei.

Neben ihm stieß Enji ein Schnauben aus, während sie beide dem Einsiedler nachsahen.

„Er ist heute noch unausstehlicher als sonst“, bemerkte sein Freund.

Toshinori beließ es bei einem stummen Nicken, wollte sich nicht hinter Aizawas Rücken dazu äußern. Das gehörte sich einfach nicht.

„Oi, was auch immer unseren Freund gebissen hat“, fiel Hawks in ihr Gespräch ein. „Wieso versuchen wir nicht, eine Hütte irgendwo abseits für die Unterbringung zu bekommen? Dann bleibe ich da den Tag über und nachts, wenn es eh dunkel ist, schleichen wir gemeinsam herum und suchen nach Hinweisen! Na? Wie klingt das?“

„Nach einer leichtsinnigen Aktion“, brummte Enji, doch Toshinori unterbrach ihn, bevor er weitersprechen konnte.

„…die wir aber überdenken sollten, da wir keine bessere Idee haben. Nicht wahr?“

Er lächelte den Rothaarigen an, welcher daraufhin abermals schnaubte und mit den Schultern zuckte.

„Von mir aus. Behalten wir es im Hinterkopf“, meinte er bloß und hielt kurz inne.

Mit grimmigem Blick ließ er Feuersturms Zügel los und stellte sich neben die Harpyie, um die Decke über die Federn zu ziehen. Hawks sah ihn im ersten Moment erstaunt an, dann gurrte er erfreut.

„Aww…so fürsorglich, Rotschopf~!“

„Klappe. Ich hab nur keine Lust, dass du uns Probleme machst“, knurrte Enji und trat dann wieder zu Feuersturm, welcher aufmerksam die Ohren gespitzt hielt.

„Was auch immer du sagst“, zwitscherte Hawks, was Toshinori zum Schmunzeln brachte.

Nun, Hawks‘ Flügel waren die eine Sache, die Klauen jedoch eine ganz andere und da er immer noch über Morgensterns Rücken hing, waren diese auch nicht so leicht zu übersehen. In Schuhe würden diese Füße nicht passen, sie aufgrund der Klauen gar zerfetzen. Aber gut, vielleicht war der Vorschlag mit der abgeschiedenen Hütte ja doch nicht so schlecht.

Sein Blick glitt zu Aizawa, der schon ein Stück vorausgegangen war, woraufhin er leicht an Morgensterns Zügeln zog und mit dieser folgte. Sie würden ja sehen, was sich vor Ort ergab.
 

Sie waren kaum eine weitere halbe Stunde unterwegs, als Hawks plötzlich ruckartig den Kopf hob und einen unangenehm schrillen Laut ausstieß. Nicht nur Toshinori zuckte heftig zusammen, auch die beiden anderen erschraken und fuhren zu ihm herum. Die Pferde rissen plötzlich wiehernd an den Zügeln, sodass sie diese nur mit Mühe vom Scheuen abhalten konnten.

„Was zum…spinnst du?!“, zischte Enji den Dämon zornig an, doch dieser starrte zu einem Punkt in der Ferne.
 

Seine Pupillen waren wieder schlitzförmiger, wie es der Fall war, wenn er jagte.

„Etwas kommt auf uns zu – wir müssen den Pfad verlassen! Sofort!“, kam es hektisch von Hawks. „Los!!“

„Was? Aber wieso-“

„Macht schon!!“, fiel ihm die Harpyie mit Nachdruck ins Wort, doch es war bereits zu spät.

Etwas sprang mit einem lauten Quieken aus dem Dickicht, riss Aizawa, der vor ihnen ging, beinahe um, doch gerade noch rechtzeitig machte das panische Tier einen Schlenker zur Seite. Zu Aizawas Glück, denn die Hauer des Wildschweins hätten ihm ernsthafte Wunden zufügen können. Das Tier war anscheinend nicht aggressiv, denn es lief nicht frontal auf sie zu, sondern stürmte seitwärts an Toshinori vorbei, der reflexartig zu seinem Schwert gegriffen hatte. Er fühlte Erleichterung, dass es nichts Schlimmeres war, und wollte sich gerade nach dem dunkelhaarigen Einsiedler erkundigen, als Hufgetrappel den Boden erbeben ließ…und Toshinori begriff, dass es nicht das Wildschwein gewesen war, vor dem Hawks sie gewarnt hatte.

Im selben Moment flog ein Pfeil wie aus dem Nichts hervor und landete vor ihnen im Boden, was sie alle zum Anlass nahmen, zu ihren Waffen zu greifen. Wenn das ein Überfall war, würden diese Männer ihr blaues Wunder erleben, so viel stand fest. Die fünfköpfige Gruppe zu Pferde raste in einem Tempo auf sie zu, das Toshinori zuerst befürchten ließ, sie würden sie niedertrampeln wollen – doch dann zügelten sie ihre Pferde, brachten diese zum Stehen.

„Oh mein Gott! Seid Ihr verletzt?!“

Die Frage klang ehrlich besorgt und kam von einem jungen Mann mit ungewöhnlich hellem Haar, das im Licht bläulich schimmerte. Seine gebräunte Haut stand dazu im starken Kontrast, ebenso wie die Narbe, die sich über seiner Nase befand. Dunkelblaue Augen schweiften von einem zum anderen, was Toshinori flau im Magen werden ließ – wenn diese Männer Hawks als das erkannten, was er war, würde sie das in Schwierigkeiten bringen. Vor allem da die teure Kleidung des Mannes und dessen offensichtliches Gefolge darauf schließen ließ, dass dieser einen höheren Rang innehatte.

„Ich habe Sensoji noch gesagt, dass er nicht einfach schießen soll“, fuhr der Mann fort, als keiner von ihnen antwortete.

Einer der hünenhaften Krieger neben ihm schnaubte bloß, schien sich keiner Schuld bewusst zu sein.

„Das hätte in der Tat ins Auge gehen können“, knurrte Enji, woraufhin der blauhaarige Fremde schief lächelte.

„Umso mehr freut es mich, dass Ihr wohlauf seid und nichts-“

Toshinori runzelte die Stirn, als der Mann verstummte und mit einem Mal seine Augen aufriss, den Blick dabei auf Aizawa gerichtet. Erst jetzt fiel ihm auf, wie blass der Einsiedler war…und wie verkrampft er dort stand. Beinahe so, als…fürchtete er sich?

„Shouta? Bist…du das etwa?“, kam es zögerlich von dem Fremden und er stieg von seinem Pferd.

Solch einen Ausdruck hatte Toshinori bisher nicht von Aizawa gekannt und mit einem Mal kam ihm dessen Vorschlag, mit Hawks zurückzubleiben, in den Sinn. Konnte es sein, dass es dabei nicht um die Harpyie gegangen war? Das würde jedenfalls erklären, warum Aizawa aussah, als würde er am liebsten weglaufen. Da war etwas Schmerzhaftes in dessen Blick, das Toshinori beunruhigte. Hatte er ein Problem mit diesem Mann? Mussten sie Aizawa helfen? Was war vorgefallen?

Als der Blauhaarige auf den Einsiedler, der immer noch still blieb, zuging, griff er reflexartig an seine Seite, legte die Finger an sein Schwert. Sofort taten es ihm die vier Männer gleich und er fühlte Enjis Hand auf seiner Schulter, die ihn warnte, vorschnell zu handeln. Dieser hatte natürlich Recht, doch er hatte Aizawa geschworen, ihn zu beschützen – das galt nicht bloß für Dämonen. Sie waren immerhin Mitstreiter.
 

Womit Toshinori nicht gerechnet hatte, war, dass der Fremde plötzlich die Arme um Aizawa schlingen und ihn in eine innige Umarmung ziehen würde. Enjis Hand glitt von seiner Schulter, während sie beide verwirrt zu der Szene sahen, die sich vor ihnen abspielte. Denn Aizawa wehrte sich nicht dagegen, sondern ließ sich widerstandslos umarmen, was völlig unüblich für den sonst so abweisenden Mann schien. Auch die Krieger wirkten offensichtlich irritiert davon, dass ihr Herr den Einsiedler zu kennen schien. Sogar recht gut, wenn man bedachte, dass er ihn mit seinem Vornamen ansprach und so vertraut berührte.

„Du meine Güte, wie lange ist das her? Es müssen Jahre sein! Schau, wie alt wir geworden sind und…oha!“

Der Fremde hielt nun Aizawas Schultern fest und drückte ihn ein Stück von sich, um ihn zu betrachten, wobei seine Augen leuchteten.

„Du musst dich dringend rasieren, mein Freund!“, meinte dieser lachend. „Und mir deine neuen Freunde vorstellen! Ihr seid natürlich alle eingeladen! Freunde von Shouta sind meine Freunde!“

Aizawa öffnete den Mund, doch anscheinend fehlten ihm die richtigen Worte, sodass er bloß einen flüchtigen Blick in ihre Richtung warf. Was war nur mit dem sonst so schlagfertigen Mann los, dass dieser aussah, als wäre er in der Situation gefangen?

„Entschuldigt bitte, wie unhöflich von mir! Mein Name ist Shirakumo Oboro und mir gehören diese Ländereien. Fühlt Euch daher willkommen und kommt gern mit uns. Ihr scheint eine lange Reise hinter Euch zu haben – und verzeiht die Frage, aber geht es Eurem Freund dort hinten nicht gut? Wir haben erstklassige Heiler in meinem Schloss.“

Sowohl Toshinori als auch Enji stutzten und sie starrten den Mann an, ehe sie den Kopf vor diesem neigten.

„Ihr seid…Shirakumo-sama? Dann stammt der Auftrag also von Euch?“, hakte Toshinori noch einmal nach. „Yagi Toshinori und Todoroki Enji. Wir wurden hergerufen, um den Überfällen im Dorf nachzugehen.“

„Oh! Na, das trifft sich doch wunderbar!“, rief Shirakumo freudig aus. „Ein weiterer Grund, dass Ihr mich begleiten solltet! Dann kann ich Euch direkt über die neusten Geschehnisse aufklären und Ihr könnt Euch zudem stärken. Und mir erzählen, wie Ihr Shouta kennengelernt habt.“

Er zwinkerte ihnen zu, während er den Dunkelhaarigen immer noch hielt, so als würde er fürchten, dass dieser sonst verschwinden würde. Nun, bei Aizawas finsterer Miene war das nicht weit hergeholt, doch scheinbar resignierte er.

Toshinori tauschte einen Blick mit Enji, welcher wohl dasselbe dachte wie er selbst; wie sollten sie Hawks ins Schloss kriegen, ohne dass jemand bemerkte, was er war? Das konnte nicht gut gehen. Wenn sie jedoch ablehnten, war das gleichermaßen unhöflich und verdächtig, sodass diese Möglichkeit gleichsam wegfiel.
 

„Unser Freund hat eine seltene Hautkrankheit“, wandte sich Aizawa plötzlich an den Blauhaarigen, welcher die Stirn runzelte. „Sie ist nicht ansteckend, schmerzt und entstellt ihn jedoch, weswegen er sich nicht gern ansehen lässt. Es wäre daher gut, wenn wir ungesehen mit dir kämen…und er sich ein wenig ausruhen könnte.“

Shirakumo stockte kurz, sah von Aizawa zu Hawks, welcher sich möglichst vermummt und seine Beine angezogen hatte, um nicht enttarnt zu werden. Einen besseren Vorschlag hätten sie jedenfalls nicht machen können. Fragte sich nur, ob ihnen Shirakumo glaubte…

„Das tut mir schrecklich leid“, kam es von diesem und Toshinori atmete innerlich auf. „Selbstverständlich werden wir es so halten.“

„Vielleicht solltet Ihr voranreiten und Euren Leuten Bescheid geben“, schlug Enji vor. „Nicht, dass sie sich über uns wundern.“

Shirakumo neigte den Kopf seitlich, schien zu überlegen, ehe er die Faust in die Handfläche schlug und sie breit angrinste.

„Da habt Ihr Recht! Sensoji, reite mit den Männern vor! Ich rücke mit Shouta und seinen Freunden nach – weit ist es ja sowieso nicht mehr.“

„Aber…Ihr…was ist mit Eurer Sicherheit?!“, kam es verdutzt von dem Hünen, woraufhin Shirakumo abwinkte.

„Ich kann auf mich aufpassen. Davon abgesehen können wir den beiden trauen. Todoroki und Yagi…die Namen sind mir in der Tat geläufig. Also zieht zum Schloss vor und gebt bereits die Räumlichkeiten in Auftrag.“

Es klang keine Bitte in den Worten mit, was deutlich machte, wer hier das Sagen hatte. Nun, da Shirakumo ein Fürst war, wunderte Toshinori dies nicht – auch wenn der junge Mann ansonsten recht locker wirkte. Er fragte sich, wie Aizawa diesen kennengelernt hatte – und ebenso, wie sie hatten Freunde werden können. Zumal ihm dessen Verhalten immer noch zu denken gab. War Shirakumo gar nicht so freundlich, wie er vorgab zu sein? Warum hatte Aizawa diesem aus dem Weg gehen wollen? Etwas musste vorgefallen sein…allerdings hatte der Einsiedler eingelenkt, war bereit, mitzukommen. Das hätte er doch nicht getan, wenn ihnen tatsächlich Gefahr drohte?

Toshinori versuchte, einen Blick mit seinem Kameraden zu tauschen, doch dieser wich ihm aus. Nun gut, er würde später mit ihm unter vier Augen sprechen, um zu erfahren, was das alles zu bedeuten hatte.

„Also dann…wollen wir?“, riss ihn Shirakumo aus den Gedanken, ein aufforderndes Lächeln auf den Lippen.

Toshinori erwiderte es schief, während die Männer bereits davon galoppierten.

„Sicher.“
 

Obwohl Shirakumo ein redseliger Typ Mensch zu sein schien, respektierte er anscheinend Grenzen – zumindest, was Hawks anging. Er hatte den vermummten Dämon kurz angelächelt und ihm versichert, dass dieser ihm ebenfalls willkommen war, ehe er das Gespräch auf sie drei fokussierte.

Hauptsächlich auf Aizawa, der mit ernster Miene neben ihnen ging und keinen Hehl daraus machte, wie sehr ihm das alles missfiel.

„…Ihr habt euch also bei einer Dämonenjagd kennengelernt? Das klingt aufregend!“, kommentierte Shirakumo die Geschichte des Wurmdämons.

Toshinori hatte wohlweislich sowohl Hawks als auch diverse Details weggelassen, die sie verdächtig hätten machen können. Dieser Mann musste nicht zu viel wissen, doch da er ebenfalls ein übernatürliches Problem zu haben schien, hielt er sie immerhin nicht für Spinner. Die blutleeren Leichen klangen nicht nach einem menschlichen Mörder.

„Du bist heute bestimmt noch besser mit dem Bogen als damals, hm?“, wandte sich Shirakumo an Aizawa und stupste diesen leicht mit der Schulter an.

„…kann sein.“

„Haha, immer noch so bescheiden! Als wir jung waren, konnte ihn keiner schlagen, wisst Ihr? Aber ich war dafür fähiger mit dem Schwert!“

Toshinori blickte ihn mit gewisser Neugierde an.

„Ihr seid zusammen aufgewachsen?“, erkundigte er sich, wobei er hoffte, dass Aizawa ihm der Frage wegen nicht böse sein würde.

„Nicht von Anfang an“, erwiderte der Blauhaarige und überlegte kurz. „Shouta hat mir mal aus der Patsche geholfen, da müssen wir…wie alt gewesen sein? Zehn? Jedenfalls haben ein paar Freunde und ich so eine dumme Mutprobe ausgemacht. Was bei einem Händler klauen, ohne erwischt zu werden. Meine Eltern hätten mich umgebracht, wenn sie davon erfahren hätten. Ohne Shoutas Hilfe hätte ich nicht fliehen können und na ja, ich wollte mich revanchieren und habe ihm unter anderem die Schwertkunst beigebracht.“

„War er damals auch so ein freundlicher Geselle?“, brummte Enji sarkastisch, ignorierte dabei Toshinoris mahnenden Blick.

Shirakumo jedoch nahm es mit Humor, denn er grinste breit.

„Nun, er hat mich einen reichen Blödmann genannt – was denkt Ihr?“

Aizawa schnaubte.

„Du warst ein reicher Blödmann. Ich war bloß ehrlich.“

„Das will ich nicht bestreiten“, kam es schmunzelnd zurück. „Na jedenfalls haben wir uns auf die Weise kennengelernt und sind Freunde geworden. In meiner Position findet man selten wahre Freunde – Ihr als Krieger wisst vielleicht, was ich meine.“

Toshinori entging nicht, wie Enjis Blick für einen Moment zu ihm hinüberflackerte, jedoch sagte dieser nichts dazu, nickte bloß knapp. Ja, ihnen beiden ging es ähnlich. Toshinori musste unweigerlich lächeln.
 

„Ja, in der Tat“, bestätigte er, woraufhin Shirakumo sein Lächeln erwiderte.

„Und warum entscheidet man sich dafür, in einen Wald mit unzähligen Katzen auszuwandern, anstatt der Vertraute eines Fürsten zu sein?“

Von Hawks hinter ihnen ertönte ein Laut, der deutlich machte, dass er Enji am liebsten einen Tritt verpasst hätte. Nun, die Frage war wirklich nicht sonderlich nett ausgedrückt, aber Toshinori konnte ihn nicht permanent zurechtweisen. Zumal der Kern der Frage durchaus interessant war.

„Du bist immer noch so vernarrt in Katzen? Das hätte mir klar sein müssen“, feixte Shirakumo. „Mich wundert es, dass du Sushi damals nicht mit dir genommen hast. Eh, Sushi ist übrigens ein Kätzchen, das wir gefunden und gemeinsam aufgepäppelt haben. Shouta hat sich damals rührend um sie gekümmert!“

„…ihr Zuhause war bei dir“, entgegnete Aizawa knapp, dem das Thema unangenehm zu sein schien.

„So wie deins.“

Auf die ernst gesprochenen Worte hin konnte man erahnen, dass Shirakumo nicht damit einverstanden gewesen war, dass Aizawa gegangen war. Toshinori fragte sich, was vorgefallen war. Es musste doch einen Grund dafür gegeben haben, dass sich Aizawa allein auf die Reise gemacht hatte. Ohne die Katze, die er sicher geliebt hatte…und ohne einen Freund wie Shirakumo, der wohl keinen Wert auf den Rang einer Person legte. Zumal ihm Aizawas Blick zu denken gab; war das Wehmut? Was es auch war, es verschwand jedenfalls im nächsten Moment wieder.

„Ich hatte meine Gründe“, erwiderte er nur, woraufhin Shirakumo seufzte.

„Ja. Das sagtest du damals bereits, auch wenn ich es bis heute nicht verstehe.“

Aizawa schwieg daraufhin, blickte starr auf den Weg vor ihnen. Was ihm wohl durch den Kopf gehen mochte? Shirakumo blies jedoch nicht lange Trübsal, sondern legte ihm die Hand auf die Schulter, ein Lächeln auf den Lippen.

„Wie auch immer, es freut mich, dass du zurück bist – und Freunde gefunden hast!“

„Wir sind n-“

„Auch wenn die Umstände leider recht unglücklich sind. Ich werde Euch beim Essen alles erzählen, was bereits in Erfahrung gebracht wurde.“

Enji gab ein zustimmendes Brummen von sich, während Toshinori nickte. Sie durften nicht vergessen, wozu sie hier waren. Auch, wenn ihn Aizawas Verhalten beschäftigte…
 

Shirakumos Schloss erinnerte Toshinori an das, in dem er selbst aufgewachsen war, nachdem man ihn aufgenommen hatte. Die hohen Mauern hatten damals einschüchternd auf ihn gewirkt und es war ihm zunächst schwer gefallen, sich hinter ihnen wohl zu fühlen. Mit all dem Prunk und der Dienerschaft, die einem jeden Wunsch erfüllte, weil er der junge Herr war. Er hatte sich nie ganz in diese Rolle einfinden können, erledigte auch heute noch lieber alles selbst.

Ihre Räumlichkeiten waren bereits hergerichtet worden, sodass Hawks direkt die seinen bezog. Es war offensichtlich, dass der Dämon nicht am Essen teilnehmen würde. Ein Blick in die bernsteinfarbenen Augen machte deutlich, wie sehr es ihn stresste, unter so vielen Menschen zu sein. Von seinem selbstbewussten Charakter merkte man in dieser Situation nichts mehr, doch dies war nur allzu verständlich. Shirakumo gab sich mit der Ausführung darüber, dass es ihrem Kameraden nicht gut ging, zufrieden und ordnete an, dass man ihm etwas zu essen und zu trinken aufs Zimmer bringen würde.

Nachdem auch die Pferde untergestellt waren und versorgt wurden, machten sie sich kurz frisch und folgten Shirakumo dann in den riesigen Speisesaal, der bereits gefüllt war.

„Oh mein Gott!!“, ließ sie ein Ausruf zusammenzucken. „Ich konnte es gar nicht glauben…du bist es wirklich!! Aizawa!!“

Und bevor irgendeiner von ihnen reagieren konnte, wirbelten grüne Haare durch die Luft und jemand schmiss sich auf ihren Reisegefährten, der ein ersticktes Geräusch von sich gab.

„Es ist so schön, dich wiederzusehen!! Das muss ja Jahre her sein!!“

Shirakumo musste lachen, während Toshinori und Enji verdutzt zu der jungen Frau sahen, die sich Aizawa ohne Scheu an den Hals geschmissen hatte. Eigentlich gehörte sich so etwas nicht, aber der Umgang schien hier generell nicht so förmlich zu sein.

„Darf ich Euch meine Frau vorstellen? Emi.“

Toshinori musterte diese kurz, wobei ihm auffiel, dass sie als Dame des Hauses recht praktisch gekleidet war. Ihre weiße Bluse steckte in einem knöchellangen, dunkelgrünen Rock, der zu ihren Haaren passte, dazu trug sie ein Paar braune Stiefel. Nicht die auffälligen Gewänder einer Fürstin und dies wunderte ihn doch etwas.

„Emi, das sind Yagi Toshinori und Todoroki Enji. Sie sind hier wegen der Vorfälle.“

Die junge Frau ließ von Aizawa ab, welcher sichtlich erleichtert darüber war, und lächelte sie an.

„Es freut mich, Euch kennenzulernen! Und habt Dank, dass Ihr den Weg auf Euch genommen habt, um uns zu helfen. Die Vorfälle häufen sich leider und wir möchten, dass sich die Menschen hier wieder sicher fühlen können. Ebenso wie unsere Familie.“

Sie neigte mit einem warmen Lächeln den Kopf, woraufhin Shirakumo den Arm um sie legte.

„Emi trägt unser erstes Kind in sich“, klärte er sie auf und sein Ausdruck hätte nicht stolzer sein können. „Von daher liegt mir natürlich umso mehr daran, dass diesem Schrecken ein Ende gesetzt wird.“

Toshinori nickte verstehend.

„Natürlich. Unseren Glückwunsch…und unser Versprechen, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, damit diese Morde aufhören.“

Während Enji neben ihm ebenfalls gratulierte und sich Shirakumo und seine Frau bedankten, schweifte Toshinoris Blick kurz zu Aizawa. Dessen Miene wirkte regelrecht versteinert, doch als er bemerkte, dass er ihn ansah, wandte er sich sofort ab.

„Nun denn, lasst uns erst einmal gemeinsam essen. Ihr müsst hungrig und erschöpft von Eurer Reise sein!“, hörte er Shirakumo sagen und sah zu diesem.

Seine Gedanken hingen jedoch bei Aizawa fest. Nein. Etwas war in der Tat nicht in Ordnung. Und er würde noch herausfinden, um was es sich dabei handelte.

Die Offenbarung

Enji konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was dem Einsiedler dermaßen die Laune verhagelt hatte. Es war nicht so, dass ihn dieser Umstand derartig beschäftigte, wie es offensichtlich bei Toshinori der Fall war, doch es nervte ihn. Das Essen war gut, ihr Gastgeber mehr als freundlich und zudem hatten sie es geschafft, den Dämon ohne Skandal ins Schloss zu einzuschleusen. Zumindest noch. Enji befürchtete immer noch, dass das hier gewaltig schief gehen konnte, vor allem da Shirakumo auch beim Abendessen noch mal auf seine fähigen Heiler verwiesen hatte.

Dennoch sah er darüber hinaus keinen Grund dafür, dass der Einsiedler noch unausstehlicher war, als es sonst der Fall war. Nachfragen würde er sicher nicht, schließlich hatten sie keine Zeit für unwichtiges Geplänkel.

Laut Shirakumo und dessen Frau schlug der Mörder in der Nacht zu, entführte hauptsächlich junge Frauen, die dann tagelang als verschwunden galten. Nach etwa einer Woche wurden die blutleeren Leichen schließlich an den unterschiedlichsten Orten abgelegt. Abgesehen von mehreren Einstichen und Bisswunden unversehrt. Nicht einmal sexuelle Gewalt schien ihnen angetan worden zu sein. Was also hatte der Mörder davon, sie ausbluten zu lassen?

Der Gedanke beschäftigte ihn auch nach dem Essen, vor allem da aktuell erneut eine junge Dame vermisst gemeldet worden war. Möglicherweise war sie noch am Leben, was bedeutete, dass sie sich nicht viel Zeit lassen konnten. Sie hatten daher abgemacht, dass sie sich nur kurz auf ihren Zimmern ausruhten und sich anschließend vor dem Schloss trafen, um der Sache nachzugehen.

Enji bezweifelte, dass er in der Lage war, sich auszuruhen, wenn er wusste, dass dies das Todesurteil des Mädchens sein könnte. Dennoch nagte die Erschöpfung an ihm, was es umso ärgerlicher machte. Grimmig starrte er an die Zimmerdecke, während er auf dem Bett lag und die Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte. Shirakumo hatte ihnen Wasser und Wein abstellen lassen, doch Enji würde sich vor dem Auftrag keinen Alkohol zuführen. Nicht, wenn ihr Mörder wahrscheinlich dämonischer Natur war.

Er musste unweigerlich an die Harpyie denken, die der intelligenteste Dämon war, den er bisher getroffen hatte. Und der ihn am meisten Nerven kostete. Neben Aizawa – aber der zählte als Mensch nicht. Enji atmete durch, dann setzte er sich auf und schwang sich aus dem Bett. Nein, so brachte das nichts.

Er griff nach seiner Rüstung und legte sich diese über seinem Gewand an, wobei es für ihn ein Leichtes war, die Bänder selbst zu schnüren. Jahrelange Übung. Er griff nach seinem Schwert und befestigte es an seiner Hüfte, ehe er das Zimmer verließ. Shirakumo hatte gemeint, seine Räumlichkeiten würden neben denen des Dämons liegen. Na, dann würde er mal nach dem Federvieh schauen. Sie konnten ohnehin nicht einfach gehen, ohne diesem Bescheid zu geben.
 

Enji klopfte nicht, sondern betrat das Zimmer, das ebenso eingerichtet war wie sein eigenes, unangekündigt. Die bernsteinfarbenen Augen der Harpyie waren jedoch alles, was er von dieser sehen konnte, so eingewickelt war sie in die Decken auf dem Bett. Auf der Matratze waren die Platten mit dem Essen platziert, doch viel war davon nicht mehr übrig geblieben. Kein Wunder. Die Harpyie war gefräßig.

Als der Dämon ihn erkannte und er die Tür geschlossen hatte, seufzte er erleichtert auf und schob sich die Decke vom Kopf.

„Du bist’s nur, Rotschopf. Meine Güte, jedes Mal bleibt mir fast das Herz stehen, wenn auch nur jemand an der Tür vorbeigeht. Ich denk ständig, gleich kommt jemand mit Fackel und Mistgabel, um mich zu lynchen.“

Enji schnaubte leise.

„Keine Sorge. Zu deinem Glück ist der Herr des Hauses naiv genug, um die Geschichte mit deiner Krankheit zu glauben.“

Er setzte sich kurzerhand in den Sessel, der gegenüber dem Bett stand, wobei er jedoch das Schwert auf dem Tisch ablegte. Die Harpyie legte den Kopf schief, musterte ihn einige Augenblicke nachdenklich, ehe sie nickte.

„Ja. Scheint so. Das war eine gute Idee von Aizawa. Bin immer noch überrascht, dass er wirklich mit einem Fürsten befreundet ist – und dann noch mit einem, der ein zweiter Toshi sein könnte, findest du nicht? Die sind beide so kleine Sonnenscheinchen, haha.“

So ganz Unrecht hatte er damit nicht, das musste Enji zugeben, doch er zuckte bloß mit den Schultern.

„Kann sein. Ich bin jedoch nicht hier, um über die beiden oder Aizawa zu sprechen.“

„Schade“, maulte der Dämon, verstummte aber bei seinem stechenden Blick. „Warum denn sonst? Wohl auch nicht, um mir Gesellschaft zu leisten. Traube?“

Er hielt ihm den kompletten Zweig hin, doch Enji winkte ab, woraufhin sich der Dämon diesen im Ganzen in den Mund schob. Was stimmte nur mit diesem Vogel nicht...

Mit aufmerksamem Blick und vollen Backen schaute er ihn abwartend an.

„Wir werden in Kürze losziehen, um das Monster aufzuspüren. Ausgehend davon, dass die Leichen blutleer mit Bissen und Einstichen gefunden werden, glaube ich nicht an ein menschliches Wesen. Die Leute sind sowieso schon panisch und wenn sie dich entdecken, werden sie dich für das Monster halten. Wir können dich dann nicht länger schützen. Hast du das verstanden?“

Der Dämon hörte für eine Sekunde auf zu kauen, dann schluckte er den Inhalt seines Mundes herunter. Etwas flackerte in seinem Blick auf, das Enji nicht deuten konnte.
 

„Du willst mir sagen, dass ich hier bleiben und euch nicht helfen soll.“

„Ja.“

Enji suchte seinen Blick, vernahm sehr wohl den Widerwillen darin.

„Hier stimmt was nicht, Rotschopf“, murrte die Harpyie. „Ich kann keinen Dämon wittern, sehr wohl aber das Blut, das die Straßen und Felder in der Umgebung tränkt. Hier ist etwas Schreckliches passiert – oft. Meine Instinkte warnen mich, seit wir diese Ländereien betreten haben. Und es ist viel zu nah. Wie kannst du also glauben, dass ich hier in aller Seelenruhe sitzen und euch damit allein lassen werde?“

„Weil ich es dir sage“, knurrte Enji zurück. „Du bist immer noch verletzt und daher nicht zu gebrauchen. Toshinori und ich haben auch vorher ohne dich überlebt und diesmal haben wir noch den Einsiedler dabei. Auch wenn ich keine hohe Meinung von ihm habe, so ist er nützlich.“

Der Dämon schien etwas sagen zu wollen, doch dann zögerte er. Er presste kurz die Lippen aufeinander, schien eine patzige Antwort herunterzuschlucken.

„Warte hier auf uns, bis wir zurück sind, und halte dich bedeckt.“

Die Harpyie senkte trotzig den Blick, war zweifellos nicht damit einverstanden. Dennoch war es die richtige Entscheidung. Es würde nur unnötiges Chaos verursachen, wenn der blonde Jüngling mit ihnen kam.

„Wenn euch etwas passiert, bin ich wieder allein“, murmelte er und klang niedergeschlagen. „Und wenn mich hier jemand als das erkennt, was ich bin, versuchen sie mich zu töten. Das hier ist kein Ort für mich.“

„…früher oder später wird das-“

„Ja, das ist mir bewusst“, fuhr ihm der Dämon dazwischen. „Ich weiß, dass ich nur so lange ein Teil eurer Gruppe bin, wie ich noch verletzt bin. Ich…die letzten Tage waren einfach schön für mich. Ich habe es so verdammt satt, ständig allein zu sein. Nur zu überleben. Ich meine…wofür, wenn es niemanden gibt, mit dem ich reden kann? Obwohl du Dämonen verabscheust und jagst, hast du mir zugehört. Mir hat so lange niemand zugehört, aber ihr…sprecht mit mir. Du hast keine Ahnung, was mir das bedeutet, Rotschopf. Du bist ein geachteter Mann in deiner Gesellschaft, aber ich bin nirgendwo gern gesehen. Nicht mal bei meinesgleichen.“

Enji wusste nicht, was er dazu sagen sollte; hatte der Dämon tatsächlich solche Angst, dass sie nicht zurückkommen würden? Sicher, ausgeschlossen war so etwas nie, aber sie hatten aus gutem Grunde bis heute überlebt. Zumal es ihn irritierte, wie sehr sich der Dämon an sie band, obwohl Enji bloß eine Schuld beglich. Mehr war das hier nicht…oder?

Doch. Er sprach es nicht aus, denn er hätte lügen müssen, wenn er behauptet hätte, dass er dem Dämon gegenüber nicht inzwischen positiver gestimmt wäre. Selbst ein sturer Mann, wie er es war, konnte nicht ignorieren, dass der Dämon in zu vielen Situationen darauf verzichtet hatte, ihnen Schaden zuzufügen.

Er haderte mit sich, sah dem Dämon dabei in die bernsteinfarbenen Augen.

„Wir beißen so schnell nicht ins Gras“, meinte er schließlich schroff. „Also hör auf, dich wie ein anhängliches Haustier aufzuführen. Das ist unnötig. Es ist ja nicht mal klar, dass wir überhaupt eine Spur finden, also bleib hier, ruh dich aus und genieß das Essen. Wir kommen hierher zurück.“

Der Dämon wirkte nicht sonderlich besänftigt, doch begriff er scheinbar, dass er keine Wahl hatte. Wenn er nicht fliegen konnte, konnte er ihnen auch nicht unbemerkt folgen. Enji zögerte einen Moment, dann überwand er sich und legte dem blonden Jüngling die Hand auf die Schulter, drückte diese.

„Verstanden?“, fragte er mit Nachdruck.

Der andere blickte ihn für mehrere Sekunden verdutzt an, fixierte seine Hand und sah wieder zu ihm zurück. Dann nickte er, wenn es ihn auch Überwindung zu kosten schien.

„Lass dich nicht töten, Rotschopf.“

Die Harpyie lächelte schief und Enji löste seine Finger langsam.

„Gleichfalls. Verhalte dich ruhig.“

Und mit diesen Worten erhob er sich und nahm sein Schwert wieder an sich, bevor er das Zimmer verließ.
 

Wie erwartet standen Toshinori und Aizawa bereits am Tor, als er die über den Graben, der ringsherum um das Schloss lag, platzierte Brücke passierte. Enji fragte sich unweigerlich, welchen Narren Toshinori an dem Einsiedler gefressen hatte, denn scheinbar versuchte dieser mit ihm über sein Verhalten zu reden. Vermutlich der typische Helferkomplex seines Freundes.

„…nichts an. Lasst es einfach gut sein. Wir haben schwerwiegendere Probleme“, hörte er Aizawa brummen, der den Blick zur Seite gewandt hatte.

Anhand von Toshinoris Ausdruck erschloss sich ihm, dass sich dieser gerade einen Korb eingefangen haben musste. Selbst schuld, wenn man es nicht lassen konnte, sich einzumischen.

„Deswegen sollten wir los“, meinte er, bevor Toshinori etwas erwidern konnte.

Beide Männer drehten sich zu ihm um, schienen ihn bis eben nicht bemerkt zu haben.

„Was ist mit Hawks?“, fragte der Blonde mit gewisser Skepsis in der Stimme.

„Ich hab ihm gesagt, dass er hier bleiben und auf uns warten soll. Er bringt uns nur in Schwierigkeiten, wenn man ihn entdeckt…und außerdem ist er noch nicht geheilt.“

Toshinori nickte zustimmend und selbst Aizawa schien ausnahmsweise keine Einwände zu haben.

„Gut, dann gehen wir runter ins Dorf.“

Auf Toshinoris Worte hin setzten sie sich auch in Bewegung, wobei sie den kurzen Weg zu Fuß gingen. Die notwendige Ausrüstung trugen sie ohnehin am Körper, von daher wäre es nur mit Umständen verbunden gewesen, die Pferde erneut unterstellen zu müssen.

„Shirakumo meinte, das Mädchen sei gestern in den späten Abendstunden verschwunden. Sie wollte nur frisches Wasser aus dem Brunnen holen…und kam nie zurück“, murmelte Aizawa vor sich hin.

Enji schnaubte.

„Und keiner will was gesehen haben, huh?“

„Nein“, kam es einsilbig von dem Einsiedler, der ein Stück vor ihnen ging.

Toshinori seufzte leise.

„Hoffentlich finden wir irgendwelche Spuren am Brunnen. Falls nicht, wäre Hawks‘ guter Geruchssinn vielleicht doch eine Hilfe…“

„Er hat gemeint, dass er nichts wittern kann“, entgegnete Enji daraufhin. „Keinen Dämon jedenfalls. Er hat nur davon gesprochen, dass hier etwas Schreckliches passiert und die Erde blutgetränkt sei…oder sowas in der Art. Nichts, was wirklich weiterhilft.“

„Die…Erde?“, wiederholte Toshinori ungläubig und verzog das Gesicht. „Bei Gott, hoffentlich finden wir das arme Mädchen…“

Aizawa äußerte sich dazu nicht mehr, sondern schien in seinen Gedanken versunken zu sein. Nun, wenn er aus Hawks‘ kryptischen Worten eine nennenswerte Information gewinnen konnte, würde er ihm wohl zum ersten Mal seit ihrer gemeinsamen Reise eine gewisse Anerkennung zollen müssen.
 

„Und? Schon was entdeckt?“

Enji trat hinter Aizawa, der vor dem Brunnen kniete und behutsam die Erde unter seinen Fingern abtastete. Mittlerweile waren die Dörfler vom Marktplatz, wo sich der Brunnen befand, verschwunden und in ihre Hütten eingekehrt. Ein funkelnder Blick über die Schulter traf ihn, doch Enji reckte bloß herausfordernd das Kinn.

„Ich hätte es Euch in dem Fall bereits mitgeteilt. Seid versichert“, knurrte er gereizt und wandte sich wieder dem Boden zu. „Überdies sind hier seit gestern Nacht sicher wer weiß wie viele Leute langgelaufen – das macht es nicht gerade einfacher.“

„Da habt Ihr wohl Recht“, hörten sie Toshinori sagen, der den Brunnen nach Spuren absuchte.

Enji blieb einfach, wo er war, während er die Umgebung im Auge behielt. Wenn sie alle ihre Deckung vernachlässigten, waren sie vielleicht schneller tot, als sie reagieren konnten. Bestimmt würde ihn die bescheuerte Harpyie zur Strafe im Jenseits heimsuchen. Was der Dämon gesagt hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Sah dieser sie als Freunde an? Nur weil sie mit ihm ein paar Wörter gewechselt hatten? Der musste ja ziemlich verzweifelt sein.

Andererseits…konnte man es ihm verdenken, wenn es stimmte, was dieser erzählt hatte? Enji mochte zwar in der Gesellschaft geachtet sein, doch was zum Beispiel seine Familie anging, war er kein angesehener Ehemann und Vater. Nein, er verstand viel zu gut, was der Dämon hatte sagen wollen.

Innerlich seufzte er stumm; er machte sich viel zu viele Gedanken deswegen. Was interessierten ihn die Gefühle des Dämons…es war, wie er gesagt hatte, ihre Wege würden sich wieder trennen. Sein Blick glitt kurz zum Vollmond, der ihnen in der mittlerweile eingekehrten Dunkelheit zumindest genügend Licht spendete. Würde sich ihnen der Mörder überhaupt zeigen? Keiner von ihnen war eine junge Frau und daher fielen sie alle aus dem Beuteschema.

„An den Steinen klebt Blut.“

Sowohl Enji als auch Aizawa hoben den Kopf, als Toshinori die Stille durchbrach. Dieser hatte sich über den Brunnen gebeugt und deutete auf den Rand.

„Es ist nicht viel...aber wenn es von der Vermissten stammt, hat sie sich vielleicht gewehrt.“

Aizawa trat neben ihn, besah sich die blutigen Schlieren und nickte dann langsam.

„Die Spur ihrer Schritte verliert sich hier, soweit ich das erkennen konnte. Sie kam her und nie wieder zurück. Was auch immer ihr aufgelauert hat, muss sie hier geschnappt haben…doch es gibt keine Schleifspuren. Bloß verschiedene Abdrücke von Schuhen.“

Enji schnaubte.

„Also lautet Euer Fazit wie?“

„Dass unser Entführer entweder stark genug ist, eine Frau in Sekundenschnelle bewusstlos zu bekommen und fortzutragen…oder dass er ähnliche Fähigkeiten wie Hawks besitzt.“

„Ihr meint, dass er des Fliegens mächtig ist.“

Aizawa nickte daraufhin, wirkte immer noch nachdenklich.

„Auch wenn es mich wundert, dass Hawks keinen Dämon wahrnehmen konnte“, fügte er hinzu, woraufhin Enji mit den Schultern zuckte.

„Falls wir uns darauf verlassen können.“

„Zweifelt Ihr immer noch an seinen Absichten?“, kam es beinahe genervt von dem Einsiedler.

„Ich schließe bloß nichts wegen irgendwelcher Sympathien aus.“

Toshinori hob beschwichtigend die Hände, die blauen Augen ernst auf sie beide gerichtet.

„Wir sollten nicht über Hawks‘ Ehrlichkeit uns gegenüber diskutieren. Das bringt uns nicht weiter. Wichtiger ist es, das Mädchen schnell zu finden und einen weiteren Mord zu verhindern.“

„Und wie sollen wir das ohne nennenswerte Spuren machen?“, ranzte Enji ihn an, woraufhin sein Freund wohl keine Antwort wusste.
 

„Wir lassen es auf einen Versuch ankommen.“

Beide Krieger wandten sich dem Einsiedler zu, welcher plötzlich einen kleinen Dolch aus seinem Gewand zog.

„Was habt Ihr mit dem Zahnstocher vor?“, spottete Enji, wovon sich Aizawa jedoch nicht beirren ließ.

Stattdessen schob er seinen Ärmel hoch, wo ein blasser und zum Teil vernarbter Unterarm zum Vorschein kam.

„Etwas austesten“, murmelte der Einsiedler und zog sich kurzerhand die Klinge durchs Fleisch, wobei er recht weit oben ansetzte.

„Aizawa-san! Das ist viel zu tief, Ihr werdet noch verbluten!“, kam es entsetzt von Toshinori, doch der andere Mann schien seine Sorge nicht zu teilen.

Dickflüssig tropfte sein Blut auf den Boden unter ihnen, wo es im Boden versickerte. Enji ahnte, was er damit bezwecken wollte, doch ob dies auch funktionierte, war fragwürdig. Dennoch…sein Blut für die Sache zu opfern, empfand er als mutig.

Ein paar Minuten lang standen sie nur da und warteten, doch als nichts passierte, riss Toshinori ein Stück seines eigenen Ärmels ab.

„Das reicht nun“, entschied er und schnappte sich Aizawas Arm. „Es ist ehrenhaft von Euch, dass Ihr Euer Blut opfert, doch wenn Ihr noch mehr verliert, wird es Euch noch schaden.“

„…seid nicht so übertrieben besorgt“, brummte der Einsiedler, ließ sich aber verbinden.

Enji beobachtete, wie sich der provisorische Verband schnell rot färbte; dementsprechend war Toshinoris Sorge wohl nicht unbegründet. Wenigstens würde der stramm angelegte Stoff die Blutung fürs Erste stoppen.

„Dann seid Ihr nicht so übertrieben stur!“

Nicht nur Enji war verdutzt über den eindringlichen Tonfall des Blonden sowie das Funkeln in dessen blauen Augen. Hatte es der Einsiedler etwa tatsächlich geschafft, Toshinori an den Rand seiner heiligen Geduld zu bringen? Es war schon amüsant zu sehen, wie der Einsiedler nicht wusste, was er dazu sagen sollte.

„Nun…wie auch immer. Gebracht hat es wohl nichts“, meinte Enji nur und machte ein paar Schritte vom Brunnen weg.

Jedenfalls bis ihn ein plötzlicher, scharfer Windzug innehalten ließ. Er fuhr direkt wieder herum und auch die anderen beiden wirkten alarmiert. Dieses Gefühl…das hatte er sich nicht eingebildet oder? Dann weiteten sich Toshinoris Augen mit einem Mal und er fixierte etwas, das wohl hinter ihm war. Er drehte sich um und spürte gleichzeitig den Schmerz, als sich etwas Spitzes in seine Seite bohrte, sein Fleisch durchdrang.
 

Er war im ersten Moment wie gelähmt, während er in die gelb leuchtenden Augen des Mannes vor ihm sah. Der Fremde mit den kurzen, violett schimmernden Haaren war kleiner als er und recht schlank unter seiner schlichten, schwarzen Kleidung. Sein Gesicht war regelrecht feminin, die Miene ausdruckslos, während seine Hand mit den gut 20 Zentimeter langen Krallen in seinem Fleisch steckte. Enji ächzte, während er mit einer Bewegung nach seinem Schwert griff und es zog, um den Fremden entzwei zu schneiden. Dieser zog seine Hand zurück und wich dem Hieb aus, indem er einen gewaltigen Sprung zurück machte. Noch bevor er wieder auf dem Boden aufkam, führte er die blutverschmierten Klauen zum Mund, leckte an diesen.

„Mh…auch dein Blut ist sonderbar. Zweifellos menschlich, jedoch anders als die Quelle dieses Geruchs“, hörte er ihn nuscheln.

Enji knurrte, hielt sich die blutende Stelle, die langsam seine Kleidung durchnässte. Allerdings hatte dieses Ding keine wichtigen Organe getroffen – was vielleicht Absicht war. Toshinori war zu ihm geeilt, musterte ihn besorgt.

„Bist du in Ordnung?“

„Ja. Nichts passiert“, erwiderte er zwischen zusammengebissenen Zähnen und funkelte das Monster in Menschengestalt an.

Dieses schien immer noch mit sich selbst zu sprechen, während die Klauen wie durch Zauberei verschwanden, zu menschlichen Nägeln wurden. Konnte das Ding seine Gestalt etwa ändern? Die grausamen Augen richteten sich nun auf Aizawa, der hinter ihnen stand.

„Ich muss es wohl probieren, um mir Klarheit zu verschaffen. Es wird mich nicht in Ruhe lassen. Das ist schließlich der Grund, warum ich hier bin, obwohl ich wusste, dass es eine Falle ist.“

„Was bist du?!“, zischte Enji, doch der Dämon beachtete ihn gar nicht.

„Vielleicht probiere ich euch alle drei“, redete er einfach weiter. „Zwar ist es riskant, mich so offen zu zeigen, aber wenn ihr alle tot seid, gibt es keine Mitwisser mehr. Normalerweise…“

Ein Bolzen flog zwischen ihnen hervor, direkt auf das Monster zu – anscheinend hatte Aizawa nicht vor, es ausreden zu lassen. Der Dämon jedoch fing diesen und auch die nächsten beiden noch in der Luft, brach sie einfach durch und ließ die Reste zu Boden rieseln.

„…töte ich die Beute nicht sofort, aber ihr werdet mir keine Wahl lassen.“

Und mit dieser Feststellung fuhr er seine Krallen an beiden Händen aus, ehe er zähnebleckend einen Sprung in ihre Richtung machte.

„Verdammte Scheiße!“, entkam es Enji und er blockte den Hieb der einen Hand mit dem Schwert, Toshinori den der anderen.

Der Dämon schaute ihnen unbeeindruckt entgegen, den Blick auf Aizawa hinter ihnen gerichtet. Er gab ohne Vorwarnung nach, sodass sie nach vorn taumelten und der Dämon nun auf den Einsiedler losging. Es klirrte, als dieser Aizawa entwaffnete und am Hals packte, ihn mit nur einer Hand emporhob.
 

„Keine Bewegung…oder ich trenne ihm den Kopf von den Schultern.“

Sowohl Enji als auch Toshinori hielten inne, denn die Klauen gruben sich bereits jetzt in die Haut des Einsiedlers, der ein Röcheln von sich gab. Mit der freien Hand riss der Dämon an dem Verband, schob seine Krallen in die Wunde und bohrte darin herum, was Aizawa stöhnen ließ.

„Lass ihn los!“, kam es wütend von Toshinori, doch er konnte nicht einfach dazwischen gehen.

„Mh…“, machte der Dämon, nachdem er das Blut probiert hatte. „Du bist…wirklich eigenartig. Ich schmecke den Menschen in dir…aber da ist noch etwas anderes…ich kann es nicht zuordnen.“

„Fahr…zur…Hölle“, würgte Aizawa hervor und starrte den Dämon voller Hass an.

„Da war ich bereits, aber d-“

Weiter kam der Dämon nicht, denn er zitterte plötzlich eigenartig, verkrampfte sich dabei und…was war mit Aizawas Augen? Dieses rote Funkeln war keine Spiegelung, oder? Enji hatte keine Zeit, sich länger darauf zu konzentrieren, denn der Dämon ließ den Einsiedler einfach zu Boden fallen, wo er nach Luft schnappend liegen blieb.

Enji vergeudete keine weitere Zeit, ebenso wie Toshinori, als sie den Dämon von hinten angriffen, ihn mit ihren Schwertern durchbohrten. Das Monster japste auf und spuckte einen Schwall Blut, während es so da stand.

„Das war’s“, grollte Enji und drehte die Klinge in dessen Fleisch.

Ein paar Sekunden passierte nichts, außer dass der Dämon dort stehen blieb, den Kopf nach vorn geklappt, als handele es sich um eine Marionette. Er wollte gerade sein Schwert aus dem vermeintlich toten Körper ziehen, als der Kopf zurückschnappte, soweit nach hinten, dass eigentlich das Genick hätte brechen müssen. Weit aufgerissene, gelbe Augen starrten sie an.

„Ihr dachtet, es sei so einfach? Narren.“

„Scheiße!“, entfuhr es Toshinori, als der Dämon nach hinten aushieb und ihnen die Klauen in die Schultern rammte.

Enji biss sich auf die Lippe, um einen Schrei zu unterdrücken, und er riss dem Ding das Schwert aus dem Körper. Toshinori tat es ihm gleich, wollte wie auch er Abstand gewinnen, doch der Faustschlag des Dämons riss seinen Freund von den Füßen, schleuderte ihn nach hinten. Bevor Enji reagieren konnte, hatte ihn das Monster gepackt und zu Boden gerissen. Sein Schwert flog außer Reichweite, während der Dämon seine Krallen nun in beide seiner Schultern rammte und ihn somit festpinnte.

„Du…du bist der Erste, den ich mir gönnen werde. Weißt du, normalerweise besudle ich mich nicht gern mit Blut. Ich mag es gern sauber. Aber dir werde ich die Kehle rausreißen, ehe ich mich an deinem Blut laben werde…“

Enji ächzte, hörte Toshinori zu ihnen herüberbrüllen, doch er wusste, es würde zu spät sein. Scheiße. So würde er enden? Nein, verdammt! In der nächsten Sekunde riss der Dämon seinen Mund auf und die Fangzähne brachen hervor, bereit, sich in ihm zu versenken. Ihn zu töten.
 

Wahrscheinlich wäre das wirklich sein Ende gewesen, wenn in diesem Moment nicht ein viel zu bekannter Schrei ertönt wäre und die Kreatur mit voller Kraft in die Seite getroffen worden wäre. Der Dämon wurde mit so viel Schwung von ihm heruntergeschleudert, dass er regelrecht über den Boden schmetterte. Kräftige Klauen gruben sich neben Enji in die Erde, die roten Schwingen mit jeder einzelnen Feder gesträubt und erneut ertönte dieser schrille Schrei. Eine Drohgebärde. Kein Zeichen von Schwäche mehr.

Enji knirschte, versuchte sich aufzurichten.

„So viel zu deinen Wunden…“, kommentierte er trocken.

„Willst du mir die kleine Übertreibung wirklich übelnehmen?“, kam es mit gewissem Zorn von der Harpyie. „Ohne mein Eingreifen hätte dich der Kerl erledigt.“

Enji schnaubte, warf dann jedoch einen Blick zu Aizawa, der sich wohl gefasst hatte und Toshinori auf die Beine half. Es ging ihnen gut. Immerhin. Er hielt inne, als ein heiser klingendes Lachen von dem Monster kam, welches sich gerade ebenfalls wieder aufrichtete.

„Das war es also…“

Erneut dieses unangenehme Geräusch des Hohns, das Enji nicht verstand. Die Harpyie wohl auch nicht, denn sie verengte die Augen, wirkte angespannt.

„…deswegen schmeckt dein Blut anders. Bei dem Dunkelhaarigen macht es immer noch keinen Sinn, doch du, Harpyie…und der Rothaarige…eine Verbindung durch das Blut.“

Enji begriff nicht, was er damit sagen wollte. Verbindung? Blut? Warum in alles in der Welt sollte er mit dem Vogel so etwas haben? Das ergab keinen Sinn.

„Er ist also dein Gefährte. Deswegen schützt du ihn. Deswegen bist du so wütend, obwohl sie letztendlich doch nur Nahrung für uns sind. Ein menschlicher Gefährte…wie widerwärtig.“

„Was?!“, entkam es Enji, als die Worte endlich bei ihm angekommen waren. „Was zur…das ist doch…“

„Oh? Er weiß es nicht? Hast du ihm unbemerkt dein Blut eingeflößt? Wie hinterhältig…und amüsant“, sprach der unbekannte Dämon weiter.

Die Harpyie blieb stumm. Allein das war verdächtig, doch Enji fiel es immer noch schwer, zu verstehen, was hier gerade behauptet wurde. Er sollte der Gefährte des Dämons sein? Dessen Blut…eingeflößt bekommen haben? Was war das für ein Unsinn? Nein. Wann hätte das passieren sollen…es sei denn…ihm wurde mit einem Mal heiß und kalt. Sein Blick traf Toshinoris…und er erkannte sofort die Schuld darin. Sein Freund war blass geworden und auch Aizawa wirkte zerknirscht. Irgendwas war da hinter seinem Rücken geschehen. Wann? Als ihn der Wurmdämon beinahe getötet hatte? Es war die einzige Möglichkeit, die ihm einfiel. Danach hatte die Harpyie sein Kind gerettet…und ihn vor der Sirene beschützt.

„Du hörst dich gern selbst reden, hm?“, kam es von dem blonden Jüngling. „Ich denke, ich werde das beenden. Das Mädchen, das du entführt hast, wirst du ohnehin nicht freiwillig rausrücken. Ich kenne Gestalten wie dich. Sadisten wie du widern mich an.“

Der fremde Dämon lächelte dünn, dann fuhr er erneut seine Klauen aus und im nächsten Moment stieß sich die Harpyie vom Boden ab, raste im Sturzflug auf ihn zu. Enji fühlte sich wie in Trance, während er zusah, wie die beiden Kontrahenten aufeinander losgingen.

Enji versuchte immer noch, zu realisieren, was hier vor sich ging. Dämonenblut in ihm. Das hatte das Monster doch gesagt? Er hatte…
 

„Enji“, hörte er Toshinori neben sich sagen und fuhr herum.

Sein Freund hatte eine Platzwunde an der Schläfe, hielt sich den linken Arm, den er sich bei seinem Sturz verletzt haben musste. Aizawa dagegen schien den Malen an seinem Hals keine Beachtung zu schenken, denn sein Blick war auf die Harpyie und den anderen Dämon, die erbittert gegeneinander kämpften, fokussiert.

„Ihr habt das zugelassen“, knirschte Enji, der Mühe hatte, seine Wut zu unterdrücken.

Es war nicht die Zeit für Erklärungen und dennoch…er hatte eine verdient, verdammt! Bebend vor Zorn blickte er seinen Freund an und nicht mal der Schmerz seiner Verletzungen konnte diesen mindern.

„Wir wollten…wir wussten nicht, dass es…wir dachten, du stirbst“, erwiderte Toshinori reumütig. „Wir hatten keine andere Wahl.“

Enji ballte die Hände zu Fäusten, ungeachtet dessen, dass durch diese Anstrengung seine Wunden nur noch mehr bluteten. Seine Schultern fühlten sich taub an und er hoffte, dass der Dämon nichts Wichtiges erwischt hatte. Wenigstens konnte er noch alles bewegen.

„Man hat immer eine Wahl und ihr habt-“

„Euer Leben gerettet!“, fiel ihm Aizawa unerwartet heftig ins Wort. „Hawks’ Blut hat Euer Leben gerettet, also seid dankbar und hört auf, Probleme zu machen, wo es keine gibt! Ihr habt keinen Schaden davon getragen, oder? Anstatt Eurem Ärger Luft zu machen, spart Eure Kräfte für den Fall, dass Hawks unsere Hilfe braucht!“

Eben jener stieß in diesem Moment einen weiteren schrillen Schrei aus, der einem das Trommelfell dröhnen ließ, doch auf seinen Gegner schien er keinen Effekt zu haben. Dessen scharfe Klauen hatten der Harpyie bereits mehrere oberflächliche Verletzungen zugefügt, doch diese schien dennoch die Oberhand zu behalten. Es wirkte, als würde er den Blutsauger herumschubsen, traf ihn immer wieder blitzschnell in die Seite, brachte ihm mit seinen Krallen tiefe Wunden bei.

Enji presste die Lippen aufeinander, nicht wissend, wie er sich zu der Ansage äußern sollte. Eigentlich ließ er sowas nicht gern auf sich sitzen, aber andererseits…stimmte es. Darüber mussten sie später reden, nicht in dieser Situation.

Allerdings schien ihr Dämon gut allein zurechtzukommen; von wegen verwundet und nutzlos. Dieser elende Heuchler. Eben jener verpasste dem Monster gerade einen so kräftigen Schlag mit der Schwinge, dass es diesen von den Beinen riss. Bevor er sich fangen konnte, packte die Harpyie ihn mit beiden Fußklauen an seinen Oberarmen und schmetterte ihn rücklings über den Boden. Er pinnte ihn am Boden fest, wie es sein Gegner zuvor mit Enji getan hatte, und bleckte die Zähne, während er auf ihn herabsah.

„Fühlt sich scheiße an, oder?“, gurrte er erfreut und jede Bemühung des anderen, zu entkommen, scheiterte.

„Abschaum!“, zischte der andere Dämon und bleckte ebenfalls die Fänge. „Schande unserer Rasse! Dich mit Menschen einzulassen!“

„Oh, jetzt hast du aber meine Gefühle verletzt“, flötete die Harpyie amüsiert. „Ich werde mich daran zurückerinnern, während ich deine Eingeweide zerpflücke…so als würde ich in einem Obstkorb wühlen~“

Seine roten Flügel spreizten sich, als würden sie seine Vorfreude noch unterstreichen...doch bevor er seinen Worten Taten folgen lassen konnte, schleuderte ihn etwas von dem Blutsauger herunter. Die Harpyie überschlug sich einmal, kam aber sofort wieder zum Stehen, das Gesicht wutverzerrt und die Pupillen schlitzförmig.

Enji traute seinen Augen kaum, als neben dem fremden Dämon plötzlich ein Mann mit halblangen, weißen Haaren stand, der dem anderen auf die Beine half. Mit besorgtem Ausdruck legte er den Arm um ihn, stützte ihn so, ehe er mit hasserfüllter Miene zur Harpyie blickte.
 

„Wie kannst du es wagen, Chisaki auch nur mit deinen dreckigen Klauen anzurühren?!“, zischte er, einer Schlange gleich, die jeden Moment zupacken würde.

„Schon gut, Kurono…er ist es nicht wert“, knurrte Chisaki, offensichtlich erzürnt darüber, sich helfen lassen zu müssen.

Der blonde Jüngling verengte bloß die Augen, seine Haltung zeigte, dass er sich nicht davon einschüchtern ließ, dass seine Gegner zu zweit waren.

„Ihr jagt also als Paar, huh?“, kam es spöttisch von ihm. „Wie süß…ich helfe euch gern dabei, für immer vereint zu sein~“

Und mit diesen Worten machte er einen Ausfallschritt, schien Schwung nehmen zu wollen, um sich auf die beiden zu stürzen. Nicht nur die Harpyie stutzte, als der Dämon namens Kurono berechnend lächelte…auch Enji lief es eiskalt den Rücken herunter. Aus einem Impuls heraus stieß er Toshinori, der immer noch neben ihm stand, grob zur Seite.

In derselben Sekunde traf ihn etwas mit solcher Wucht in die Rippen, dass er wusste, dass mindestens eine gebrochen war. Der Aufprall auf dem Boden presste ihm die Luft aus den Lungen und die Welt begann sich zu drehen.

Er hörte den wütenden Schrei der Harpyie, die hektischen Stimmen um sich herum, während er sich auf das Atmen konzentrierte. Den Schmerz irgendwie…weg atmen. Verdammt. Er spürte, wie ihn jemand mühsam auf den Rücken drehte, und sah in Aizawas blasses Gesicht. Seine Sicht war verschwommen, doch er erkannte Toshinori, der trotz seines verletzten Arms vor ihnen stand, in der Rechten sein Schwert haltend. Scheinbar hatte sich ein dritter Dämon eingefunden – und dieser war ein wahrer Hüne, übertraf sogar sie beide.

„…gut gemacht, Rappa“, drangen die Worte an seine Ohren. „Nun…Pech für euch, dass unsere Art niemals allein jagt. Für heute ist es jedoch genug. Wir sehen uns sicher bald wieder.“

Beim nächsten Blinzeln waren sie verschwunden. Enji knirschte mit den Zähnen, schlug dann Aizawas Hände weg, um sich unter Schmerzen aufzusetzen. Sein Blick glitt suchend über den Platz und er konnte eine gewisse Erleichterung nicht verbergen, als er die Harpyie entdeckte, die der Hüne wohl ebenfalls umgehauen hatte. Die Federn gesträubt, die Zähne gebleckt, stieß sie ein finsteres Grollen aus, schien ihnen folgen zu wollen.

„Hawks, warte! Du solltest ihnen nicht allein folgen!“, rief Toshinori, bevor diese sich in die Luft erheben konnte.

Die bernsteinfarbenen Augen fixierten sie daraufhin zornig.

„Im Gegensatz zu euren Wunden heilen meine schnell. Ich werde sie finden und in Stücke reißen. Ich muss sie finden, bevor ich dem Blutgeruch, der noch an ihnen hängt, nicht mehr folgen kann!“

„Sie sind zu dritt. Sei nicht so verdammt überheblich“, knurrte Enji, dem jeder Atemzug schwer fiel.

Die Harpyie hielt inne, maß ihn mit einem langen Blick.

„Ich werde-“

„Du wirst nicht allein gehen“, kam es auch von Aizawa. „Sie werden ihre Wunden lecken und wiederkommen, nun, da wir von ihnen wissen. Es macht keinen Sinn, dich ihnen allein folgen zu lassen. Ohne dich haben wir keine Chance.“

Stille senkte sich über den Platz, während sie einander anblickten. Man sah dem Dämon an, dass er nicht warten wollte, aber auch keine anderen Argumente mehr hatte. Gerade, als er den Mund wieder öffnete, räusperte sich jemand hinter ihnen.

„Das würde ich so unterschreiben.“

Nicht nur Enji erstarrte, als er Shirakumo erkannte, welcher mit verschränkten Armen dort stand und sie ernst anblickte. Den Dämon fixierte. Zweifellos begriff, was dieser für ein Wesen war. Shirakumo, der nun wusste, dass sie mit einem Dämon im Bunde waren…und der sie alle dafür hinrichten lassen konnte. Als hätte der Abend nicht noch beschissener laufen können…

Die Narben

Es war die denkbar schlimmste Situation, die Toshinori einfiel, als sich Shirakumo zu erkennen gab. Zweifelsohne erkannte dieser, dass sie mit einem Dämon zusammenarbeiteten. Wie sollten sie sich da herausreden? Es gab keine Lüge, die so etwas rechtfertigen würde – und Hawks auszuliefern, war keine Option. Dieser hatte ihnen im Kampf gegen die blutsaugenden Dämonen erneut zur Seite gestanden, war ihnen ein verlässlicher Kamerad gewesen. Nein, sie konnte ihn jetzt nicht im Stich lassen – und zu seiner Überraschung schien Enji das ebenso zu sehen, denn er trat vor den Dämon. Auch Aizawas verbissener Gesichtsausdruck zeugte davon, dass er nicht vorhatte, vor seinem Freund zu weichen. Und Hawks? Dieser schien wie erstarrt zu sein, sah merklich nervös von einem zum anderen, offenbar nicht wissend, wie er sich verhalten sollte. Sein erster Impuls war es vermutlich, die Flucht zu ergreifen, doch gleichwohl schien er sie nicht verlassen zu wollen.

Shirakumo musterte sie vier mit einem nachdenklichen Ausdruck, den Toshinori nicht zu deuten vermochte, dann atmete er hörbar aus.

„Die Hautkrankheit kam mir gleich komisch vor, aber nun…ich habe Shouta vertraut. Ich dachte mir schon, dass es einen guten Grund für solch eine Lüge geben muss – nur habe ich nicht unbedingt erwartet, dass Ihr mit einem Dämon im Bunde seid.“

Enji neben ihm trat vor, auch wenn er keinen sonderlich festen Stand hatte – die Wunden mussten ihm zu schaffen machen.

„Glaubt uns, das haben wir ebenso wenig erwartet…oder gewollt, aber dieser Dämon…ich stehe in seiner Schuld.“

Toshinori nickte zustimmend, sah Shirakumo fest an.

„Ihr habt gut daran getan, Eurem Freund zu vertrauen. Hawks ist unser Kamerad. Ohne ihn wäre einer von uns jetzt vielleicht tot. Doch Ihr müsst verstehen, dass wir Euch nicht die Wahrheit sagen konnten.“

Shirakumo hörte ihnen ruhig zu, die Brauen zusammengezogen. Es hing von dessen Entscheidung ab, was nun passieren würde. Wenn sie fliehen mussten, würde das einen Rattenschwanz mit sich ziehen und bald würden sie sich bestimmt nirgendwo mehr blicken lassen können.

„Willst du nichts sagen, Shouta?“, fragte Shirakumo plötzlich und schaute seinen Freund an.

Dieser schnaubte leise.

„Es wurde alles gesagt. Ob du uns glaubst oder hilfst, ist deine Entscheidung.“

Seine Stimme klang heiser, was vermutlich auch an seinem gequetschten Hals lag. Toshinori war froh, dass nichts Schlimmeres passiert war.

Shirakumo blickte Aizawa an, verzog in den ersten paar Sekunden keine Miene.

„…du hast dich wirklich kein Stück verändert. Nun gut.“

Dann wandte er sich Hawks zu.

„Du solltest ungesehen zurück zum Schloss fliegen. Ich möchte einen Aufruhr vermeiden, wie du sicherlich verstehst. Bleib auf dem Zimmer, bis Ihr erneut loszieht, und halte dich weiterhin bedeckt. Die drei haben nämlich Recht. Wenn du ihnen im Alleingang folgst, töten sie dich noch…und damit hätten wir unsere Geheimwaffe verloren.“

Hawks starrte den Blauhaarigen an, als erwarte er einen Hinterhalt. Tatsächlich zögerte er, flog nicht sofort los, sondern sah hilfesuchend zu ihnen, was ungewöhnlich genug war.

„…Ihr stellt uns eine Falle?“, kam es von Enji, der dies ebenso wenig glauben konnte wie Toshinori.

„Eine Falle? Nein. Glaubt nicht, dass es mir gefällt, einen Dämon so nahe an meine Frau und mein ungeborenes Kind heranzulassen – aber wenn ich die Wahl zwischen einem Freund von Euch und den Mördern meiner Leute habe, fällt mir die Entscheidung leicht. Außerdem vertraue ich Shouta nach wie vor.“

Ein Lächeln zuckte um Shirakumos Lippen, als er seinen Freund ansah, welcher seinen Blick erwiderte.

„Für einen Fürsten bist du viel zu leichtgläubig“, brummte er, woraufhin Shirakumo lachte.

„Meiner Meinung nach ist man kein guter Fürst, wenn man sich auf Vorurteile verlässt und seine Augen verschließt. Nun flieg schon, Dämon…ehe ich es mir noch mal überlege.“

Hawks haderte erneut mit sich, doch dann spreizte er seine Flügel und verschwand in der Dunkelheit. Shirakumo sah ihm kurz nach, ehe er ihnen bedeutete, ihm zu folgen.

„Nun kommt schon, schließlich seid Ihr verwundet. Jemand sollte Euch zusammenflicken, bevor Ihr noch Euren Wunden erliegt und ich mir neue Krieger suchen muss.“

Dem hatte niemand etwas entgegenzusetzen, sodass sie der Aufforderung ohne Widerspruch Folge leisteten.
 

Toshinori fiel es immer noch schwer, zu glauben, dass Shirakumo ihre Verbindung mit Hawks einfach so hinnahm, weil er und Aizawa Freunde waren. Andererseits waren Enji und er zudem ehrbare Männer, deren Hilfe er benötigte, zumal er der Szene von zuvor zumindest teilweise beigewohnt hatte. Dennoch…selbst Enji und er hatten ihr Misstrauen gegenüber Hawks zunächst nicht ablegen können. Dass Shirakumo so schnell dazu in der Lage war, war für Toshinori nicht nachvollziehbar. Doch eine Falle wollte zu dem bisher freundlichen Mann nicht passen.

Ob Aizawa der Sache traute? Er würde später mit diesem unter vier Augen reden, denn dieser kannte Shirakumo am besten.

„Dich ohne deine Wachen rauszuschleichen, war töricht“, bemerkte Aizawa trocken, während sie den Weg zum Schloss passierten.

Der Blauhaarige schmunzelte und warf ihm einen amüsierten Blick zu.

„Vermutlich war es das. Doch ich hatte so ein Gefühl, dass es besser sein würde, allein zu gehen. Du solltest froh darüber sein.“

„…du bist derselbe Narr wie früher“, kam es leise zurück, doch Shirakumo schien sich nicht beleidigt zu fühlen.

„Nun, da ich bisher noch recht lebendig bin, scheint meine Art, die Dinge zu regeln, gar nicht so verkehrt zu sein. Natürlich könnte ich Euch auch alle drei aufgrund des Verbrechens, mit einem Dämon gemeinsame Sache zu machen, einkerkern und hinrichten lassen, ebenso wie besagten Dämon selbst. Doch was würde mir dies bringen? Diese anderen Dämonen wären weiterhin frei, Menschen würden weiterhin sterben…“

„Ehm, wir sind Euch schon sehr dankbar, dass Ihr dies nicht tut“, meinte Toshinori mit einem schiefen Lächeln. „Und wie Ihr sagt, es würde auch nichts im Positiven bewirken.“

„Ja. Hört einfach nicht auf Aizawa. Anscheinend legt er es darauf an, dass Ihr Eure Entscheidung überdenkt…“, fügte Enji hinzu.

Aizawa warf ihnen beiden einen finsteren Blick zu, erwiderte aber nichts darauf, während Shirakumo bloß lachte. Scheinbar kannten sie sich wirklich gut, so gelassen, wie der Fürst auf die Worte reagierte, die doch recht beleidigend waren. Shirakumo musste trotz dessen abweisender Art eine hohe Meinung von ihm haben. Das war wohl ihr Glück.
 

Nachdem sie ins Schloss zurückgekehrt waren, hatte Shirakumo Heiler zu ihnen beordert und sie versorgen lassen. Toshinori entging nicht, dass Enji währenddessen stiller wurde, sich wohl Gedanken über die Sache mit dem Blut machte. Wer konnte es ihm verübeln? Sie hatten es ihm zwar aus guten Gründen verheimlicht und auch nicht gewusst, dass dadurch eine Verbindung entstehen würde, trotzdem war das sicher ein Schlag in den Magen für seinen Freund. Hoffentlich würde Enji verstehen, dass es keine böse Absicht gewesen war, doch ihn jetzt darauf anzusprechen, war vermutlich zu früh. Zumal es fraglich war, ob dieser fremde Dämon die Wahrheit gesagt hatte. Hawks hatte es zwar nicht abgestritten, aber die genaue Bedeutung war nicht eindeutig. Gefährten hatte er Enji und Hawks genannt. War das der Grund dafür, dass Hawks seinem Freund das Leben gerettet hatte? Lag es an der Verbindung durch das Blut? Und änderte das etwas an seinen Taten?

Als Enjis Wunden gereinigt und versorgt waren, wandte sich dieser direkt ab.

„Enji“, ließ Toshinori ihn noch mal innehalten. „Es war…keine böse Absicht. Wir wussten nicht-“

„Ehrlich gesagt, will ich gerade nichts davon hören“, erwiderte sein Freund und klang eher erschöpft als wütend. „Wir reden morgen. Eventuell.“

Und damit verließ er den Raum, verschwand, um auf sein Zimmer zu gehen. Ob er wohl Hawks aufsuchen würde, um die Angelegenheit zu klären? Er würde sich besser erstmal nicht einmischen.

Vor allem, da er noch mit Aizawa, welcher bereits gegangen war, sprechen wollte.
 

Als Toshinori die steinernen Treppen hochstieg und gerade um die Ecke zu ihren Zimmern abbiegen wollte, hörte er leise Stimmen und hielt reflexartig inne.

„…mir sagen können.“

„Ich wusste nicht-“

„Du kennst mich lange genug, um zu wissen, dass du mir vertrauen kannst.“

„…“

„Und wie damals biete ich dir erneut an, hier zu bleiben. Du musst nicht unter Menschen leben, die dich nicht wertschätzen…oder dich in Gefahr bringen, indem du weiter mit den Kriegern reist. Wenn die Arbeit getan ist, steht es dir frei, weiterzuziehen oder an meiner Seite zu bleiben.“

„…“

Die darauffolgende Stille verursachte ebenso wie die Worte ein unangenehmes Gefühl bei Toshinori. So als hätte man ihn mit einem Schwall kalten Wassers übergossen.

„Überlege es dir. Mehr verlange ich nicht, Shouta. Du wärst meine rechte Hand. So, wie ich es schon damals wollte. Du weißt nicht, wie schwer es ist, ehrliche Männer zu finden, die mir den Rücken stärken, mit was sie auch bestochen werden.“

„Oboro…“

„Wie gesagt, ich würde es mir wünschen, aber die Entscheidung liegt allein bei dir.“

„Ich…denke darüber nach.“

„Das freut mich. Dann ruh dich jetzt besser aus und hab eine gute Nacht.“

„Hm…“

Um nicht den Eindruck zu erwecken, gelauscht zu haben, trat Toshinori auf den Gang, wo Shirakumo noch mit Aizawa stand, die Hände auf dessen Schultern gelegt. Etwas daran missfiel ihm, vermutlich die Vorstellung, dass der Einsiedler tatsächlich hier bleiben könnte. Es war ein großzügiges Angebot, das die meisten sofort angenommen hätten. Dennoch…Toshinori hatte sich an Aizawa gewöhnt, sah ihn als einen Teil ihrer Gruppe. Es war lächerlich, doch es fühlte sich an, als würde Shirakumo ihn ihnen wegnehmen. Dabei waren ihm solche Empfindungen eigentlich fremd, denn jeder Mensch sollte das tun, was am besten für ihn war – und sollte er Aizawa solch eine Position nicht gönnen?

„Oh Yagi, Ihr seid es“, wandte sich Shirakumo lächelnd an ihn und löste sich von Aizawa, der plötzlich wieder blass wirkte. „Auch Euch eine geruhsame Nacht. Wir besprechen uns morgen wegen dieser Dämonen.“

„Ja. Natürlich. Habt Dank für Eure Großzügigkeit“, erwiderte Toshinori und versuchte zu lächeln.

„Jederzeit.“

Shirakumo zwinkerte, ging dann an ihm vorbei, woraufhin sich Aizawa abwandte, die Tür zu seinem Zimmer öffnete.
 

„Aizawa-san, wartet.“

Der Angesprochene hielt inne, warf ihm einen monotonen Blick über die Schulter zu. Sein Hals war bandagiert worden, um die verletzte Haut dort zu schützen. So gesehen ging es Toshinori noch am besten, schließlich hatte er bloß einen verstauchten Arm.

„Können wir uns kurz unterhalten?“

Man sah dem anderen Mann an, dass es ihm widerstrebte, dennoch wies er ihn nicht sofort ab, wie die Male zuvor.

„Ihr habt uns belauscht.“

Toshinori räusperte sich auf die Feststellung hin.

„Nun…was soll ich sagen…ja. Aber…ich möchte nicht deswegen mit Euch sprechen. Also nicht nur deswegen.“

Aizawa verengte leicht die dunklen Augen, maß ihn mit einem prüfenden Blick, ehe er schnaubte und ins Zimmer ging. Die Tür ließ er dabei offen, was Toshinori als Einladung verstand, ihm zu folgen. Er schloss die Tür hinter sich, sah sich kurz im Raum um, der ebenso ausgestattet war wie sein eigener. Dann glitt sein Blick zu Aizawa, der sich mit dem Rücken zu ihm ans offene Fenster gestellt hatte und hinaussah.

„Dann redet“, brummte er, ohne sich umzudrehen.

Innerlich seufzte der Blonde, blieb für einige Sekunden unschlüssig im Raum stehen, ehe er sich neben den anderen Mann stellte. Draußen war es immer noch dunkel, doch in wenigen Stunden würde die Sonne aufgehen. Vermutlich waren die Dämonen nachtaktiv. Jedenfalls blieb zu hoffen, dass dies eine potenzielle Schwachstelle sein könnte.

„Aizawa-san, seit wir hierhergekommen sind, benehmt Ihr Euch eigenartig“, begann er, ehe er mit seinen Gedanken noch weiter zu ihrem Dämonenproblem abschweifte. „Ihr habt alles versucht, um diesen Ort nicht betreten…oder Shirakumo-sama nicht begegnen zu müssen. Es wundert mich, denn anscheinend ist er ein gerechter und freundlicher Mann. Er schätzt Euch, das ist kaum von der Hand zu weisen.“

Er bemerkte, wie Aizawa die Lippen aufeinanderpresste und seine Haltung angespannter wurde.

„Was also ist der Grund dafür, dass Ihr ihn wie einen Feind behandelt?“, sprach Toshinori aus, was ihm schon die ganze Zeit durch den Kopf ging. „Was hat er Euch angetan?“

Vielleicht wagte er sich zu weit vor, aber er konnte sich einfach nicht mehr zurückhalten. Wenn Shirakumo nicht der war, für den sie ihn hielten, war es gut, das zu wissen. Wenn da noch eine andere Seite war, die ihnen allen gefährlich werden konnte.

Aizawa reagierte zunächst nicht, dann atmete er hörbar aus und fuhr sich über das Gesicht. Toshinori zweifelte daran, dass er eine Antwort erhalten würde, rechnete viel eher mit einer erneuten Abfuhr – wurde jedoch überrascht.

„Er hat mir nichts…angetan“, erwiderte er missmutig. „Er ist…wie Ihr gesagt habt. Ein gerechter und freundlicher Mann. Er ist…“

An diesem Punkt schüttelte Aizawa den Kopf und ging zum Tisch, auf dem Wein stand, von dem er sich einen Becher füllte und ihn herunterkippte, als handele es sich dabei um Wasser.

„Uhm…“

„Na schön. Damit Ihr endlich Ruhe gebt, werde ich Euch davon erzählen. Danach will ich kein Wort mehr darüber hören, ansonsten lernt Ihr mich kennen. Verstanden?“

Bei dem wütenden Funkeln in Aizawas Augen konnte Toshinori nicht anders, als zu nicken. Der andere schien sich damit zufrieden zu geben und setzte sich in einen der Sessel, während er sich gleich noch einmal nachfüllte. Toshinori setzte sich in den anderen Sessel, spürte das weiche Leder unter seinen Fingern.
 

„Es ist weit weniger...spektakulär, als Ihr denkt, also erwartet keine spannende Geschichte“, brummte Aizawa mit bitterem Unterton, während er in seinen Becher schaute. „Und verschont mich mit jeglichem Geschwätz über Moral.“

Toshinori nickte nur, während er den anderen abwartend ansah; scheinbar fiel es diesem wirklich nicht leicht, wenn er so viel Wein trinken musste. Aizawa nahm einen erneuten Schluck, ehe er zum Sprechen ansetzte.

„Shirakumo und ich haben uns kennengelernt, wie er es erzählt hat. Ich habe das Waisenhaus damals schnellstmöglich verlassen und bin ohne festes Ziel umhergezogen, bis ich ihn traf. Er war…anders als die Menschen, die ich bis dahin kannte. Ich meine, Ihr habt ihn kennengelernt. So war er auch damals. Nur noch schlimmer. Er hat mich in den Wahnsinn getrieben mit seinem kopflosen Verhalten und seiner positiven Art. In gewisser Weise ist er wie Ihr.“

Toshinori blinzelte, wusste nicht, ob das nun eine Beleidigung oder ein Kompliment sein sollte. Sie waren sich ähnlich? Nun, das war wohl nicht von der Hand zu weisen, weswegen er bloß verunsichert lächelte und weiter zuhörte.

„Titel und Rang haben ihn nie interessiert. Wir wurden Freunde und verbrachten Zeit miteinander. Viel Zeit und auch, wenn ich im Schloss nicht gern gesehen war, hat er immer einen Weg gefunden, sich mit mir zu treffen. Er hat schon damals immer davon geredet, dass ich seine rechte Hand sein werde, wenn er Fürst wird. Wir haben viel herumgesponnen.“

Toshinori nickte verstehend.

„Es scheint, als hätte sich seine Meinung nicht geändert. Es ist eine…ehrbare Aufgabe“, gab er zurück, obwohl es ihn gleichermaßen schmerzte. „Ihr könnt Euch sehr glücklich schätzen.“

Definitiv die falschen Worte, auch wenn er es nur gut gemeint hatte. Aizawas Blick sagte ihm, dass er sich kein bisschen glücklich schätzte.

„Meint Ihr, ja?“, murrte er und nahm noch einen Schluck Wein. „Wie gesagt, wir wurden Freunde. Wir wurden älter. Wir trafen uns heimlich, gegen den Willen seiner Eltern. Wir trainierten zusammen, badeten zusammen im See…schliefen zusammen in der verlassenen Scheune, die unser Treffpunkt war.“

Aizawas Blick bohrte sich regelrecht in den seinen.

„Und wir probierten zusammen Dinge aus, die eigentlich verpönt waren.“

Toshinori legte die Stirn in Falten, denn er verstand nicht sofort, was dieser meinte.

„Erst nur ein Kuss. Eine Berührung. Am Anfang war es reine Neugierde, aber dann hat es sich so gut angefühlt, dass wir es häufiger gemacht haben.“

Toshinori schaute ihn an, brauchte einen Moment – dann weitete er seine Augen und spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg. Oh. Oh! Ein seltsames Gefühl, das er nicht deuten konnte, machte sich in seinem Magen breit. Scham möglicherweise?

„Ihr könnt das vielleicht nicht verstehen oder findet es verwerflich, aber für mich war es die schönste Zeit meines Lebens. Irgendwohin zu gehören. Zu jemandem.“

Fand er es verwerflich? Toshinori war sich nicht sicher, denn so, wie Aizawa davon redete, ließ es nur einen Schluss zu.
 

„Ihr habt ihn geliebt“, sprach er seine Gedanken aus und spürte, wie sein Herz raste.

Für jemanden wie ihn selbst, der noch nie so tiefe Gefühle für jemanden empfunden hatte, war das eine recht intime Angelegenheit. Vor allem mit demselben Geschlecht, was als unangemessen galt und lieber hinter verschlossenen Türen abgehalten wurde. Doch war das Geschlecht hierbei wirklich von Belang? Liebe war doch sicherlich nicht daran gebunden – jedenfalls fiel es ihm schwer, dies zu glauben.

Aizawa schnaubte leise.

„Ja. Ich war so dumm“, entgegnete er und griff wieder zum Wein. „Wie Ihr unschwer erkennen konntet, beruhte unsere Zuneigung nicht in diesem Maße auf Gegenseitigkeit. Bloß war mir das damals nicht bewusst. Von daher war es ein recht heftiger Schlag ins Gesicht, als er meinte, dass unsere Treffen nicht mehr auf diese Weise stattfinden könnten. Dass es da ein Mädchen gibt, dem er den Hof machen und das er ehelichen will.“

Toshinori wusste nicht, was er dazu sagen sollte; offensichtlich hatte Shirakumo Aizawa damals das Herz gebrochen. Das musste schmerzhaft gewesen sein. Und prägend.

„Ich denke nicht, dass er es aus Boshaftigkeit getan hat oder dergleichen“, hörte er den anderen murmeln. „Ich bin nicht mal sicher, ob er erkannt hat, dass ich…jedenfalls habe ich versucht, darüber hinwegzukommen. Was nicht funktioniert hat. Also bin ich fortgegangen. Aber na ja, es war nirgends dasselbe. Ihr mögt es aufgrund Eurer positiven und etwas naiven Einstellung zu Euren Mitmenschen verdrängen, doch diese Welt ist ein Haufen Scheiße.“

Mit dieser sehr direkten Feststellung langten Aizawas vernarbte Finger zum wiederholten Male nach der Karaffe mit Wein, doch Toshinori war schneller, schnappte sie sich vor ihm.

„Ich denke, Ihr hattet genügend Wein, Aizawa-san“, meinte er vorsichtig, woraufhin der andere ihn böse anfunkelte.

Wenigstens bestand er nicht auf den Alkohol, sodass Toshinori die Karaffe wieder auf dem Tisch absetzte.

„Jedenfalls, wie ich soeben sagte, sind die Menschen widerlich. Ehebrecher, Vergewaltiger, Mörder, Lügner…um nur einige davon aufzuzählen. Also falls Ihr Euch, wie Euer Freund, fragt, weswegen ich die Gesellschaft von Katzen und das abgeschiedene Leben im Wald vorziehe – sucht Euch etwas davon aus.“

Ja, definitiv genug Wein für heute. Die Reaktion war sogar für einen verletzten Aizawa unerwartet heftig, trotzdem da sicher die Wahrheit drin steckte.

Es tat ihm leid, dass Aizawa in seinem jungen Alter solch eine schlechte Erfahrung gemacht hatte. Anscheinend waren darauf noch viele weitere gefolgt, weswegen es wohl kein Wunder war, dass der Einsiedler oft so negativ eingestellt war.
 

Einem inneren Impuls folgend, räusperte er sich, ehe er sich über die Lehne seines Sessels und den kleinen Tisch beugte, um nach Aizawas Hand zu greifen und diese in seine beiden Pranken zu nehmen. Ein verdutzter Blick traf erst ihre Hände und dann Toshinori, doch wenigstens zog er die seine nicht weg – was vielleicht auch der Menge an Wein zu verdanken war.

„Was Euch widerfahren ist, tut mir Leid, Aizawa-san. Niemand sollte auf solch schmerzhafte Weise zurückgewiesen werden. Egal, ob von einem Mann oder einer Frau. Ich mag nicht viel davon verstehen, aber ich würde niemals jemanden für meinen…Spaß…benutzen und ihn dann fallen lassen.“

Aizawa starrte ihn einfach nur an, was dafür sorgte, dass Toshinori das Blut in die Wangen schoss.

„Also, ich…ich wollte nicht…ich meine, ich wollte…also, Ihr wisst ja, wie ich dazu stehe. Zum Beischlaf und der Ehe und ich…also…was ich meinte, war, dass ich Euch…dass ich niemanden dafür ausnutzen würde. Weil das für mich etwas sehr…Intimes ist, das ich nur mit der Person, die ich liebe, teilen will.“

Hoffentlich klang es nicht so schrecklich peinlich, wie es sich anfühlte. Toshinori bemerkte, dass er immer noch Aizawas Hand in den seinen hielt und er schluckte hart, war spätestens jetzt knallrot. Der andere Mann maß ihn mit einem langen, sehr stechenden Blick.

„Ja. Ihr habt Euren Standpunkt deutlich gemacht. Keine Sorge“, kam es von diesem, ehe er versuchte, seine Hand zu lösen.

Toshinori wusste selbst nicht genau, warum er sie festhielt. Aber er tat es. Tief holte er Luft, sammelte sich kurz.

„Ich will Euch noch sagen, dass ich Eure Gegenwart schätze…und ich es schön fände, wenn Ihr uns weiterhin begleitet. Auch nachdem wir die Dämonen hier unschädlich gemacht haben. Unsere anregenden Diskussionen würden mir fehlen.“

Er grinste schief, hoffend, dass Aizawa verstand, dass er es bloß neckend meinte. Eben dieser wusste im ersten Moment wohl nicht, wie er reagieren sollte.

„Euer Freund würde es wohl eher begrüßen, würden sich unsere Wege trennen.“

Daraufhin musste Toshinori lachen.

„Ach was. Enji würde es nicht zugeben, aber ich denke, Ihr würdet ihm ebenso fehlen. Vorausgesetzt, er verzeiht uns die Sache mit Hawks‘ Blut.“

„Eher nicht.“

Toshinori lächelte daraufhin, ließ nun aber Aizawas Hand los, welcher sie langsam zurückzog.

„Danke, dass Ihr Euch mir anvertraut habt. Das bedeutet mir wirklich viel“, fügte er noch mal nachdrücklich an.

„Nun, Eure Aufdringlichkeit ließ keine andere Lösung zu.“

„Da habt Ihr wohl Recht“, gab er zurück. „Verzeiht, wenn ich Euch vom Ruhen abgehalten habe. Ich werde mich nun zurückziehen und Euch nicht weiter stören. Wir sollten unsere Kräfte schonen, damit wir so schnell wie möglich unsere Pflicht erfüllen können.“

Aizawa schien etwas sagen zu wollen, doch letztendlich nickte er bloß, wich seinem Blick aus.
 

Toshinori drückte dessen Schulter kurz und lächelte den anderen warm an.

„Habt eine angenehme Nacht.“

„Ja…Ihr auch…“

Er spürte Aizawas Blick in seinem Nacken, kaum dass er diesem den Rücken zugewandt hatte, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Wenige Sekunden blieb er vor der Tür stehen, ließ die Geschichte noch einmal Revue passieren. Zumindest musste er nicht mehr befürchten, dass Aizawa hier bleiben würde, und es hatte auch nicht danach geklungen, als würde er ihre Gruppe verlassen.

Bei dem bloßen Gedanken zog sich sein Inneres wieder zusammen. Ja, der andere war ihm wichtig geworden…und es irritierte ihn wie sehr. Waren das wirklich nur freundschaftliche Gefühle, die er für den Einsiedler hegte? Vielleicht verwechselte er da etwas. Er würde sich damit befassen und sich darüber klar werden müssen, was er wollte, wenn sie diese Dämonen unschädlich gemacht hatten. Und was Aizawa wollte. Toshinori war immer noch nicht sicher, ob es gut war, dass er Shirakumo laut Aizawa so ähnlich war. Nicht, wenn Shirakumo solche Narben bei dem Einsiedler hinterlassen hatte.

Innerlich seufzte er, ging dann zu seinem Zimmer. Was für eine schwierige Situation…

Die Kameradschaft

Enji war froh, als er endlich allein auf seinem Zimmer war. Er hatte weder Lust, sich Toshinoris Erklärungen anzuhören, noch sich von Aizawa sagen zu lassen, wie er mit der Situation umzugehen hatte. Aizawa, mit dem offensichtlich irgendetwas nicht stimmte, wenn er so die letzten Stunden Revue passieren ließ. Etwas, das Toshinori entweder absichtlich ignorierte oder…nein, er musste es zweifellos bemerkt haben. Wobei er dessen Zuneigung für den Einsiedler ohnehin nicht nachvollziehen konnte, aber gut, er hatte genügend andere Probleme. Mit denen musste er sich zuerst befassen, auch wenn sein Körper nach Schlaf verlangte.

Seine Wunden waren zwar versorgt worden, dennoch spürte er das schmerzhafte Pochen in seinen Schultern. Dabei war er noch glimpflich davongekommen, wenn er an diese Monster und ihre scharfen Krallen zurückdachte. Ohne Hawks‘ Eingreifen wäre das sicher recht übel ausgegangen, das musste er leider zugeben. Vor allem da diese Dämonen mindestens zu dritt waren.

Trotzdem war es reines Glück, dass Shirakumo ein recht leichtherziger Fürst zu sein schien – andernfalls würden sie nun im Kerker verrotten oder auf der Flucht sein. Keine guten Aussichten.

Enji atmete durch, wankte zum Tisch am Fenster und goss sich einen großzügigen Becher Wein ein. Er setzte diesen an die Lippen, während sein Blick in die Ferne schweifte, wo noch alles dunkel war. Dass diese Bestien immer noch dort draußen waren und dieses arme Mädchen vermutlich gerade aussaugten, ließ ihm schlecht werden.

Er nahm noch einen Schluck, atmete durch und schloss für einen Moment die Augen, während er an die Worte dachte, die der Dämon von sich gegeben hatte. Gefährten hatte er die Harpyie und ihn genannt. Verbunden durch das Blut. Viele Möglichkeiten blieben da nicht und es machte Enji wütend. Ja, vielleicht hatten sie keine Wahl gehabt, vielleicht war es um sein Leben gegangen – dennoch hatten sie für ihn entschieden. Obwohl sie sich sicher hatten denken können, dass Enji eher den Tod gewählt hätte anstelle der Hilfe eines Dämons. Verdammt, sie hatten ihm das Blut der Harpyie eingeflößt! Wie konnte er da nicht außer sich sein? Sich verraten fühlen? Das war doch einfach…
 

„Störe ich?“

Enjis Kopf ruckte hoch, kaum dass er die bekannte Stimme vernahm, und er riss die Augen auf, sah direkt in die bernsteinfarbenen der Harpyie. Diese hockte auf dem Fenstersims und hielt sich mit den Klauen dort fest, dabei schief grinsend.

„Was zur Hölle?!“, entkam es Enji, der beinahe den Wein fallen gelassen hatte. „Bist du des Wahnsinns?! Wenn dich jemand sieht, du…rein da!“

Er packte den Jüngling an der Schulter und zog ihn ins Zimmer, schloss das Fenster hinter diesem. Keine gute Idee, denn sofort machten sich seine Verletzungen wieder bemerkbar. Er knirschte, fasste sich an die rechte Schulter, während er in der anderen Hand noch den Becher hielt.

„Beweg dich nicht so viel. Der olle Blutsauger hat zwar nichts Wichtiges verletzt, aber wenn sich die Wunden entzünden, ist das bestimmt nicht gut“, riet ihm der Blonde, welcher sich dreist auf sein Bett setzte.

„Dass ich mich überhaupt so bewegen muss, ist deine Schuld! Was willst du hier?!“, blaffte er den anderen an, woraufhin dieser eine Schnute zog.

„Jetzt sei mal nicht gleich so böse. Ich hab mir Sorgen gemacht. Du warst ziemlich aufgebracht wegen der Sache mit dem Blut und ich…ich dachte…vielleicht willst du darüber reden. Also, um zu verstehen, was es bedeutet…und so.“

Enji knirschte mit den Zähnen, funkelte ihn an.

„Du denkst wirklich, dass ich mit dir reden will? Nachdem du uns nicht nur belogen, sondern mir auch noch dein Teufelsblut eingeflößt hast?! Gegen meinen Willen?!“

„Um fair zu sein, es war nicht so, dass wir dich um Erlaubnis hätten fragen können“, erwiderte die Harpyie und zuckte mit den Schultern. „Du wärst gestorben. Dieser hässliche Wurm hat dich vergiftet. Mein Blut hat dich gestärkt und das Gift neutralisiert. Hätten Toshi und Aizawa es dir gesagt, wärst du bloß wütend geworden. Es hätte nichts geändert, also hielten sie es für das Beste, es für sich zu behalten. Das hat nichts mit Verrat zu tun, sondern damit, dass du ihnen wichtig bist.“

Enji schnaubte leise. Möglicherweise galt das für Toshinori, doch Aizawa? Daran glaubte er nicht wirklich, wobei es auch keine Rolle spielte.

„Und du? Was hast du davon gehabt, huh? Und jetzt komm mir nicht wieder mit der Nummer, du willst Freunde finden. Wir haben dich gejagt und zu töten versucht! Welche Gründe hattest du, mir dein Blut einzuflößen?!“
 

Bei der direkten Frage schwieg der Dämon zunächst, schien zu zögern. Er schaute ihn sogar für ein paar Sekunden nicht an und es erinnerte Enji daran, dass er schon mal ähnlich auf die Frage reagiert hatte. Was steckte dahinter, dass die sonst so vorlaute Harpyie so kleinlaut war?

„Genau das…ich wollte nicht mehr allein sein und ich…“

Der Jüngling räusperte sich, grub die Klauen in die Matratze, auf der er saß, während Enji auffiel, dass er immer noch stand. Er zog den Sessel näher ans Bett, setzte sich auf diesen und sah den Dämon auffordernd an.

„Und was?“

„Dein Geruch.“

Enji blinzelte.

„Was?“

„Na…dein Geruch. Ich hab dir doch erklärt, wie wir Dämonen ticken. Dass wir unsere Gefährten nach Geruch und Stärke auswählen. Also bin ich euch gefolgt und habe euren Kampf mit dem Wurm beobachtet. Toshi und Aizawa waren nett zu mir, als ich ihnen meine Hilfe angeboten habe, daher habe ich dein Leben gerettet.“

Bei den Worten grinste der Dämon zwar, doch Enji bekam das Gefühl nicht los, dass da noch mehr war. Er verengte die Augen, sah ihm dabei zu, wie er mit seinen Vogelbeinen herumwippte.

„Du sagst mir nicht alles“, stellte er fest.

Der Dämon hielt inne, seine roten Flügel bauschten sich ein wenig mehr auf.

„Tu ich nicht?“, erwiderte er gedehnt.

„Der andere Dämon hat etwas von einer Verbindung gesagt. Die nur wir haben. Weil ich dein Blut...ich will wissen, was es damit auf sich hat.“

Daraufhin schien der blonde Jüngling nicht zu wissen, was er sagen sollte. Was bedeutete, dass Enji Recht hatte. Es steckte noch mehr dahinter.

„Hab ich doch gesagt. Es bedeutet, dass wir Gefährten sind“, wich er aus.

„Toshinori und Aizawa sind ebenfalls deine Gefährten, oder nicht? Auch ohne Blut.“

Der Dämon presste die Lippen kurz aufeinander, atmete hörbar durch.

„Du bist nicht wie sie. Du bist…anders.“

„Ja, aber inwiefern?“, knurrte Enji, dem dieses Rumgedruckse auf die Nerven ging.

Das war sonst nicht die Art des Dämons, der sonst immer aussprach, was ihm in den Sinn kam.
 

„…weiß nicht, vielleicht liegt es an deinen roten Haaren.“

„Willst du mich zum Narren halten?!“, entfuhr es Enji zornig, woraufhin der andere murrte.

„Was willst du denn von mir hören?! Ich hab dir gesagt, wie das mit uns Dämonen läuft. Wie wir…einander finden. Ich verstehe es ja auch nicht ganz, aber du warst von Anfang an anders. Dein Geruch…deine Haare, die fast dieselbe Farbe wie mein Gefieder haben. Es hat sich einfach richtig angefühlt, mein Blut mit dir zu teilen.“

Enji fragte sich langsam, über was genau sie hier eigentlich redeten. Die Richtung, in die sich das Gespräch entwickelte, begann ihm zu missfallen – oder verstand er hier etwas falsch? Wie die Harpyie ihn ansah, konnte sie doch unmöglich meinen, dass…

„Umso verletzender ist es, dass du mich anscheinend nur als eine Art sprechendes Vieh betrachtest. Du nennst mich nicht mal bei meinem Namen. Es heißt immer nur Dämon, so als würdest du dich weigern, mir irgendeine Form von Menschlichkeit anzuerkennen.“

Das war nicht von der Hand zu weisen. Etwas in Enji sträubte sich immer noch dagegen, dem anderen zu vertrauen. Vielleicht war das die geringste Form des Widerstandes, die er sich noch erlauben konnte, nach allem, was passiert war.

„Und trotzdem hast du dich vorhin auf meine Seite gestellt und mich verteidigt. Mich einen der euren genannt, obwohl euch das in echte Schwierigkeiten hätte bringen können. Dein Verhalten widerspricht sich.“

Enji wusste nicht, was er dazu sagen sollte; irgendwie nahm das Gespräch eine Wendung an, der er nichts zu entgegnen hatte. Dabei hatte er doch eigentlich den Vogel zur Rede stellen wollen. Er nahm noch einen Schluck Wein, während ihn der andere aus seinen bernsteinfarbenen Augen fixierte. Viel zu eindringlich. Gerade hatte er doch noch herumgestammelt.

„Du lenkst vom Thema ab“, brummte er schließlich und erwiderte den stechenden Blick.

„Nein. Das gehört zum Thema“, widersprach der Dämon ihm und verschränkte die Arme. „Du weichst aus.“

Enji schnaubte.

„Und du etwa nicht?“

„Vielleicht hören wir dann einfach beide mit dem Ausweichen auf?“, schlug der Dämon provokant vor, woraufhin Enji die Augen verengte.

„Schön“, knurrte er. „Ja, verdammt, es…fällt mir schwer, dich als ebenbürtig zu behandeln. Ich habe Dämonen bisher immer gejagt. Für mich seid ihr eine Bedrohung…und dann kommst du und rettest mir das Leben – sogar mehr als einmal. Stellst dich gegen deine Art, kämpfst mit uns. Das ist für mich eben nicht so einfach zu akzeptieren. Genauso ehrlos wäre es aber, dich ans Messer zu liefern, um unsere Haut zu retten. Auch…wenn es mir schwer fällt, du…hast dich als Teil der Gruppe bewiesen – selbst wenn du uns belogen hast, was deine Wunden angeht.“

Was ihm immer noch sauer aufstieß, doch dessen Taten wogen dies zweifellos auf. Er atmete tief durch, denn die Worte hatten ihn einiges an Überwindung gekostet und auch sein Gegenüber schien darüber verdutzt zu sein. Sonst schwieg dieser nie so lange. Sagte ja genügend aus, dass er das über ihn behaupten konnte.
 

„Jetzt bist du dran. Erkläre dich.“

Vielleicht hatte der Dämon gehofft, dass er einen Rückzieher machen würde. Anders konnte er sich dessen Zögern nicht erklären. Schließlich ließ er jedoch die Schultern etwas sinken, wandte den Blick zum Fenster.

„Es ist schwer zu erklären“, erwiderte er leise. „Wie ich sagte, du bist anders als die anderen. Wegen deinem Geruch, vielleicht wegen den Haaren oder deiner Stärke, wie auch immer. Ich habe dich gesehen und wollte in deiner Nähe sein. Das ist ein Gefühl, das ich nicht steuern kann. Deswegen war es für mich angenehm, mein Blut mit dir zu teilen. Damit sind wir eine Bindung eingegangen, die uns Dämonen sehr wichtig ist. Man kann es als eine Art Schwur sehen, das Verspechen, zusammenzubleiben, und ja, ich weiß, dass man so etwas nicht ohne Zustimmung tun sollte, aber es wäre sonst dein Tod gewesen. Weder bereue ich es, noch erwarte ich, dass du mir den Hof machst oder sowas in der Art. Ich weiß, dass du ein Weibchen hast, auch wenn ihr euch nicht mehr nahe steht, und das respektiere ich. Und selbst wenn es nicht so wäre – ich bin immer noch ein Dämon, nicht wahr?“

Ein schiefes Grinsen legte sich auf die Lippen des blonden Jünglings, während Enji zu verarbeiten versuchte, was dieser gerade gesagt hatte. Sie waren also nach dämonischen Gesetzen sowas wie verheiratet? Ihm wurde flau im Magen, doch da sprach der andere schon weiter.

„Was ich damit sagen will, ist, dass du dich nicht sorgen musst. Es muss keine Bedeutung für dich haben oder irgendwas ändern. Ich will bloß weiter in eurer Nähe sein. Mit euch reisen. Teil der Gruppe sein.“

Enji wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Es musste keine Bedeutung haben? Aber die hatte es – zumindest was den Dämon betraf. Dieser wirkte, als befürchtete er, dass Enji gleich zu seinem Schwert greifen würde. Natürlich war er nicht begeistert, aber Tatsache war, dass der andere ihm das Leben gerettet hatte. Trotz der unerwünschten Bindung hatte dieser, sollte es sich diesmal um die volle Wahrheit handeln, aus Gründen gehandelt, die man ihm nicht vorwerfen konnte. Wenn es stimmte, was dieser erzählt hatte, war er einfach nur einsam.

Enji atmete einmal tief durch, ehe er sich erhob, woraufhin der Dämon leicht zusammenzuckte. Er war sich des Blickes wohl bewusst, als er zum Tisch ging und seinen Becher erneut mit Wein füllte, dann einen zweiten nahm. Misstrauisch wurde er angesehen, als er dem Dämon einen Becher reichte, welchen dieser in seine scharfen Klauen nahm.

„Du schwörst, dass dein Blut keine komischen Nebenwirkungen hat?“, hakte er noch mal nach und setzte sich ihm wieder gegenüber. „Abgesehen von dieser Sache mit der Bindung, die ich ignorieren kann?“

Der Dämon erwiderte seinen Blick fest, als er nickte.

„Jetzt zumindest nicht mehr. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass du dich danach für ein, zwei Tage stärker als sonst gefühlt hast? Diese Wirkung vergeht wieder. Unser Blut schädigt den menschlichen Körper erst nachhaltig, wenn man regelmäßig davon trinkt. Dann kann es im schlimmsten Falle eure Organe zersetzen und euch in den Wahnsinn treiben.“

„…“

Enji starrte ihn an, doch scheinbar war das kein Scherz gewesen. Der Dämon lachte nämlich nicht, sondern blieb weiterhin ungewohnt ernst. Na gut, bisher fühlte er sich wieder normal, also stimmte es wohl, dass die Wirkung verging.
 

„Gut“, zwang er sich zu sagen und hob seinen Becher. „Dann…arbeiten wir von jetzt an zusammen. Das ist es doch, was du willst? Eine Kameradschaft?“

Nun war es an seinem Gegenüber, zu starren, denn scheinbar traute er seinen Ohren nicht. Enji fand es ja selbst unwirklich, aber weiter stur an seiner Abneigung gegen Dämonen festzuhalten, würde keinen von ihnen weiterbringen.

„Was?“, entkam es dem Jüngling ungläubig. „Ich meine, ja. Klar. Aber…du meinst, ich kann bei euch bleiben?“

„Erstmal hilfst du uns dabei, diese blutsaugenden Mistviecher loszuwerden. Du bist nützlich. Es ist nicht verkehrt, dich auf unserer Seite zu wissen. Danach reden wir noch mal darüber – auch mit Toshinori. Wir müssen immerhin entscheiden, wie wir mit dem uns vom König erteilten Auftrag umgehen.“

Die bernsteinfarbenen Augen begannen zu leuchten, ein Grinsen legte sich auf seine Lippen und entblößte die spitzen Zähne. Dann hob der Dämon seinen Becher, wobei er glücklich wirkte, als sei die endgültige Entscheidung bereits gefallen.

„Einverstanden!“, erwiderte er und neigte den Kopf. „Also dann, auf gute Partnerschaft? Oh, und wenn du mich von jetzt an bei meinem Namen nennst, kann ich endlich aufhören, dich Rotschopf zu nennen. Enji ist doch ein schöner Name, haha…“

Enjis Braue zuckte gereizt nach oben, während er den Vogel missmutig anblickte.

„Ich hab dir nicht mal erlaubt, mich zu duzen, du…“

„Du duzt mich auch. Hast du von Anfang an. Und du hast mich zusätzlich beleidigt!“, fuhr ihm der andere dazwischen, was Enji hörbar ausatmen ließ.

„Genug!“, knurrte er. „Mach’s nicht kaputt.“

Der Dämon zog eine Schnute, beließ es aber dabei, den Becher immer noch erhoben und ihn nun abwartend anblickend. Nun, er musste sich wohl zusammennehmen und sich überwinden. Daher hob er erneut seinen Becher und schaute dem Dämon fest in die Augen.

„Auf…gute Zusammenarbeit. Hawks.“

Es war seltsam, ihn beim Namen zu nennen, denn tatsächlich war dies eine Hürde für ihn gewesen. Damit erkannte er ihn an. Etwas, das er nie hatte tun wollen. Es fühlte sich immer noch befremdlich an, regelrecht falsch, doch vermutlich musste er sich nur daran gewöhnen.

Hawks blinzelte, als könnte er nicht glauben, dass er auf seinen Wunsch eingegangen war. Nun, Enji konnte es selbst kaum glauben. Dann lächelte er ihn an. Ein freudiges, ehrlich wirkendes Lächeln, das nicht so frech wie sonst wirkte. Bedeutete es ihm so viel? Scheinbar.

„Komm bloß nicht auf falsche Gedanken“, konnte er sich einen Spruch nicht verkneifen, woraufhin der andere schmunzelte.

„Keine Sorge“, zwitscherte er und setzte den Becher kurz an die Lippen, woraufhin Enji es ihm gleichtat. „Ich weiß die Geste zu schätzen…Enji.“

Da war es wieder, dieses dreiste Grinsen, das ihm so auf die Nerven ging. Und nun nannte er ihn bei seinem Namen. Na ja, besser als Rotschopf war das allemal, auch wenn er ihm keinen Respekt erwies. Was sollte es. Aizawa sprach ihn mit höflichen Umgangsformen an und benahm sich dennoch wie ein Aas. Das tat dem wohl keinen Abbruch. Apropos…
 

„Übrigens, wenn es da etwas gibt, das ich über Aizawa wissen sollte, wäre es besser, mir jetzt davon zu erzählen.“

Anscheinend hatte er damit ins Schwarze getroffen, denn der Dämon verschluckte sich prompt an seinem Wein. Er hustete leicht, wischte sich über den Mund und blickte ihn irritiert an.

„Wie kommst du plötzlich darauf? Gerade noch ging es nur um uns beide. Ich bin empört, dass du ohne Vorwarnung einen anderen Mann ins Spiel bringst!“

Enji knirschte mit den Zähnen, doch er erkannte den albernen Versuch, vom Thema abzulenken.

„Quatsch nicht dumm rum. Ich weiß, was ich gesehen habe. Etwas stimmt nicht mit ihm. Dieses rote Glühen in seinen Augen und dass unsere Feinde auf einmal wie erstarrt sind – das ist nicht das erste Mal, dass sowas passiert. Ich wette darauf, dass es Toshinori auch schon aufgefallen ist. Er ist bloß geblendet von seiner Sympathie für den Kerl, sodass er es bestimmt lieber totschweigt. Warum auch immer er ihn überhaupt mag oder ihm vertraut.“

Hawks‘ halbherziges Lächeln verebbte allmählich, sodass für Enji kein Zweifel mehr bestand, dass er auf dem richtigen Weg war.

„Toshi vertraut Aizawa, weil er euch, übrigens genau wie ich, schon einige Male den Hintern gerettet hat. Ich meine, ja, er ist schon ein Kauz und hey – das sage ich als Dämon. Aber er ist echt in Ordnung und wenn du Zweifel an ihm hast oder Fragen beantwortet haben möchtest, dann sprich ihn drauf an. Auch wenn ich nicht glaube, dass es eine Rolle spielt, wer oder was er ist, nicht wahr?“

Nachdem er soeben seine Zusammenarbeit mit einem Dämon besiegelt hatte, konnte er das wohl kaum verneinen. Dennoch wurmte es ihn, dass Hawks ihm durch die Blume sagte, dass er zwar Recht hatte, aber von ihm nichts Konkretes erfahren würde.

„Was unsere Zusammenarbeit angeht, wäre es gut zu wissen, inwiefern er dabei hilfreich sein kann, nicht wahr?“, konterte er daher, woraufhin Hawks seufzte.

„Mag sein. Trotzdem musst du ihn das selbst fragen. Ich denke, wir müssen uns in ein paar Stunden sowieso zusammensetzen und besprechen, wie wir weiter vorgehen. Habe ich Recht?“

Das entsprach den Tatsachen, wie Enji innerlich zugeben musste. Sicher würde Shirakumo mehr wissen wollen, vor allem in Bezug auf Hawks – man beherbergte ja nicht alle Tage einen Dämon in seinem Haus.

„Auch wenn du das mit Aizawa lieber unter vier Augen besprichst“, fügte Hawks nachdenklich an und rieb sich das Kinn. „Aber jetzt solltest du erstmal ‘ne Mütze Schlaf nehmen, bevor du mir hier noch umkippst – immerhin bist du verwundet und ihr Menschen werdet schwach, wenn ihr nicht ruht, also husch husch ins Bettchen!“

Enji funkelte ihn warnend an, als er ihn so herumkommandierte. Das war doch wirklich…gab man diesem Dämon den kleinen Finger, nahm dieser die ganze Hand. Unglaublich. Aber es stimmte leider, er war erschöpft und da sie bald wieder auf Dämonenjagd gehen mussten, war es besser, sich ordentlich auszuruhen.
 

„Überspann den Bogen nicht“, knurrte er ungehalten und stellte den Becher auf den Tisch. „Raus aus meinem Zimmer.“

Hawks zog eine Schnute, sah ihn missmutig an.

„Waaas? Aber wir haben sonst auch Seite an Seite genächtigt! Und das Bett ist groß genug, also sei nicht so! Was, wenn die Blutsauger hierher kommen und dich töten wollen? Ich muss doch über dich wachen, wenn du angeschlagen bist!“

„Netter Versuch. Die Viecher zeigen sich scheinbar nur nachts“, erwiderte Enji abweisend, woraufhin Hawks die Flügel hängen ließ.

„Und wenn ich den Menschen nicht traue? Die können dich genauso überfallen! Was, wenn es eine Finte war und Shirakumo uns nur an einem Ort haben wollte? Wir kennen den Typ kaum! Und wenn-“

„Hawks!“, blaffte Enji die Harpyie an, die daraufhin zusammenzuckte und in ihrem Redefluss innehielt.

Wollte der Vogel ihn tatsächlich schützen oder bekam er das mit der Kameradschaft in den falschen Hals? Andererseits stimmte es, dass sie sonst auch in der Nähe des jeweils anderen schliefen, um Wache zu halten. Das war hier nicht viel anders, wenn er ehrlich war. Sie waren in einer fremden Umgebung, bei einem Fürsten, den bloß Aizawa näher kannte und seit Jahren nicht gesehen hatte.

„Na schön“, lenkte er daher ein und Hawks grinste ihn freudig an. „Bleib auf deiner Seite – und wehe, du hältst den Mund nicht!“

„Keine Sorge, ich bin mucksmäuschenstill! Du wirst gar nicht bemerken, dass ich da bin! Versprochen, ich werde…eh…schon gut.“

Bei seinem finsteren Blick verstummte der Vogel dann doch lieber. Immerhin musste er nicht deutlicher werden.

Wenig später lag er also mit dem Dämon neben sich in dem großen Bett, wobei sich dieser wenigstens daran hielt, sowohl still zu sein als auch nicht näher zu kommen. Enji hatte diesem den Rücken gekehrt, vernahm den leisen Atem des anderen, während er an die kahle Wand vor sich sah. Ab und zu hörte er das Rascheln der Federn, wenn sich der andere bewegte. Sollte es ihn beunruhigen, dass es sich fast schon normal anfühlte, neben Hawks zu liegen? Sonst hatte er das Gefühl der Vertrautheit nur bei Toshinori, mit dem er seit Jahren reiste und dem er vertraute.

Anscheinend hatte er sich bereits an den Dämon gewöhnt und ja…er mochte ihn. Sonst hätte er anders entschieden. Ein Dämon in ihrer Truppe. Wie er selbst gesehen hatte, konnte ihnen das einige Vorteile bringen. Allein Hawks‘ feine Sinne waren Gold wert, das musste er diesem zugestehen. Er war nützlich – und er schien bloß Teil ihrer Gruppe sein zu wollen. Das war ein akzeptabler Preis – seltsames Gerede von einem Bündnis des Blutes wegen oder seines Geruchs hin oder her.

Enji schloss langsam die Augen, öffnete sie auch nicht, als ihn die Federn leicht am Oberarm streiften, was wohl ihrer Größe geschuldet war. Enji trug nur seine Hosen, hatte die Decke um sich geschlungen, wobei die Harpyie es ihm gleichgetan hatte.

Das hier war nicht seltsam. Mit Toshinori hatte er auch schon das Bett geteilt, das gehörte dazu, wenn man zusammen reiste und aufeinander aufpasste. Es war ganz natürlich.

Es dauerte jedoch eine ganze Weile, bis er endlich alle Gedanken beiseite drängen und sich dem wohltuenden Schlaf hingeben konnte.

Die Gruppe

In der Nacht war Hawks so aufgeregt, dass er kaum zur Ruhe kam. Glücklicherweise brauchten die meisten Dämonen nicht viel bis gar keinen Schlaf, solange sie sich ungestört regenerieren konnten. Da er aus dem Kampf keine dramatischen Wunden davongetragen hatte, ging das in Ordnung.

Er konnte nicht glauben, dass der Rotschopf…Enji wirklich in Erwägung zog, ihn auf ihre Reise mitzunehmen. Es war das, was er sich seit Jahren wünschte. Irgendwohin zu gehören, mit Freunden umherzuziehen – auch wenn es nicht für immer sein würde. Dämonen alterten viel langsamer als Menschen, doch diese Sorgen konnte er sich später noch machen. Da er allerdings Enttäuschungen gewöhnt war, versuchte er, seine Vorfreude im Zaum zu halten. Mehr oder minder erfolgreich.

Als die ersten Sonnenstrahlen das Zimmer erhellten, drehte er sich auf die andere Seite, wobei seine Flügel leise raschelten. Der breite, von Narben gezierte Rücken des Rothaarigen stach ihm direkt ins Auge und neugierig musterte er diesen. Die Decke war ihm von den Hüften gerutscht, aber da er noch seine Hose trug, war er noch gut bedeckt. Schade eigentlich. Enji war ein attraktiver Mann und auch, wenn dieser kein Interesse an ihm hatte, so konnte er ja wenigstens ein bisschen gucken.

Gelogen hatte er jedenfalls nicht. Er konnte ja wirklich nichts dafür, dass seine Instinkte ihm signalisierten, dass dieser Mensch ein passender Partner sein würde. Er würde nichts in der Richtung unternehmen, um ihn zu seinem zu machen – das mit dem Blut war bereits ein Schock für Enji gewesen –, da hielt er Wort. Eine Kameradschaft…und vielleicht irgendwann Freundschaft war alles, was er sich wünschen konnte. Das musste genug sein.

Hawks richtete sich in eine sitzende Position auf, die roten Flügel flach an den Rücken gepresst, während er sich anlehnte. Noch immer beunruhigte ihn dieses komische Gefühl, das er schon gehabt hatte, als sie angekommen waren. Sein Instinkt riet ihm, dieses Schloss umgehend zu verlassen. Der Geruch des Todes, wenn auch nur sehr schwach, schien an den Mauern zu haften. Hatten die Blutsauger etwas damit zu tun? Gab es hier geheime Räume, in denen sie sich verbargen?

Nur zu gern hätte er das ganze Schloss durchkämmt, doch er wusste, dass man ihn sofort davonjagen würde. Shirakumo mochte ihm ja trauen, weil sein Kumpel Aizawa für ihn bürgte, doch wenn die Bediensteten herausfanden, wen ihr Fürst im Schloss beherbergte, konnte das auch für diesen übel enden. Nachher bezichtigte man Shirakumo noch, unter seiner Kontrolle zu stehen – nein, er musste sich bedeckt halten, auch wenn ihm das überhaupt nicht gefiel.
 

„Was soll die ernste Miene?“, riss ihn ein dunkles Brummen neben sich aus seinen Überlegungen. „Da läuft’s einem ja kalt den Rücken runter…“

Hawks blinzelte den Rotschopf neben sich, der sich nun ebenfalls aufsetzte, verdutzt an.

„Eh…“

„Ist dir was eingefallen…oder aufgefallen? Sag nicht, wir sind in so einer miesen Lage, dass sogar dir das dumme Grinsen vergeht?“

Es kam ja selten vor, dass Hawks nicht wusste, was er erwidern sollte, doch gerade war so ein Moment. Gut, die meiste Zeit gab er sich wie ein leichtherziger Narr, aber das hieß nicht, dass er das auch war. Sollte er sich nun beleidigt oder geschmeichelt fühlen, weil Enji ihn so genau beobachtete?

„Vielleicht bin ich einfach noch müde?“, gab er mit einem unschuldigen Lächeln zurück, woraufhin der andere schnaubte und seine muskulösen Arme verschränkte.

„Kein Wunder, wenn du nachts nicht schläfst…“

Nun fühlte er sich definitiv geschmeichelt.

„Aww, dir ist aufgefallen, dass ich nicht schlafen konnte? Du bist so aufmerksam, Enji~“, zwitscherte er und blickte ihn erheitert an.

„Ich habe die Unruhe gespürt. Das ist alles. Mach keine große Sache draus und beantworte meine Frage“, knurrte der Hüne und funkelte ihn an.

Hawks schmunzelte kurz über dessen Beharrlichkeit, nickte dann aber.

„Ich kann das gerne bei unserer Besprechung nachher näher erklären, aber nur so viel dazu: irgendwas stimmt mit dem Schloss nicht. Ich habe es dir gestern schon gesagt – es ist, als würde ein Fluch über diesem Ort liegen. Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns hier am zentralen Punkt befinden…“

„Am zentralen Punkt?“, wiederholte Enji langsam.

„Ja. Ich würde ja gerne herumschnüffeln, aber ich glaube nicht, dass das gut wäre.“

„Nein. Du würdest bloß die Leute gegen uns aufhetzen und alles schlimmer machen. Du bleibst hier.“

„Ja, weiß ich ja…“, erwiderte Hawks seufzend und winkte ab. „Dennoch wäre ich auf die Weise hilfreicher. Ihr habt weder meinen Instinkt noch meinen Geruchssinn.“

„Deine Argumente wiegen den Schaden nicht auf, also lass gut sein“, fertigte Enji ihn ab und schwang die Beine aus dem Bett.

Hawks stützte die Arme auf den Knien ab, während er beobachtete, wie der andere zu der mit Wasser gefüllten Schüssel trat und sich zu waschen begann. Ein wahrlich attraktiver Mann… Er fasste sich jedoch, wollte den Rothaarigen nicht gegen sich aufbringen, wenn sie doch gerade Frieden geschlossen hatten. Zumal er Schritte, die sich dem Zimmer näherten, vernahm, sodass er hektisch Enjis Decke über sich warf. Dann klopfte es auch schon.
 

„Oh, gut, ihr seid wach!“, hörte er eine vertraute Stimme und entspannte sich direkt.

Toshinoris blonder Wuschelkopf schob sich durch die Tür und hinter ihm erkannte er einen noch müde drein blickenden Aizawa. Hatte der Hüne diesen aus dem Bett geworfen? Schwer zu sagen, schließlich wirkte Aizawa immer etwas mürrisch.

„Wie ihr seht“, gab Enji knapp zurück und trocknete sich das Gesicht sowie den Oberkörper ab.

Wenigstens schienen die Wunden an diesem nicht wieder stark geblutet zu haben, denn die Verbände waren weiß geblieben.

„Wir dachten, dass wir uns am besten gleich hier besprechen. Hawks sollte das Zimmer ja besser nicht verlassen…“, erklärte Toshinori und lächelte ihn freundlich an.

Enji schnaubte nur, widersprach dem aber nicht, sondern zog sich stattdessen etwas über.

„Von mir aus. Reden wir“, meinte er dann, wobei sein Blick zu Aizawa glitt.

Ob er überlegte, ob er es ansprach? Immerhin waren sie hier unter sich. Kein Shirakumo. Keine anderen Menschen. Es musste dem Rotschopf auf der Seele brennen, das sah Hawks ihm an.

Toshinori nickte und nahm Platz in einem der Sessel, woraufhin Aizawa sich einfach neben ihn aufs Bett setzte. Motiviert wirkte er dabei nicht, sondern eher noch schlechter gelaunt als am Abend zuvor. Hawks witterte den Alkohol an ihm – oh, spürte da jemand die Nachwirkungen von zu viel Wein?

„Es freut mich, dass ihr euch ausgesprochen habt“, begann der Blonde und sah zu Enji, der sich gerade in den noch freien Sessel setzte. „Das habt ihr doch, oder?“

„Ja, alles gut“, knurrte Enji finster. „Wir haben die Sache geklärt. Auch wenn ich nicht…glücklich darüber bin, so verstehe ich die Notwendigkeit angesichts der Situation, in der wir uns befunden haben.“

„Da sind wir alle doch direkt erleichtert“, kam es mit gewissem Spott von Aizawa, woraufhin der Rothaarige die Augen verengte.

Gut, die Provokation war nicht förderlich, da Enji ohnehin schon schlecht auf den Einsiedler zu sprechen war. Hawks wusste nicht recht, ob er versuchen sollte, die Wogen zu glätten. Ausnahmsweise war einmal nicht er selbst der Grund für Streitereien. Sollte er sich das direkt verbauen?

„Wenn Ihr etwas zu sagen habt – sagt es und spart Euch Eure Sticheleien. Vielleicht wollt Ihr uns auch gleich noch mitteilen, was mit Euch nicht stimmt?“

Das war zu erwarten gewesen. Sofort warf Aizawa einen Seitenblick zu Hawks, was diesen ein wenig empörte; als könnte er seinen Schnabel nicht halten, also bitte…

„Enji…“, wandte Toshinori ein.

Der Angesprochene ignorierte ihn und funkelte weiterhin Aizawa an, welcher den Blick mit monotoner Miene erwiderte. Dennoch lag da etwas in seinen dunklen Augen, das deutlich machte, dass es ihn nicht so kaltließ, wie er tat.

„Drückt Euch klarer aus“, gab er herausfordernd zurück.

„Nun, wenn Ihr dies wünscht, komme ich dem natürlich nach“, entgegnete Enji sarkastisch. „Das gestern war nicht das erste Mal, dass Ihr Eure seltsamen Tricks angewandt habt. Es ist kein Zufall, dass der Dämon…wie gelähmt war oder dass Eure Augen rot geglüht haben! Vielleicht rückt Ihr endlich mit der Sprache raus, anstatt auszuweichen? Oder seid Ihr feige?“

„Enji, nun ist es aber genug!“, kam es unerwartet scharf von Toshinori, woraufhin Enji zu diesem herumfuhr.

„Sag mir nicht, was genug ist! Und leugne nicht, dass du es nicht auch bemerkt hast! Ich habe keine Ahnung, warum du lieber so tust, als wärst du blind dafür, aber ich weiß, dass dir so etwas nicht entgeht!“, grollte dieser zurück.

Das Flackern in Toshinoris blauen Augen und der ungewohnt grimmige Zug um dessen Mundpartie bewiesen, dass Enji damit nicht Unrecht hatte. Es wunderte Hawks selbst etwas, denn auch, wenn der Blonde ein gutherziger Kerl zu sein schien, so war er doch nicht auf den Kopf oder auf den Mund gefallen. Welchen Grund gab es, dass er Aizawa mit gespielter Unwissenheit schützen wollte, wo er sich doch auch gegen Hawks zu Anfang ausgesprochen hatte? War das bloße Zuneigung? Freundschaft? Es machte ihn neugierig, doch er würde sicher nicht jetzt darüber spekulieren. Laut jedenfalls nicht.

„Es ist mir nicht entgangen“, gab Toshinori zerknirscht zu. „Deine Fragen sind gerechtfertigt und auch mich beschäftigen sie, doch sehe ich keinen Grund dafür, so anmaßend zu sein. Aizawa-san hat uns immer unterstützt. Es ist nicht fair, ihn so in die Ecke zu drängen.“

„Nun, wenn er weiter ein Geheimnis daraus macht, sehe ich darin die einzige Möglichkeit!“, entgegnete Enji kühl.

Während die beiden einander anfunkelten und hitzig diskutierten, war Aizawa still geblieben. In seinem Gesicht war immer noch wenig zu lesen, was in ihm vorging, aber Hawks konnte es sich denken. Egal, wie abweisend der Einsiedler immer tat, auch er schien lange Zeit allein gewesen zu sein. Sicher wollte auch er ihre gemeinsame Reise fortsetzen und fürchtete sich davor, aufgrund seiner Herkunft verstoßen zu werden. Doch er konnte ihm das hier nicht abnehmen, ihm höchstens etwas unter die Arme greifen.
 

„Enji hat mir gestern übrigens eine Partnerschaft mit euch angeboten!“, zwitscherte er einfach dazwischen und grinste breit. „Er hat gemeint, wenn wir die Blutsauger gemeinsam erledigt haben, kann ich danach bei euch bleiben – es sei denn, Toshi hat was dagegen. Hast du doch nicht, oder Toshi?“

Der Angesprochene schien ein wenig überrumpelt von der plötzlichen Frage, sah von ihm zu Enji und wieder zurück zu ihm. Anscheinend funktionierte sein Vorhaben, den beiden ein bisschen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

„Was fängst du jetzt damit an?!“, blaffte Enji ihn an, doch er ignorierte es, hielt sich weiter an den Blonden.

„Dämon oder nicht – wir sind Kameraden, nicht wahr?“, fuhr er ungerührt fort.

Toshinori schwieg einen langen Moment, doch dann nickte er langsam, lächelte dabei schief.

„Ja. Ich schätze, das sind wir. Auch wenn es gegen all unsere Prinzipien verstößt, so kann ich nicht leugnen, dass du ein verlässliches Mitglied unserer Truppe geworden bist, Hawks. Du hast uns das Leben mehr als einmal gerettet. Ich würde mich daher freuen, weiter mit dir reisen und dich unseren Kameraden nennen zu dürfen.“

Hawks konnte nicht verhindern, dass sich seine Federn vor Freude ein wenig aufbauschten. Das ging wirklich runter wie Öl, was der Blonde da sagte…und vielleicht erleichterte dies Aizawa seine Entscheidung, ob er sich offenbarte. Es machte ohnehin keinen Sinn mehr, sich herauszureden.

„Du machst es ihm viel zu einfach“, grummelte Enji verstimmt, woraufhin Toshinori mit den Schultern zuckte.

„Es ist, wie ich empfinde“, meinte er nur und sah dann zu Aizawa, welcher immer noch still blieb.

Er sah keinen von ihnen an, doch ein verbissener Zug lag um seine Mundwinkel. Beinahe so, als kämpfte er mit sich, ob er etwas dazu sagen oder flüchten sollte. Was Toshinori zuvor gesagt hatte, stimmte schon; er war in die Ecke gedrängt worden und kam dort nicht mehr raus. Aus eigener Erfahrung wusste Hawks, dass dies ein scheußliches Gefühl war.

Aizawa atmete tief durch, schien sich zu sammeln.
 

„Es sind keine Tricks“, brummte er schließlich und funkelte dabei Enji an. „Es sind Fähigkeiten, die ich schon seit meiner Geburt habe. Bis vor kurzem wusste ich nicht, woher sie stammen. Generell, was das bedeutet. Hawks meinte, ich hätte Dämonenblut.“

„Stark verdünntes!“, warf er ein. „Es ist so schwach, dass ich erst dachte, ich bilde es mir ein. Vermutlich über Generationen vererbt.“

Daraufhin herrschte für eine Weile Stille im Raum. Aizawa blickte keinen von ihnen mehr an, die Miene unleserlich. Es war anscheinend das erste Mal, dass er darüber sprach. Im Gegensatz zu Hawks konnte er seine Herkunft viel besser verbergen. Bis jetzt.

Toshinori enttäuschte ihn jedoch nicht, denn er legte die Hand auf Aizawas Schulter, drückte diese.

„Es muss belastend gewesen sein, dies vor uns zu verheimlichen“, erwiderte er ruhig. „Und dennoch habt Ihr uns mit Euren Fähigkeiten unterstützt.“

Aizawa drehte den Kopf zur Seite, offensichtlich nicht wissend, was er darauf entgegnen sollte, weswegen er nur ein unverständliches Brummen von sich gab.

„Das heißt, Ihr habt Euch dumm gestellt und uns angelogen!“, knurrte Enji den Einsiedler an. „Ihr wusstet sehr wohl von Dämonen, als wir Euch danach fragten!“

„Warum hätte ich Euch vertrauen sollen? Damit hätte ich mich nur selbst in Gefahr gebracht“, konterte dieser, woraufhin Toshinori leise seufzte.

„Damit hat er Recht…“

Enji, der daraufhin wohl nichts erwidern konnte, malmte mit dem Kiefer, während er zu überlegen schien. Er fixierte Aizawa, welcher äußerlich ruhig blieb, doch in seinem Inneren musste es toben. Hawks konnte die Anspannung spüren. Dann jedoch schien Enji sich zu besinnen, jedenfalls schnaufte er einmal wie ein Stier, der Dampf ablassen musste, ehe er sich um einen neutraleren Tonfall zu bemühen schien.

„Wie mächtig seid Ihr? Wenn Ihr schon nicht normal seid, könnt Ihr uns damit auch nützlich sein!“

Sicherlich war der Inhalt der Worte nett gemeint, aber an der Umsetzung konnte man noch feilen.

„Du bist so empathisch“, kommentierte Hawks es sarkastisch.

„Wirklich, Enji“, stimmte Toshinori ihm tadelnd zu. „Aizawa-san hat sich uns soeben anvertraut.“

Eben dieser zuckte bloß die Schultern.

„Macht nicht so einen Aufriss darum. Ihr wisst es nun und gut ist. Ich will nur nicht Euer nächster Auftrag sein, verstanden?“

Bei den letzten Worten fixierte er Enji, welcher schnaubte, während Toshinori schockiert wirkte.

„Natürlich nicht! Ihr seid uns ein wichtiger Kamerad geworden! Wir liefern weder Euch noch Hawks aus.“

„Gut. Und zu Eurer Frage“, wandte sich Aizawa an Enji. „Ich bin in der Lage, andere Lebewesen für eine gewisse Zeit zu lähmen. Genau genommen, bis ich blinzeln muss. Es ist anstrengend.“

„…und mehr nicht?“, kam es unfreundlich von Enji zurück. „Als Mischling müsst Ihr doch noch mehr drauf haben?“

„Taktvoll“, brummte Hawks, doch Aizawa schien es nicht zu kümmern.

„Schockwellen erzeugen“, meinte er knapp.

„Nun, da Ihr Euch jetzt nicht mehr zurückhalten müsst, sollten wir das Blutsauger-Problem wohl schnell erledigen können. Es sei denn, Ihr seht einen Grund, uns nicht mehr helfen zu wollen.“

„…sagt Ihr es mir.“

Enji verengte die türkisfarbenen Augen, erwiderte den Blick des Einsiedlers fest.

„Nachdem wir schon mit einem richtigen Dämon gemeinsame Sache machen, erscheint mir ein halber Dämon zumutbar. Euer Charakter ist wesentlich schwerer zu ertragen als Eure Herkunft.“

So feinfühlig, der Mann…

„Damit meint Enji, dass es keine Rolle spielt, was Ihr seid. Ihr seid Ihr. Und Ihr gehört zu uns“, ergänzte Toshinori sanft, woraufhin der Rothaarige knurrte.

„Sprich gefälligst nicht einfach so für mich!!“
 

Hawks musste auflachen, sah belustigt in die Runde.

„Wir sind schon ein komischer Haufen, oder? Aber gut, wenn das jetzt auch geklärt ist – wunderbar! Keine Geheimnisse mehr zwischen uns, hm? Dann können wir ja über die Blutsauger reden!“

Anscheinend waren sie sich in diesem Punkt alle einig, da bloß ein ernstes Nicken von den Dreien folgte. Dennoch hatte Hawks das Gefühl, dass Aizawa soeben ein Stein vom Herzen gefallen war. Es konnte gar nicht anders sein, denn schließlich reiste auch er gern mit ihnen zusammen, nicht wahr? Da konnte er noch so finster schauen, denn andernfalls hätte er sich doch jederzeit von ihnen trennen können.

Wie auch immer, konnte ja nicht jeder sein Herz auf der Zunge tragen, so wie er. Innerlich schmunzelte er, ehe er sich jedoch räusperte und dem eigentlichen Thema widmete.

„Ich hab’s Enji schon gesagt. In diesem Schloss stimmt was nicht. Es ist…als läge etwas Böses in der Luft, bei dem sich mir das Gefieder sträubt. Ich könnte vielleicht mehr sagen, wenn ich mich frei bewegen könnte, aber so sind mir die Klauen gebunden.“

Aizawa warf ihm einen Blick zu.

„Was du sagst, habe ich ebenfalls gespürt. Jedoch beim Brunnen“, erwiderte er nachdenklich. „Wir konnten ihn nicht näher untersuchen, weil wir angegriffen wurden. Möglicherweise führt er uns zu ihrem Versteck oder liefert noch mehr Hinweise, die uns auf die richtige Spur bringen.“

„Wir sollten uns auf keinen Fall trennen“, warf Toshinori ein. „Ich schlage daher vor, dass wir uns zuerst das Schloss vornehmen. Sprechen wir mit den Menschen, die hier leben. Untersuchen es auf etwaige Geheimgänge und wenn wir in einigen Stunden nichts gefunden haben, nehmen wir uns noch mal den Brunnen vor.“

Enji nickte zustimmend, woraufhin Hawks ein frustriertes Seufzen von sich gab.

„Ich will mich auch nicht von euch trennen“, schmollte er, fing sich jedoch nur einen finsteren Blick von Enji ein.

„Vielleicht kannst du uns heute Nacht helfen“, versuchte Toshinori ihn aufzumuntern. „Wenn kaum jemand auf den Straßen ist, kannst du dich besser verbergen. So wie damals in den Bäumen, als du uns heimlich verfolgt hast.“

Hawks‘ bernsteinfarbene Augen funkelten bei den Worten auf und er nickte begeistert.

„Mach ihm keine falschen Hoffnungen…“, knurrte Enji, woraufhin Toshinori jedoch abwinkte und sich zum Gehen erhob.

„Ach was…“

Hawks lächelte unschuldig, während er ihnen nachblickte. Als die Tür jedoch ins Schloss fiel, ließ er sich zurück auf das Bett fallen, schaute genervt an die Decke. Die ganze Zeit hier auszuharren und zu warten, dass seinen Kameraden etwas passierte, erschien ihm falsch. Sollten sie einander nicht unterstützen? Sicher, er verstand, warum er hier bleiben sollte, aber dennoch ärgerte es ihn.

Wenn seine Gestalt nur weniger auffällig gewesen wäre, aber die Flügel und Klauen waren nun mal schwer zu verbergen. Er stieß ein Seufzen aus, drehte sich dann auf die Seite und blickte zum Fenster, durch welches die Sonne schien.

Bis zum Einbruch der Nacht warten…das würden langweilige Stunden werden.

Der Brunnen

Irgendwie nahm das alles nicht den Verlauf, den Aizawa erwartet hatte. Wobei…welche Erwartungen hatte er eigentlich gehabt? Er war neugierig auf den Dämon gewesen und hatte darin eine Chance gesehen, mehr über sich selbst zu erfahren – nun, zumindest das war eingetroffen.

Und ansonsten? Er war so lange allein gewesen, dass er sich daran gewöhnt hatte. Die Gesellschaft der Wildkatzen hatte ihm genügt, war ihm angenehmer erschienen, als sich mit Menschen herumzuplagen, die ihn hinterher doch nur enttäuschten. Ja, seine Reaktion auf Shirakumos Entscheidung mochte lächerlich und überzogen wirken, doch sein Herz hatte nun einmal daran gehangen. An ihm.

Und nun zog er mit einem Mann umher, der es schaffte, Gefühle in ihm zu wecken, die er nie wieder hatte fühlen wollen. Er war fertig damit. Eigentlich. Zumal Yagi ihm den letzten Nerv mit seinem Geplapper von Ehrgefühl und Tugend raubte. Fehlte nur noch, dass er ihm den Hof machte. Tse.

Vermutlich würde genau das eintreffen, sollte der Blonde ihn tatsächlich auf dieselbe Art und Weise mögen. Sicher war er sich da immer noch nicht, denn gerade jemand ohne Erfahrungen in diesem Bereich konnte solche Gefühle leicht verwechseln. Vielleicht waren es letztendlich doch nur freundschaftliche Gefühle…was bitter wäre, denn Aizawa war schon dabei, sich in mehr zu verrennen.

Wie könnte er auch nicht, wenn der Kerl ihm so tief in die Augen sah, seine Hand ergriff und dann solch ein peinliches Zeug von sich gab? Und warum bedeutete ihm das etwas? Er war bestimmt nicht der Typ für Romantik. Nein. Garantiert nicht. Dennoch traf der Blonde einen empfindlichen Nerv in ihm – und das regte ihn gleichermaßen auf, wie dass es Yagi für ihn begehrenswert machte.

Verdammt. Der Mann machte ihn fertig. Vor allem da er sich solche Gedanken gerade nicht erlauben konnte, schließlich mussten sie die vermaledeiten Blutsauger finden und ausrotten.
 

Nachdem sie sich im Schloss aufgeteilt und die Menschen dort befragt hatten, war Aizawa schnell klar geworden, dass dies in eine Sackgasse führte. Auch, wenn er Hawks‘ Instinkt vertraute, glaubte er nicht, dass sie hier weiterkamen. Der Brunnen ließ ihn einfach nicht los, sodass er ernsthaft überlegte, ob er schon mal vorgehen sollte. Sie hatten abgemacht, dass sie sich diesen ansehen würden, sobald sie das Schloss durchkämmt hatten.

Einen Kameraden hatte Yagi ihn genannt…wollte er das sein? Teil der Gruppe? Mit dieser weiterreisen? Die Antwort war gleichermaßen offensichtlich, als dass sie ihn ärgerte. Seine Emotionen würden ihn erneut ins Unglück stürzen, seine Urteilsfähigkeit trüben. Seine Wut richtete sich mehr gegen ihn selbst als gegen Yagi, sodass er entschied, dass er ohne diesen und Todoroki losziehen würde. Er wollte ja nichts unternehmen und solange es hell war, würden die Dämonen wohl in ihrem Versteck bleiben. Um den Kopf freizubekommen, war ein vorläufiger Alleingang bestimmt nicht schlecht.
 

Die Menschen im Dorf beachteten ihn gar nicht, hielten ihn wohl für einen Landstreicher, wie es so oft der Fall war. Es war ihm nur recht, denn so konnte er in Ruhe den Brunnen untersuchen. Schon beim letzten Mal war da dieses ungute Gefühl gewesen. Etwas Böses hatte Hawks es genannt, und ja, dieses Empfinden teilte er mit ihm. Vorsichtig glitt er mit den vernarbten Fingern über die rauen Steine am Rand, fuhr diese nach, während er in die Tiefe sah. So tief, dass man nur Schwärze anstelle des Wassers erkannte. Er schnippte etwas vom bröckeligen Gestein hinunter, horchte darauf, wann es auf dem Wasser aufkam…doch es dauerte, bis das Plätschern an seine Ohren drang. Nachdenklich blickte er hinab, ehe er einen Entschluss fasste.

Ohne auf die irritierten Blicke der Menschen zu achten, kletterte er über den Rand und kraxelte an den hervorstehenden Steinen herunter. Noch war dies einfach, da er noch genug sah, doch weiter unten würde es schwieriger werden. Es wäre wohl vernünftiger gewesen, sich mit einem Seil abzusichern, doch wenn irgendein Schwachkopf dieses löste…nein. Er verließ sich da lieber auf sich selbst. Es reichte schon, dass schon ein paar Menschen zu ihm heruntersahen. Ignorieren und sich darauf konzentrieren, nicht zu fallen und sich den Schädel einzuschlagen. Tatsächlich dauerte es lange, bis er endlich angekommen war, sodass er sich ins Wasser sinken lassen konnte – in welchem er sogar gerade so zu stehen vermochte. Nass klebte der Stoff an seiner Haut, ließ ihn sich schwerer fühlen.

Aizawa überlegte kurz, während über ihm ein paar Leute neugierig ihre Köpfe in den Brunnen steckten, um zu sehen, was er dort trieb. Er ignorierte sie und entschied dann, dass er jetzt nicht einfach verschwinden konnte. Also holte er tief Luft und tauchte dann unter, wobei er selbst mit geöffneten Augen dank der Dunkelheit kaum etwas sehen konnte. Er tastete sich eine Weile an den Wänden entlang, bis er wieder an die Oberfläche musste, ehe er dies noch einmal wiederholte. Diesmal fand er, wonach er gesucht hatte. Da war ein großes Loch im Gestein, durch welches selbst ein Mensch mit Yagis Statur mühelos hindurch gepasst hätte.

Noch einmal tauchte er auf, holte genügend Luft, ehe er den Tunnel durchquerte, wobei er froh war, dass dieser relativ kurz war. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis er wieder an die Oberfläche kam und den moderigen Geruch der Höhle vernahm, in welcher er sich nun befand. Vereinzelt brachen Lichtstrahlen durch die steinige Decke, die es ihm wenigstens ermöglichten, zu sehen, wo er sich befand. Er zog sich aus dem See, der von Felsen umgeben war, und wrang sich dann Haare und Kleidung aus. Es war feucht und kalt, sodass es ihn schauderte und er sich reflexartig die Arme rieb.

Allerdings rührte seine Gänsehaut nicht bloß von der Kälte – vielmehr war das schreckliche Gefühl in seiner Brust stärker geworden. Vermutlich war es mehr als unklug, die Höhle allein zu erkunden, doch dann dachte er wieder an Hawks‘ Worte, was das Schloss anbelangte. Konnte es sein, dass der Pfad vor ihm genau dorthin führte? Es konnte natürlich auch sein, dass es ihn genau in das Nest der Blutsauger brachte.

Unweigerlich musste er an Emi denken, die Shirakumos Kind in sich trug. Wenn es wirklich einen versteckten Gang ins Innere des Schlosses gab…der Gedanke jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Abermals atmete er durch, doch dann entschied er sich, dem Pfad zu folgen. Selbst, wenn sie ihn hier unten töten würden, wussten Todoroki und Yagi von dem Brunnen und dass er hierher gewollt hatte. Die Leute hatten ihm dabei zugesehen, wie er den Brunnen hinabgeklettert war – sie würden herfinden. Früher oder später.
 

Aizawa konnte schlecht abschätzen, wie lange er einfach nur durch die Höhle wanderte, doch irgendwann ging es bergab. Das Licht wurde schwächer und das beklemmende Gefühl in seiner Brust stärker. Abermals erwog er, ob er umkehren sollte, doch dann hielt er inne. Hatte er etwas gehört?

Aizawa schloss kurz die Augen, horchte ein paar Sekunden nur auf das entfernt klingende Geräusch, das er nicht einzuordnen vermochte. Er kniete sich hin, wobei seine Handfläche den Boden berührte. Etwas war hinunter geschliffen worden…und es war nicht schwer, zu erahnen, um was es sich handelte. Er knirschte mit den Zähnen, während er sich erhob und wieder aufsah. Seine Augen leuchteten rot auf, als er weiterging, wobei der Gang schmaler wurde.

Er drang weiter vor, zuckte nicht einmal mit der Wimper, als das vage Geräusch zu einem leisen Wimmern wurde. Übelkeit durchfuhr ihn, als er die zierliche Gestalt von der Decke hängen sah. Die Füße berührten gerade so den Boden, die langen, blonden Haare fielen ihr ins Gesicht. Keine Körperspannung mehr, die mit getrocknetem Blut beschmierten Arme hingen schlaff in den Seilen, die an einem Balken an der Decke befestigt worden waren.

Anscheinend hatte er tatsächlich ihr Nest gefunden. Er blieb im Schatten, während er überlegte, ob er sie losmachen sollte. Vermutlich hatten ihn die Dämonen bereits gewittert. Gespürt. Welche Sinne sie auch nutzen mochten – das hier könnte beschissen für ihn enden. Wenn er jetzt ging, würde sie vermutlich sterben. Wenn er blieb, würden sie wahrscheinlich beide sterben.

Erneut zerriss ihr Wimmern die Stille…und Aizawa verfluchte sich innerlich selbst. Er konnte jetzt nicht mehr zurück. Nachdem er das für sich entschieden hatte, warf er mit einer schnellen Bewegung den Dolch, den er an seiner Seite trug. Die Fesseln wurden durchtrennt und das Mädchen fiel wie ein nasser Sack zu Boden, blieb keuchend und japsend dort liegen.

Aizawa fuhr in der nächsten Sekunde herum, verdankte es seinen guten Reflexen, dass ihn die scharfen Klauen nicht erwischten. Er duckte sich unter ihnen weg, erfasste den Angreifer sofort. Rot glühende Augen, ähnlich seinen eigenen, starrten ihn hasserfüllt an, die Haltung immer noch, als würde sich der Dämon im nächsten Moment erneut auf ihn stürzen. Er konnte nicht. Musste an Ort und Stelle verharren.

„Du…“, zischte der weißhaarige Blutsauger durch seine Fangzähne, doch Aizawa gab ihm nicht die Gelegenheit, weiterzusprechen.

Er würde irgendwann blinzeln müssen und sicherlich waren die anderen beiden ebenfalls hier. Oder noch mehr von ihnen.

„Lauf!“, rief er dem Mädchen zu, ehe er einen zweiten Dolch zog und diesen dem Dämon in den Hals rammte.

Er hörte dessen Gurgeln, sah das Blut aus seinem Mund rinnen…und die Panik im Blick. War das die Schwachstelle? Wenn er den Kopf abtrennte, dann…
 

Bevor er auch nur in diese Richtung denken konnte, riss ihn ein heftiger Schlag von den Füßen und schleuderte ihn über den Boden, presste ihm die Luft aus den Lungen. Aizawa ächzte, hob aber sofort den Kopf, um seinen Gegner zu erfassen und zu lähmen. Der muskelbepackte Hüne erstarrte wie geplant, die Hand noch erhoben, um ihm vermutlich den Gnadenstoß zu verpassen.

„Ngh…!“

„R…ppa…nicht…Augen“, hörte er den anderen undeutlich knurren.

Kein Wunder, schließlich steckte ihm sein Dolch im Hals. Noch zumindest, denn er riss sich diesen nun aus dem Fleisch, schleuderte ihn vor Wut bebend von sich. Und die Wunde schien ihn nicht sonderlich zu beeinträchtigen. Oh Scheiße.

„Du widerliche Missgeburt!“, fauchte der Weißhaarige und machte ein paar Schritte auf ihn zu. „Warte nur…ich werde dir die Eingeweide herausreißen! Langsam und qualvoll…da rettet dich nicht mal dein Mischlingsblu-“

Aizawa hielt den Dämon namens Rappa fest im Blick, während er die Faust ballte und dann zur Seite ausschlug. Es riss den weißhaarigen Dämon von den Füßen, ließ ihn gegen die Wand prallen. Es reichte nicht. Das hier war ein Spiel auf Zeit…und das Mädchen war lediglich heulend zurückgewichen. Wimmerte und schluchzte, während sie sich selbst umarmte.

Scheiße. Er würde hier umsonst sterben.

Ein bitteres Grinsen legte sich auf seine Lippen, während er den Geschmack von Blut im Mund wahrnahm und seine Augen brennen spürte. Irgendwann würde er blinzeln müssen. Aber nicht jetzt. Noch nicht.

Aizawa griff zur Seite und packte den Dolch, mit dem er die Seile durchtrennt hatte und nach seinem Wurf auf dem Boden gelandet war. Dann stemmte er sich hoch, starrte weiter den Hünen, den er als gefährlicher einstufte, an, während er erneut ausholte und den Weißhaarigen mit einer Schockwelle von sich fernhielt. Für mehr würde es nicht reichen. Er musste den Hünen zuerst ausschalten, wenn er auch nicht wusste, wie er den von Sehnen durchzogenen, kräftigen Hals durchtrennen wollte. Er musste einen sauberen Hieb mit dem Wakizashi landen.

„Du Miststück!“, brüllte der andere Dämon. „Wenn du Chisaki weckst…dann ziehe ich dir die Haut persönlich ab!“

„Versuchs“, erwiderte er trocken und schleuderte ihm seinen Dolch entgegen.

Die Waffe traf wohl ihr Ziel, denn er hörte eine Art Gurgeln. Aizawa verlor keine Zeit mehr, zog sein Wakizashi und rannte auf den Hünen zu, der ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte. Er konnte nicht länger auf seine Umgebung achten, als er mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, ausholte und das Schwert schwang. Gleich. Die Klinge glitt mit einigem Widerstand durch das Fleisch, als er den Hieb ausführte, doch er wusste, dass er es geschafft hatte, noch bevor er den wutentbrannten Schrei des anderen hinter sich vernahm.

Er bekam gerade noch das dumpfe Aufprallen mit, als ihm etwas von hinten in den Rücken sprang und ihn mit so viel Kraft zu Boden schmetterte, dass er kurz keine Luft mehr bekam. Sein Kopf wurde an den Haaren gepackt und auf die Erde geschlagen, bis ihm das Blut aus Mund und Nase schoss. Plötzlich rammten sich scharfe Zähne in seinen Hals und er hörte ein widerliches Saugen und Schmatzen. Aizawa würgte trocken, versuchte, um sich zu schlagen, doch er wusste, dass es vorbei war. Diesmal war es wirklich vorbei. Er würde hier sterben.
 

Aizawa hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als ihn ein grelles, viel zu vertrautes Kreischen zusammenfahren ließ. Der Blutsauger löste die Zähne aus seinem Fleisch, fluchte zornig und ließ ihn dann los. In der nächsten Sekunde stürzte sich etwas aus der Dunkelheit auf diesen, packte ihn und…den Geräuschen nach zu urteilen, war es das wohl gewesen.

Aizawa drückte sich reflexartig die Hand auf die Wunde an seinem Hals, während er am Boden liegen blieb und in dem spärlichen Licht zwei riesige, rote Schwingen erblickte. Er hatte nie mehr Erleichterung gefühlt als in diesem Moment – trotz des grausamen Schauspiels vor sich, denn Hawks schien von Zurückhaltung nichts mehr zu halten. Er zerfetzte seinen Feind scheinbar mühelos, bis dieser in seine Einzelteile zerlegt und nur noch eine blutige Masse war.

Mit blutverschmiertem Gesicht drehte er sich schließlich zu ihm um, wobei seine Fänge aufblitzten, ebenso wie die bernsteinfarbenen Augen. Es erinnerte ihn daran, was Hawks war. Ein Raubtier.

„Du bist wirklich lebensmüde. Sei froh, dass ich nicht auf euch alle gehört und mich im Zimmer verschanzt habe, während ihr hier rumschnüffelt. War gar nicht so einfach, den Eingang zu finden…gut, eigentlich hat mich dein Geruch erst hergeführt. Also war’s nicht ganz überflüssig, aber trotzdem!“

Ein Raubtier…und ein Freund, ergänzte er gedanklich.

„Enji wird stinksauer auf uns sein, jede Wette und…oi! Du stirbst mir jetzt nicht weg, oder? Lass mal sehen.“

Aizawa lachte freudlos auf, doch er ließ den anderen sehen, als sich dieser zu ihm kniete. Hinter ihnen schluchzte das Mädchen immer noch, schien nicht in der Verfassung zu sein, sich irgendwie um sich selbst zu kümmern. Kein Wunder.

„Drück mal weiter drauf. Hier. Ich sehe mal nach-“

Aizawa drückte sich den Stofffetzen, den Hawks mit den Klauen von seinem Ärmel abtrennte, auf die Wunde, als sich etwas aus der Dunkelheit auf die Harpyie stürzte und von ihm weg riss.

„Hawks!!“, entkam es ihm und er versuchte aufzustehen.

Ein Knäuel aus zwei Körpern rollte über den Boden, ineinander verkeilt und Aizawa ahnte, dass Chisaki wohl wach geworden war. Rote Federn wirbelten durch die Luft, doch es war schwer, etwas zu erkennen. Er wollte aufstehen, Hawks helfen, doch er konnte sich kaum auf den Beinen halten.

„Wir könnt ihr es wagen?!“, fauchte es durch die Höhle. „Dafür reiße ich dir jede verdammte Feder einzeln aus!!“

Anscheinend fand es Chisaki nicht so amüsant, dass sie dessen Leute getötet hatten. Aizawa unterdrückte ein Stöhnen, als er sich aufrappelte, dabei immer noch das Stück Stoff auf seine Wunde drückte. Scheiße. Er musste Hawks helfen, doch seine Sicht war verschwommen und er konnte nicht viel erkennen. Wo waren sie?
 

„Du bist tot.“

Aizawa gefror das Blut in den Adern, als er die Stimme so nahe an seinem Ohr vernahm. Lediglich ein raues Hauchen. Dann explodierte der Schmerz in seinem Körper. Blut durchnässte seine Kleidung…und die Beine brachen ihm weg. Schwer atmend presste er sich die Hand auf die Seite, welche soeben von langen Klauen durchbohrt worden war.

Sie hatten einen übersehen. Ein Fehler.

„Ich werde dir jetzt die Kehle herausreißen“, säuselte der Blutsauger über ihm genüsslich. „Während Chisaki dieses Huhn rupft…und dann werden wir die Kleine bis auf den letzten Tropfen aussaugen. Dein Tod ist also komplett sinnlos gewesen. Wie traurig…“

Aizawa hätte ihm gerne ins Gesicht gespuckt, doch er nutzte die Sekunden, die ihm noch blieben, um seine Fähigkeiten einzusetzen. Scheinbar hatte das Großmaul vor ihm vergessen, dass er kein normaler Mensch war.

„Heh…du schindest Zeit?“

Aizawa antwortete nicht, sondern konzentrierte sich auf seine Atmung, während er kraftlos auf dem Rücken lag. Seine Augen brannten wie Feuer, die Erschöpfung nagte an ihm, doch er musste durchhalten. Einfach durchhalten.

„So erbärmlich. Aber gut. Machen wir es spannender. Oh? Ich glaube, Chisaki ist soeben dabei, ihm den letzten Rest zu geben. Die Rache wird unser sein.“

Konnte dieses Mistvieh nicht aufhören zu reden? Durch den dunklen Umhang mit Kapuze konnte er kaum etwas von der Gestalt des Dämons erkennen – nur, dass dieser recht groß war.

„Gib einfach auf. Du stirbst sowieso. Der Blutverlust wird dich langsam dahinraffen. Ich gebe dir schnell den Rest. Komm schon, du-“

Aizawa hielt seine Augen krampfhaft offen, auch wenn ihm die Tränen über die Wangen liefen. Anscheinend passierte gerade etwas, das dem Dämon gar nicht schmeckte. Dieser redete nämlich nicht weiter, sondern versuchte mit aller Macht seinen Kopf zu drehen.

„Nein…nein!!“, zischte er wutentbrannt.

Dann ging alles ganz schnell. Aizawa konnte nicht mehr. Die Lider senkten sich. Ein Blinzeln. Im selben Moment ertönte das Geräusch einer Klinge, die durch die Luft geschwungen wurde. Etwas fiel zu Boden. Das Vieh hatte Unrecht. Wenn er starb, dann nicht sinnlos.

Sein Kopf dröhnte, das Pochen in seinen Ohren übertönte alle anderen Laute. Sein Körper fühlte sich so unwirklich an, als seine Schulter gepackt und gedrückt wurde. Die Stimme, die mit ihm sprach, klang weit entfernt…und dennoch löste sie etwas in ihm aus.

Dieser Kerl machte ihn fertig. Selbst jetzt, wo er vermutlich verblutete. Wie bitter.

Aizawa öffnete die Augen angestrengt, sah in die blauen seines Gegenübers, dem das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand. Huh. Scheinbar würden ihn nicht nur die Katzen vermissen. Trotz seiner Schmerzen zuckten seine Mundwinkel kurz. Vielleicht sollte er ihm sagen, dass…nein. Dafür war es wohl zu spät. Sentimentalitäten waren ohnehin nichts für ihn. Es war in Ordnung so. Das Rauschen wurde noch mal lauter, dann ein schrilles Piepen…und mit der Stille kam die Finsternis.

Die Flucht

„Wir sollten ihn hier lassen.“

„Was? Er gehört zu uns! Wir können ihn nicht einfach hier lassen!“

„Mit der Wunde kann er nicht reiten, geschweige denn bei Bewusstsein bleiben.“

„Nein. Er kommt mit uns. Die Kleine da drüben hat gesehen, dass er…anders ist.“

„Du bist daran schuld, dass das hier überhaupt nötig ist!!“

„Oi…ohne meine Hilfe wäre Aizawa tot!“

„Tse…der verdammte Waldschrat hätte nie allein-“

„Hört auf zu streiten. Das bringt nichts.“

Hawks sah ebenso wie Enji auf, wobei ihnen Toshinoris ernster Blick begegnete. Dieser hatte die Wunde so gut es ging abgebunden, kniete neben ihrem Kameraden auf dem Boden. In der Ecke schluchzte und heulte immer noch das Mädchen, während die Überreste der getöteten Dämonen den Boden in Blut tränkten.

„Toshinori. Er ist nicht stabil. Er wird verbluten.“

„Dann wird Hawks ihm eben sein Blut geben“, hielt der Blonde dagegen und es klang verbissen.

„Nicht, dass ich was dagegen habe“, brummte Hawks. „Aber…ich weiß nicht, wie mein Blut bei jemandem wie ihm wirkt. Vielleicht wird mich sein eigenes Blut abstoßen…ich habe echt keine Ahnung, aber…er ist nicht rein menschlich. Vielleicht schafft er es allein.“

Man sah Toshinori seine innere Zerrissenheit an, denn auch dieser musste wissen, dass ein Ritt mit solch einer Wunde alles andere als hilfreich war. Sie mussten den Einsiedler nähen, ihm Gelegenheit zum Heilen und Ruhen geben – und so gesehen hatte Enji sogar Recht. Ihre Flucht, die er ja leider tatsächlich verursacht hatte, war ein höheres Risiko für Aizawa.

Aber was hätte er machen sollen? Schließlich hatte ihn der Geruch ihres Kameraden auf die richtige Spur gebracht, ihn zum Geheimgang im Keller des Schlosses gebracht, der zum Versteck der Blutsauger führte. Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass hier etwas nicht stimmte. Dass der Feind nahe war…und wenn er sich das mit Bisswunden und Kratzern übersäte Mädchen so ansah, ahnte er, dass das hier ebenso die Speisekammer wie das Schlafzimmer war.

Anstelle der zu erwartenden Dankbarkeit schluchzte das Mädchen bei seinem Anblick jedoch nur erneut auf und machte sich möglichst klein. Hawks hätte gern gesagt, dass ihn das schockierte, doch das tat es nicht. Sie war hier drin über Tage oder länger gequält worden. Sie hatte gesehen, wie er die Dämonen zerrissen hatte. Er war kein Mensch. Und auch, wenn er keine lebensgefährlichen Wunden davongetragen hatte, so war er blutbesudelt. Natürlich hatte sie Angst vor ihm. Vor ihnen allen vermutlich. Sie konnten nicht darauf bauen, dass die Kleine nicht hysterisch wurde und sie vor dem kompletten Volk als Dämonen und Besessene darstellte.
 

„Wir müssen hier weg“, durchbrach Enji das Schweigen zwischen ihnen. „Da ihr ihn nicht hier lassen wollt, schlage ich vor, dass Toshinori und ich wieder nach oben gehen. Hawks, du nimmst Aizawa. Ihr nehmt den Weg zurück, durch den er gekommen ist. Versteckt euch hinter der nördlichen Grenze. Wir holen die Pferde und kommen dann zu euch.“

Hawks zögerte merklich, denn das setzte voraus, dass er den Einsiedler tragen musste. Und dass sie durchs Wasser mussten. Er roch es. Vermutlich der Brunnen, den Aizawa öfter erwähnt hatte. Na gut, da mussten sie wohl durch.

Toshinori nickte, auch wenn es ihm schwer fallen musste, so wie er Aizawa ansah, welcher mit dem Oberkörper in seinem Schoß lag. Als würde der Blonde ihn nicht loslassen wollen. Dann aber straffte er die Schultern, sein Blick wurde entschlossen.

„Verlieren wir keine weitere Zeit. Kannst du ihn tragen, Hawks?“

„Ja. Wird schon gehen. Mit einem von euch wäre es schwerer…“

„Hn“, kam es nur schroff von Enji, der sich nun an das Mädchen wandte. „Komm. Wir bringen dich hier weg.“

Leichter gesagt, als getan, denn sie reagierte gar nicht. Als Enji einen Schritt auf sie zumachte, begann sie zu wimmern und wich zurück.

„Sie hat Schlimmes erlebt. Lass sie“, murmelte Toshinori, während er ihm Aizawa möglichst vorsichtig übergab. „Der Fürst soll eine Heilerin runterschicken…“

Hawks lud sich Aizawa über die Schulter – so konnte er ihn, gestützt von seinen Flügeln, besser tragen. Dann sah die Harpyie zu den beiden Männern, die sich erhoben hatten. Irgendwie gefiel es ihm nicht, dass sie sich trennen würden – und sei es auch nur kurz. Wehe, Shirakumo ließ zu, dass man den beiden etwas antat.

„Eh…na dann, also, wir sehen uns auf der…anderen Seite?“

Irgendwie kam ihm sein eigener Witz gerade geschmacklos vor, aber immer noch besser als ein Abschied, der nachher noch ein schlechtes Omen war.

„Bescheuerter Vogel“, hörte er Enji knurren und grinste schief.

„Pass auf euch beide auf“, fügte Toshinori hinzu und man merkte ihm an, dass auch er angespannt war. „Wir kommen so schnell wie möglich zu euch.“

„Ja. Verlasst euch auf mich. Ich krieg das hin…und ihr, lasst euch ebenfalls nicht abmurksen, klar?“

„Wofür hältst du uns?!“, grollte Enji zurück. „Los, verschwinde schon!“

Hawks zwinkerte ihm lieblich zu, ehe er Aizawa über seiner Schulter noch mal gerade rückte und mit ihm zum anderen Ausgang lief.
 

Dass es so dunkel war, machte ihm nichts aus, schließlich hatte er noch andere gute Sinne. Dementsprechend kam er recht schnell am Eingang des Brunnens an – und es gefiel ihm gar nicht, dass er mit Aizawa tauchen musste. Erstens, weil er nicht gern schwamm, und zweitens, weil es das Fliegen erschwerte – und er musste fliegen. Na ja, es würde schon klappen, immerhin waren dort oben nur die Dörfler. Die Wachen bewachten nach dem Aufruhr sicherlich noch gewissenhafter das Schloss.

Hawks atmete durch, ehe er Aizawa von seiner Schulter gleiten ließ. Der Einsiedler war noch bleicher als sonst, wobei das Blut einen harten Kontrast bildete. Nun, er selbst sah bestimmt nicht viel besser aus.

„Stirb mir nicht weg“, murmelte er ihm zu, ehe er ihn ins Wasser zog.

Dann schlang er den Arm um ihn, presste ihm die klauenbesetzte Hand aufs Gesicht und tauchte unter, nachdem er noch mal nach Luft geschnappt hatte. Hoffentlich soff ihm der andere nicht ab. Er musste schnell wieder auftauchen. Zum Glück schien es wirklich nur eine kurze Hürde zu sein, denn bereits ein paar Sekunden später sah er schon das Licht. Er riss Aizawa hoch, welcher hörbar röchelte und gierig den Sauerstoff einsog. Ein paar Mal blinzelte er durch seine nassen Haare, doch er schien ihn gar nicht richtig zu sehen. Mit Körperspannung war auch nichts los, so wie dieser in seinem Arm hing, den Kopf gegen seine Schulter gekippt.

Wenigstens sollte kein Wasser in seine Lunge eingedrungen sein. Dennoch…Enji hatte nicht Unrecht damit gehabt, dass es besser gewesen wäre, ihn bei Shirakumo zu lassen. Doch wenn das Mädchen redete oder sonst jemand damit ankam, dass der Einsiedler mit ihm im Bunde war…nein. Es ging nicht anders.

Hawks hielt Aizawa fest, während er seine Flügel im Brunnen spreizte, soweit es der Platz zuließ. Dann schlug er mit den roten Schwingen, versuchte die Feuchtigkeit aus seinem Gefieder zu schütteln. Es dauerte ein wenig, aber immerhin war das Wasser nicht sonderlich hoch, sodass er stehen konnte.

Ein Blick nach oben sagte ihm, dass die Dämmerung bald einsetzen würde. Gut, denn bei Dunkelheit war eine Flucht sehr viel einfacher. Er hievte sich Aizawa wieder über die Schulter, ehe er mit seinen Klauen den Brunnen hinaufkraxelte – und dabei aufpassen musste, dass ihm der Einsiedler nicht abstürzte. Dämonenblut hin oder her, unsterblich war er damit nicht, und aus dieser Höhe…
 

Hawks presste die Flügel eng an den Körper, damit Aizawa gut gesichert war und er nicht die ganze Aufmerksamkeit auf sich zog, sobald er oben war. Allerdings klappte das wohl nur zum Teil. Er stutzte, als er den Rand des Brunnens erklomm und in braune Kulleraugen sah.

Der Blick des Jungen wanderte über sein Gesicht und von dort zu seiner Last, blieb an den Flügeln hängen und senkte sich dann auf seine Klauen.

„Eh…hallo?“, brach Hawks die Stille und grinste schief, wobei seine Fänge hervorblitzten. „Schön leise sein, ja?“

Der Junge weitete seine Augen, starrte ihn an wie eine Erscheinung – und dann öffnete er den Mund, um das halbe Dorf zusammenzuschreien. Hawks fluchte hörbar und schwang sich auf den Brunnenrand, auf welchem er mit Aizawa für einen Moment hocken blieb. Köpfe drehten sich zu ihnen um, Getuschel wurde laut und Hawks wusste, als nächstes würde zu den Waffen gegriffen werden.

„Ein Dämon!! Das…das ist ein…“

„Da ist ein Monster!!“

„Hilfe!!“

„Bringt es zur Strecke!!“

So vertraut. Leider weckte es kaum Nostalgie in ihm, sondern eher eine Art altbekannte Übelkeit. Wenn er so in ihre Gesichter sah, den Schrecken und die Angst darin erkannte, wurde ihm wieder bewusst, warum er so lange einsam gewesen war. Bitter. Aber so war das Leben. Außerdem gab es Wichtigeres, denn er musste Aizawa in Sicherheit bringen.

„Oi!“, rief er dennoch. „Ich bin eine Harpyie, klar? Und wenn ihr lieb zu mir seid, bin ich auch lieb zu euch, also leg die Mistgabel weg! Ja, dich meine ich, Opa!“

Bevor der Greis, der mit seiner Waffe aus einem der Häuser kam, etwas erwidern oder tun konnte, breitete Hawks seine Schwingen aus, denn die Panik würde bald Überhand nehmen. Zumal er von Armbrüsten und Pfeilen in seinen Flügeln oder anderswo wirklich genug hatte. Er war keiner von ihnen und würde das auch niemals sein, damit musste er sich abfinden.

Um mehr Gleichgewicht zu bekommen, ließ er Aizawa nach vorn rutschen, sodass er diesen nun in den Armen trug. Wirklich gut, dass der Mann nicht so viel wog wie die anderen beiden.

„Bis dann, macht’s schön!“, zwitscherte er und stieß sich dann vom Brunnen ab.

Zuerst brach ihm der Schweiß aus, denn die Angst, dass ihn die Nässe in seinem Gefieder doch an den Boden fesseln würde, war noch da. Ebenso wie die Befürchtung, dass er mit seiner Last nicht hoch genug kommen würde. Umso befreiender war es, den Wind unter seinen Flügeln zu spüren, als er schließlich an Höhe gewann und aus dem Sichtfeld der Menschen verschwand.
 

Wie besprochen flog Hawks Richtung Grenze, beziehungsweise ein Stück darüber hinaus, falls doch noch Patrouillen unterwegs waren. Er suchte eine möglichst geschützte Stelle, umgeben von Bäumen und Felsen, ehe er Aizawa im weichen Moos ablegte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie eiskalt dieser war – und er verfluchte sich selbst. Die Nässe und der Wind mussten ihn völlig durchgefroren haben und dass das nicht gut war, musste ihm nicht erst ein Heiler sagen. Aizawa atmete unruhig, während ihm der Schweiß auf der Stirn stand und Hawks‘ schlechtes Gewissen damit noch steigerte.

„Scheiße“, murmelte er in sich hinein und sah sich verunsichert um.

Sollte er ein Feuer riskieren? So würden Enji und Toshinori sie leichter finden – potenzielle Feinde jedoch ebenso. Hawks seufzte stumm, ehe er sich zu dem Einsiedler kniete und sich daran machte, diesen aus seiner nassen Kleidung zu schälen. Der Mann hatte wirklich viele Narben am Körper, wenn er ihn sich so ansah und…er sollte nicht so gaffen, sondern ihn warm halten. Toll. Er hatte nicht mal eine Decke.

Und Aizawas Wunde blutete wieder, was ebenfalls nicht gut war. Ob er doch sein Blut nehmen sollte? Nach wie vor erschien ihm das zu heikel, da er nicht wusste, was passieren könnte. Stattdessen nahm er einen nassen Streifen Kleidung des anderen und band ihn stramm um dessen Seite – hoffentlich würde das nicht in einer Blutvergiftung enden, aber ihm fiel nichts Besseres ein.

Danach zog er sich selbst komplett aus und lehnte sich an die Felswand in seinem Rücken, ehe er Aizawa dicht an seinen Körper zog, ihn mit Klauen und Flügeln umschlang, bis nichts mehr von diesem zu sehen war. Es war die einzige Möglichkeit, die er sah, um den anderen wenigstens vor einer Unterkühlung und Fieber zu bewahren. Vollkommen uneigennützig. Auch wenn er wünschte, jemand würde ihm mal wieder so nahe kommen. Ohne, dass dieser jemand bewusstlos und kurz vorm Sterben war.

Hawks seufzte erneut, dieses Mal mit einer Spur Wehmut, während Aizawas Kopf an seiner Halsbeuge ruhte. Er lauschte dessen Atem, lehnte die Wange an dessen Stirn…noch fühlte er keine alarmierende Hitze. Nun gut, wenn es sein musste, würde er die ganze Nacht auf ihn aufpassen. Der Einsiedler war sein Freund. Sie alle waren Freunde. Kameraden. Es war immer noch schön, es sich vorzustellen. Dass er von nun an dazu gehören sollte. Zu diesem ungewöhnlichen Rudel.

Er musste lächeln, blickte vor sich hin in die Dunkelheit. Zwei Ritter, ein Halbdämon und eine Harpyie. Klang wie eine sehr fantasievolle Geschichte. Hoffentlich überlegte es sich Enji nicht anders, bei Toshinori hatte er da weniger Bedenken.

Andererseits hatte er schon bemerkt, dass der Rothaarige Probleme damit hatte, seine wahren Absichten und Emotionen darzulegen. Hawks durchschaute ihn langsam. So wie bei der Frage, ob sie Aizawa mit sich nahmen. Hörte sich herzlos an, wenn er aber nun zu seinem Patienten heruntersah, konnte er es nachvollziehen. Trotzdem sie sich nicht ganz grün waren, sorgte sich Enji ebenfalls um Aizawa, daran bestand für ihn kein Zweifel.

Hawks spürte, wie Aizawas Zittern schwächer wurde, und wertete dies als gutes Zeichen. Dieser würde es schaffen. Sie alle würden es schaffen und dann würden sie gemeinsam weiterreisen und…eh…Dämonen jagen? Wäre für ihn kein Problem, schließlich hatte er ja schon klargestellt, dass er diesbezüglich keinerlei Hemmungen besaß. Andernfalls hätte er die Blutsauger nicht zerfleischt. Er sah andere Dämonen nicht als seine Rasse an, hatte mit ihnen nichts gemeinsam. Es sei denn, sie begegneten jemandem wie ihm selbst. Manche Dämonen suchten kein Chaos, keine Zerstörung…nicht alle ernährten sich von Menschen. Vielleicht war es seine Aufgabe, dies diesem rothaarigen Sturkopf näherzubringen. Auf dem richtigen Weg war er ja anscheinend…

Hawks schloss die Augen, hielt Aizawa weiterhin fest, während er seinen Gedanken nachhing. Er würde nicht schlafen, seine Sinne aufs Äußerste gespannt lassen. Aizawas Zustand im Auge behalten und potenzielle Feinde in Schach halten – oder töten. Er hatte endlich Freunde gefunden. Das würde er sich nicht nehmen lassen. Nicht einmal vom verdammten Tod.
 

Stunden später, es war bereits finstere Nacht, fuhr er aus seinem dämmrigen Zustand hoch. Dieser Geruch…vor Aufregung erzitterten seine Flügel, ehe er Aizawa die Ohren zuhielt und einen grellen Schrei ausstieß. Gleich darauf ertönte Hufgetrappel und Pferdewiehern aus der Ferne. Am liebsten wäre Hawks ihnen entgegen geflogen, damit sie schneller hier waren, doch er besann sich. Er konnte Aizawa nicht einfach hier liegen lassen, so ungeschützt, wie er war.

Glücklicherweise musste er aber auch nicht lange ausharren, denn wenige Minuten später hielten die beiden Gäule bei dem Lager, das er für sie auserkoren hatte.

„Was zur Hölle tust du da?!“, entkam es Enji, welcher soeben von seinem Pferd stieg.

Beide Tiere waren mit vollen Satteltaschen ausgestattet, was Hawks vermuten ließ, dass Shirakumo sich noch ordentlich hatte bedanken wollte. In der Tat, der Fürst war ein guter Kerl, auch wenn er sich nicht zu ihnen bekennen konnte.

„Wonach sieht’s denn aus? Er war total unterkühlt und ich wärme ihn, damit er nicht auch noch krank wird!“, erwiderte Hawks, der nicht verstand, was die Frage überhaupt sollte. „Unsere Kleidung ist noch nicht trocken und ich wollte kein Feuer machen, um auf uns aufmerksam zu machen. Ich kann mit ihm nicht kämpfen.“

„Schon gut“, brummte der Rothaarige und winkte ab. „Wir haben Decken dabei…und Verbandszeug.“

„Ja. Ich mache das ab hier, Hawks“, pflichtete Toshinori ihm bei. „Danke, dass du dich so gut um ihn gekümmert hast.“

Dabei lächelte er ihn so ehrlich an, dass Hawks ganz warm ums Herz wurde. Scheinbar war Aizawa Toshinori wirklich wichtig…

„Natürlich! Wir sind Kameraden, nicht wahr?“, gab er freudig zurück und löste sich dann von dem Einsiedler.

„Zieh dir gefälligst was über!“, knurrte Enji ihn an und schmiss ihm eine Decke zu. „Ich gehe Holz holen und mache Feuer.“

Verdutzt blinzelte Hawks den anderen an, wobei er nicht nachvollziehen konnte, warum dieser so angefressen war. Schließlich hatte er sich doch vorbildlich um Aizawa gekümmert. Toshinori legte diesen gerade auf der zweiten Decke ab, bedeckte dessen Unterleib damit, ehe er sich der Wunde widmete. Hawks kuschelte sich in den Stoff, setzte sich neben ihn und sah zu.

„Ich muss die Wunde nähen“, hörte er den Blonden murmeln. „Sie blutet immer noch.“

Mit diesen Worten erhob er sich und holte die Utensilien, die er dafür benötigte. Scheinbar hatte Shirakumo an alles gedacht – und Alkohol zum Desinfizieren war auch dabei.

„Kannst du dafür sorgen, dass er sich nicht die Zunge abbeißt?“, fragte Toshinori ihn und drückte ihm einen Ast in die Klauen. „Falls er wach wird…und sich erschreckt…“

„Eh…ja. Sicher, ich passe auf.“

Hawks setzte sich hinter den Bewusstlosen und klemmte ihm den Ast zwischen die Lippen, wobei er dessen Kopf auf seinen Beinen bettete. Allerdings schien Aizawa nichts mitzubekommen, als der Blonde den Alkohol auf die Wunde kippte und die Nadel durch die Haut stach. Machte er wohl nicht zum ersten Mal, aber gut, wenn man ein Mensch war und keine guten Selbstheilungskräfte hatte, musste man wohl darauf zurückgreifen.

Als Toshinori fertig war, legte er Aizawa einen sauberen Verband an, wobei Hawks ihm half, indem er ihn etwas anhob. Vermutlich würde er von seinen Klauen den einen oder anderen Kratzer haben, aber das war wohl das kleinste Problem. Toshinori packte den Einsiedler so in die Decke, dass dieser komplett eingemummelt war und es schön warm hatte. Dann legte er die große Hand an dessen Wange und strich sanft darüber, ein bedauernder Ausdruck in den blauen Augen.

Hawks musterte Toshinori einen Moment lang, wobei ihm die Intimität hierbei nicht entging. Auch wenn er sonst wenig Taktgefühl besaß, das hier war offensichtlich. Er erhob sich, drückte im Vorbeigehen Toshinoris Schulter und machte sich dann daran, sich die noch feuchte Hose überzustreifen. Er würde zusehen, dass er ihnen was Gutes zum Abendessen fing.
 

Als er wenig später mit einem jungen Wildschein im Schlepptau zurück zum Lager ging, kreuzte er absichtlich Enjis Weg. Anscheinend hatte dieser denselben Gedanken gehabt, wenn er die beiden toten Kaninchen so betrachtete. Der Rothaarige fuhr zu ihm herum, wobei ihm das Feuerholz aus den Armen fiel – ebenso wie die Pelztiere, die oben auflagen.

„Was zum…schleich dich nicht an!“, wurde er angeknurrt und hob eine Braue. „Und was…ist das zur Hölle? Wir haben noch Proviant in den Taschen. Das ist wieder zu viel.“

„Keine Sorge. Das Vieh würde ich auch allein schaffen“, beschwichtigte er den Hünen.

Warum dieser schon wieder so gereizt war, war ihm schleierhaft. Immerhin hatten sie es doch geschafft? Oder war genau das der Grund? Wurde Enji an sein Wort erinnert? Wollte er ihn gar nicht dabei haben? Der Gedanke verpasste ihm einen Dämpfer.

„Gierschlund“, hörte er den Rothaarigen murmeln, während dieser Holz und Kaninchen aufsammelte.

Hawks erwiderte nichts darauf, sondern beobachtete ihn dabei. Er war unsicher, ob er einfach fragen oder es dabei belassen sollte. Aber wenn er keine Gewissheit bekam…

„Hast du es dir überlegt?“

Enji sah nicht auf, schnaubte bloß.

„Was überlegt?“

„Das mit mir. Dass ich mit euch zusammen weiterreise“, führte Hawks es näher aus. „Du hast heute erlebt, was für Konsequenzen es für euch haben kann, mit mir gesehen zu werden. Das wird sich nicht ändern. Vermutlich niemals.“

Enji antwortete nicht sofort darauf, richtete sich langsam wieder auf. Seine verbissene Miene deutete Hawks nicht gerade als gutes Zeichen. Das Schlimme daran war, dass er es sogar verstehen würde. Der Gedanke schmerzte, aber er war nachvollziehbar. Seine Vorfreude war verfrüht gewesen, er hatte sich zu sehr hineingesteigert.

„Hawks“, hörte er Enji schließlich sagen und blickte ihn an. „Dass du dich so offen gezeigt hast, hätte uns alle heute das Leben kosten können. Aizawas Alleingang kostet ihn vielleicht das Leben. Beides ist inakzeptabel.“

Die Worte waren hart gesprochen und ließen Hawks ein wenig zusammenzucken. Die Endgültigkeit in Enjis Stimme ließ ihn nichts Gutes erahnen und er machte sich innerlich bereit, davongejagt zu werden.

„Du sprichst von Kameradschaft, aber das macht nicht nur ein gemeinsames Ziel aus. Deswegen darf das in Zukunft nicht mehr passieren. Wenn wir zusammen weiterreisen, müssen wir uns aufeinander verlassen können. Verstanden?“

Hawks starrte in die türkisfarbenen Augen, die ihn fest anblickten.

„In…Zukunft?“, wiederholte er irritiert.

„Sagte ich doch. Hn. Falls Aizawa nicht ins Gras beißt. Dieser verdammte Waldschrat…der macht uns genauso viele Probleme wie du. Tse. Klettert in dieses Loch runter, sagt keinem was. Wenn er wieder bei Bewusstsein ist, verpasse ich ihm eine.“

Vielleicht war das Enjis Art, seine Sorge auszudrücken. Hawks jedenfalls hatte sich nicht verhört, oder? Was der andere gerade gesagt hatte?

„Ich darf bei euch bleiben?“, hakte er nach und spürte, wie das breite Lächeln kam.

„Was sonst?“, ranzte Enji ihn genervt an. „Und jetzt komm endlich.“

Damit wandte er sich ab und lief in Richtung ihres Lagers. Hawks heftete seinen Blick auf den breiten Rücken vor sich, ehe er das Wildschwein wieder am Bein packte und dem anderen folgte. Auch wenn die Sorge um Aizawa noch präsent war – das warme Glücksgefühl in seiner Brust konnte und wollte er nicht ersticken.

Das Geständnis

Die Nacht verbrachte Toshinori fast durchgehend an Aizawas Seite, um dessen Zustand zu überwachen. Während sich Hawks und Enji etwas abseits hingelegt hatten, lag er neben dem Einsiedler und lauschte dessen leisem Atem. Er fragte sich, warum Aizawa allein und ohne ein Wort zum Brunnen gegangen war. In gewisser Weise enttäuschte ihn dies, denn es fühlte sich an, als hätte dieser ihnen damit den Rücken gekehrt. Als würde er damit zeigen wollen, dass er sie nicht brauchte. Dabei waren sie doch Kameraden, hatten bis hierhin so vieles zusammen erlebt und Toshinori hatte sich an ihn gewöhnt.

Mehr noch, denn die Gefühle, die er für den anderen Mann hegte, entsprachen nicht denen, wie er sie zum Beispiel für Enji oder Hawks empfand. Vielleicht wäre alles einfacher gewesen, wenn ihm das Begehren nach einer anderen Person bereits vertraut gewesen wäre. Da er aber selbst in jüngeren Jahren nur sein Ziel sowie seine Tugenden vor Augen gehabt hatte, hatte er sich solche Empfindungen nicht erlaubt. Toshinori war immer davon ausgegangen, dass es eine Frau sein würde, der er den Hof machen würde…und nun saß er hier. Neben einem Mann, der so vollkommen anders als alles war, das Toshinori sich hätte ausmalen können. Er wusste wirklich nicht weiter, konnte schließlich auch niemanden um Rat fragen. Gleichzeitig scheute er sich, Aizawa seine Gefühle zu gestehen, schon allein wegen seiner Unerfahrenheit. Er wollte auf keinen Fall, dass sich der Einsiedler fühlte, als hätte er sich nur ausprobieren wollen – oder schlimmer, dass er sich einen grausamen Scherz erlaubt hatte.

Wahrlich, es war zum Verzweifeln…und dabei war Aizawa nicht einmal bei Bewusstsein. Sie würden einander Rede und Antwort stehen müssen, wenn sein Kamerad die Augen öffnete und sich etwas erholt hatte.

Toshinori seufzte wehmütig, während er dem anderen Mann eine verirrte Strähne aus dem bleichen Gesicht strich. Dann nahm er den feuchten Lappen, der auf dessen Stirn lag. Er würde ihn kurz auswaschen und sich dann wieder zu ihm legen. Einige Meter weiter floss ein kleiner Bach, an den er sich kniete, um das Stück Stoff hinein zu tunken.
 

„Oi!“

Trotz seiner guten Instinkte erschrak Toshinori in dem Moment so sehr, dass er beinahe vornüber in den Bach fiel. Er fuhr herum und sah direkt in Hawks‘ bernsteinfarbene Augen, welche ihn anfunkelten.

„Du solltest wirklich mal schlafen, Toshi“, kam es von der Harpyie, welche sich vor ihn gehockt hatte. „Aizawa hilft es nicht, wenn du bei Sonnenlicht vor Erschöpfung vom Pferd kippst.“

Müde blickte der Blonde ihn an, lächelte schief.

„Ach was, so wild ist es nicht. Ich…würde ohnehin keine Ruhe finden und-“

„Ich kann dich doch für ein paar Stunden ablösen?“, ließ Hawks ihn nicht ausreden. „Wenn du Sorge hast, dass er friert, lege ich mich zu ihm und halte ihn mit meinem Gefieder warm.“

Der Gedanke löste Widerwillen in Toshinori aus, auch wenn er wusste, dass dies mehr als albern war. Hawks meinte es gut, wollte ihm bloß helfen…und er hatte Recht. Wenn er sich selbst überforderte, würde er am nächsten Tag keine Hilfe sein. Er seufzte unterdrückt, spürte den unangenehmen Blick der Harpyie auf sich ruhen.

„Hör mal, Toshi, was auch immer das mit euch beiden ist – du musst dir meinetwegen keinen Kopf machen.“

„W-Was?“, entkam es dem Blonden und er spürte, wie sich seine Wangen röteten. „Ich…ich meinte nicht-“

„Doch. Meintest du“, unterbrach Hawks ihn abermals. „Du warst dankbar. Und eifersüchtig. Auch wenn du es gut verbergen kannst. Aber mal im Ernst, du musst dir wirklich keine Gedanken machen. Ich hab’s nicht auf Aizawa abgesehen, er gehört ganz dir~“

Toshinori wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. War es so offensichtlich, dass er Gefühle für den anderen Mann hegte? Irgendwie war es ihm nun unangenehm.

„Was denn? Denkst du, es macht mir etwas aus? Ach Toshi…ich bin ein Dämon. Wir suchen unsere Partner selten nach dem Geschlecht aus, sondern nach ihren Stärken, Geruch und so weiter. Also alles im Lot. Und unter uns gesagt…ich denke, er mag dich auch.“

Dabei zwinkerte ihm die Harpyie grinsend zu, woraufhin Toshinori knallrot wurde.

„Hawks!“, entwich es ihm erschrocken.

„Was denn? Jetzt hab dich nicht so…“

„Ich…denke nicht, dass wir darüber reden sollten“, murmelte der Hüne, fand, dass es sich einfach nicht schickte.

„Manchmal ist es aber besser, wenn man mit jemandem darüber redet, glaub mir. Davon abgesehen…wovor hast du Angst? Dass es sich nicht gehört? Dass er nicht dasselbe fühlt? Das ist-“

„Ich fürchte, dass ich ihm nicht gerecht werden kann“, brummte Toshinori, damit er endlich still war.

„Huh?“

„Woher soll ich wissen, ob das, was ich fühle, nicht nur freundschaftliche Zuneigung ist?“
 

Für einen Moment blieb Hawks still, schien mit einer solchen Frage nicht gerechnet zu haben. Toshinori fragte sich, ob der Dämon seine Lage überhaupt beurteilen konnte, doch er wollte ihn nicht kränken, weswegen er wartete. Sein Gegenüber fuhr sich durch das Haar, runzelte dabei die Stirn.

„Nun…irgendwie weiß man es doch? Ich meine, du musst doch eine Art Begehren oder sowas fühlen? Oder…sagen wir es so, du fühlst anders als für mich, oder?“

„Natürlich. Du bist ein Kamerad.“

„Und Aizawa?“

„…uhm…er ist…anders. Scharfzüngig und feindselig, aber auch besonnen und warmherzig, selbst wenn man es nicht auf den ersten Blick erkennt.“

Und verletzt. Was dieser nur ihm anvertraut hatte. Es regte etwas in Toshinori und es sorgte dafür, dass er ihn davor beschützen wollte. Auch wenn der Einsiedler mit Sicherheit keinen Schutz von ihm brauchte, doch es war ihm ein Bedürfnis.

„Ich denke, du solltest einfach Vertrauen in dich haben, Toshi. Und in Aizawa“, kam es von der Harpyie. „Außerdem…so wie du über ihn redest, klingt das echt eindeutig. Warmherzig, haha…also echt. Wenn er dich hören würde, würde er dir den Hals umdrehen.“

„…bitte mach dich nicht darüber lustig“, murmelte der Hüne, woraufhin Hawks schmunzelte.

„Ach was…ich bin bloß neidisch.“

„Neidisch?“

Das verstand er nicht. Auf sein Dilemma wohl kaum.

„Schon gut, schon gut“, wiegelte der Dämon ab und erhob sich. „Lass uns zurück zum Lager gehen…und noch mal, ich kümmere mich jetzt um unseren Freund, klar? Du wirst Schlaf nachholen! Keine Widerrede! Ich brauche nicht mal annähernd so viel Schlaf wie ihr Menschen, also macht es mir auch nichts aus.“

Toshinori haderte mit sich, ob er wirklich darauf eingehen sollte. Die Vernunft siegte letztendlich über das hässliche Gefühl in seiner Brust, sodass er nickte. Eifersucht. Hatte er so etwas schon einmal empfunden? Er konnte sich nicht erinnern. Solch negative Emotionen hatte er eigentlich immer von sich gewiesen. Es war wirklich zum Haare Raufen.

„Danke, Hawks“, erwiderte er schließlich. „Das weiß ich zu schätzen…und verzeih mir…du weißt schon was.“

„Da gibt’s nichts zu verzeihen“, meinte die Harpyie schmunzelnd, was Toshinori ein Lächeln entlockte.

Gemeinsam gingen sie zurück zum Lager, wo Enji ihnen einen knappen Blick zuwarf, ehe er ihnen den Rücken kehrte, um weiterzuschlafen. Es war zu erwarten gewesen, dass diesem ihre Abwesenheit nicht entgangen war. Hoffentlich war sein Freund weniger aufmerksam als Hawks, was die Sache zwischen Aizawa und ihm anging. Den Gedanken verdrängend, platzierte er den Lappen auf der Stirn des Schlafenden, betrachtete ihn einen kurzen Moment, ehe er Hawks zu diesem ließ. Der Dämon legte sich neben den Einsiedler und vergrub das Gesicht an dessen Schulter, ehe er die rechte Schwinge über diesen legte. Ja, frieren würde Aizawa wohl nicht mehr, diesbezüglich konnte er unbesorgt sein. Toshinori seufzte stumm, wandte sich dann seinem Lager zu, um Hawks‘ Ratschlag zu befolgen. Der Morgen würde ohnehin bald anbrechen.
 

„Wenn er nicht stabil genug ist, könnte ihn der lange Ritt umbringen.“

„Und wenn wir weiter hier herumsitzen, könnten uns ein Mob wütender Dörfler allesamt umbringen!“

„Das ist mir bewusst, Enji.“

„Dann verstehst du ja auch, dass wir keine Wahl haben.“

„Ich würde euch ja anbieten, ihn zu tragen, aber ich glaube, da tut sich nicht viel mit Fliegen und Reiten. Aber sagt mal, haben wir überhaupt irgendein Ziel? Oder nur schnell weg, damit die unsere Gesichter vergessen?“

„Ich glaube nicht, dass die dein Gesicht jemals vergessen.“

„Hey, kein Grund fies zu werden, klar? Es sei denn, du meinst, dass ich ein wunderhübsches Gesicht habe~“

„…sei einfach still.“

„Beantwortet ihr beide lieber mal meine Frage. Wohin geht‘s?“

„In meine Heimat.“

Toshinori war sich der Blicke seiner Kameraden sehr wohl bewusst, vor allem Enjis drückte Überraschung aus. Nun, sein Freund wusste natürlich, dass er aus guten Gründen nur selten zurückkehrte. Es war eben sehr kompliziert.

„Ist es schon wieder so weit?“, brummte der Rothaarige und Toshinori nickte.

„Ja. Außerdem glaube ich, dass es dort gerade am sichersten für uns ist. Er wird es verstehen, wenn wir es erklären.“

„Da bin ich mir zwar nicht sicher, aber wenn du meinst…“

„Kann mir mal jemand erklären, wovon ihr sprecht? Wer ist er?“

Toshinori lächelte bei Hawks‘ Fragen schief.

„Das…würde ich ehrlich gesagt lieber später klären. Wir sollten uns dem eigentlichen Problem widmen und das ist, wie wir dorthin kommen, ohne dass Aizawa zu viel Blut verliert.“

„In dem Fall mache ich es Euch einfach.“

Sogar Hawks zuckte leicht zusammen und sie warfen einen Blick zu dem Einsiedler, welcher sich vorsichtig aufsetzte. Er war immer noch blass und wirkte etwas zittrig, doch in seinen geröteten Augen lag Entschlossenheit. Toshinori spürte die Erleichterung deutlich, wenngleich sich damit auch seine Verärgerung bemerkbar machte. Sei es drum, er würde das jetzt nicht thematisieren. Das war nicht der richtige Zeitpunkt.

„Lasst mich hier.“

Vielleicht ja doch.

„Wie bitte?“, fragte er so ruhig nach, wie es ihm gerade möglich war.

Eigentlich war er niemand, der die Wut Oberhand gewinnen ließ, aber die Worte trafen einen empfindlichen Nerv.

„Ihr habt mich verstanden“, erwiderte Aizawa leise. „Ich habe gehört, was Ihr gesagt habt, und mir ist bewusst, dass ich Euch in diese Lage gebracht habe. Weder will ich Euch behindern, noch weiter in Schwierigkeiten bringen. Die Wunde heilt. Ich kann mich selbst versorgen. Es ist also-“

„Nein.“

„…was?“

„Ihr habt mich verstanden“, wiederholte Toshinori die Worte des Einsiedlers schärfer. „Ihr habt Recht damit, dass Ihr uns in diese Lage gebracht habt. Warum auch immer Ihr diesen Alleingang gewählt habt, anstatt mit uns zu sprechen, denkt nicht, dass wir genauso egoistisch handeln werden wie Ihr. Wir sehen Euch als Kameraden und haben unser Leben auch für Euch riskiert. Auch wenn Ihr dies offensichtlich nicht zu schätzen wisst.“

Es verlangte ihm viel ab, nicht laut zu werden, doch er nahm sich zusammen. Das war nicht seine Art. Genau genommen war selbst dieser scharfe Ton nicht seine Art, doch es musste gesagt werden. Nun, da Aizawa bei Bewusstsein war, machte die Angst um dessen Leben anderen Emotionen Platz.

Die Stille, die auf seine Worte folgte, war für ihn anscheinend nicht so unangenehm wie für seine Kameraden. Enji hatte seine Aufmerksamkeit fest auf die erloschene Feuerstelle gerichtet und Hawks‘ Blick flackerte unruhig umher, während Aizawa wohl sprachlos war. Toshinori merkte, dass es diesem schwer fiel, seinem Blick standzuhalten.

„Hawks. Wir gehen unsere Wasservorräte auffüllen“, brach Enji das Schweigen, woraufhin sich die Harpyie aufrappelte.

„Gute Idee.“
 

Kurz darauf waren sie beide allein, woraufhin es wieder still wurde. Zunächst sagte Aizawa nichts, was ungewöhnlich war, denn normalerweise ließ er eine Anschuldigung nicht einfach so über sich ergehen. Es sei denn, sie war gerechtfertigt.

„Was wollt Ihr von mir hören?“

Toshinori fixierte den Einsiedler aus seinen blauen Augen.

„Ich weiß es nicht“, gab er etwas ruhiger zu. „Ich möchte nur, dass Ihr Euch bewusst seid, was Euer Verhalten auslöst. Ihr seid uns nicht egal…und es wäre schön, wenn Ihr uns zeigen würdet, dass auch wir Euch nicht egal sind.“

Aizawas Ausdruck wirkte plötzlich etwas bitterer und er presste die Lippen für ein paar Sekunden zusammen. Er hörte ihn tief durchatmen, ehe er ihn wieder anfunkelte.

„Ihr wisst, dass es nicht so ist“, knurrte er. „Ihr habt Recht damit, dass es unverantwortlich war, allein zurück zum Brunnen zu gehen. Ich hätte euch Bescheid geben müssen. Das sehe ich ein. Ich hatte jedoch nicht geplant, so weit zu gehen…nur konnte ich irgendwann nicht mehr zurück. Wie ich sagte, ich habe Euch in diese Lage gebracht, also muss ich die Konsequenzen dafür tragen.“

„…die tragt aber nicht Ihr allein, Aizawa-san“, erwiderte Toshinori ernst. „Oder glaubt Ihr wirklich, wir würden Euch einfach zurücklassen können? Ich befürchtete, Ihr würdet sterben. Glaubt Ihr, ich würde es erneut darauf ankommen lassen? Ich dachte, Ihr wüsstet, dass ich…“

Toshinori hielt inne und nun war er es, der sich abwenden musste. Er hatte keine Ahnung, was Aizawa über seine Reaktion dachte, doch er spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg und sich sein Puls beschleunigte.

„Vielleicht solltet Ihr es einfach aussprechen, damit ich Gewissheit habe.“

Toshinori schluckte bei dem Vorschlag, sah langsam wieder in Aizawas Richtung. Dieser sah ihn auf eine Weise an, die er nicht recht deuten konnte.

„…wollt Ihr mich aufziehen?“, fragte er zögerlich, woraufhin der andere Mann schnaubte.

„Yagi. Ihr kommt mir hier mit halbgaren Andeutungen, während Ihr mich gleichzeitig zurechtweist. Ich will lediglich Klarheit.“

Als wäre das nicht auch in Toshinoris Interesse…

Das Problem waren seine verdammten Hemmungen und dass Aizawa ihn verrückt machte. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er so festsaß. Schließlich war er doch ein Mann der Taten. Irgendwie war das hier anders.
 

„Kommt näher.“

Toshinori blinzelte, sah ihn verwirrt an.

„Und gebt mir die Wasserflasche.“

Sofort entspannte er sich etwas, nahm dann das Tongefäß und setzte sich neben den Einsiedler, der auch direkt danach griff. Er sah zu, wie Aizawa einen großen Schluck davon nahm, und versuchte, sich seine Worte zurechtzulegen. Irgendetwas musste er ja antworten. Wenn es nur nicht so schwer gewesen wäre…

Er wollte gerade den Mund öffnen, als er am Kragen gepackt wurde. Ehe er sich versah, war er Aizawa so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten.

„Ihr macht mich wahnsinnig.“

Toshinori hörte die gewisperten Worte noch, bevor Aizawa seine Lippen auf die seinen drückte . Sie fühlten sich rau und kühl an, doch sandte die Berührung ein unglaublich warmes Gefühl durch seinen Körper. Seine Augen weiteten sich kurz, dann entwich ihm ein Seufzen. Die Anspannung fiel von ihm ab, während er es zuließ, es mehr fühlte als erwiderte. Sein Herz raste immer noch, als sich Aizawa von ihm löste, dabei überraschend unzufrieden wirkte.

„Ihr tätet gut daran, eindeutigere Signale von Euch zu geben…“, brummte er missmutig, während Toshinori sich wie benebelt fühlte.

„Ihr…habt mich geküsst“, stellte er langsam fest.

„Eure Scharfsinnigkeit ist beeindruckend …“

Anhand der Bissigkeit dieser Worte wurden ihm zwei Dinge bewusst. Erstens, Aizawa schien es gut genug zu gehen, um einen Ritt mit mehreren Pausen zu überstehen. Ob es am Dämonenblut lag oder nicht, war dabei einerlei, denn es machte zumindest eine Sache einfacher. Zweitens, Aizawa begriff nicht, dass er ihm vollkommen den Kopf verdreht hatte – wie auch, wenn es Toshinori selbst gerade jetzt deutlicher denn je wurde?

Das warme Pochen in seiner Brust war berauschend, sodass er sich überwältigt fühlte – und wie ein Idiot zu grinsen begann. Bevor Aizawa noch auf die Idee kam, dass er sich über ihn lustig machte, nahm er dessen Gesicht in beide Hände und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. Das Grinsen konnte er dabei trotz ihrer aktuellen Lage einfach nicht aus seinem Gesicht verbannen.

„Ich hoffe, dieses Signal war eindeutig genug?“, feixte er, woraufhin Aizawa brummte.

„Schweigt und küsst mich noch mal.“

Toshinori löste die Hände von seinem Gesicht und legte sie auf seine Schultern, drückte diese.

„Das würde ich wirklich gern tun, glaubt mir“, versicherte er ihm. „Allerdings werden Enji und Hawks bald wieder da sein und Ihr solltet Euch noch etwas ausruhen, während wir die Reise vorbereiten. Es werden einige anstrengende Tage.“

„…Euer Ernst?“

„Es tut mir wirklich leid.“

„…von mir aus.“

Zwar klang es nicht gerade begeistert, aber Aizawa war wohl vernünftig genug, um es zu akzeptieren. Er lächelte diesen warm an, spürte, wie ihm noch etwas leichter ums Herz wurde. Er hatte Sorge gehabt, dass er Freundschaft mit Liebe verwechselte, doch in diesem Moment war jeder Zweifel wie weggewischt.
 

„Außerdem“, ergänzte er mit einem Schmunzeln. „Wisst Ihr doch noch, was ich Euch damals sagte?“

Aizawa schien nicht ganz mitzukommen, denn er runzelte die Stirn.

„Als ich von der Liebe und Ehe sprach…“

Anscheinend dämmerte es ihm wieder und alles fiel ihm aus dem Gesicht. So entgeistert hatte er ihn auch noch nicht erlebt.

„Ihr scherzt.“

„Keinesfalls. Das sind die Werte, denen ich mich verschrieben habe“, erwiderte er, ehe er ihn vorsichtig zurück auf das Lager drückte.

„Ihr könnt keinen Mann ehelichen“, kam es stur von Aizawa und seine schwarzen Augen funkelten.

„Lasst dies meine Sorge sein. Ich werde schnell nach Eurer Wunde sehen und dann könnt Ihr noch etwas schlafen“, meinte Toshinori freundlich.

„Ihr verkompliziert alles.“

Toshinori ließ sich von den Worten nicht beirren, sondern öffnete Aizawas Gewand, um nachzusehen, ob die Verbände gewechselt werden mussten. Sicher, etwas komisch war es schon, ihn nach den Küssen so zu berühren, aber er besann sich. Schließlich hatte er genügend Selbstdisziplin, um etwaigem Verlangen zu widerstehen – sehr zu Aizawas Missfallen, wie ihm schien.

„Vertraut mir einfach.“

Aizawa stöhnte genervt und ließ den Kopf in den Nacken fallen.

„Ich wünschte, Ihr hättet zugestimmt, mich hier liegen zu lassen…“

„Nun lügt ihr aber.“

Toshinori musste schmunzeln, während er die blutigen Verbände vorsichtig löste, doch tatsächlich schien die Wunde sich zu schließen. Jedenfalls siffte sie nicht mehr durch, was gut war.

„Hn“, kam es bloß von Aizawa, welcher die Augen schloss.

Toshinori machte es nichts aus, konnte sich schon denken, wie er es meinte. Er selbst fühlte sich gerade so glücklich wie seit Tagen nicht mehr und als Enji und Hawks zurückkamen, fiel es ihm wirklich schwer, seine Hochstimmung angesichts ihrer Lage zu verbergen.

Das Erbe

Etwas hatte sich verändert. Obwohl keiner darüber gesprochen hatte, lag es spürbar in der Luft und man musste kein Genie sein, um die Zeichen deuten zu können. Zweifellos war es Hawks ebenso bewusst wie ihm, auch wenn dieser ausnahmsweise sein Plappermaul hielt. Er hätte der Harpyie keine solche Zurückhaltung zugetraut.

Davon abgesehen war ihre weitere Reise bislang ohne weitere Vorkommnisse verlaufen. Keine Überfälle oder Aufträge, die sie übernehmen sollten. Keine Dämonen, von denen ihnen zurzeit eindeutig zu viele begegneten. Was natürlich auch daran liegen konnte, dass sie mit anderthalb Dämonen reisten. Vielleicht zogen sie dadurch diese Monster erst recht an. Nicht, dass der Umstand jetzt, wo sie eine Gemeinschaft waren, noch etwas geändert hätte.

Jedenfalls war es fast schon zu ruhig und Enjis Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass auf solch eine Ruhe meistens ein heftiger Sturm folgte. Dementsprechend konnte er sich nicht aufrichtig darüber freuen. Sein Blick schweifte zu Aizawa herüber, der hinter Toshinori saß und sich an diesem festhielt. Anscheinend döste der Einsiedler, so wie er an dem Blonden lehnte und dabei die Augen geschlossen hielt. Die Wunden waren in den letzten Tagen, die sie unterwegs waren, immer besser verheilt, wobei Enji darauf wettete, dass dessen Blut seinen Teil dazu beitrug. Kein Mensch heilte innerhalb so weniger Tage in diesem Ausmaß und war noch dazu in der Lage, einen so langen Ritt zu überstehen.

Sie würden bald die Grenze erreicht haben und langsam mussten sie sich überlegen, wie sie die Sache angingen. Hawks zog über ihnen seine Kreise, während er die Umgebung ausspähte, doch so nahe der Grenze sollte er wohl lieber herunterkommen. Er tauschte einen Blick mit Toshinori, welcher nickte, woraufhin sie ihre Pferde zum Stehen brachten. Aizawa blinzelte müde, bewegte sich aber ansonsten nicht. Es dauerte keine zehn Sekunden, bis Hawks zwischen ihnen landete, dabei seine Klauen tief in die Erde grub. Man merkte, dass sich die Pferde an seine Anwesenheit gewöhnt hatten, denn sie zuckten bloß mit den Ohren, wurden nicht panisch, wie sie es normalerweise getan hätten.

„Lagebesprechung?“, feixte die Harpyie und sah neugierig in die Runde.

„Kann man so sagen“, brummte Enji und musterte den Dämon einen Moment. „Wir können dich nicht einfach mit über die Grenze nehmen und durch die Dörfer fliegen oder laufen lassen. Die Menschen würden Panik bekommen und wir hätten eine ähnliche Situation wie die, der wir vor kurzem entkommen sind.“

„Ja. Das dachte ich mir“, erwiderte Hawks gedehnt und legte die roten Schwingen enger an den Rücken an. „Kann mich leider nicht unauffälliger machen. Die Flügel und Klauen und so, ihr wisst ja. Also was ist der Plan, Leute?“

Toshinori seufzte leise.

„Es tut mir leid, Hawks. Vielleicht kann ich dafür sorgen, dass du in unserer Nähe sein kannst, aber vorerst solltest du dich versteckt halten. Ich bin selbst ein Jahr nicht mehr in meiner Heimat gewesen, daher muss ich gewisse Dinge regeln, bevor ich Genaueres sagen kann.“

Man sah dem blonden Hünen an, dass er es bedauerte, nicht mehr versprechen zu können; jedoch waren auch seine Möglichkeiten begrenzt.

„Welche Position habt Ihr, dass Ihr überhaupt davon ausgeht, dass Ihr etwas regeln könnt?“, brummte Aizawa, der immer noch an seiner Schulter lehnte.

Toshinori presste ertappt die Lippen aufeinander, ehe er sich zu einem Lächeln zwang. Es war ihm wohl immer noch unangenehm.

„Nun, ich bin ein tugendhafter Krieger vom Hofe und habe dort unter der Aufsicht des Königspaares meine Ausbildung genossen.“

Er lächelte Aizawa über seine Schulter hinweg an, doch die Skepsis im Blick des anderen Mannes verschwand nicht. Gelogen war das zumindest nicht. Hawks legte den Kopf schief und verschränkte die Arme, wobei er zu überlegen schien.

„Also gut, dann warte ich in einem nahegelegenen Waldstück, bis ihr mir…eh…irgendein Zeichen gebt?“

„Nahe dem Schloss gibt es einen Wald, doch dort wird häufig gejagt. Wenn du dich dort versteckst, sei auf der Hut. Unsere…die Krieger sind nicht zu unterschätzen. Wir werden dich dort aufsuchen, sobald es geht“, erwiderte Toshinori ernst, woraufhin Hawks eine Schnute zog.

„Auch wenn es mir nicht passt – geht in Ordnung. Und wegen dem Zeichen – ich rieche euch sowieso meilenweit gegen den Wind. Kommt mich einfach holen, wenn ihr so weit seid…aber lasst mich nicht zu lange warten, klar? Das werden bestimmt langweilige Stunden…“

„Wenn dir die öffentliche Hinrichtung lieber ist, lässt sich das sicher arrangieren“, knurrte Enji genervt, woraufhin Hawks noch mehr schmollte.

„Das habe ich ja gar nicht gesagt. Ich will mich bloß nicht von euch trennen müssen. Ich kapiere schon, warum wir es so machen, aber gefallen muss es mir nicht, oder?“

„Wir beeilen uns“, versicherte ihm Toshinori mit einer Zuversicht, die Enji nicht fühlte.

Wie sollten sie ihm begreiflich machen, dass sie mit einem Dämon reisten und dieser ihr Kamerad war? Eigentlich sogar mit mehr als einem, doch immerhin konnten sie diesen Umstand bei Aizawa verschweigen. Bei Hawks konnte man nur mit offenen Karten spielen. Leider.

„Na gut“, meinte der Dämon und spreizte seine roten Schwingen wieder. „Dann mache ich mich auf den Weg und warte dort. Passt auf euch auf, ja? Ich will euch in einem Stück wiedersehen.“

Dabei zwinkerte er ihnen frech zu, bevor er sich vom Boden abstieß und mit lautem Flügelschlagen schon sehr bald aus ihrem Sichtfeld verschwand. Enji machte sich mehr Sorgen um ihn, was das anbelangte. Hoffentlich hielt sich der Vogel zurück und jagte so, dass ihn nicht direkt die nächsten Dörfler bemerkten. Im selben Moment fragte er sich, was mit ihm los war. Seit wann war ihm diese Plage wichtig geworden? Vermutlich, seitdem er Hawks als Teil der Gruppe anerkannt hatte. Er konnte es nicht leugnen.

„Beeilen wir uns.“

Toshinori nickte auf seine Worte hin und trieb Morgenstern an, welche sich sofort in Bewegung setzte.
 

Viel verändert hatte sich nicht, seitdem sie das letzte Mal hier gewesen waren. Die Mauern des Schlosses ragten bereits aus der Ferne empor, wirkten wie eine undurchdringliche Festung. Enji war als Jüngling hergeschickt worden, um seine Ausbildung zu absolvieren, und hatte dabei Toshinori kennengelernt. Wie lange das her und wie viel inzwischen passiert war…

Die Wachen erkannten sie sofort, wenn sie auch Aizawa mit unverhohlenem Misstrauen bedachten, welches Toshinori jedoch aus der Welt schaffen konnte, indem er versicherte, dass dieser zu ihnen gehörte. Nun, seinem Wort würde sich niemand entgegenstellen, so viel war sicher.

„Erlaubt uns, uns um Eure Pferde zu kümmern, Yagi-sama, Todoroki-sama“, bot einer von ihnen an, als sie von den Tieren stiegen.

„Das wäre in der Tat sehr freundlich“, kam es höflich von dem Blonden zurück, ehe er Aizawa von Morgenstern herunter half.

Der Einsiedler schien dem Ganzen nicht zu trauen, jedenfalls wirkte er ziemlich angespannt. Einen Grund zur Furcht hatte er nicht, doch Enji sparte sich die Worte; warum sollte er den Kerl auch beruhigen? Davon abgesehen, dass sie sich immer noch nicht grün waren, war er noch wütend über Aizawas Alleingang, der sie alle in Gefahr gebracht hatte. Sollte er also schmoren.

Er drückte der anderen Wache Feuersturms Zügel in die Hand und folgte dann Toshinori, während Aizawa ein Stück hinter ihnen blieb. Vermutlich wurde ihre Ankunft gerade angekündigt. Er warf seinem Freund einen Seitenblick zu, bemerkte, dass dieser die Fäuste geballt hatte. Da war anscheinend noch jemand sehr nervös.

„Er ist in die Jahre bekommen“, meinte er knapp. „In seinem Alter lassen Kraft und Genauigkeit nach.“

Toshinori grinste schief, während sie durch die Gänge schritten, an deren steinernen Wänden prunkvolle Gemälde aufgehängt waren.

„Da bist du sicher, ja? Du weißt, dass er ein zäher, alter Mann ist.“

„Mehr Ermutigung bekommst du nicht von mir.“

„Oh, das ist mehr als genug.“

Enji nickte nur, während der andere leicht schmunzelte, dann aber aufsah, als sie vor der riesigen Doppeltür ankamen, die sie in den Thronsaal führen würde. Sie beide waren oft genug hier gewesen, kannten dieses Schloss in- und auswendig. Enji war in diesen Mauern mehr zuhause gewesen als bei seinen Eltern, was an dem eher formellen Verhältnis liegen mochte, das sie gepflegt hatten. Vielleicht war es deswegen so leicht gewesen, ihn schon in jungen Jahren hierher zu bringen. Nun, es war nichts Schlechtes, schließlich hätte er sich nie auf diese Weise gesteigert, wenn es die Rivalität mit Toshinori nicht gegeben hätte.
 

Enji verdrängte den Gedanken und sah zu dem Mann, der am Ende des Raumes auf seinem Thron saß und sie schon erwartete. Wie schon seit einigen Jahren war der zweite Thron neben ihm unbesetzt. Das Gemälde der dunkelhaarigen Schönheit hing jedoch weiterhin an der Wand, dominierte den Raum. Zu Recht, schließlich hatte sie unzählige Schlachten für ihr Volk geschlagen und genau diese Inbrunst zeigte sich auch auf dem Bild, auf welchem sie Rüstung und Schwert trug. Sie war keine gewöhnliche Frau gewesen, definitiv nicht.

Sein Blick wanderte wieder zu dem alten Mann, dem die Jahre ins Gesicht gestanden schrieben. Sah man ihm jedoch in die braunen Augen, erkannte man, dass er trotz gelegentlicher Ausfälle immer noch einen scharfen Verstand besaß. Er war wieder geschrumpft, wirkte auf dem riesigen Thron ungewöhnlich klein, wenn man bedachte, dass er einst von ihrer Statur gewesen war. Nun versackte er beinahe in seiner senfgelben Robe.

Da Toshinori scheinbar kein Wort herausbekam, stieß Enji seinen Freund an, woraufhin dieser zusammenzuckte und sich rasch verbeugte. Enji tat es ihm gleich, ehe sie beide sich wieder erhoben. Er drehte sich nicht zu Aizawa um, hoffte aber für diesen, dass er dem König denselben Respekt entgegenbrachte wie sie beide. Einige Sekunden vergingen, in denen niemand etwas sagte.

„Wer seid ihr denn?“

Weitere Sekunden vergingen. Enji blinzelte ungläubig, dachte, er hätte sich verhört, und auch Toshinori neben ihm sog erschrocken die Luft ein. War der König letztendlich doch seinem Alter erlegen?

„S-Sorahiko-san. Ich bin es. Toshinori!“, entkam es diesem.

„Toshi-wer?“

„Das kann nicht Euer Ernst sein…“

„Ich kenne dich nicht, Bursche. Nie gesehen.“

„Aber…das…“

Hilflos sah Toshinori zu den Wachen, die jedoch keine Anstalten machten, irgendwie einzugreifen oder zu erklären. Möglicherweise waren sie an die voranschreitende Demenz bereits gewöhnt? Erschreckend war es dennoch.

„Komm näher, Blondschopf. Vielleicht sagt mir dein Gesicht dann etwas…“, erwiderte der alte Mann mit zusammengekniffenen Augen.

Toshinori schluckte hart, folgte dem Befehl aber unverzüglich und stellte sich direkt vor den Grauhaarigen. Dieser verengte die Augen noch mehr, sah ihn angestrengt an.

„Noch näher.“

Toshinori beugte sich zu ihm herunter und – bekam im nächsten Moment dessen Holzstock gegen den Kopf gedonnert. Toshinori stöhnte und rieb sich die sicherlich schmerzende Schläfe, wobei er sein Gegenüber verwirrt ansah.

„Was-“

„Du einfältiger Dummkopf! Wenn ich dich vergesse, dann nur, weil du nicht den Anstand hast, öfter als einmal im Jahr hierherzukommen! Ich sollte dich grün und blau schlagen, du Bengel!“

„Au!“

Enji sah regungslos zu, wie Toshinori erneut einen Schlag mit dem Stock abbekam. Kurz warf er einen Blick zu Aizawa, der inzwischen neben ihm stand und offensichtlich nicht verstand, was hier passierte. Anders konnte er sich die entgeisterte Miene nicht erklären. Gut, auf Außenstehende mochte das hier etwas bizarr wirken, das musste er zugeben.

„Sagtet Ihr nicht, wir seien hier sicher?“, brummte der Einsiedler, während Torino Sorahiko weiter auf den Blondschopf schimpfte.

„Wir ja. Toshinori – falls er die Prügel übersteht“, antwortete er.

„Ich nehme an, wir sollen uns nicht einmischen.“

„Er ist der Herrscher dieses Landes.“

Aizawa warf ihm einen Blick zu, der deutlich machte, was er davon hielt. Vermutlich wäre er liebend gern auf den alten Mann losgegangen, der es wagte, seinen was auch immer die zwei füreinander waren zu schlagen. Schlechte Idee.
 

„Hört mir doch z-“

„Deine Ausflüchte will ich nicht hören! Du undankbares Balg! Wir haben dich aufgenommen und großgezogen, damit all das hier eines Tages dir gehört! Wäre ich jünger, würde ich dich höchstpersönlich durch das ganze Schloss jagen! Du hast deinen Pflichten nachzukommen! Wie oft muss ich dir das noch sagen?! Wenn du schon nicht mein Nachfolger sein willst, dann bilde gefälligst jemanden aus, der diese Position übernehmen kann, während du in der Weltgeschichte herumreist!“, blaffte Torino diesen an und versuchte, ihn erneut mit dem Stock zu treffen.

Dann fixierte er Enji und Aizawa, als würde er sie erst jetzt wahrnehmen, was sicher nicht der Fall war.

„Du solltest doch diesbezüglich Einfluss auf ihn ausüben, Todoroki-kun!“, knurrte dieser wie erwartet. „Und wer ist dieser zwielichtige Kerl?! Toshinori…wenn du schon deine Freiheit da draußen genießt, komm gefälligst mit einer Frau zurück! Wie lange willst du noch damit warten?! Eines Tages bist du zu alt dafür, als dass deinen Lenden noch Kinder entspringen könnten! Es ist deine Pflicht, einen Erben zu zeugen!“

Das hatte gesessen. Er musste Aizawa nicht dafür ansehen, um zu wissen, dass diesem nun alles entgleiste. Toshinori ging es ähnlich, so bleich wie dieser geworden war. Vielleicht war es das Beste, die Standpauke stumm über sich ergehen zu lassen.

Toshinoris Gesicht prophezeite jedoch einen gänzlich anderen Ausgang dieses Gesprächs und Enji war sich plötzlich nicht mehr sicher, dass sie hier keine Gefahr erwartete. Das war keine gute Idee.

„Lasst uns allein!“, kam es ungewohnt hart von seinem Freund, woraufhin die Wachen zu ihrem König sahen.

Dieser runzelte zwar die Stirn, machte aber eine Handbewegung, die es ihnen erlaubte, den Saal zu verlassen. Enji spannte sich augenblicklich an, nicht sicher, ob sie ebenfalls gehen sollten, doch da keine Aufforderung kam, nachdem sie zu viert waren, blieben sie.

„Toshinori…“, beschwor er diesen, doch der Angesprochene schüttelte den Kopf.

Die Entschlossenheit in seiner Miene sorgte nicht dafür, dass Enji ein besseres Gefühl bekam. So hatte er sich das nicht vorgestellt.

„Wir sind allein. Oder fast. Sag, was du zu sagen hast, Junge“, forderte Torino ihn auf.

Toshinori atmete tief durch, straffte dabei die breiten Schultern und funkelte seinen Ziehvater an. Zweifellos, er würde tun, was Enji befürchtete, das er tun würde – und er konnte ihn nicht davon abhalten. Sie waren geliefert.
 

„Sorahiko-san“, begann er ruhiger, als er sich fühlen sollte. „Nichts liegt mir ferner, als Euch oder Nana-san zu enttäuschen. Mir ist bewusst, welch großes Vertrauen Ihr in mich setzt, und ich danke Euch für alles, was Ihr für mich getan habt. Ohne Euch wäre ich nicht der Mann, der ich heute bin. Jedoch fühlt es sich nicht richtig an, hier zu residieren, während dort draußen Monster verschiedener Art ihr Unwesen treiben. Im vergangenen Jahr habe ich noch deutlicher gespürt, dass es meine Bestimmung ist, den Menschen zu helfen, und das kann ich als König nicht tun. Nicht auf diese Weise.“

Torino sah nicht aus, als würde ihn das milde stimmen, so wie sein Kiefer malmte, doch er schwieg vorerst. Anscheinend wollte er seinen Ziehsohn ausreden lassen. Enji wünschte sich, er würde es nicht tun, denn er hatte eine böse Vorahnung. Aizawas Unruhe neben ihm war spürbar.

„Ich bin jedoch gewillt, jemanden als Euren Nachfolger auszubilden. Wie ich Euch letztes Jahr bereits sagte, habe ich jemanden ins Auge gefasst und bin davon überzeugt, dass der Junge ein sehr viel besserer Herrscher sein wird, als ich es je sein könnte.“

Enji unterdrückte mit Mühe ein Schnauben; diese Bescheidenheit war ja nicht zum Aushalten. Allerdings konnte auch er sich nicht vorstellen, dass Toshinori hier dauerhaft die Füße stillhalten sollte. Dass er das Land regieren konnte, stand außer Frage, doch es lag nicht in seiner Natur, sich damit zufrieden zu geben.

„Sollte es zu Krieg kommen, könnt Ihr selbstverständlich auf meine Unterstützung zählen“, fügte der Blonde an. „Wie gesagt, ich werde nie vergessen, was Ihr für mich getan habt. Umso mehr tut es mir leid, dass ich Euch in einer weiteren Hinsicht enttäuschen muss.“

Enji spannte sich an; scheinbar war das hier der Sturm, den er schon einen Tag zuvor, als sie sich von Hawks getrennt hatten, befürchtet hatte. Toshinori, dieser Narr…

„Ich habe jahrelang nach dem Menschen gesucht, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Wie Euch bewusst ist, ohne Erfolg. Auf meiner letzten Reise hat sich jedoch einiges verändert und ich habe erkannt, mit wem ich dieses Leben teilen möchte. Es ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe, doch es ist das einzig Richtige. Wenn ich mit diesem Menschen zusammen bin, fühle ich mich vollständig…und glücklich.“

Enji warf einen Seitenblick zu dem Einsiedler.

„Noch könnt Ihr rennen“, murmelte er diesem zu.

„Er wird doch nicht…“, brummte dieser fassungslos zurück, schien sich nicht mal zu wundern, dass Enji Bescheid wusste.

„Er wird.“

„Du redest drum herum, Junge!“, beschwerte sich Torino ungeduldig. „Wer ist die Frau, die dir offensichtlich den Kopf verdreht hat? Stell sie mir vor!“

Toshinori räusperte sich, ehe er sich umdrehte und Aizawa fixierte, der immer blasser wurde. Vor allem, als der blonde Hüne die Hand nach ihm ausstreckte und ihn erwartungsvoll ansah. Ja, stellte Enji resigniert fest, sie waren geliefert. Dabei wusste Toshinori doch, dass es noch verpönter war, dasselbe Geschlecht zu begehren, als Freudenhäuser zu besuchen. Hätte er mal besser daran getan, sich damit zu befassen.

Nun, die Situation wirkte festgefahren. Aizawa schien am Boden festgefroren zu sein, offensichtlich entsetzt. Torino war die Kinnlade heruntergefallen, offensichtlich zutiefst schockiert über die Erkenntnis, von wem sein Ziehsohn sprach. Toshinori ruckte mit dem Kopf, um Aizawa zu signalisieren, dass er ihn bitte nicht hier stehen lassen sollte, weil das Ganze schon unangenehm genug war. Und Enji? Enji ging die Fluchtwege geistig schon mal durch, falls sie abermals fliehen mussten. Oder falls Toshinori seinen Ziehvater durch einen Herzinfarkt umbrachte.
 

„Du…willst mir sagen, dass du dem Landstreicher da…zugetan bist?“, kam es kraftlos von Torino und er sank in seinem Thron etwas mehr in sich zusammen.

Enji sah das als relativ milde Reaktion auf solch eine Nachricht an, weswegen er Aizawa einen festen Stoß in den Rücken verpasste, der diesen nach vorn stolpern ließ. Jetzt gab es ohnehin kein Zurück mehr, also musste das nicht noch peinlicher werden. Aizawas Blick in seine Richtung zeigte, dass er ihm die Pest an den Hals wünschte, doch da Toshinori schon im nächsten Moment den Arm um ihn legte, hatte Enji wenig zu befürchten. Nicht, dass er sich je vor dem Einsiedler gefürchtet hätte.

„Sein Name ist Aizawa Shouta und er ist der Mann, den ich an meiner Seite möchte“, verkündete Toshinori fest.

Torino musterte erst ihn wortlos, dann Aizawa, der sich vermutlich wünschte, der Erdboden möge ihn verschlucken.

„Ehrlich, Toshinori, hat dir keiner gesagt, dass derlei Begierden niemals öffentlich gemacht werden dürfen? Wie stellst du dir das vor? Welcher Priester ehelicht dich und deinen…nein. Du hättest wirklich besser daran getan, diese Neigung heimlich auszuleben, wie es alle Männer tun.“

Enji musste unweigerlich an seine Besuche in den Bordellen denken. Er wusste schon, wovon der König sprach.

„Das entspricht aber nicht seinen Tugenden.“

Dass ausgerechnet Aizawa so etwas sagen würde, hatte wohl keiner von ihnen erwartet. Selbst Toshinori sah diesen verdutzt an.

„Was weiß jemand wie du von Tugenden?“, knurrte der alte Mann, woraufhin Aizawa schnaubte.

„Nur das, was ich durch Euren Sohn mitbekommen habe. Gesellschaftliche Regeln und dergleichen sind mir vollkommen egal. Würde es nach mir gehen, würden wir es genauso halten, wie Ihr es Euch gewünscht hättet. So ist Yagi aber nicht…und das respektiere ich.“

Torino verengte die Augen, blickte den Einsiedler für einen langen Moment schweigend an. Wenigstens hatte er keinen von ihnen bisher festnehmen lassen. Stattdessen gab er ein resigniertes Seufzen von sich.

Enji dagegen fragte sich, ob das so stimmte. Aizawa respektierte Yagis Tugenden? Seit wann? Er hatte eher die Vermutung, dass Aizawa Torino widersprechen wollte, weil er sich herabgestuft fühlte. Nicht würdig für den Platz an Toshinoris Seite. Zugegeben, Enji fragte sich wirklich, was seinen Freund da gepackt hatte, aber gut, das würde er für sich behalten.

Und Toshinori selbst? Der strahlte wie ein Honigkuchenpferd über das ganze Gesicht.
 

„Du bringst mich mit deinen eigensinnigen Entscheidungen noch ins Grab, Junge.“

Torino seufzte abermals, während er von einem zum anderen schaute und dann den Kopf schüttelte.

„Da bist du wie sie…“

Enjis Blick schweifte abermals zum Bild der dunkelhaarigen Frau, die als Shimura Nana bekannt gewesen war. Unrecht hatte er damit jedenfalls nicht. Sie war für ihren Wagemut und ihren unerschütterlichen Willen bekannt gewesen. Ungewöhnlich genug, dass eine Frau Schlachten schlug, aber gut, hier lief ohnehin einiges anders, als er selbst es gewohnt war.

„Sei es drum“, lenkte Torino ein. „Ich weiß aus Erfahrung, dass du nicht davon abweichst, wenn du dir einmal etwas in den Kopf gesetzt hast – und jetzt wisch dir das dümmliche Grinsen aus dem Gesicht! Das bedeutet nicht, dass ich es gutheiße. Du lädst dir damit Probleme auf, deren Ausmaß dir noch nicht bekannt ist. Dein...Freund wird wissen, wovon ich rede. Falls es dir wirklich ernst ist, Toshinori, dann schützt du euch beide, indem du diese Verbindung geheim hältst. Es gibt sicherlich Priester, die dies absegnen. Da du meine Nachfolge nicht antreten willst, bist du davon abgesehen frei, zu tun, wonach dir der Sinn steht.“

Es war nicht das, was Toshinori sich gewünscht hatte, das sah man ihm an. Jedoch stimmte es nun einmal. Dieser konnte froh sein, dass ihn sein Ziehvater wohl genügend liebte, um es überhaupt zu dulden. Enjis eigener Vater hätte ihn für solche Worte vermutlich entweder hinrichten lassen oder ihn für immer verbannt. Es galt als Schande. Vor allem in ihren Rängen.

„Ich weiß Eure Ehrlichkeit zu schätzen“, erwiderte Toshinori ruhig. „Verzeiht mir, dass ich nicht der Sohn sein kann, den Ihr…und Nana-san sich gewünscht habt.“

Torino gab ein raues Auflachen von sich, das in Anbetracht der Situation recht unpassend wirkte.

„Versteh mich nicht falsch, Junge. Als Nachfolger bist du wahrlich eine Enttäuschung. Als unser Kind jedoch…nun, ich denke, Nana wäre nicht weniger stolz als ich, dass du tust, was du für richtig hältst.“

„Sorahiko-san…“, kam es ergriffen von dem Blonden, woraufhin der alte Mann schnaubte.

„Werde jetzt ja nicht rührselig. Zumal ich mit dir und Todoroki-kun noch ein Wort zu reden habe. Es gibt-“

Weiter kam er nicht, da just in diesem Augenblick die Tür aufgestoßen wurde, woraufhin Aizawa sich ruckartig von Toshinori löste. Besser war es, denn die Wache, die hereinstürmte, sollte dies nicht unbedingt mitbekommen.

„Torino-sama!! Ein…ein Notfall!!“, keuchte der Mann, der wohl gerannt war. „Es ist…furchtbar.“

Torino knirschte mit den Zähnen.

„Um was handelt es sich? Geht es wieder um die Überfälle?! Sprich!“, grollte dieser und Enji wurde hellhörig.

Überfälle? War es das, was er ihnen gerade hatte sagen wollen? Wurde das Reich bedroht? Die Wache schluckte hart, schüttelte jedoch den Kopf.

„Nein. Kein…also nicht in dem Sinne. Es ist…einige unserer Auszubildenden…sie haben etwas entdeckt. Genau genommen haben sie etwas…gefangen.“

Torino verengte die Augen, während Enji sicher nicht der Einzige war, dem das Herz in die Hose rutschte. Es würde doch nicht etwa…

„Herr, sie haben einen Dämon gefangen. Einen leibhaftigen Dämon mit roten Schwingen und dem Antlitz eines Jünglings!“

Enji entgleiste die Mimik, ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Das durfte nicht sein…doch es gab keinen Zweifel daran, dass es sich hierbei um Hawks handeln musste. Verdammt! Wie war das passiert?! Und wie bekamen sie den Dämon aus dieser Misere wieder heraus?

Als sich Enji zu Toshinori und Aizawa umdrehte, erkannte er, dass diese ebenso schockiert waren wie er selbst.

Das hier war übel. Sehr übel. Und es schien keinen Ausweg zu geben.

Die Gefangenschaft

Still beobachtete er, wie das Blut an seinen Klauen für ein paar Sekunden blutige Schlieren im Wasser des Bachs zog. Von dem Hirsch, dem er aufgelauert und den er erlegt hatte, war nicht viel übrig geblieben. Immerhin war er nun nicht mehr hungrig, was seine momentane Situation aber nicht besser machte. Es war so sterbenslangweilig ohne die anderen. Ob diese mittlerweile angekommen waren? Schließlich war es fast zwei Tage her und er zu weit vom Schloss entfernt, als dass er seine Kameraden hätte wittern können. Seine Kameraden.

Seine Federn bauschten sich automatisch bei dem Gedanken auf, denn noch immer erschien es ihm geradezu unwirklich, dass er Freunde gefunden hatte. Zwei Menschen und einen halben. Das war doch ein guter Durchschnitt? Er musste grinsen, wusch sich auch das restliche Blut aus dem Gesicht, während er hoffte, dass die anderen bald eintrafen und regelten, was auch immer sie regeln mussten. Oder Toshi. Immerhin hatte dieser hierher gewollt. Sie sollten hier sicher sein, jedoch nur, wenn sich Hawks bedeckt hielt – das würde wohl immer ein Problem sein, wenn sie unter Menschen kommen sollten.

Etwas, das angesichts dessen, dass sowohl Enji als auch Toshinori Krieger waren, wohl recht häufig vorkommen würde, doch das ließ sich nicht ändern. Er würde schon damit klarkommen. Auf Zeit jedenfalls. Wobei er wieder beim Thema war – wie lange musste er noch warten?

Wenn er sich dem Schloss vielleicht nur ein wenig näherte? Er musste ja nicht gleich vor den Toren stehen, doch wenn sie sich so viel Zeit ließen, mussten sie sich nicht wundern, dass er sich langsam Sorgen machte. Genau, er machte das nicht, weil er ungeduldig wurde, sondern weil er besorgt war. Das tat man doch unter Kameraden? Man sorgte sich um einander und half sich.

Hawks musste grinsen, ehe er seine Flügel spannte und sich mit den Krallen vom Boden abstieß. Dann würde er die Gegend mal etwas genauer auskundschaften – natürlich nur, um nach seinen Freunden zu sehen.
 

Das Gefühl des Fliegens war mit nichts vergleichbar. Der Wind in seinen Haaren und Federn…die Freiheit…schade eigentlich, dass er das Enji niemals würde zeigen können. Er hatte gerade mal Aizawa tragen können und das auch nur mit Mühe. Dieser war wesentlich leichter als der mürrische Rotschopf, doch diesen hätte ein kleiner Ausflug durch die Lüfte sicher sprachlos gemacht.

Nun, träumen war erlaubt, mehr würde er da jedoch nicht kriegen.

Er ließ den Blick über die Baumkronen unter sich schweifen, ehe er ihn zum Schloss gleiten ließ. Es stach wirklich hervor, wirkte gewaltig mit seinen hohen Türmen und Mauern. Toshinoris Heimat...dieser war hier als Krieger sicher hochangesehen, da war Sorge vielleicht doch fehl am Platz. Bereits jetzt sah er Enjis wütendes Gesicht vor sich und seufzte genervt; dieser würde auf jeden Fall wütend auf ihn sein, wenn er ihn so nahe dem Schloss erwischte. Daher nahm er noch mal an Tempo zu, ehe er einen dreifachen Looping vollführte und dann wieder in die entgegengesetzte Richtung flog.

Jedenfalls hatte er das vor. Ihm war nicht entgangen, dass dort im Wald Menschen waren – jedoch hatte er angenommen, dass ihn diese nicht bemerken würden. Und selbst wenn, die meisten Menschen verfügten nicht über eine solche Treffsicherheit, ihn vom Himmel zu holen. Nun…diese Menschen unter ihm schon. Er hörte das laute Zischen und verdankte es bloß seinen guten Reflexen, dass er den Pfeilen gerade noch ausweichen konnte.

Er wollte schon triumphierend grinsen und auf seine Angreifer, welche sich unter den Baumkronen versteckten, zustürzen, als ihn ein scharfer Schmerz in seinem rechten Flügel aufkeuchen ließ. Ein weiterer Pfeil war geschossen worden, hatte seine Schwinge durchbohrt – und er verlor den Halt. Fluchend versuchte er, sich irgendwie in der Luft zu fangen, doch er wusste, dass es zu spät war. Er schlang die Flügel um seinen Körper, um sich vor dem Aufprall zu schützen, versuchte seinen Fall durch die Äste zu bremsen. Noch im Sinkflug stieß er einen lauten, schrillen Schrei aus, um seine Angreifer wenigstens kurzzeitig zu lähmen.

Hawks stürzte durch die Zweige und Blätter, versuchte, sich irgendwo festzukrallen, um Halt zu bekommen, doch der Ast brach unter seinem Gewicht, war nicht dick genug. Ein heiseres Stöhnen entwich ihm, als er auf dem Boden aufkam, wobei er sich zumindest nicht zusätzlich verletzte. Direkt war er wieder auf den Beinen, sah sich gehetzt um und – stockte, als er seine Angreifer sah.
 

Das Erste, das ihm auffiel, war, dass sie jung waren. Sehr jung…doch sie trugen Rüstungen und Waffen bei sich, wenn sich einige von ihnen auch noch die Ohren zuhielten, wohl von seinem Schrei benommen waren.

„Keine Bewegung!“

Die Worte kamen von einem Jungen mit Sommersprossen und dunkelgrünen Haaren. Er hielt sein Schwert auf ihn gerichtet, blickte ihn mit zusammengepressten Lippen an.

„Wir wissen nicht, wer oder was du bist, doch wir-“

„Verdammt, Deku! Rede nicht mit dem Vieh!“, zischte ein blonder Junge neben ihm, ehe er Hawks anfunkelte. „Ich hole mir seinen Kopf…“

„Aber Kacchan…“

„Bakugou hat Recht“, mischte sich ein Junge mit Brille ein, welche er soeben richtete. „Es stellt eine Gefahr dar, immerhin ist es um das Schloss herumgeschlichen!“

Hawks blinzelte, sah von einem zum anderen, bevor er schief grinste und die Klauen hob. Kam wohl nicht gut an, denn sofort griffen alle wieder zu den Waffen. Fünf waren es. Ein braunhaariges Mädchen und ein Junge mit stacheligen roten Haaren standen hinter ihm. Große Klasse…

„Oi, beruhigt euch mal!“, richtete er das Wort an diese. „Ich bin keine Gefahr für euch, klar? Ich habe mich bloß etwas umgesehen. Ich habe nicht vor, irgendwem zu schaden.“

„Als ob wir einem Monster wie dir glauben würden!!“, fauchte ihm der Blonde, der wohl Bakugou war, entgegen.

Mit dem konnte man wohl eher nicht reden, doch seine Begleiter schienen zu zögern. Gut für ihn, immerhin konnte er nicht einfach wegfliegen, nun, da sein Flügel verletzt war. Es würde ihn behindern und vermutlich zu einem leichten Ziel machen. Er wollte diese Kinder aber auch nicht töten, selbst wenn sie Krieger waren. Er würde sie wohl noch einmal mit seinem Schrei quälen müssen – was er ungern tat. Trommelfelle konnten so schnell platzen.

Das Mädchen hinter ihm spannte seinen Bogen, er konnte es hören – doch sie zögerte, sodass er ruhig blieb. Keine hektischen Bewegungen, um sie zu provozieren.

„Ich bin ein braves Vögelchen, versprochen.“

Vielleicht war sein Lächeln nicht so hilfreich, wie er gehofft hatte, was möglicherweise an seinen spitzen Zähnen liegen konnte. Menschen waren wahrlich leicht zu verschrecken. Jedenfalls glaubten sie ihm nicht, das las er in ihren Gesichtern.

„Ich möchte das wirklich lieber friedlich lösen.“

„Und wir wollen dir den Kopf von den Schultern trennen!“, zischte der aggressive Blondschopf wieder, was Hawks seufzen ließ.

„Davon bin ich leider gar nicht begeistert…“
 

Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, schlug er mit den Flügeln aus, in der Hoffnung, dass es ihnen die Waffen aus den Händen riss. Er ignorierte den stechenden Schmerz in der verletzten Schwinge und stieß gleichzeitig seinen schrillen Schrei aus, der ihm einen Vorsprung verschaffen sollte. Hektisch fuhr er herum, spannte erneut die Flügel und versuchte, sich vom Boden abzustoßen, doch er gewann kaum an Höhe und die Bäume standen zu dicht beieinander, sodass er schließlich nur noch rannte. Wenn er genügend Vorsprung hatte, würde es-

Hawks fuhr herum und fing den Pfeil noch in der Luft, ehe er seine Schulter durchbohren konnte. Der nächste flog knapp an seinem Kopf vorbei. Und wenn er seinem Gehör traute, waren sie ihm bereits wieder auf den Fersen. Diese Kinder zu unterschätzen, konnte wohl tatsächlich seinen Tod bedeuten. Verdammt. Er konnte und wollte hier nicht sterben. Der nächste Pfeil traf noch beim Ausweichen seinen verletzten Flügel und sandte erneute Wellen des Schmerzes durch seinen Körper. Für wenige Sekunden war er wie gelähmt, ächzte gequält, während die Schritte näher kamen. Nein, er konnte einem Kampf nicht mehr aus dem Weg gehen. Also bleckte er die Zähne, bereit, auf Konfrontation zu gehen. Den Rotschopf fing er mit einem Sprung ab, rammte diesen mit seinem Körper gegen den Baum, was ihn hoffentlich bewusstlos werden lassen würde – die anderen griffen sicher nicht an, solange sie Gefahr liefen, ihren Kameraden zu treffen. Er schleuderte diesen in Richtung des Blonden, der wider Erwarten fluchend sein Schwert fallen ließ und seinen Kameraden auffing. Zwei von fünf. Er fuhr herum und merkte zu spät, wie sich etwas um seine Beine schlang und ihm das Gleichgewicht nahm, sodass er fiel. Eine Art Seil, an dem Steine befestigt waren? Er schlug nach hinten aus, traf das Mädchen mit den Flügeln und schleuderte sie von sich – als ihm im nächsten Moment ein Schwert in die Seite gerammt wurde. Hawks spuckte Blut, während er in die grünen Augen des Jungen sah, der vorhin noch gezögert hatte. Nun, anscheinend nicht, wenn es um seine Freunde ging. Er lächelte bitter, während er die Klinge umklammerte, welche noch in seinem Fleisch steckte, und den Blick fest erwiderte. Er wollte sie wirklich nicht töten. Aber er wollte auch nicht sterben.

Gerade als er erneut schreien wollte, wurde das Schwert noch tiefer hineingestoßen und etwas stülpte sich von hinten über seinen Kopf, nahm ihm Luft und Sicht. Er schrie gegen den groben Stoff, wehrte sich mit Klauen und Schwingen, auch wenn er damit nicht nur die Kinder, sondern auch sich selbst damit verletzte, doch es war sinnlos. Hawks spürte, wie Arme, Beine und Flügel zusammengeschnürt wurden, bis er sich nicht mehr rühren konnte. In seinen Ohren rauschte es, während die Panik in ihm aufstieg. Sie würden ihn töten. Er hörte sie reden. Diskutieren. Nein. Er wand sich und zappelte, doch es brachte nichts.

„…direkt töten.“

„Es kann sprechen, Kacchan.“

„Na und?!“

„Und es hat Kirishima-kun nicht zerfetzt, obwohl es das hätte tun können.“

„Das stimmt. Mir tun zwar die Knochen weh, aber sonst bin ich echt glimpflich davongekommen.“

„Wir sollten es zum Schloss bringen.“

„Damit andere unseren Ruhm ernten?! Träum weiter, Mondgesicht…“

„Uraraka-kun hat Recht. Es liegt nicht an uns, diese Entscheidung zu fällen. Der König soll darüber entscheiden.“

„Tse.“

„Dann sind wir uns einig?“

„Oi! Ich will jetzt seinen Kopf!“

„Kacchan…“

Hawks stöhnte gegen den Sack, der ihm über den Kopf gezogen worden war. Konnte der Kerl aufhören, darauf zu bestehen, dass er ihn umbringen wollte? Auch wenn Hawks nicht sicher war, ob es so viel besser war, dem König vorgeführt zu werden. Er bezweifelte, dass Toshinori so viel Einfluss besaß, dass er ihn vor der Hinrichtung bewahren konnte. Nach allem war er immer noch ein Dämon.

„Ihr macht einen Fehler“, nuschelte er gegen den groben Stoff, doch sie zurrten ihn nur fester zusammen.

Er spürte, wie das Blut aus seiner Wunde tropfte.

„Einem Dämon darf man nicht trauen! Das sagt Todoroki-sama immer! Also versuch es erst gar nicht!“, hörte er die Brillenschlange und atmete schwer aus.

Dafür konnte er sich dann also später bei Enji bedanken. Toll. Wirklich ganz toll. Er zischte, als sie ihn unsanft packten und auf seinen zusammengebundenen, verletzten Flügeln hinter sich her schliffen. Über den Boden. Vermutlich der aggressive Blondschopf.

„Kacchan, auch wenn er vielleicht unser Feind ist, sollten wir ihn nicht so behandeln. Sein Flügel muss schmerzen…und seine Wunde blutet stark.“

Danke, grünhaariger Junge. Wenigstens einer scherte sich um ihn. Wenn auch nur, was den Transport anging.

„Huh?! Na und?! Sieht das Vieh aus, als sei es empfindlich?!“

„Deku-kun hat schon Recht, Bakugou-kun. Kommt, wir tragen ihn alle zusammen zu den Pferden! So schwer ist er ja gar nicht…und wir sollten die Wunde zumindest notdürftig verbinden!“

Danke, Mondgesicht-Mädchen. Hawks seufzte stumm, während sie ihn hoch hievten; mehr als das konnte er wohl nicht erwarten. Dennoch, er würde nicht einfach aufgeben. Da er sich nicht wehren konnte, machte er das, was er am besten konnte – die Kinder voll quatschen, um sie so davon zu überzeugen, ihn gehen zu lassen. Bis zum Schloss brauchten sie ja noch eine Weile…
 

„…also ist das eigentlich ziemlich engstirnig von euch! Mich einfach zu verurteilen, ohne mich richtig zu kennen! Bei euch Menschen denk ich ja auch nicht, dass ihr alle schlecht seid! Und es gibt echt richtig schlechte Menschen, dagegen bin ich ein wahrer Engel! Ich töte nicht mal Menschen! Also nicht, um sie zu fressen oder so – da halte ich mich an Wild. Meistens. Jedenfalls töte ich Menschen nur aus Notwehr! Jetzt mal im Ernst! Wenn ihr-“

„Meine Fresse, kannst du endlich mal den Schnabel halten?!“, fauchte unverkennbar der Blonde.

„Er redet wirklich viel“, murmelte der Rotschopf resigniert.

„Nun, er hat seine Lage erkannt und es ist nur verständlich, dass er sein Leben zu retten gedenkt, indem er uns zu überzeugen versucht. Ich meine, wir können das Risiko nicht eingehen, aber er besitzt anscheinend Verstand und ich frage mich daher, ob es wirklich recht ist, ihn einfach zu töten, immerhin stimmt es schon, dass wir dann nicht besser sind und er-“

„Schnauze, Deku!! Keiner will dein blödes Gefasel hören!“

„Mann, Bakugou, jetzt sei doch nicht immer so gemein zu ihm. Was er sagt, stimmt halt auch…“

„Fängst du jetzt auch schon so an?! Euer scheiß Mitleid bringt uns am Ende allen den Tod, verdammt! Oder habt ihr schon vergessen, dass wir mit dem Überraschungsangriff eine einmalige Chance hatten?! Was glaubt ihr, passiert, wenn das Ding freikommt? Ich hab keinen Bock, dass es mir die Kehle aufschlitzt!“

„…so sehr ich Bakugou-kuns Ausdrucksweise auch missbillige, leider hat er Recht. Körperlich sind wir einem Dämon unterlegen.“

„Ich weiß auch nicht. Irgendwie ist an allem etwas Wahres dran“, murmelte das Mädchen unschlüssig. „Lasst uns an unserem Plan festhalten und den König entscheiden lassen.“

Hawks wünschte sich, sie würden dies nicht tun. Es war wirklich zum Verzweifeln. Wenn er erstmal die Schlossmauern passiert hatte, war es vermutlich aus mit ihm. Nicht mal eine Gruppe Kinder hatte er überzeugen können, wie also den Herrscher dieses Landes?

Verdammt, er konnte und wollte nicht sterben. Nicht jetzt, nachdem endlich einmal alles gut für ihn lief. Jetzt, da er Freunde gefunden hatte.
 

Sein Versuch, das Pferd scheuen zu lassen, indem er seine Beine in dessen Bauch rammte, gelang halbwegs. Er endete jedoch damit, dass er auf seinen Flügel fiel und ihn die Kinder nun wieder selbst ins Innere des Schlosses trugen, um dort die Wachen zu alarmieren. Ja, er war erledigt. Sie legten ihm zusätzliche Eisenfesseln an und seine kurze Erleichterung, den Sack loszuwerden, wurde schnell wieder gedämpft. Um seinen Schrei zu verhindern, stopften sie ihm ein Stück Stoff in den Mund und legten ihm einen Lederriemen an. Es spannte…und ehrlich gesagt, fühlte er sich allmählich gedemütigt. Wie niederes Vieh. Er hasste es.

Da er sich kaum noch rühren konnte, blieb er einfach liegen, schloss resigniert die Augen. Die Blicke und das aufgeregte Getuschel um ihn herum verursachten ihm Magenschmerzen. Es machte ihm wieder einmal deutlich, dass er nicht hierher gehörte. Unter die Menschen.

„Was ist das für ein Aufruhr?!“

Hawks öffnete die Augen wieder, als er die fremde Stimme vernahm – und er schluckte hart, als er hinter dem alten Knacker Enji, Toshinori und Aizawa erkannte. Er wusste nicht, ob er sich freuen sollte – bei Enjis zorniger Miene wohl eher nicht. Die anderen beiden wirkten eher geschockt, überlegten sicher, wie sie hier herauskamen. Sie befanden sich mitten im Zentrum des Hofs, um sie herum standen etliche Leute. Nein, an Flucht war nicht zu denken.

„Aufruhr?!“, entkam es dem Jungen namens Bakugou und er grinste breit. „Wir haben einen Dämon gefangen! Einen echten! Er wollte das Schloss angreifen, doch wir haben ihn vom Himmel geholt und ihn gefangen genommen!“

„Wenigstens erwähnt er uns“, murmelte das Mädchen und die anderen nickten in stiller Zustimmung.

„Einen Dämon, ja?“, kam es skeptisch von dem Greis und er bohrte Hawks seinen Stock in die Seite. „Wahrhaftig. Das habt ihr wohl. Hätte nicht gedacht, dass Grünschnäbel wie ihr zu solch einer Tat in der Lage seid. Ich werde mir eure Belohnung durch den Kopf gehen lassen – der Dämon wird noch heute hingerichtet.“

Hawks ächzte gegen den Knebel, während er den alten Mann anblickte. Er traute sich nicht, die anderen weiter anzusehen, denn wenn diese wegen Hochverrats ebenfalls hingerichtet wurden…nein.
 

„Haltet ein!“

Hawks blinzelte, als Enji mit finsterer Miene vortrat und auch der Rest des Pulks wandte sich nun ihm zu. Was zur Hölle sollte das nun werden?

„Tut mir ja leid, euch enttäuschen zu müssen, aber diesen Dämon zu fangen, ist keine große Herausforderung.“

„Was?!“, zischte der Blonde direkt, während Hawks gar nichts mehr verstand.

Noch weniger, als sich Enji, ohne zu zögern, neben ihn kniete und ihm den Knebel abnahm, was allgemeines Entsetzen auslöste.

„Nicht! Wenn er schreit, platzt einem fast das Gehör!“, kam es panisch von Kirishima, doch Enji ignorierte es.

Hawks war froh, als der blöde Knebel aus seinem Mund verschwunden war, auch wenn er fürchtete, dass das hier übel enden würde. Er stockte, als Enjis Pranke seine Haare packte und seinen Kopf daran in den Nacken riss.

„Dieser Dämon ist harmlos.“

War wohl besser, den Mund zu halten, auch wenn ihn die Aussage etwas ärgerte. Er war ja wohl gar nicht harmlos. Nicht, wenn er nicht harmlos sein wollte.

„Toshinori und ich haben ihn auf unserer Reise bezwungen und ihn unter Folter abgerichtet wie einen Hund. Er wird es nicht wagen, irgendjemanden anzugreifen, ohne dass wir den ausdrücklichen Befehl dazu geben. Er spürt für uns Dämonen auf und treibt sie aus ihren Löchern. Daher ist er unheimlich nützlich. Verstanden?“

Es wurde ein wenig seltsam, als Enji ihm die freie Hand vor die Lippen hielt. Sollte das jetzt der Beweis sein, dass er kein blutrünstiges Monster war, sondern ein zahmer Dämon? Na dann duckte er sich wohl mal besser weg vor der Pranke und zeigte Demut. Oder Angst. Gott, das war so peinlich.

Er ächzte, als sein Kinn grob zusammengedrückt wurde, doch er wehrte sich nicht dagegen. Wenn das hier nach hinten losging, hatten sie ihre letzte Chance vertan. Um sie herum tuschelten die Leute, tauschten skeptische und teils ängstliche Blicke miteinander.

„Es wäre blanke Verschwendung, diese Kreatur zu töten, wenn man sie stattdessen benutzen kann“, fuhr Enji fort. „So abscheulich sie auch sein mag.“

Gut, jetzt hätte er ihm gern in die Finger gebissen. Das war doch Absicht, weil er sich hatte fangen lassen! Frechheit!

Für ein paar Sekunden herrschte absolutes Schweigen auf dem Platz. Keiner schien sich zu trauen, das Wort zu ergreifen, während der König mit ernster Miene und gerunzelter Stirn zu ihm herunter sah. Hawks versuchte, besonders gebeutelt auszusehen – was eigentlich nicht seine Art war.

„Entspricht das der Wahrheit? Toshinori?“, kam es langsam von dem alten Mann, woraufhin sich der Blonde räusperte.

„Natürlich! Es ist, wie Enji sagt…von dem Dämon geht keine Gefahr mehr aus. Er…eh…ist uns hörig. Nicht wahr, Aizawa-san?“

So angesäuert, wie dieser schaute, musste er sich wohl überwinden, diese Scharade mitzuspielen, aber anders ging es nun mal nicht.

„…sicher.“

„Der junge Bakugou und seine Freunde haben zweifelsohne im Interesse unseres Reiches gehandelt und verdienen dafür unsere Anerkennung“, fügte Toshinori noch an, was vor allem Bakugou mit den Zähnen knirschen ließ.

„Und warum war das Vieh allein unterwegs, huh?!“

„Das…war ein Befehl von uns. Er...sollte in der Nähe bleiben, um niemanden zu verschrecken.“

„Hat ja super geklappt!“

„Kacchan…“, murmelte der Grünhaarige nervös, doch der Genannte knurrte nur ungehalten.

Das tat Hawks aber leid, dass man ihm in die Suppe gespuckt hatte…
 

„Diese Kreatur wird sich innerhalb unseres Reiches nicht frei bewegen. Ich hoffe, dies ist euch klar. Sie wird in den Kerker gebracht und dort eingesperrt, bis ich entschieden habe, wie mit ihr zu verfahren ist! Die Sicherheit unseres Volkes hat oberste Priorität und auch, wenn ich zumindest euch beiden vertraue, Toshinori, Todoroki-kun…so kann ich dieser Kreatur nicht trauen.“

Hawks japste auf und sein erster Impuls war es, erneut loszuschreien, bis ihnen die Ohren bluteten – bei Enjis Blick jedoch wagte er dies nicht. Anscheinend hatte dieser erkannt, was er vorhatte. Erschreckend, wie gut er ihn mittlerweile lesen konnte.

Einerseits wollte er es ignorieren und sein Leben retten. Wenn sie ihn erstmal festgesetzt hatten, gab es keine Garantie, dass man ihn nicht dort unten ließ – Toshinori und Enji mochten den König kennen, doch sie hatten hier nicht das Sagen. Was, wenn ihn jemand dort unten abstach? Er war ihnen ausgeliefert.

Andererseits, wenn er hier einen Aufstand machte und ihnen die Bestie gab, die sie erwarteten, wäre das das Ende. Auf jeden Fall das Ende ihrer Kameradschaft und dazu war Hawks nicht bereit. Also war er ein braver Vogel, der seinen Schnabel hielt und den Kopf demütig senkte. Er würde sich seinem Schicksal ergeben müssen, auch wenn alles in ihm danach schrie, aus dieser Situation auszubrechen.

„Das verstehen wir und sind natürlich einverstanden“, kam es von Enji, womit er wohl Toshinori zuvorkam.

Diesem stand der empörte Protest ins Gesicht geschrieben, doch es war wohl besser so. Für sie alle. Er musste sich das nur überzeugend genug einreden und die Panik niederkämpfen. Enji und die anderen würden ihn nicht im Stich lassen. Sie würden das klären.

Hawks wusste, dass er an seiner Lage selbst schuld war; er musste es also hinnehmen und auf die anderen vertrauen.
 

„Wachen! Sperrt den Dämon in den Kerker! Sorgt dafür, dass er dort unten sicher untergebracht wird, bis ich entschieden habe, wie mit ihm verfahren wird. Toshinori, Todoroki-kun, ihr kommt mit mir. Unsere Unterhaltung war noch nicht beendet. Es gibt eine wichtige Angelegenheit, in der ich euch beide sprechen muss. Allein.“

Und mit diesen Worten kam Bewegung in die bewaffneten Männer, was Enji dazu zwang, ihn loszulassen und sich wieder zu erheben. Moment. Er würde von irgendwelchen Fremden weggebracht werden?! Sein Herz begann zu rasen und die Panik schien erneut ihre Hand um seinen Hals zu legen. Jedenfalls bis er Enjis Blick sah, der kurz darauf zu Toshinori und dann zu Aizawa glitt.

Vernehmlich räusperte sich der blonde Mann, woraufhin er die Aufmerksamkeit des alten Knackers bekam.

„Aizawa-san sollte die Wachen begleiten. Er weiß mit dem Dämon…umzugehen, falls es Komplikationen gibt, und er genießt mein vollstes Vertrauen, wie Ihr wisst. Nur bis der Dämon…uhm…sicher untergebracht ist.“

Ein genervtes Schnauben kam von dem alten Mann, jedoch winkte er ab.

„Schön. Von mir aus…und jetzt genug davon. Es gibt Wichtiges zu besprechen! Bringt endlich dieses Vieh weg, na los!“, knurrte er die Wachen an und wandte sich zum Gehen um.

Hawks‘ Ängste wurden dadurch nicht gerade besänftigt, doch da Aizawa mit ihnen kommen würde, schaffte er es irgendwie, nicht durchzudrehen. Auch wenn er nahe dran war, als man ihm wieder den Knebel in den Mund schob und diesen festzurrte. Das war so erniedrigend…

Während sie ihn davon schliffen, hörte er, wie die jungen Krieger Toshinori in Beschlag nahmen. Dieser musste ja eine große Nummer sein, wenn sie so ehrfurchtsvoll mit ihm sprachen.

„Yagi-sama! Seit wann seid Ihr zurück? Habt Ihr wirklich mit Todoroki-sama einen Dämon gezähmt?! Das ist ja unglaublich! Es kam uns gleich so seltsam vor, dass er meinte, dass er niemanden töten will! Das war also, weil Ihr Euch seiner angenommen hattet! Das ist beeindruckend!“, faselte dieser Deku los, kaum dass sich die Menschenmenge aufgelöst hatte.

„In der Tat! Wie es sich für den Sohn des Königs gehört!“, stimmte der Typ mit der Brille zu.

Was zum…Toshinori war der Sohn des Königs?! Das hätte dieser ja ruhig mal erzählen können.

„Wir hätten ihn gar nicht so schlimm verletzt, wenn wir das vorher gewusst hätten“, meinte Kirishima entschuldigend.

Toshinori lächelte gezwungen und hob abwehrend die Hände.

„Schon gut, ihr…konntet es ja nicht wissen und Vorsicht ist besser als Nachsicht, von daher…uhm…gut gemacht!“

Er zeigte ihnen den Daumen hoch und rieb sich den Nacken, woraufhin Aizawa ein Schnauben von sich gab.

„Das ist doch völliger Mist!“, zischte Bakugou und wandte sich ab. „Das tu ich mir echt nicht länger an…ein Dämon als Haustier. Tse…“

„…ich glaube, der verlorene Ruhm macht ihm etwas zu schaffen“, mutmaßte Uraraka und sah ihm besorgt nach.

„Ach, der beruhigt sich schon wieder“, wiegelte Kirishima ab.

Mehr bekam Hawks nicht mit, da er außer Hörweite gezerrt wurde. Aizawa folgte ihnen mit wachsamem Blick wie ein Schatten – jedenfalls bis sie im Kerker angelangt waren.

„Wir haben den Dämon unter Kontrolle, Fremder. Ihr könnt gehen.“

Man sah Aizawa an, dass er damit nicht einverstanden war. Es wunderte Hawks, dass er so ruhig blieb, lediglich die Augen verengte und sich dann abwandte. Er würde ihn nicht einfach verlassen, oder? Nein. Das sah Aizawa nicht ähnlich. Vermutlich würde er versuchen, eine Möglichkeit zu finden, wie er weiter nach ihm sehen konnte. Bestimmt.

Hawks stöhnte in den Knebel, als über den Steinboden gezerrt wurde – und auch in seiner vergitterten Zelle gab es lediglich eine dünne Schicht Stroh. Er verzog das Gesicht, als man ihm einen Eisenring um den Hals legte und die Kette mit der Wand verband. Seine Klauen wurden ebenfalls an der Wand festgemacht, die Flügel weiter fest auf seinen Rücken gezurrt. Er konnte sich so nicht mehr viel bewegen, sah missmutig auf seine zusammengebundenen Füße. Nein. Allein kam er hier nicht mehr raus. Er atmete durch die Nase aus, lehnte sich dann gegen das Gestein in seinem Rücken.

Wenigstens bewahrheitete sich seine Befürchtung nicht, dass sie ihn quälen wollten. Vielmehr schienen sie Furcht vor ihm zu verspüren. Er roch ihre Angst, vernahm das Zittern derer, die ihn berühren mussten. Nur ein Mann blieb zurück, um ihn und andere Gefangene zu bewachen.

Hawks blickte vor sich hin, während er die Erschöpfung in seinen angeschlagenen Gliedern spürte. Es war kalt und modrig hier unten, aber es sollte wohl auch nicht komfortabel sein. Enjis Blick ging ihm nicht aus dem Kopf und er ahnte schon, dass er sich dafür noch was würde anhören dürfen. Nun, besser so, als wenn sie ihm morgen doch noch den Kopf abschlugen. Wie bitter.

Er senkte die Lider und versuchte, eine einigermaßen bequeme Position zu finden – sowie auszublenden, dass da ein Stück Stoff in seinem Mund steckte. Vielleicht konnten Enji und Toshinori den König überzeugen…und ihn hier herausholen.

Er hoffte, dass es schnell geschehen würde…

Das Bad

Enji konnte seine Wut kaum in Worte fassen. Dieser dumme Vogel hatte sie in die Scheiße geritten, kaum dass sie Toshinoris Liebeserklärung an den Einsiedler überstanden hatten. War er hier denn der Einzige, der sich irgendwelcher Konsequenzen bewusst war?!

Hawks‘ verzweifelter Blick hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt, sodass es ihm schwerfiel, an etwas anderes zu denken, während sie erneut den Thronsaal betraten. Der Dämon war sozusagen wehrlos. Wenn ihn jemand töten wollte, würde das ein Leichtes werden. Vermutlich würde es nicht einmal eine große Strafe mit sich ziehen, wenn man behauptete, Hawks hätte angegriffen. Aber gut. Er musste sich zur Ruhe mahnen, durfte jetzt nicht überreagieren. Wenigstens war Aizawa bei ihm und so stur wie dieser war, würde er sicher für Hawks‘ Sicherheit sorgen, egal, wie er es anstellen musste. Andererseits bedeutete das auch, dass er ihnen zusätzlichen Ärger machen konnte…verdammt.

Toshinori warf ihm von der Seite her einen festen Blick zu, der wohl bedeuten sollte, dass sie das schon geraderücken würden – als bräuchte er so eine Ermutigung. Leise schnaubte er, wandte sich dann aber Torino zu, der sich gesetzt hatte.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, begann er ernst. „Möchtet ihr, dass ich vorzeitig an einem Herzinfarkt dahinscheide?! Erst diese…Offenbarung und nun…schleppt ihr mir einen Dämon ins Schloss?!“

„Also…eigentlich haben Midori-“

„Ihr wusstet, dass es sich hier herumtreibt!!“, ließ Torino seinen Ziehsohn nicht ausreden und wurde lauter. „Dieses…Tier! Dieses Geschöpf, von dem wir alle wissen, dass wir ihm nicht trauen können, weil es eben nun mal kein Mensch ist! Was, wenn es einen deiner Schützlinge getötet hätte, Toshinori?! Was…Todoroki-kun, das war doch nicht dein Ernst, dass du es unter Kontrolle hast?! Es ist schneller, gefährlicher und vermutlich ebenso intelligent wie ein Mensch!“

Es war schwer, etwas dagegen zu sagen. Torino war ein ehrbarer Mann mit einem scharfen Verstand und gutem Urteilsvermögen, aber ihm einen Dämon anpreisen? Als ihren Kameraden? Das ging einfach zu weit. Die Wahrheit würde sie wohl kaum weiterbringen.

„Er ist unser Kamerad.“

Enji stöhnte innerlich, als Toshinori aussprach, was er nicht gewagt hätte. Warum trug der Idiot sein Herz auch auf der Zunge? Andererseits stand er Torino näher als er, vielleicht verlieh das seinen Worten mehr Gewicht. Oder Hawks würde schneller hingerichtet werden, als sie befürchtet hatten.

Torino starrte seinen Freund nur an und scheinbar hatte es ihm schon zum zweiten Mal an diesem Tage die Sprache verschlagen. Einen Moment lang sagten sie beide nichts, ehe sich Enji räusperte; es machte ja keinen Sinn mehr, Ausreden zu suchen.

„Ihr wisst, dass ich nichts mehr verabscheue als Dämonen. Es ist unsere Pflicht, diese auszurotten – und so dachte ich auch, als wir auf Hawks getroffen sind. Viele Male habe ich versucht, ihn zu töten, und dennoch rettete er das Leben meines Sohnes sowie das meine. Eine Schuld gilt es zu begleichen, das gebietet unsere Ehre. Jedoch gab es auf unserer Reise so viele Situationen, in denen wir einander halfen, um zu überleben, dass es irgendwann keine Rolle mehr spielte. Er kämpfte mit uns gegen seine eigene Art…und vermutlich wäre einer von uns ohne ihn inzwischen tot.“

Toshinori neben ihm nickte zustimmend, sah seinen Adoptivvater fest an.

„Nana-san und Ihr habt mich gelehrt, was Recht und Unrecht ist. Jemanden aufgrund seiner Rasse zu verurteilen, bedeutet für mich Unrecht.“

Sie machten es dem alten Mann wahrlich nicht einfach, so wie dieser von einem zum anderen sah. Dann fuhr er sich über das Gesicht, schloss für einen Moment die Augen. War das etwa ein gutes Zeichen? Glauben konnte Enji das nicht.

„Ihr habt euch den denkbar schlechtesten Zeitpunkt ausgesucht, um euch mit dieser Kreatur anzufreunden“, brachte er schließlich hervor und funkelte sie beide an.

„Was…meint Ihr damit?“, fragte Toshinori verwirrt.

„Es gab Überfälle auf die umliegenden Dörfer. Seit einigen Tagen immer wieder und in unregelmäßigen Abständen. Kleine Dörfer, die über keinen besonderen Reichtum verfügen. Sie haben keine Überlebenden zurückgelassen und die Leichen…es sah zum Teil aus, als wären sie von wilden Tieren zerrissen worden. Andere wurden aufgespießt oder verbrannt. Was es auch war, was dort draußen wütet…es war weder Mensch noch Tier. Ihr wisst beide, was das bedeutet.“

Enji musste nicht zweimal überlegen, denn es ließ gar keinen anderen Schluss zu. Dämonen. Es kam selten vor, schließlich bildeten sie hier fähige Krieger aus, doch ab und zu…jedoch nie in solch einem Ausmaß.

„Die Leute suchen einen Schuldigen, den sie dafür büßen lassen können. Eine Möglichkeit, ihre Angst zu besiegen – da kommt ihnen euer Freund gerade recht. Es wird Unruhe verursachen, wenn ich ihnen sage, was ihr mir gesagt habt. Unabhängig davon, was ich glaube – und im Übrigen halte ich weiterhin nichts davon, den Dämon hier frei herumlaufen zu lassen. Welche Beziehung ihr auch zu ihm habt – er könnte im Affekt handeln. Hier sind zu viele Menschen. Zu viele Kinder.“

„Ihr seht zu sehr eine Bestie in ihm“, widersprach Toshinori mit gezwungener Geduld. „Menschen sieht er nicht als seine Beute, lediglich Wild oder Kleintiere. Von seinen Gliedmaßen und Klauen abgesehen, ist er nicht weniger menschlich als wir.“

Und abgesehen von dessen seltsamen Ansichten und Bräuchen, ergänzte Enji im Stillen.

„Das kann ich aber keinem glaubhaft machen, Toshinori. Es war klug von Todoroki-kun, ihn als euer gehorsames Haustier darzustellen – und das wird er bleiben.“

„Wir brauchen ihn, wenn wir gegen Dämonen kämpfen, die vermutlich in der Überzahl und zudem kein bloßes Getier sind“, hielt Enji dagegen. „Wenn sie Waffen und Feuer nutzen können, verfügen sie vielleicht über Intelligenz. Die letzten Dämonen, die wir trafen, waren ebenfalls solche und sie hätten uns beinahe alle umgebracht.“

Torino atmete tief durch, sah sie beide durchdringend an.

„Wie gesagt, er wird weiterhin dort unten bleiben. Ihr nehmt ihn mit, wenn ihr das Schloss verlasst – aber er bleibt an der Kette, bis ihr außer Sicht seid. Wir müssen den Leuten Sicherheit zeigen, sonst stürzen wir das Land ins Chaos. Habt ihr das verstanden?“

Es fiel Enji schwer, da zu widersprechen, denn er erkannte den Sinn dahinter. Die Menschen würden nicht verstehen, dass Hawks für sie keine Gefahr darstellte. Ebenso wenig wie sie enthüllen konnten, was Aizawa war. Sie mussten sich und die beiden schützen.

„Die Wachen sollen dafür sorgen, dass er sich waschen und bequem liegen kann, sowie zu essen bekommt. Ich heiße es nicht gut, dass so mit ihm verfahren wird, aber ich möchte, dass er es in dem Fall wenigstens angenehmer hat“, kam es überraschend ruhig von Toshinori. „Er ist kein Tier. Er soll nicht wie eines behandelt werden.“

Enji warf einen Blick zu Torino, welcher leicht die braunen Augen verengt hatte, schließlich aber nickte. Gut, er kannte Hawks nicht, natürlich erschien ihm die Forderung unsinnig, jedoch lehnte er sie nicht ab. Sie hatten wahrlich Glück, dass Torino zwar alt war, durch seine ehemalige Partnerin aber offener war, als es die meisten Menschen vermutlich gewesen wären. Nun, und dass er Toshinori und ihn schätzte und ihnen vertraute.

„Das wird wohl machbar sein. Falls es Freiwillige gibt, die dies tun wollen. Nun aber zurück zu den Überfällen – ich nehme an, ihr werdet dem nachgehen?“

Diese Frage bedurfte eigentlich keiner Antwort, schließlich war das ihre Mission.

„Natürlich“, kam es von ihnen beiden.

„Gut, dann ruht euch den restlichen Tag aus. Eure Räumlichkeiten sind bereits vorbereitet, ebenso wie euch die Bäder zur Verfügung stehen. In der Zwischenzeit wird das Mahl zubereitet – wir werden zusammen speisen.“

Enji ahnte, dass es Toshinori ähnlich wie ihm selbst ging; normalerweise war es eine Wohltat, Betten, Bäder und ordentliche Mahlzeiten zu bekommen, doch unter den Umständen haftete daran ein fader Beigeschmack.

„Sagt dem Landstreicher, er ist ebenfalls eingeladen…und er soll sich vernünftige Kleidung geben lassen. Eine Rasur wäre ebenfalls angebracht.“

Enji blinzelte, ehe er den Kopf zu Toshinori drehte, dessen Gesicht seltsam steinern geworden war. Vielleicht weil er sich vorstellte, wie Aizawa wildkatzenartig die Dienstmädchen und Knaben anfauchte, die ihm mit dem Rasiermesser zu nahe kamen. Gott, wäre die Sache mit Hawks nicht, er hätte sich darüber ausgiebig amüsiert.

„Eh…“

„Du willst mir doch nicht widersprechen, wenn ich den Mann deiner Wahl schon näher kennenlernen möchte, Junge?!“

Das war deutlich – und das Herumgefuchtel mit dem Stock ebenfalls, sodass Toshinori direkt stramm stand.

„Nein! Natürlich nicht!“

„Gut! Dann sehen wir uns später. Verschwindet!“
 

Kaum, dass sie den Raum verlassen hatten, atmete Toshinori neben ihm schwer aus und sackte etwas in sich zusammen.

„Ich weiß, wir sind glimpflich davongekommen, aber…mir liegt das alles wie ein Stein im Magen“, hörte er ihn murmeln.

Enji schnaubte.

„Daran bist du selbst schuld. Du hast dich dafür entschieden, es ihm mitzuteilen. Übrigens wäre eine Vorwarnung nett gewesen. Wenn schon nicht für mich, dann für deine große Liebe“, erwiderte er spöttisch.

Toshinori sah ihn missmutig an.

„Ich wusste nicht, wie ich es…das war nicht so einfach. Aber scheinbar wusstest du es schon?“

„Sicher wusste ich es. Du bist nicht sonderlich subtil.“

„Oh…aber es…na ja…stört dich nicht?“

„Auch wenn ich nicht verstehe, was du an diesem heruntergekommenen Waldschrat ohne Benehmen findest, so ist es mir egal. Du kannst tun und lassen, was du willst. Ich halte es nur für unklug, es öffentlich zu machen. Du bietest damit Angriffsfläche…und gefährdest auch ihn. In dem Punkt bin ich mit Torino einer Meinung.“

Toshinori schwieg einen langen Moment, ehe er ein Seufzen von sich gab.

„Ich werde darüber nachdenken.“

Enji sagte nichts weiter dazu, sondern nickte nur und machte sich mit ihm auf den Weg zu den Bädern. Für jemanden wie Toshinori, der seine Tugenden von Ehrlichkeit und dergleichen so ernst nahm, musste das ein ziemlicher Konflikt sein. Aber gut, es war dessen Entscheidung. Er wollte jetzt erstmal baden und irgendwie die Sorge um Hawks verdrängen. Irgendjemand würde Aizawa wohl holen, darum würde sich Torino schon kümmern, wenn er so erpicht darauf war, diesen kennenzulernen.
 

Das heiße Wasser war eine wahre Wohltat für ihre geschundenen Körper und er sank sofort in das große, quadratische Steinbecken. Es roch gut nach Kräutern und zwei Dienstmädchen kamen sofort, um ihre Oberkörper zu waschen und ihnen die Schultern zu massieren. Enji genoss es einfach nur, schloss sogar für einige Sekunden die Augen – wenn auch der dumme Vogel direkt wieder in seinem Kopf auftauchte. Sie lebten hier oben wie die Könige, während Hawks dort unten in Ketten saß und vermutlich um sein Leben fürchtete. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er nach der Sache mit der Sirene gemeint hatte, dass er nicht sterben wollte. Der Dämon gab sich viel tapferer und vorlauter, als er es in seinem Inneren war. Enji entschied, dass er später zu ihm heruntergehen würde. Er konnte ihn nicht die ganze Zeit allein dort unten lassen.

„Uhm…das…reicht nun, vielen Dank, du musst nicht weitermachen“, drang Toshinoris verlegene Stimme zu ihm herüber und riss ihn aus seinen Gedanken.

Er öffnete die Augen wieder und sah den anderen Mann ihm gegenüber im Wasser sitzen, die Hände abwehrend erhoben, während das Mädchen fragend den Kopf neigte.

„Ich tue dies gern, Yagi-sama“, erwiderte sie mit einem Lächeln.

„Eh…ja…danke, aber schon gut.“

„Nicht doch, Ihr seid ein Held!“, überging sie seinen Einwand voller Euphorie und drückte sich in ihrem knappen Gewand an dessen Rücken. „Es ist eine Ehre, Euch zu waschen!“

Sie strich mit dem Lappen über seine Brust und weiter hinab, lehnte dabei ihren Kopf an seinen. Toshinori sah aus, als würde er gleich einen Herzinfarkt bekommen, blickte das Mädchen jedoch nur entsetzt an, anstatt sie aufzuhalten. Enji fand es lediglich amüsant, wie sich sein Freund anstellte. Während er sich die Schultern massieren ließ, nahm er einen Schluck Wein aus dem Kelch, schaute sich die peinliche Szene vor sich an.

Es wurde tatsächlich noch besser, als von der Tür her Tumult laut wurde – und es war unverkennbar die Stimme des Einsiedlers. Scheinbar hatte man nicht lockergelassen, denn Aizawa trug nur ein Handtuch um die Hüften, während ihm zwei Dienstmädchen hinterherliefen und an ihm herumfummelten.

„Herr, so wartet doch, wir müssen Eure Haare zusammenbinden!“

„Sollen wir Euch waschen?“

„Lasst mich in Ruhe…“, knirschte der Einsiedler mühsam beherrscht.

„Aber es ist uns ein Vergnügen!“

„Ja wirklich!“

Aizawas Braue zuckte merklich und er presste die Lippen fest zusammen, ehe er sich von ihnen abwandte und – mit versteinerter Miene Toshinori erfasste, an den sich immer noch die junge Frau presste. Dieser wurde noch röter im Gesicht, falls dies irgendwie möglich war, und zuckte unter dem immer finsterer werdenden Blick zusammen. Anscheinend wurde auch jemand wie Aizawa eifersüchtig, wenn man bedachte, wie dieser schnurstracks auf das Becken zulief. Scheinbar musste ihn nun keiner mehr dazu nötigen.

„Es…ist nicht, wie…es aussieht“, nuschelte Toshinori beschämt, woraufhin Enji die Augen verdrehte.

Hatte dieser Trottel nicht begriffen, dass er seine Beziehung zu Aizawa nicht an die große Glocke hängen sollte? Aizawa erwiderte nichts, sondern löste mit sturem Blick sein Handtuch, ehe er sich zu ihnen ins heiße Wasser gesellte. Vielleicht wurde es Zeit, diese unangenehme Situation aufzulösen, bevor die Mädchen noch darüber tratschten.

„Das genügt!“, knurrte er daher, woraufhin das Mädchen hinter ihm verwundert innehielt. „Raus mit euch! Wir rufen euch, wenn wir noch etwas brauchen! Geht!“

Sein ruppiger Tonfall sorgte wohl dafür, dass sie ihn ernstnahmen, weswegen sie lieber eilig den Raum verließen.
 

Zufrieden brummte Enji, trank noch einen Schluck vom Wein, ehe er zu Aizawa sah.

„Was ist mit ihm?“, fragte er geradeheraus.

Der Einsiedler wandte den Blick vom Wasser zu ihm, schnaubte dann.

„Sie haben mich im Kerker weggeschickt und als ich mich wieder hineinschleichen wollte, haben mich plötzlich die Wachen abgeführt und hierhergebracht. Ich kann daher auch nur hoffen, dass es ihm den Umständen entsprechend gutgeht.“

„Scheiße…“

Enji warf einen Blick zu Toshinori, der mit bitterer Miene ins Wasser sah, ehe er mit der Faust hineinschlug. Vermutlich ärgerte er sich über seinen fehlenden Einfluss, doch da war nichts zu machen.

„Ich gehe nachher zu ihm“, meinte Enji schließlich, woraufhin die anderen beiden Männer aufsahen. „Du, Waldschrat, bist ein Fremder, dir vertrauen sie nicht…und Toshinori, egal, wohin du gehst, sie umringen dich wie einen verdammten Helden. Ich kümmere mich um ihn.“

Kurz herrschte Stille, ehe Aizawa einen Laut von sich gab, den Enji nicht ganz deuten konnte.

„Immer wieder irritierend, wie sehr Ihr Euch mittlerweile um Hawks sorgt.“

Der verdammte Waldschrat wollte wohl Ärger mit ihm.

„Müsst Ihr auf mich verweisen, damit wir nicht auf Toshinoris Heiratsantrag zu sprechen kommen?“, schoss er zurück, wobei ihn nun beide Männer entgeistert ansahen.

Hoffentlich waren die Weiber wirklich verschwunden und lauschten nicht an der Tür, aber gut, den Spruch hatte er nicht zurückhalten können. Während Toshinori rot anlief, wurde der Einsiedler blass und er war scheinbar erstmal sprachlos.

„Enji! Das…es ist…es tut mir leid, wenn ich Euch überrumpelt habe, es…ist nur…Ihr wisst, wie ich fühle und-“

„Darüber reden wir später“, presste Aizawa hervor.

Es schien diesem deutlich unangenehmer zu sein, als er zuvor noch vorgegeben hatte. Nun gut, vor Torino zu kuschen und eine Abfuhr zu erteilen, hätte Toshinori beschämt. Zweifellos erwiderte der grimmige Mann die Gefühle seines Freundes. Umso unnötiger, dass er nun nicht darüber reden wollte. Nicht, dass Enji das ausdiskutieren wollte, aber es war eben Fakt, dass da etwas zwischen den beiden war.

„Plötzlich seid Ihr verklemmt? Bei einem Mann Eures Alters verfehlt das die Wirkung, falls Ihr es noch nicht wusstet.“

Er griff zum Wein, genoss diesen, während Aizawas Braue unter seinem Mob von Haaren gefährlich zuckte.

„Das bin ich keinesfalls. Ich halte es nur nicht für angebracht, dies vor Euch zu besprechen, da es Euch absolut nichts angeht.“

„Und Euch geht es nichts an, warum oder ob ich mir Sorgen um den Vogel mache.“

Wenigstens hatte er in diesem unsinnigen Disput die Oberhand. Da ging es ihm doch gleich schon besser. Ein sprachloser und wütender Aizawa war ein guter Aizawa. Ein Wunder, dass das Wasser nicht zu brodeln begann.
 

Toshinori räusperte sich vernehmlich.

„Aizawa-san, wenn ich Euch zu nahegetreten bin, so tut es mir leid. Es lag nicht in meiner Absicht, Euch in Verlegenheit oder in eine Situation zu bringen, in der Ihr Euch zu etwas gezwungen fühlt. Ich wollte nur-“

„Herrgott, schweigt still!“, zischte Aizawa ihn an und auch bei ihm sah man nun die verdächtige Röte. „Euer…Antrag war riskant und unangenehm. Aber da ich ihn nicht abgelehnt habe und mich für Euch ausgesprochen habe, sollte das wohl ausreichen, um Euch zu zeigen, wie ich darüber denke…und wie ich…für Euch fühle."

Zu den letzten paar Worten musste er sich anscheinend zwingen. Amüsant, Aizawa so in die Enge getrieben zu sehen. Vor allem da Toshinori aussah, als würde er gleich vor Rührung heulen. Gott, was waren sie für ein verrückt zusammengewürfelter Haufen.

„Aizawa-san…“

„Macht es nicht noch peinlicher“, brummte dieser und sank tiefer ins dampfende Wasser.

„Wenn Ihr wüsstet, was mir Eure Worte bedeuten, würdet Ihr nicht von Peinlichkeit sprechen. Ich fühle mich geehrt, dass Ihr meine Gefühle erwidert und Euch nicht scheut, es auszusprechen.“

Aizawa sank bis zur Nase ins Wasser, blubberte nur was Unverständliches, woraufhin Toshinori warm lächelte und Enji breit grinste. Peinlich war es allerdings – aber auch nur für Aizawa. Enji kannte seinen Freund und dessen Offenherzigkeit.
 

„Ich will Eure Liebesbekenntnisse ja nicht unterbrechen, aber falls du dich erinnerst, Toshinori – wir haben ein Problem.“

Dieser wurde direkt wieder ernst, woraufhin Aizawa sein Gesicht aus dem Wasser hob.

„Das stimmt. Sorahiko-san hat uns von Überfällen auf die umliegenden Dörfer berichtet. Es seien wohl keine Menschen gewesen…oder nicht nur, den Spuren nach zu urteilen. Enji und ich vermuten Dämonen. Wir sollen dem nachgehen und sie zur Strecke bringen.“

Aizawa schnaubte leise.

„Was auch sonst…“, murmelte er trocken und strich sich die feuchten Haare aus dem Gesicht. „Es wäre von Vorteil, wenn wir bei dieser Mission auf Hawks vertrauen könnten.“

„Ja. Der Meinung sind Enji und ich auch, doch wir müssen uns überlegen, wie wir das angehen.“

„Er soll hier nicht frei herumlaufen und die Leute noch mehr in Panik versetzen. Sie suchen einen Schuldigen, gerade die, die ihre Verwandten und Freunde verloren haben“, ergänzte Enji ruhig.

„Vielleicht können wir ihn mitnehmen, wenn wir das Schloss verlassen“, meinte Toshinori nachdenklich. „Ihn als unser gezähmtes Tier auszugeben, war ein guter Zug – auch wenn das für Hawks sicher demütigend war.“

„Besser so, als wenn sie seinen Kopf auf einen Pfahl gespießt hätten“, knurrte Enji, woraufhin ihm keiner widersprach.

Einige Sekunden lang schwiegen sie, ehe Aizawa hörbar ausatmete.

„Nun gut. Sammeln wir genügend Informationen und dann überlegen wir, wie wir Hawks aus dem Kerker bekommen.“

Sowohl Toshinori als auch Enji nickten entschlossen. Darüber musste nicht mehr diskutiert werden. Wenn es drauf ankam, konnten sie eine Einheit sein – und Hawks gehörte für sie alle dazu.

Der Ehevollzug

Es fiel Aizawa schwer, ruhig zu bleiben, während er in den Spiegel sah. Scheinbar war er nicht vorzeigbar gewesen, weswegen man darauf bestanden hatte, ihn neu einzukleiden und ihn nebenbei noch zu rasieren. Er kam sich vor, als hätte man ihn verkleidet. Wenigstens war das Gewand, in das man ihn gesteckt hatte, ebenfalls schwarz. Nur mit deutlich weniger Flicken und mit silbernen Verzierungen. Die Haare hatte man ihm zum Teil zurückgebunden, sodass man mehr von seinem Gesicht sah – ohne den Bart sah er viel jünger aus. Es störte ihn. Alles an seiner Aufmachung störte ihn. Das war nicht er. Hoffentlich wuchs der Bart schnell wieder und diese dämliche Frisur würde er auch keine Sekunde länger als nötig tragen. Warum nicht wenigstens ein einfacher Zopf? Aber gut, er musste ruhig bleiben und sich besinnen. Er wollte Hawks helfen und dem König entgegenzukommen und sich zu benehmen, auch wenn es nicht seine Art war, war der erste Schritt dazu. Was waren da schon ein paar Äußerlichkeiten?

Aizawa folgte den Dienstmädchen schweigend, ließ sich von diesen in einen großen, von Kerzenlicht beleuchteten Raum führen. Die lange Tafel, an der bereits vor Kopf der alte Mann saß, rechts neben ihm Yagi, links Todoroki, war bereits reichlich gedeckt. Es erinnerte ihn an die Male, an denen sich Shirakumo durchgesetzt und ihn mit zu Tisch genommen hatte. Eines der Mädchen wies ihn an, neben Yagi Platz zu nehmen, welcher ihn entgeistert ansah, ebenso wie Todoroki.

Er ignorierte es, während ihm Wein in einem Kelch eingeschenkt wurde – den würde er brauchen.
 

„Wie schön, dass Ihr Euch nicht weiter quergestellt habt“, kommentierte Torino sein Erscheinen. „Wie man an dem Ergebnis sieht, könnt Ihr doch recht manierlich aussehen.“

Aizawa lag eine garstige Bemerkung auf der Zunge, jedoch dachte er an Hawks, weswegen er ihn lediglich finster anblickte und sich setzte. Der König lächelte grimmig, funkelte ihn beinahe schon herausfordernd an.

„Habt Ihr Eure scharfe Zunge verschluckt, junger Mann?“, stellte er die Frage, nachdem er die Bediensteten aus dem Raum geschickt hatte.

Der Greis wollte wohl Krieg mit ihm – den konnte er haben. Es war nicht so, dass Aizawas Geduld unendlich war.

„Ebenso wenig wie Ihr die Eure…alter Mann.“

Gut, das Letzte hätte er sich verkneifen sollen. Jedenfalls sagten ihm das die Blicke der beiden Krieger. Man sah Torino nicht an, ob es ihn erzürnte – jedenfalls bis sein Mundwinkel kaum merklich nach oben zuckte.

„Ich bin vielleicht alt, jedoch in der Position, Euch hängen lassen zu können. Vergesst das nicht, bevor Ihr Euch mit anderen, weniger nachsichtigen Personen höheren Ranges anlegt.“

„Wenn sich diese Personen mir gegenüber ebenfalls verhalten, als seien sie etwas Besseres, und mich verspotten, kann ich dafür nicht garantieren.“

Yagi blickte ihn fassungslos an, während Todoroki nach seinem Weinglas griff und dieses in einem Zug leer trank. Die Stille, die auf seine Worte gefolgt war, hielt einige Sekunden lang an. Aizawa musste unweigerlich daran denken, was er sich vorgenommen hatte. Verdammt. Er hatte sich provozieren lassen.

Torino rieb sich über den Bart, während er ihn aus verengten Augen fixierte und schließlich zu Yagi sah.

„Nun, zumindest hast du dir jemanden ausgesucht, der Rückgrat besitzt und sich durchsetzen kann. Jemanden an seiner Seite zu haben, der loyal ist und zu sich selbst steht, kann in deiner Position nur von Vorteil sein. Auch wenn er lernen sollte, in den richtigen Momenten zu schweigen.“

Todoroki gab ein Schnauben von sich, das wohl bedeuten sollte, dass Hopfen und Malz bei ihm verloren waren. Nicht, dass ihn das interessierte.

„Ihr könnt auch direkt mit mir sprechen“, meinte er und griff zu seinem Wein.

„Das könnte ich. Wie dem auch sei, das gute Essen wird kalt. Bedient euch“, erwiderte Torino und hob seinen Kelch ebenfalls an. „Danach möchte ich erfahren, wie Ihr Euch kennengelernt habt.“

„Uhm…sicher“, kam es langsam von Yagi.

„Die Geschichte ist schnell zusammengefasst“, griff Aizawa ihm vor. „Die beiden haben mich aufgesucht, um einen Dämon aufzuspüren und zur Strecke zu bringen. Besagter Dämon hat uns mehrere Male das Leben gerettet, schloss sich uns an und sitzt nun in Eurem Kerker.“

Abermals herrschte für einen Moment Stille und Todoroki sah aus, als würde er ihm liebend gern den Hals umdrehen. Vermutlich war dies auch der Fall. Allerdings sah er keinen Grund mehr dafür, höflich drum herumzureden, wenn Torino offensichtlich nicht für falsche Freundlichkeit empfänglich war. Das machte ihn beinahe sympathisch.
 

„Ihr seid wütend wegen des Dämons“, stellte der alte Mann fest und griff nach einer der Hühnerkeulen. „Und das kann ich durchaus verstehen, nachdem die beiden anderen hier mir schon erzählt haben, dass es sich um euren Kameraden handelt. Dennoch, meine Meinung wird sich diesbezüglich nicht ändern. Ich würde es daher bevorzugen, wenn wir das Thema für heute ruhen lassen.“

Und das war keine Bitte. Aizawa atmete durch, schwieg diesmal aber, da er erkannte, dass es keinen Sinn machen würde. Missmutig ließ er sich von Yagi von dem Fleisch und Gemüse auftun – auch wenn ihm direkt der Gedanke kam, wie gern Hawks Geflügel aß. Vielleicht konnten sie ihm wenigstens etwas bringen. Todoroki hatte dies ja übernehmen wollen.

Sein Blick glitt wieder zu Yagi, welcher ihn zwischendurch verstohlen ansah, einen Rotschimmer auf den Wangen. Was zum…gefiel er diesem etwa so rausgeputzt? Anscheinend. Aizawa wusste nicht, ob er darüber verärgert sein sollte. Was sollte es…

Wahrscheinlich konnte er froh sein, dass Torino anwesend war, sonst hätte Todoroki ihm wohl schon mehr als einen Spruch um die Ohren gehauen.

„Ihr seid also ein Fährtenleser? Oder ein Jäger?“, nahm Torino das Thema wieder auf.

Aizawa zuckte mit den Schultern.

„Was Euch besser gefällt“, meinte er lapidar. „Ich lebe für mich allein und sorge für mich allein – sieht man von dem Rudel Wildkatzen ab, das bei mir Unterschlupf gefunden hat.“

Ihm fehlten die Katzen, jetzt, als er über sie sprach. Ob sie noch da waren, wenn er zurückkehrte? Würde er überhaupt zurückkehren? Zwischen ihnen war bisher so gut wie nichts geklärt, abgesehen davon, dass sie Gefühle füreinander hegten. Yagi brachte sein einfaches Leben durcheinander.

„Das hört sich einsam an.“

„Nun, diese Einsamkeit habe ich selbst gewählt. Von daher…“

Außerdem waren Tiere oftmals die angenehmere Gesellschaft. Er verbiss sich den Spruch, während er von Torino gemustert wurde.

„Soso“, kam es dann von diesem. „Wie habt Ihr Euch Euer weiteres Zusammenleben also vorgestellt? Ihr habt hoffentlich nicht vor, in einem Wald mit einem Rudel Katzen zu hausen…“

Yagi verschluckte sich bei der Frage am Wein, klopfte sich auf die Brust, während sich Todoroki still nachschenkte. Da alle Diener hinausgeschickt worden waren, mussten sie das nun selbst tun – nun, besser als wenn sie dem Verlauf der Gespräche weiterhin beiwohnten.

„Darüber…haben wir…noch nicht gesprochen“, röchelte Yagi, dem die Frage sichtlich unangenehm war.

Aizawa schnaubte; genau genommen hatten sie seit dem Antrag noch gar nicht allein miteinander gesprochen. Vielleicht wäre das hilfreich gewesen, bevor sie sich hier in einem Verhör wiederfanden.

„Seid versichert, dass wir dies zu gegebener Zeit klären werden“, sagte er daher knapp, woraufhin Torino schnaubte.

„Und ich erhoffte mir, dass du durch eine…Bindung wenigstens sesshafter werden würdest. Auch wenn du keinen Erben zeugen wirst.“

„Ihr wisst, dass es meine Bestimmung ist, den Menschen dort draußen zu helfen“, widersprach Yagi ihm direkt und umging das Thema mit dem Erben dabei geflissentlich.

„Ja, das hast du deutlich gemacht. Dennoch. Irgendwann wirst du deinen Nachfolger ausbilden müssen – und da reicht es nicht, einmal im Jahr hier zu sein. Hast du das verstanden?“

Anscheinend war das eine recht heikle Angelegenheit.

„Das ist mir bewusst, Sorahiko-san, jedoch…sollten wir erst diese Überfälle klären. Außerdem haben Aizawa-san und ich uns noch keine eingehenderen Gedanken um die…nun ja, Zukunft gemacht. Wir werden Euch über unsere Pläne in Kenntnis setzen, sobald es diese gibt.“

Und damit war das dann auch erst einmal vom Tisch, wofür Aizawa mehr als dankbar war. Als nächstes wurde Todoroki ins Kreuzverhör genommen, was wohl genauso unangenehm für diesen war, ging es doch um Frau und Kinder.

Aizawa goss sich schweigend Wein nach…
 

„Das war furchtbar.“

Aizawa ließ sich rücklings auf das große, breite Bett fallen und schloss für einen Moment die Augen. Vielleicht hatte er doch ein bisschen zu viel Wein gehabt, denn vor seinen geschlossenen Augen drehte sich alles. Wenigstens hatte er die Gewissheit, dass Todoroki nach Hawks sehen würde.

Er hörte, wie Yagi die Tür hinter ihnen schloss und zu ihm kam. Die Matratze senkte sich unter dem Gewicht für einen Moment, als sich der Blonde neben ihn setzte, und Aizawa spürte seinen Blick auf sich.

„Ehrlich gesagt, hatte ich es mir schlimmer vorgestellt“, hörte er ihn murmeln und blickte auf, direkt in die blauen Augen des anderen.

„Ihr hättet uns solche Gespräche ersparen können…“

„Habt Ihr nicht gesagt, dass es zu meinen Tugenden gehört, offen zu Euch zu stehen?“, fragte Yagi mit einem warmen Lächeln.

Aizawa wusste nicht, ob die Hitze in seinen Wangen vom Alkohol oder von diesem Ausdruck herrührte. Verdammter Blondschopf…

„Ich wollte nicht, dass er mich jedes Mal aufs Neue nach einer Frau fragt und…ich denke, er kann Euch recht gut leiden. Für seine Verhältnisse war er wirklich freundlich zu Euch.“

Aizawa schnaubte.

„Dann will ich nicht wissen, wie unfreundlich er werden kann…“

„Das wollt Ihr wirklich nicht wissen. Aber er ist ein guter Kerl. Ich schätze ihn sehr, immerhin ist er der einzige Vater, den ich je hatte.“

Yagi neigte den Kopf, sah weiterhin zu ihm herunter. Es löste so ganz und gar nicht tugendhafte Gefühle in Aizawa aus.

„Dennoch hat er Recht“, brummte er. „Ihr seid naiv, wenn Ihr glaubt, irgendein Priester würde uns seinen Segen geben, und selbst wenn dies geschehen würde, würdet Ihr in Ungnade fallen. Ich ziehe ein Versteckspiel dem Versuch, einem von uns den Schädel zu spalten, vor.“

Für ein paar Sekunden schwieg Yagi und das Lächeln war von seinen Lippen gewichen, stattdessen wirkte er sehr ernst.

„Aizawa-san…die Menschen werden immer einen Grund finden, einen Makel an uns zu finden. Ich weiß, dass es hart wird, und wir sollten damit warten, bis ich einen Nachfolger ernannt habe, jedoch…widerstrebt es mir, Euch zu verleugnen. Meine Gefühle für Euch sind aufrichtig und rein, auch wenn Ihr keine Frau seid. Was könnte also verwerflich an meiner Liebe zu Euch sein?“

Spätestens jetzt wusste Aizawa, dass es nicht am Alkohol lag. Er hatte eine Gänsehaut bekommen. Dieser…machte ihm ein Liebesbekenntnis nach dem anderen und eigentlich hasste Aizawa so etwas. Weil es meistens dumme Heuchelei war…und unglaublich peinlich . Dennoch zweifelte er nicht an den Worten des anderen…auch wenn er sich fragte, warum er so darauf ansprang, wenn dieser so etwas von sich gab. Irgendwie traf er einen Nerv bei ihm.

Er griff nach einer der blonden Strähnen und zog den anderen ruckartig daran zu sich herunter, woraufhin dieser das Gesicht verzog.

„Uhm…“

„Ihr redet zu viel“, murmelte Aizawa dicht vor seinen Lippen, ehe er die seinen darauf presste.

Yagi keuchte überrascht gegen seinen Mund – auch wenn er das nicht ganz nachvollziehen konnte. Wie sollte er bitte sonst auf solche Worte reagieren? Das Kribbeln fuhr ihm durch den ganzen Körper, als Yagi den Kuss erwiderte und dabei seine große, warme Hand an seine Wange legte. Gott, wie sehr konnte man Prinzipien hassen…

Er zog den anderen näher an sich, bis dieser auf ihm lag, und schlang ein Bein um ihn, damit er sich ja nicht löste.

„Uhm…Aizawa-san…ich…denke nicht, dass-“

„Schweigt und küsst mich weiter.“

„So gern ich dies auch tue…wollten wir nicht reden?“, wandte der Hüne ein und lächelte schief mit seinen geschwollenen Lippen.

Aizawa ließ frustriert den Kopf nach hinten fallen, sah ihn missmutig an.

„Und ich dachte, es fiele leichter, Euch zu verführen…wo Ihr doch beim Essen die Augen nicht von mir abwenden konntet.“

Nun war es an Yagi feuerrot zu werden, ebenso wie er hart schluckte.

„Das…ich konnte nicht anders. Ich begehre Euch immer, aber…es betont Euer schönes Gesicht noch mehr. Nicht, dass ich Euch nur aufgrund Eures Aussehens lie-“

Aizawa hatte ihm die Hand auf den Mund gedrückt, blickte ihn genervt.

„Hört auf damit, wenn Ihr nicht wollt, dass ich Euch gleich hier und jetzt zum Vollzug unserer Ehe nötige.“

Die Hautfarbe des anderen verdunkelte sich noch mehr, doch er räusperte sich nur und ließ sich dann neben ihn fallen. Aizawa blieb neben ihm liegen und sah an die Decke. Ein paar Sekunden herrschte Schweigen zwischen ihnen, ehe Aizawa seufzte.

„Wie habt Ihr Euch das überhaupt vorgestellt?“

„…Ihr meint, unser Zusammenleben? Ich weiß es nicht.“

„Ah.“

„Wie Ihr wisst, habe ich nicht vor, hier zu bleiben und irgendeinen Titel anzunehmen. Ich werde weiterreisen und…ich hatte gehofft, dass Ihr mich begleiten werdet, wie Ihr es auch jetzt tut. Falls Ihr zurückkehren wollt, werde ich dies akzeptieren und…nun, Enji besucht seine Frau auch zwischendurch…“

Aizawa warf ihm einen kurzen Blick zu, dachte darüber nach.

„Vielleicht finden wir da einen Kompromiss“, meinte er ruhig. „Die Menschen im Dorf sind mir gleichgültig – aber die Katzen fehlen mir. Sie sind jedoch eigenständige Jäger. Nicht auf mich angewiesen.“

„Dennoch sind sie Eure Familie, nicht wahr?“

„…ja.“

Immerhin hatte er mit ihnen zusammengelebt. Er war froh, dass Yagi dies verstand und sie nicht nur als irgendwelche Viecher abtat.

„Das respektiere ich“, sprach dieser weiter. „Und auch ich denke, dass wir da eine Lösung finden werden, die uns beide zufriedenstellt.“

Aizawa ließ zu, dass der andere den Arm um ihn legte und an seine breite Brust zog. Die Nähe war gut, auch wenn sie nicht weitergehen würden – was schade, aber nicht zu ändern war. Irgendwann.

Er lehnte den Kopf an die Schulter des Blonden und senkte die Lider. Die Finger, die sein Haar durchstreiften, sorgten dafür, dass er sich noch müder fühlte, als es durch den Wein ohnehin schon der Fall war.

„Ich bin froh, Euch gefunden zu haben, Aizawa-san.“

Nun, was sollte er sagen? Anstelle einer Antwort griff er nach der freien Hand des anderen und verschränkte ihre Finger miteinander, woraufhin Yagi diese sanft drückte. Warum mussten sie sich überhaupt bei allem festlegen? Das Wesentliche schien ihm gerade geklärt zu sein – auch wenn er immer noch interessiert daran war, wie Yagi ihn zu ehelichen gedachte.

Sie würden sehen…
 

„…Herr, seid Ihr sicher, dass…?“

„Ich wiederhole mich nicht! Ich sagte bereits, dass ich den Dämon unter Kontrolle habe, oder wirfst du mir Versagen vor?! Verschwinde aus meinen Augen!“

Zufrieden sah Enji, wie die Wache hastig den Kopf neigte und Entschuldigungen murmelte, ehe sie den Kerker verließ. Den Schlüssel hatte er ihm bereits im Vorfeld überreicht und Enji glaubte trotz allem eine gewisse Erleichterung erkannt zu haben. Vermutlich hatten die meisten eine Heidenangst vor dem geflügelten Dämon, der in seiner Zelle saß und ihn durch die Gitterstäbe fixierte.

Enji schnaubte, während er die Zelle aufschloss und das schwere Eisengitter zur Seite schob, in der anderen Hand eine Platte mit den Resten vom Abendmahl hielt.

„Sieh mich nicht so an. Das ist deine eigene Schuld“, brummte er und stellte die Platte vor Hawks ab, der gegen den Knebel murrte.

Dennoch war irgendetwas anders als sonst. Ihm entging die Anspannung des Dämons nicht. Dessen Federn waren gesträubt, was nicht gerade für ein ruhiges Gemüt sprach. Die Pupillen waren schlitzförmiger als sonst, was eigentlich nur der Fall war, wenn Hawks angriff.

Sein erster Gedanke war, dass die Wachen ihn vielleicht gequält hatten, doch er konnte keine neuen Wunden entdecken. Stirnrunzelnd löste er den Lederriemen, erwiderte den Blick des anderen, während er diesem den Stoff aus dem Mund zog. Das aggressive Knurren ihm gegenüber war neu, erinnerte ihn daran, als dieser ihn vor der Sirene gerettet hatte und danach schwer verwundet gewesen war. Erkannte Hawks ihn überhaupt? So wie dieser die Zähne fletschte und ihn anfunkelte.

„Beiß mich und ich nehme das Essen wieder mit. Überleg es dir“, warnte er sein Gegenüber, welcher daraufhin erneut knurrte.

Jedoch schien er sich zusammenzureißen, denn er verstummte gleich darauf. Stattdessen atmete er merklich gestresst aus, schloss kurz die Augen. Was war los mit dem Vogel? Sicher war es nicht sonderlich angenehm mit dem bisschen Stroh in dem feuchten Kerker zu sitzen, aber er selbst konnte nichts dafür.

„Du hast dich selbst hier hineinmanövriert“, murrte er. „Also feinde mich nicht an. Ohne mich wärst du längst hingerichtet worden.“

„…ich feinde dich nicht an“, zischte Hawks ihn gleich darauf an. „Ich verabscheue bloß die Situation – und du brauchst mir nicht sagen, dass ich selbst daran schuld bin! Das weiß ich!“

Die bernsteinfarbenen Augen funkelten ihn so finster an, dass sich Enji diesbezüglich nicht sicher war.

„Dann sieh mich nicht an, als würdest du deine Klauen in mich rammen wollen.“

„Dazu bin ich ja wohl kaum in der Lage…“

Die Ketten klirrten bei der Bewegung geräuschvoll, doch Enji zuckte nicht mal. Warum auch? Er hatte sich entschieden, der Harpyie zu vertrauen. Hawks würde ihn nicht angreifen, selbst wenn er gekonnt hätte. Sie waren Kameraden.

„Hör auf mit dem Mist und iss was.“

„…wie du siehst, kann ich mich nicht bewegen.“

„Ich habe gesehen, wie du einem Hirsch faustgroße Stücke aus dem Fleisch gerissen hast. Du brauchst deine Klauen dazu nicht.“

Er hielt ihm die Platte vor das Gesicht, woraufhin Hawks einige Sekunden erst ihn und dann das gebratene Huhn anschaute. Es war immer wieder grotesk, mitanzusehen, wie der Mund breiter und die Zähne sichtbarer wurden. Wie ein klaffender Riss in dem hübschen Gesicht, aus welchem die schlitzförmigen Pupillen nun wieder hervorstachen. Es waren nur drei Bissen, ehe Hawks das komplette Huhn heruntergeschlungen hatte. Fleischsaft lief an seinem Kinn herunter und Enji spürte das Zucken in seiner Hand.

Bei dem wilden Blick schauderte es ihn merklich und er verstand immer noch nicht, warum Hawks nicht einfach ruhig bleiben und ihm vertrauen konnte. Etwas stimmte zwischen ihnen nicht…und das ärgerte ihn.

Er schnaubte verächtlich, ehe er die Platte wegstellte und mit dem Daumen Hawks‘ Gesicht berührte. Die scharfen Zähne wirkten weiterhin bedrohlich, doch sie schnappten nicht zu. Er wischte ihm den Saft vom Kinn, blickte ihn dabei fest an. Sollten die Wachen doch denken, was sie wollten – wenn Hawks sein Haustier war, konnte er mit ihm verfahren, wie er wollte.

Dieser blieb ganz ruhig, bewegte sich nicht. Dann entspannten sich seine verzerrten Züge langsam wieder, bis er in das gewohnt jugendliche Gesicht schaute.

„…ich hab’s dir schon mal gesagt“, murmelte Hawks, während er mit dem Kopf gegen seine Hand sank. „Ich will nicht sterben.“

Enji wusste nicht, was er sagen sollte. Er ließ seine große Hand an der Wange des anderen ruhen, welcher die Berührung genoss, dabei erschöpft wirkte.

„Und ich habe nicht vor, dich sterben zu lassen. Also beruhig dich und überlass das uns.“

Hawks schnaubte leise.

„Du weißt ja nicht, wie sie mich ansehen…“, nuschelte er. „Sie haben Todesangst. Und diese Angst…ist gefährlich für mich.“

Enji erinnerte sich an die Erzählungen des anderen, wie Menschen versucht hatten, ihn zu töten. Da Hawks die Gefühle der Leute wittern konnte, ließ dies vermutlich seine eigenen Ängste hochkommen. Es war schwer, auf ihn wütend zu sein, wenn er so drauf war.

„Wir lassen dich nicht hängen, Hawks“, erwiderte er leise. „Du kennst doch Toshinori und Aizawa ist auch schon drauf und dran, dich hier herauszuholen. Wir haben bald einen neuen Auftrag. Da nehmen wir dich mit. Du musst uns vertrauen. Verstanden?“

Hawks atmete ein weiteres Mal tief aus, doch er schien sich zu fangen. Er wirkte nicht mehr wie ein wildes Tier, das in die Enge getrieben worden war.

„Ja…verstanden.“

Enji nickte nur, blieb so bei ihm sitzen, nahm dabei jedoch die Hand herunter, woraufhin sich Hawks an seine Seite lehnte, den Kopf gegen seine Schulter sinken ließ. Scheinbar hatte er einmal im Leben die richtigen Worte gewählt. Warum war der Umgang mit einem Dämon so viel einfacher als der mit seiner eigenen Frau? Wobei da vermutlich nicht mehr viel zu retten war. Dafür hatte Rei zu viel Angst vor ihm und das Verschwinden seines Ältesten hatte nicht dazu beigetragen, dass es besser zwischen ihnen geworden war.

„Was für ein Auftrag?“, hörte er Hawks fragen und war dankbar für die Zerstreuung seiner deprimierenden Gedanken.

„Die umliegenden Dörfer wurden angegriffen. Es ist nicht zu definieren, was die Menschen dort getötet hat, doch es ist anzunehmen, dass die Mörder nicht menschlich sind. Die Bewohner wurden teilweise gerissen wie Vieh oder verbrannt. Wir werden dem bald auf den Grund gehen.“

Hawks schloss die Augen, während er bei ihm angelehnt blieb.

„Gut“, gab er zurück. „Mir egal, was die Leute getötet hat. Ob Mensch oder Dämon…wenn sie eine Bedrohung für die meinen sind, werde ich sie finden und ihnen die Eingeweide herausreißen.“

„Die deinen, huh?“

„Seid ihr das nicht?“

Enji blickte an die gegenüberliegende Steinwand, ließ sich einen Moment Zeit mit der Antwort, obwohl sie klar auf der Hand lag. Hawks gehörte zu ihnen. Daran gab es nichts zu rütteln.

„Das sind wir wohl“, brummte er, ehe ihm etwas einfiel und er daraufhin den Kopf näher zu Hawks neigte. „Übrigens…hat Toshinori Aizawa einen Heiratsantrag vor dem König gemacht. Er ist sein Ziehvater.“

Ein Ruck ging durch Hawks‘ Körper und er gab ihm beinahe eine Kopfnuss, starrte ihn aus geweiteten Augen an.

„Was?!“

Er hatte ja gewusst, dass das den geschwätzigen Vogel ablenken würde.

„Senke deine Stimme. Niemand darf davon erfahren. Der König war zwar geschockt, ist aber gewillt, Toshinoris Wahl zu akzeptieren. Auch wenn ich mich immer noch frage, was er an dem Einsiedler findet…“

„Wusste Aizawa davon?“, überging Hawks seine Spitze.

„Nein.“

„Und er hat „Ja“ gesagt?“

„Nun, er hatte keine große Wahl in dem Moment, aber ich denke, es ist auch sein Wille. Es war…eine unangenehme Situation, auch wenn du wohl deinen Spaß daran gehabt hättest.“

„Und wie…dass er das in meiner Abwesenheit abzieht“, brummte Hawks und klang dabei angefressen. „Verdammt…aber na ja, überraschen tut’s mich nicht. Toshi ist einfach so übertrieben ehrlich mit allem, dass es fast wehtut. Ich hätte zu gern Aizawas Gesicht gesehen…“

Enji schnaubte.

„Ja. Er sah aus, als wünschte er sich, der Erdboden möge ihn verschlingen, aber er ist geblieben und hat es mit ihm durchgezogen.“

„Also echt. Da ist man einmal nicht dabei und dann passiert gleich sowas…“

Hawks schüttelte den Kopf, musste dabei aber grinsen. Es war beruhigend, ihn wieder so zu erleben. Mehr wie er selbst. Nicht dieses panische Tier in Abwehrhaltung. Vielleicht war es besser, wenn er noch eine Weile bei ihm hier unten blieb. Man würde ihn schon nicht vermissen und bisher war die Wache nicht zurückgekehrt.

„Hätte echt nicht gedacht, dass das so laufen wird. Also am Anfang. Ich meine, wenn man bedenkt, dass…“

Außerdem plapperte Hawks gerade wieder erneut los, schien ihn auch nicht gehen lassen zu wollen. Enji ließ sich gegen die Wand sinken, die Harpyie an sich lehnend und zuhörend. Es stimmte schon, er hatte den ollen Vogel inzwischen gern – und er sorgte sich nicht weniger als die anderen um ihn.

Bald schon würden sie ihn hier herausholen.

Das Zuhause

Es war so ein unvergleichlich gutes Gefühl, seine Flügel wieder ausstrecken zu können. Nicht mehr zusammengeschnürt auf dem kalten Stein zu sitzen, unfähig, sich richtig bewegen zu können. Die frische Nachtluft war um einiges besser als die Luft im muffigen, feuchten Kerker. Am liebsten hätte er die Klauen noch tiefer in die Erde gegraben, sich abgestoßen und wäre mit lauten Flügelschlägen in den dunklen Himmel verschwunden, um-

„Zieh gefälligst die Dinger wieder ein und duck dich, verdammt!“, wurde er von der Seite angezischt, ehe ihm ein brauner Umhang übergeworfen wurde.

Hawks raschelte verärgert mit den Flügeln, auch wenn das unter dem Stoff weniger bedrohlich wirkte. Er funkelte Enji böse aus seinen bernsteinfarbenen Augen an, sodass dieser ihn gereizt ansah.

„Was hast du nicht daran verstanden, dass wir unauffällig losziehen, um niemanden zu verstören?“, knurrte er weiter, schubste Hawks dabei nach vorn. „Geh!“

„Schubs mich nicht!“, zischte er zurück.

Er musste sich zusammenreißen, ihm nicht in die Hand zu beißen. Er war endlich wieder frei – da durfte man doch wohl wenigstens ein bisschen Erleichterung zeigen! Brummend ging er weiter in Richtung Tor, wo Toshinori mit Aizawa wartete und die Wachen abgelenkt haben sollte. Einem König widersprach bestimmt niemand – und tatsächlich stand nur Aizawa am Tor, welches bereits geöffnet worden war. Das war doch Aizawa? Was war mit dessen Bart passiert? So rasiert sah dieser um einiges jünger aus, wenn auch nicht unbedingt freundlicher, aber das war eben Aizawa.

Er wirkte mit den beiden Pferden, die er an den Zügeln hielt, auch nicht glücklicher und zumindest Feuersturm schnappte gerade nach seinen Haaren.

Verärgert drückte Aizawa die Schnauze des Tieres weg, ehe er zu Enji sah und diesem mit funkelnden Augen die Zügel in die Hand drückte.

„…es hat alles geklappt?“

„Ja. Wir sollen vorgehen.“

„Gut.“

Trotz des miesepetrigen Gesichts hatte sich Hawks nie mehr gefreut, Aizawa zu sehen. Am liebsten hätte er ihn angesprungen und die Schwingen um ihn geschlungen. Jedoch nahm er sich zusammen und schlich sich mit den beiden samt der Huftiere nach draußen. Sie liefen ein Stück, bis sie die Brücke passiert und hinter sich gelassen hatten, erst dann warteten sie auf den Blondschopf.
 

„Es geht dir gut?“, fragte Aizawa neben ihm und die Harpyie grinste ihn unter der Kapuze an.

„Unkraut vergeht nicht!“, meinte er gut gelaunt, woraufhin Enji schnaubte.

„Jetzt bist du vorlaut“, brummte er sarkastisch. „Als du noch im Kerker gesessen hast, warst du nicht so locker.“

„Sitz du mal angebunden wie ein Hund in so einem Loch, umgeben von Menschen, die entweder Mordlust oder Todesangst für dich empfinden – dann sprechen wir weiter“, erwiderte er angefressen.

Allerdings war es nett vom Rotschopf gewesen, ihm beizustehen. Dieser hatte ihn in den letzten zwei Tagen nie lange allein gelassen, war immer sicher gegangen, dass den Umständen entsprechend alles in Ordnung war und ihn keiner verletzt hatte.

„Beruhig dich. Du bist unverletzt, oder nicht?“

„Zum Glück für euer Volk…“

„Hmpf.“

Wobei sie alle drei wohl wussten, dass er das Schloss nicht angegriffen hätte. Er war kein rachsüchtiger Dämon, der alles zerstörte, nur weil ein, zwei Menschen aus der Reihe tanzten. Dennoch war er erleichtert, ihnen nicht mehr ausgeliefert sein zu müssen. Man wusste nie, zu was Angst die Menschen trieb. Sie waren in der Hinsicht oft wie tollwütige Hunde.

„Oi Aizawa…hab gehört, man darf gratulieren?“

„Huh?“

„Zur Verlobung. Deswegen die Rasur? Zur Feier des Tages? Hätte dich fast nicht erkannt, haha.“

Hawks warf ihm einen Seitenblick zu, wackelte mit den buschigen Brauen, woraufhin der Einsiedler merklich erstarrte. Vermutlich wurde er sogar ein wenig rot, auch wenn man das schlecht in dem spärlichen Licht erkennen konnte.

„…von allen Dingen musstet Ihr ihm das erzählen“, knurrte Aizawa ungehalten, während er Feuersturm auswich, der schon wieder nach seiner schwarzen Mähne schnappte.

Enji zuckte mit den Schultern, blickte zum Tor, wo Toshinoris blonder Schopf endlich zu erkennen war.

„Wir hatten Zeit. Was hätte ich ihm, abgesehen von unserem Auftrag, noch erzählen sollen?“

„Nicht das.“

„Komm schon, Aizawa, nicht so schüchtern“, zwitscherte Hawks, der erstaunlich schnell zu seinem alten Selbst zurückgefunden hatte. „Ich möchte Einzelheiten hören.“

„Da gibt es keine, außer denen, dass es unangenehm war.“

„Aber nein gesagt hast du ja nicht, stimmt’s?“

„…“

„Hätte mich auch gewundert. Ihr seid echt offensichtlich, wie ihr euch anseht und na ja…Toshi ist ja nicht so der Typ, der mit seinen Gefühlen hinterm Berg hält, nicht wahr?“

„Ich will darüber nicht reden.“
 

„Worüber willst du nicht reden?“

Toshinori hatte sie mittlerweile erreicht, warf einen fragenden Blick in die Runde.

„Unwichtig.“

„Sooo unwichtig nun auch nicht“, meinte Hawks mit einem breiten Grinsen, woraufhin Toshinori zu ihm sah und ehrlich lächelte.

„Es ist schön, dich wieder bei uns zu haben, Hawks. Verzeih uns die lange Warterei im Kerker, aber die Menschen fürchten Dämonen verständlicherweise sehr, daher konnten wir dich nicht eher befreien.“

„Ach, schon in Ordnung! Ich mach euch keinen Vorwurf! Wirklich nicht!“

„Das steht dir auch kaum zu, da du dich selbst in diese Lage gebracht hast“, knurrte Enji ungehalten, woraufhin Hawks ihm die Zunge herausstreckte.

Auch wenn dieser Recht hatte, musste er ja nicht darauf herumreiten. Aber sei es drum, Hawks war über alle Maßen froh, dass sein Rudel wieder beisammen war.

„Also, was zuerst? Feiern wir ordentlich eure Verlobung oder gehen wir auf Dämonenjagd?“

„Hawks!!“, kam es zeitgleich von Enji und Aizawa, welche sich gleich darauf finster ansahen.

Nun, wenigstens Toshinori schien es amüsant zu finden, denn er schmunzelte.

„Enji hat dir davon erzählt, ja?“, fragte er, während er Aizawa die Zügel von Morgenstern abnahm, worüber dieser erleichtert wirkte.

Feuersturm befand sich bereits wieder bei Enji, wobei beide Pferde mit gefüllten Provianttaschen und Decken ausgerüstet waren. Das war wohl auch das Mindeste, wenn sie direkt für eine neue Mission losziehen mussten.

„Er hat sich so sehr für euch gefreut, da musste er es einfach-“

„Erzähl keinen Mist!“, unterbrach Enji ihn ruppig. „Du warst so angespannt, ich habe gehofft, wenn ich dich ablenke, beißt du mir nicht ins Gesicht.“

Hawks funkelte ihn belustigt an, ehe er mit den Schultern zuckte.

„Wenn du meinst…“

Gut, ganz an den Haaren herbeigezogen war das natürlich nicht. Die Gefangenschaft hatte ihn mitgenommen. Aber er wollte nicht mehr darüber reden, jetzt, da er frei und sie wieder beisammen waren.

„Also erst Dämonenjagd?“, nahm er seine Frage wieder auf.

Toshinori nickte, wurde sofort ernster. Nun gut, sie befanden sich hier in seinem Revier, sicher musste ihm das näher gehen als sonst. Wobei Toshinori ja generell schnell mitfühlend war.

„Ja“, erwiderte er fest, während sie nebeneinanderher liefen. „Ganze Dörfer sind ausgerottet worden. Wir werden in den südlichen Bereich von Musutafu reisen. Dort waren sie wohl zuletzt.“

„Ich kann ja auch versuchen, sie für euch ausfindig zu machen?“, schlug Hawks gut gelaunt vor, woraufhin Enji schnaubte.

„Wurdest du nicht gerade erst gefangen genommen?“

„Deine Sorge ist ja wirklich süß, aber einer der Nutzen, den ich euch bringe, ist nun mal der, dass ich fliegen kann. Ist sonst ja auch gut gegangen, hm?“

„Du machst ja sowieso, was du willst.“

„Richtig!“, strahlte Hawks diesen an.

„Wir sollten nicht streiten. Nicht jetzt, da wir endlich wieder beisammen sind.“

Und das sagte Toshinori mit solch einer Wärme in der Stimme, dass keiner widersprach. Hawks sowieso nicht. Diese Drei waren schließlich alles, was er hatte.
 

Sie schlugen ihr Lager erst einige Stunden später auf, als sie weit genug vom Schloss weg waren. Schließlich wollte keiner von ihnen erneut in eine ungünstige Situation geraten, indem man sie zusammen sah. Fast beneidete Hawks Aizawa darum, dass man diesem äußerlich nicht ansah, dass er nicht nur menschlich war. Zwar war er gegen Selbstverleugnung, doch es hätte einiges einfacher gemacht. Auch bezüglich seiner Partnerwahl, denn es stand wohl außer Frage, dass jemals irgendein Mensch Interesse an ihm zeigen würde. Davon abgesehen, dass er sich mit seinem Blut ohnehin an Enji gebunden hatte. Gut, immerhin durfte er in dessen Nähe sein. War als Kamerad und Teil des Rudels akzeptiert worden – das war so viel mehr, als er bisher hatte erwarten können. Er durfte nicht so gierig sein, wie es eigentlich in seiner Natur lag.

„Träum nicht rum. Geh was jagen oder kümmere dich ums Holz sammeln.“

Er blickte müde auf, seufzte leise.

„Dann meckerst du doch nur wieder rum, dass wir keinen ganzen Hirsch brauchen.“

Er erhob sich jedoch, streifte den Umhang dabei ab und spreizte die roten Schwingen, wobei Enji schnaubte.

„Dann jagst du eben etwas Kleineres.“

„Auf gar keinen Fall!“, widersprach Hawks grinsend. „Ich bin richtig ausgehungert…was ihr nicht esst, schlinge ich herunter. Also dann – bis gleich!“

Er stieß sich mit den Klauen vom Boden ab, wühlte dabei die Erde auf, als er sich in die Lüfte erhob. Geäst und Blätter streiften ihn, doch es spielte keine Rolle. Das Gefühl war mit nichts zu vergleichen, als er den Wind in Federn und Haaren spürte. Einfach nur Freiheit. Das war es, was er brauchte. Frei sein. Wild sein. Zumindest für diesen Moment, in dem er einfach ein Jäger war, der Ausschau nach seiner Beute hielt. Es dauerte nicht lange, bis er die Fährte aufgenommen hatte und im Sturzflug nach unten preschte, um seine Klauen im Rücken des Hirsches zu versenken, welcher einen letzten schmerzerfüllten Aufschrei von sich gab. Es weckte die Bestie in Hawks, ließ sein Maul vor Freude weit aufklaffen…ehe er die scharfen Zähne im Fleisch seiner Beute versenkte. Der Blutgeschmack ließ ihn aufstöhnen und gieriger werden. Nun, Menschen aßen nicht sonderlich viel und er wollte Enji keinen Grund geben, sich zu beschweren…
 

Vielleicht, so dachte er ein paar Minuten später, hatte er sich etwas zu sehr gehen lassen. Er schleifte die hintere Hälfte des Hirsches über den Boden, während er die letzten paar Meter zurück zum Lager lief. Er roch bereits das Feuer, das sie entfacht haben mussten. Ah. Ja. Da waren sie.

Hawks bemühte sich darum, sein Gesicht zu kontrollieren, aber irgendwie fiel es ihm schwerer als sonst. Es rauschte in seinen Ohren und sein Herzschlag war immer noch in Aufruhr – Schuld war vermutlich seine Gefangenschaft. Es erinnerte ihn daran, wie er kurz davor gewesen war, nach Enji zu schnappen. Warum reichte der Gedanke nicht, um ruhiger zu werden? Sein Körper fühlte sich ganz heiß an.

„Hawks?“

Er blinzelte, hatte gar nicht bemerkt, dass er bereits vor dem Feuer stand. Die anderen drei sahen ihn so komisch an – und die Pferde wieherten schrill. Dabei waren sie ihn doch mittlerweile gewöhnt. Morgenstern schmiegte sogar manchmal die Schnute in sein Gefieder. Er blickte sie einen nach dem anderen an, wobei er bemerkte, wie sein Puls raste. Einatmen, ausatmen.

„…du bist voller Blut“, kam es trocken von Aizawa.

Er ließ den Hirsch fallen, entspannte die Klauen ein wenig und schloss kurz die Augen, um klarer zu werden. Dabei kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht genauso aussah, wie er sich fühlte – und dass er den anderen möglicherweise Angst einjagte. Hoffentlich nicht. Das wollte er nicht. Diese waren sein Rudel.

„In der Nähe ist ein See. Ich geh mich waschen“, murmelte er und schaute wieder auf.

Toshinori lächelte schief.

„Ja, tu das. Wir warten hier auf dich.“

„…und mach was mit deinem Gesicht. Du verschreckst die Pferde.“

Hawks blickte Enji bei den Worten irritiert an; was war denn mit seinem Gesicht? Irgendwie fehlte ihm der Elan für eine spöttische Erwiderung, weswegen er nickte und sich umdrehte. Hinter sich hörte er noch das Geflüster der anderen, doch er wollte es gar nicht verstehen.

Vorhin war noch alles gut gewesen. Was war also jetzt das Problem? Warum fühlte er sich immer noch wie im Rausch? Er fuhr sich über das Gesicht und stockte, als er seinen Mund spannen fühlte. Ohne stehen zu bleiben, tastete er seine Wangen ab und bemerkte, dass er immer noch seine Fänge zeigte. Vermutlich hatten die Pferde es für eine Drohung gehalten. Vermutlich signalisierte sein ganzer Körper Gefahr. Aber…auch für Enji und die anderen? Die Annahme war niederschmetternd – aber vielleicht reichte das ja, um den Rausch abschwächen zu lassen.
 

Als er den See erreicht hatte, streifte er seine Kleidung ab und watete in das kühle Wasser. Er tauchte bis zu den Schultern ein, spürte, wie sich sein hitziges Gemüt langsam abkühlte. Wie sich sein Gesicht entspannte und sich die Fänge wieder zurückzogen. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass er einem wilden Tier eben ähnlicher gewesen war als einem Menschen. Nun, die anderen wussten, wer er war, oder? Er tauchte bis zur Nase unter, schaute missmutig vor sich hin. Es hatte nicht so gewirkt und das machte ihn betroffen…und erneut neidisch auf Aizawa, der so viel menschlicher war.

Aber sie waren darüber hinaus, dass sie einander misstrauten, nicht wahr? Sie hatten einander in so vielen Situationen geholfen, waren zusammengewachsen. Enji würde nicht vergessen, wie er ihn damals vor der Sirene gerettet hatte, nur weil er im Kerker ihm gegenüber ein bisschen aggressiv gewesen war, oder?

Hawks schloss die Augen und tauchte nun komplett unter Wasser, in der Hoffnung, es würde die Gedanken vertreiben. Es waren unsinnige Befürchtungen. Wenn er gleich zurückkommen würde, waren die anderen sicher wieder normal zu ihm. Sie würden ihn nicht mit diesen Blicken ansehen. Mit diesen Blicken, die er nicht ertragen konnte und die er zu fürchten gelernt hatte.

Er war wirklich viel zu lange einsam gewesen…

Als er wieder auftauchte, bemerkte er den Geruch direkt. Verwirrt blinzelte er, während ihm das Wasser vom Kinn tropfte – nein, er hatte sich nicht geirrt. Enji stand am Ufer, die Arme verschränkt und grimmig in seine Richtung schauend. War das jetzt ein gutes Zeichen oder ein schlechtes? Anhand des Ausdrucks schwer zu sagen – dieser war nicht wirklich ein Ausbund von Fröhlichkeit.

Hawks seufzte innerlich, ehe er aus dem Wasser in Richtung Ufer ging. Eigentlich wäre die Situation perfekt für einen zweideutigen Spruch gewesen, doch ihm war nicht danach. Die Summe an allem machte ihn zusammen mit Enjis plötzlichem Auftauchen nervös. Er schüttelte die Flügel aus, ehe er diese wieder auf dem Rücken anlegte, den anderen mit geneigtem Kopf anschaute.

„Ist was passiert oder hast du mich nur vermisst?“, versuchte er zu scherzen, doch Enjis Miene blieb unbewegt.

Nicht, dass dieser sonst ein Spaßvogel gewesen war.

„Zieh dir was an.“

Hawks blies sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn.

„Wenn ich trockener bin. Wird sonst eklig.“

Er wischte sich das Wasser vom Körper, sich wohl bewusst, dass seine Schwingen sowieso länger feucht bleiben würden. Er schlackerte diese noch einmal aus, ignorierte, dass Enji dabei ein paar Tropfen abbekam. Dieser wirkte wenig erfreut darüber, aber nun, wie gesagt…kein Spaßvogel.

„Mit dir stimmt was nicht.“

Die Harpyie hielt inne, als sie die Worte hörte.

„…was?“

„Du hast mich schon verstanden.“

Hawks‘ bernsteinfarbene Augen verengten sich etwas.

„Was stimmt denn mit mir nicht? Zu viel Gefieder? Zu viel Dämon? Sag schon.“

Er wusste selbst nicht, warum es ihn gerade so sehr reizte. Warum er es nicht einfach abtun konnte; immerhin konnte das auch heißen, Enji machte sich Sorgen um ihn. Stattdessen klang er selbst herausfordernd, so als würde er Streit wollen. Wollte er Streit? Zuvor war er so glücklich gewesen, wieder mit seinem Rudel vereint zu sein, und nun…?

„Das habe ich doch gar nicht gemeint“, knurrte Enji zurück. „Du weißt, dass wir dich akzeptiert haben.“

„Warum habt ihr mich dann angesehen, wie mich alle im Kerker angesehen haben?“

Enji brauchte ein paar Sekunden, um darauf reagieren zu können. Dann aber funkelte er Hawks finster an.

„Vielleicht, weil du uns wie Beute angesehen hast!“

„Habe ich nicht.“

„Doch. Hast du. Schon letztens. Im Kerker.“

Hawks schluckte bei den Worten. Was dieser sagte, traf ihn. Er hatte nicht…oder doch? Er wollte sich verteidigen. Sagen, dass er niemals…aber würde das etwas bringen? Wenn sie nach allem an ihm zweifelten – was brachte es dann? Dieses Rudel.
 

Hawks presste die Fänge aufeinander; er konnte weder sagen, dass sie dann am besten getrennte Wege gingen, noch dass Enji keine Ahnung hatte, wovon er sprach. Er fühlte sich plötzlich wieder gefangen. Er gehörte weder zu den Dämonen noch zu den Menschen. Er hing dazwischen.

Und er wollte sich nicht so einsam fühlen, wie es gerade der Fall war.

Als Enji sich rührte, wich er reflexartig einen Schritt zurück. Es erinnerte ihn unweigerlich an die vielen Male, bei denen er vertraut hatte. Wann immer er geglaubt hatte, dass er vielleicht Freunde gefunden hatte, war er am Ende nur knapp dem Tode entkommen.

Hawks wurde ganz steif, als Enji noch näherkam und ihn fest an der Schulter packte, um ihn mit einem Ruck…in seine Arme zu ziehen? Verwirrt und stocksteif lehnte er an der Brust des anderen, sank nur langsam dagegen.

„…du ziehst nicht gleich ein Messer und stichst mich ab?“, murmelte er, woraufhin Enji schnaubte.

„Nicht, wenn du mir keinen Grund gibst.“

„Gleichfalls.“

Hawks zögerte, dann drückte er sich gegen den anderen, inhalierte dessen vertrauten Geruch ganz tief. Er schloss die Augen, wissend, dass er gerade völlig schutzlos war, wenn es sich um einen Hinterhalt handelte. Aber das hier war anders. Sie hatten so oft nebeneinander geschlafen, sich gegenseitig das Leben gerettet…woher kam diese plötzliche Befürchtung? Nein. Er wusste es.

Ein paar Sekunden lang standen sie nur so da und Hawks wollte eigentlich gar nicht, dass es aufhörte. Enji sollte bei ihm bleiben, ihn so halten.

„Toshinori und Aizawa haben sich Sorgen gemacht. Du hast dich seltsam verhalten. Das hat mich an den Kerker erinnert.“

Hawks erwiderte nichts darauf, blieb an den anderen gelehnt. Die Umarmung ließ ihn sich behütet fühlen und das war einfach nur schön.

„Warum grinst du uns blöd ins Gesicht und spielst uns vor, alles wäre gut, wenn für dich nichts gut ist?“, fuhr Enji fort.

Hawks wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Es war alles so schwer.

„Weil ihr es nicht verstehen würdet“, murmelte er gegen dessen Brust. „Ich…bin, wie ich bin. Das ist keine Fassade. Nicht nur. Aber diese andere Seite von mir…die ist erschreckend für Menschen. Ich sehe eure Blicke, wenn ich etwas in Stücke reiße. Wenn ich zur Bestie werde. In dem Kerker kamen Erinnerungen hoch und ich glaube…das hat mich einfach aus der Bahn geworfen. Ich hätte nie einen von euch angegriffen, aber…ich kann meine Emotionen dann nur schwer kontrollieren.“

Er hob den Kopf, suchte dessen Blick nun, während er schief lächelte.

„Ist manchmal hart, ich zu sein.“
 

Enjis Blick war schwer zu deuten; vermutlich wusste er nicht, was er sagen sollte. Es wunderte Hawks, dass der Rothaarige es nicht einfach abwiegelte. Immer noch hielt dieser ihn an sich gedrückt – und das, obwohl Hawks nackt war. Gut, sie badeten mittlerweile öfter zusammen und hatten auch schon in einem Bett geschlafen, aber irgendwie war das hier noch mal etwas anderes.

„Du solltest uns mehr vertrauen, Hawks“, meinte Enji schließlich. „Wir ziehen jetzt lang genug mit dir herum…und wir haben alle diese andere Seite. Vielleicht mit weniger Zähnen und Klauen, aber…du weißt, was ich meine.“

Hawks ahnte, dass er von seiner Familie sprach, die er kaum sah, weil er keinen Draht zu ihr hatte. Weil er seine Frau verängstigt und eins seiner Kinder verloren hatte. Ja, vermutlich hatte er Recht.

„Wenn es dir schlecht geht und du darüber reden willst, dann kannst du zu uns kommen. Verstanden?“

Das war ungewohnt feinfühlig. Dabei redete Enji doch selbst nicht über seine Probleme. Jedenfalls nicht freiwillig, da musste man bohren. Dennoch war es nett, dass dieser es anbot. Er schmiegte sich in dessen Umarmung, musste dabei lächeln.

„Aber ich bin doch der Spaßvogel der Truppe“, nuschelte er und konnte Enjis Augenverdrehen spüren.

„Hawks…“

„Schon gut. Ich habe verstanden, was du mir sagen willst“, lenkte er rasch ein und seufzte leise. „Danke. Also…dass ihr so zu mir seid. Ich sag ja, ich bin ein gebranntes Kind, was Vertrauen zu Menschen angeht, und…die Zeit im Kerker hat mich daran erinnert. Auch daran, was ich bin. Dass ich anders bin als ihr. Und wie schwer es bisher gewesen ist. Sowas halt.“

„Aizawa ist auch anders.“

„Jaaah, aber man sieht es ihm nicht an. Er kann mit euch rumlaufen und muss sich nicht verstecken. Das…macht mich neidisch. Außerdem wird Toshi ihn heiraten und…ich weiß einfach, dass das bei mir nicht so einfach ist. Die meisten Menschen rennen schreiend vor mir weg oder wollen mich umbringen. Ganz schlechte Resonanz, wenn man einen Partner sucht. Aber hey, wenigstens altere ich langsamer, also hab ich noch ein paar Jahrzehnte oder so, nicht wahr?“

Vielleicht war das eine Spur zu mitleiderregend gewesen, weswegen er schon wieder grinste. Einfach ein bisschen überspielen, wie ernst ihm das Gesagte war. Darin war er ziemlich gut.

Enji ließ ihn plötzlich los, was Hawks ahnen ließ, dass das eine Spur zu viel gewesen war.

„Zieh dich wieder an.“

Die Harpyie behielt das Grinsen bei; nicht zeigen, wie sehr ihn die Reaktion traf. Er schüttelte sich noch einmal, spreizte kurz die Flügel, ehe er zu seiner Kleidung griff.

„…du siehst viel besser aus als der miesepetrige Einsiedler und bist auch leichter zu ertragen. Wenn der jemanden findet, kannst du das auch. Klauen und Flügel hin oder her.“

Hawks verharrte in seiner Bewegung; hatte er sich soeben verhört oder hatte Enji das wirklich gesagt? Moment mal…fand Enji ihn attraktiv? Augenblicklich bauschte sich sein Gefieder auf und auch, wenn er wusste, dass es nichts zu bedeuten hatte, fühlte er sich geschmeichelt.

„Aww, Enji! Du weißt gar nicht, wie gut es tut, das zu hören!“

Er ließ sein Oberteil fallen und schmiegte sich von hinten an den breiten Rücken des anderen, schlang seine plüschigen Flügel um diesen.

„Lass mich los, verdammt!!“

„Niemals! Nicht, wenn du sowas Liebes zu mir sagst!“

„Pfoten weg!!“

„Nein!“

„Ich meinte nicht mich damit!!“

„Das weiß ich doch – auch wenn du mein Blut getrunken hast und das für immer etwas ganz Besonderes sein wird~“

„Hawks!!“

Er lachte auf, rieb den Kopf noch einmal an dessen Schulter, ehe er sich löste. Er griff nach seiner Kleidung, zog sich diese wieder an, während er sich zunehmend leichter fühlte. Als wäre diese schwere Last, die er seit dem Kerker umso stärker gefühlt hatte, von ihm abgefallen. Es stimmte. Er hatte nun Freunde. Richtige Freunde. Diese akzeptierten ihn, wie er war. Es gab keinen Grund zur Furcht. Dies war sein Rudel und hier konnte er er selbst sein.

Hawks musste lächeln, als er dem grummelnden Enji zurück zum Lager folgte, wo die anderen schon auf sie warteten. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte es sich an, wie nach Hause zu kommen…und das Gefühl wollte er nie wieder missen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Herzlich Willkommen zu einem neuen Projekt von mir. :)
Ich habe momentan mit EndiHawks einen Lauf...und das muss man ja nutzen.
Zuerst einmal basiert die Idee auf einem gemeinsamen RPG von  Monstrosity und mir, das ich ein bisschen umgeschrieben habe. Danke für die tollen Szenen und die Inspiration, die ich hierfür nutzen darf. <3
Lichtregen hat auch ihren Teil hierzu beigetragen und fungiert mal wieder als "Managerin"/Coach und Beta. Dankeee <3
Ich weiß selbst noch nicht genau, wo es hinführt, aber lassen wir uns überraschen...grob geplant habe ich wie immer... ;)
Wünsche euch weiterhin viel Spaß mit diesem Baby~!

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und da ist das neue Kapitel. :D
Hoffe, es erheitert den ein oder anderen in dieser ätzenden Zeit.
Wieder einmal gebetat von der lieben Lichtregen. Danke dir. <3
Es ist wirklich eine Schande, dass Hawks irgendwie immer am Ende auftaucht...aber irgendwann wird sich das hoffentlich ändern. ;)
Er macht mir einfach so viel Spaß~
Schönen Abend euch allen, liebe Grüße und tut, was euch gutut. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu! :D
Und da bin ich wieder mit einem neuen Kapitel - der Flow hat mich gepackt.
Ist wieder mal länger geworden, als ich dachte...
Und Hawks freundet sich mit den Menschen an - oder will es.
Schäm dich, Toshi... :(
Bei der Szene blutete echt mein Herz...aber es wäre auch komisch, seine Meinung von jetzt auf gleich zu ändern.
Von daher...sorry, Hawks... <3
Dank geht an Lichtregen fürs betan! :D

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu!
Ich weiß, ein Kapitel ohne Hawks ist irgendwie...meh. xD
Aber keine Sorge, keine Frage, er kommt wieder...die Tage...oder so.
Okay, den Scheiß mit dem Reimen lass ich dann mal lieber.
Gebetat und inspiriert von Lichtregen. <3
(Schaut gerne mal in ihre FF rein: Dead End )
Und  Monstrosity hat mir übrigens ein wunderschönes Cover gemalt. *__*

Hawks - Vogelfrei


Ich hoffe, ihr hattet Spaß am Todoroki Family Drama...das gehört ja irgendwie dazu. ;)

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und da bin ich wieder mit einem neuen Kapitel. :)
Viel EraserMight-Time...ich kann nichts dagegen tun.
Ich liebe die zwei und irgendwie gehen die mir so schön einfach von der Hand...es ist einfach angenehm, aus Toshis Sicht zu schreiben.
Aber ganz am Ende taucht doch noch Hawks auf...wer hätte es gedacht. ;)
Ich kann Shoutooooo doch nicht sterben lassen!
Wünsche euch ein tolles Wochenende, macht was draus und bis denne~!
(Gebetat und beraten von Lichtregen - die heute Geburtstag hat. Happy Birthday, Alibert!! <3)

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu! :)
Meine Güte, wie hab ich mich auf das Kapitel gefreut.
Ich glaube, seit ich angefangen habe, an der FF zu schreiben, war das hier die Szene, bei der ich wusste, sie würde mir am meisten Spaß machen - und dabei mag ich eigentlich keine Action.
Muss mit der Situation zusammenhängen...
Uiuiui...wie soll Enji nur damit klarkommen? ;)
Von dem verhassten Dämon gerettet...aber gut, er hat Ehre im Leib und daher muss er sich jetzt damit auseinandersetzen. Viel Spaß. :D
Danke an diejenigen, die mich mit ihren Kommis immer so schön motiveren. <3
Hoffe, ihr hattet Spaß daran - und wie immer ein Dankeschön an Lichtregen fürs Betan und die Titelvorschläge. xD

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu! :)
Erstmal danke für die Kommis, habe mich wieder sehr gefreut!
In diesem Kapitel erfahren wir ein bisschen mehr über Aizawa - der ja bisher ein Mysterium auf zwei Beinen war. ;)
Da kommt auch noch etwas mehr...
Nach und nach eigentlich von allen Charakteren - und hier noch mal ein Danke an Lichtregen, die immer schön mit mir rumspinnt und betat. <3
Hoffe, euch gefällt das Kapitel und ihr konntet euch bei dieser kack Zeit ein bisschen auf was freuen. :-*

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Frohe Ostern! :)
Ich hoffe, ihr habt euch über das Kapitel gefreut.
Ich liebe die Kombi der vier ja mittlerweile echt...
Der Schlagabtausch macht mit jedes Mal sehr viel Spaß, ebenso wie Hawks' freches Mundwerk, das die drei nun ein wenig länger permanent ertragen müssen. ;)
Wir werden sehen, was das noch gibt...
Gebetat und motiviert von Lichtregen - Danke dafür! <3
Vielen Dank auch für das Feedback, das mich immer wieder motiviert. :D

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu! :)
Da bin ich wieder mit einem neuen Kapitel.
Ich weiß nicht, ob man das als sich näher kommen bezeichnen kann, aber hey...sie reden miteinander. xD
Kommunikation is ja bekanntlich alles unso... ;)
Wir werden sehen...
Gebetat und motiviert von Lichtregen! <3
Ich hoffe, ihr hattet Freude daran und einen schönen Sonntag noch!

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu!
Da bin ich wieder!
Mit einem recht EraserMight-lastigem Kapitel, aber was will man machen - ich liebe sie halt. :D
Plus ein paar mehr Informationen zu Aizawas Vergangenheit.
Gebetat und unterstützt wie immer von der lieben Lichtregen. <3
Hoffe, ihr hattet Freude an dem Kapitel. :)

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu! :)
Da bin ich wieder mit einem neuen Kapitel...und es gibt wieder etwas EndiHawks. <3
Die beiden nähern sich endlich etwas mehr an.
Wird ja auch Zeit...
Dank geht hier wie immer an Lichtregen, die mir bei diesem Kapitel mal wieder echt geholfen hat. <3
Wünsche euch eine schöne Woche! :)

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu,

hier hat's mal etwas länger gedauert.
Zwischen Husten, meinem 30. Geburtstag und anderem Schnickschnack bleibt nicht immer Zeit.
Hoffe, es hat euch gefallen. :)
Und ich hoffe, dass ich jetzt langsam mal wieder etwas mehr Zeit zum Schreiben finde - Bock ist da. ;)
Danke geht an Lichtregen, die mal wieder für mich gebetat und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. <3

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heyho! :D
Das Kapitel ging mit leichter von der Hand als das Letzte...
Vielleicht auch, weil es ab jetzt einen neuen roten Faden gibt, den ich vor allem Lichtregen zu verdanken habe. <3
In letzter Zeit haben mich die FFs echt bei Laune gehalten.
Daher geht's hier vermutlich sehr bald weiter. :)

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hupsi.
Irgendwie ist mir hier ein Kapitel untergegangen.
Aber scheinbar hat es keiner bemerkt oder sich einfach nicht gemeldet.
Wie dem auch sei...dann kommt es eben jetzt on.
Dann sollte auch der Rest mehr Sinn machen. ;)

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu! :D
Anbei ein neues Kapitel.
Hoffe, ihr hattet ebenso viel Spaß daran, wie ich es hatte. ;)
Auch wenn der Cliffy fies ist, aber na ja...geht ja hoffentlich bald weiter.
Gebetat hat wieder die fleißige Lichtregen. <3

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Kommentare zu dieser Fanfic (19)
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Von:  Ataschi
2023-05-30T23:35:43+00:00 31.05.2023 01:35
Oh wow. Mehr fällt mir zu der Story nicht ein. Ich habe sie lange vor mich hingeschoben, weil sie noch nicht abgeschlossen ist. Aber ich bin froh sie doch gelesen zu haben. Zumindest soweit du veröffentlicht hast.
Ich hoffe, es geht schnell weiter. Ich mag die Idee voll und auch die Charaktere sind nicht zu sehr aus ihrer ursprünglichen Rolle gefallen. Auch das jetzt Deku und ein paar der anderen mit dabei sind, finde ich richtig gut. Die Story hat noch richtig Potenzial.
Mach auf jeden Fall weiter so. Ich kommentiere zwar nicht oft, aber das musste mal geschrieben werden. 🥰

Von: Lichtregen
2021-11-12T12:44:18+00:00 12.11.2021 13:44
Huhu!
Ich mag Aizawas düstere Gedanken zu seiner Beziehung mit Toshi. Da merkt man, dass die alten Wunden doch nicht ganz verheilt oder vernarbt sind und er sich ungern auf etwas Neues einlassen will, bei dem er dann erneut enttäuscht wird. Zumal Toshi, wie Aizawa richtig feststellt, noch gar nicht wirklich zu wissen scheint, in welche Richtung das Ganze gehen könnte. Ich finde es aber schön, dass auch Aizawa schon gewisse Zuneigung zu Toshi entwickelt hat. Das lässt auf mehr hoffen. :)
Aber dass er dann alleine loszieht und den Brunnen untersucht… Da schlägt man als Leser die Hände über dem Kopf zusammen, weil das so ist wie in den den Horrorfilmen, wenn die Leute vorschlagen, sich aufzuteilen. Mach das nicht!! XD Das Gewölbe unter dem Keller war jedenfalls echt unheimlich beschrieben. Auch mit dem Mädchen und wie Aizawa sie auffindet.
Der Kampf war auch ziemlich blutig, muss ich sagen. Fast schon etwas eklig, aber so ist das nun mal, wenn richtig gekämpft und dabei getötet wird. Ich mag keine Vampire und wie sie einem in den Nacken beißen und das Blit aussaugen. >_<
Ein Glück, dass Hawks zur Rettung (mal wieder) zur Stelle ist. Was würden sie nur ohne ihn tun? XD
Und natürlich ohne Toshi, der strahlende Ritter, der zu seiner Rettung naht? XD Aber Spaß beiseite, ich fand es rührend, wie Aizawa in seinen scheinbar letzten Momenten daran denkt, Toshi zu sagen, was er für ihn empfindet. :) Halte durch, Aizawa!!
Tja, jetzt ist sie Kacke wohl am Dampfen… XD
Von: Lichtregen
2021-09-13T16:30:47+00:00 13.09.2021 18:30
Jetzt endlich auch der Kommi! Sorry wieder mal für den Verzug…
Hawks war echt niedlich, wie er da sich freuend im Bett liegt und vor Aufregung gar nicht schlafen kann. Wie ein Kind auf Klassenfahrt. XD Hehe, und dann wenig kindlich, wie er es schade findet, dass er nicht noch mehr von Enjis Körper sehen kann. Jaja, das wünschen wir uns doch alle. XD
Enji, der Grummelkopf, ist wahrlich nicht nett zu Hawks, wie er sich wundert, dass er mal seinen Schnabel hält und so ernst schaut. Aber irgendwie schon auch nett, dass er ihn anscheinend so gut beobachtet, dass es ihm auffällt. Und an Hawks‘ Stelle muss man nehmen, was man an „Nettigkeiten“ von Enji kriegen kann. ;)
Das Geilste ist, wie natürlich es für Toshi scheint, dass sich Hawks und Enji ein Zimmer geteilt haben, obwohl ja jeder sein eigenes hat. Jaja, bei sich selbst nichts checken, aber bei den anderen spüren, dass da was im Busch sein könnte… irgendwann. XD
Wie du es aufgebaut hast, dass Aizawa nun endlich den anderen die Wahrheit erzählt, hat mir gut gefallen. Generell die Wortgefechte von Aizawa und Enji haben immer etwas sehr Amüsantes an sich. :) Gut auch, wie Hawks die Info, dass er die Erlaubnis von Enji bekommen hat, sich der Gruppe anzuschließen, hat einfließen lassen, sodass diese es Aizawa leichter gemacht hat, nicht zu befürchten, dass die anderen ihn lynchen. :) Wobei Enji, der Stier (XD), trotzdem erst mal die wütende Schiene schiebt, wenn auch nur kurz. :) Als Enji Aizawa nach dem Umfang seiner Fähigkeiten fragt und mit der Antwort nicht zufrieden ist, hatte ich das Bedürfnis, ihn zu schütteln, und zu sagen, dass er sich mal netter sein soll. Aber das wäre wohl vergeblich. XD Dass Aizawa es so im Raum stehen lässt, dass Enji ihm einen Grund geben könnte, die Gruppe zu verlassen, war als Abschluss mit bedrohlichem Unterton auch gut gemacht. :) Soll ja auch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen sein. ;)
Und so langsam kommen sie den Vampiren auf die Schliche. Bin gespannt, was dir dazu noch so einfällt. :)
:-*
Von: Lichtregen
2021-08-07T15:31:53+00:00 07.08.2021 17:31
Huhu!
Ich hab’s nicht vergessen, aber einfach nicht auf die Reihe gekriegt… Nicht mal zum Schreiben bin ich gekommen bzw. konnte mich nicht dazu aufraffen. Ich hab momentan auch oft andere Dinge im Kopf… und im Bauch. XD
Das Kapitel hat mir jedenfalls sehr gut gefallen. Ich mag ja eh die Dialoge zwischen Enji und Hawks, aber diesmal sieht man endlich den gewaltigen Sprung, den die beiden gemacht haben. Also vor allem Enji, Hawks muss ja nicht mehr überzeugt werden. ;)
Endlich kommt auch für Enji die Wahrheit ans Licht. Wobei Hawks ja wirklich Recht hat, dass er ohne sein Blut abgenippelt wäre, also soll er sich mal nicht so aufblasen. ;) Dass Hawks dabei natürlich noch seine eigenen Interessen verfolgt, hat Enji natürlich trotzdem sofort durchschaut. Irgendwas muss er ja auch davon haben, Enji nicht sterben zu lassen. Wie praktisch, dass die Blutsbande gleich zu einer Art Vermählung führt. XD Also zumindest für Hawks, weniger für Enji, der weder einsieht, zweigleisig zu fahren (wobei das erste Gleis ja mehr oder weniger stillgelegt ist), noch sich an einen Dämon zu binden. Aber der Reihe nach.
Dass Dämonen, also auch Hawks, ihre Partner nach Stärke und vor allem Geruch auswählen, finde ich sehr nachvollziehbar und sympathisch. Nicht nur, weil ich selbst so ein Schnüffeltier bin (ich weiß, das klingt komisch, ist aber so XD), sondern weil man ja nicht umsonst sagt „man kann jemanden gut riechen“. An Enjis Stelle, der mit so einer Antwort natürlich nicht gerechnet hat, hätte ich aber wohl auch so verdutzt reagiert. Genauso wie mit der roten Haarfarbe. XD Und ja, ich finde, das macht das Pairing insgesamt, also nicht nur in deiner FF, zu etwas Besonderem, dass es auch farblich so gut zusammen passt.
Und endlich, endlich, spricht es mal einer an, dass sie sich nie beim Namen nennen, sondern nur Dämon oder Rotschopf. Enji klingt (weil man von Hawks Endeavor-san gewohnt ist, aber das gibt es hier ja nicht) sofort total persönlich und intim. Dass Enji diese Pille schluckt, hat mich sehr überrascht. Aber es zeigt, die beiden sind auf einem guten Weg. Auch wenn es erst einmal „nur“ eine Kameradschaft ist und Enji gleich ausschließt, dass da jemals mehr sein könnte. Das hat mich für Hawks sehr traurig gemacht, aber er wusste ja, worauf er sich bei ihm einlässt. Und wer weiß, sag niemals nie! XD Und Enji lässt ihn trotz allem sogar gemeinsam mit ihm im Bett schlafen!
Jaah, und Aizawas Geheimnis wird dann auch noch zu lüften sein. Finde ich gut, dass Hawks es nicht verrät. :)
ld Ali
Von: Lichtregen
2021-06-20T11:38:22+00:00 20.06.2021 13:38
Huhu!
Sorry, dass ich erst heute schreibe. Wollte eigentlich schon gestern, aber beim Saubermachen hatte ich Langeweile und bin (das ist hier zu kompliziert zu erklären warum) bei den ersten Folgen von Wedding Peach hängen geblieben. Bis ich dann zur Hochzeit musste… Oh Mann, waren das schlimme Zeiten damals… aber genug davon, auf zum eigentlichen Kapitel!
Shirakumo hat mich an Anfang echt gekillt. XD Ich dachte echt, weil der Cliffy auch so fies war, dass jetzt irgendwelche Konsequenzen für die Truppe kommen. Aber Pustekuchen! Als Shirakumo meinte, er vertraue Aizawa, dachte ich genau das, was dieser dann ausgesprochen hat: „Für einen Fürsten bist du viel zu leichtgläubig.“ XD
Enjis Kommentar, Aizawa würde Shirakumo mit seinen Kommentaren noch umstimmen, hat mich auch sehr belustigt. :)
Jaja, und dann der lauschende Toshi. Hätte ich ihm als so ein Ehrenmann gar nicht zugetraut. Aber er ist entschuldigt, immerhin geht es ja um Aizawa und ob dieser vielleicht ihre Gruppe verlassen wird. Das trifft Toshi natürlich besonders hart. ;)
Das Kapitel an sich war ja eher eins von den Kürzeren und Ruhigeren, aber nach der ganzen Action müssen die Protagonisten auch erst mal Zeit haben, sich über alles Gedanken zu machen.
Und so erfahren wir endlich, was es mit Aizawa und Shirakumo auf sich hat. Wobei Aizawa sich dazu erst einmal Mut antrinken muss. Toshis Reaktion darauf „Uhm…“ kam echt gut. XD
Dass Aizawa gegenüber Toshi anspricht, dass dieser und Shirakumo sich ähneln, und gleichzeitig sagt, dass er Gefühle für Shirakumo hegte, sie aber nicht erwidert wurden, lässt Toshi ja hoffentlich doch ein wenig hoffen, dass sein Interesse an Aizawa (er selbst hat es ja auch noch nicht als mehr verstanden) auf fruchtbaren Boden stoßen kann. :) Toshis Reaktionen waren auch so süß und… unschuldig, haha. So typisch er. Finde ich gut, dass es nur eine Sache unter Jugendlichen war, sich auszuprobieren, wobei halt Aizawa die Arschkarte gezogen und Gefühle entwickelt hat.
Toshis Feststellung „Ihr habt ihn geliebt.“ fand ich sehr rührend.
Aizawas Worte, die zeigen, wie verbittert ihn diese Erfahrung gemacht hat und er daher die Gesellschaft von Menschen meidet, haben mir sehr leidgetan. :( Hinter der harten Schale steckt halt doch ein weicher Kern. Und umso schöner ist es, dass sich Aizawa Toshi öffnen und ihm das alles erzählen konnte. Bin daher gespannt, wie es zwischen den beiden weitergeht.
Toshis Worte, er würde niemanden so hintergehen, waren irgendwie total unangenehm, ein wenig Fremdschämen, aber er ist in dieser Sache so unbeholfen, dass es, denke ich, genau das war, was du erreichen wolltest. :) Ich hoffe jedenfalls, dass Aizawa ihm das glaubt.
Wobei die Ähnlichkeit zwischen Toshi und Shirakumo tatsächlich auch zum Problem für Aizawa werden könnte. Allerdings gibt es ja den entscheidenden Unterschied, dass Toshi von Aizawas Erfahrungen weiß und er daher hoffentlich nicht so blind sein wird, sollte es zwischen den beiden zu mehr kommen.
Ich bin gespannt, wie du das löst. Und natürlich noch mehr auf das, was zwischen EndHawks besprochen wird. :)
Ld Ali :-*
Von:  27mika-chan
2021-06-14T21:42:59+00:00 14.06.2021 23:42
Hiii, ich bin über deine Story gestolpert und habe sie erst einmal verschlungen. Ich liebe deine Story und kann das nächste Kapitel gar nicht abwarten. Ich hoffe du schreibst schnell weiter.
Liebe Grüße
Mika
Von: Lichtregen
2021-06-03T16:11:56+00:00 03.06.2021 18:11
Ein sanfter Einstieg in das Kapitel, der vor allem durch die Beschreibung, wie Enji sich die Rüstung anlegt, Lust auf mehr macht. ;-) Was können das nur für blutrünstige Kreaturen sein, die sich da über die Frauen hermachen? ;-)
Ich liebe es, wie gefräßig Hawks ist. XD Traube? Diese Frage war wohl nur der Höflichkeit halber, so schnell wie der ganze Zeit verschwunden war.
Ich finde, auch wenn Enjis Worte harsch klingen, als er Hawks sagt, er sei wegen seiner Verletzungen nicht zu gebrauchen, klingt doch auch ein bisschen Sorge durch, dass er sich bei dem Versuch, ihnen zu helfen, unterschätzen und dadurch in Gefahr bringen könnte. Oder male ich mir das bitte zu schön aus? ;-)
Da schüttet Hawks ein Enji sein Herz aus und sagt ihm, dass er ohne sie ganz allein wäre, und Enji reagiert wie gewohnt wenig sensibel. ^^‘ Immerhin macht er das Ganze durch seine kleine Geste wieder etwas wett.
Und dann macht er sich doch noch Gedanken über Hawks‘ Gefühle und das, obwohl er eigentlich Wache halten soll. XD Und er kann sie sogar nachvollziehen und trotzdem will er ihn nach der Genesung wegjagen. Ach Enji, sieh es endlich ein, dafür ist es schon lange zu spät. XD
Dass Aizawa so schnell seinen Dolch zückt und versucht, mit seinem Blut die Entführer anzulocken, hat mich echt überrascht, ähnlich wie Enji. Klar dass Toshi gleich besorgt aberkannt kommt und sich um die Wunde kümmert. :)
Yeah, und dann geht es endlich mit dem Kampf los! Enji muss man wieder dran glauben und erleidet direkt wieder eine Stichverletzung. Und sein Blut ist auch sonderbar... Oh Mann, die gut gehüteten Geheimnisse werden nicht mehr lange solche bleiben... ;) Genauso wie Aizawas rote Augen, die er wieder eingesetzt und Enji diesmal ohne Zweifel gesehen hat.
Wie der Dämon seinen Kopf so nach hinten schnappen lässt, als sie denken, sie hätten ihn erledigt, war echt eklig. Kann der nur mit einem Pfahl im Herz besiegt werden? ;)
Und dann Hawks, der Retter in der Not! Enjis Kommentar, von wegen Hawks sei ja gar nicht mehr verletzt, hat mich sehr amüsiert. :)
Und dann die Offenbarung: In your face! XD Gefährte, Blut, WTF?! Denkt sich Enji nur. Die Auflösung, wie Enji es erfährt bzw. das Geheimnis nicht länger ein solches bleiben wird, hat mir gut gefallen. Ob Hawks ihm auch ohne diese Situation irgendwann reinen Wein eingeschenkt hätte? Wir werden es nie erfahren... ;)
Der Dämon ist aber auch echt gesprächig. XD Wie die Bösewichte in den Actionfilmen, die dem Helden immer ihren ganzen Plan verraten. XD
Enjis Reaktion ist so typisch er. Kann man aber auch verstehen. Da läuft sowas hinter seinem Rücken ab und keiner klärt ihn hinterher darüber auf. Also verständlich, dass er erbost darüber ist, auch wenn er natürlich auch etwas undankbar ist, weil er dadurch immerhin überlebt hat.
Ich hab diese ganzen Handlanger von Chisaki nicht mehr vor Augen... was hat der eine gemacht, dass Enji zu Boden gefallen ist und sich eine Rippe gebrochen hat? Eine Art Windstoß?
Oh Mann, und am Ende dann dieser Cliffy mir Shirakumo! Da wirkt er echt bedrohlich, wie er da steht und Enji sich direkt schon das Schlimmste ausmalt... wie sie sich aus der Lage wohl retten können?
Es bleibt spannend. :)
Ld Ali
Von: Lichtregen
2021-05-08T08:48:42+00:00 08.05.2021 10:48
Huhu!
Wenn Toshi das Kapitel mit seinen positiven Gedanken einleitet, wird einem immer erst ganz warm ums Herz. :) Jaja, ein bisschen isr er ja schon ein Moralpostel; aber wenigstens lässt er das nicht so raushängen, sondern hält sich eher bedeckt. Mitreden kann er ja auch eh nicht und seine Einwände würden bei seinen Gefährten ohnehin aber auf taube Ohren stoßen. ;)
Scharfe Augen hat er jedenfalls auch, wenn er sieht, dass sich etwas zwischen Hawks und Enji verändert hat. :)
Im Kontrast dazu dann der grummelnde Enji, der natürlich zu Recht auf die Probleme, Hawks unbemerkt einzuschleusen, hinweist. Und Aizawa, gaaaanz selbstlos, erklärt sich bereit, mit Hawks zurückzubleiben. XD
Hawks‘ Interpretation, als Enji ihn zudeckt, um die Flügel zu verstecken, hat mich auch sehr amüsiert. Enji, der olle Grummelgriesgram, kann ruhig mal zugeben, dass er auch ein wenig Fürsorge zeigt. XD
Jaah, und dann das Wiedersehen! Gut eingeleitet mit dem Wildschwein und der Sorge Toshis, es handele sich um Banditen. Aber falsch gedacht! Stattdessen ist es ein alter Bekannter von Aizawa, der wirklich absolut not amused darüber ist, dass der Fremde in einfach so in die Arme schließt. Die Irritation der anderen konnte ich mir bildlich vorstellen. XD
Shirakumo ist so... sooo freundlich! Als ob die Sonne aus seinem Gesicht strahlt! Und noch krasser als beim heiteren Toshi. Dass da große Vergleiche gezogen werden, liegt ja auf der Hand. ;)
Toshi macht sich natürlich gleich Gedanken zu ihrer Vergangenheit und was vorgefallen sein mag, dass Aizawa so abweisend reagiert. Auf die Aufklärung, auch wenn ich sie schon kenne, freue ich mich auch schon.
Als Shirakumo erzählt, wie sich kennengelernt haben, und Enjis bissige Kommentare zu Aizawas „freundlichem“ Wesen haben mich sehr erheitert. Und Toshi versucht, die Wogen zu glätten. XD
Bester Satz: „Du warst ein reicher Blödmann. Ich war bloß ehrlich.“ XD
Wieso Aizawa fortgegangen ist, werden wir ja noch erfahren. ;) Aber es war echt so dermaßen „in your face“, als sie auf seine Frau stoßen und diese auch noch schwanger ist. Armer Aizawa.
Toshi, der Meisterdetektiv, wird sich dieser Frage noch annehmen. ;)
:-*
Ali
Von: Lichtregen
2021-04-19T17:27:24+00:00 19.04.2021 19:27
Huhu!
Wie du weißt, musste ich mich erst mal an den Gedanken gewöhnen, Enji mit jemand anderen als Hawks zu sehen... Rei ist eine Sache und da sind ja auch keine Gefühle im Spiel. Aber dass eine andere Person Enji dazu bringt, sich... gut zu fühlen, steht ihm zwar zu, aber ich bin da in meinem Gedankengut zu konservativ... wobei das in dem Zusammenhang komisch klingt. Aber du weißt, was ich meine, OTP und so. ;)
Dass Toshi Enjis Vorhaben die Schamesröte ins Gesicht treibt, passt auch so gut zu ihm. XD Aizawas Reaktion gefällt mir auch und ja, Enji tat gut daran, ihn nicht näher danach zu fragen. ;)
Gut finde ich auch, dass Enji auf unaufregende Weise schon mal Erfahrungen mit Männern oder halt jungen Männern gesammelt hat. War ja in den alten Zeiten gar nicht so unüblich und das macht es glaubhafter, dass er nicht „auf einmal“ Interesse an ihnen zeigt. Und dass er nicht mehr als Hand- oder Mundarbeit zugelassen hat, gestehe ich ihm auch zu. Enji ist dann doch auf seine Weise etwas verschroben und eigen. ;)
Das kurze Gespräch zwischen Enji und Yu hat mich mit der ganzen Situation auch noch mehr versöhnt. Enji hat es verdient, dass ihm auch mal jemand zuhört, und wenn er das zuhause nicht bekommt, muss er halt dafür bezahlen. Yu schien jedenfalls keine verschreckte kleine Prostituierte zu sein, sondern hat ihren eigenen Kopf und ein Ziel, auf das sie hinarbeitet. Ein sehr erwachsenes Gespräch, ehe es dann zu dem kommt, wofür Enji auch bezahlt hat.
Am besten war natürlich die Szene zwischen Enji und Hawks. Die kleinen Hinweise auf seine Eifersucht, die Enji noch nicht zu deuten vermag, haben mich immer schmunzeln lassen. :)
Weil sie mich nicht will... Das hat mir echt im Herzen weh getan. :( Sowas ist echt Mist...
Und ja, der Geruch ist echt total wichtig! Da kann ich Hawks nur zustimmen!
Ich mag die Idee, wie das bei Dämonen funktioniert. Sofern zwar alle nur nach ihrem Willen gehen und hinterher keine Nachkommen mehr gezeugt werden sollten, wäre das zwar schlecht, aber die Wahrscheinlichkeit ja doch gering. Auf diese Weise halten die Dämonen die Liebe sogar als höheres Gut als die Menschen, bei denen es ja vordergründig um die Fortpflanzung geht.
Und weil du so glücklich mit deiner arrangierten Ehe bist, musst du Freudenhäuser besuchen.“ „Schweig!“ -> Meine Lieblingsstelle. Offensichtlicher hätte Enji auch kein Eingeständnis, dass Hawks Recht hat, machen können. XD
„Wer würde schon mit einer Bestie wie dir verkehren wollen?“ war echt gemein, Enji! Der arme Hawks und seine Geschichte... da wollte ich ihn auch am liebsten in den Arm nehmen!
Und tatsächlich haben sie sich auf diese bizarre Art und Weise doch einander angenähert. Enjis Umdenken hat zumindest einen Anstoß bekommen, und sei es nur aufgrund des Alkohols und des pikanten Themas. Aber dass Hawks zu Gefühlen fähig ist, hat er ja zumindest ansatzweise mal begriffen. Ein Anfang. :)
Immerhin lässt er ihn sogar die Wache übernehmen. Und sie haben eine Gemeinsamkeit entdeckt. Also dass beide sich nicht gewollt fühlen... Jaah, das Kapitel hat die beiden definitiv einen guten Sprung nach vorne gebracht. Charakterentwicklung ist ja immer gut.
Ungewohnt war die Abwesenheit von Toshi und Aizawa, die in diesem Kapitel mal gar nicht zu Wort gekommen sind. ;) Brauchten sie auch nicht, war mir nur aufgefallen. ;)
:-*
Deine Ali-chan
Von: Lichtregen
2021-04-11T12:19:11+00:00 11.04.2021 14:19
Huhu!
Sorry, dass es wieder so lange gedauert hat. Dieser Rhythmus von Betan und Veröffentlichung bringt mich irgendwie durcheinander und ich war so... unmotiviert. Haha. ^^‘ Aber jetzt geht’s los:
Jedes Mal, wenn Enji wieder mal eine List und Hinterhältigkeit von Hawks wittert, muss ich immer aufstöhnen. Der Kerl ist echt so verbohrt! Okay, man kann es verstehen, aber... Hawks ist doch so ein liebes Vögelchen, den muss man einfach gern haben! XD Allein, wie er immer so unschuldig unter def Decke hervorlünkert! :) Aber was lange währt, wird endlich gut... oder so. ;D
Bei Hawks‘ Kommentar, Enji sei gruselig, da er ihm beim Schlafen beobachte, musste ich direkt lachen. Als ob ER Enji nicht auch beim Schlafen beobachtet hätte und das sogar absichtlich! XD
Das Gespräch über die Sirene war sehr interessant, auch wenn ich die Auflösung und Hawks‘ Bezug zu Sirenen ja schon kannte. Hawks‘ Reaktion auf Enjis Frage, ob das der einzige Grund sei, dass sie Todfeinde sind, dass er Enji gerettet und eingegriffen hat, sprach natürlich auch Bände. Aber der liebe Enji kann natürlich noch nicht wissen, was dahinter steckt. ;)
Tja, aber jetzt steckt er erst mal in Hawks‘ Schuld. Und hat ihn erst mal an der Backe. So ein Pech aber auch, wenn man dann doch ein Ehrenmann ist. ;)
Und Toshi muss mal wieder den Moralapostel spielen, nur weil Hawks mal ein bisschen Galgenhumor anbringt. Also echt, da darf man nicht mal ein bisschen Spaß machen. XD
Meine Lieblingsszene war natürlich das Bad im See. Und als Enji herausfindet, dass die anderen sein Geld für Hawks‘ Kleidung ausgegeben haben. XD Dadurch, dass die letzten Kapitel durch die Kämpfe und den Besuch bei den Todorokis eher etwas düsterer waren, war das wirklich erfrischend amüsant. :D Ohne aber over the top zu werden.
„Davon abgesehen, dass der Geruch schon nicht mehr angenehm ist…“ war mein Lieblingssatz. So fies, Enji, so fies! XD
Wobei Enjis „Schweigt sofort still!“ mein zweites Highlight war. Oh, Enji, wer sowas sagt, kann es auch direkt zugeben. XD Naja, jedenfalls hat Aizawa ihn ja gut ausgekontert, was die Klamottenbezahlung angeht, da es ja nun wirklich nicht angeht, dass Hawks nackt mit ihnen mitläuft. Nicht, nachdem sich dieser auch so schamlos zur Schau gestellt und Enji so peinlich berührt reagiert hat. Und da war noch die kleine Referenz darauf, dass auch Hawks Enji schon nackt gesehen hat. ;) Die Reaktion von Toshi und Aizawa hat mich auch sehr belustigt. XD
Wobei die Konkurrenz mit „ Hast dir alles eingeprägt?“ auch schwer ist. Der Satz hat mich auch sehr zum Lachen gebracht. XD Genauso wie die ganze Szene an sich. Egal ob es Hawks ist, der von Enji nackt in den See getragen wird, oder Toshi, der breitbeinig und nackt vor Aizawa steht, der beschämt den Blick abwendet. XD Hehe, und natürlich, dass Enji am Schluss doch noch einen Blick riskiert.
Zusammengefasst ein sehr erheiterndes Kapitel! :)


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