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Vogelfrei

von

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Das Wiedersehen

Die nächsten zwei Tage wurde Toshinori das Gefühl nicht los, dass er etwas verpasst hatte. Genau genommen, seit Enjis nächtlichem Besuch im Freudenhaus, den er eigentlich nicht guthieß. Ehebruch war nichts, das er befürwortete, auch wenn die meisten Männer es nicht so eng damit zu sehen schienen. Jedenfalls hatten sie schon des Öfteren mit anderen Kriegern auf der Durchreise getrunken und diese hatten die Freudenmädchen trotz Eherings nicht verschmäht. Für ihn selbst ein Unding, schließlich war Treue doch ein wichtiger Aspekt in einer Beziehung. Andererseits, wenn er so an Enji dachte, heirateten vermutlich nicht alle aus Liebe, und infolgedessen passierten solche Dinge dann vielleicht. Er konnte keine Erfahrungen in diesem Bereich vorweisen, also hielt er sich heraus, wenn er nicht explizit nach seiner Meinung gefragt wurde.

Dass sein Freund nach einem Besuch in solch einem Milieu besser gelaunt war, war keine neue Erkenntnis, jedoch benahm er sich auch Hawks gegenüber weniger feindselig. Zu behaupten, dass Enji dem Dämon gegenüber keine Vorbehalte mehr hatte, wäre zu viel des Guten, aber er unterließ unnötige Anfeindungen. Hawks selbst war zwar frech wie eh und je, doch er schlief auch viel, schien seine Kräfte für seine Heilung zu benötigen.

Toshinori konnte nicht verhehlen, dass er begann, den Dämon gern zu haben. Je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, umso natürlicher fühlte sich dessen Gegenwart an. Wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, zweifelte er nicht länger an Hawks‘ Absichten. Dieser hatte Enji bereits zweimal das Leben gerettet – einmal ohne dessen Wissen – und ebenso dem kleinen Shouto. Was für eine List sollte das sein, die den Dämon beinahe sein Leben gekostet hatte? Sie hätten ihn des Misstrauens wegen töten können, damit hätte er also nichts gewonnen. Nein. Warum auch immer Hawks trotz seiner dämonischen Herkunft das Herz am rechten Fleck hatte – es musste so sein.

Wie hatte Aizawa einmal gesagt? Warum sollte es nicht auch unter den Dämonen solche und solche geben – wie auch bei den Menschen? Apropos Aizawa…Toshinori war sich nicht sicher, doch er musste ihn mit irgendetwas verärgert haben. Anders konnte er es sich nicht erklären, dass der ohnehin schon recht stille Mann plötzlich so wortkarg zu ihm war.

Das war schade, denn er genoss es, sich mit diesem zu unterhalten. Es war nicht so, dass Enji als Weggefährte keine Herausforderung darstellte, doch sie waren seit Jahren Freunde. Aizawa war zwar oft ähnlich negativ eingestellt, aber er hatte dennoch eine andere Sicht auf die Welt. Toshinori fühlte sich durch seine ungeschönten Worte nicht beleidigt – im Gegenteil, es reizte ihn, mehr über den verschlossenen Einsiedler herauszufinden.

Allerdings wollte er ihn ebenso wenig bedrängen, weswegen er das Thema erstmal nicht ansprach. Ohnehin kamen sie ihrem Ziel immer näher und sie mussten sich bald überlegen, wo sie Hawks unterbringen konnten. Da der Dämon immer noch nicht ganz fit war, wollten sie ihn weder sich selbst überlassen, noch ihn ins Dorf mitnehmen. Würde ihn jemand erkennen, konnte das für sie alle vier böse enden.
 

„Wären seine Flügel nicht so verdammt riesig und auffällig, wäre es einfacher“, knurrte Enji, der Feuersturm am Zügel durch den Wald führte.

Sie hatten ihre Habseligkeiten in den Satteltaschen des Fuchses verstaut, während Hawks wieder über Morgensterns Rücken hing. Er tätschelte seiner Stute den Hals, hielt ihre Zügel locker in der Hand. Hinter ihm schnaubte Hawks beleidigt.

„Tut mir ja echt leid, dass euch meine Flügel solche Umstände machen…“

„Hmpf.“

Toshinori schwieg einen Moment, ehe er über seine Schulter zu dem Dämon sah, dessen Flügel gerade unter der Decke versteckt waren. Dennoch sah man natürlich ein paar rote Federn darunter hervorschauen.

„Enji hat leider Recht, Hawks. Es birgt ein gewisses Risiko, dich in ein Dorf mitzunehmen.“

Er sah der Harpyie den Unwillen an, doch es war nun einmal die Wahrheit.

„Also lasst ihr mich hier irgendwo schutzlos zurück? Was ist mit deinem Versprechen, Rotschopf? Was ist, wenn Menschen vorbeikommen und mich erledigen? Oder andere Dämonen? Weil sie meine Schwäche riechen? Was wenn-“

„Davon hat überhaupt keiner was gesagt!“, blaffte Enji diesen an.

„Es ist aber die logische Konsequenz“, bemerkte Aizawa, der ein paar Schritte hinter ihnen ging.

„Wenn Ihr keinen besseren Vorschlag habt, dann schweigt doch einfach still, Aizawa“, grollte Enji genervt.

Der dunkelhaarige Mann schaute ihn ohne jede Regung an, ließ sich von den Worten nicht provozieren, als er erneut das Wort erhob.

„Vielleicht habe ich den?“, gab er ruhig zurück. „Ich könnte mit ihm an der Grenze zum Dorf warten und dafür sorgen, dass ihm nichts passiert, während Ihr euren Auftrag erledigt.“
 

Für ein paar Sekunden sagte keiner von ihnen etwas. Dann blieben sowohl Toshinori als auch Enji stehen und wandten sich zu ihm um. Auch Hawks hatte ihm den Kopf zugedreht, wirkte nicht minder irritiert.

„Also, auch wenn das ja nett gemeint ist – ich will mich nicht trennen. Die kämpfen gegen einen Dämon! Da brauchen sie bestimmt unsere Hilfe! Wir sind doch keine Kameradenschweine!“, empörte er sich, woraufhin Aizawa eine Braue hob.

„Ich-“

„Davon abgesehen, dass Ihr es kaum mit einem Dämon oder einem Mob Dörfler aufnehmen könntet“, fuhr Enji abfällig fort.

„Wie könnt-“

„Ich bin ebenfalls dieser Meinung, Aizawa-san“, wandte Toshinori ernst ein. „Wir lassen weder Euch noch Hawks zurück. Wir müssen einfach die bestmögliche Entscheidung für unsere Gruppe treffen.“

Man sah Aizawa an, dass es ihm absolut nicht passte. Anhand des zornigen Funkelns in den dunklen Augen rechnete Toshinori bereits mit Widerspruch, doch stattdessen knurrte der andere nur etwas Unverständliches und schritt einfach an ihnen vorbei.

Neben ihm stieß Enji ein Schnauben aus, während sie beide dem Einsiedler nachsahen.

„Er ist heute noch unausstehlicher als sonst“, bemerkte sein Freund.

Toshinori beließ es bei einem stummen Nicken, wollte sich nicht hinter Aizawas Rücken dazu äußern. Das gehörte sich einfach nicht.

„Oi, was auch immer unseren Freund gebissen hat“, fiel Hawks in ihr Gespräch ein. „Wieso versuchen wir nicht, eine Hütte irgendwo abseits für die Unterbringung zu bekommen? Dann bleibe ich da den Tag über und nachts, wenn es eh dunkel ist, schleichen wir gemeinsam herum und suchen nach Hinweisen! Na? Wie klingt das?“

„Nach einer leichtsinnigen Aktion“, brummte Enji, doch Toshinori unterbrach ihn, bevor er weitersprechen konnte.

„…die wir aber überdenken sollten, da wir keine bessere Idee haben. Nicht wahr?“

Er lächelte den Rothaarigen an, welcher daraufhin abermals schnaubte und mit den Schultern zuckte.

„Von mir aus. Behalten wir es im Hinterkopf“, meinte er bloß und hielt kurz inne.

Mit grimmigem Blick ließ er Feuersturms Zügel los und stellte sich neben die Harpyie, um die Decke über die Federn zu ziehen. Hawks sah ihn im ersten Moment erstaunt an, dann gurrte er erfreut.

„Aww…so fürsorglich, Rotschopf~!“

„Klappe. Ich hab nur keine Lust, dass du uns Probleme machst“, knurrte Enji und trat dann wieder zu Feuersturm, welcher aufmerksam die Ohren gespitzt hielt.

„Was auch immer du sagst“, zwitscherte Hawks, was Toshinori zum Schmunzeln brachte.

Nun, Hawks‘ Flügel waren die eine Sache, die Klauen jedoch eine ganz andere und da er immer noch über Morgensterns Rücken hing, waren diese auch nicht so leicht zu übersehen. In Schuhe würden diese Füße nicht passen, sie aufgrund der Klauen gar zerfetzen. Aber gut, vielleicht war der Vorschlag mit der abgeschiedenen Hütte ja doch nicht so schlecht.

Sein Blick glitt zu Aizawa, der schon ein Stück vorausgegangen war, woraufhin er leicht an Morgensterns Zügeln zog und mit dieser folgte. Sie würden ja sehen, was sich vor Ort ergab.
 

Sie waren kaum eine weitere halbe Stunde unterwegs, als Hawks plötzlich ruckartig den Kopf hob und einen unangenehm schrillen Laut ausstieß. Nicht nur Toshinori zuckte heftig zusammen, auch die beiden anderen erschraken und fuhren zu ihm herum. Die Pferde rissen plötzlich wiehernd an den Zügeln, sodass sie diese nur mit Mühe vom Scheuen abhalten konnten.

„Was zum…spinnst du?!“, zischte Enji den Dämon zornig an, doch dieser starrte zu einem Punkt in der Ferne.
 

Seine Pupillen waren wieder schlitzförmiger, wie es der Fall war, wenn er jagte.

„Etwas kommt auf uns zu – wir müssen den Pfad verlassen! Sofort!“, kam es hektisch von Hawks. „Los!!“

„Was? Aber wieso-“

„Macht schon!!“, fiel ihm die Harpyie mit Nachdruck ins Wort, doch es war bereits zu spät.

Etwas sprang mit einem lauten Quieken aus dem Dickicht, riss Aizawa, der vor ihnen ging, beinahe um, doch gerade noch rechtzeitig machte das panische Tier einen Schlenker zur Seite. Zu Aizawas Glück, denn die Hauer des Wildschweins hätten ihm ernsthafte Wunden zufügen können. Das Tier war anscheinend nicht aggressiv, denn es lief nicht frontal auf sie zu, sondern stürmte seitwärts an Toshinori vorbei, der reflexartig zu seinem Schwert gegriffen hatte. Er fühlte Erleichterung, dass es nichts Schlimmeres war, und wollte sich gerade nach dem dunkelhaarigen Einsiedler erkundigen, als Hufgetrappel den Boden erbeben ließ…und Toshinori begriff, dass es nicht das Wildschwein gewesen war, vor dem Hawks sie gewarnt hatte.

Im selben Moment flog ein Pfeil wie aus dem Nichts hervor und landete vor ihnen im Boden, was sie alle zum Anlass nahmen, zu ihren Waffen zu greifen. Wenn das ein Überfall war, würden diese Männer ihr blaues Wunder erleben, so viel stand fest. Die fünfköpfige Gruppe zu Pferde raste in einem Tempo auf sie zu, das Toshinori zuerst befürchten ließ, sie würden sie niedertrampeln wollen – doch dann zügelten sie ihre Pferde, brachten diese zum Stehen.

„Oh mein Gott! Seid Ihr verletzt?!“

Die Frage klang ehrlich besorgt und kam von einem jungen Mann mit ungewöhnlich hellem Haar, das im Licht bläulich schimmerte. Seine gebräunte Haut stand dazu im starken Kontrast, ebenso wie die Narbe, die sich über seiner Nase befand. Dunkelblaue Augen schweiften von einem zum anderen, was Toshinori flau im Magen werden ließ – wenn diese Männer Hawks als das erkannten, was er war, würde sie das in Schwierigkeiten bringen. Vor allem da die teure Kleidung des Mannes und dessen offensichtliches Gefolge darauf schließen ließ, dass dieser einen höheren Rang innehatte.

„Ich habe Sensoji noch gesagt, dass er nicht einfach schießen soll“, fuhr der Mann fort, als keiner von ihnen antwortete.

Einer der hünenhaften Krieger neben ihm schnaubte bloß, schien sich keiner Schuld bewusst zu sein.

„Das hätte in der Tat ins Auge gehen können“, knurrte Enji, woraufhin der blauhaarige Fremde schief lächelte.

„Umso mehr freut es mich, dass Ihr wohlauf seid und nichts-“

Toshinori runzelte die Stirn, als der Mann verstummte und mit einem Mal seine Augen aufriss, den Blick dabei auf Aizawa gerichtet. Erst jetzt fiel ihm auf, wie blass der Einsiedler war…und wie verkrampft er dort stand. Beinahe so, als…fürchtete er sich?

„Shouta? Bist…du das etwa?“, kam es zögerlich von dem Fremden und er stieg von seinem Pferd.

Solch einen Ausdruck hatte Toshinori bisher nicht von Aizawa gekannt und mit einem Mal kam ihm dessen Vorschlag, mit Hawks zurückzubleiben, in den Sinn. Konnte es sein, dass es dabei nicht um die Harpyie gegangen war? Das würde jedenfalls erklären, warum Aizawa aussah, als würde er am liebsten weglaufen. Da war etwas Schmerzhaftes in dessen Blick, das Toshinori beunruhigte. Hatte er ein Problem mit diesem Mann? Mussten sie Aizawa helfen? Was war vorgefallen?

Als der Blauhaarige auf den Einsiedler, der immer noch still blieb, zuging, griff er reflexartig an seine Seite, legte die Finger an sein Schwert. Sofort taten es ihm die vier Männer gleich und er fühlte Enjis Hand auf seiner Schulter, die ihn warnte, vorschnell zu handeln. Dieser hatte natürlich Recht, doch er hatte Aizawa geschworen, ihn zu beschützen – das galt nicht bloß für Dämonen. Sie waren immerhin Mitstreiter.
 

Womit Toshinori nicht gerechnet hatte, war, dass der Fremde plötzlich die Arme um Aizawa schlingen und ihn in eine innige Umarmung ziehen würde. Enjis Hand glitt von seiner Schulter, während sie beide verwirrt zu der Szene sahen, die sich vor ihnen abspielte. Denn Aizawa wehrte sich nicht dagegen, sondern ließ sich widerstandslos umarmen, was völlig unüblich für den sonst so abweisenden Mann schien. Auch die Krieger wirkten offensichtlich irritiert davon, dass ihr Herr den Einsiedler zu kennen schien. Sogar recht gut, wenn man bedachte, dass er ihn mit seinem Vornamen ansprach und so vertraut berührte.

„Du meine Güte, wie lange ist das her? Es müssen Jahre sein! Schau, wie alt wir geworden sind und…oha!“

Der Fremde hielt nun Aizawas Schultern fest und drückte ihn ein Stück von sich, um ihn zu betrachten, wobei seine Augen leuchteten.

„Du musst dich dringend rasieren, mein Freund!“, meinte dieser lachend. „Und mir deine neuen Freunde vorstellen! Ihr seid natürlich alle eingeladen! Freunde von Shouta sind meine Freunde!“

Aizawa öffnete den Mund, doch anscheinend fehlten ihm die richtigen Worte, sodass er bloß einen flüchtigen Blick in ihre Richtung warf. Was war nur mit dem sonst so schlagfertigen Mann los, dass dieser aussah, als wäre er in der Situation gefangen?

„Entschuldigt bitte, wie unhöflich von mir! Mein Name ist Shirakumo Oboro und mir gehören diese Ländereien. Fühlt Euch daher willkommen und kommt gern mit uns. Ihr scheint eine lange Reise hinter Euch zu haben – und verzeiht die Frage, aber geht es Eurem Freund dort hinten nicht gut? Wir haben erstklassige Heiler in meinem Schloss.“

Sowohl Toshinori als auch Enji stutzten und sie starrten den Mann an, ehe sie den Kopf vor diesem neigten.

„Ihr seid…Shirakumo-sama? Dann stammt der Auftrag also von Euch?“, hakte Toshinori noch einmal nach. „Yagi Toshinori und Todoroki Enji. Wir wurden hergerufen, um den Überfällen im Dorf nachzugehen.“

„Oh! Na, das trifft sich doch wunderbar!“, rief Shirakumo freudig aus. „Ein weiterer Grund, dass Ihr mich begleiten solltet! Dann kann ich Euch direkt über die neusten Geschehnisse aufklären und Ihr könnt Euch zudem stärken. Und mir erzählen, wie Ihr Shouta kennengelernt habt.“

Er zwinkerte ihnen zu, während er den Dunkelhaarigen immer noch hielt, so als würde er fürchten, dass dieser sonst verschwinden würde. Nun, bei Aizawas finsterer Miene war das nicht weit hergeholt, doch scheinbar resignierte er.

Toshinori tauschte einen Blick mit Enji, welcher wohl dasselbe dachte wie er selbst; wie sollten sie Hawks ins Schloss kriegen, ohne dass jemand bemerkte, was er war? Das konnte nicht gut gehen. Wenn sie jedoch ablehnten, war das gleichermaßen unhöflich und verdächtig, sodass diese Möglichkeit gleichsam wegfiel.
 

„Unser Freund hat eine seltene Hautkrankheit“, wandte sich Aizawa plötzlich an den Blauhaarigen, welcher die Stirn runzelte. „Sie ist nicht ansteckend, schmerzt und entstellt ihn jedoch, weswegen er sich nicht gern ansehen lässt. Es wäre daher gut, wenn wir ungesehen mit dir kämen…und er sich ein wenig ausruhen könnte.“

Shirakumo stockte kurz, sah von Aizawa zu Hawks, welcher sich möglichst vermummt und seine Beine angezogen hatte, um nicht enttarnt zu werden. Einen besseren Vorschlag hätten sie jedenfalls nicht machen können. Fragte sich nur, ob ihnen Shirakumo glaubte…

„Das tut mir schrecklich leid“, kam es von diesem und Toshinori atmete innerlich auf. „Selbstverständlich werden wir es so halten.“

„Vielleicht solltet Ihr voranreiten und Euren Leuten Bescheid geben“, schlug Enji vor. „Nicht, dass sie sich über uns wundern.“

Shirakumo neigte den Kopf seitlich, schien zu überlegen, ehe er die Faust in die Handfläche schlug und sie breit angrinste.

„Da habt Ihr Recht! Sensoji, reite mit den Männern vor! Ich rücke mit Shouta und seinen Freunden nach – weit ist es ja sowieso nicht mehr.“

„Aber…Ihr…was ist mit Eurer Sicherheit?!“, kam es verdutzt von dem Hünen, woraufhin Shirakumo abwinkte.

„Ich kann auf mich aufpassen. Davon abgesehen können wir den beiden trauen. Todoroki und Yagi…die Namen sind mir in der Tat geläufig. Also zieht zum Schloss vor und gebt bereits die Räumlichkeiten in Auftrag.“

Es klang keine Bitte in den Worten mit, was deutlich machte, wer hier das Sagen hatte. Nun, da Shirakumo ein Fürst war, wunderte Toshinori dies nicht – auch wenn der junge Mann ansonsten recht locker wirkte. Er fragte sich, wie Aizawa diesen kennengelernt hatte – und ebenso, wie sie hatten Freunde werden können. Zumal ihm dessen Verhalten immer noch zu denken gab. War Shirakumo gar nicht so freundlich, wie er vorgab zu sein? Warum hatte Aizawa diesem aus dem Weg gehen wollen? Etwas musste vorgefallen sein…allerdings hatte der Einsiedler eingelenkt, war bereit, mitzukommen. Das hätte er doch nicht getan, wenn ihnen tatsächlich Gefahr drohte?

Toshinori versuchte, einen Blick mit seinem Kameraden zu tauschen, doch dieser wich ihm aus. Nun gut, er würde später mit ihm unter vier Augen sprechen, um zu erfahren, was das alles zu bedeuten hatte.

„Also dann…wollen wir?“, riss ihn Shirakumo aus den Gedanken, ein aufforderndes Lächeln auf den Lippen.

Toshinori erwiderte es schief, während die Männer bereits davon galoppierten.

„Sicher.“
 

Obwohl Shirakumo ein redseliger Typ Mensch zu sein schien, respektierte er anscheinend Grenzen – zumindest, was Hawks anging. Er hatte den vermummten Dämon kurz angelächelt und ihm versichert, dass dieser ihm ebenfalls willkommen war, ehe er das Gespräch auf sie drei fokussierte.

Hauptsächlich auf Aizawa, der mit ernster Miene neben ihnen ging und keinen Hehl daraus machte, wie sehr ihm das alles missfiel.

„…Ihr habt euch also bei einer Dämonenjagd kennengelernt? Das klingt aufregend!“, kommentierte Shirakumo die Geschichte des Wurmdämons.

Toshinori hatte wohlweislich sowohl Hawks als auch diverse Details weggelassen, die sie verdächtig hätten machen können. Dieser Mann musste nicht zu viel wissen, doch da er ebenfalls ein übernatürliches Problem zu haben schien, hielt er sie immerhin nicht für Spinner. Die blutleeren Leichen klangen nicht nach einem menschlichen Mörder.

„Du bist heute bestimmt noch besser mit dem Bogen als damals, hm?“, wandte sich Shirakumo an Aizawa und stupste diesen leicht mit der Schulter an.

„…kann sein.“

„Haha, immer noch so bescheiden! Als wir jung waren, konnte ihn keiner schlagen, wisst Ihr? Aber ich war dafür fähiger mit dem Schwert!“

Toshinori blickte ihn mit gewisser Neugierde an.

„Ihr seid zusammen aufgewachsen?“, erkundigte er sich, wobei er hoffte, dass Aizawa ihm der Frage wegen nicht böse sein würde.

„Nicht von Anfang an“, erwiderte der Blauhaarige und überlegte kurz. „Shouta hat mir mal aus der Patsche geholfen, da müssen wir…wie alt gewesen sein? Zehn? Jedenfalls haben ein paar Freunde und ich so eine dumme Mutprobe ausgemacht. Was bei einem Händler klauen, ohne erwischt zu werden. Meine Eltern hätten mich umgebracht, wenn sie davon erfahren hätten. Ohne Shoutas Hilfe hätte ich nicht fliehen können und na ja, ich wollte mich revanchieren und habe ihm unter anderem die Schwertkunst beigebracht.“

„War er damals auch so ein freundlicher Geselle?“, brummte Enji sarkastisch, ignorierte dabei Toshinoris mahnenden Blick.

Shirakumo jedoch nahm es mit Humor, denn er grinste breit.

„Nun, er hat mich einen reichen Blödmann genannt – was denkt Ihr?“

Aizawa schnaubte.

„Du warst ein reicher Blödmann. Ich war bloß ehrlich.“

„Das will ich nicht bestreiten“, kam es schmunzelnd zurück. „Na jedenfalls haben wir uns auf die Weise kennengelernt und sind Freunde geworden. In meiner Position findet man selten wahre Freunde – Ihr als Krieger wisst vielleicht, was ich meine.“

Toshinori entging nicht, wie Enjis Blick für einen Moment zu ihm hinüberflackerte, jedoch sagte dieser nichts dazu, nickte bloß knapp. Ja, ihnen beiden ging es ähnlich. Toshinori musste unweigerlich lächeln.
 

„Ja, in der Tat“, bestätigte er, woraufhin Shirakumo sein Lächeln erwiderte.

„Und warum entscheidet man sich dafür, in einen Wald mit unzähligen Katzen auszuwandern, anstatt der Vertraute eines Fürsten zu sein?“

Von Hawks hinter ihnen ertönte ein Laut, der deutlich machte, dass er Enji am liebsten einen Tritt verpasst hätte. Nun, die Frage war wirklich nicht sonderlich nett ausgedrückt, aber Toshinori konnte ihn nicht permanent zurechtweisen. Zumal der Kern der Frage durchaus interessant war.

„Du bist immer noch so vernarrt in Katzen? Das hätte mir klar sein müssen“, feixte Shirakumo. „Mich wundert es, dass du Sushi damals nicht mit dir genommen hast. Eh, Sushi ist übrigens ein Kätzchen, das wir gefunden und gemeinsam aufgepäppelt haben. Shouta hat sich damals rührend um sie gekümmert!“

„…ihr Zuhause war bei dir“, entgegnete Aizawa knapp, dem das Thema unangenehm zu sein schien.

„So wie deins.“

Auf die ernst gesprochenen Worte hin konnte man erahnen, dass Shirakumo nicht damit einverstanden gewesen war, dass Aizawa gegangen war. Toshinori fragte sich, was vorgefallen war. Es musste doch einen Grund dafür gegeben haben, dass sich Aizawa allein auf die Reise gemacht hatte. Ohne die Katze, die er sicher geliebt hatte…und ohne einen Freund wie Shirakumo, der wohl keinen Wert auf den Rang einer Person legte. Zumal ihm Aizawas Blick zu denken gab; war das Wehmut? Was es auch war, es verschwand jedenfalls im nächsten Moment wieder.

„Ich hatte meine Gründe“, erwiderte er nur, woraufhin Shirakumo seufzte.

„Ja. Das sagtest du damals bereits, auch wenn ich es bis heute nicht verstehe.“

Aizawa schwieg daraufhin, blickte starr auf den Weg vor ihnen. Was ihm wohl durch den Kopf gehen mochte? Shirakumo blies jedoch nicht lange Trübsal, sondern legte ihm die Hand auf die Schulter, ein Lächeln auf den Lippen.

„Wie auch immer, es freut mich, dass du zurück bist – und Freunde gefunden hast!“

„Wir sind n-“

„Auch wenn die Umstände leider recht unglücklich sind. Ich werde Euch beim Essen alles erzählen, was bereits in Erfahrung gebracht wurde.“

Enji gab ein zustimmendes Brummen von sich, während Toshinori nickte. Sie durften nicht vergessen, wozu sie hier waren. Auch, wenn ihn Aizawas Verhalten beschäftigte…
 

Shirakumos Schloss erinnerte Toshinori an das, in dem er selbst aufgewachsen war, nachdem man ihn aufgenommen hatte. Die hohen Mauern hatten damals einschüchternd auf ihn gewirkt und es war ihm zunächst schwer gefallen, sich hinter ihnen wohl zu fühlen. Mit all dem Prunk und der Dienerschaft, die einem jeden Wunsch erfüllte, weil er der junge Herr war. Er hatte sich nie ganz in diese Rolle einfinden können, erledigte auch heute noch lieber alles selbst.

Ihre Räumlichkeiten waren bereits hergerichtet worden, sodass Hawks direkt die seinen bezog. Es war offensichtlich, dass der Dämon nicht am Essen teilnehmen würde. Ein Blick in die bernsteinfarbenen Augen machte deutlich, wie sehr es ihn stresste, unter so vielen Menschen zu sein. Von seinem selbstbewussten Charakter merkte man in dieser Situation nichts mehr, doch dies war nur allzu verständlich. Shirakumo gab sich mit der Ausführung darüber, dass es ihrem Kameraden nicht gut ging, zufrieden und ordnete an, dass man ihm etwas zu essen und zu trinken aufs Zimmer bringen würde.

Nachdem auch die Pferde untergestellt waren und versorgt wurden, machten sie sich kurz frisch und folgten Shirakumo dann in den riesigen Speisesaal, der bereits gefüllt war.

„Oh mein Gott!!“, ließ sie ein Ausruf zusammenzucken. „Ich konnte es gar nicht glauben…du bist es wirklich!! Aizawa!!“

Und bevor irgendeiner von ihnen reagieren konnte, wirbelten grüne Haare durch die Luft und jemand schmiss sich auf ihren Reisegefährten, der ein ersticktes Geräusch von sich gab.

„Es ist so schön, dich wiederzusehen!! Das muss ja Jahre her sein!!“

Shirakumo musste lachen, während Toshinori und Enji verdutzt zu der jungen Frau sahen, die sich Aizawa ohne Scheu an den Hals geschmissen hatte. Eigentlich gehörte sich so etwas nicht, aber der Umgang schien hier generell nicht so förmlich zu sein.

„Darf ich Euch meine Frau vorstellen? Emi.“

Toshinori musterte diese kurz, wobei ihm auffiel, dass sie als Dame des Hauses recht praktisch gekleidet war. Ihre weiße Bluse steckte in einem knöchellangen, dunkelgrünen Rock, der zu ihren Haaren passte, dazu trug sie ein Paar braune Stiefel. Nicht die auffälligen Gewänder einer Fürstin und dies wunderte ihn doch etwas.

„Emi, das sind Yagi Toshinori und Todoroki Enji. Sie sind hier wegen der Vorfälle.“

Die junge Frau ließ von Aizawa ab, welcher sichtlich erleichtert darüber war, und lächelte sie an.

„Es freut mich, Euch kennenzulernen! Und habt Dank, dass Ihr den Weg auf Euch genommen habt, um uns zu helfen. Die Vorfälle häufen sich leider und wir möchten, dass sich die Menschen hier wieder sicher fühlen können. Ebenso wie unsere Familie.“

Sie neigte mit einem warmen Lächeln den Kopf, woraufhin Shirakumo den Arm um sie legte.

„Emi trägt unser erstes Kind in sich“, klärte er sie auf und sein Ausdruck hätte nicht stolzer sein können. „Von daher liegt mir natürlich umso mehr daran, dass diesem Schrecken ein Ende gesetzt wird.“

Toshinori nickte verstehend.

„Natürlich. Unseren Glückwunsch…und unser Versprechen, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, damit diese Morde aufhören.“

Während Enji neben ihm ebenfalls gratulierte und sich Shirakumo und seine Frau bedankten, schweifte Toshinoris Blick kurz zu Aizawa. Dessen Miene wirkte regelrecht versteinert, doch als er bemerkte, dass er ihn ansah, wandte er sich sofort ab.

„Nun denn, lasst uns erst einmal gemeinsam essen. Ihr müsst hungrig und erschöpft von Eurer Reise sein!“, hörte er Shirakumo sagen und sah zu diesem.

Seine Gedanken hingen jedoch bei Aizawa fest. Nein. Etwas war in der Tat nicht in Ordnung. Und er würde noch herausfinden, um was es sich dabei handelte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Lichtregen
2021-05-08T08:48:42+00:00 08.05.2021 10:48
Huhu!
Wenn Toshi das Kapitel mit seinen positiven Gedanken einleitet, wird einem immer erst ganz warm ums Herz. :) Jaja, ein bisschen isr er ja schon ein Moralpostel; aber wenigstens lässt er das nicht so raushängen, sondern hält sich eher bedeckt. Mitreden kann er ja auch eh nicht und seine Einwände würden bei seinen Gefährten ohnehin aber auf taube Ohren stoßen. ;)
Scharfe Augen hat er jedenfalls auch, wenn er sieht, dass sich etwas zwischen Hawks und Enji verändert hat. :)
Im Kontrast dazu dann der grummelnde Enji, der natürlich zu Recht auf die Probleme, Hawks unbemerkt einzuschleusen, hinweist. Und Aizawa, gaaaanz selbstlos, erklärt sich bereit, mit Hawks zurückzubleiben. XD
Hawks‘ Interpretation, als Enji ihn zudeckt, um die Flügel zu verstecken, hat mich auch sehr amüsiert. Enji, der olle Grummelgriesgram, kann ruhig mal zugeben, dass er auch ein wenig Fürsorge zeigt. XD
Jaah, und dann das Wiedersehen! Gut eingeleitet mit dem Wildschwein und der Sorge Toshis, es handele sich um Banditen. Aber falsch gedacht! Stattdessen ist es ein alter Bekannter von Aizawa, der wirklich absolut not amused darüber ist, dass der Fremde in einfach so in die Arme schließt. Die Irritation der anderen konnte ich mir bildlich vorstellen. XD
Shirakumo ist so... sooo freundlich! Als ob die Sonne aus seinem Gesicht strahlt! Und noch krasser als beim heiteren Toshi. Dass da große Vergleiche gezogen werden, liegt ja auf der Hand. ;)
Toshi macht sich natürlich gleich Gedanken zu ihrer Vergangenheit und was vorgefallen sein mag, dass Aizawa so abweisend reagiert. Auf die Aufklärung, auch wenn ich sie schon kenne, freue ich mich auch schon.
Als Shirakumo erzählt, wie sich kennengelernt haben, und Enjis bissige Kommentare zu Aizawas „freundlichem“ Wesen haben mich sehr erheitert. Und Toshi versucht, die Wogen zu glätten. XD
Bester Satz: „Du warst ein reicher Blödmann. Ich war bloß ehrlich.“ XD
Wieso Aizawa fortgegangen ist, werden wir ja noch erfahren. ;) Aber es war echt so dermaßen „in your face“, als sie auf seine Frau stoßen und diese auch noch schwanger ist. Armer Aizawa.
Toshi, der Meisterdetektiv, wird sich dieser Frage noch annehmen. ;)
:-*
Ali


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