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Ai no Scenario

von

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Shinichi’s Gedanken rasten. Er saß auf einem der Barhocker im Carpe Noctem, sein Mobiltelefon mit der Nachricht von Bram lag vor ihm auf dem Tresen. Er konnte sich nicht konzentrieren, konnte sich nicht fokussieren, die Vampire um ihn herum, die Stimme, die Geräusche, das Licht, alles verschwamm in seinem Kopf und das Einzige, was sich klar herauskristallisierte, das Einzige, das durch alles durchsickerte war eine nackte Panik die von ihm Besitz ergriffen hatte.

Kaito war in Bram’s Hände gefallen. Bram hatte erkannt, was der Junge für ihn bedeutete und hatte ihn entführt. Und jetzt verwendete er ihn als Druckmittel um nicht nur Shinichi sondern vor allem Akihito in die Finger bekam.

Dass Bram Kaito als Braut bezeichnet hatte war ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der Jäger über das Band zwischen den beiden Bescheid wusste. In einer Vampirhochzeit war immer der Mensch die Braut.

Aber warum? Warum hatte Bram die ganze Zeit ruhig gehalten und Kaito nicht schon früher geschnappt? Warum erst jetzt?

Shinichi’s Augen weiteten sich leicht und eine Erkenntnis überkam ihn. Eine Erkenntnis, die Übelkeit in ihm aufsteigen ließ.

Bram hatte Kaito in Ruhe gelassen, weil er nicht erwartet hatte, dass er Bescheid wusste. Vermutlich hatte er tatsächlich einfach angenommen, dass es Zufall gewesen war, dass Kaito Shinichi gerettet hatte. Vermutlich hatte er gar nicht realisiert was passiert war.

Doch Shinichi war bei Kaito in der Schule aufgetaucht. Er hatte ihn aus dem Klassenzimmer rausbeordert und in aller Öffentlichkeit geküsst. Wenn Bram ihn beobachtet hatte, wenn Bram Shinichi verfolgt hatte um eine Schwachstelle in seinem Clan zu finden indem er das jüngste Mitglied benutzte, dann hatte er garantiert gesehen wie Kaito und Shinichi sich innig geküsst hatten, wie sie einander in den Armen gelegen hatten.

Shinichi selbst hatte Kaito dazu verdammt Bram’s Druckmittel zu werden. Wenn er nur auf Akihito gehört hätte, dann wäre das alles nicht passiert. Dann hätten sie Kaito morgen zusammen von Zuhause abgeholt und in Akihito’s Apartment untergebracht und dem Magier wäre nichts zugestoßen.

Aber so? Wer wusste schon, was Bram mit ihm anstellen würde.

„Shinichi“, Miyoko’s sanfte Stimme und die kühle Hand an seiner Wange rissen ihn aus den Gedanken. Er sah die Vampirin fragend an und schon allein an ihren Augen, der Blick voller Mitleid, konnte er sehen wie schrecklich er wohl gerade aussehen musste. Ein schwaches, unechtes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Wenn er nur ansatzweise so aussah wie er sich fühlte war es eine Katastrophe.

„Es ist meine Schuld“, wisperte er leise und senkte den Blick. „Wenn ich nicht so übereifrig gewesen wäre, wenn ich nicht so sehr darauf beharrt hätte ihn wenigstens kurz zu sehen, dann hätte ich Bram niemals auf ihn aufmerksam gemacht.“

„Du kannst nichts dafür“, erwiderte Miyoko sanft und strich behutsam durch Shinichi’s Haare, „Es war das Band, dass dich zu ihm gezogen hat.“

Der Schülerdetektiv verzog das Gesicht. Für ihn war das keine Ausrede, er hätte es besser wissen müssen, hätte klüger handeln müssen, sich nicht von seinen Gefühlen hinreißen lassen sollen. Er hatte Kaito verdammt und er würde ihn da wieder rausholen, egal, was die Diskussion zwischen Akihito und Shigure ergab.

Die beiden hörten nicht auf sich anzuschreien und es verursachte Shinichi Kopfschmerzen.

Miyoko schien zu bemerken, dass es dem Jungen nicht gut ging. Sie umfasste sein Gesicht und zwang ihn mit sanfter Gewalt sie anzusehen. Besorgt musterte sie sein Gesicht: „Du hast Hunger, nicht wahr? Ich hol dir was.“

Langsam ließ sie von Shinichi ab, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. „B, oder?“

Er nickte. „Positiv oder negativ?“ Shinichi zögerte. „Negativ…“

Miyoko nickte und verschwand aus der Bar in einen der Nebenräume. Shinichi indes ließ seinen Blick durch den Raum wandern. Akihito und Shigure standen beim Billardtisch und schrien sich an. Es war ein unheimlicher Anblick. Akihito war hochgewachsen und hatte kurzgeschorenes, weißes Haar. Er trug stets eine Art Anzug, meistens aber mit offenem Blazer, oder einem ärmellosen Sweater. Casual-chick hätte Shinichi gesagt, wenn er dem Kleidungsstil einen Namen geben müsste. Das einzige, was an seinem Look störend war, waren die Handschuhe die er trug. Aber Akihito legte sie nie ab.

Shigure indes war, obwohl Akihito schon groß war, noch einen Kopf größer. Er hatte dunkles, strähniges Haar welches er unter einer Wollmütze versteckte, ähnlich wie Shuichi Akai. Er trug einen langen, dunklen Mantel und wirkte allgemein wie jemand, der nicht auffallen wollte. Und das tat er normalerweise auch nicht. Shigure war jemand, der im Untergrund lebte, jemand der die Augen der Menschen und anderen Vampire mied. Lediglich wenn er seine Bar am Abend öffnete und die Gäste bewirtete war er offen genug um Smalltalk zu führen und sich für das Befinden der Anwesenden zu interessieren, egal ob Mensch oder Vampir.

Dass er sich jetzt ein Schreiduell mit Akihito darüber lieferte, wie klug es war in eine offensichtliche Falle zu laufen war etwas, das Shinichi niemals erwartet hätte.

Aber sie waren nicht die einzigen Anwesenden. Das Geschrei und die Unruhe hatte auch einige andere Bewohner in die Bar gelockt. Die Zwillinge waren zurückgekehrt und saßen am anderen Ende des Billardtisches auf der Kante. Sie beobachteten aufmerksam den Streit der zwei Riesen.

Auch Keisuke war aufgetaucht. Er war ein besonderer Vampir, verwandelt worden bevor er aus dem Kindesalter rauswachsen konnte. Der Junge löste in Shinichi Erinnerungen an seine Zeit als Conan aus. Ein alter Geist im Körper eines Kindes.

Shigure hatte sich seiner angenommen und ihm nicht nur ein Zuhause, sondern auch so etwas wie eine Familie gegeben. Auch, wenn Akihito der eigentliche Anführer des Clans war, für Keisuke galt Shigure’s Wort über allem.

Shinichi wunderte sich, dass nicht noch mehr der Bewohner des Hauses runtergekommen waren, aber vermutlich war nicht jeder so neugierig wie diese drei.

Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als Miyoko den Raum betrat, eine Blutkonserve in der Hand. Sie reichte diese Shinichi mit einem Lächeln: „Hier. Und keine Sorge, dem Lautstärkepegel nach zu urteilen sind die beiden bald fertig mit ihrer Diskussion.“

„Das kannst du anhand der Lautstärke erkennen?“, fragte der Detektiv überrascht und nahm die Blutkonserve dankend entgegen. Er ließ seine Fangzähne wachsen und bohrte behutsam ein Loch in das Plastik der Verpackung, ehe er zu trinken begann. Neben seinen Gefährten war ihm das Blut trinken weniger unangenehm als neben Kaito.

„Ich kenne Shigure schon lange“, erklärte die rothaarige Schönheit und wandte ihren Blick zur Seite um die beiden schreienden Männer zu beobachten. „Shigure war der erste, den Akihito aufgenommen hat. Damals nicht als Anführer eines Clans, sondern als Partner, als jemand, der ihn auf seinen Reisen begleitete und mit ihm zusammen das Leben als Vampir erkundete. Mich haben die beiden erst etwa 50 Jahre später dazu geholt. Von da an war es für eine sehr lange Zeit nur wir drei…“

„Verstehe. Kein Wunder, dass du die beiden so gut kennst“, murmelte Shinichi und ließ die inzwischen leere Blutkonserve sinken. Sein Blick folgte dem Plastik in seiner Hand und er fragte sich, wann er selbst so sein würde wie Miyoko und Akihito und Shigure. Wann es wohl sein würde, dass er voll und ganz ein Vampir war, seine menschlichen Bande gelöst.

Allein der Gedanke daran, nicht mehr als Detektiv arbeiten zu können, nicht mehr mit Ran und Sonoko ins Tropical Land zu gehen, den Detective Boys beim Erwachsen werden zusehen, die Männer in Schwarz schnappen und Ai ihr Leben zurückgeben zu können oder den Professor beim Erfinden weiterer, verrückter Erfindungen zuzusehen schnürte Shinichi die Brust zu.

Die Tatsache, dass Kaito seinetwegen entführt wurde machte ihm schmerzlich bewusst, dass er dieses Leben als Mensch aufgeben musste. Für immer.

Er spürte, wie sich zwei Arme um ihn legten und einen Augenblick später fand er seinen Kopf auch schon wieder an Miyoko’s Brust gebettet. Sein erster Reflex war es sich der Berührung zu entziehen, doch die Vampirin glitt mit ihren Fingern durch seine Haare und irgendwie hatte es etwas Beruhigendes. Es fühlte sich an, als wäre er in den Armen seiner Mutter, die ihn nach einem Alptraum tröstete. Langsam schloss der Oberschüler die Augen und entspannte sich, genoss einfach nur die Berührungen, die Miyoko ihm zu Teil werden ließ.

Wenn sie ein Mensch wäre, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf, dann könnte ich jetzt auch ihren Herzschlagen hören.

„Na schön!“, schnauzte Shigure plötzlich und knallte mit der flachen Hand auf den Billardtisch, „Dann mach doch was du willst, Aki! Es ist mir scheißegal!“

Doch von Akihito kam keine Antwort mehr. Shinichi hob den Kopf und entzog sich so aus Miyoko’s Berührungen. Auch sie hatte bei dem Ausbruch aufgehört den Jungen zu streicheln. Neugierig beobachteten sie, wie Akihito Shigure anfunkelte, fast so als würde er ihm gleich an die Kehle springen. Dann seufzte der Vampir schwer auf, ließ die Schultern sinken und entspannte sich.

„Danke, Shi.“

Dann wandte sich Akihito von seinem alten Freund zu und sah Shinichi an. Sein Blick war streng, aber entschlossen.

„Ich möchte, dass du nach Hause gehst und dich ausruhst. Sieh zu, dass du genug trinkst, wenn du morgen aufstehst, und dass du fit bist. Wir treffen uns um 11 in meiner Wohnung, von dort ist es nur ein kurzer Spaziergang zu den Docks.“

Shinichi’s Augen weiteten sich leicht vor Überraschung: „Wir holen Kaito da raus?“

„Natürlich“, Akihito hob fragend eine Augenbraue an. „Hattest du erwartet, dass ich den Jungen seinem Schicksal überlasse?“

Shinichi verzog leicht das Gesicht und senkte beschämt den Blick. Ja, er hatte erwartet, dass Akihito sich nicht um Kaito scheren würde, dass er den Jungen einfach in Bram’s Händen lassen würde. Dass er alleine hingehen würde um Kaito zu retten.

„Wir brauchen trotzdem eine Strategie“, setzte der Weißhaarige fort und wandte sich von Shinichi ab, ohne auf dessen Scham zu reagieren.

„Shigure und Jun werden uns begleiten. Bram wird keine anderen Männer mit sich haben, er arbeitet alleine, aber er wird definitiv Fallen vorbereitet haben. Es ist gut, wenn wir einen Paladin und einen Jäger in unseren Reihen haben. Miyoko, ich möchte, dass du Blutkonserven in meiner Wohnung lagerst, so viele wie möglich. Es kann sein, dass wir kämpfen müssen und es kann sein, dass es blutig wird. Bram hat schon früher ganze Clans komplett alleine ausgelöscht, es würde mich nicht überraschen, wenn er auch bei uns beträchtlichen Schaden anrichtet. Wir müssen nur dafür sorgen, dass der Junge nicht stirbt, dann sollte alles in Ordnung sein.“

„Akihito“, der Anführer des Clans hielt inne und sah sein jüngstes Mitglied an. Shinichi’s Blick war fest entschlossen als er seine Frage stellte: „Was passiert mit Kaito, wenn ich es nicht schaffen sollte? Was hat… was hat diese Vampirhochzeit für einen Effekt auf ihn?“

„Wenn du stirbst? Keinen“, der Weißhaarige zuckte mit den Schultern. „Das Band erlischt, so einfach ist das. Es ist kein Band, dass den Tod übersteht. Wenn einer der beiden stirbt – zum Beispiel, wenn der Mensch die Verwandlung nicht überlebt – dann ist es als wäre das Band nie dagewesen.“

Das war eine Erleichterung für den Vampir. Der Gedanke, dass Kaito nach seinem Tod etwas Dummes tun würde, dass er ihm vielleicht folgen würde war etwas, dass Shinichi auf keinen Fall wollte. Selbst wenn er sterben sollte bei dem Versuch Kaito zu retten, so wollte er doch das wenigstens der Junge sein Leben noch genießen konnte.

„Gut, wenn das geklärt ist, dann mach dich jetzt davon. Du musst morgen ausgeruht sein. Bram will uns zu einer Zeit sehen, wo wir am Schwächsten sind, das heißt wir müssen dafür sorgen so fit wie möglich zu sein.“

Shinichi nickte. Er verabschiedete sich von den restlichen Vampiren, schnappte sich sein Telefon vom Tresen und machte sich schließlich, nachdem Miyoko noch mal sicher gegangen war, dass er keine Begleitung brauchte, auf den Heimweg.

 

Natürlich war es in dieser Nacht unmöglich für Shinichi zur Ruhe zu kommen. Er wusste, dass Akihito recht hatte, wenn er meinte, dass sie fit und bei vollem Besitz ihrer Kräfte in diesen Kampf ziehen mussten, aber was konnte der Schülerdetektiv schon dagegen tun, dass er einfach nicht einschlafen konnte?

Seine Gedanken kreisten sich um die Situation, um Kaito in den Händen des Feindes, um seine eigene Dummheit die ihn erst dort hingetrieben hatte und über das Band, dass Akihito als Vampirhochzeit bezeichnet hatte.

Es erklärte so vieles von dem, dass er sich nicht hatte erklären können. Sein plötzlicher Wunsch nach der Nähe des Magiers, sein plötzlicher Drang ihn zu berühren, ihn zu streicheln, zu küssen, das Gefühl mit ihm zusammen sein zu wollen, für immer, zusammen in der Unsterblichkeit.

Shinichi hasste sein Dasein als Vampir, hasste es, dass er selbst nie die Wahl gehabt hatte, sondern die Verwandlung ohne seine Einwilligung geschehen war, er hasste es, dass er seine Freunde, seine Familie verlassen musste, dass er ein Leben in Einsamkeit leben musste.

Nie wieder zur Schule gehen, nie wieder einen Tag im Vergnügungspark mit Ran und Sonoko, nie wieder arbeiten als Schülerdetektiv des Ostens erledigen.

Nie wieder KID bei einem seiner Überfalle aufhalten und seinem Namen als KID Killer alle Ehre machen.

Der Vampir rollte sich zur Seite und starrte stumm in die Dunkelheit des Raumes. Natürlich war es für ihn keine absolute Dunkelheit, dafür waren seine Augen schlichtweg zu gut, seine Sinne zu fein. Er war kein Mensch mehr und konnte, dank seiner neuen Instinkte die Barrieren, die sich ihm als Mensch aufgetan hatten, überwinden.

Er legte die Stirn in Falten, fragte sich erneut wie Bram es an jenem Tag geschafft hatte sich anzuschleichen, sodass er ihn nicht bemerkt hatte. Er war abgelenkt gewesen, das wusste er. War eingenommen gewesen von Kaito’s Präsenz.

Das hatte der Magier schon immer gekonnt. Shinichi’s Geist gefangen nehmen. Wenn er als Magier des Mondscheins auf leisen Schwingen durch die Nacht glitt und lautlos seine Beute schnappte, dann war es jedes Mal wieder ein Adrenalinschub den Magier zu enttarnen, seine Tricks zu durchschauen. Shinichi hatte immer nur Respekt für KID übriggehabt, für die langen Vorbereitungszeiten, die er benötigt hatte, die schweren Arbeiten, die er und sein Gehilfe sich aufhalsten, nur, damit die paar Sekunden, die der Trick dauerte umso spektakulärer waren.

KID war so ganz anders als Kaito und trotzdem hatten beide Seiten etwas Faszinierendes. Etwas, das Shinichi nicht losließ. Und er fragte sich erneut, kamen diese Gefühle wirklich von dem Band, dass sie aneinander kettete? Oder steckte da noch mehr dahinter?

Er rollte sich wieder auf den Rücken und starrte aus dem Fenster neben seinem Bett, hinauf zum Mond, welcher sich hinter ein paar Wolken versteckte.

Jetzt war keine Zeit darüber zu sinnieren wieviel von seinen Gefühlen für den Magier echt waren und welche nur durch diese uralte Magie zustande kamen. Es war Zeit zu schlafen und seine Kräfte zu sammeln um am nächsten Tag diesem vermaledeiten Vampirjäger gegenüber zu treten und dem Ganzen ein Ende zu machen.

Shinichi schloss die Augen und schaffte es nach einer Weile in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu versinken.

 

Es war ausnahmsweise nicht die Sonne, die ihn aus seinem Schlummer riss, indem sie direkt in sein Gesicht schien, sondern das Klingeln seines Weckers. Murrend tastete Shinichi sich mit einer Hand nach dem Mobiltelefon, welches auf dem Nachtkästchen neben dem Bett lag und brachte das klingelnde Etwas zum Schweigen. Er ließ die Hand sinken als die Aufgabe erledigt hatte und war verleitet noch einmal einzuschlafen, doch die Erinnerung daran, was er zu tun hatte überrollte ihn wie eine Welle den Strand.

Mit einem Mal saß er aufrecht im Bett und sah sich panisch um. Hatte er verschlafen? War er zu spät?

Nein, es war noch genug Zeit. Erleichtert seufzte der Vampir auf und schälte sich aus seinem Bett. Er hielt sich nicht lange mit Gähnen und Seufzen auf, sondern ging zielstrebig zu seinem Schrank um passende Kleidung rauszusuchen. Eine dunkle Hose aus festem Material, die Stürze wenigstens ein bisschen abfangen würde und ein dunkles Shirt mit Lederjacke, um diverse Wunden oder mögliches Blut zu tarnen. Auch, wenn die Docks meistens dünn besiedelt und nur Dockarbeiter dort anzutreffen waren, so war es doch besser kein Risiko einzugehen.

Nachdem er seine Kleiderwahl für den Tag getroffen hatte nahm er eine lange, heiße Dusche. Kälte und Hitze waren zwar kein wirkliches Thema mehr für ihn, seit er ein Vampir war, aber gegen eine heiße Dusche war nichts einzuwenden. Wenn er die Temperatur nur hoch genug drehte spürte er sogar etwas von der entspannenden Wirkung des Wassers.

Nach der Dusche führte sein Weg direkt in die Küche. Miyoko hatte seine Vorräte aufgestockt und Shinichi wusste, dass er an diesem Tag auf alles zurückgreifen musste was er hatte. Also trank er nicht nur eine Konserve, sondern zwei und nach einigem Überlegen schließlich auch eine dritte. Der kurze Blick auf die Küchenuhr verriet ihm, dass er noch eine Stunde hatte, bevor er bei Akihitos ein musste. Natürlich würde er nicht erst um 11 beim Anführer des Clans auftauchen, sondern früher. Es hatte zwar am Abend zuvor noch einiges an Strategiebesprechungen und Planung gegeben, doch Shinichi war zu betäubt gewesen um irgendwas davon mitzubekommen, der Schmerz über Kaito’s Verlust zu frisch um sich zu konzentrieren.

Die Schuld wog wie ein Stahlträger auf seinen Schultern und er wusste, dass er alles geben würde um den Magier zu befreien.

Shinichi knüllte die Überreste der Konserve zusammen, ein leises Knurren aus den Tiefen seiner Kehle dringend. Er wollte nicht länger warten, wollte nicht ängstlich sein und sich selbst bemitleiden, es war an der Zeit, dass er etwas tat. Schnell entsorgte er das Plastik in seinem Mülleimer ehe er sich abwandte und sein Heim verließ, auf dem Weg Richtung Hafen.

 

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel als Shinichi und Akihito beim Lagerraum mit der Nummer 8 an den Docks ankamen. Shigure und Jun hatten ihre Positionen in Sichtweite bezogen, hielten sich aber weit genug zurück um nicht von Bram entdeckt zu werden. Sie durften nur im äußersten Notfall eingreifen, also wenn Akihito und Shinichi es nicht schafften Bram aufzuhalten. So lautete der Befehl.

Die Lagerhalle selbst wirkte nicht sonderlich aufregend. Die beiden Vampire waren bereits etwas früher angekommen um das Gebäude einmal zu umrunden zu sicher zu gehen, dass Bram nicht doch, Widererwartens, Verstärkung engagiert hatte.

Aber nein, weder fanden sie irgendwelche Fallen, noch andere Vampirjäger. Das Einzige, was Shinichi auffiel war, dass die Lagerhalle große Fenster hatte. Perfekt um viel Sonne einzulassen. Perfekt um Vampire zu schwächen indem man sie direktem Sonnenlicht aussetzte.

Als es schließlich auf die verabredete Zeit zuging kehrten Akihito und Shinichi zurück zum Eingang der Lagerhalle. Sie warteten die letzten paar Minuten noch ab ehe sie schließlich die große Tür öffneten und eintraten.

Das erste, was der Oberschülerdetektiv feststellte war, dass die Halle komplett leer und schmutzig war. Anscheinend stand sie schon lange leer und der Besitzer kümmerte sich herzlich wenig darum das Gebäude sauber zu halten.

Das zweite, was ihm auffiel war der Stuhl mit einem bewusstlosen Jungen in der Mitte des Raumes und Bram, der hinter dem Jungen stand, eine kleine Einhänderarmbrust mit Silberbolzen an den Kopf des Jungen haltend.

Shinichi’s Körper verspannte sich doch Akihito berührte nur kurz sein Handgelenk, als Zeichen, dass er sich beherrschen sollte. Dann wandte der Weißhaarige sich Bram zu: „Wir sind hier, wie du es geschrieben hast, Bram. Jetzt lass den Jungen gehen.“

Der Vampirjäger lachte, schüttelte jedoch den Kopf: „Kommt näher, ihr zwei. Da, in den hellen Fleck Sonne, damit ich euch besser sehen kann.“

Shinichi und Akihito tauschten einen kurzen Blick aus, doch sie taten wie ihnen befohlen wurde und schritten nahe genug heran um in dem Fleck Sonne am nächsten zu Bram stehen zu bleiben. Shinichi war überrascht wie nahe der Mann sie heran ließ, doch als sie schließlich in der Sonne stehen blieben erkannte er warum Bram sie näher gewunken hatte.

Shinichi hatte vergessen, dass Bram nicht unsterblich war. Und er war bei weitem nicht mehr der Jüngste.

„Was jetzt?“, fragte Akihito und seine Stimme zeigte keine Angst. Er hielt beide Hände vor seinem Körper, damit Bram sehen konnte, dass er nicht bewaffnet war. Was Shinichi ziemlich unnötig fand, denn als Vampir war Akihito selbst schon eine Waffe. Selbst jetzt, am helllichten Tag und im Licht der Sonne war er immer noch schneller und stärker als es ein normaler Mensch je sein konnte.

„Jetzt kniet ihr euch hin und legt die Hände auf euren Hinterkopf.“

Shinichi zögerte, aber als er sah wie Akihito auf die Knie ging tat er es ihm gleich. Sein Blick wanderte zu Kaito, welcher regungslos auf seinem Stuhl saß, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, der Kopf auf der Brust. Shinichi nahm an, dass der Junge gefesselt war, aber zumindest konnte er weder sein Blut riechen noch irgendwelche Verletzungen wahrnehmen.

„Was hast du mit ihm gemacht?!“, knurrte der junge Vampir leise und Bram lachte auf.

„Keine Sorge, Kleiner, ihm geht es gut. Er schläft nur. Ich musste ihn ruhigstellen, da er sonst versucht hätte zu fliehen, also habe ich ihm ein Schlafmittel verabreicht.“

„Du brauchst den Jungen nicht, Bram. Lass ihn gehen“, versuchte Akihito erneut zu verhandeln doch der Vampirjäger schüttelte den Kopf. „Das kann ich leider nicht tun. Der Junge ist im Bann der Vampirhochzeit, wenn ich ihn jetzt gehen lasse wird er sich gegen mich stellen und mich angreifen um seinen Meister zu beschützen. Natürlich habe ich nicht vor ihm wehzutun, im Gegenteil. Ich werde ihn von seinem Fluch erlösen und dann kann er nach Hause gehen.“

Shinichi verzog leicht das Gesicht. Er wusste, dass dieses Band ihn und Kaito verband gefährlich war und, dass es nicht nur dem Jungen, sondern auch ihm selbst schaden konnte. Shinichi spürte auch seine Instinkte, wie sie ihm sagten, dass er Bram einfach an den Hals springen und ihn töten sollte, aber die Armbrust an Kaito’s Kopf ließ ihn ruhig bleiben. Auch, wenn der Jäger nicht vorhatte den Menschen zu töten, so hatte Akihito ihn doch gewarnt, dass Bram nicht zögern würde, wenn Kaito ihm in die Quere kommen würde.

„Warum tust du das überhaupt?“, fragte Akihito plötzlich, „Ich meine, selbst wenn du Shinichi und mich jetzt tötest, denkst du wirklich, damit ist die Sache erledigt? Meine Kinder werden dich jagen.“

„Du verstehst es nicht, trotz deines Alters“, erwiderte der Jäger süffisant, „Mit euch Clans ist es wie mit einer Schlange. Wenn man ihr den Kopf abschlägt zuckt der Körper noch, bevor er ebenfalls dem Tod erliegt.“

Akihito gab einen verächtlichen Laut von sich: „Du hast keine Ahnung.“

„Oh doch, die habe ich“, erwiderte Bram bedrohlich. „Und dich zu töten wird eine besondere Genugtuung sein. Nachdem ich dieses Monster Ryo erledigt habe stehst nur noch du auf meiner Liste. Und wenn du und dein Clan ausgelöscht seit, dann ist meine Rache endlich vollendet!“

„Rache?“, Shinichi sah überrascht zu seinem Anführer, doch Akihito’s Blick war fest auf Bram gerichtet. Dennoch antwortete er dem Jungen: „Ich war damals dabei, als Bram’s Eltern gestorben sind. Ich kann mich nicht mehr wirklich daran erinnern, es war zu einer Zeit als ich noch dem Blutrausch frönte, zusammen mit einem guten Freund, der rechten Hand des Clans dem ich angehörte. Miyoko und Shigure waren nicht begeistert, aber Ryo und ich konnten es nicht lassen. Unsere Opfer waren, unter anderem, Bram’s Eltern, wie es scheint…“

„Du warst einer der Gründe, warum ich zum Jäger geworden bin“, ertönte Bram’s Stimme, triefend vor Hass. „48 Jahre meines Lebens habe ich dafür gegeben Monster wie dich auszulöschen. Und jetzt, wo ich langsam Alt werde und meine Kräfte mich verlassen werde ich mir mein letztes, großes Ziel erfüllen und dich und deinen Clan löschen. Und dein jüngster Spross und seine Braut werden mir dabei helfen.“

Shinichi’s Körper zuckte als er sah, wie Bram’s freie Hand zu Kaito’s Wange wanderte, doch der alte Mann tat dem Jungen nicht weh. Er tätschelte Kaito’s Wange, erst sanft, dann ein bisschen fester, bis der gefesselte Junge schließlich ein leises Stöhnen von sich gab.

„Wo… wo bin ich“, nuschelte er angestrengt und versuchte seinen Kopf zu heben, doch das Betäubungsmittel machte es ihm schwer. Shinichi’s Körper spannte sich erneut an. Wieviel Schlafmittel hatte der Mistkerl dem Jungen verabreicht?

„Du bist in Sicherheit“, Bram’s Stimme war plötzlich sanfter als zuvor. Er tätschelte Kaito leicht den Kopf und es machte Shinichi rasend. Seine Knie zitternden und die Hände hinter seinem Kopf verkrampften sich, doch er konnte aus den Augenwinkeln sehen, dass Akihito minimal den Kopf schüttelte. Also verhielt Shinichi sich ruhig, auch, wenn es ihn innerlich fast zerriss.

Sein Band zu Kaito war stark, das spürte er.

Der Magier hob seinen Kopf ein kleines Stück und Shinichi konnte sehen, wie er krampfhaft versuchte seine Augen zu fokussieren.

„Kudo…?“

„Keine Sorge“, Shinichi sprach so sanft, als würde er mit einem Kind sprechen, das Angst vor der Dunkelheit hatte, „Ich bin hier, Kuroba-kun. Ich hol dich hier raus.“

Bram lachte erneut auf und Kaito’s Kopf ging ruckartig nach oben, so als würde er erst jetzt verstehen, was eigentlich los war. „Du wirst ihn rausholen?“, spottete der ältere Mann, welcher hinter Kaito stand. Der Magier begann sich auf seinem Stuhl zu winden und versuchte sich loszureißen, doch die silbernen Handschellen, die seine Hände an ihrem Platz hielten waren zu stabil um nachzugeben.

„Nun, wenn wir ehrlich sind hast da nicht ganz unrecht“, meinte der Jäger plötzlich und richtete seine Armbrust vom Kopf des Jungen über dessen Schulter auf die beiden Vampire. „Wenn du erstmal tot bist ist der Junge frei und kann nach Hause gehen. Die Frage ist nur, wen erschieße ich zuerst?“

Es wirkte für Shinichi tatsächlich so, als wäre die Frage nicht nur rhetorisch, sondern als würde der Vampirjäger ernsthaft überlegen, was der bessere Outcome wäre.

„Wenn ich den Anführer erschieße wäre die größere Bedrohung erledigt. Aber dann ist immer noch der Kleine übrig. Wenn ich den Kleinen zuerst erschieße, dann ist der Junge von seinem Band befreit und es ist nicht mehr einer gegen zwei, sondern eins gegen eins. Das wäre ein fairer Kampf gegen einen würdigen Gegner und keinen blutigen Anfänger.“

Shinichi wollte ihm das Maul stopfen. Er hatte Kaito entführt, betäubt und an einen Stuhl gefesselt und jetzt verwendete er ihn auch noch als Geisel. Das hatte Kaito nicht verdient. Auch, wenn es Shinichi’s Schuld war, dass der Junge erst so tief in die Sache mit reingezogen worden war, es hätte nicht sein dürfen.

Wenn du das Band nicht mit ihm geformt hättest, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf, dann wäre es nie so weit gekommen.

Shinichi verzog das Gesicht. Er musste den Jungen da rausholen und die Vampirhochzeit rückgängig machen.

Das Zischen eines Bolzens holte den Vampir aus den Gedanken. Er riss seinen Kopf herum und sah gerade noch wie Akihito vornüberkippte.

„Akihito!“, rief Shinichi laut und wollte zu seinem Anführer springen doch Akihito hob eine Hand um Shinichi aufzuhalten. Erschrocken erstarrte der Vampir in seiner Bewegung.

„Keine Sorge“, presste der Weißhaarige unter Schmerzen hervor. Langsam richtete er sich wieder auf und schenkte Bram ein hasserfülltes Lächeln. „Er hat nicht vor mich zu töten. Noch nicht.“

Der Oberschüler sah, dass Akihito recht hatte. Der Bolzen aus Silber steckte in Akihito’s Oberschenkel. Er hatte sich tief hineingebohrt und Shinichi wusste, dass die Silberlegierung unsagbar schmerzhaft sein musste. Doch Akihito gab keinen Laut von sich.

„Bemerkenswert“ wisperte Bram anerkennend. „Ganz ohne Schmerzensschrei. Ein richtiger Anführer.“

„Du Mistkerl“, zischte Shinichi in Richtung des Jägers, „Ich werde dich dafür bluten lassen was du hier mit uns anstellst.“

„Wirst du das, hm? Nun, dafür müsstest du erstmal die Oberhand in der Situation haben und so wie es ausschaut liegt diese bei mir, solange ich den Jungen habe.“

„Du machst einen gewaltigen Fehler“, murmelte Kaito, der immer noch erschöpft und kraftlos in seinen Fesseln hing, „Und du siehst den Fehler nicht mal obwohl er direkt vor dir ist.“

Überrascht sah Bram zu dem Jungen vor sich, runzelte dann aber nur die Stirn. „Und was soll das für ein Fehler sein?“, spottete er, „Etwa, dass ich deinen Lover hergebracht habe? Dass der berühmte Shinichi Kudo sieht, wie ich seinen Liebsten als Gefangenen halte und seinen Herren foltere? Willst du mir etwa sagen, dass es ein Fehler war den Jungen herzubeordern, weil seine Rache grausam sein wird? Lächerlich.“

Der Vampirjäger lachte auf: „Ich habe schon so viele Vampirhochzeiten geschieden, schon so viele Bande durchtrennt. Alle Bräute waren anfangs der Meinung, dass es ein Fehler ist mich mit dem Meister anzulegen, dass er mich töten wird, und was ist? Keiner von ihnen hat es je geschafft. Die Bräute haben ihren Fehler eingesehen nachdem das Band getrennt war und niemand hat den hingerichteten Vampiren auch nur eine Träne nachgeweint. Und so wird es auch mit dir sein, mein Junge.“

Bram zielte mit seiner Armbrust erneut auf die Vampire, diesmal auf Shinichi, der dem Blick des Jägers furchtlos standhielt.

„Ich werde dich von ihm befreien und dann wirst du schon bald nicht mehr an ihn denken.“

„Du irrst dich. Der Fehler, von dem ich spreche, war es nicht Kudo hierher zu holen“, erwiderte Kaito und seine Stimme klang dabei fester als zuvor. Shinichi sah die Verwirrung in Bram’s Gesicht und dann ging alles ganz schnell. Mit einem lauten Klirren fielen die Handschellen, die Kaito gefesselt hatten zu Boden und noch bevor der Vampirjäger reagieren konnte war der Magier bereits auf den Beinen. Er umfasste das Handgelenk des Mannes mit beiden Händen und beförderte seinen Stuhl mit einem gezielten Tritt in Bram’s Magen. Der Vampirjäger keuchte überrascht auf und Kaito nutzte den kurzen Moment um dem Mann die Armbrust aus der Hand zu drehen. Einen Augenblick später sprang Kaito zur Seite, die Armbrust vor sich auf Bram gerichtet und weit genug weg um aus der Reichweite des Mannes zu sein.

„Dein Fehler war es“, sprach Kaito mit ruhiger, fester Stimme, „mich zu unterschätzen.“

Der Vampirjäger fluchte und trat den Stuhl zur Seite, rührte sich sonst jedoch nicht. Er funkelte den Junge böse an und Kaito erwiderte den Blick.

„Kudo“, sprach er, an den Vampir gewandt ohne ihn anzusehen, „Ist bei euch alles in Ordnung?“

Shinichi fühlte sich, als würde er aus einem Kälteschlaf erwachen. Leben kam in seinem Körper und er ließ die Hände sinken. Schnell beugte er sich zu Akihito und untersuchte die Wunde, aber es war nur halb so wild. Natürlich, sein Anführer hatte Schmerzen, doch das war nichts womit Akihito nicht umgehen konnte. Langsam erhoben sich die beiden Vampire und Shinichi antwortete: „Alles in Ordnung bei uns.“

„Gut“, Kaito seufzte erleichtert auf, „Dann nichts wie raus hier, würde ich sagen.“

Shinichi spürte, wie eine Welle an Emotionen über ihn hereinbrach. Nachdem er Akihito auf die Beine geholfen hatte und sicher gegangen war, dass er alleine stehen konnte löste er sich von dem Weißhaarigen. Er war mit zwei schnellen Schritten bei Kaito und legte von hinten seine Hand unter das Kinn des Jungen. Behutsam hob er es ein Stück und presste seine Lippen in einem kurzen aber intensiven Kuss gegen Kaito’s. Der Magier entspannte sich als er Shinichi’s Lippen auf seinen spürte und schloss genießend die Augen, sich dem Spiel ihrer Lippen hingebend.

Doch diesen kurzen Moment der Unachtsamkeit nutzte der Vampirjäger aus.

„Shinichi!“, rief Akihito laut und stieß die beiden Jungs zur Seite, gerade als ein Pistolenschuss fiel. Kaito landete unsanft auf dem Boden und die Armbrust fiel ihm aus der Hand und schlitterte quer durch den Raum. Shinichi landete neben ihm, doch er hatte sich schneller wieder gefasst als Kaito.

„Akihito!“, schrie er erschrocken und stürmte zu seinem Anführer, welcher ein kleines Loch in seiner Seite hatte. Kaito warf nur einen kurzen Blick über die Schulter, ein paar Tropfen Blut sickerten aus der Wunde, doch sonst war da nichts. Schnell wandte er sich wieder ab, auf der Suche nach der Armbrust doch Bram hatte die Unachtsamkeit genutzt und diese wieder an sich genommen. Nun stand er da, die Armbrust in der einen und eine silberne Pistole in der anderen Hand, seine Lippen zu einem hämischen Grinsen verzogen. „Anfängerfehler“, seine Stimme tropfte nur so vor Arroganz, „Man nimmt den Blick nicht vom Feind. Niemals.“

Kaito ging ein paar Schritte rückwärts auf die Vampire zu, Bram tatsächlich im Blick behaltend. Er fluchte innerlich über sich und seine Dummheit. Wie hatte er nur diesem Drang nach Shinichi nachgeben können, der Sehnsucht nach seinen Lippen, seiner Berührung. Akako hatte Recht gehabt. Dieses Band war viel zu gefährlich.

Ein tiefes Knurren hinter seinem Rücken zog seine Aufmerksamkeit auf sich, doch noch bevor Kaito nachsehen konnte was los war oder reagieren konnte sprintete auch schon Shinichi an ihm vorbei und sprang auf Bram zu.

„Kudo, nein!“, versuchte Kaito ihn aufzuhalten, aber es war zu spät. Bram hatte seine Waffe auf Shinichi gerichtet und feuerte einen Schuss ab, genau in die Schulter des Jungen, doch das stoppte ihn nicht. Shinichi krachte in den Jäger rein, welcher durch den Aufprall die Pistole fallen ließ. Shinichi rappelte sich sofort wieder auf und gab der Waffe einen Tritt, sodass sie bis zu Kaito flog. Dieser hob sie schnellstmöglich hoch, doch er war zu langsam. Bram hatte seine Hand um den Hals des Oberschülers gelegt und presste seine Armbrust gegen die Schläfe des Jungen.

Shinichi’s Blick war schuldbewusst, so als wolle er sagen Tut mir leid, ich hab‘s verbockt.

„Kudo-kun…“

„Mir reicht es jetzt mit euch“, bellte der Vampirjäger und klang tatsächlich alles andere als amüsiert, was vermutlich an der Wunde lag, die Shinichi wohl mit einem gezielten Schlag gegen sein Kinn angerichtet hatte. Blut lief aus Bram’s Mund und er musste Ausspucken um es loszuwerden. Die Spitze seiner Armbrust war fest gegen Shinichi’s Schläfe gepresst.

„Junge!“, zischte Bram in Kaito’s Richtung, „Wenn du deinen Meister retten willst, erschieß Akihito.“

Kaito verzog das Gesicht, rührte sich jedoch keinen Millimeter: „Und wer sagt mir, dass ich dir vertrauen kann? Dass du uns nicht hintergehst und uns tötest, sobald Akihito tot ist?“

„Wir Vampirjäger sind anders als diese Monster“, es war offensichtlich, dass Kaito Bram mit seiner Bezichtigung des Verrats beleidigt hatte, „Wir halten unser Wort! Ich werde dir sogar noch einen Gefallen tun bevor ich gehe und das Band, dass dich an dieses Biest bindet trennen. Dann kannst du selbst entscheiden ob du ihn für das, was er dir angetan hat töten willst oder nicht.“

Kaito zögerte. Bram klang überzeugt in dem was er sagte und wenn er ehrlich war wollte er Shinichi nicht verlieren. Die Panik, die in ihm hochstieg machte es Kaito fast unmöglich zu denken.

„Tu’s nicht!“, riss die Stimme des Detektivs ihn aus den Gedanken. Er sah Shinichi an, dessen Blick mindestens genauso panisch schien wie Kaito sich fühlte: „Akihito’s Leben ist mehr wert als meines! Der Clan braucht ihn, ich bin aber entbehrlich.“

Kaito verzog das Gesicht: „Was redest du da, Kudo?! Du bist nicht entbehrlich. Niemand könnte dich je ersetzen.“

„Das ist nicht wahr und das weißt du“, erwiderte der Vampir. Seine Stimme klang flehend: „Kuroba-kun, aus dir spricht nur die Magie. Dieses dämliche Band. Aber das bist nicht du. Das ist nicht der Kaito Kuroba, den ich kenne!“

Kaito rührte sich nicht. Er senkte den Blick und betrachtete die Waffe in seiner Hand.

„Es war ein Fehler“, Shinichi klang so verzweifelt als er weitersprach, „Ich weiß nicht wie ich es getan habe, aber ich hätte es niemals tun dürfen. Ich hätte dich niemals an mich binden dürfen, es hätte nie eine Vampirhochzeit geben dürfen. Bitte, Kuroba-kun, mach jetzt nichts Dummes nur wegen einem Fehler, den ich in der Vergangenheit begangen habe.“

Der Magier hob langsam den Blick und sah Shinichi an und sein Blick war so voll Trauer und Schmerz, dass es dem Vampir fast das tote Herz zerriss.

„Es tut mir leid“; seine Stimme war nur ein Flüstern, aber Shinichi konnte es laut und deutlich hören, „Aber ich kann dich nicht verlieren, Kudo. Ich… ich brauche dich.“

Dann wandte der junge Mann sich ab und alles was Shinichi noch sehen konnte war, wie Kaito auf Akihito zuging. Die Hand mit der Waffe, welche neben seinem Körper gebaumelt hatte hob sich langsam und auch, wenn Shinichi nichts sehen konnte außer Kaito’s Rücken und Akihito’s schreckgeweitetes Gesicht, so war es doch genug um ihm Schwindelgefühle zu verursachen.

„Kuroba-kun… nicht…“, versuchte er es noch mal doch da stand Kaito auch schon genau vor dem weißhaarigen Vampir. Er drehte sich nicht zu Shinichi um als er zum Anführer des Vampirclans sprach: „Es tut mir leid, Akihito-san. Aber ich kann nicht ohne ihn sein.“

Akihito entspannte sich. Die Angst verschwand von seinem Gesicht und eine tiefe Zufriedenheit breitete sich aus.

„Es ist in Ordnung“, seine Stimme war ein tiefer Bass, wohlwollend, wie die Stimme eines Vaters der seinen Sohn lobte, der ihn ermutigte einen Fehler zu begehen ohne ihn danach zu bereuen. „Ich habe lange gelebt und bin alt geworden. Wenn es das Leben von Shinichi rettet bin ich gerne bereit meines dafür zu geben.“

Kaito fühlte sich an seinen eigenen Vater erinnert, der selbst immer mehr Sorge für Kaito oder Chikage oder seine Schüler übrighatte als er sich um sich selbst sorgte. Akihito war ihm sehr ähnlich. Er war garantiert ein großartiger Vater, besser als die meisten Menschen.

Langsam hob Kaito seine Hand mit der Waffe und setzte den Lauf direkt am Kopf des Vampirs an. Die andere Hand schob er in seine Hosentasche und ballte sie zur Faust.

„Pass gut auf Shinichi auf, Kaito“, bat Akihito und der Magier nickte leicht. Panik stieg in Shinichi auf. Das konnte doch nicht wahr sein, das konnte nicht passieren. Er begann sich im Griff des Jägers zu winden, versuchte sich zu befreien, aber der Griff um seinem Hals wurde fester, die silberne Spitze des Pfeils bohrte sich in seine Schläfe, verbrannte ihn.

„Kuroba, nicht!“, rief er, doch es war zu spät. Ein lauter Schuss hallte in den leeren Räumen der Halle wieder und nach einem kurzen Augenblick, in dem es wirkte, als wäre die Welt eingefroren sackte Akihito’s Körper zusammen. Seine Augen waren geweitet und in seiner Stirn, wo der Lauf der Waffe gelegen hatte, klaffte ein schwarzes Loch, nicht größer als eine Fingerkuppe.

Shinichi fühlte sich, als hätte jemand die Fäden durchgeschnitten, die ihn auf den Beinen gehalten hatten und das einzige, was ihm jetzt noch halt gab war Bram’s Hand um seinen Hals.

„Nein…“, wisperte er benommen und registrierte nur beiläufig, wie Kaito die Waffe neben dem toten Körper fallen ließ und sich dem Vampirjäger und seiner Beute zuwandte.

„Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt“, rief er mit zitternder Stimme und ballte seine beiden Hände zu Fäusten, „Jetzt lass Shinichi gehen!“

Bram lachte. Er lachte laut und er lachte triumphierend und Shinichi wusste, dass war sie, das war seine Chance dem Kerl den gar aus zu machen, aber der Schock saß zu tief, der Verlust betäubte ihn, er konnte sich nicht rühren.

Er sah, wie Kaito langsam näherkam, ein seltsames Glänzen in seinen Augen und Shinichi verfluchte das Band, welches Kaito dazu getrieben hatte Akihito zu töten.

„Das war es nicht wert“, wisperte Shinichi dem Jungen entgegen, „Akihito’s Leben war so viel mehr wert als das meine.“

„Ich weiß, dass du so denkst“, erwiderte Kaito und beschleunigte seinen Schritt, „Aber du irrst dich.“

Bram störte sich nicht daran, dass der unbewaffnete Kaito sich näherte. „Dein Leben ist genauso viel wert wie seines. Egal ob Mensch oder Vampir. Ihr verdient es zu leben.“

Shinichi spürte, wie Kaito’s Körper gegen den seinen sank und obwohl Bram’s Griff sich gelockert hatte und die Armbrust nicht mehr an seiner Schläfe lag machte der Vampir keine Anstalten anzugreifen. Er spürte, wie Kaito sich an ihn presste, so als würde er verzweifelt nach Nähe suchen und Shinichi schlag seine Arme um den Körper es Magiers, vergrub sein Gesicht in dessen Halsbeuge.

„Du bist so ein Idiot“, wisperte Shinichi mit erstickter Stimme und spürte, wie die Armbrust wieder ihren Weg an seine Schläfe fand, Bram’s triumphierendes Lachen langsam abklingend.

„Ich weiß“, nuschelte Kaito und atmete tief aus, „Aber trotzdem… ich hoffe, du verzeihst mir… Shinichi...“

Ein lauter Schuss zerriss die Geräusche des Raums und Shinichi’s Augen weiteten sich. Er löste sich langsam von Kaito, schob den Jungen ein kleines Stück von sich und starrte entsetzt in sein Gesicht. Langsam wanderte sein Blick tiefer und da, in Kaito’s Händen, fest umschlossen von seinen langen, eleganten Fingern, hielt er die Waffe, die er doch gerade eben noch hatte neben Akihito’s Körper fallen lassen. Und mehr noch, der Lauf der Pistole war an Shinichi‘s Brust angesetzt und in seiner Brust klaffte ein Loch.

Shinichi hörte wie ein Körper hinter ihm regungslos zu Boden sank, doch er rührte sich nicht. Sein Blick war starr auf Kaito gerichtet.

„Kai…to?“

Dann sank er zusammen und die Welt um ihn herum begann zu schwimmen. Er spürte, wie er sanft zu Boden gelassen wurde, hörte das Klirren von Metall auf Stein. Er hörte jemanden, der nach Akihito rief und Schritte die Laut wurden, spürte weiche Hände an seinem Gesicht und als er dachte, dass alles vorbei war, dass das sein Ende war legte sich ein roter Schleier über seine Augen und sein Sein und trug ihn davon.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  ellenorberlin
2019-03-05T21:42:21+00:00 05.03.2019 22:42
Oh gott...was zum teufel passoert da am Ende O____________O
Von:  Kazuki_Honjou
2019-02-27T15:58:17+00:00 27.02.2019 16:58
Omg... Sag bitte, dass Shinichi das nur träumt oder so. Er kann doch nicht so einfach sterben T_T Schreib bitte schnell weiter >.<


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