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Ai no Scenario

von

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Die Dämmerung war bereits hereingebrochen als Miyoko an seine Tür klopfte. Shinichi ließ die junge Frau ein. Sie begrüßte ihn, wie sie ihn immer begrüßte, mit ihrer weichen Hand an seiner Wange. Shinichi schloss die Augen und ließ die Berührung zu.

Es war lange her, dass jemand ihn so zärtlich berührt hatte. Zuletzt war es Ran gewesen, als er noch in dem Körper von Conan gesteckt hatte. Ein kleiner Junge, der die Liebe und Zärtlichkeit einer großen Schwester erfuhr. Er hatte Ran geliebt, sehr sogar, aber die Organisation hatte all das zerstört. Hatte seine Hoffnungen auf ein Leben mit seiner Kindheitsfreundin zunichtegemacht. Er konnte es nicht riskieren sie in Gefahr zu bringen, konnte es nicht riskieren sie an sich zu binden. Also hatte er ihr, nach seiner Rückkehr als Shinichi Kudo, einen Korb gegeben.

Natürlich war Ran’s Herz gebrochen gewesen, so wie das von Shinichi, doch sie war stark. Sie ließ sich nichts anmerken und tat, als wäre nichts geschehen. Sie waren Freunde, Kindheitsfreunde, und das war alles.

„Du bist blass“, stellte Miyoko erneut fest, „Du trinkst nicht genug. Wieso tust du dir das an? Gerade mit dem Jungen im Haus solltest du besonders vorsichtig sein, mon chéri.“

„Das bin ich“, erwiderte Shinichi und öffnete seine Augen. Er blickte direkt in das wunderschöne Gesicht seiner Besucherin. „Es ist nicht so schlimm, wenn ich nicht atme.“

Miyoko schmunzelte leicht, ließ schließlich jedoch von Shinichi’s Wange ab. Sie legte ihren Kopf zur Seite: „Also? Wo ist mein Patient?“

Shinichi verzog das Gesicht ein kleinwenig. „Oben“, er wandte sich von der Eingangstür ab und führte die Besucherin durch seine Wohnung. „Ich befürchte, dass sich eine der Wunden infiziert haben könnte. Er hat Fieber bekommen und es geht nur langsam wieder runter.“

„Es muss nicht sofort heißen, dass es eine Entzündung ist“, erwiderte Miyoko und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es kann auch eine reine Abwehrreaktion des Körpers sein.“

Der Schülerdetektiv nickte leicht und hielt vor einer Tür inne. Er öffnete sie einen Spalt und sah hinein, doch Kaito schien immer noch zu schlafen. Langsam öffnete der Detektiv die Tür und betrat mit Miyoko das Zimmer.

Wie schon zuvor setzte sich Shinichi auf die Bettkante und beobachtete den schlafenden Jungen ein paar Augenblicke lang, bevor er schließlich behutsam über seine Wange strich.

„Kuroba-kun“, wisperte er sanft, „Wach auf.“

Der Schlafende murrte: „Ist es schon wieder Zeit fürs Mittagessen?“

Shinichi konnte ein leises auflachen nicht verhindern: „Nein, nein. Miyoko ist hier, um nach dir zu sehen.“

Dann erhob sich der Schülerdetektiv und machte für die junge Vampirin Platz. Sie setzte sich an dieselbe Stelle, an der Shinichi gesessen hatte und strich sich ihre roten Locken hinter das Ohr, ehe sie sich dem Patienten zuwandte: „Wir müssen uns deine Wunden ansehen.“

„Okay“, nuschelte Kaito und rappelte sich mühsam auf. Shinichi sah, wie schwer er sich dabei tat und wollte dem Jungen helfen, doch er hielt sich zurück. Vermutlich würde das nur Kaito’s Stolz verletzen. Stattdessen lehnte er sich entspannt gegen das Fenster und wartete darauf, dass Miyoko Anweisungen gab.

Diese wickelte gerade die Bandagen vom Körper des Diebes, was diesen zum Aufstöhnen brachte. Aber nicht genießend, wie er es tat, wenn Shinichi seine Hände auf Kaito’s Körper presste. Er stöhnte vor Schmerz.

Ein Gefühl von Selbstzufriedenheit durchströmte den Detektiv.

„Hmmm…“, der Laut, den die Vampirin von sich gab klang überrascht. Sie betrachtete die Wunden eingehend und tastete sie auch ab. An der Wunde an seinem Schlüsselbein roch sie sogar, was Kaito einen schockierten Blick ins Gesicht trieb.

„H-Hey!“

„Keine Sorge, ich bin nur an deinem Blut interessiert“, winkte Miyoko ab, hielt dann jedoch einen Moment inne. Sie schmunzelte leicht.

„Das klang Falsch. Ich bin natürlich nur an der Gesundheit deines Blutes interessiert, so.“

Sie setzte sich wieder aufrecht hin und brachte so etwas Distanz zwischen sich und den Jungen. Auf ihren Lippen lag ein leichtes Lächeln. Dann wandte sie sich dem Schülerdetektiv zu: „Der Junge braucht neue Verbände. Hast du noch welche hier oder soll ich dir welche bringen?“

„Ein paar sollten noch im Bad sein“, erwiderte Shinichi und verließ den Raum um die gewünschten Gegenstände aus zu holen. Miyoko wandte sich indes wieder Kaito zu, der immer noch unter dem Fieber zu leiden schien.

„Deine Temperatur wird bald runtergehen, solange du weiterhin die Antibiotika nimmst“, versprach sie ihm und strich ihm ein paar Haare aus dem Gesicht. Kaito seufzte auf und lehnte sich der Berührung entgegen, was ihm ein leichtes Schmunzeln von seiner Krankenschwester einbrachte: „Du magst das, hm?“

„Es ist kühl“, erklärte der Dieb schläfrig, „Ihr Vampire seid so schön kühl. Es ist herrlich.“

Zärtlich glitt die junge Dame mit ihrer kühlen Hand über das Gesicht des Jungen, was ihm ein paar weitere, glückliche Laute entlockte. Es war klar, was Shinichi an dem Jungen fand. Er roch nicht nur hervorragend, er hatte auch ein ganz hübsches Gesicht. Und wenn er jetzt schon solche Laute von sich gab…

Miyoko konnte der Versuchung nicht widerstehen und strich mit ihrem eiskalten Fingern über Kaito’s Hals und seine Brust. Sie beobachtete, wie der Junge den Kopf leicht zur Seite legte und ein leises, aber genießerisches Stöhnen von sich gab.

Das Geräusch des zu Boden fallenden Verbandszeuges stoppte sie in ihrem Tun. Sie brauchte sich nicht umdrehen um zu wissen, dass der Junge in der Tür stand. Es war sonst niemand im Haus.

Langsam erhob sie sich von ihrer Position und drehte sich zur Tür, wo sie gerade noch sah wie Shinichi die letzte Bandage hochhob, ehe er sich wiederaufrichtete. Er trug wieder das Pokerface, welches Akihito schon sooft zum Verzweifeln gebracht hatte, wenn er einfach nicht in dem Gesicht des Jungen lesen konnte was seine Gedanken und Gefühle anging.

Shinichi schritt wortlos an der Vampirin vorbei und nahm seinen Platz auf der Bettkante ein. Kaito öffnete seine Augen einen Spalt und sah fragend von dem Mädchen zu dem Jungen und wieder zurück. Er beschwerte sich jedoch nicht und ließ die Behandlung wortlos über sich ergehen.

Die Stille war drückend. Drückender als die Luft ohnehin schon war, also entschloss Miyoko sich etwas dagegen zu unternehmen.

„Es scheint zu keinem Infekt gekommen zu sein“, erklärte sie mit ruhiger, sachlicher Stimme, „Das Fieber ist, wie ich vermutet hatte, eine reine Abwehrreaktion von seinem Körper. Vermutlich wird er noch einen richtig starken Fieberschub bekommen, mit sehr hoher Temperatur und Schweißausbrüchen.“

„Das hatte ich schon“, murmelte Kaito erschöpft und legte den Kopf leicht zur Seite als Shinichi seine Schulter behandelte. Die Vampirin hob überrascht eine Augenbraue an: „Ach, tatsächlich?“

„Ja, gestern“, der Dieb hob den Kopf ein Stück und sah aus den Augenwinkeln zu der jungen Dame.

„Ich dachte, ich verbrenne. Aber Kudo hat es irgendwie geschafft mich runter zu kühlen und dann ging es.“

„Wie hast du ihn runter gekühlt?“, wollte Miyoko wissen doch Shinichi antwortete nicht. Er starrte konzentriert auf die Bandagen in seiner Hand, welche er gerade im Kaito’s Brust wickelte und versuchte nicht daran zu denken. Versuchte nicht daran zu denken, wie der Dieb unter seinen Berührungen aufgeseufzt hatte, wie er sich an den Körper des Vampirs gepresst hatte. Er versuchte krampfhaft nicht daran zu denken, wie Shinichi’s unterkühlter Körper auf Kaito’s hitzigen getroffen war und wie sie am nächsten Morgen mit ineinander verschlungenen Beinen und eng aneinander gepresst aufgewacht waren.

Sein Blick huschte für den Bruchteil einer Sekunde zu der Frau, die neben dem Bett stand.

Miyoko lachte auf, und ihr Lachen war hell und warm und ehrlich und Shinichi wusste, wenn er nur mehr getrunken hätte würde er jetzt rot werden.

„Hör auf in meinem Kopf rumzuwühlen“, murrte der Vampir und bekam damit einen verwirrten Blick von Kaito, den er jedoch geflissentlich ignorierte. Er verknotete die Bandagen, sodass sie sich nicht lösen würden und erhob sich von seinem Platz an der Bettkante. Er glitt mit seinen Fingern kurz durch die Haare des Jungen: „Du kannst jetzt wieder schlafen. Ich weck dich, wenn ich mit dem Essen fertig bin.“

Miyoko, die immer noch ein breites Grinsen auf den Lippen trug trat näher an das Bett heran: „Und nimm brav weiter deine Antibiotika. Dann wirst du schon bald wieder auf den Beinen sein.“

Dann wandte sie sich ab und verließ den Raum, gemeinsam mit Shinichi, welcher jedoch noch mal an der Tür innehielt und zusah wie sich ein verwirrter aber unglaublich erschöpfter Kaito in die Bettdecke einwickelte und versuchte wieder einzuschlafen.

Der Schülerdetektiv schloss die Tür und sah die Vampirin an, die vor ihm stand, ein schelmisches Grinsen auf dem Gesicht.

„Soso“, ihre Stimme klang amüsiert, „Du und der Junge, eng umschlungen und halbnackt im Bett, hm?“

Shinichi wandte den Blick ab und steckte die Hände demonstrativ in die Hosentasche: „Ihm war heiß. Mein Körper ist kalt. Es war die naheliegendste Lösung. Und besser, als ihn in eine Badewanne voller Eiswürfel zu stecken.“

„Du scheinst ihn sehr gern zu haben“, stellte Miyoko fest, was Shinichi dazu brachte die Augen zu rollen.

„Ihn oder sein Blut?“, brummte der Junge. „Wenn ich wüsste, was von beidem der Grund für mein seltsames Verhalten ist wäre es einfacher.“

„Nun, vielleicht ist es ja ein bisschen was von beidem? Jedenfalls scheint er sich nicht daran zu stören, wenn du ihm nahe bist.“

Seine Besucherin setzte sich in Bewegung und Shinichi folgte ihr, bis sie schließlich die Haustür erreichten. Dann blieb sie noch einmal stehen und sah den Schülerdetektiv an.

„Dieser Junge…“, begann Miyoko langsam, „Ich denke, ihm liegt was an dir. Jedenfalls scheint er deinen Berührungen gegenüber nicht abgeneigt zu sein.“

„Das wärst du auch nicht, wenn ich deine Wunden versorgen würde“, konterte Shinichi doch Miyoko hob eine Hand um ihn zum Schweigen zu bringen.

„Das meinte ich nicht.“ Sie atmete kurz aus, was Shinichi überraschte. Miyoko war schon sehr, sehr lange ein Vampir, sie hatte das Atmen unter ihresgleichen schon vor langer Zeit aufgegeben. Nur auf ihrem Arbeitsplatz tat sie es, wenn es notwendig wurde, um ihr wahres Ich zu verbergen.

„Dieser Junge genießt es von dir berührt zu werden. Und ich rede nicht von deiner kalten Haut. Ich rede hier von deiner Hand an seiner Wange und deinen Lippen an seinem Hals.“

Shinichi verkrampfte sich.

„Er vertraut dir. Er weiß, dass du ihm nicht wehtun würdest. Er weiß, dass es dich quält und er fühlt sich schlecht deswegen. Wenn ich du wäre, mon chéri, dann würde ich versuchen mir darüber im Klaren zu werden was du für diesen Jungen empfindest und was er für dich bedeutet. Ansonsten macht das die Sache nur unnötig kompliziert.“

Shinichi’s Haltung entspannte sich wieder etwas und er senkte den Blick. Er wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Er fühlte sich zu Kaito hingezogen, das stimmte. Er hatte sich immer schon zu ihm hingezogen gefühlt. Oder eben zu KID. Sie waren Rivalen gewesen. Erzfeinde. Der Magier und der Detektiv. Und jetzt waren sie sowas wie Freunde, oder?

Aber da war mehr. Da war mehr, das wusste Shinichi und er hatte Angst, dass dieses Mehr gefährlich war. Der Vampir in ihm wollte Kaito, wollte ihn beißen, wollte ihn zu sich holen. Er wusste nicht, ob die Sehnsucht des Vampirs so weit ging, dass er Kaito verwandeln würde oder nicht, aber das war eine Sache, über die er es nicht mal wagte nachzudenken.

Er hörte wie Miyoko die Tür öffnete.

„Wenn ich du wäre“, sie drehte ihren Kopf zur Seite und schenkte dem Vampir ein charmantes Lächeln, „dann würde ich mal versuchen seine Lippen zu kosten. Der Kleine scheint nämlich nicht sonderlich abgeneigt zu sein. À Bientont.“

Dann schloss die rothaarige Schönheit die Tür hinter sich und verschwand in der Dunkelheit.

 

Shinichi lehnte sich gegen den Türrahmen und rieb sich die Stirn. Was redete Miyoko nur für einen Unsinn? Er sollte Kaito küssen? Und wieso genau? Er war immerhin nicht verliebt in den Jungen.

Er erinnerte sich zurück an den Morgen, als Kaito in seinen Armen gelegen hatte, die Augen geschlossen, die Wangen erhitzt, das Wasser auf seinen Lippen glitzernd und ein Hunger überkam ihn, wie er ihn bisher noch nicht gespürt hatte. Shinichi presste sich eine Hand auf den Mund und verdrängte den Gedanken wieder. Kaito lag fiebrig und schwach in seinem Zimmer, wenn er sich jetzt nicht unter Kontrolle hatte und das Raubtier in seinem Inneren bekämpfen würde, dann würde er über den Jungen herfallen.

Schnellen Schrittes eilte Shinichi in die Küche und riss seinen Kühlschrank auf. Er schnappte sich eine der Konserven aus dem Gemüsefach und trank gierig dessen Inhalt. Er konnte es nicht riskieren Kaito noch einmal hungrig gegenüber zu treten, vor allem dann nicht, wenn er sich selbst nicht traute.

Die Konserve half und Shinichi und er beruhigte sich wieder etwas. Er rieb sich noch einmal die Stirn, beschloss dann jedoch die Anspielung der Vampirin einfach zu ignorieren. Stattdessen begann er mit den Vorbereitungen für Kaito’s Abendessen – Reisbrei.

Solange das Fieber des Jungen nicht vollkommen verschwunden war und er weiterhin von Tablette zu Tablette schlief würde Shinichi es nicht riskieren etwas schwerer Verdauliches zu kochen. Es war an sich schon schwer für jemand anderes zu kochen, wenn man keinerlei Möglichkeiten hatte das Essen abzuschmecken.

Aber Reisbrei war zum Glück keine große Kunst. Da seine Eltern stets auf Reisen waren und er früher schon sehr viel Zeit alleine daheim verbracht hatte, war es für Shinichi nicht schwer einfache Gerichte wie Reisbrei oder Curry zu kochen. Für Sherlock Holmes war es immer wichtig gewesen seine Fähigkeiten in den verschiedenen Bereichen zu schulen und natürlich hatte Shinichi das auch versucht. Wenn er auch nicht unbedingt ein Sternekoch war, so hatte er sich die Basics des Kochens doch recht schnell angeeignet.

Als er fertig war platzierte er die Schüssel mit einem frischen Glas mit Wasser auf dem kleinen Tablett und machte sich erneut auf den Weg nach oben. Er war nicht lange weg gewesen, aber Kaito war bereits erneut tief ins Land der Träume abgetaucht. Entweder war sein Körper wirklich noch so schwach, oder der Junge hatte einfach einen gesegneten Schlaf.

Shinichi seufzte lautlos und stellte das Tablett auf dem Nachtkästchen ab. Die Sonne war inzwischen komplett untergegangen und die einzige Lichtquelle in dem Raum waren die Sterne und Straßenbeleuchtung von draußen. Auf dem Nachtkästchen stand eine kleine Lampe, die der Vampir anmachte. Sie spendete nicht viel Licht, aber immerhin genug das es nicht mehr stockdunkel in dem Zimmer war.

Der Dieb murrte und zog sich die Decke über den Kopf, was Shinichi zum Schmunzeln brachte. Er streckte die Hand aus und berührte sanft den Schopf an braunen Haar, welcher unter der Decke hervorlugte.

„Ich hab dir Essen gemacht“, Shinichi wisperte diesmal nicht so sanft wie zuvor sondern sprach einfach nur leise. Der Junge unter der Decke murrte, rührte sich sonst aber nicht. Seufzend packte Shinichi die Decke und zog sie mit einem Ruck ein Stück nach unten.

Kaito lag da, seine Hände immer noch in einer Stellung als würde er etwas halten und sah Shinichi erschöpft aus müden Augen an. „Kann ich nicht noch etwas Schlafen?“

„Nein“, der Detektiv schmunzelte, „Du musst deine Medikamente nehmen. Sonst bekomm ich ärger mit Miyoko. Und davor musst du etwas essen.“

Kaito seufzte leise auf und versuchte sich in eine aufrechte Position zu stemmen. Shinichi half ihm dabei so gut es ging und als er sicher war, dass Kaito stabil saß holte er das Tablett auf seinen Schoß. Er nahm den Deckel von der Schüssel und sah Kaito fragend an.

Dieser verzog nur leicht das Gesicht. Etwas war ihm unangenehm. Etwa, dass er schon wieder nur Reisbrei bekam?

„Kudo…“, er klang unglücklich, „…könntest du mir noch mal helfen?“

Der Detektiv blinzelte erst verwirrt, schmunzelte dann jedoch minimal. Er sagte nichts, sondern begann einfach nur wortlos den Dieb in seinem Bett zu füttern. Keiner der beiden sprach während Kaito aß, jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach. Als die Schüssel schließlich geleert war stellte Shinichi diese wieder zur Seite.

„Hey, Kudo…“

Überrascht sah er den Dieb an. „Ja?“

„Ich schulde dir was.“

Der Schülerdetektiv hob fragend eine Augenbraue an. Er verstand nicht ganz woher diese Anwandlung plötzlich kam, aber natürlich, wie es eben seiner Neugierde gebührte, hakte er nach: „Wie kommst du da drauf?“

Kaito zuckte leicht mit den Schultern, ließ sich dann aber wieder tiefer ins Bett sinken. Er hob den Kopf ein kleinwenig und sah den Detektiv an, ein schwaches Lächeln auf den Lippen: „Na ja, du hast mir den Hals gerettet, beim Diebstahl vom Auge von Belmont. Ohne dich wäre ich garantiert in die Falle getappt. Und du kümmerst dich um mich, obwohl das doch unheimlich lästig sein muss. Und…“

Kaito senkte den Blick etwas. „Du hast mir zweimal den Hals gerettet. Einmal vor diesem komischen Söldner und einmal vor diesem Massenmörder.“

„Du musst mir nicht danken. Immerhin war es auch meine Schuld, dass du da mit reingezogen wurdest.“

Überrascht hob Kaito den Kopf und zog fragend eine Augenbraue hoch. Er dachte einen Moment lang, dass der Schülerdetektiv Witze machte, doch als er sah wie betroffen sein Blick war wusste er, dass er die Entschuldigung ernst meinte.

„Das ist doch ein schlechter Witz“, Kaito setzte sich wieder etwas auf. „Wieso entschuldigst du dich? Du kannst ja wohl am allerwenigsten dafür.“

Shinichi hob den Kopf und sah Kaito überrascht. Dann wurde sein Blick sanft. „Wenn ich nicht gewesen wäre, dann wärst du in die ganze Sache gar nicht erst mit reingezogen worden.“

„Kudo, nur weil es mit Vampiren zu tun hat und du einer bist ist das Ganze doch nicht deine Schuld“, stellte der Meisterdieb überrascht fest. „Du hast mich nicht dazu gezwungen den Kristall von Aurelie oder das Auge von Belmont zu stehlen. Diese Ziele habe ich gewählt, weil ich dachte sie sind das, was ich suche. Dass ich beim Kristall von Aurelie das Eigentum eines Vampirs stehle wusste ich ja nicht.“

Der Dieb sank wieder etwas tiefer ins Bett. Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, erschöpft.

„Und dass es dieser Massenmörder auf mich abgesehen hatte… daran bin ich ja wohl selbst schuld. Du hattest mich noch vor ihm gewarnt aber ich habe meinen Raubzug trotzdem nicht abgesagt.“

Shinichi erwiderte nichts. Es stimmte schon, irgendwie. Er hatte KID nicht absichtlich in diese Situationen reingezogen. Er hatte den Söldner nicht auf ihn gehetzt und auch der Zwischenfall mit dem Massenmörder war nicht seinetwegen geschehen. Es waren Zufälle gewesen, die KID zur falschen Zeit an den falschen Ort geführt hatten. Und zufälligerweise waren auch beide Male Vampire involviert gewesen.

„Als, wie gesagt“, Kaito drehte seinen Kopf zur Seite und öffnete die Augen. Er sah Shinichi an, müde, erschöpft, aber mit einem Lächeln auf den Lippen: „Ich schulde dir etwas. Egal was.“

„Egal was?“

Der Meisterdieb nickte. „Egal was.“

Shinichi senkte den Blick und starrte auf seine Hände. Sie waren unnatürlich weiß, wie die Hände eines Vampirs eben. Die Hände eines Toten. Er bekam nur dann Farbe zurück, wenn er frisches Blut trank.

Shinichi hob langsam den Kopf und sah Kaito an.

„Egal was“, wiederholte er langsam, womit er wieder die Aufmerksamkeit des Diebes auf sich zog. Der Junge sah den Vampir fragend an, so als könne er dem Gedankengang des Detektivs nicht ganz folgen, also sprach Shinichi seine Gedanken laut aus.

„Es gäbe da etwas… etwas, dass du für mich tun könntest.“

„Und was?“

Shinichi hob seine Hand zu der Wange des Jungen. Er berührte sie zart, nur mit den Fingerspitzen. Kaito verstand erst nicht wirklich, was das sollte, aber er war nicht weiter verwundert über die Berührung. Seit er zum Vampir geworden war hatte der Schülerdetektiv eine Angewohnheit entwickelt ihn zu berühren, wann immer es ging. Vermutlich lag es daran, dass er sich so von seinem Blut angezogen fühlte, aber Kaito störte sich nicht daran.

Shinichi würde ihn niemals verletzen.

Der Vampir beugte sich etwas näher zu dem Jungen, sein Blick wanderte von Kaito’s Gesicht zu seinem Hals. Langsam aber sicher dämmerte es ihm, was der Vampir sich wünschte.

Kaito atmete tief durch als er spürte wie Shinichi’s Lippen ihren Weg zu seinem Hals fanden. Der Dieb verspannte sich, sein Körper schrie danach einfach wegzulaufen, einfach zu flüchten, aber er hielt still. Er hatte Shinichi gerade eben gesagt, dass er ihm etwas schuldete. Egal was. Und wenn es sein Blut war, das er wollte, dann würde er sich nicht wehren.

Er spürte, wie Shinichi seine Lippen an die weiche Stille hinter seinem Ohr presste und dann sanft den Weg nach unten wanderte. Ein Keuchen entkam Kaito’s Mund und er presste seine Lippen hart aufeinander um nicht noch weitere Laute von sich zu geben.

Warum nur konnte Shinichi es nicht einfach hinter sich bringen? Wieso konnte er nicht einfach zubeißen? Wieso musste er ihn erst so sanft, so zärtlich berühren?

Kaito neigte den Kopf leicht zur Seite um dem Vampir mehr Platz an seinem Hals darzubieten. Er war beinahe an seiner Halsschlagader angekommen, gleich würde er ihn beißen. Der junge Meisterdieb schloss die Augen und hielt die Luft an. Er wartete geduldig darauf, dass die langen Fangzähne sich in sein Fleisch bohrten, doch der Vampir presste lediglich seine Lippen in einem leichten Kuss gegen die weiche Haut an Kaito’s Hals ehe er den Kopf ein kleinwenig zurückzog.

Kaito atmete schwer auf und öffnete seine Augen einen Spalt. Shinichi war nahe, viel zu nahe. Die Augen des Vampirs strahlten Neugierde und Aufregung aus und Kaito drohte fast in den blauen Saphiren zu versinken als die rauchige Stimme des Detektivs zu ihm sprach: „Es ist nicht dein Blut, dass ich will, Kuroba-kun.“

„W-Was willst du dann?“, nuschelte der Dieb hatte alle Mühe seine Fassung zu bewahren. Er hatte das Gefühl, dass ihm die Hitze zu Kopf stieg und er wusste nicht ob es daran lag, dass das Fieber wieder stieg oder, das Shinichi einfach viel zu Nahe war.

Shinichi’s Blick sank etwas und blieb an Kaito’s Lippen hängen. Er hob seine Hand ein Stück und berührte mit den Fingerkuppen zart die Lippen des anderen. Miyoko’s Worte schossen ihm wieder durch den Kopf.

Wenn ich du wäre, dann würde ich mal versuchen seine Lippen zu kosten. Der Kleine scheint nämlich nicht sonderlich abgeneigt zu sein.

Kaito schuldete ihm etwas, er hatte das selbst gesagt. Und er hatte auch betont, dass es egal war, was Shinichi von ihm verlangen würde. Ganz egal.

Shinichi schluckte schwer. Die Verlockung war so groß, die Lippen des Diebes so nahe. Kaito hatte seine Augen zur Hälfte geschlossen und sein Atem ging schneller. Er war schon nervös gewesen, als der Vampir sich an seinem Hals zu schaffen machte aber diese Nähe zu seinen Lippen. Es brachte ihn völlig durcheinander.

„Es gibt da etwas, Kuroba-kun“, Shinichi’s Stimme war nur ein Flüstern, „etwas, das ich nur von dir verlangen kann.“

Kaito schluckte schwer. „Und was?“

Und mit einem Mal war Shinichi’s Gesicht verschwunden und der Meisterdetektiv hielt ihm eine Tablette und ein Wasserglas entgegen.

„Nimm deine Medikamente und versuch schnell wieder auf die Beine zu kommen.“

Kaito starrte die Tablette und das Wasserglas an, welche vor sein Gesicht gehalten wurde und für einen kurzen Moment zog er es in Erwägung dem Detektiv beides aus der Hand zu schlagen. Aber mit welcher Begründung? Frustration? Weil Shinichi ihn nicht geküsst hatte?

Das war lächerlich!

Kaito schnappte sich die Tablette und das Glas und schluckte das Medikament schnellstmöglich runter. Dann leerte er das Glas auf einen Zug und stellte es mit einem dumpfen Knall auf das Nachtkästchen. Er zog sich die Decke bis zum Kinn und drehte Shinichi den Rücken zu.

„Gute Nacht.“

Shinichi starrte den Rücken des Diebes an, fasziniert. Er spürte, wie seine Mundwinkel zu zucken begannen und beschloss, dass es Zeit war den Raum zu verlassen. Nach einer kurzen Verabschiedung und nachdem er das Licht gelöscht hatte verließ der Detektiv den Raum, blieb jedoch noch einen Moment vor der Tür stehen. Er tat ein paar tiefe Atemzüge und gestattete es sich das Lächeln zuzulassen.

Miyoko hatte wohl Recht gehabt. Kaito war nicht abgeneigt.

 

Es dauerte eine Weile, bis Shinichi in dieser Nacht eingeschlafen war. Nicht, weil er so aufgeregt war, aber eine Frage beschäftigte ihn, die er geflissentlich verdrängt hatte. Und wenn man sowieso schon Einschlafprobleme hatte machte es das nicht gerade einfacher.

Eigentlich hatte er ausschlafen wollen, aber sein Telefon machte ihm am nächsten Morgen einen Strich durch die Rechnung. Pünktlich zum Start in die neue Woche und früh genug, um sich für die Schule fertig zu machen klingelte der Wecker an Shinichi’s Telefon, welches neben dem Bett auf dem Nachtkästchen lag. Der Schülerdetektiv knurrte leise und tastete sich blind nach dem Telefon um die Schlummer-Taste zu drücken. Es dauerte ein paar Versuche, bis er sie gefunden hatte, aber als das Telefon endlich verstummte ließ er seine Hand sinken und döste wieder ein.

Oder zumindest hatte er das vor. Es war das zweite Telefon, welches neben seinem Bett lag, dass ihn erneut aus seinem Schlummer riss. Das Telefon seines Besuchers. Es hatte den Anschein, als hätten Kaito und er ähnliche Zeiten was das aufstehen und zur Schule gehen betraf.

Langsam rappelte der Schülerdetektiv sich hoch und schnappte sich das Gerät. Er drehte den Wecker ab und beschloss, dass es jetzt sowieso schon egal war. Er hatte am Vorabend keine Antwort auf seine Frage gefunden und langsam wurde die Zeit knapp.

Shinichi schlug die Decke zurück und schälte sich aus dem Bett. Er schlurfte müde zum Schrank hinüber und zog eine Hose und ein Shirt heraus in welches er sich überwarf. Am besten wäre es, wenn er erstmal einen Blick auf seinen Patienten warf und dafür sorgte, dass dieser etwas aß und seine Medikamente einnahm. Danach konnte er sich immer noch Gedanken zu seinem Problem machen.

Als Shinichi das Schlafzimmer verließ hörte er sofort das Rauschen der Dusche. Fragend hob er eine Augenbraue an. Hatte er am Vorabend vergessen das Wasser abzudrehen? Nein, das war dumm. Vermutlich war es Kaito, der seinen Weg ins Badezimmer gefunden hatte.

Shinichi checkte kurz im Zimmer des Diebes, doch wie erwartet war das Bett leer. Mit wenigen weiteren Schritten stand er an der Tür zum Badezimmer und presste sein Ohr leicht dagegen um zu lauschen. Er hörte natürlich das Rauschen des Wassers, welches er schon im Gang vernommen hatte. Aber viel wichtiger war, dass er auch hörte wie jemand summte.

Shinichi atmete erleichtert auf. Er hatte befürchtet, dass Kaito es mit dem heißen Wasser übertrieb und aufgrund seines Fiebers unter dem Wasserstrahl zusammenbrach. Doch wie es schien ging es dem Jungen gut.

Beruhigt entschied Shinichi, dass er nichts weiter tun konnte als zu warten, bis sein Gast fertig war mit Duschen, also machte er sich auf den Weg in die Küche um das Frühstück vorzubereiten. Vor dem Kühlschrank stockte er jedoch.

Sollte er wieder Reisbrei für den Dieb machen? Aber wenn es Kaito inzwischen gut genug ging, dass er eine Dusche nahm, hieß das dann nicht auch, dass es ihm gut genug ging um etwas anderes als Reisbrei zu essen? Und wenn, worauf hatte er Lust? Shinichi wusste nichts über die kulinarischen Vorlieben seines Gastes, also beschloss er lediglich die Kaffeemaschine aufzuheizen und mit dem Kochen zu warten bis Kaito fertig war.

Dann wandte er sich wieder dem Kühlschrank zu und holte eine der Blutkonserven heraus. Er wollte es vermeiden vor Kaito zu Essen, da er es einfach selbst nicht als sonderlich appetitlich empfand, wenn er an einem Plastikbeutel voller Blut saugte, so wie er es als Kind bei Tüten mit Fruchtsaft getan hatte. Auch, wenn der Ekel Blut zu trinken schon lange verschwunden war – wie konnte er auch etwas ekelig finden, das so gut schmeckte? – so war ihm der Gedanke daran doch immer noch unangenehm. Akihito meinte, dieses Unbehagen würde sich legen, wenn Shinichi erstmal angefangen hatte sein Leben als Vampir zu akzeptieren und seine Menschlichkeit losließ. Und dazu war er einfach noch nicht bereit.

Shinichi seufzte leise und entsorgte das leere Plastik im Abfalleimer. Er fühlte sich besser, doch die Sonne machte ihn immer noch müde und träge. Das war wohl einer der Punkte, an die er sich als Vampir nie gewöhnen würde. Oder vielleicht erst sehr, sehr langsam?

Shinichi hob den Kopf als er hörte, wie das Wasserrauschen stoppte. Kurze Zeit war Stille, dann öffnete und schloss sich die Tür zum Badezimmer und nur wenige Augenblicke später Stand Kaito, nur ein Handtuch um die Hüfte und die Haare nass, in der Küche. „Morgen.“

Shinichi blinzelte leicht. Dann schritt er näher zu Kaito und packte ihn an den Schultern. Er beugte sich näher zu dem Jungen und presste seine Lippen gegen Kaito’s Stirn, was diesen wohl ziemlich überraschte, da er erst reflexartig versuchte sich aus Shinichi’s Griff zu lösen. Als er dann registrierte, was der Schülerdetektiv vorhatte hielt er inne.

Shinichi löste sich nach kurzer Zeit von Kaito. „Kein Fieber“, murrte er, wirkte aber nicht sonderlich erfreut darüber, „Das wird sich aber sofort wieder ändern, wenn du hier halbnackt rumläufst.“

„Was hätte ich tun sollen? Ich hab keine sauberen Klamotten“, erwiderte der Meisterdieb zu seiner Verteidigung. Shinichi rieb sich mit einer Hand die Stirn. Natürlich. Daran hätte er auch selbst denken können.

„Warte hier, ich bring dir was.“

Und schon war er aus der Küche verschwunden, auf dem Weg ins Schlafzimmer. Er schüttelte gedanklich immer noch den Kopf über den Dieb, aber wo er recht hatte, hatte er recht. Er konnte nicht wieder in die alten, dreckigen Klamotten schlüpfen und Shinichi hatte schlichtweg darauf vergessen, dass er ihm was zum Anziehen rauslegte. Er hatte auch nicht erwartet, dass der Junge so schnell wieder auf den Beinen war, nachdem er nur zwei Nächte zuvor einen starken Fieberschub gehabt hatte. Das zeigte nur wieder wie stark Antibiotika eigentlich waren und wieviel Einfluss sie auf die menschliche Gesundheit hatten.

Shinichi fragte sich was wohl passieren würde, wenn er die Tabletten schlucken würde.

Zusätzlich zu den Klamotten, die er für Kaito aus dem Schrank holte schnappte sich der Vampir auch noch die beiden Mobiltelefone sowie die Antibiotika aus Kaito’s Zimmer. Die Anweisung lautete, die Tabletten zu nehmen bis die Packung leer war und Shinichi würde ein Auge darauf haben, dass sich der Junge daranhielt.

Als Shinichi wieder in der Küche auftauchte war Kaito gerade dabei eine Schüssel mit Milch und Cornflakes zu füllen. Der Schülerdetektiv grinste leicht: „Schön zu sehen, dass du schon so selbstständig bist.“

Der Meisterdieb grinste leicht über seine Schulter. „Ich war ein bisschen überrascht, dass der Kühlschrank voller Lebensmittel ist. Du warst einkaufen, oder?“

Shinichi schlenderte gemächlich zum Küchentisch und hängte Kaito’s Kleidung über die Stuhllehne. Dann platzierte er die Telefone auf dem Küchentisch. „Wie kommst du darauf?“

Kaito wandte sich dem Küchentisch zu legte seine Schüssel mitsamt Löffel dort ab. Dann nahm er die Kleidung, die Shinichi ihm gegeben hatte und betastete sie behutsam.

„Na ja“, begann er langsam, wobei er sehr konzentriert dabei wirkte die Hose zu untersuchen. Dachte er etwa Shinichi würde Nadeln oder ähnliches darin verstecken? „Du bist seit gut einem Monat ein Vampir. Das bedeutet ja auch, dass du keine Lebensmittel brauchst. Ich dachte erst, dass die Sachen einfach alt wären und du zu faul warst sie wegzuschmeißen, aber irgendwie passt das nicht zu deinem Charakter.“

Kaito legte sich die Hose über den Arm und begann das Shirt zu untersuchen.

„Dann hab ich auf das Ablaufdatum geschaut und es liegt in der Zukunft. Und zwar nicht nur ein paar Tage, sondern teilweise Wochen. Was heißt, dass du die Sachen erst vor Kurzem gekauft hast. Und nachdem dein Haus dafür, dass du hier lebst ziemlich kühl und leer wirkt gehe ich davon aus, dass du nicht oft Besuch empfängst. Also wirst du die Sachen wohl für mich gekauft haben.“

„Nicht schlecht, du Möchtegern-Sherlock Holmes. Und was verrät dir mein Kühlschrank sonst noch so?“

Kaito platzierte die Kleidungsstücke neben seiner Müslischüssel auf den Küchentisch. Shinichi verstand nicht ganz was er da vorhatte, aber er hinterfragte es auch nicht.

„Dein Kühlschrank verrät mir außerdem, dass du keine Ahnung hast was ich mag und was nicht. Darum hast du einfach von allem ein bisschen was gekauft.“

„Respekt“, Shinichi schmunzelte leicht. „Das stimmt. Ich wollte vorbereitet sein, wenn du endlich was anderes als Reisbrei zu dir nehmen kannst. Immerhin habe ich deinem Freund, diesem Jii, versprochen mich um dich zu kümmern. Und- sag mal, was machst du da eigentlich?“

Kaito strahlte den Vampir an. „Auf die Frage hab ich schon gewartet! Das hier wird ein Zaubertrick. Bist du bereit?“

Shinichi zog eine Augenbraue hoch, nickte jedoch. Er beobachtete, wie Kaito sich konzentrierte und kurz die Augen schloss. Er atmete tief ein und tief aus, so als würde er seine Kräfte sammeln.

„Nun gut. Pass genau auf, ich mach das nur einmal. One.“

Kaito lockerte seine Schultern.

„Two.“

Er umfasste mit einer Hand das Ende des Handtuchs an seiner Hüfte.

„Three!“

Eigentlich hätten Shinichi’s raubtierartigen Sinne ihm helfen müssen die schnellen Bewegungen des Diebes zu verfolgen, aber Shinichi war nicht in der Lage es zu kontrollieren. Er wusste nicht, wie er seine Augen dazu brachte den Fluss der Zeit langsamer zu sehen, es geschah einfach. Und diesmal ließen ihn die Instinkte im Stich.

Alles, was er sah war das Handtuch, wie es atemberaubend schnell durch den Raum wirbelte und als es auf den Boden fiel stand Kaito erhaben, mit ausgebreiteten Armen und vollständig bekleidet, bis hin zu den Socken, vor dem Meisterdetektiv.

„Tada!“

Shinichi war beeindruckt. Aber dann sah er, wie Kaito ins Wanken geriet, wie er mit der Hand nach dem Tisch langte um nicht zu stürzen. Und da geschah es wieder. Die Zeit verlangsamte sich, wurde zählflüssig. Kaito sank in Zeitlupe zusammen und Shinichi musste nur zwei Schritte machen und einen Arm um die Taille des Jungen legen um ihm Halt zu geben. Und plötzlich verlief die Zeit wieder normal und Kaito sackte gegen den Vampir, eine Hand am Oberarm des Jungen, seine Stirn gegen Shinichi’s Brust gepresst.

„Shit… ich hab‘s wohl übertrieben“, nuschelte der Meisterdieb und Shinichi half ihm sich auf den Stuhl zu setzen.

„Beeindruckend wars trotzdem“, erwiderte der Detektiv und sah in Kaito’s Gesicht. Es schien fast so als wäre Kaito schwindlig und er hielt seine Augen geschlossen. Shinichi strich ihm ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Alles okay?“

Kaito nickte leicht und öffnete langsam die Augen wieder. Verlegen grinste er Shinichi an. „Wenigstens bin ich nicht nackt zusammengebrochen, das wäre peinlich gewesen.“

„Du solltest mit solchen Tricks aufpassen, wenn du nicht willst, dass ich dich nackt sehe“, wies Shinichi ihn an, „Immerhin ist meine Wahrnehmung nicht mehr die eines Menschen.“

„Das stimmt, daran hatte ich nicht gedacht… hast du was gesehen?“

Shinichi schüttelte den Kopf. „Ich hab noch nicht raus, wie es funktioniert. Manchmal sehe ich alles ganz langsam, wie in Zeitlupe. Wie jetzt zum Beispiel, als du das Gleichgewicht verloren hast. Ich konnte gemütlich zwei Schritte auf dich zumachen und dich halten, bevor die Zeit wieder normal weiter floss.“

„Das ist faszinierend“, wisperte Kaito andächtig. Er beobachtete, wie der Vampir sich erhob und zur Kaffeemaschine schritt um eine Tasse für seinen Gast einzuschenken. Kaito schnappte sich indes seinen Löffel und begann zu essen, konnte sich aber nicht verkneifen noch weitere Fragen zu stellen. „Gibt es einen Weg, wie du das kontrollieren kannst? Ich meine, kann Akihito es kontrollieren? Und Miyoko?“

„Den gibt es, aber ich weiß nicht wie“, Shinichi stellte den Kaffee vor Kaito ab und nahm neben ihm auf einem der Stühle Platz. „Akihito meint, mein Verstand steht mir im Weg. Ich versuche anscheinend zu sehr es verstehen zu wollen und das blockiert mich darin diese Fähigkeit zu nutzen. Es scheint sowas wie ein Instinkt zu sein…“

Kaito nickte leicht, als Zeichen, dass er verstanden hatte, setzte aber sein Frühstück schweigend fort.

„Es gibt da noch ein kleines Problem“, begann Shinichi langsam. Er hatte sich seit dem Vortag darüber den Kopf zermartert, war aber auf keine Lösung gekommen. Vielleicht würde Kaito den richtigen Input haben.

„Und welches?“

„Wir sollten in etwa einer Stunde im Unterricht erscheinen und ich habe keine Ahnung, wie ich uns als abwesend melden soll ohne, dass es verdächtig wirkt. Vor allem bei meiner Schule und Ran... wenn ich nicht aufpasse steht sie innerhalb weniger Minuten vor der Tür und will wissen, was hier los ist.“

„Das ist unser Problem?“

Kaito legte den Löffel neben seine Schüssel und streckte sich um nach seinem Telefon zu greifen. Er entsperrte es und tippte schnell die Nummer seiner Schule, ehe er die Anruftaste drückte. Er presste den Hörer an sein Ohr und räusperte sich. Nach zwei kurzen Freizeichen nahm der Angerufene auch schon ab und Kaito begann mit der Stimme einer Frau zu sprechen: „Ja, guten Morgen, hier spricht Chikage Kuroba, Kaito’s Mutter. Ich rufe an, um Ihnen mitzuteilen, dass mein Sohn die nächsten Tage nicht in die Schule kommen wird. Ja, er hat sich eine schlimme Grippe eingefangen, wissen Sie? Er ist bei einem Freund der Familie, der kümmert sich um ihn solange ich weg bin. Ich wollte nur Bescheid geben. Ja? Oh, natürlich, ich werde es ihm ausrichten. Vielen Dank.“

Dann legte Kaito auf und sah Shinichi fragend an: „Wie ist die Nummer deiner Schule?“

Shinichi starrte den Jungen fasziniert an. Natürlich hatte er schon öfter beobachtet, wie Kaitou KID ganz ohne Stimmenverzerrer verschiedenste Stimmen nachahmte, als wäre so einfach wie atmen. Aber es hier und jetzt beim Frühstück zu sehen hatte eine ganz eigene Magie für sich.

Der Schülerdetektiv tippte die Nummer seiner Schule in Kaito’s Telefon ein. „Deine Mutter ist die Schauspielerin Yukiko Kudo, nicht wahr?“

Shinichi nickte und beobachtete, wie Kaito das Spiel wiederholte. Erneut räusperte er sich kurz bevor er die Anruftaste drückte. Als er zu sprechen begann klang er so sehr wie seine Mutter, dass es dem Schülerdetektiv eiskalte Schauer über den Rücken jagte: „Hier spricht Yukiko Kudo, Shinichi’s Mutter. Ich wollte nur Bescheid geben, dass mein Schatz diese Woche nicht in der Schule sein wird. Wissen Sie, mein Mann und ich haben ihn so lange nicht gesehen, dass wir beschlossen haben einen Spontantrip nach Osaka mit ihm zu machen, hohoho! Es tut mir wirklich leid sie so kurzfristig davon in Kenntnis zu setzen. Vielen Dank.“

Dann legte Kaito auf, legte sein Telefon zur Seite und setzte sein Frühstück fort. Shinichi lehnte sich in seinem Stuhl zurück und atmete durch: „Ich zerbreche mir seit gestern Abend den Kopf, wie wir das Problem regeln. Und dann kommst und löst es mit zwei Anrufen…“

„Es wäre traurig, wenn ich keine Vorteile aus meinen Fähigkeiten als KID ziehen könnte, meinst du nicht?“, erwiderte Kaito grinsend und aß das letzte bisschen Müsli auf. Dann schob er die Schüssel zur Seite und zog stattdessen seine Tasse näher. Er roch an dem schwarzen Gebräu und seufzte genießerisch auf ehe er ein paar Schluck davon nahm.

„Du magst Kaffee?“, stellte Shinichi überrascht fest und der Dieb nickte leicht. „Nichts geht über einen schwarzen Kaffee um richtig wach zu werden.“

„Da kann ich nur zustimmen.“

Kaito grinste leicht und beugte sich etwas näher: „Heißt das etwa, du bist auch ein Kaffee-Trinker?“

„War“, Shinichi verzog leicht das Gesicht. „Ich mochte Kaffee ganz gern aber… das hat sich ja jetzt erledigt.“

Kaito’s Lächeln erstarb. Natürlich, als Vampir war es dem Schülerdetektiv unmöglich etwas anderes außer Blut zu konsumieren. Die Freuden eines guten Kaffees am Morgen oder die Süße von Schokolade waren etwas, dass er nicht mehr schmecken konnte. Dass er nicht mehr brauchte.

Doch das warf wieder eine andere Frage auf.

„Kannst du eigentlich Lebensmittel essen? Oder stößt dein Körper sie ab?“

„Ich kann sie essen“, Shinichi verzog angewidert das Gesicht, „Aber es schmeckt verdorben. Alles schmeckt einfach… sauer, ungenießbar. Wenn ich tagsüber in der Schule bin und Ran mir ein Bento mitbringt zwinge ich mich es zu essen, aber es schmeckt scheußlich.“

„Und trotzdem isst du es?“, fragte Kaito fasziniert. „Wow. Du musst deine kleine Freundin ja echt lieben.“ Shinichi verschränkte die Arme vor der Brust und wandte den Blick ab: „Sie ist nicht… wir sind nicht… wir sind nur Freunde, okay?“

„Aha. Nur Freunde.“ Kaito hob fragend eine Augenbraue. „Wieso?“

Er hatte Shinichi gesehen. Nein, er hatte Conan gesehen. Gesehen, mit welcher Leidenschaft er Ran überall hin gefolgt war. Er hatte gesehen, wie der kleine Junge das Mädchen beschützt hatte. Die Intensität, mit der er sie angesehen hatte. Er hatte sich ihretwegen sooft in Gefahr gebracht, hatte so oft sein Leben für sie riskiert. Hatte ihm, Kaitou KID, sooft an den Hals gehen wollen dafür, dass er sich als Shinichi ausgegeben hatte.

„Es hat sich nicht ergeben.“

Das war die mit Abstand schlechteste Ausrede, die er seit langem gehört hatte. „Empfindest du denn nichts für sie?“

„Und wenn?“

Shinichi sah Kaito direkt an. Es überraschte den Dieb ein kleinwenig und er war im ersten Moment beeindruckt, wie gut das Pokerface des anderen war. Dann erkannte er, dass es kein Pokerface war. Shinichi meinte es ernst.

„Selbst, wenn ich sie Lieben würde und ihr das sage, was dann? Denkst du, sie könnte mit mir Leben? Mit dieser Situation?“

Shinichi beugte sich vor. Er öffnete den Mund einen Spalt, ließ seine Zähne wachsen. Sein Blick wurde animalisch und für nur einen Moment hatte der Meisterdieb Angst, dass der Vampir ihn anspringen würde. Doch dann lehnte Shinichi sich wieder zurück und entspannte sich.

„Ich bin kein Mensch mehr. Ich bin ein Raubtier. Und selbst, wenn sie mich akzeptieren würde, wenn sie mich lieben würde, so wie ich bin: denkst du, sie würde es verkraften, wenn ich sie, zum Beispiel deinetwegen, links liegen lasse?“

„Meinetwegen?“ Da hatte Shinichi es doch tatsächlich geschafft den Meisterdieb unvorbereitet zu treffen. Kaito’s Pokerface war weg und er starrte sein Gegenüber verständnislos an. „Wie meinst du das?“

Shinichi machte eine Handbewegung in Kaito’s Richtung. „Dein Blut“, murmelte er und wandte sich ab. „Immer, wenn ich es rieche ist es, als würde ich den Verstand verlieren. Wenn du verletzt bist, dann… dann verliere ich jede Vernunft und lass alles stehen und liegen nur um dich zu beschützen.“

Kaito blinzelte leicht. Dann fielen ihm die Geräusche ein, die er im Apartment dieses widerlichen Vampirs gehört hatte. Erst der Schmerzensschrei, und dann das Geräusch von etwas, das mehrfach gegen die Wand geschlagen wurde.

„Das war der Vampir“, verstand Kaito langsam und Shinichi sah ihn fragend an, konnte dem Gedankengang des Diebes nicht folgen. „In dem Apartment. Als dieser widerliche Kerl aufgeschrien hat. Du hast seinen Kopf gegen die Wand geschlagen, nicht wahr? Und zwar mehrfach. Und du… du hast ihn gebissen.“

Shinichi’s Augen weiteten sich leicht. Für einen kurzen Moment fragte Kaito sich, ob Shinichi wohl rot werden würde, doch seine Wangen blieben weiß, obwohl er den Blick beschämt abwandte. „Kann sein“, murmelte der Schülerdetektiv und erhob sich aus seinem Stuhl. Es sah fast so aus als wolle er die Küche verlassen, aber Kaito war noch nicht fertig mit dem Gespräch. Er sprang auf und rief „Warte!“ doch da gab sein Kreislauf auch schon wieder nach und er sank auf die Knie. Diesmal war Shinichi nicht schnell genug gewesen um ihn zu stützen, aber als er über seine Schulter blickte und den Jungen am Boden sitzen sah eilte er sofort zurück zu ihm.

„Du bist immer noch krank“, sagte er mit strenger Stimme und hob den Jungen im Prinzessinnengriff hoch, „Also sei vorsichtiger.“

Kaito seufzte auf, ließ sich jedoch widerstandslos ins Wohnzimmer tragen.



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