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Ai no Scenario

von

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Kaito hatte Alpträume.

Und ausnahmsweise handelten sie nicht davon, dass er von der Polizei gestellt und enttarnt wurde, oder davon, dass die Männer vom Syndikat ihn versuchten umzubringen wie sie schon seinen Vater umgebracht hatten.

Er träumte von Shinichi Kudo, träumte von dem Meisterdetektiv des Ostens und wie er ihn von seinem Raubzug abhielt. Nicht, indem er seine Rätsel löste und die Fallen entschärfte, nein. Er packte seine Hand, der Griff wie aus Stahl, und presste ihn gegen die Wand. Egal was KID versuchte, er konnte sich nicht befreien, konnte nicht fliehen. Es gab keine Hoffnung, keine Rettung.

Aber das Schlimme war nicht, dass er drohte enttarnt zu werden, oder dass er nicht wegkam. Das Schlimmste an dem ganzen Traum waren Shinichi’s Zähne, die sich tief in seinen Hals gruben und ein Gift versprühten, welches ihn lähmte ehe er begann gierig KID‘s Blut auszusaugen.

Er erwachte mit einem Schrei und schnappte panisch nach Luft. Zuhause, in den eigenen vier Wänden nach so einem spektakulären Raubzug aufzuwachen sollte eigentlich etwas Beruhigendes haben. Kaito senkte den Blick auf seine Hände, welche leicht zitterten. Er ballte sie zu Fäusten und atmete tief durch.

Es war nur ein Traum gewesen. Und noch dazu ein ziemlich dämlicher. Shinichi Kudo, ein Vampir? Shinichi Kudo, der ihm das Blut aussaugte? Das war doch alles nur ein Hirngespinst seiner Fantasie.

Kaito ließ sich zurück in die Kissen sinken und schloss die Augen. Er wartete, bis sein Herzschlag sich beruhigt hatte ehe er sich zur Seite drehte und versuchte noch ein paar Stunden Schlaf zu erhaschen ehe er sich für die Schule fertigmachen musste.

Doch sein Wecker hatte andere Pläne mit ihm und kaum, dass der Schlaf sich entschieden hatte zurück zu kommen riss das lästige Ding ihn auch schon wieder aus seinem Schlummer. Kaito maulte genervt auf und tastete sich blind mit einer Hand zum Wecker, um ihn mit voller Kraft gegen die Wand zu schleudern. Dann zog er das Kissen über seinen Kopf um den anbrechenden Morgen nur noch ein bisschen länger auszusperren.

Das gegen die Wand schleudern hatte leider nicht viel gebracht. Nur wenige Minuten später begann nun auch der Wecker in seinem Mobiltelefon zu schreien.

Diesmal außerhalb seiner Reichweite blieb Kaito nichts anderes übrig als sich aus seinem Bett zu quälen. Er gähnte laut und schlurfte zu dem Telefon auf seinem Schreibtisch, hob es hoch und drehte den Wecker ab. So gerne er auch weiter Schlafen würde und so müde er auch war, er wusste, dass er sich fertigmachen musste, wenn er noch rechtzeitig zu Unterrichtsbeginn in der Schule sein wollte.

 

Kaito ließ sich erschöpft auf seinen Platz sinken. Die Müdigkeit war trotz der frischen Luft nicht verschwunden und er wusste, dass es nicht nur mit seinem Raubzug am Vorabend zu tun hatte, sondern auch von den Alpträumen kam, welche ihm keinen guten Schlaf beschert hatten. Lustlos scrollte er durch die News auf seinen Social Media Seiten. Es waren immer dieselben Nachrichten: Kaitou KID hat zugeschlag, Kaitou KID hatte den wertvollen Kristall von Aurelie gestohlen, Kaitou KID entkommen, Kristall von Aurelie dem Besitzer zurückgebracht, Kristall konnte gerettet werden, Kristall von Aurelie in Sicherheit.

Kaito runzelte die Stirn. Normalerweise, wenn er einen Edelstein zurückließ oder wenn er ihn Inspektor Nakamori übergab wurde in den Medien ein riesiger Wirbel darum gemacht wer und wie der Schatz seinen Weg zurück zum Besitzer gefunden hatte.

Diesmal wurde mit keinem einzigen Wort erwähnt was passiert ist.

„Schon komisch, oder?“

Aoko’s Stimme direkt neben seinem Ohr ließ Kaito erschrocken zusammenfahren. Das Telefon wäre ihm beinahe aus der Hand geglitten, aber er schaffte es gerade noch das teure Stück Technik festzuhalten. Genervt drehte er sich um und maulte das junge Mädchen an: „Bist du von allen guten Geistern verlassen dich schon so früh am Morgen anzuschleichen?! Kannst du mir nicht wenigstens ein paar Minuten Ruhe gönnen?!“

Aoko ignorierte Kaito’s Ausbruch – so wie sie es immer tat – und nahm an ihrem Tisch neben seinem Platz. Sie öffnete ihre Schultasche und begann gerade ihre Bücher auszupacken als sie den Gesprächsfaden wiederaufnahm: „Ich hab Paps gefragt, wie sie es geschafft haben den Kristall zurück zu gewinnen. Anscheinend hat ihn jemand zurückgebracht, ungefähr eine Stunde nachdem KID ihn gestohlen hatte.“

Überrascht sah Kaito auf. Natürlich wusste er sehr genau, wer den Stein zurückgebracht hatte, aber wenn er jetzt nicht nachfragte würde Aoko skeptisch werden. Also legte er sein Telefon zur Seite und lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück ehe er die Frage stellte: „Und wer hat den Stein zurückgebracht?“

Aoko zögerte einen Moment und sah kurz über ihre Schulter ob noch jemand dem Gespräch lauschte ehe sie sich näher zu Kaito beugte. Mit einer Hand schirmte sie ihren Mund ab, sodass niemand ihre Lippen lesen konnte ehe sie wisperte: „Shinichi Kudo.“

Kaito’s Pokerface saß perfekt. Er setzte sich wieder aufrecht hin und sah Aoko mit großen Augen an, ehe er sich ebenfalls näher beugte und flüsternd fragte: „Shinichi Kudo? Der Schülerdetektiv des Ostens?“

Sie nickte eifrig.

„Aber… warum steht dann nichts in den Nachrichten? Wenn er KID ausgetrickst und den Stein zurück gebracht hat muss das doch eine Wahnsinnsgeschichte sein.“

„Das hab ich Paps auch gefragt. Aber er meinte, sie haben Kudo’s Anwesenheit zu seinem eigenen Schutz geheim gehalten.“

„Zu seinem Schutz?“

Aoko nickte eifrig. Es hatte den Anschein als brannte sie nur darauf die geheimen Informationen, die sie von ihrem Vater erhalten hatte mit jemandem zu teilen, und Kaito war nur mehr als glücklich darüber der Auserwählte zu sein. Vielleicht konnte er so etwas Licht in die Sache bringen.

„Paps hat erzählt, dass Kudo ganz seltsam war als er beim Museum angekommen ist. Sie waren gerade dabei die Männer abzuziehen, darum waren zum Glück nicht mehr viele anwesend, aber Kudo hat sie alle ignoriert. Er ist schnurstracks zu Inspektor Megure und Paps gegangen und hat ihnen den Stein gegeben. Und dann ist das wirklich seltsame passiert…“, Aoko beugte sich näher zu Kaito und dieser konnte einfach nicht anders als ihre Bewegung zu imitieren. Sie warf noch einmal einen kurzen Blick in alle Richtungen ehe sie fortfuhr: „Shinichi Kudo’s Hemd und Jacke waren über und über mit Blut besudelt. Paps wollte ihn gleich an die Rettung weiter verfrachten, aber anscheinend hat Kudo sich geweigert. Also haben sie ihn selbst unter die Lupe genommen und das verrückte ist – er war komplett unversehrt. Kein einziger Kratzer.“

Kaito lief ein eiskalter Schauer über den Rücke und er konnte spüren wie sich seine Nackenhärchen aufstellten. Er hatte Kudo’s Hemd gesehen, und den riesigen Blutfleck darauf, aber er war einfach davon ausgegangen, dass der Detektiv sich verletzt und aufgrund eines Adrenalinschubes nichts von seinen Schmerzen bemerkt hatte. Wenn er jedoch unverletzt gewesen war, wenn es nicht sein Blut gewesen war… „…woher kam das Blut?“

Aoko schüttelte den Kopf: „Kudo hat keine Antwort gegeben. Paps und Inspektor Megure haben beschlossen ihn aus den Medien rauszuhalten um seine Privatsphäre zu schützen. Inspektor Megure hat einen seiner Männer auf die Ermittlungen diesbezüglich angesetzt, sie werden Paps wahrscheinlich am laufenden halten aber da Kudo’s Aussage unbrauchbar war, weil er sich an nichts erinnern konnte haben sie keine großen Hoffnungen darauf den Tathergang zu rekonstruieren.“

Kaito wollte gerade noch etwas zu dem Thema sagen als auch schon der Lehrer eintrat und den Unterricht eröffnete. Schnell wandten sich Kaito und Aoko voneinander ab und begannen dem Unterricht zu folgen.

 

Der Tag zog sich wie Kaugummi. Während Kaito nach außen hin wie ein braver Student wirkte, der sich dem Unterricht widmete tobte in seinem Kopf Chaos. Er hatte seine eigene Theorie was mit Shinichi Kudo passiert war. Vor allem für seine schnellen Reflexe und sein raubtierartiges Verhalten gab es der Ansicht des Meisterdiebes nach nur eine logische Erklärung. Und diese Erklärung war verrückt und absolut unrealistisch.

Aber war er nicht selbst auch jemand, der es vermochte die Wahrheit zu verbiegen und Menschen eine falsche Realität vorzugaukeln? Hatte er nicht, gerade als Kaitou KID, schon mehrfach die Schwerkraft besiegt und sich selbst vervielfacht? Konnte Shinichi Kudo’s seltsames Verhalten nicht auch einfach nur ein Trick gewesen sein? Eine Illusion?

Aber seit wann war der Detektiv, der doch immer nur die Wahrheit suchte unter die Magier und Illusionisten gegangen? Und warum hatte er KID nicht enttarnt, wenn er doch schon so nahe an ihm dran gewesen war?

Und was hatte er damit gemeint er habe ‚seine Fährte aufgenommen‘? War er doch ein Raubtier geworden, das ihn jetzt erschnüffeln konnte?

Kaito kicherte. Ja, klar, weil das ja auch etwas war, dass Menschen taten. Sich gegenseitig erschnüffeln.

Der böse Blick der Lehrerin brachte Kaito wieder zum Schweigen. Er wollte natürlich nicht negativ auffallen, obwohl das nicht ungewöhnlich für ihn wäre. Es kam öfter mal vor das Kaito den Unterricht störte, solang er die Fragen seiner Lehrer dennoch beantworten konnte und die Störung nicht zu lange dauerte wurde das auch soweit akzeptiert.

Aber heute hatte er keine Lust darauf ein Störenfried zu sein. In seinem Kopf arbeitete es auf Hochtouren, dass Rätsel rund um Shinichi Kudo eine neue Herausforderung, die er, Kaitou KID, auf jeden Fall selbst lösen wollte.

Diesmal würde er derjenige sein, der die Wahrheit ans Licht brachte.

 

„Hey, Aoko, was gibt es heute zum Abendessen?“

Kaito grinste das Mädchen an. Sie war seine Nachbarin und seit seine Mutter beschlossen hatte auf Reisen zu gehen und ihn alleine zu lassen aß er immer wieder mal bei seiner Kindheitsfreundin zu Abend. Als Aoko den Kopf hob und ihn ansah war ihr Blick jedoch voller Schuldbewusstsein, was ihm gleich zu verstehen gab, dass er sich heute wohl selbst um sein Abendessen kümmern musste.

„Es tut mir leid, Kaito. Paps und ich gehen heute mit Inspektor Megure und dem Polizeichef essen.“

Kaito stieß einen anerkennenden Pfiff aus: „Das ist ziemlich hohes Klientel. Womit hat dein alter Herr sich diese Ehre verdient?“

Aoko rümpfte leicht die Nase über den leicht abfälligen Ton in Kaito’s Stimme, entschied sich dann jedoch trotzdem zu antworten: „Es ist wegen KID. Anscheinend haben die einzelnen Polizei-Einheiten vor enger zusammen zu arbeiten. Hakuba-kun war auch eingeladen, aber weil er noch nicht aus England zurück ist kann er leider nicht dabei sein.“

„Oh, und was ist, wenn ich statt Hakuba hingehe?“

Aoko rollte leicht mit ihren Augen ehe sie sich wieder darauf konzentrierte ihre Tasche zu packen. Sie ließ ihren besten Freund zappeln, weigerte sich eine Antwort zu geben obwohl Kaito genau darauf wartete ehe sie sich schließlich, die Tasche in Händen, an ihn wandte: „Dazu müsstest du dir erstmal einen Namen als Detektiv gemacht haben und nicht als irgendein Zauberkünstler mit Tricks, die neben Kaitou KID wie ein Kindergeburtstag aussehen.“

Kaito spürte wie seine Augenbraue zuckte und er wollte sich am liebsten auf Aoko stürzen und ihr seine Meinung über diesen ‚Kindergeburtstag‘ sagen, aber er riss sich zusammen und hielt sich im Zaum. Wenn Aoko dachte Kaitou KID wäre so viel besser als er, bitte. So konnte er immerhin sicher sein, dass sie nicht davon ausging, dass er hinter der Maske des Meisterdiebes steckte.

Kaito verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und wandte sich ab: „Na dann wünsche ich dir viel Spaß bei einem langweiligen Abendessen mit alten Männern, die sich alle nur über KID unterhalten.“

Er konnte hören wie Aoko ihm mit einem lauten Bäääh die Zunge zeigte, ehe sie das Klassenzimmer verließ. Er wartete noch ein paar Minuten um sicher zu gehen, dass Aoko sich weit genug entfernt hatte ehe er seufzend seine Haltung lockerte und sich von seinem Platz erhob. Er schnappte sich die bereits gepackte Schultasche, warf sie sich mit einer Hand über die Schulter und schlurfte nachdenklich zu seinem Schuhfach um sich für den Heimweg fertigzumachen.

Seine Gedanken kreisten um die Information, welche Aoko ihm gerade geliefert hatte. Ein Zusammenschluss von Inspektor Nakamori und Inspektor Megure. Kaito war schon öfter zwischen die Fronten dieser beiden Riesen geraten, unter anderem als er versucht hatte die Zeiger einer Turmuhr zu stehlen. Es war damals nicht sein Ziel gewesen Pandora zu finden, sondern die Uhr vor dem Abriss zu schützen, aber er erinnerte sich zu gut daran wie Kudo und Megure ihm auf die Schliche gekommen waren und seinen Plan beinahe zerstört hatten. Zu seinem Glück hatte er die Anwesenheit der beiden zu seinem Vorteil nutzen können.

Sollten sich Megure und Nakamori und dazu auch noch Hakuba und Kudo gegen ihn verbünden, dann würden ihm ein paar harte Monate bevorstehen. Mal abgesehen davon, dass er gleichzeitig auch immer um sein Leben fürchten musste, falls Snake ihm mal wieder irgendwo auflauerte.

Erschöpft lehnte sich Kaito gegen den Schrank mit den Schuhen, woraufhin einer seiner Klassenkameraden gleich besorgt fragt, ob denn alles in Ordnung sei. „Ja, ja“, winkte Kaito mit einer Hand ab, „Ich musste nur daran denken was für ein Haufen Arbeit vor mir liegt.“

„Aber Kuroba-kun, du hattest doch noch nie Probleme bei den Zwischenprüfungen“, erwiderte der Junge mit einem Lachen. Kaito erwiderte nichts, nahm nur seine Schuhe aus dem Regal und zog sich um.

Es stimmte, Kaito hatte keine Probleme mit Prüfungen oder dem Lernen. Sein IQ war hoch genug, der Lernstoff unterforderte ihn. Aber er wollte die Schule nicht wechseln. Er hatte seine Kindheitsfreundin hier, Aoko, er hatte Akako und Keiko und er konnte es sich leisten Raubzüge als Kaitou KID zu machen, ohne dass seine Noten darunter litten.

Das war ein Luxus, den er nicht breit war aufzugeben, solange er nicht Pandora gefunden und zerstört hatte.

Das Wetter war warm, nur eine feine, kühle Brise zerstörte den perfekten Herbsttag. Das machte den Nachhauseweg natürlich um einiges Entspannender, neben dem Fluss schlendernd, wo er sooft entlang spazierte, wenn ihn seine Gedanken nicht losließen.

Kaito hatte das Telefon in der Hand und las weitere Artikel über den Überfall, doch es war wie Aoko ihm prophezeit hatte: die Medien wussten nichts von Shinichi Kudo’s Anwesenheit. Nachdem er sich endgültig davon überzeugt hatte änderte Kaito seine Suchergebnisse: Er war motiviert so bald wie möglich ein weiteres Ziel in Angriff zu nehmen. Eigentlich sollte er sich ein paar Tage Pause gönnen um seine Reserven und seine Tricks wiederaufzuladen, doch der Tatendrang in ihm machte es unmöglich auch nur eine Sekunde nicht daran zu denken bald wieder draußen zu sein. Und wenn er tatsächlich herausfinden wollte, was es mit Kudo auf sich hatte gab es zwei Dinge, die er zu beachten hatte.

Erstens: er musste ein Ziel in Beika wählen, nahe genug an der Dienststelle von Inspektor Megure sodass dieser auch tatsächlich in die Ermittlungen verwickelt werden würde.

Und zweitens: er musste ein Ziel wählen bevor Hakuba zurückkam. Es würde schon eine Herausforderung mit Nakamori, Megure und Kudo sein, er konnte diesen englischen Schnüffler auf keinen Fall auch noch brauchen. Vor allem wenn er, neben dem Stehlen des Steins natürlich, herausfinden wollte was für Tricks der Schülerdetektiv des Ostens noch so aus dem Ärmel schüttelte.

 

Zuhause angekommen ließ Kaito sich auf die Couch fallen. Das große Haus stand leer, er war der einzige Bewohner. Zwar konnte er jederzeit Jii einladen, aber Jii fühlte sich unwohl dabei im Haus seines alten Meisters zu sein ohne ihm der Kaito’s Mutter anwesend. Und Kaito’s Mum war gerade irgendwo in Amerika unterwegs – Las Vegas hatte sie geschrieben – um sich die großen und einzigartigen Zaubershows dieser Welt anzusehen. Keiner dieser Männer oder Frauen würde zwar je an seinen Vater heranreichen, dessen war Kaito sich sicher, aber er verstand das seine Mutter dennoch gerne in den Genuss einer guten Zaubershow kam.

Kaito fragte sich erneut, wie schon so oft in der Vergangenheit, ob er selbst auch auf Tour gehen sollte. Sein Vater wäre sicher stolz auf ihn, wenn er sein Werk fortsetzen würde, und dabei sprach er nicht mal von seinem Dasein als KID. Magie war etwas Wundervolles, etwas das die Menschen verzauberte und sie von den schweren Lasten des Alltags befreite, wenigstens für ein paar Stunden. Er wusste, dass viele seiner Klassenkameraden dankbar für seine Tricks waren, gerade wenn der Druck der Prüfungen immer schwerer auf den Schultern der jungen Menschen lasteten. Auch, wenn es nur ein paar Augenblicke waren, es war befreiend.

Kaito rollte zur Seite und starrte auf den schwarzen Bildschirm des Fernsehers. Er fragte sich, was wohl passieren würde, wenn er Pandora gefunden und zerstört hatte. Er wusste, dass es gefährlich sein würde, dass die Männer des Syndikats jagt auf ihn machten. Er wusste, dass Snake ungehalten darüber war, dass KID das stehlen nicht aufgab und dass er weiterhin versuchen würde ihn umzubringen.

Wenn er Pandora gefunden und zerstört hatte würde er das Dasein als Meisterdieb aufgeben. Aber was dann? Würde er seine wahre Identität verraten und für seine Taten und die Taten seines Vaters ins Gefängnis gehen? Oder würde er einfach als Kaito Kuroba, als unschuldiger Schüler und angehender Magier weiterleben? Würde er das verantworten können? Und würde seine Mutter es überhaupt zulassen, dass er sich der Polizei stellte?

Kaito setzte sich wieder auf. Sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen war unnötig. Noch hatte er Pandora nicht gefunden, er wusste ja noch nicht mal ob er schon nahe dran oder immer noch meilenweit entfernt war.

Ein Stein, der ewiges Leben und ewige Jugend versprach.

Das Knurren seines Magens unterbrach seine wirren Gedanken. Er verzog leicht das Gesicht und erhob sich von der Couch, schlurfte lustlos Richtung Küche. Normalerweise war er täglich bei Aoko und Inspektor Nakamori zum Essen, darum hatte er sich um nichts zu kümmern. Es kam wirklich selten vor, dass er nicht vorbeikommen konnte und dementsprechend leer war auch sein Kühlschrank.

Für einen kurzen Moment zog Kaito es in Erwägung einfach bei einem Lieferservice anzurufen und sich Pizza zu bestellen. Aber dann fiel sein Blick wieder auf die Couch und er wusste, dass er raus musste. Alleine hier rum zu sitzen würde nur dazu führen, dass er sich über Gott und die Welt den Kopf zerbrach ohne auf eine Lösung für auch nur eines seiner Probleme zu kommen. Ein bisschen Ablenkung und die Menschen um sich herum beobachten würde ihm vielleicht den rettenden Einfall bringen, wie er sein Problem mit der Zusammenarbeit zwischen Nakamori, Megure und den Schnüfflern aus der Welt schaffen konnte.

 

Die Sonne war bereits am Untergehen und die Dämmerung legte sich wie ein Schleier über die Stadt. Kaito hatte sich diesmal nicht damit aufgehalten beim Convenient Store ums Eck stehen zu bleiben. Er hatte beschlossen die Vorräte aufzustocken, vor allem jene Lebensmittel, die länger haltbar waren. Nichts war schlimmer als nach der Schule nach Hause zu kommen und kein Essen mehr im Kühlschrank zu haben, nicht mal mehr ein bisschen Reis in der Vorratskammer. Er war nachlässig gewesen, hatte sich stets darauf verlassen von Aoko und ihrer Familie versorgt zu werden. Sein Vater wäre darüber nicht glücklich gewesen, es war ihm immer wichtig gewesen eine Frau wie eine Lady zu behandeln. Kaito erinnerte sich an die Wochenenden, als er morgens in die Küche gekommen war und sein Vater bereits ein großartiges Frühstück für ihn und seine Mutter gezaubert hatte. Als Dankeschön für ihre Liebe und als Zeichen der seinen.

Kaito hatte seinen Vater abgöttisch geliebt. Liebte ihn immer noch. Und wenn er ihm nacheifern wollte musste er sich wohl oder übel zusammenreißen, was sein Verhalten gegenüber Aoko anging. Kein heimliches unter den Rock schauen mehr.

Der Meisterdieb stieß ein tiefes Seufzen aus und festigte den Griff um seine Einkaufstüte. Er würde vorsichtig sein müssen damit, wenn er in Zukunft netter zu Aoko sein wollte. Wenn er sein Verhalten von heute auf morgen ändern würde, dann würde das am Ende nur wieder Hakuba’s Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Kaito verlagerte das Gewicht der Einkaufstüte von einen Arm auf den anderen. Er hatte es mit den Einkäufen ein wenig übertrieben, dafür das er allein und zu Fuß unterwegs war. Wenn er ein bisschen besser darüber nachgedacht hätte, hätte er Jii gebeten ihn zu fahren und dann müsste er sich jetzt auch nicht abschleppen. Aber daran war er jetzt selbst schuld. Und er war ja kein Schwächling, er würde die paar Minuten Fußmarsch schon aushalten.

Kaito bog gerade um die Ecke eines Bürogebäudes als er mit jemanden zusammenstieß. Er verlor die Balance, wurde jedoch von seinem Gegenüber am Oberarm gepackt und mit einer unglaublichen Kraft in die Gerade gezogen. Ein paar Äpfel kullerten aus der Tüte doch der Fremde war im nächsten Moment auch schon auf den Knien und hob das Obst hoch.

„Woah, sorry. Ich hab dich überhaupt nicht gesehen“, entschuldigte sich der Meisterdieb gleich. Er blickte auf den Jungen zu seinen Füßen. Er schien nicht recht viel älter als er selbst zu sein, mit braunen Haaren und in eine dunkle Lederjacke gekleidet. Er sah, wie der Junge einen Moment in seiner Bewegung erstarrte.

Kaito wunderte sich über das seltsame Verhalten des Fremden und wollte schon fragen, ob alles in Ordnung war, als er sich aufrichtete. Blaue Sapphire in einem ungesund bleichen Gesicht starrten ihn an, mit einer unverhohlenen Neugierde, die er sonst nur bei seinen Raubzügen als Kaitou KID zu sehen bekam.

Kaito’s Nackenhärchen stellten sich auf.

Für einen kurzen Augenblick herrschte Stille, die Geräusche um sie rum erstarben. Die Luft wurde schwer, drückend, und der Meisterdieb hatte Probleme zu atmen.

Von allen Leuten, denen er begegnen konnte war er ausgerechnet in Shinichi Kudo gelaufen. Wenn der Detektiv nur wüsste, wem er da gegenüberstand.

Ein eiskalter Schauer lief über Kaito’s Rücken. Kudo’s Blick sagte, dass er genau wusste WEM er da gegenüberstand. Aber das konnte nicht sein. Oder doch?

Langsam streckte der Detektiv seine Hand aus und Kaito erinnerte sich schlagartig an die Nacht zuvor, auf dem Dach, zusammen mit Shinichi Kudo, dessen Hand an seiner Wange, ganz nahe dem Monokel, eiskalt.

Doch Shinichi ließ lediglich die beiden Äpfel in die Einkaufstüte seines Gegenübers fallen ehe er einen Schritt nach hinten machte und mit einem leichten Lächeln und der Hand am Hinterkopf eine verlegene Verbeugung andeutete: „Mir tut es leid, ich war in Gedanken versunken. Ich hoffe, dir ist nichts passiert?“

„A-Alles okay.“

Kaito verfluchte sich innerlich dafür, dass seine Stimme stockte. Er änderte erneut den Griff an der Tüte und setzte sein bestes Pokerface auf. Ein freches Grinsen auf den Lippen nickte er dem Schülerdetektiv des Ostens zu: „Schönen Abend noch.“

Dann wandte er sich ab und setzte seinen Weg fort, weg von Shinichi Kudo, weg von dem Gefühl ein Hase zu sein, der einem Wolf gegenüberstand, aber nicht zu schnell, nicht zu hektisch. Sein Pokerface saß perfekt.

 

Shinichi’s lebloses Herz raste. Er starrte dem Jungen nach, welcher sich mit bedachten, langsamen Schritten von ihm entfernte. Der schwache Geruch des Jungen, eine Mischung aus seinem Körpergeruch und seinem Blut hing immer noch in der Luft und umnebelte Shinichi’s Sinne. Er hatte ihn beinahe nicht erkannt. Hatte beinahe den zarten Geruch, die süße Fährte nicht bemerkt. Er war zu sehr abgelenkt gewesen, zu sehr vertieft in die vielen neuen und einzigartigen Gerüche und Geräusche, die auf seine Sinne einprasselten. Seine Instinkte befriedigt, wenn auch nicht vollends satt, hatte er es gewagt tiefer in die Stadt zu gehen, mehr Menschen zu treffen. Er hatte sich konzentriert seine Instinkte im Zaum zu halten, das Raubtier in sich zu unterdrücken. Er wollte über dem Vampir in ihm stehen, wollte sich selbst beweisen, dass er immer noch Mensch war.

Aber dass er ausgerechnet hier in Kaitou KID laufen würde, dass er ausgerechnet hier mit ihm zusammenstoßen würde.

Seine Mundwinkel wanderten in die Höhe, immer weiter und weiter. Er konnte sich kaum beherrschen, weswegen er sich schließlich von der Straße abwandte und den Weg zu einem etwas abgelegenen Park einschlug, wo um diese Uhrzeit niemand mehr sein würde außer Teenagern, die einen Rückzugsort vor den Erwachsenen suchten.

Kaitou KID‘s wahres Gesicht sah aus wie das von Shinichi. Darum war es ihm auch so einfach gefallen wieder und wieder in die Rolle des Shinichi Kudo zu schlüpfen. Sie sahen aus wie Zwillinge. Wobei, nicht ganz. Seine Haare waren anders, nur eine Nuance oder zwei und seine Augen hatten das tiefe blau des Ozeans. Aber sie waren gleich groß, waren vermutlich auch gleich alt. Er war ein Schüler, nichts anderes als Shinichi selbst auch. Er musste ein Genie sein, dass er bereits mit so jungen Jahren so spektakuläre Raubzüge begehen konnte. Shinichi’s Neugierde wurde angestachelt, sein Trieb mehr über den fremden Jungen zu erfahren geweckt. Aber wie sollte er das machen? Er wusste weder seinen Namen noch wo er wohnte. Alles, was er hatte war seine Fährte und sein Gesicht.

Das Grinsen verschwand von seinen Lippen und seine Stirn legte sich in Falten. Nachdenklich verschränkte der Detektiv die Arme vor der Brust. Er war von Kaitou KID‘s Fährte so übermannt gewesen, so überrascht worden, dass er Mist gebaut hatte. Er hatte den Verdächtigen fliehen lassen ohne ihn mit den Fakten zu konfrontieren, ohne ihn zu stellen. So ein Fehler war ihm als Conan nie passiert, damals hatte er es immer geschafft KID einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Shinichi verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und brummte leise. Es musste an dem Vampir in ihm liegen. Das Tier in ihm fühlte sich hingezogen zu KID‘s Blut, er wollte mehr von ihm schmecken, mehr von ihm trinken. Shinichi wusste nicht woran es lag. Er hegte einen Verdacht, dass es wohl mit der Blutgruppe zusammenhängen könnte, aber sicher konnte er sich diesbezüglich nicht sein. Dafür hatte er schlichtweg zu wenig Beweise.

Shinichi’s Haltung entspannte sich wieder. Es machte einfach keinen Sinn sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen. Es gab nur zwei Optionen: entweder er machte Jagd auf Kaitou KID, lief durch die Stadt und versuchte wie ein Bluthund seine Fährte aufzunehmen und zu verfolgen oder er lehnte sich zurück und wartete auf die nächste Ankündigung des Diebes.

Die Entscheidung fiel ihm nicht schwer. Er wandte sich von dem regen Treiben der Stadt ab und steckte die Hände in die Taschen seiner Jacke. Er würde auf Kaitou KID warten, würde seine Beute zu sich kommen lassen. Und bis es so weit war würde er sich damit beschäftigen mehr über sich selbst und seine neue Situation in Erfahrung zu bringen. Und er musste einen Weg finden an Blut zu kommen ohne im Dunkeln Menschen zu überfallen. Früher oder später würde das garantiert auffliegen.

 

Kaito fühlte sich schrecklich. Er hatte die Wohnungstür doppelt abgeschlossen und den Riegel vorgeschoben. Die Einkäufe waren achtlos am Küchentisch platziert worden, er konnte sich jetzt nicht darum kümmern alles zu verstauen. Unruhig lief der Meisterdieb im Wohnzimmer auf und ab, konnte den Blick des Detektivs einfach nicht aus seinem Kopf verbannen. Er wusste es, er hatte ihn definitiv erkannt. Auch, wenn es gar nicht sein konnte, wenn es entgegen jeglicher Logik sprach, Shinichi Kudo‘s Blick hatte Bande gesprochen.

Der junge Detektiv kannte sein Geheimnis.

Er wusste, dass er Kaitou KID war und er hatte keine Ahnung wie er es herausgefunden hatte. War es tatsächlich über seine Fährte gewesen? Hatte er ihn an seinem Geruch erkannt?

Aber das war doch völlig verrückt.

Kaito hielt in der Bewegung inne. Für einen Moment rührte er sich nicht, sein Körper regungslos während sein Kopf auf Hochtouren arbeitete. Schließlich fummelte er sein Telefon aus der Hosentasche und wählte die Nummer seines engsten Vertrauten.

„Jii-chan. Was weißt du über Vampire?!“



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