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Himitsu no Mahou

von

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Shaginais Erziehungsmethoden

White wusste, dass das, was sie sah, ein Traum war. Sie hatte ihn schon so oft gehabt, dass es daran keinen Zweifel geben konnte. Aber war es… ein Traum… oder ein Alptraum? Diese Bedrückung die sie an jenen Ort verspürte, die sie zur Niederpressung ihres Atems brachte – die nach ihr zu greifen schien, wie eine Hand, sie sich an ihr ausstreckte, nach ihr griff, sie packte, ihr Herz packte, ohne, dass dort irgendwie eine Person war, von dem dieser Klammergriff ausgehen könnte.

Sie war… alleine--- der Boden, unter ihren Füßen, die lebendige Erde, das saftige Grün--- es riss und dort--- doch, da stand doch eine Person, dort am Baum---?

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Was war das für ein Instrument, dass da gespielt---- White erwachte wie jeden Morgen Punkt fünf Uhr dreißig bei dem Klang ihres Tempelwächters. Nie war er sonderlich laut, wenn er morgens herein kam, aber White vernahm Irizz‘ schwache, aber beständige Aura und sein eifriges Tun in dem unteren Teil ihres Gemaches war ihr trotz seiner Vorsicht wie ein Wecker geworden. Es war ein Teil ihrer morgendlichen Routine und gleich, fünf Uhr dreiunddreißig würde er die Wendeltreppe hinaufgehen um ihr ihre tägliche Medizin zu bringen. Normalerweise hätte White sich zu diesem Zeitpunkt schon in ihrem Bett zurecht gesetzt, aber jetzt lang sie noch in ihren Kissen vergraben, ihre weißen Haare wie ein weißes Meer, das links und rechts von ihren Kissen herunterfloss. Es war so ordentlich wie zu dem Zeitpunkt als sie sich ins Bett gelegt hatte – sie bewegte sich nur geringfügig im Schlaf. Aber nun wollte sie eigentlich wieder darin versinken, denn sie hatte nicht das Gefühl, dass sie sich ausgeruht hatte. Aber der Tag hatte schon seinen üblichen Lauf begonnen; in ihrem privaten Badezimmer füllte sich gerade die Badewanne, in das Irizz wie jeden Morgen die duftenden Badeöle gefüllt hatte – und jetzt hörte sie auch schon seine bedächtigen Schritte auf der Treppe.

Der Tag begann mit seinem Rhythmus, egal ob White nun dafür bereit war oder nicht.

„Guten Morgen, Hikari-sama.“ Derselbe morgendliche Gruß wie jeden Morgen, dieselbe Andeutung eines Lächelns auf Irizz‘ Gesicht – aber das Lächeln verschwand, als er White wundernd ansah, weil diese sich noch nicht in ihrem Bett aufgerichtet hatte.

„Guten Morgen, Irzz“, antwortete White und wählte seinen verwundernden Blick nicht zu kommentieren; stattdessen richtete sie sich in ihrem Bett auf, damit der Tag seinen Lauf nehmen konnte.

„Wünscht Ihr noch ein wenig zu ruhen?“ Wie lieb er immer zu ihr war; um ihr Wohl besorgt, statt darum, ob der Tag seinen gewohnten Ablauf nehmen konnte.

„Nein, von Träumen wollen wir uns nicht abbringen lassen.“ Sie nahm das bittere Wasser, schluckte es, ohne die Miene zu verziehen herunter, nahm dann das Glas Wasser entgegen, dass Irizz ihr hinhielt um die Medizin herunter zu spülen und schluckte dann die anderen drei Tabletten in ihrer vorgesehenen Reihenfolge.

„War es der Traum, den ihr jedes Jahr zu dieser Zeit habt, der Euch geplagt hat, Hikari-sama?“ Sie sah einen besorgten Blick in den Augen ihres Tempelwächters, den sie sofort zu beruhigen wünschte, während sie ihre weißen Füße in wärmende Pantoffeln schob und den ihr gereichten Morgenmantel annahm:

„Ja, aber du musst dir keine Gedanken machen, Irizz. Mir geht es gut.“ Sie ging vor, begann die Wendeltreppe herunter zu gehen und ihr Tempelwächter folgte ihr mit vier Stufen Abstand.

„Irgendwelche Vorkommnisse?“

„Ja“, begann Irizz während er White dabei behilflich war aus ihrer Kleidung zu schlüpfen. Das Wasser war bereits eingelassen, hatte sich wie immer bis zu dem Punkt gefüllt, an dem es automatisch aufhörte zu fließen, damit White sich hineinlegen konnte um mit ihrer körperlichen Pflege zu beginnen, während Irizz seinen Platz hinter ihr einnahm, bereit ihre Haare zu waschen, sobald seine Herrin ihm ein Zeichen dafür gab.

„Hirey-sama und Izerin-sama kämpfen zum gegebenen Zeitpunkt zusammen mit Mizuno-sama in der Welt der Dämonen…“ Von der Aufstellung her klang das ganz so, als hätte Hirey eher eine Schlacht vom Zaun gebrochen und Mizuno sei mitgekommen, um ihren Bruder zu bändigen. Sie sah und hörte Mizunos Standpauke förmlich: genau wie sie Izerins ernstes Gesicht sah, obwohl dieser sich ebenfalls darüber freute kämpfen zu können – er zählte immerhin auch mit leidenschaftlichem Eifer seine gezählten Dämonen. Was man daran nur toll oder erstrebenswert sehen konnte war White ein Rätsel.

„… ansonsten keine Vorkommnisse, Hikari-sama.“ Jetzt begann Irizz damit ihre Haare zu waschen, sie in duftenden Ölen einzureiben, vorsichtig einmassierend, dann ausspülend, dann noch einmal, dann noch einmal ausspülen. Dann wurde sie abgetrocknet, dann kämmte er ihr Haare und schnitt sie gegebenenfalls gerade. Dann trank White ein Glas ihres geliebten Orangensaftes, während Izerin ihre Sandalen zuband. Sie konnte es natürlich auch selbst und manchmal überkam ihr auch ein schlechtes Gefühl, wenn sie sah, wie ehrerbietend er sich vor ihr niederkniete und ihre Sandalen zuband; aber es war normal, so war es jeden Morgen, wenn der Krieg den Ablauf nicht störte – dann setzte ein anderer Rhythmus ein.

Rhythmus… wie das traurige Spiel, dass sie jedes Jahr in ihrem Traum hörte. Auch da war es… immer dasselbe…

„Hikari-sama!“ Die trällernde Stimme Kanoris riss White aus ihren Gedanken und dem eben noch so hochgehaltenen Rhythmus, kaum, dass die Hikari zusammen mit Irizz ihr Gemach verlassen hatte. Kanori war plötzlich so hastig herbei geeilt gekommen, dass er Irizz anrempelte, als er abrupt neben White zum Stillstand kam. Diese blinzelte Kanori verwirrt an, fand dann aber zu einem erwidernden Lächeln, als der Windwächter ihr einen „Guten Morgen“ wünschte, während er Irizz an den schmalen Schultern genommen hatte um ihn mit einen entschuldigenden Lächeln wieder „gerade zu rücken“. Das sonst so ruhige Gesicht des Tempelwächters hatte sich eine Spur verzogen und er nahm auch Abstand ein zu Kanori, als befürchte er, er würde ihn noch einmal umwerfen.

„Sie sind heute aber ungewöhnlich pünktlich…“ Ja, das dachte Irizz sich auch; normalerweise war Kanori nämlich alles andere als… der pünktliche Typ. Eigentlich kam er nämlich stets zu spät und das wo er doch Whites Leibwächter war! Sollte Whites Leibwächter nicht wissen, was Pünktlichkeit war? Sollte er nicht in der Lage sein eine Uhr ablesen zu können? Und jetzt – Irizz traute seinen Ohren nicht, weigerte sich förmlich – unterbrach er White auch noch:

„Hier, ich habe Euch etwas von Zuhause mitgenommen!“ Schon hatte er der Hikari ein Croissant in die Hände gelegt, zusammen mit der überschwenglichen Erklärung, dass er gerade einen Abstecher Nachhause gemacht hätte, weil er einen Heißhunger auf dieses Gebäck gehabt hätte – und da hatte er an White gedacht und dass sie diese mal kosten solle, wo sie doch von seinem „Bäcker um die Ecke“ am besten schmeckten. Irizz wusste nicht, was er davon halten sollte; er starrte das noch warme Croissant an, als würde er überlegen, ob er es vorkosten sollte. Und warum musste er dafür überhaupt in die Menschenwelt – hatte er denn kein Vertrauen in die Küche? Gefühl diesem ungehobelten Windwächter denn etwa nicht das Essen, dass ihm serviert wurde?!

White schien Irizz Ärgernis allerdings nicht nachzuempfinden. Im Gegenteil, sie schien richtig… angetan zu sein, dachte Irizz, als er Whites errötete Wangen sah.

„Danke, dass Sie an mich gedacht haben…“

„Natürlich, Hikari-sama, ich denke immer an Euch!“ Auf dem Gesicht von Irizz zuckten die Augenbrauen, White wurde noch röter, Kanori lachte und zwinkerte:

„Ich bin doch Euer Leibwächter!“ Da hatte er vollkommen Recht, obwohl er seine Arbeit wirklich nicht gut machte – das fand Irizz jedenfalls. Dafür war einfach zu wenig Verlass auf Kanori; er hatte viel zu viele Flausen im Kopf um White in ihrem Alltag eine Hilfe zu sein – er lenkte sie nur ab! Und sowieso, argh, Irzz sollte diesen Gedanken nicht haben, aber er plagte ihn schon den gesamten Monat, schon die gesamte Zeit die Kanori Whites Leibwächter war – wozu brauchte sie ihn überhaupt – sie hatte doch ihn! Gut, er konnte ihr im Kampf nicht zur Seite stehen, aber…

„Ich denke wir sollten los, ansonsten brauchen wir beide einen Leibwächter, hehe!“ Ja, Irizz konnte einfach nicht von sich behaupten, dass er sonderlich angetan war von Kanori oder seine Arbeit irgendwie schätzte. Passte er auf dem Schlachtfeld wirklich auf White auf? Sie war seit einem Monat nicht mehr zusammengebrochen, so dass Kanori seine Fertigkeiten als ihr Leibwächter im Prinzip gar nicht unter Beweis hatte stellen können. Er war eigentlich nur ständig in ihrer Nähe und… irritierte den Tagesablauf mit seinen komischen Einfällen. Irizz hätte bestimmt nicht dafürgesprochen, dass Kanori sich im Verlauf des letzten Monats irgendwie dafür verdient gemacht hätte Elementarwächter zu werden. Er hatte doch eigentlich nichts getan… aber Irizz kannte seinen Platz hinter White und verzog nicht einmal das Gesicht, als White Shaginai und Kataron gegenüber beteuerte, dass sie für Kanori und seine Qualitäten – pfft! – bürgte. Eingeschleimt hatte er sich – mit Croissants!

„Ja, Vater, ich kann bezeugen…“ White warf Kanori einen lächelnden Blick zu und Irizz fragte sich, ob auch Shaginai auffiel, dass dieses Lächeln irgendwie anders aussah als ihr übliches Lächeln.

„… dass Kanori-san bestens geeignet ist um das Element des Windes zu vertreten.“ Und White fuhr fort mit ihren Lobpreisungen, achtete gar nicht darauf, dass Kataron Tränen der Freude in die Augen stiegen, anders als Kanori, der etwas verschmitzt grinste und Irizz, der fast mit den Augen rollen wollte. Hatte er diese Lobpreisungen wirklich verdient?

„Es ist schon fast so, als wäre Kanori-san bereits ein Mitglied unseres Teams – und ich denke ich spreche da für alle Mitglieder der Elementarwächter. Er füllt die Lücke, die Kataron hinterlassen hat gut und auf eine neue Art aus.“

„Ah, Hikari-sama, Ihr ehrt mich – ich werde noch ganz rot!“ Auch wenn Shaginai nicht gänzlich von Kanori überzeugt zu sein schien – in seinen Augen glaubte Irizz eine gewisse Skepsis zu erkennen, die auch er in sich verspürte, wenn er Kanori ansah – so unterschrieb er dennoch das Dokument, das bezeugte, dass die Probefase Kanoris vorbei war.

Von dem heutigen Tag war er somit zeitgleich Elementarwächter des Windes, sowie Leibwächter Whites.

Irizz hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Waren seine Bemühungen – die ohnehin in seinen Augen nicht ausreichend gewesen waren – wirklich aufrichtig, genau wie das Lächeln, dass er jetzt an den Tag legte, als er von seinem freudestrahlenden Vater umarmt wurde? Irizz hatte so seine Bedenken, sagte aber natürlich nichts – Kanori würde ohnehin schnell genug die Gelegenheit bekommen seine Aufrichtigkeit unter Beweis zu stellen.

     

 

Man wusste nicht warum, aber aus irgendeinen unerfindlichen Grund hatten sich die Dämonen dazu entschieden die einzige Insel anzugreifen die keinen beschützenden Bannkreis hatte – Espiritou del Aire, die Insel, die vor mehr als 30 Jahren von ihrem vorigen Herrscher zerstört worden war. Heutzutage war sie nur noch eine Ruine; kein Leben war dort mehr zu finden, nur zerstörte Häuser die von einer einst sehr schönen Insel zeugten. Warum hatten die Dämonen gewählt diesen alten Stützpunkt anzugreifen? Dämonen waren doch eigentlich dafür bekannt, dass sie nur der keinen Kampfeslust Willen angriffen – also warum griffen sie eine Insel an, wo niemand lebte? Ging es ihnen darum Kulturgut noch mehr zu zerstören, die Ruhe der dort gestorbenen Wächter zu stören? Hizashi hatte schnell jede Diskussion über die Ursache des Angriffes beiseitegeschoben: Dämonen handelten oftmals ohne Sinn und Verstand, man solle sich nicht wundern sondern handeln. Der neue König der Dämonen, der erst vor sechs Jahren gekrönt worden war, war doch ohnehin nicht gerade für seine Intelligenz bekannt.

Wieder waren es White und ihr Elementarteam, das in den Kampf geschickt wurde; nur Mizuno war nicht anwesend, denn nach der Schlacht in der Dämonenwelt ruhte sie sich aus, im Gegensatz zu Hirey und Izerin, die, als sie aus der Dämonenwelt wieder zurückgekehrt waren so mit direkt in die nächste rauschten – und das ohne sichtliche Probleme.

Während White zu Beginn bei Azai blieb um per Funkübertragung mit ihrer Familie zu sprechen, stürzten Hirey, Izerin, Violet voller Elan los – von Müdigkeit keine Spur. Wieder einmal wurde es als eine spaßige Aktion gesehen, die nur noch witziger wurde durch die Sinnlosigkeit dieses Angriffes.

White wollte gerade ein paar strategische Worte mit Kanori wechseln, als dieser wie ein Wirbelwind an ihr vorbei rannte und schon war er bei den anderen Elementarwächtern, wo White ihn lachend triumphieren sah und hörte wie er freudestrahlend verkündete, dass man ihn soeben zum Elementarwächter ernannt hatte – und dann verschluckt sie schon die Schlacht.

„Ich dachte Euer Leibwächter sollte in Eurer Nähe bleiben…“, kritisierte Azai mit hochgezogenen Augenbrauen, während er das Schlachtfeld – einen ehemaligen Versammlungsplatz der Insel – mit einer blauen Brille scannte.

„Nun ja, es besteht jetzt ja auch keinen Grund um in meiner Nähe zu bleiben…“ Azai wollte gerade antworten, dass es darum ja nicht ging, Kanori musste immer bereit sein einzugreifen… als die Stimme Shaginais in Whites Ohr schon um ihre Aufmerksamkeit verlangte.

„Es sind zwar keine Wächterleben in Gefahr, dafür aber Kulturgut. Die Zerstörung Espiritou del Aires darf nicht vergrößert werden!“ White nickte und behielt auch den Kampf vor ihr im Auge, bereit einzugreifen – aber im Moment sah es nicht danach aus, als bräuchten die vier Krawallwächter irgendeine Hilfe…

„Löscht die Dämonen so schnell wie möglich aus – es darf unter keinen Umständen zugelassen werden, dass der Kampf sich in den Ruinen der Stadt ausbreitet! Verstanden, White?“ White und Azai – Shaginais Stimme war so laut, dass er es ohne Probleme ebenfalls hören konnte – warfen einen Blick über die Schulter, wo sie einen in Mitleidenschaft gezogenen Pfad sahen, der sich dem Hügel hinauf in die zerstörte Ruinenstadt bahnte. Wirklich, keiner von ihnen hatte die Insel noch gesehen bevor sie zerstört wurde, aber sie musste einmal sehr schön gewesen sein. Verblasst vom Atem der Zeit und nur gelegentlich erhellt von dem Blitzgewitter der Attacken erkannte White, dass die Ruinen von Bildern geziert wurden; Sonnen, Wolken, Mond und Sterne waren noch zu erahnen, doch die Zerstörungswut der Dämonen hatte all diese Schönheit jäh ein Ende gesetzt. Es gab so viele Legenden um jenen Tag…

„Sollten die Dämonen Verstärkung schicken…“ Hizashi mischte sich nun ein:

„Davon gehe ich nicht aus – das ist die Privathorde des Königs, die andern Dämonen werden nicht so dumm sein und dem König in seiner Dummheit nachzumachen. Für Dämonen ist Kultur nicht wichtig und daher verstehen sie auch ihren Wert und damit auch ihren Zerstörungswert nicht.“ Shaginai übernahm wieder das Gespräch:

„Für den Notfall stehen zwei Bataillone zum Angriff bereit.“

„Jawohl, Vater. Ich nehme allerdings nicht an, dass wir sie benötigen werden.“ Shaginai kappte die Verbindung ohne noch etwas zu sagen – aber obwohl er es nicht ausgesprochen hatte, glaubte White aus dem Schweigen heraus gehört zu haben, dass er auch davon ausginge und nichts anderes von White erwartete.

Aber im Moment schlugen sich die vier Angriffswächter des Teams sehr gut, wie auch Azai anhand der getöteten Dämonen feststellen konnten – einige ergriffen auch schon die Flucht, scheinbar hatten sie die Dummheit ihres Königs erkannt und sahen keinen Zweck darin Ruinen zu zerstören, besonders wenn diese Ruinen von vier so talentierten Wächtern beschützt wurden.

„Die hinteren Ränge ergreifen die Flucht!“, rief Izerin zu den anderen drei herunter; er hing nämlich gerade an der Spitze eines langen, goldenen Stabes, seinen treuen Taktstock mit dem er die Erde befehligte und somit einen guten Ausblick über das Schlachtfeld hatte – bis ein Dämon ihn vom Himmel herunter reißen wollte. Izerin fluchte schon, denn diesen Angriff hatte er nicht kommen gesehen, als schon das gezackte Schwert Kanoris durch die Luft sauste und den Dämon förmlich in der Luft zersägte.

„Danke, Kanon!“ Schon folgte der nächste Angriff eines anderen Dämons, den Kanori mit seiner windigen Geschwindigkeit aber locker auswich – Windwächter waren nicht umsonst für seine Schnelligkeit bekannt. Doch auch unten auf dem Boden wurde der nächste Angriff im Schutze von Violets Magie vorbereitet – eine Magie, die sie jetzt auf einen Pfeil legte, den Hirey ihr lässig hinhielt:

„Lass uns „Boom“ machen, Vio!“

„Mit dem größten Vergnügen!“ Pink leuchtete der Pfeil auf den Hirey in der Faust hielt – dann verband sich die pinke Magie mit seiner Magie des Feuers die den Pfeil umschloss, ehe Hirey ihn, ohne verbrannt zu werden, spannte um ihn dann in die Höhe zu schießen. Mit schierer unglaublicher Präzision schoss der Pfeil in die Luft und schlug weit weg von ihnen, mitten in die hintersten Ränge der Dämonen ein, die geschockt dem Geschoss aus dem Weg sprangen – an sich hatte der Pfeil niemanden getroffen aber dann explodierte der Pfeil in eine große, pinke Flammenwand, die ihre Opfer nicht nur mit ihrem Feuer verbrannte, sondern auch in Form von tausenden von großen und kleinen Splittern auf die Dämonen zuschossen und sie förmlich auseinander rissen.

„Und BOOM, hahahahaha!“, jubelte Hirey, doch nur kurz jubelten die beiden Wächter über den Tod von rund 50 Dämonen, ehe Violet die pinke Schutzbarriere auflöste und die beiden wieder in den Nahkampf übergingen:

„51 tote Dämonen, Vio!“, rief der Feuerwächter seiner Teamkollegin zu mit der er gerade Rücken an Rücken kämpfte:

„26 an mich, 25 an dich!“

„Wieso geht der eine denn an dich?! Es war mein Pfeil! Ich habe ihn abgeschossen!“

„Ja und meine Magie!“

„Meine war es auch?!“

„Hört auf euch zu streiten, ihr seid schon unprofessionell genug!“ Diese aufgebrachte Stimme stammte von Yuri, die nun hinzu gerannt kam:

„In eurem dummen Spiel habt ihr die rechte Flanke übersehen – dort rücken sie vor, ihr Spielkinder!“ Violet und Hirey grinsten sich beschämt an und wollten schon aufbrechen, als sie Whites Stimme in ihrem Ohr hörten:

„Ich übernehme die rechte Flanke, haltet ihr die Stellung.“ Und schon wurde die Nacht erleuchtet – und wie Azai mit einem missvergnügten Blick feststellte bewegte dies Kanori immer noch nicht dazu sich an Whites Seite zu gesellen. Stattdessen neckte er gerade Hirey damit, dass er – als der einzige Wächter der fliegen konnte – alle Dämonen für sich hatte, die sich in der Luft aufhielten. Yuri hatte wahrlich recht: in diesem Moment waren sie wirklich unprofessionell. Kinder auf einem gefährlichen Spielplatz den sie White zu verdanken hatten. Nur weil sie sie als mächtige Trumpfkarte besaßen, konnten sie die Schlacht so angehen.

 

 

Dank White dauerte die Schlacht auch nicht mehr lange und obwohl sie erfolgreich lief und sie keine Verstärkung benötigt hatten, sah Azai White an, dass sie nicht zufrieden war. Sie hatte gerade die verletzte Yuri geheilt und war nun dabei Hirey zu heilen… und irgendwie tat sie dies mit einer finsteren Miene. Die Finsternis war kaum zu sehen, aber dennoch bemerkte Azai sie – er kannte sie einfach schon zu lange und er konnte sich denken, was ihr Problem war; wahrscheinlich das gleiche, was ihn auch irritierte: Kanori war während des gesamten Kampfes kein einziges Mal an Whites Seite gewesen. Kein besonders guter Anfang wenn man bedachte, dass er gerade erst vor wenigen Stunden seine Testphase hinter sich gelassen hatte. Nun, Azai wollte nicht so negativ von ihm denken – er hatte sich wahrscheinlich einfach nur über seine Ernennung zum Elementarwächter gefreut und sich von den überschwänglichen Kampfeswillen der anderen drei mitreißen lassen. Aber dennoch – so etwas durfte nicht geschehen, er hatte immerhin eine Doppelposition.  Und Whites Leben, dachte Azai und spürte wie die Finger sich auf seinem Rücken verkrampften, war wertvoller als so eine dumme Spielerei!

„Wenn Kano weiter so abräumt wird er noch deinen Rekord brechen! Du solltest echt aufpassen, Izzy! Bald bleiben keine Dämonen mehr für uns übrig!“ Hirey fing an zu lachen, während er Kanori weiter auf die Schulter klopfte.

„Ach was! Das war Zufall und das waren sowieso nur drittklassige Dämonen, die haben doch keine Chance gegen uns!“, antwortete Kanori, ebenfalls mit einen Grinsen.

„Sei doch nicht so bescheiden, Kanon! Du und dein Schwert, ihr habt die Dämonen förmlich auseinander gesägt. Ha! Wirklich, keine Chance haben die gegen uns!“ Azai war offensichtlich nicht der einzige, der etwas gegen dieses Schauspiel hatte, auch Yuri verdrehte die Augen, hatte es aber wohl aufgegeben irgendetwas zu sagen. White verblieb ruhig. Mit starrer Miene heilte sie nun Kanori, der eine große Wunde auf dem Rücken hatte. Irgendwie machte Azai das noch wütender. Wie White da einfach diese dummen Kinder heilte, nichts sagte und sie ihre Heilung einfach für selbstverständlich ansahen, sich nur beiläufig bedankten. Wer sie spielte wirklich nur eins eine Rolle „Wer hatte wie viele Dämonen getötet?“. Egal wie zerstört auch alles um sie herum war, egal ob Menschen durch deren Kampf ebenfalls getötet worden waren; Wächter waren wirklich gut darin, dieses kleine Randdetails zu übersehen; in diesem Kampf war zwar niemand gestorben, aber dennoch – Azai hatte oft genug gehört wie dann, wenn man sie darauf ansprach, die Antwortet lautete, dass Opfer nun einmal nicht vermieden werden könnten und man rettete ja den Großteil!

White hatte die drei Wächter – jetzt vier – oft genug darauf hingewiesen, dass sie solche Worte nicht hören wollte, dass es ihr schlecht dabei ginge, regelrecht schlecht wurde, aber das hatten sie wohl heute vergessen, dachte Azai ironisch.

„Wir sollten eine neue Regel in unseren Wettstreit anbauen: Menschenleben geben Abzug! Dann hast du auf alle Fälle verloren, Hirey, so rücksichtslos wie du bei der letzten Schlacht gewesen bist!“

„Und was ist mit dir, Kano – deine Attacke hat eine Ruine zerstört!“

„Ja, aber du hast es ja schon gesagt: es ist eine Ruine, das zählt nicht.“ Azai hatte es gesehen; White hatte ihre Arbeit unterbrochen, ihre Hände waren erstarrt, aber Kanori, Hirey und Izerin blieb es unbemerkt; Violet dagegen hatte es bemerkt, denn als sie hatte antworten wollen, hatte es stattdessen gewählt zu schweigen.

„Vielen Dank, Hikari-sama.“ Kanori sah sie nicht an, während er dies sagte; zu sehr lenkte ihn der Konkurrenzkampf mit Izerin und Hirey ihn ab:

„Ich hätte da noch eine Wunde, an meinem Bei-“ Hätte White nicht selbst etwas gesagt, so wäre Azai dazwischen gegangen, denn das konnte er sich ja nicht mehr angucken, geschweige denn anhören!

„Kennt Ihre Dreistigkeit denn keine Grenzen, Kanori-san?!“ Kanori und Izerin blinzelten verwirrt über Whites Ausruf, fast so, als hätten sie beide Whites Anwesenheit vergessen – Hirey dagegen ging in die Hocke und verbarg sich hinter dem Erdwächter, der nur eine geringe Größe hatte und ihm daher wohl kaum Schutz geben konnte – als ob überhaupt etwas im Falle von Whites Wut helfen konnte. Sie war nicht oft vorhanden, brach nicht oft aus, aber wenn sie es tat, dann explodierte sie auch mit einem Knall. Dann bemerkte man, dass sie nämlich doch mit Shaginai verwandt war. Kanori tat gut daran zu schweigen… 

„Ich glaube es nicht! Wie könnt ihr so herzlos über Opfer reden?! Das ist doch kein Spiel! In diesem Kampf sind zwar keine Unschuldigen gestorben, aber in anderen Kämpfen sind bereits viele gestorben während ihr euch lachend konkurriert habt! Ist euch das zahllose Leid der Opfer egal?! Ihr lacht spöttisch über tote Menschen, dabei wären sie gar nicht tot, gäbe es unseren Krieg gegen die Dämonen nicht!“ Hirey schien in sich selbst hinein versinken zu wollen, genau wie Violet, während Izerin schweigend und beschämt zu Boden sah. Nur Kanori schien White nicht folgen zu können, die jetzt auf die zerstörte Stadt hinter sich zeigte:

„Auch diese Zerstörung ist nur wegen dem Krieg geschehen über den ihr lacht! Dieser Ort sollte euch ein Mahnmal sein für die Schrecken des Krieges und ihr seid ohne Respekt vor den hier verstorbenen Wächtern!“ Kurz schwieg die Hikari, atmete tief durch und fuhr dann fort:

„Ihr solltest euch schämen. Als Wächter ist es unsere Pflicht die Menschen zu beschützen und nicht, sie wegen eines Konkurrenzkampf in Gefahr zu bringen!“ Sie sah alle vier scharf an.

„Ihr seit keinen Deut besser als die Dämonen.“ Jetzt wurde es Kanori zu viel. Egal ob er eine Hikari vor sich hatte, oder nicht, er ließ sich nicht beleidigen.

„Wir machen für Euch ja nur die Drecksarbeit! Und Ihr gönnt uns nicht einmal ein wenig Spaß?! Ja, auch ich sehe das Grauen – ja, auch ich weiß dass es unsere Schuld ist! Aber uns gleichsetzen mit den Dämonen ist eine maßlose Beleidigung, wozu nicht einmal Ihr das Recht habt!“ White verschränkte die Arme und einen Moment lang, dachte Kanori sie würde zum Gegenschlag ausholen, doch ihre Wut schien plötzlich verraucht.

„Scheinbar… Habe ich mich in Euch getäuscht.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ließ den Windwächter sprachlos stehen. Hirey klopfte Kanori auf die Schulter und sagte:

„Tjaaaa, Alter…Ich denke das wars mit deinem Elementarwächter-Titel. Ich habe Hikari-sama noch nie so außer sich erlebt.“   

 

 

Nachdem die Elementarwächter wieder in den Tempel zurückgekehrt waren, lehnte Kanori sich seufzend an eine Säule. Auch im Tempel war es jetzt Nacht geworden und aus den Augenwinkel heraus sah er, wie der Vollmond hinter einer Wolkendecke hervorkam. Er seufzte noch einmal, als er daran dachte, wie White ihn gerade weggeschickt hatte. Sie benötigte seine Dienste nicht. Sie wolle alleine sein. Sie hatte es nicht gesagt, aber irgendwie glaubte Kanori herauszuhören, dass, wenn er doch bei einer Schlacht wichtigeres zu tun hatte, als seine Pflicht zu erfüllen, dann war ihm ein Besuch in der Bibliothek wohl auch nicht spaßig genug. Spaß schien ihm immerhin ein wichtiges Anliegen zu sein…

Kanoris Seufzen verwandelte sich in ein wehleidiges Stöhnen als er an ihren kühlen Blick zurück dachte – in diesem Moment hatte sie ihrem Vater verdächtig ähnlich gesehen und er war es gewesen, der von diesem kühlen Blick durchbohrt worden war; Augen, treffender, als jede Attacke! 

Was sollte er nun tun? Es war seine Aufgabe an Whites Seite zu bleiben, aber sie hatte klar und deutlich gesagt, dass sie ihn nicht sehen wollte. Aber Shaginai hatte doch befohlen, dass Kanori sich von nichts davon abringen lassen sollte. Wesen Befehl sollte er den jetzt befolgen?! White sah wirklich wütend aus… sie würde ihn wahrscheinlich ignorieren wenn er sich zu ihr gesellen würde – sogar ihr Tempelwächter hatte ihn giftig angesehen…

Kanori seufzte und ließ den Kopf hängen. Warum musste alles nur so kompliziert sein…?!

Der Windwächter federte sich von der Säule ab und schlug den Weg zu Whites Gemach ein. Er sollte versuchen mit ihr zu reden, dass war seine einzige Möglichkeit dieses Desaster aus der Welt zu schaffen. Wahrscheinlich sollte er einfach die direkte Konfrontation wählen und in die Bibliothek gehen, aber… aaaaah, ihr Blick war etwas zu angsteinflößend.  Er würde vor ihrem Gemach warten und darauf hoffen, dass sich ihr Gemüt abkühlen würde.

Gedankenverloren lehnte Kanori sich an das Fenster neben ihrem Gemach und biss sich auf die Unterlippe – vielleicht war das doch nicht so eine gute Idee… vielleicht sollte er erst einmal Grass über die Sache wachsen lassen… dank des letzten Monats hatte er eigentlich geglaubt, dass er White ganz gut kennen gelernt hatte und sie gut einschätzen konnte, aber irgendwie hatte er jetzt das Gefühl, dass er sich geirrt hatte – so einen kühlen Blick hatte er ihr immerhin auch nicht zugetraut; vielleicht war sie ja nachtragend… vielleicht würde er statt dem Lächeln nun immer diesen Blick sehen…

Kanori hob erstaunt den Kopf, als sein Gespür ihm sagte, dass sich eine Person näherte, die er hier nicht erwartet hatte zu spüren: nicht White, sondern Violet stand plötzlich vor ihm. Gekleidet in einem pinken Morgenmantel und genüsslich an einer Schokolade knabbernd – aber obwohl sie ihre Schokolade eindeutig genoss, so war deutlich zu erkennen, dass auch sie nicht gerade eine gute Laune hatte.

„Na, Kano – zu feige um White-chan direkt zu konfrontieren?“ Kanori sah mit einem unsicheren Lächeln weg – wie sie ihn einfach mal auf frischer Tat ertappt hatte!

„Und was ist mit dir? Was verschlägt dich hierher?“

„Ich habe dich gesucht.“

„Huh!? Wie… wieso?“ Darauf antwortete Violet nicht; sie blickte ihn forschend an, dann wandte sie sich herum mit der deutliche Aufforderung, dass er ihr folgen sollte. Zuerst zögerte Kanori, aber dann bewegte er sich dennoch und kaum fünf Minuten später sah er sich auf einem Sofa in Violets Zimmer, welches hauptsächlich in Pink und Violettönen gehalten war. Mit gewichtiger Miene warf sich Violet vor Kanori auf ein Sofa, rückte aber nicht sofort mit der Sprache raus, sondern machte sich daran die Schokolade, an der sie eben noch geknabbert hatte in kleine Stückchen zu teilen und diese dann auf ein Tablett zu legen. Warum sie das tat… das wusste Kanori nicht, jedenfalls tat sie es offensichtlich nicht, um ihn etwas davon abzugeben, denn als sie den Blick des Windwächters bemerkte sah sie ihn sofort abwehrend an:

„Du bekommst nichts ab!“ Kanori war klug genug um Violet zu versichern, dass er auch nicht vorhatte ihr irgendetwas davon zu klauen – er wollte es sich ja nicht auch noch mit Violet verscherzen; mit White hatte er schon eindeutig genug Probleme.

„Weißt du, was White-chan in der Bibliothek macht?“

„Eh – nein?“, antwortete Kanori erstaunt über diese Frage, aber scheinbar gefiel Violet diese Antwort nicht:

„War White nicht in der letzten Zeit oft in der Bibliothek?“

„Doch, in den letzten Tagen drei mal.“

„Und du hast sie nicht gefragt, was sie liest?“ Kanori schwieg ein wenig beschämt und Violet betrachtete diesen Gesichtsausdruck kurz nachdenklich, dann fuhr sie fort:

„Du weißt wirklich nicht viel von White-chan.“

„Sie ist eine Hikari. Woher soll ich auch wissen, was ich fragen darf und was nicht.“ Komischerweise brachte diese Antwort Violet zu einem Schmunzeln; Kanori konnte das nicht so ganz nachvollziehen, denn er fand, dass Violet wahrlich ins Schwarze getroffen hatte mit ihrer Feststellung… Dieser Tag hatte Kanori gezeigt, dass er nur ihr Äußeres kannte und von ihrem Inneren… gar nichts, obwohl er die ganze Zeit in ihrer Nähe gewesen war.

„White-chan ist in der Bibliothek und liest mal wieder etwas über Traumdeutung.“ 

„Traumdeutung?“

„Jeps. Seid sie klein ist, hat sie immer zu dieser Jahreszeit ein und denselben Traum. Das merkwürdige ist: es ist immer derselbe und verändert sich nie und er kommt auch immer nur zu dieser Jahreszeit.“ Violet leckte sich die Schokolade von den Fingern ab – sie hatte einige Stücke zu lange zwischen den Fingern gehabt, weswegen sie schon weich geworden waren.

„Was ist das für ein Traum?“, fragte Kanori nach und die Interesse schien Violet zu gefallen, weshalb sie auch fortfuhr:

„Das kann ich dir nicht so genau sagen, weil White-chan es selbst nicht genau weiß.“ Violet zögerte kurz und Kanori kam es so vor, als würde sie ihn plötzlich sehr intensiv mustern. Ihr Blick war auch sehr ernst geworden… ob sie sich fragte, ob sie es Kanori wirklich erzählen sollte? Was auch immer ihr Schokoladekauend durch den Kopf ging, sie kam offensichtlich zu dem Schluss, dass sie es ihm erzählen wollte:

„Er beginnt immer damit, dass sie vor einem großen Baum steht. An diesen Baum steht jemand, der ihr den Rücken zugekehrt hat. Sobald sie auf ihn zugeht, ertönt hinter ihr eine Melodie. Bis jetzt ist es ihr noch nicht gelungen diese Melodie zu deuten – sie kann nicht einmal zuordnen zu welchem Instrument sie stammt.“ Obwohl das Thema so ernst war, verblieb Violet dabei an ihrer Schokolade zu knabbern und sich nebenbei das Gesicht vollzuschmieren – irgendwie stand ihre ernste Stimme und ihr ebenso ernster Gesichtsausdruck in einem starken Kontrast zu ihren doch recht kindlichen Gebärden.

„Mein Vater ist ein Experte auf dem Gebiet der Traumdeutung… hat sie schon einmal mit ihm darüber gesprochen?“ Violet schüttelte den Kopf:

„Nein, es ist ein Geheimnis.“ Kanori spürte wie er errötete. Also… war er gerade in etwas eingeweiht, was so gut wie niemand wusste? Wie… war er denn zu dieser Ehre gekommen? Er wollte fast nachfragen – sie hatte immerhin ganz offensichtlich lange darüber nachgedacht, ob sie ihn einweihen solle oder nicht, aber statt diese Frage zu stellen, wechselte er das Thema zu einem etwas unverbindlicheren:

„Du wirst noch Karies bekommen, wenn du so weiter machst.“

„Jetzt fang du nicht auch noch damit an! Papa sagt auch immer es wäre zu „ungesund“. Aber wusstest du das Schokolade Glückhormone freisetzt?“ Der Angesprochene lachte und schüttelte den Kopf.

„Außerdem soll sich Papa mal nicht so anstellen! Er ist der Feinschmecker der Familie und er selbst liebt Schokolade – zwar Zartbitter, aber egal!“ Empört steckte Violet sich die Schokolade in den Mund und fuhr fort:

„Er ist nur eifersüchtig, jawohl!“

„Sag mal, Vio… ich wage mich vielleicht etwas zu weit raus, aber da ist schon die ganze Zeit etwas gewesen, was mich gewundert hat. Wenn ich eine unverschämte Frage stelle, dann brauchst du natürlich nicht antworten.“ Die Angesprochene grinste:

„Du hast wirklich einiges an Höflichkeit gelernt, Kano! Schieß los, schieß los, ich reiße dir schon nicht den Kopf ab, haha!“ Nein, das tat ihre Schwester auch wahrlich schon gut genug:

„Warum hast du eigentlich so ein gutes Verhältnis zu Shaginai-sama und deine Schwester so ein…“

„Gezwungenes?“ Er nickte und sah erstaunt, wie sie die Schokolade beiseitelegte. Genau wie von ihm vermutet musste es also ein sehr ernstes Thema sein.

„Wie du es eben vorhin schon so treffend gesagt hast. White-chan ist eine Hikari. Sie ist die Lichterbin die das Element von Papa geerbt hat und die sein Werk als nächste Regime-Führerin fortzusetzen hat. Das ist der Unterschied.“ Sie schwiegen kurz und Violet sah es Kanoris gerunzelter Stirn an, dass er es nicht ganz verstand, aber er stellte keine Fragen – nur als Violet plötzlich aufstand und ein eingerahmtes Bild von einer Kommode herunter nahm, weiteten sich seine Augen fragend, aber da drückte Violet ihm das eingerahmte Foto auch schon in die Hand. 

Auf dem Bild zu sehen waren Shaginai, Violet, White und eine Frau die Kanori nicht kannte – wohl Shaginais Frau und die Mutter seiner Kinder? Sie hatte lange violette Haare, die allerdings schon ziemlich blass wirkten, fast ausgebleicht; die Haare sahen ungesund aus, genau wie ihre Haut. Sie wirkte sehr kränklich, nicht weniger kränklich als White es heute tat. Damals offensichtlich auch, wie Kanori bemerkte, als sie das Kind, das neben ihrer Mutter stand ansah: sie hatte damals – sie konnte höchstens sechs sein – schon eine sehr bleiche Haut. Wie sie sich da hinter ihrer Mutter versteckte und am liebsten wohl vor der Kamera geflüchtet wäre, wirkte sie sehr schüchtern, obwohl sie wie immer ein Lächeln auf dem Gesicht hatte. Wie anders wirkte Violet da nicht! Sie hing an dem rechten Arm ihres Vaters und lachte fröhlich: man konnte ihr Lachen förmlich hören. Auch Shaginai lachte, während er versuchte seine Tochter zu bremsen. Eigenartig… für Kanori sah es so aus, als wären die vier nicht eine Familie, sondern zwei: zwischen den Verheirateten konnte er kein Bund erkennen, als würden sie gar nicht zusammen gehören. Im Gegenteil: er sah eher eine tiefe Schlucht zwischen ihnen, als etwas, dass sie irgendwie miteinander verband.

„Es war eine Pflichthochzeit, oder?“, fragte Kanori und gab Violet das Bild zurück.

„Teilweiße. Papa hat Mutter abgöttisch geliebt… und wie genau es um das Herz meiner Mutter stand, weiß ich nicht.“ Violet stellte das Bild zurück auf die Kommode, doch konnte ihren Blick nicht davon wegbewegen:

„Zu Beginn waren sie ein recht glückliches Paar. Erst als White-chan zur Welt kam, fingen sie an sich zu streiten und meine Mutter sonderte sich von ihm ab. Ich kämpfte darum, dass Shaginai sie nicht so erzog… wie er es nun einmal tat. Mutter wollte nicht, dass White das Gefühl hat, nur eine Hikari zu sein. Wie man sieht, hat das nicht geklappt…“ Jetzt blickte sie Kanori wieder an und das traurige, in sich gekehrte Lächeln blieb dem Windwächter nicht unbemerkt:

„Ich weiß noch, der erste richtige Streit war wegen einem Kleid.“ Kanori sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Ein…Kleid?“ Doch Violet blieb ernst.

„Ja, um ein Kleid. Mutter war eine leidenschaftliche Schneiderin. Sie machte immer unsere Kleidung, auch die von Vater – es war ihre Stellung. Sie schneiderte die Uniformen. Als White sieben war, nahm Mutter sie mit in die Menschenwelt, als sie sich Stoff kaufen wollte; sie suchte ihn nämlich immer selbst aus, anstatt einen Tempelwächter loszuschicken. Papa war immer dagegen – zu große Gefahr, blaaa – aber Mutter war nie um eine Diskussion verlegen. Dort entdeckte White in einem Schaufenster ein königblaues Kleid und Mutter versprach ihr, ihr genau so eins zu machen – eine Woche später bekam sie das auch. White war überglücklich darüber, bis Papa abends aus dem Jenseits zurück kam und White darin sah – er ist an die Decke gegangen. Ich und White wurden aus dem Zimmer geschickt, dennoch konnten wir Draußen hören, dass sie sich stritten. Mutter verstand nicht was falsch daran war, wenn sie ihrer Tochter eine Freude bereiten wollte und warum Papa sich so aufregte, nur weil es mal kein weißes war. Papa hingegen war so wütend, dass er überhaupt keine Argumente zuließ. Da beide Sturköpfe waren, ging der Streit Stunden! Danach war nichts mehr wie früher. Du kennst White-chan sicherlich schon gut genug, um zu wissen dass sie sich dafür verantwortlich machte… Seit diesem Tag trägt sie nur noch Weiß.“ Violet seufzte und sah gedankenverloren zu ihren Schokoladenhaufen. Kanori schwieg, er wusste nicht was er darauf antworten sollte. Doch dann sagte Violet plötzlich:

„Aber, es gab noch einen viel schlimmeren Streit… Er war kurz bevor Mutter starb. Noch nie hab ich Papa so wütend gesehen… Es war Winter im Tempel…“

 

 

1974 - Hikari Regien Hikari Kishitsu Kouhei Shinjitsu Shaginai

 

 

Eigentlich war alles wie sonst auch; nichts, was darauf hindeutete, dass dieser Tag so viele Veränderungen mit sich bringen würde. Einige hatten sich nur über den starken Schneesturm gewundert, der den Tempel einhüllte; die Fenster zeigten dunkles Weiß, man konnte kaum hinaussehen und das Feuer brannte in jeden Kamin um den Tempel von innen zu wärmen, wo es daher auch angenehm warm war. Violet war nervös, versuchte aber, sich von ihrer Nervosität nichts anmerken zu lassen – denn sie wusste, dass etwas… im Gange war, wo die vielen Wächter waren, wo ihr Vater und ihre Mutter waren. Aber sie versuchte sich nichts von ihrer Nervosität anmerken zu lassen, um White nicht zu verunsichern, mit welcher sie gerade „Himmel und Hölle“ spielte.

Sie saßen vor dem wärmenden Kamin, der sein flackerndes Licht auf das bunte Spielbrett warf, tranken heißen Tee und Irizz hatte ihnen gerade auch Gebäck hingestellt – eigentlich ein schöner, kuscheliger Abend, wäre da nicht die Unruhe die nicht nur Violet spürte, sondern auch Irizz. Sie hatten es nicht abgemacht, aber genau wie Violet wollte er auch White nicht verunsichern und sagte daher nichts, doch Violet bemerkte, wie der Tempelwächter immer wieder unruhig auf die Uhr sah. Die Schlacht… die Schlacht in die alle Elementarwächter und das stärkste Bataillon gezogen waren, wahrte schon mehrere Stunden. Die Dämonen hatten die Menschenwelt angegriffen – Violet wusste nicht wo, es interessierte sie auch nicht, denn sie hatte erhaschen können, dass es nicht nur ein großer Kampf war – wenn sie sich nicht geirrt hatte, dann hatte Shaginai sogar davon gesprochen, dass man erwartete, dass die Dämonen Verstärkung bekommen würden – sondern, dass viele starke Dämonen anwesend waren. Die Stärksten.

Violet musste sich sehr anstrengen sich nichts anmerken zu lassen, denn immer wieder huschten ihre Gedanken zu ihren Eltern. Ihre Mutter war eigentlich keine Kämpferin für die Front, keine Offensivkämpferin und trotzdem hatte sie darauf bestanden mit Shaginai zu gehen. Sie hatte die Unruhe auch gespürt… oder? Der Blick, mit dem sie Shaginai angesehen hatte als sie seine Hand nahm – fast so, als wolle sie ihn selbst aufhalten in den Kampf zu ziehen. Das würde Shaginai natürlich immer tun! Es gab nichts und niemanden der ihren Vater davon abhalten konnte in die Schlacht zu ziehen. Er war ihr Hikari. Er beschützte sie.

White war schweigsam, aber Violet traute sich nicht nachzufragen, ob sie die Unruhe ebenfalls spürte, ob sie auch bemerkt hatte, dass Irizz wieder zur Uhr sah. Es war jetzt nach 18 Uhr. Die Schlacht dauerte schon länger als sechs Stunden…

White nippte zagend an ihrem Orangensaft, sie wollte gerade ihren nächsten Zug machen, als ihre Hand über dem Spielfeld verharrte und sie genau wie Irizz und Violet aufhorchte – aufgeregte Stimmen und Fußgetrampel waren zu hören. Violet bemerkte den Schweiß auf ihrer Haut – wurde etwa noch ein Bataillon gerufen? Aus den Augenwinkeln – denn Violet hatte sich zur Tür herum gedreht – sah sie, dass ihre Schwester unruhig auf ihren Handrücken sah. Oh nein, das wollte sie ganz gewiss nicht sehen, weshalb Violet sich wieder zu White herumwandte:

„Komm, lass uns weiterspielen, du hast noch nicht…“

„White-sama!“ Alle drei Wächter schreckten empor als die Tür zum Gemeinschaftsraum sich plötzlich öffnete und ein rothaariger Wächter herein kam: es war Naruäe, der Elementarwächter des Feuers. Aber was… was tat er denn hier? War die Schlacht doch schon vorbei? Stammte das Fußgetrampel nicht von Wächtern, die sich zur Schlacht aufmachten, sondern die gerade zurückkehrten?

„Ich bin auf Geheiß Eures Vaters hier. Ich soll Euch beide zu ihm bringen.“ Violet und White rissen beide die Augen auf; sie blickten zuerst Naruäe an, dann warfen sie sich gegenseitig einen Blick zu. Aufs Schlachtfeld? Sie? Sie hatten zwar beide ihre Ausbildung schon begonnen, aber nur Violet hatte an einem kleineren Kampf teilgenommen; White noch nie.

„Kommt, wir haben nicht viel Zeit!“

„Habt Ihr diesen Befehl schriftlich, Naruäe-sama?“ Irizz hatte sich von seinem Platz am Fenster gelöst und hatte sich nun zwischen dem Feuerwächter und den Kindern gestellt, in einer ruhigen, aber deutlich abwehrenden Manier.

„Aus dem Weg, Tempelwächter. Mit dir habe ich nichts zu schaffen.“ Jetzt war es für Violet ganz deutlich, dass White sich fürchtete, dass es Violet die ganze Zeit nicht gelungen war, White die Furcht zu nehmen – wie deutlich sie das nicht sah, als White ihre kleinen Finger in den Stoff von Irizz‘ blauer Hose vergrub. Er ließ sich nichts anmerken, deutete auch keine Verärgerung an, obwohl der Tonfall Naruäes sehr abwertend war; er achtete nur auf White und ihre Unruhe, die er mit einer Hand auf ihrem Kopf zu vertreiben versuchte.

„Die Töchter Hikari-samas sind in meiner Obhut und eine Mitnahme auf das Schlachtfeld würde sie in Gefahr bringen, ich würde daher gerne Hikari-sama…“

„Ich habe keine Zeit für das Geschwätz eines dummen Tempelwächters der seinen Platz nicht kennt!“ Ein Faustschlag des wohl trainierten und starken Feuerwächters genügte aus um den um einiges schwächeren Irizz beiseite zu werfen.

„Irizz!“ White wollte auf ihn zustürmen, wollte das blutige Gesicht des stöhnenden, halbbewusstlosen Tempelwächters heilen, war auch schon ein paar Schritte gerannt, aber da packte Naruäe Whites Arm und zerrte das kleine Mädchen aus dem Zimmer. White sah noch wie Irizz versuchte sich aufzurichten, aber dann doch einbrach – der Schlag war zu viel für einen Tempelwächter wie ihn gewesen.

Geschockt blieb Violet stehen; wie angewurzelt blieb sie stehen und starrte den bewusstlosen Tempelwächter an, rannte aber dann doch White hinterher, getrieben von Intuition und Sorge um ihre völlig neben sich stehende White, die Naruäe immer noch hinter sich her zog und es auch ohne Erbarmen durchzog, bis sie zum nächsten Teleportationspunkt angelangt waren. Violet hatte sich nicht getraut irgendwelche Fragen zu stellen – und White--- White redete, flüsterte nur mit sich selbst, dass sie zurück zu Irizz müsste, dass er ihre Hilfe bräuchte, dass er blutete und sie ihn heilen müsste. Naruäe interessierte sich nicht dafür. Er hatte den Auftrag sie zum Ort des Geschehens zu bringen und das tat er auch indem er sich, zusammen mit den beiden Mädchen, sofort zum Ort des Geschehens teleportierte.    

Das Erste was Violet bemerkte, war der Temperaturunterschied. Hier war sicher kein Winter: hier war es heiß, Sommer – und als sie die Augen öffnete, sah sie, dass es Nacht war; eine sternenklare Nacht. Sie hörte nichts, es war absolut still. In der Nähe sah Violet einen Wald, doch ansonsten nur Einöde: erst Shaginais Elementarwächter des Feuers sich in Bewegung setzte, sah Violet einen roten Himmel vor ihnen.  Naruäe ging ziemlich schnell, Violet hatte Schwierigkeiten ihm zu folgen und auch White stolperte über ihre kleinen Füße. Auch sie hatte den roten, fast brennenden Horizont bemerkt – Violet sah es in ihren Augen. Sah wie die Röte des Himmels sich in ihren großen, geweiteten Augen spiegelte. Der Name ihres Tempelwächters war verstummt, stattdessen war eine unbekannte Furcht in ihr Gesicht getreten, die sie auch plötzlich dazu brachte vehement stehen zu bleiben. Sie stemmte ihre Füße in den erdigen Boden und riss ihren Arm aus Naruäes Griff los, als hätte sie eine plötzliche, unsichtbare Wand am Weitergehen gehindert.

„Komm schon, es ist nicht mehr weit.“ Genau das war doch das Problem, dachte Violet, als sie ihre Hände auf Whites Schultern legte. White sah zu Boden, ihre Hände vergrub sie im Zaum  ihres Kleides. Irgendetwas machte ihr plötzlich panische Angst.

„Müssen wir da wirklich hin? Muss White dahin? Sie will doch nicht!“

„Es ist ein Befehl eures Vaters – und ihr wollt doch keinem Befehl eures Vaters missbilligen, oder?“ Naruäe wartete nicht auf eine Antwort – er schien es plötzlich eilig zu haben, so rabiat wie er White vorwärts schob, obwohl sie aufgehört hatte sich zu wehren. Noch ein paar Meter weiter und Violet verstand auf einmal, warum sie nicht hatte weiter gehen wollen, was sie förmlich daran gehindert hatte es zu tun: aus der Richtung wo sie hingingen, konnte man Schreie hören.

Aber dann kam ihr Vater. Endlich.

Violet brach sofort in Tränen aus – sie wusste nicht warum, aber sie überspülte enorme Erleichterung, als hätte sie irgendwie angenommen, dass Shaginai tot wäre und als wäre er jetzt in diesem Moment wieder auferstanden. Aber er war verletzt; schlimm verletzt; sein linker, zum Glück nicht schwertführender, Arm hing schlaf herunter, war blutrot, wie auch eine Hälfte seines Gesichts – aber dieser grauenhafte, fast angsteinflößende Anblick konnte Violet nicht abhalten.

„Papa!“, rief sie und schon war sie zu ihm gestürzt, warf sich in seine Arme und drückte sich weinend an ihn, als wäre er wirklich von den Toten auferstanden. Er richtete ein paar tröstende Worte an seine weinende Tochter, sah dabei aber nicht sonderlich tröstend aus, denn sein Blick lag auf White, die neben Naruäe stehen geblieben war – sie schien am liebsten auf der Stelle wegrennen zu wollen.

„Wie ist die Lage?“, fragte Naruäe seinen Elementarwächter des Lichts, während Shaginai auf sie zukam:

„Weiterhin stabil. Die Verstärkung von Zeranion scheint auszureichen um die restlichen Dämonen auszulöschen.“ Als er zusammen mit Violet angekommen war blickte er auf White herunter und streckte die Hand nach ihr aus:

„Komm, White.“ Aber White schüttelte den Kopf.

„Ich… ich will nicht… Vater, ich muss zurück, Irizz, er ist… er ist…“ Aber Shaginai schien keine Wiederworte hören zu wollen und jetzt war er es, der Whites Hand nahm und sie mit sich zerrte, Violet und Naruäe im Schlepptau, was Shaginai nicht zu gefallen schien:

„Renn vor, Naruäe! Du wirst in der Schlacht gebraucht!“ Der Feuerwächter verneigte sich im Gehen:

„Jawohl, Hikari-sama!“ Und schon war er losgestürmt und von der roten Wand verschluckt, auf die auch sie zusteuerten, obwohl White sich weiterhin wehrte, doch Shaginais Griff verblieb hart.

Die Temperatur stieg nun immer weiter, wuchs von jedem Schritt den sie nahmen und nun sahen White und Violet, dass die rote Färbung des Himmels von dem empor züngelten Flammen stammten; White versuchte noch einmal sich gegen das Weitergehen zu wehren, die Schreie, sie wurden lauter, wie ein Nebel, dessen Fangarme sich nach ihnen ausstreckte. Violet erkannte die Schreie nun – es waren Schmerzensschreie, aber nicht nur – es waren Beschwörungsschreie, Kampfschreie, Schreie des Todes, der Aggression, die sie packten und gegen die White sich nicht mehr wehren konnte, egal wie sehr sie sich auch mit ihren kleinen Kinderschuhen dagegen stemmte.

Sie konnte sich nicht gegen die Greifarme des Krieges wehren.

Sie standen nun am Rand einer Klippe und sahen hinunter. Violet war zwar schon bei ein paar Kämpfen dabei gewesen, aber dass hier… sie schluckte… war kein Kampf. Das hier – war wahrlich eine Schlacht.    

Das ehemalige Menschendorf ging vollkommen in Flammen auf; Flammen, die immer weiter angefacht wurden durch die Attacken der Feuerwächter und der Dämonen – sie züngelten wie die Schreie zum Himmel empor  und zwischen diesem Feuerinferno bekämpften sie sich. Die Wächter und die Dämonen. Shaginai hatte von Stabilität gesprochen, aber Violet konnte unmöglich ausmachen, wer die Oberhand besaß. Wächter wie Dämonen wurden gnadenlos nieder gemetzelt, ein Wächter tötete einen Dämon und bekam von einem Anderen von hinten den Kopf abgeschlagen; Beschwörungen wurden in Eile ausgerufen, wurden abgeblockt oder töteten. Die Menschen, die dort gelebt hatten – kaum vorstellbar, dass dort es an diesem Höllenort mal Leben gegeben haben sollte – lagen tot, halb verbrannt, auseinander gerissen, auf dem Boden, zusammen mit den verstorbenen Wächtern, zertreten – niemand achtete darauf wo er hintrat. Ohne Rücksicht auf Verluste schlachteten beide Seiten ihre Feinde regelrecht ab und die Straßen gingen unter im Blut.

Violet starrte entsetzt auf dieses Schauspiel. Sie erinnerte sich noch daran wie gerne sie sich einfach hatte abwenden wollen, aber ihre Augen hatten ihr nicht gehorcht. Es war unmöglich sich abzuwenden. Auch White konnte sich dem Schrecken nicht entziehen; sie hatte zwar ihre Hände vor ihre Augen geschlagen, aber durch den Spalt, den ihre gespreizten Finger entstehen ließen blickten kleine, weiße Augen starr auf das Bild der Hölle; auch sie war nicht fähig von dem Grauen wegzusehen. Ihre Augen waren stecknadelgroß, Tränen quollen hervor – aber abwenden konnte sie sich nicht.

Auf Shaginais blutverschmierten Gesicht war nur eine starre Miene zu erkennen; eine Miene, die keinerlei Gefühle deutlich machte – erst als White sich plötzlich losriss, bewegte sich etwas auf seinem Gesicht. Er wirbelte herum um wieder ihre Hand ergreifen zu können.

„White, bleib hier!“ Sie schüttelte manisch den Kopf; Tränen flogen nach links und nach rechts, aber sie verdampften wieder in der Hitze.

„…N-Nein! I-Ich will nicht…! Ich will das nicht sehen…!“ White riss sich von Shaginai los und hielt sich die Hände vor die Ohren, um die Schreie nicht länger hören zu müssen. Doch Shaginai ließ nicht locker, packte beide Hände seiner Tochter und durchbohrte sie mit seinen Titanaugen.  

„Es geht nicht darum was du willst!“ Er zeigte in Richtung der Schlacht und fuhr fort:

„Das wird deine Zukunft sein! Es wird deine Aufgabe sein, deine Wächter in so einer Schlacht anzuführen! Wenn du nicht lernst damit umzugehen, wenn du nicht lernst keine Gefühle, wie Angst und Verzweiflung, zu zeigen, werden sie alle wegen DIR sterben! Dann ist es ganz alleine deine Schuld, wenn wir alle ausgerottet werden! Denn das ist deine Welt! Es wird dein Weg sein, deine Aufgabe und dein alleiniges Schicksal! Als Hikari trägst du die Verantwortung für unsere gesamte Rasse!“ Shaginai schien noch mehr sagen zu wollen, als seine Augen sich plötzlich weiteten – genau wie Whites und Violets sie beide zum ersten Mal eine Aura spürten die so enorm war, dass sie den Schrecken den sie gerade erlebten, beiseiteschob – nur um dieser Angst, diesem Schrecken noch mehr Nährboden zu geben. Eine Aura – so gewaltig, als wäre ein Blitz eingeschlagen, der alle anderen Auren verdunkelt hatte – und nur er selbst, der Träger dieser immensen Aura, strahlte noch hervor.

„Das kann nicht sein – warum ist er hier--- Violet!“ Shaginais Stimme verlangte deutlich danach, dass Violet sich zu ihm bewegte, aber seine Tochter war am Rand der Klippe erstarrt zu Boden gestürzt. Die Aura hatte sie schier zu Boden gedrückt und anders als Shaginai und White sah Violet wem diese Aura gehörte.

Er war mitten im dem Kampfgetümmel erschienen, schien dem kurz erhaben zu sein, losgerissen von diesem – ehe er sich mit einem erfreuten Lachen mitten hinein warf. Wächter, die in seiner Nähe standen brachen in Panik aus, aber es war zu spät: dieser riesige Dämon ergriff einen Wächterkopf einfach mit der Faust und zerdrückte ihn zwischen den Fingern, während er mit sichtbarer Leichtigkeit einen anderen Wächter gegen eine Hauswand schleuderte und das Haus zum Einsturz brachte. Sein Grinsen, sein von weisen Zähnen geformtes Grinsen, voller Freude, voller Boshaftigkeit--- Violet konnte es nur anstarren, genau wie das Blut und die Flammen die empor schossen, die Schreie, die nun immer mehr zu Schmerzensschreien wurden.

Die Dämonen verneigten sich vor dieser in schwarzen Blitzen eingehüllte Naturgewalt – wie könnten sie es auch nicht: er war immerhin ihr König.

Es war Kasra.  

Shaginai packte Violets Arm, er wollte sie zusammen mit White wegteleportieren, aber es war zu spät – die roten Augen des Dämonenkönigs hatten sie entdeckt und ein fahles Lächeln ließ Shaginai verstehen, dass jeder Fluchtversuch zwecklos war. Ein Antiteleportationsbannkreis. Gelegt, während er sich durch die Wächter gemetzelt hatte.

Violet sah ihn lachen, sah ihn springen – und dann hörte sie das Lachen hinter sich.

„Ein etwas sehr spezieller Ort für einen Familienausflug, findest du nicht, Shaginai?“



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