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Schatten über Kemet

von

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51. Kapitel

„Entlassen! Weggeschickt! Kannst du dir das vorstellen? Das ist ungeheuerlich! So etwas hat es noch nie gegeben.“ Der junge Mann schlug aufgebracht mit der Faust gegen den Baum vor sich, dann fuhr er herum, sein langes, schwarzes Haar wehte und seine grünen Augen fixierten seine Gesprächspartnerin.

 

Diese aber saß ganz ruhig auf einer steinernen Bank, fächelte sich Luft zu und beobachtete, wie ihre kleine Tochter mit dem Kindermädchen versuchte, einen Frosch zu fangen. Doch die Frösche waren zum Glück schneller als die begehrlichen Hände einer Vierjährigen.

 

„Hörst du mir überhaupt zu, Sit-Amun?“

 

„Oh, ich höre dich, obwohl es seit einer halben Stunde immer nur dasselbe ist.“ Die Frau verbarg dezent ein Gähnen hinter ihrem Fächer aus Pfauenfedern.

 

„Und dich entsetzt das nicht?“ Der junge Mann setzte sich zu ihr und spielte mit den Armreifen, die er trug.

 

„Otogi, du bist ein Mann. Du wirst immer viel leichter einen neuen Platz im Leben finden als eine Frau.“ Sit-Amun lächelte.

 

„Du meinst eher, daß du ja deiner Pflicht, ein Götterkind zu gebären schon nachgekommen bist, während ich diese ehrenvollen Aufgabe nicht erfüllen kann. Daß ich mich nicht so anstellen soll, wenn ich entsorgt werde wie ein dreckiger Lumpen.“

 

„Dreckige Lumpen, mein Lieber, bekommen weder Land noch Vermögen vom Pharao geschenkt. Es ist doch auch nicht ungewöhnlich, wenn der Pharao jemandem ermöglicht, den Harem zu verlassen.“ Sit-Amun drehte den Kopf und musterte ihren alten Freund.

 

„Aber gleich alle vier seiner Knaben? Uns alle? Auf einmal?“ Otogi fuhr sich durch sein langes, lockiges Haar. Haar, das dem Pharao einmal sehr gut gefallen hatte. Haar, daß er seit damals noch länger hatte wachsen lassen, bis es fast seinen Hintern berührte.

 

„Vielleicht hat er das Interesse am männlichen Geschlecht verloren. Oder er will seine knapp bemessene Zeit nun ausschließlich mit denen verbringen, die ihm einen Erben schenken können. Du mußt zugeben, es wird wirklich Zeit.“

 

Otogi sprang auf und rannte hin und her wie ein eingepferchter Löwe, die Hände auf dem Rücken verschränkt. „Das glaube ich aber nicht!“

 

„Wieso? Was hat der Pharao denn genau gesagt?“ Sit-Amun lächelte, als Metit mit offenem Mund einen Schmetterling bestaunte.

 

„Daß er wünscht, daß wir woanders ein besseres Leben führen könnten. Das hört sich nicht so an, als würde er nur an seine Thronfolge denken.“ Otogi schnaubte. „Einfach abserviert. Aussortiert!“

 

„Ich an deiner Stelle würde die Chance ergreifen.“

 

„Das glaubst du doch selbst nicht!“

 

„Oh doch! Wäre ich ein Mann und könnte keine Kinder austragen…“ Sit-Amun lachte, dann zog sie Otogi zurück zu sich auf die Bank. „Du kannst eine Familie gründen und mehr sein als einer von vielen.“

 

Otogi stöhnte und ließ seinen Kopf auf ihre Schulter sinken. „Und du bleibst hier?“

 

„Ich habe meine Familie hier, Otogi.“ Sit-Amun hob eine Hand und winkte Metit zu. „Der Pharao war immer gut zu mir. Zu uns allen. Wenn er dich gehen läßt, dann sicher nicht, um euch zu beleidigen.“

 

„Meine Familie ist… war auch hier. Du bist die einzige, die ich wirklich vermissen werde.“

 

„Ah-ah! Nicht schummeln! Ich weiß, du liebst unseren Pharao.“

 

„Nun, er mich aber nicht. Und auch dich nicht. Und auch sonst niemanden. Nicht mal mehr die große Herrin Tausret.“

 

„Wer weiß? Oder kennst du die wahren Gefühle unseres Pharaos? Auf alle Fälle hast du nun die Möglichkeit, jemanden für dich allein zu finden.“ Sit-Amun tätschelte Otogis Arm. „Ich muß jetzt. Es wird Zeit, sonst wird es zu heiß für Metit.“

 

„Natürlich.“ Otogi blickte hinauf zu Ra, der immer höher in den Himmel stieg. So unnahbar und fern, genauso wie der Pharao. In seinem Herzen wußte Otogi längst, wen er für sich wünschte. Wenn nicht allein, dann wenigstens durfte er in dessen Nähe sein. Aber nun war ihm nicht einmal mehr das vergönnt.

 

Beide Hände zu Fäusten geballt verfolgte Otogi, wie Sit-Amun ihre kleine Tochter auf die Arme nahm und mit dieser zurück in die kühlen Gemächer des Harems strebte. Er könnte ihnen folgen, aber er fürchtete, seine Beherrschung zu verlieren, wenn er seine drei Kollegen sehen würde, dumm wie Vieh, die einfach alles geschehen ließen. Die überhaupt nicht begriffen, um was man sie betrog!

 

„Würdest du gerne die Wahrheit wissen?“ schnitt eine Männerstimme in Otogis Gedanken wie eine scharfe Klinge.

Blitzschnell sprang Otogi auf und fuhr herum, die Fäuste erhoben.

„Oh, du bist ganz schön wendig und flexibel.“ Aus den Schatten der Bäume und Büsche trat ein Mann, vielleicht so alt wie Otogi selbst, mit Haar der Farbe wie heller Sand und fliederfarbene Augen.

 

Otogi verengte die Augen. „Ich kenn dich nicht. Jemand wie du wäre mir aufgefallen.“ Solche Haare und Augen mußten selten sein… Warte! „Willst du etwa sagen, der Pharao hat Gefallen an dir gefunden?“ Jedes Wort war mit Otogis Unglauben gefärbt.

Der Fremde lachte. Sein ganzer Körper erbebte. Es dauerte sicher eine Minute, bis er sich beruhigt hatte.

Otogi hätte ihn am liebsten seine Fäuste spüren lassen.

 

„Nein. Aber ich weiß, an wem.“ Der Fremde lächelte, seine Augen waren kalt. „Willst du nicht wissen, wer dir genommen hat, was bisher dein war? Dein Heim, deine Freunde, deinen… Geliebten.“

 

Jedes Wort drang in Otogis Körper und er fühlte seine Abwehr schwächer werden. Als würde ihn jemand vergiften… Er biß die Zähne zusammen, schüttelte sich, dann bellte er: “Sag es oder schweig!“

 

Der Fremde spielte mit einer Haarsträhne, lächelte. „Yugi, der Enkel des ehrenwerten Wesirs Siamun. Hast du nicht von ihm gehört?“

 

„Gehört? Gesehen habe ich ihn schon. Das werden wohl viele getan haben.“

 

„Aber nicht gesehen, wie nahe der Pharao und er sich stehen. Wußtest du, daß sie verwandt sind? Wußtest du, daß er in den privaten Gemächern des Pharaos ganz nach Belieben ein- und ausgehen kann?“ Marik senkte den Kopf, seine Augen leuchteten unheilig.

 

Otogi glaubte, eine Schlange würde seinen Leib hinaufkriechen, diesen umschlingen und ihm langsam die Luft nehmen.

 

„Diese großen, strahlenden Augen, der zierliche Körper, die rosigen Lippen, dieser enge, kleine Knackarsch…“ Marik betrachtete seine Fingernägel. „Ein wahrhaft süßer Knabe. Und immer so versessen darauf, anderen… Freude zu bereiten.“

 

Otogi knirschte mit den Zähnen, seine Kiefer schmerzten. Der Pharao konnte sich zum Geliebten nehmen, wen auch immer er wollte… Aber warum nahm er diesen Knaben nicht in den Harem auf? Warum stellte er diesen auf eine andere Stufe als die anderen Lustknaben? Warum war dieser Yugi so besonders, daß der Pharao sich nicht mehr ans Protokoll hielt, sogar seine bisherigen Lustknaben fortschickte? „Das ist nicht gerecht!“ stieß Otogi hervor.

 

„Natürlich nicht. Dieser Junge taucht aus dem Nichts auf und dann stellt der Pharao plötzlich wegen ihm alles auf den Kopf. Fragst du dich nicht, ob das alles mit rechten Dingen zugeht?“

 

Otogi ließ die Fäuste sinken, seine Arme zitterten. „Was willst du damit sagen?“

 

„Na, was wohl? Hexenwerk.“ Mariks helle Augen brannten sich in Otogis. „Der Kleine ist in Wahrheit ein Hexer, mit Dämonen im Bunde.“

 

„Den… Den Dämonen, die Waset angegriffen haben?“ Otogi hatte davon gehört. Der Pharao war damals mit in den Kampf gezogen.

 

Marik nickte mit Bedacht. „Der Kleine hat aber nicht nur den Pharao eng um seinen verderbten kleinen Finger gewickelt. Auch andere sind seinen Zauber erlegen.“

 

„Ja… Ja, das macht Sinn.“ Otogi trat näher zu Marik, bis sie nicht mal mehr ein halber Meter trennte. „Aber wer bist du? Und warum erzählst du mir das alles?“

 

„Ich heiße Marik. Und warum? Ich bin einfach nur ein Untertan, besorgt um das Wohl seines Pharaos. So wie du doch auch. Ich habe gesehen, mit welcher Inbrunst du dich für unseren König einsetzt. Solche Treue sollte belohnt werden. Wirklich belohnt.“

 

Otogi glaubte, eine gespaltene Zunge in seinem Gesicht zu fühlen. „Ich bin nicht an Belohnungen interessiert.“

 

„Du könntest dich beweisen. Vor dem Pharao und dem gesamten Hof. Glaube mir, wenn du mir hilfst, den Bann des kleinen Hexers zu brechen, dann wird der Pharao wieder klar sehen. Mehr noch: Er würde wissen, wie treu du zu ihm stehst. Wie sehr du ihn verehrst. Das könnte in seinem Herzen wahre Gefühle wecken. Gefühle für dich.“

 

Die letzten Worte waren nur ein Hauch, der über Otogis Haut streichelte. Wie eine Berührung seines Herrn. Ja, das war nicht ausgeschlossen… „Also gut, Marik, ich will dir glauben. Aber wie wollen wir den kleinen Hexer enttarnen?“

 

„Enttarnen? Solange er lebt, wird auch sein böser Zauber andauern. Niemand würde uns glauben. Wir haben nur eine Wahl.“

 

„Ich bin kein Mörder!“

 

„Sch. Leiser“, mahnte Marik und sah sich um. „Wer spricht von morden? Wir würden nur einen bösen Hexer richten. Gerechtigkeit, mein neugewonnener Freund, darum geht es mir. Um Freiheit für alle.“

 

„Gerechtigkeit. Freiheit.“ Die Worte fühlten sich seltsam im Mund an. Otogi schüttelte sich. „Du hast recht. Es ist zum Wohle aller. Man wird uns danken. Der Pharao wird uns danken!“

 

Marik nickte lächelnd. „Genau. Ich werde dich bald wieder aufsuchen, Freund Otogi. Dann werden wir uns dieses Übeltäters entledigen. Hab nur ein wenig Geduld. Oh, und tu so, als würdest du dich mit deinem Schicksal arrangieren. Der kleine Hexer wird dich sicher aus dem Weg räumen, wenn du dich weiter offensichtlich sträubst.“

 

Otogi lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Nein, er wollte kein Opfer dieser bösartigen Kreatur werden! Er würde auch nicht zulassen, daß dieses Ding dem Pharao weiter sein Gift ins Ohr tröpfelte. „Ich werde tun, was du sagst, Marik. Aber beeile dich. Viele Menschenleben stehen auf dem Spiel.“

 

„Ich weiß.“ Marik hob eine Hand zum Gruß.

 

Otogi hörte ein lautes Rascheln hinter sich und fuhr herum, in dem Glauben, er würde gleich in verdorbene, violette Augen blicken. Doch es kam nur ein Frosch aus dem Gebüsch, quakte und setzte dann seinen Weg hüpfend fort. Als Otogi sich umdrehte, war Marik fort.

Ihm schauderte erneut. Für einen Moment hatte er geglaubt, einen schwarzen Schatten gesehen zu haben. Aber das war nur Einbildung. Der Feind lag im Bett des Pharaos.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Usaria
2021-05-03T19:26:32+00:00 03.05.2021 21:26
Hallo Mooni

Oh!Oh! Das gefällt mir nicht! Ich erinnere in einem früheren Kapitel träumt doch der Pharao davon das alle sterben, auch Yugi. Oh bitte nicht! Hmm! Wieso habe ich nur das dumme Gefühl, das Marik hinter allem steckt.

Von:  -Pharao-Atemu-
2021-04-24T10:40:34+00:00 24.04.2021 12:40
Uhhh, Menschen sind sehr Manipulierbar. Vor allem wenn sie in diesem Moment aufgewühlt sind. Sehr cooles Kapitel ^^
Von:  vampiergirl-94
2021-04-24T07:16:42+00:00 24.04.2021 09:16
Oh ha. Na da braut sich ja wieder etwas böses zusammen. Yugi in Gefahr. Na da bin ich gespannt wie sich das zuspitzt. Weil ich glaube kaum, dass das seinen Freunden gefallen wird. Aber ich denke Yugi kann sich wehren oder zumindest aus der Situation retten, wenn es gefährlich wird.
Bin auf alle Fälle gespannt wie es weiter geht.


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