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Schatten über Kemet

von

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34. Kapitel

„Du bist so ein Idiot! Warum hast du das getan?“ Yugi trommelte gegen Atems Brust. Atem hatte beide Hände erhoben und lachte.

 

„Es geht mir doch wieder gut, Yugi.“

 

Der starrte auf die Tür, durch die Atem eben gekommen war, quietschfidel und lebendig und kein stummer Körper, an dem lediglich das Heben und Senken des Brustkorbs verriet, daß er noch lebte. „Weißt du, was ich für Angst hatte?“ Yugi schluchzte und wischte sich durch das Gesicht. „Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren!“

 

„Aber, Yugi! So einfach wirst du mich nicht los.“ Atem lächelte und fing Yugis Hände ein, um auf jede einen Kuß zu hauchen. „Mein Herzensschatz, unser Leben zusammen hat doch gerade erst begonnen, da laß ich dich doch nicht zurück.“

 

Yugi schniefte, dann hoben seine Mundwinkel sich. „Dummkopf!“

 

Atem schlang beide Arme um Yugi, preßte diesen eng an sich. Seine Lippen glitten zärtlich über eine von Yugis Ohrmuscheln. Yugi zitterte keuchend.

„Mein kleiner Yugi… Komm zu mir. Leg dich in mein Bett. Ich will dich spüren.“

 

Yugi schmiegte sich an Atem, lächelnd, dann nickte er. „So gerne. Ach, mein Liebster!“ Er hob den Kopf und starrte in leere Augenhöhlen in einem blaßen Schädel. Haar früher so strahlend wie Gold war stumpf geworden, glanzlos und fiel über das leere Gesicht.

 

„Yugi, komm mit mir.“ Die gutturale Stimme aus dem Nichts hatte nichts Samtenes mehr, nichts Zärtliches.

 

Mit einem Schrei riß Yugi sich aus knochigen Armen… und fuhr in die Senkrechte. Das Herz trommelte Yugi gegen die Rippen, er bekam kaum Luft und seine Haut klebte ekelhaft von Schweiß. Seine Kehle fühlte sich rauh an, als hätte er stundenlang geschrieen, aber seine Mutter und sein Großvater schliefen neben ihm ungestört.

 

Yugi kämpfte sich aus seinem widerlich klammen Lager, das ihn festhalten wollte wie knochige Hände oder eine tote Stimme, dann wankte er zu der Balustrade, die das flache Hausdach seines Großvaters umgab. Im Garten konnte er die Wächter sehen, Magier und Soldaten, die das Gebiet abschritten. Es war still bis auf Froschquaken und Insektensummen.

 

Yugi holte mehrmals tief Luft, bis er glaubte, daß seine Lungen bersten müßten, dann ging er leise die Treppe hinunter ins Haus. Er konnte sowieso nicht mehr schlafen. Unten im Vorraum setzte er sich auf die Bank und preßte die Hände auf die Augen. Er schluchzte und schniefte und verfluchte den Traum. Immer wieder kam er und immer wieder ließ Yugi sich verführen von dem lebendigen Atem voller Liebe und Zärtlichkeit, bis die Wahrheit und die Angst in seinen Traum eindrang und diesen in eine schreckliche Welt ohne Hoffnung verwandelten.

 

Yugi wischte sich über das nasse, schnodderige Gesicht. Er dachte an Atem in dessen Gemach, auf dem großen, viel zu großen Bett. An Atem mit der bleichen Haut, der sich nicht rührte. Nur daß er atmete kündete davon, daß er die Welt der Lebenden noch nicht verlassen hatte. Zauber ernährten Atem und Magier und Heiler waren zu jeder Tages- und Nachtstunde bei ihm, aber was bei Ryou gewirkt hatte, bei Atem tat sich nichts.

 

Die Große Herrin Tausret wandelte durch die Gänge des Palastes wie eine lebende Puppe, mit viel zu großen Augen im bleichen Gesicht. Yugi kannte den Anblick, denn wann immer er sein eigenes Spiegelbild betrachtete, sah er dasselbe. Yugi spürte noch immer den Nachhall von Tausrets Umarmung, ihr Schluchzen und ihre Versicherung, daß er nichts falsch gemacht hatte.

Aber das mußte er doch, sonst ginge es Atem nicht so schlecht.

 

Schritte vor der Tür ließen Yugi hochschrecken. Er entspannte sich, als Manas zierliche Gestalt in das Haus schlüpfte. „Da bist du ja.“

 

„Ja“, murmelte sie. Ein winziges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich werde es vermissen, mich jede Nacht mit dir hier zu treffen.“

 

„Wir werden in nächster Zeit genug von einander sehen“, erwiderte Yugi leise und warf einen Blick zur Stiege. Alles ruhig. Er zog dann unter der Bank ein kleines Bündel hervor. Ein paar alte Schürze waren darin und ein Paar Sandalen, geflochten aus Stroh. Yugi stand auf, warf sich das Bündel um und dann seinen leichten Reisemantel. Wehmütig sah er noch einmal zur Stiege, bevor er eine kleine Tontafel auf die Bank legte. „Ist alles bereit?“

 

Mana nickte. „Ein einfacher Zauber. Alle werden glauben, wir seien hier und würden reden. Er nützt aber nur, solange hier niemand reinkommt.“

 

Nun nickte Yugi. Er führte Mana leise durch das Haus, durch die Küche, bedacht darauf, das kohlehütende Mädchen nicht zu wecken, und dann hinaus in den Garten. Sie versteckten sich im nächsten Gebüsch, bis die Wachen sich von ihrem Standpunkt entfernten. Gebückt eilten sie dann zu den Stallungen. In einem der niedrigen, langgezogenen Gebäude trafen sie auf den Rest ihrer kleinen Gruppe.

 

General Mai, ihre blonden Locken in einem festen Knoten auf dem Kopf festgesteckt, einen langen braunen Umhang um die Schultern, nickte ihnen zu. „Dann sind wir ja vollständig.“

 

Yugi nickte ihr grüßend zu, dann sah er zu seinen anderen Mitstreitern. Jono stand neben Mai, sein Haar zurückgekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Daneben Honda, der sich ein ähnliches Band wie Jonos um den Kopf geschlungen hatte. Ryou in seinem roten Mantel lehnte an dem vorbereiteten und beladenen Karren und behielt den davor gespannten Esel im Auge.

Auch Mokuba trug nun Pferdeschwanz und hatte seinen sonst blendend weißen Schurz gegen ein schmutzigeres Modell getauscht. Er reichte Yugi grinsend ein weiteres Stück des gemusterten Bandes, das auch schon die anderen trugen, und Yugi kämmte mit den Händen sein Haar zurück. Mana half ihm, sich ebenfalls einen Schwanz zu binden.

 

General Mai nickte dann. „Gut, wer noch etwas hat, das er hier lassen möchte, Meister Mahaad wird es für euch verwahren.“ Mit dem Daumen deutete sie auf die hochgewachsene Gestalt, die aus den Schatten trat. Mokuba zog seinen Armreif ab, drehte ihn einmal in Händen, dann reichte er ihn seufzend an Meister Mahaad.

 

Yugi war froh, daß er gleich gar nichts der Art mitgenommen hatte. Das Wertvollste, das er am Leibe trug, war eine Kette aus Lehmperlen.

 

Meister Mahaad ließ den Armreif in seiner Kutte verschwinden, dann zog er zwei dünne Ledertaschen hervor, gerade groß genug, um einer zusammengerollten Schriftrolle Platz zu bieten. Eine davon überreichte er General Mai, die zweite Mokuba. „Das hier sind Landkarten. Sie sind so verzaubert, daß sie starke magische Signaturen anzeigen. Eine davon könnte die Krone sein, die ihr sucht. Dennoch handelt mit Bedacht. Zauberei ist vielfältig, unbeständig und oftmals auch nicht durch andere Zauberei aufzuspüren“, erklärte er. „Die Karten können euch nur Anhaltspunkte liefern.“

 

Er nickte dann General Mai zu, die fortfuhr: „Denkt dran, nach außen hin müssen wir wie ganz normale fahrende Händler wirken. Ryou wird Medizinen herstellen, Yugi, du kümmerst dich um die großen Töpferwaren. Jono und Honda werden dir dabei helfen. Mana, du übernimmst es, Figürchen und Amulette aus Ton herzustellen.“

 

„Und was mach ich?“ erkundigte Mokuba sich neugierig.

 

„Nicht in Ärger geraten und die Ohren offenhalten“, antwortete General Mai. „Denk dran, dein Bruder wird mir den Kopf abreißen, wenn ich dich nicht heil wieder nachhause bringe.“

 

Mokuba seufzte. „Schon klar, aber was für Waren soll ich herstellen?“

 

„Du kannst mein Lehrling sein“, bot Ryou an.

 

Mokuba nickte, seine Augen glänzten.

 

Yugi war froh, daß Mokuba diese Mission auch als Spaß ansah. Wenigstens einer, der nicht ständig den Kopf hängen ließ.

 

„Und was machst du so, General?“ erkundigte Jono sich grinsend.

 

„Singen. Hör auf zu lachen, du Depp! Meine Mutter hat sehr viel Wert auf „weibliche“ Künste gelegt und mich dementsprechend erzogen.“ Sie hielt kurz inne, betrachtete die Gruppe, dann schüttelte sie lächelnd den Kopf. „Auch wenn man es mir nicht ansieht.“

 

Yugi mußte sich auf die Zunge beißen. Selbst unter dem alten Mantel konnte er nur zu gut Mais weibliche Form erkennen. Außerdem wußte er von seiner Mutter, daß Weiblichkeit keine Schwäche war. Sie war nur eine andere Art von Stärke. Stärke, die Yugi brauchte, die er um sich legte wie eine Rüstung. Seine Mutter würde sehr wütend sein, oh ja, aber ihre Liebe würde Yugi begleiten, um Atem zu retten und noch so viele Menschen mehr.

 

„Fragen?“ Auf das allgemeine Kopfschütteln hin fuhr Mai fort: „Wir werden als eine kleine, aber eng verschworene Familie agieren. Yugi, du und ich werden Geschwister mimen. Jono wird meinen Gemahl geben, Mokuba unseren Sohn.“

 

„Was? So alt bin ich aber nicht, daß ich schon ein Kind in Mokubas Alter haben kann!“

 

„Laß dir einen Bart wachsen und benimm dich erwachsener“, konterte Mai. „Wo war ich? Ach ja. Ryou, du bist Yugis und mein Vetter. Honda, du bist Manas Bruder und du, Mana, bist Yugis Gemahlin. Ihr seid frisch verheiratet, also verhaltet euch auch so.“

 

Yugi blickte Mana an, Mana ihn… Yugi nahm an, daß er gerade ein ebenso dummes Gesicht wie sie machte.

 

„Warum habe ich keine Gemahlin, General?“ erkundigte Honda sich.

 

„Zum einen passen Mana und du als Geschwister besser zusammen wegen eurer Haar- und Hautfarbe. Zum anderen würde sie neben dir wie ein Kind aussehen und das würdest du sicher auch nicht wollen. Also wenn du nicht gerade willst, daß wir Ryou in ein Kleid stecken, mußt du mit der Aufteilung leben… oder dir selbst ein Kleid anziehen.“

 

Honda verzog das Gesicht und sagte nichts mehr.

General Mai wandte ihre Aufmerksamkeit nun wieder allen zu. „Habe ich noch jemanden vergessen?“

 

„Ja, mich.“

 

Yugi fuhr herum, fast taub von dem Herzklopfen, und entdeckte in den Schatten hinter sich eine schlanke Gestalt. Diese trat nun näher, bis er deutlich das entschlossene Gesicht Anzus erkennen konnte.

Anzu hatte ihr Haar zurückgesteckt und trug eine Tunika, die wahrscheinlich Mai gehörte, denn der Saum berührte knapp ihre Knie. Sie stellte ein Bündel mit einem befriedigend satten Laut auf den Boden.

 

„Was machst du hier?“ erkundigte General Mai sich. Die Überraschung stand ihr ins Gesicht geschrieben.

 

„Das sollte ich wohl eher dich fragen. Dich einfach nachts klammheimlich davon zu schleichen… Für wie blöd hältst du mich?“ Anzu erhob ihre Stimme nicht, aber ihr Tonfall ließ selbst Yugi kalt werden.

 

Kopfschüttelnd machte General Mai eine abweisende Geste. „Du kommst nicht mit. Das hier ist eine geheime Mission. Wir müssen inkognito agieren und…“

 

„Ihr könnt jedes Paar Ohren, jedes Paar Augen gut gebrauchen. Außerdem bin ich eine Dienerin Hathors. Ich kann auch Hondas Gemahlin spielen, aber ich komme mit. Du kannst vor mir keine Geheimnisse verbergen, meine Liebe.“

 

„Sowas hatte ich mir gedacht“, murmelte Jono und nicht mal General Mais eisiger Blick ließ sein Grinsen verschwinden.

 

„Du spielst sicher nicht Hondas Gemahlin“, erwiderte der General schließlich.

 

Yugi tippte insgeheim auf Eifersucht, aber er sagte nichts. Mana neben ihm kicherte in ihren Umhang.

 

„Ich komme dennoch mit“, beharrte Anzu auf ihrem Standpunkt. Sie nahm ihr Bündel, trug es dann zum Karren und verstaute es darauf.

 

General Mai rieb sich mit einer Hand übers Gesicht. „Na schön. Du kannst bei mir mitreiten.“

 

„Ich kann selbst reiten, danke.“ Anzus Lächeln war so süß, daß Yugi die Zähne schmerzten.

 

Mai machte ein Geräusch zwischen Schnauben und Seufzen, dann nickte sie. „Einverstanden. Dann wollen wir keine Zeit mehr verlieren. Sattelt die Pferde.“

 

Yugi schüttelte kurz den Kopf, dann tat er wie ihm geheißen. Eine Viertelstunde später waren sie bereit zum Aufbruch. Ryou saß auf dem Karren und lenkte den Esel, Mokuba neben sich, der nun doch ein ernstes Gesicht machte.

 

Yugi schwang sich auf sein Pferd, eine kleine graue Stute mit buschiger Mähne und Schweif, und ritt neben Mana, die auf einem größeren Fuchshengst saß. „Das geht ja schon mal gut los“, wisperte er seiner falschen Gemahlin zu.

 

„Hast du was anderes erwartet?“ Mana grinste.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Usaria
2018-02-25T21:15:00+00:00 25.02.2018 22:15
War ja zu schön um wahr zu sein. Hätte mich ja auch gewundert wenn in diesem Kapitel schon die Erlösung gekommen währe, hmm! Hoffentlich finden sie was sie suchen.
Von:  Aibouneko
2018-02-25T20:25:03+00:00 25.02.2018 21:25
Ich hoffe das Grüppchen schafft es Atemu zu heilen.
Die Konstellation der getarnten Familienzugehörigkeit finde ich sehr interessant, besonders die Reaktionen mancher finde ich lustig :3
Bin gespannt wie die Mission von statten geht.
Im Ganzen wieder ein sehr schön geschriebenes Kapitel ;3

Lg SephiRai


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