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Schatten über Kemet

von

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33. Kapitel

Kaum zuhause wurde Yugi von seiner besorgten Mutter gedrückt und von seinem Großvater ausgefragt. Doch er hatte nicht mehr viel Kraft, um die Geschehnisse zu erzählen. Als er am nächsten Vormittag wieder erwachte, erinnerte er sich düster daran, in der Küche einen riesigen Becher Milch getrunken zu haben… und dann nichts mehr.

 

Yugi drückte das glänzende Pantherfell an sich, atmete tief durch und stand dann auf. Wie mochte es Atem gehen? Jono, Mana, Mokuba, Honda, Ryou? Er konnte es nur auf einem Wege herausfinden. Nach einer hastigen Wäsche mit kaltem Wasser, die den letzten Schlaf vertrieb, zog Yugi sich einen frischen Schurz an und eilte hinunter. Seine Mutter erwartete ihn mit einem verspäteten Frühstück, Großvater war in den Palast gegangen.

 

Während Yugi Brot, Bier und Obst so schnell aß, daß seine Mutter ihn ermahnte, erzählte sie, daß das Palastgelände nun wieder definitiv sicher sei.

Yugi nickte zufrieden und schob sich ein letztes Stück Melone in den Mund. „Ich will nach meinen Freunden sehen“, brachte er während des Kauens heraus.

 

Seine Mutter seufzte. „Deine Tischmanieren sind gräßlich.“

 

„Gestern war gräßlich“, korrigierte Yugi und trank dann noch sein Bier aus. „Ah!“

 

„Ich weiß nicht, wo sie sind, aber Großvater sagte, er wolle deinen kranken Kameraden besuchen. Ryou, nicht wahr?“

 

Yugi nickte. „Dann fange ich da an. Danke, Mama.“ Er stand auf und umarmte sie dann. „Bis später!“ Er ignorierte ihr erneutes Seufzen und stürzte mit seinem Diaha Diank am Arm aus dem Haus.

Im Haus der Sachmet angekommen ließ man ihn gar nicht erst zu Ryou hinein. Sowohl Meister Mahaad Mahaad und Mana als auch Yugis Großvater waren bereits bei ihm. Nun, besser keine Neuigkeit als eine schlechte. Yugi hoffte, daß Meister Mahaad den Fluch brechen konnte, der Ryou umklammert hielt.

 

Als nächstes stattete Yugi den Barracken einen Besuch ab. Seit dem Brand war er nicht mehr dort gewesen. Noch immer erinnerten der riesige Krater und die geschwärzten Mauern an das Unglück, aber eifrige Bauarbeiter schichteten bereits Ziegel, um eine neue Barracke aufzubauen. An anderer Stelle beschäftigte man sich damit, das Dach neu zu decken.

 

Ein Rufen ließ Yugi sich umwenden und zu seiner Erleichterung entdeckte er Honda, der ihm vom Brunnen aus zuwinkte. Yugi gesellte sich zu diesem und lehnte sich an den Stein. Aus einem Löwenmaul schoß ein dünner Strahl Wasser in ein Becken aus Sandstein. Honda hatte gerade Wasser geholt, wenn der volle Eimer auf der Umrandung ein Indikator war.

 

„Bin ich froh, dich zu sehen!“

 

Yugi lachte. „Das kann ich nur zurückgeben. Wie geht es dir? Und Jono?“

 

„Jono geht’s zu gut, wenn du mich fragst. Er kam erst morgens in die Barracke und hat meinen Schemel umgeworfen. Dann ist er in sein Bett gekrochen und ich schwöre dir, er hat gesungen! Jedenfalls solange bis ich ihm meinen nassen Schwamm ins Gesicht geworfen habe.“

 

„Oh… Du hattest auch nicht viel Schlaf, was?“

 

„Nein. Sobald es anfing zu gewittern kamen diese Viecher raus. Widerliche Dinger!“ Honda schüttelte es sichtlich, dann aber stahl sich ein schelmisches Lächeln auf seine Züge. „Und wer hat dich wachgehalten?“

 

Yugi verdrehte die Augen. „Soviel zur Geheimhaltung. Nein, meine Schlaflosigkeit hatte mit lautem Krach und Sorge um meine Familie zu tun. Ich habe keine Fleischwechsler gesehen.“ Er hatte nur fast Atem mit diesem langstieligen Topf eins drübergezogen. Zum Glück besaß sein Herzensliebster gute Reflexe.

 

„Du Glücklicher.“ Honda füllte einen zweiten Eimer, dann trug er seine Last zurück zu seiner Barracke. Yugi ging mit ihm. „Ich kannte bisher keine, aber jetzt habe ich zu viele davon gesehen.“

In Hondas und Jonos Zimmer angekommen stellte Honda ächzend die Eimer ab und griff zu einer großen Scheuerbürste.

 

Den Grund dafür sah Yugi sogleich. Am Boden hatte sich ein dunkler Fleck gebildet, der sich offenbar in den gestampften Lehm eingefressen hatte. „Was ist passiert?“

 

„Die Kurzfassung? Fleischwechsler springt auf mich zu, ich schwinge meine Axt, haufenweise ekliger Dämonenmatsch am Boden.“

 

Nun schüttelte es Yugi. „Da konntest du hier noch schlafen?“

 

„Ich nicht, aber Jono.“ Honda machte eine bezeichnende Kopfbewegung. Jono lag tatsächlich noch auf seinem Lager, die Decke über den Kopf gezogen. „Manchmal weiß ich wirklich nicht, was in ihm vorgeht.“

 

„Klappe“, kam es gedämpft unter der Decke hervor. „Will schlafen.“

 

Honda schnaubte. „He, Herr Faulpelz, andere haben die Nacht auch kein Auge zugetan! Wie wärs, wenn du mir etwas hilfst, hm? Dann könnten wir beide noch ne ordentliche Runde pennen. Ohne Dämonenmatsche auf dem Boden!“

 

Jono setzte sich auf. „Ja, schon gut! Mann, machst du einen Streß! Das Ding ist tot. Freu dich doch.“

 

„Das wird zu stinken anfangen, Kumpel. Ich habe darauf keine Lust. Du etwa?“

 

Jono grummelte, dann quälte er sich aus dem Bett und zog seinen Schurz über. „Du kannst echt penetrant sein.“

 

„Ich glaube, ich sollte lieber gehen.“ Yugi grinste verlegen.

 

„Yugi?“ Jono blinzelte diesen an, dann rieb er sich übers Gesicht. „Bleib da. Ich will dir auch was erzählen.“

 

„Erzählen?“ erkundigte Yugi sich. „Ist was passiert?“

 

„Du meinst außer den Dämonen gestern?“ Jono grinste.

 

Honda warf einen feuchten Lappen nach Jono, der aber sprang flink beiseite.

 

„Haha! Daneben, Kumpel!“ Jono nahm eine zweite Bürste. „Wollen wir jetzt saubermachen?“

 

„Ich helfe euch“, erbot Yugi sich.

 

„Nein, der Faulpelz kann ruhig selbst was tun.“ Honda deutete auf einen Schemel. „Setz dich und hör zu. Und jetzt raus mit der Sprache, Jono!“

 

„Schon gut, schon gut! Ihr müßt aber schwören, daß ihr dicht halten.“ Jono musterte Honda genau, dann Yugi, während er Wasser auf den Boden goß und seine Bürste befeuchtete. „Schwört!“

 

„Wenn du dann endlich ausspuckst, was los ist…“

 

„Schwöre!“

 

Honda verdrehte die Augen. „Ja, ich schwör ja schon!“

 

„Ich schwöre auch.“ Yugi beugte sich vor und beobachtete Jono neugierig. „Also was war los?“

 

„Naja, ich hatte gestern doch Patroullie in den Gärten. Ihr werdet nicht glauben, wen ich da getroffen habe.“ Während Jono seine Geschichte erzählte, schrubbte er mit Honda den Boden.

 

Yugi jedenfalls konnte in der Tat kaum glauben, was Jono da erlebt haben wollte. Nackte Tempeltänzerinnen und Prinzessinnen, Bäder in der Nacht, Kämpfe gegen Fleischwechsler…

Am Ende saß Yugi neben Honda, beide hatten sie den Mund offen, während Jono grinsend das letzte Bißchen Dunkelheit aus dem Lehm bürstete.

 

„Das glaube ich nicht“, murmelte Honda. „Die Prinzessin, nackt, vor dir? Du hast sie doch nicht etwa angestarrt?“

 

„Seh ich lebensmüde aus? Außerdem habe ich einen gewissen Respekt vor Frauen. Aber ich hab dennoch so gut wie alles gesehen. Sie waren nicht gerade verschämt vor mir.“ Die letzten beiden Sätze murmelte Jono. „Deshalb will ich, daß ihr dicht haltet. Sonst gehen gleich wieder Gerüchte um und ich will nicht, daß es heißt, die beiden Damen würden… Naja, sich Männer dazuholen, um es aufregender zu machen.“

 

Yugi konnte sich lebhaft vorstellen, daß solcher Klatsch bereitwillige Zuhörer und Weiterverbreiter finden würde. „Das ist klug von dir, Jono, und freundlich.“

 

„Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ Diesmal duckte Honda sich unter einem Lappen weg.

 

„Ich bin nicht so doof. Esel!“ Jono betrachtete den Boden, dann stand er mit einem leisen Ächzen auf. „Ich schaff das schmutzige Wasser weg, dann kannst du dich schon mal hinlegen, Honda.“

Die beiden Männer lächelten sich an.

 

„Dann sollte ich jetzt wirklich gehen.“ Auch Yugi stand auf. „Ich sage nichts weiter, auch nicht an At… den Pharao.“

 

Jono begleitete Yugi mit den Eimern hinaus. „Was machst du jetzt?“

 

„Geschlafen habe ich erst mal genug. Ich werde sehen, wie es Mokuba geht und Atem“, antwortete Yugi leise. „Und du?“

 

„Ich will später noch nach den Damen sehen. Ich… ich würde mich besser fühlen, wenn es ihnen auch gut geht“, erwiderte Jono ebenso leise.

 

Yugi nickte. Kurz darauf trennten sich ihre Wege. Yugi nahm den Weg durch die Gärten, aber er fühlte keine Eile, um zum Palast zu kommen. Vielleicht weil er wußte, daß er davon gehört hätte, wenn es aus der Königsfamilie schlechte Nachrichten gäbe.

 

Die Erinnerungen kehrten zurück und mit ihnen die Geschichte, die Atem ihm gestern erzählt hatte. Die Geschichte von dessen toten, kleinen Sohn.

Yugi konnte sich nicht vorstellen, was das bedeutete, wie sich das anfühlen mußte. Aber er hatte gestern den Eindruck gehabt, daß vieles davon noch verborgen in Atem geschlummert hatte. Als ob der es nicht hatte aussprechen können, jedenfalls bis gestern. Es mußte furchtbar sein, durch einen Dämon an das erinnert zu werden, was man verloren hatte.

 

Yugi erzitterte trotz Ras Wärme, die ihn einhüllte. Er wußte nicht, was er getan hätte, wenn er seinen Vater gesehen hätte. Seinen Vater, der in Wahrheit nicht mehr als eine Maske für einen hungrigen Dämon war, der trauernde und liebende Menschen in die Falle seiner Fänge locken wollte.

 

Yugi schloß die Augen und fuhr sich mit einer Hand über diese. Allein der Gedanke war so grauenhaft… Er schniefte, einmal, zweimal. Er hatte das nicht sehen müssen. Aber andere. Honda, Jono, Atem… Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß Honda nichts dazu gesagt hatte und Jono hatte nur Ryou erwähnt. Atem… Atem hatte seinen Sohn gesehen.

Falten durchfurchten Yugis Stirn. „Als ob ich es ungeschehen machen könnte…“ Aber das konnte er nicht. Er konnte seinen Freunden nur seine Schulter anbieten und seinen Trost. Aber Yugi konnte nichts ändern. Auch keine mächtigen Ka-Bestien konnten die Vergangenheit ändern oder gebrochene Herzen heilen.

 

„Das denke ich nicht.“

 

Yugi zuckte zusammen und wirbelte herum, aber ihm gegenüber stand keine düstere Kreatur, die in seinen Gedanken ihr Unwesen trieb, sondern Atem.

„Was?“

 

„Du hast laut gesprochen.“ Atem lächelte, sein Gesicht wirkte entspannt. „Ich denke, daß ein Mensch einem anderen sehr wohl helfen kann dabei, sein Herz  wieder zusammen zu setzen. Und ich würde dir gerne helfen, das deine wieder ganz zu machen.“

 

Yugi blinzelte, dann schüttelte er den Kopf. „Du scheinst immer aufzutauchen, egal, wo ich gehe.“

 

„Ich schwöre dir, ich mache es nicht absichtlich.“ Atem trat vor Yugi. „Also? Darf ich dir helfen?“

 

Es dauerte einen Moment, bis Yugi sich gesammelt hatte. „Wobei? Mein Herz ist doch ganz.“

 

„Wirklich? Der Tod deines Vaters ist noch nicht lange her…“

 

„Großvater und Mutter jetzt auch lenken mich ab.“ Yugi lächelte. „Es ist wirklich nichts!“

 

Atems Hand strich über Yugis Wange, dann präsentierte er Yugi die kleinen Tropfen daran. „Das sieht mir nicht so aus. Du… du mußt nicht mit mir reden, auch nicht unbedingt jetzt. Ich will nur, daß du weißt, daß ich bei dir bin, wenn du es willst.“

 

Yugi senkte den Kopf. Es war so viel passiert… Seit er hier in Waset war, hatte sich ein Ereignis an das andere gereiht, schöne wie schlechte, aber dabei… dabei hatte er keine Zeit gefunden, sich mit dem Tod seines Vaters auseinanderzusetzen. Damit war er garantiert nicht allein, wenn er an seine Mutter und seinen Großvater dachte.

 

„Yugi?“

 

Der hob den Kopf und blickte in besorgte Augen. „Du hast wahrscheinlich recht. Es ist nur ein sehr schlechter Zeitpunkt.“

 

„Ich weiß nicht, ob es dafür einen guten Zeitpunkt gibt“, erwiderte Atem. Seine Lippen streiften Yugis Stirn. „Ich habe über drei Jahre nach einem gesucht und am Ende hat das Schicksal für mich entschieden.“

 

Yugi nickte. „Ich muß mir das erst nochmal durch den Kopf gehen lassen.“

 

Atem nickte ebenfalls. „Konntest du noch schlafen?“

 

„Ja. Du?“

 

„Auch. Tausret ging es heute morgen schon etwas besser.“

 

„Und dir?“ Yugi blickte Atem unverwandt an, studierte die Fältchen an dessen Augen, die leichten Stoppeln an dessen Kinn, den entspannten Mund.

 

„Vielleicht nicht so gut wie ich es mir wünsche, aber es ist ein Anfang.“

 

„Ich wünsche es mir für euch beide.“

 

Atem atmete durch und richtete sich auf. „Willst du mich begleiten? Ich wollte gerade zu Mahaad.“

 

„Gern. Als ich im Haus der Sachmet war, war er noch mit Ryous Untersuchung beschäftigt.“ Auf ihrem Weg kam Yugi noch eine Frage. „Seit ihr schon damit weitergekommen, diese schreckliche Kreatur zu identifizieren?“

 

„Wir haben einige Ideen, vor allem dank dir, aber zuerst müssen wir sie noch überprüfen. Oder eher Mahaad prüft und ich sorge mich.“ Atem spielte mit dem roten Amulett an seinem Hals, dann berührte er das Millenniumspuzzle.

 

Yugi nahm Atems unruhige Hand und drückte sie kurz. „Da sind wir ja schon“, stellte er fest, als das niedrige Gebäude vor ihnen auftauchte. Aufmunternd blickte Yugi zu Atem. „Wir werden das schaffen!“

 

Atems Miene gewann an Zuversicht. „Natürlich. Du bist ja schließlich an meiner Seite.“

Sie gingen noch ein paar Schritten, bevor sie widerwillig ihre Hände lösten, dann traten sie in das Haus der Sachmet ein.

 

Wie auch vorhin saß eine junge Heilerin im Eingangsbereich, die sie zuerst scharf musterte, sobald sie aber ihren König erkannte, verneigte sie sich tief.

 

„Ist Meister Mahaad zu sprechen?“

 

„Er ist noch bei dem Kranken, Großmächtiger Herr“, antwortete die Heilerin. „Ich werde ihn holen gehen.“

 

„Nicht nötig. Wir gehen selbst.“ Atem schenkte ihr ein Lächeln, obwohl sie es sicher nicht sehen konnte, dann folgte er dem Gang ins Innere. Yugi folgte ihm, bis sie ihr Ziel erreichten. Eine Tür, flankiert von zwei ernst dreinblickenden Soldaten.

Diese ließen sie eintreten.

 

Meister Mahaad stand neben Ryous Lager im Inneren des Bannkreises. Mana außerhalb ritzte mit einem Stein seine Erkenntnisse in eine Lehmtafel.

 

„…zeigt keine Veränderung auf magische Stimulation der Klassen 8 oder 9. Fluch der Stufe Sechs ist anzunehmen, aber schwer festzustellen. Reste von dunkler Energie resultierend aus negativen Gefühlen haben den Körper vergiftet. Vergiftung dürfte durch Maßnahmen der Lichtzauberei aufzuheben sein.“ Meister Mahaad unterbrach sich selbst. Zwischen seinen Finger erglühte eine weiße Kugel aus Licht von der Größe einer Dattel. Die Kugel schwebte in Ryous Brust.

 

Yugi hielt den Atem an, als feine Linien aus Licht sich über Ryous fast nackten Leib ausbreiteten. Dann erschienen dunkle Linien, die sich wie Würmer wanden und die Haut auf beunruhigende Weise bewegten. Yugi drückte sich an Atem, der legte einen Arm um ihn.

 

Yugi blickte in Atems Gesicht, bemerkte das vorgeschobene Kinn und den falkengleichen Blick, der auf Ryou ruhte. Dann wandte er sich erneut dem Schauspiel vor sich zu.

 

Ryou zuckte auf der schmalen Liege, etwas schwarzes troff aus seinen Mundwinkeln und aus seinen Augen. Er machte ein seltsames Geräusch, dann fing er an zu husten und zu keuchen.

 

Yugi lief ein eisiger Schauer über den Rücken.

 

Mahaad hingegen lächelte. Er formte eine zweite Kugel und ließ diese in Ryous Kopf sinken.

 

Das Husten verstärkte sich, ebenso die Zuckungen. Plötzlich schoß Ryou hoch (Yugi setzte das Herz aus, Mana schrie auf), dann öffnete er den Mund weit und erbrach eine schwarze Masse auf den Boden. Der Bannkreis glühte in zornigem Rot auf und brannte sich durch die bösartige Zaubermacht, die ihn berührte. Funken flogen, Ryou schrie, Mahaad sprach ein einziges Wort.

 

Die schwarze Zaubermacht bewegte sich, zischte, doch zwischen dem Bannkreis und dem Druck, den Mahaad auf sie ausübte, verbrannte sie wie ein trockener Busch in der Wüste.

 

Yugi glaubte, eine boshafte Stimme durch das Knacken und Zischen zu hören. Dann war alles still.

 

„Lichtzauber der Befreiung und Wiederbelebung haben die Vergiftung beseitigt.“ Meister Mahaad tätschelte beruhigend Ryous Arme, dann half er dem Patienten von der Liege. Ein grünes Licht glitt über dessen Körper.

„Keinerlei Spuren mehr auffindbar. Der Patient kann den Quarantäne-Bannkreis verlassen.“

 

Yugi hörte nicht nur, er spürte förmlich Atems Aufatmen. Er schloß selbst die Augen, atmete selbst durch, dann trat er vorsichtig an den Bannkreis. „Ryou?“

 

Sein Kamerad blickte ihn an. Seine Augen tränten und er mußte sich auf Meister Mahaad stützen, aber ihm lief keine schwarze Brühe mehr aus einer Körperöffnung. „Yugi… Uh!“ Erneut hustete Ryou, woraufhin Meister Mahaad ihm einen Becher Wasser reichte. Ryou stürzte das kühle Naß hinunter, dann wischte er sich mit einer Hand über den feuchten Mund. „Ah, besser.“

 

Meister Mahaad half Ryou aus dem Bannkreis auf einen Schemel. Mana legte diesem eine dünne Decke um die Schultern.

 

„Ach, ich bin so froh! Du hast fast zwei Wochen bewußtlos da gelegen und dich nicht gerührt!“ Mana fuhr hoch. „Oh, was zu essen! Warte kurz.“ Damit stürzte sie aus dem Zimmer.

 

Ryou stöhnte und rieb sich die Stirn. „Das war nicht schön.“

 

Atem kniete sich neben Ryou. „Nein, aber du hast es überstanden. Das wäre sicher nicht jedem gelungen.“

 

Ryou lächelte zittrig, bevor er einen zweiten Becher Wasser leerte. „Du schmeichelst mir viel zu sehr, Großer Horus.“

 

„Er hat aber recht“, mischte Yugi sich ein. „Sag, was ist passiert?“

 

„Ah, wenn ich dir das sagen könnte… Plötzlich war da dieses schreckliche schwarze Zeug und es hat sich unter meine Haut gebohrt, in meinen Mund, meine Nase… Ich habe versucht, es wieder loszuwerden, aber…“ Ryou schloß die Augen, seine Mundwinkel deuteten zu Boden. „Ich hoffte, wenn ihr dieses schwarze Wesen vernichtet, werde ich befreit, aber…“

 

„Warte, du hast diese… Symptome bereits gezeigt, während der Dämon noch existierte?“ Meister Mahaads Blick und Ton waren scharf.

 

Ryou nickte erschöpft. Atem und Meister Mahaad sahen einander an.

 

Yugi fragte sich, was in ihren Köpfen vorging. Er selbst konnte sich keinen Reim darauf machen. Woher kam all diese Dunkelheit? Vermehrte sie sich? Er zog die Stirn kraus, während er versuchte, zu einer Lösung zu kommen.

 

„P-paß auf!“ Ryous Schrei hallte von den Wänden wider.

 

Yugi fuhr herum und erstarrte. Im Bannkreis richtete sich ein schwarzer Turm auf, vielleicht menschengroß. Yugi konnte sehen, wie das rötliche Licht des Bannkreises flackerte. Zuerst nur wenig, doch schnell immer hastiger. Es zischte, wo die Magien aufeinandertrafen.

 

„Wie kann das sein?“ Atem faßte an sein Puzzle und ein goldenes Licht schoß daraus hervor. Es vermischte sich mit dem Bannkreis, doch das Flackern ließ nicht nach.

 

Meister Mahaad faßte seinen Stab und schwang diesen, während er etwas murmelte, daß Yugi sich die Nackenhaare aufrichteten. Eine violette Kuppel legte sich über das Gebiet.

Das Schwarz schüttelte sich, dann warf es sich kreischend gegen die Barriere.

 

Rauch stieg auf, der Geruch nach verbranntem Fleisch. Yugi wurde schlecht. „Lebt es? Ist es… ist es ein lebendiges Wesen?“

 

„Es muß so sein, sonst wäre der bösartige Zauber vom Bannkreis neutralisiert worden“, antwortete Meister Mahaad grimmig. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen.

 

Yugi blickte zu Atem, der sein Gesicht ebenfalls konzentriert angespannt hatte. Ryou hinter ihnen wimmerte verzweifelt.

„Hilfe, wir brauchen Hilfe!“ brüllte Yugi los. Er glaubte, es würde seine Lunge zerreißen.

 

Da wurde die Tür aufgerissen. Mana stürmte herein, ihren Zauberstab gezückt, im Schlepptau die beiden Türwächter. Mana erbleichte, dann riß sie ihren Stab hoch und ein rosa Schimmer verstärkte nun Kuppel und Bannkreis.

 

Die Soldaten und Yugi tauschten hilflose Blicke. Heiler und Magier, die zu tun gehabt hatten, waren auf Yugis Ruf herbeigelaufen. Wer konnte, warf auch seine Zauberkraft in die Bresche.

 

Aber das Schwarz gab nicht auf, es wurde sogar größer! Es verformte sich, bis Yugi einen Vogel erkannte. Einen Vogel mit rotglühenden Augen, in dessen Schnabel scharfe Zähne saßen und dessen Leib mit Haken und Stacheln gespickt war. Dieses Biest warf sich gegen sein magisches Gefängnis, schreiend und zappelnd. Mit dem Schnabel hackte es nach der Barriere… oder vielleicht auch nach den Menschen dahinter.

 

Yugi zitterte, sein Mund war trocken und seine Beine fühlten sich an wie erstarrt. Nichts schien das zornige Wesen zähmen zu können. So viel Zorn…

 

Plötzlich setzte Yugi wie von selbst einen Fuß vor den anderen, bis er direkt vor der Barriere stand. Er konnte in die Augen des Wesens sehen. „Was willst du?“ erkundigte er sich.

 

Ein Schnabelhieb ließ das Wesen aufschreien, Funken flogen.

 

„Yugi, geh da weg!“ rief Atem hinter ihm.

 

Erschrocken wich Yugi zurück, doch er konnte den Blick nicht von der Kreatur abwenden. „Aber wir müssen doch was tun!“

 

„Wir müssen es reinigen und bannen“, preßte Meister Mahaad hervor. „Yugi, Mana, tut genau das, was ich euch jetzt sage! Atem, halt dich bereit!“

 

Letzterer nickte, während Mana und Yugi ängstliche Blicke tauschten.

 

„Aber hier ist keine Steintafel!“ rief Mana.

 

„Die Wand muß reichen.“ Meister Mahaad ächzte wie unter einer schweren Last. „Mana, du kennst den Reinigungsspruch?“

 

„Ja, aber…“

 

„Yugi, du mußt das Wesen dann bannen. Ruf dein Ka, laß es strahlen.“

 

Yugi nickte, auch wenn er sich unter dieser Beschreibung nichts vorstellen konnte. Er sah zu Atem, dem der Schweiß aus dem Haar auf Schultern und Brust tropfte, das Gesicht verzogen. Yugi atmete tief durch. Er würde niemanden hier enttäuschen, am wenigsten Atem.

Er schloß die Augen und spürte, wie Marshmallon sich in der Menschenwelt manifestierte, ein angenehmes Gefühl an Yugis Beinen.

Als Yugi die Augen öffnete, senkten die Zauberer gerade den Schutzschild.

 

Mana rief den Spruch der Reinigung und schwang ihren Zauberstab. Helle Lichtfunken umtanzen diesen, bevor sie wie von der Sehne geschossen auf die schwarze Kreatur zuflogen. Diese kreischte und versuchte, ihren Kopf mit den Flügeln zu schützen, aber die Lichtfunken durchbrachen die Schwärze mühelos. Das Wesen jammerte und wand sich.

 

Yugi blickte Marshmallon an. „Bannen wir dieses arme Wesen. Bitte leite mich und hilf mir.“

 

Marshmallon machte ein aufmunterndes Geräusch, dann hoppste es auf und ab.

 

Yugi lächelte. Als das letzte Schwarz von dem Wesen herabtropfte, preßte Yugi die Hände aufeinander, einem Impuls folgend. Hitze wallte zwischen seinen Fingern auf, hellglühend, strahlend. Er mußte die Augen schließen. Yugi stellte sich vor, wie das wärmende Licht die arme Kreatur einschloß, die Wunden heilte und es dann in der Wand verschloß. Vorläufig. Zum Ausruhen…

 

Yugi wurde ganz leicht im Schädel und seine Beine wackelten. Müde, so müde… Er zwang seine Augen auf, als das Licht verlosch. In der Wand ihm gegenüber war das Relief eines riesigen Vogels mit stolzen Schwingen zu sehen, der Schwanz war lang wie der eines Pfaus. Frieden schien das Vogelgesicht entspannt zu haben. Yugi lächelte, dann fiel sein Blick auf den Boden. Er schrie auf, als die schwarze Pfütze sich erneut regte.

 

Da wurde er zurückgerissen und starrte nur noch mit weit aufgerissenen Augen auf einen bloßen, kräftigen Rücken, die ausgebreiteten Arme. Atem schrie auf, als die schwarze Masse sich mit aller Kraft gegen ihn warf.

 

Yugi wollte Atem stützen, doch der taumelte zurück. Ein violetter Schein ließ die Pfütze verpuffen. Atem sank nach hinten, in Yugis Arme. Schwärze rann aus seinem Mund, aus seinen Augen. Yugi schrie.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Aibouneko
2018-02-20T19:30:27+00:00 20.02.2018 20:30
Ich schließe mich voll und ganz Usaria an.
Bin sehr gespannt wie es weiter geht und hoffe das es gut ausgeht.

Lg SephiRai
Von:  Usaria
2018-02-19T14:38:00+00:00 19.02.2018 15:38
Neiiin! Im Moment kommts Knall auf Fall! Du bist aber auch echt fieß. Am anfang gehts beschaulich los, so dass man glaubt, ja das wird ein entspanntes friedliche Kapitel und dann -Wumms! Päng! Kommt das Finale des Kapitels mit Pauken und Trompeten! Meine, nein unsere Nerven! Ich spreche jetzt mal für alle Leser!
Deine Geschichte könnte fast die Vorgeschichte von meiner sein!
Nein! Bitte nicht! Mir ist da jetzt ein ziemlich böser Gedanke gekommen! Yugi hat das gleiche Bar oder Ka wie Atemu. Nein! bitte, bitte nicht! Aber es würde so zwangsläufig und total logisch sein! Nicht das er ihn wieder rettet wie damals als Kind!
Ich dachte dies währe auch eine Liebesgeschichte! hmm! Ich hasse Liebesdramen!

Aber sehr gut geschrieben!
Bitte lass uns Leser nicht zu lange warten.


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