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Schatten über Kemet

von

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32. Kapitel

Die Wolken waren fort, Nuts dunkler Leib spannte sich ruhig über ihnen. Yugi atmete tief durch, dann wandte er sich zu Atem neben sich. „Es ist wirklich wieder alles gut?“

 

„Die Patroullien werden noch weiter unterwegs sein, aber laut Mahaad sollte die neu aufgebaute Barriere jeden Dämon im Palastbereich vertrieben oder vernichtet haben.“ Atem gähnte, dann rieb er sich über seine Augen. „Du solltest ins Bett gehen, Yugi.“

 

„Du siehst schlimmer aus als ich mich fühle.“ Yugi legte beide Arme um Atem und lehnte seine Stirn an dessen. „Ich mache mir Sorgen um dich.“

 

„Das mußt du nicht. Ich brauche nur etwas Schlaf und ein ordentliches Frühstück und dann…“

 

Sanft küßte Yugi seinen Liebsten. „Ich würde dennoch gerne bei dir bleiben.“

 

„Ich habe Tausret versprochen, die Nacht mit ihr zu verbringen. Oder zumindest das, was von ihr übrig ist.“

 

„Natürlich.“ Yugi trat zurück, sein Blick war sanft. „Erzählst du mir eines Tages, was passiert ist?“

 

„Das werde ich. Yugi, ich…“ Atem zögerte unter diesem warmen, offenen Blick.

„Ich sollte es dir am besten gleich sagen.“ Er lehnte sich zurück an die Palastwand.

 

„Wirklich?“

 

„Ja. In letzter Zeit gab es schon genug Geheimnisse. Außerdem könnte es mir helfen, meine Gedanken zu ordnen, bevor ich zu meiner Schwester gehe.“ Atem nahm Yugi bei der Hand und führte diesen ein Stück den Außengang entlang, bis sie eine kleine, aber dafür trockene Bank fanden, auf der sie es sich dann bequem machten.

 

„Ich… Ich hatte gemerkt, daß deine Gemahlin etwas… schwierig zu sein scheint.“

 

Atem schnaufte. „Mach dir keine Mühe. Ich weiß, was viele von ihr denken. Daß sie hart ist und kalt und grausam.“

 

„Und eifersüchtig“, murmelte Yugi.

 

„Ja.“ Atem seufzte. In knappen Worten berichtete er dann, was er heute nacht gesehen hatte, als er sie aufgesucht hatte. Die Kreatur, die ausgesehen hatte wie ihr Kind und Tausrets Verzweiflung.

 

„Ich wußte nicht, daß… daß ihr ein Kind hab… hattet.“ Yugi hatte den Kopf gesenkt.

 

„Es ist kein Allgemeinwissen“, erwiderte Atem, der über Yugis Schultern streichelte.

 

Yugi wandte den Blick Atem zu und studierte dessen Gesicht. „Es hat euch beide sehr verletzt, es zu verlieren.“

 

Atem nickte. „Er war so winzig… Merenra war so winzig.“ Atem mußte tief durchatmen. Es tat so weh, diesen Namen auszusprechen. Yugis Hand auf seiner Schulter aber gab ihm die Kraft, weiterzusprechen. „Er war gut drei Monate zu früh. Aber er war schon so… so menschlich. Nur kleiner als Säuglinge sonst sind. Er hat geatmet, er hatte die Augen auf.“

Atem lächelte, eine Mischung aus Schmerz und Liebe.

„Er hatte dieselbe Augenfarbe wie ich. Für einige Momente konnte ich glauben, als er in meinen Armen lag, daß er es schaffen würde. Daß die Magier und Heiler ihn retten konnten.“ Er stockte, blickte Yugi an, dann den Boden. „Aber sie konnten ihn nicht retten… Merenra hörte auf zu atmen und er wurde immer kälter… und kälter…“ Atem schniefte. Yugi hatte seine Hände ergriffen, er spürte dessen besorgten Blick förmlich. „Da war so viel Blut, Yugi. So viel Blut… An Merenra. Auf dem Bett… Tausrets Schenkeln. Oh, bei Isis, sie hat so geschrien vor Schmerzen. Sie war fast wahnsinnig! Ich dachte, sie würde uns alle zerreißen wie Sachmet.“ Atem schüttelte den Kopf und wischte sich vergeblich mit einer Hand über sein feuchtes Gesicht. „Ach, Yugi… Wir hatten uns so auf unser Kind gefreut! So sehr… Und in einem Moment war alles dahin. Merenras Leben genauso wie Tausrets Möglichkeit, Leben zu schenken.“

 

Schwer lehnte Atem sich auf Yugi, doch der wankte nicht, sondern schlang beide Arme um Atem. Eine warme Hand glitt durch wirres Haar.

 

Atem schloß die Augen. Es schüttelte ihn, während seine Tränen auf Yugis Tunika fielen. Etwas Heißes drückte sich seine Kehle hinauf, drängend, unaufhaltbar, nun da Atem den Damm eingerissen hatte. Ein langer, schluchzender Schrei, der sich vielfach in Atems Ohren bohrte. Für einen Moment glaubte Atem, er würde untergehen, in tiefster Schwärze versinken, doch da waren entschlossene Hände, die ihn hielten. Die ihn wieder empor zogen aus der Tiefe. Die Hände aus Wasser, die Atem umfangen hielten, gaben nach und statt Dunkelheit blickte Atem in Sternenaugen, warm und voller Sicherheit.

 

„Ich vermiße ihn“, wisperte Atem, die Stimme rauh. Doch er fühlte diesmal keine Pein im Herzen. Nur eine merkwürdige Ruhe.

 

„Natürlich tust du das“, wisperte Yugi sanft, seine Daumen streichelten über Atems feuchte Wangen.

 

„Nur habe ich das so noch nie jemandem gesagt“, gestand Atem. „Noch nicht mal Tausret.“

 

„Du hast noch Zeit. Mach es jetzt.“

 

Atem nickte. Kurz küßte er Yugis warme Lippen, dann stand er auf. Er wußte, Yugi würde gut nachhause kommen. Aber für Atem war die Nacht noch nicht zuende.

 

Er fand Tausret in ihrem Schlafgemach. Eine Dienerin, die ihr schweigend Gesellschaft geleistet hatte, erhob sich bei seinem Eintreten und eilte mit gesenktem Kopf hinaus.

 

Atem schloß hinter ihr die Tür, dann setzte er sich auf die Bettkante.

 

Tausret lag auf dem Bett, eine Decke um sich gezogen. Ihr Blick verriet Erleichterung, dann Sorge. „Was ist geschehen?“ Sie setzte sich auf. „Es ist doch niemand…“

 

Atem schüttelte den Kopf und rang sich ein Lächeln ab. „Die Götter waren mit uns.“

 

„Noch“, ergänzte Tausret, was er nicht gewagt hatte, auszusprechen.

 

Atem schüttelte den Kopf und nahm ihre kalte Hand in seine warmen. „Ich habe heute nur die Vergangenheit betrauert, nicht die Gegenwart.“ Er zögerte einen Moment, dann ergänzte er: „Ich habe Yugi von Merenra erzählt.“

 

Tausret nickte langsam.

 

„Ich mußte ihm nicht… nicht viel erklären.“

 

„Oh, dein Yugi muß ja wahrhaftig brillant sein.“ Tausrets Sarkasmus war vergleichsweise milde.

 

„Ja“, antwortete Atem unbeeindruckt. „Ich frage mich…“

 

„Was?“

 

„Tausret, können wir reden? Wirklich reden? Ohne Vorwürfe, ohne Streit? Ich habe den Eindruck, wir haben seit Merenras Tod nur noch gestritten. Als ob wir immer im Zwist lägen.“

 

Tausret preßte ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, ihre Brauen stießen gegeneinander. In ihren Augen lag derselbe bittere Sturm, der schon sooft durch diese Gemächer getost war. Aber nicht heute!

 

„Wie lange noch, Tausret? Wie lange?“ Atem spürte, wie frische Tränen aufwallten und er ließ es zu. „Wie lange wollen wir nicht über unseren Sohn sprechen? Merenra hat es verdient, daß wir uns seiner erinnern, ohne uns dabei an die Gurgel zu gehen. Glaubst du, er ist stolz auf Eltern, die in Zorn versinken, statt ihre wahren Gefühle auszusprechen? Ich bin es so leid… Ich will nicht mit dir streiten.“

 

„Du… du hast mich über drei Jahre lang ignoriert“, konterte Tausret, aber ihre Stimme schwankte.

 

Atem nickte. „So muß es dir wohl vorkommen. Ich habe mich ständig bedrängt gefühlt. Ich sollte immer zu dir kommen nachts. Ich sollte mit dir schlafen. Aber das… das konnte ich nicht.“

 

Tausret blickte hastig fort, doch Atem konnte noch ihre Tränen erkennen. „Du siehst mich nicht mehr als vollwertige Frau. Ich kann dir keine Kinder mehr gebären, also wozu solltest du auch deine Zeit mit mir verschwenden?“

 

„Glaubst du das wirklich?“ Atem seufzte, dann legte er sich neben seine Schwester, nahm sie in die Arme. „Du bist eine Frau. Das warst du immer und wirst du immer sein. Aber ich konnte nicht mehr mit dir schlafen, weil ich immer glaubte, versagt zu haben. Als dein Mann, als Merenras Vater. Ich konnte dich nicht beschützen, genauso wenig wie ihn. Ich kann dir nicht zurückgeben, was du verloren hast.“

 

Tausret zitterte. „Ich war so wütend… Die anderen, die du immer angesehen hast. Mit denen du deine Zeit verbracht hast. Daß du immer so glücklich aussahst, wenn du von deinen Töchtern kamst. Ich wollte dich schlagen! So fest ich nur konnte!“

 

„Würde dich das wirklich glücklich machen?“

 

Auflachend wandte Tausret ihr tränenüberströmtes Gesicht Atem zu. „Nein. Und das macht mich noch wütender! Aber…“

 

„Aber?“

 

Sie blickte hinauf an die Decke, an der Nut Ra wie jeden Morgen neu gebar. „Aber ich bin nur wütend, weil ich sonst ständig weinen müßte. Nicht die anderen stören mich, nicht mal Yugi, auch wenn ich weiß, daß er dein Herz gewonnen hat. Ich könnte deinen Töchtern niemals etwas tun. Was mich stört, ist… Ist daß ich nicht stärker war. Stark genug, Merenra zur rechten Zeit zu gebären. Selbst, wenn es mich mein eigenes Leben gekostet hätte. Er hätte leben sollen. Statt dessen ist nur diese unfruchtbare Hülle zurückgeblieben, die nur noch Bitterkeit und Zorn hervorbringen kann.“

 

Atem zog Tausret an sich. „Es tut mir so leid… Daß ich es nicht gesehen habe…“

 

Sie schloß müde die Augen. „Und ich wollte es nicht sehen. Nicht sehen, daß auch du leidest. Und noch weniger, daß ich es tue. Sind wir nicht ein grauenvolles Ehepaar?“ Die Augen aufschlagend blickte Tausret in Atems Augen. Nun war nur noch eine resignierte Trauer dort, nicht genug, um noch einen Sturm hervorzubringen.

 

„Es ist noch nicht alles vorbei“, wisperte Atem und küßte Tausrets schwitzige Stirn.

 

„Nein. Aber dein Herz habe ich verloren.“

 

„Es… Es hat sich so entwickelt.“ Atem starrte auf das Kissen.

 

Tausret strich ihm durchs Haar. „Es ist nicht schlimm. Denn nein, Atem, ich liebe dich nicht mehr als Gemahlin. Nur noch als Schwester.“

 

Atem hielt sie fest, hielt sie, bis sie eingeschlafen war, bis Ras erstes Licht durch das kleine Fenster fiel. Erst dann fielen Atem selbst die Augen zu. Er träumte von Tausret, die auf einem Blumenfeld stand, die Arme ausgebreitet, das perfekte Ebenbild der Isis. Und neben ihr eine kleinere Gestalt, knabenhaft, auf deren Haupt eine Krone glänzte, aus der ein mächtiges Kuhgeweih sproß.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Usaria
2018-02-11T22:09:59+00:00 11.02.2018 23:09
Tolles Kapitel, leider wieder viel zu kurz. Jetzt wissen wir wieso Tausred so drauf ist. Klar, eine Frau die ein Kind verliert stellt sich und ihre ganze Weiblichkeit in frage, wenn dann auch noch wie bei Tausred noch dazu kommt dass sie gar keine Kinder mehr gebären kann, ist dies Doppelt schlimm. Jetzt kann ich ihre Wut und ihren Zorn nach voll ziehen. Gut, dass Yugi Atemu dazu gebracht hat mit ihr zu reden.

An einer Stelle habe ich einen Logikkeitsfehler entdeckt, und zwar.Tausret strich ihm durchs Haar. „Es ist nicht schlimm. Denn nein, Atem, ich liebe dich nicht mehr als Gemahlin. Nur noch als Schwester.“ Müsste es nicht statt, denn nein Atemu, nicht eher denn nein Tausred heißen!
Es ist doch Atemu der dies sagt, denn wenn es Tausret währe müsste doch dann der Satz heißen, denn nein Atem ich liebe dich nicht mehr als Gemahl. Nur noch als Bruder.

Dieser Satz verwirrt mich ein wenig!


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