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Schatten über Kemet

von

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31. Kapitel

Mai wurde von einem grauenhaften Schrei geweckt. Ihr Blick fiel sofort auf Anzu neben sich, die sich gerade aufrichtete.

 

„Was…?“

 

„Bleib hier.“ Mai sprang aus dem Bett und nahm ihr Schwert.

 

„Ja, aber…“ Anzus Augen schimmerten groß und erschrocken im Mondlicht.

 

„Bleib.“ Diesmal unterstrich Mai ihre Aufforderung mit einer herrischen Geste. Anzu war sicherer, wenn sie nicht mitkam.

Mit schnellem Schritt eilte Mai aus dem Schlafgemach und blickte sich um. Ihr Wohngemach war leer… und die Tür nach draußen prallte mit voller Wucht in ihren Rahmen. Mai konnte hören, wie die Konstruktion erbebte und ächzte. Leichtfüßig lief sie zur Tür. „Jono?“ Sie stieß die Tür auf und wäre fast über etwas gestolpert. Gerade noch klammerte sie sich an das mißhandelte Holz und starrte dann den verdrehten Körper vor sich an. Zuerst dachte sie… Nein, das waren keine menschlichen Glieder. Mit der Schwertspitze schob sie das tote Etwas fort, dann trat sie auf die Veranda. Davor stand Jono, Regen prasselte auf ihn nieder.

 

„Jono, was ist…“ Doch da sah sie den schwarzen Schatten, der lautlos Anlauf nahm und dann sprang. Mai schoß vor und ihr Schwert bohrte sich in die Brust der Kreatur. Diese stürzte heulend zu Boden. Mai riß ihr Schwert zurück. In ihren Ohren hallte das Geräusch, wie es über Rippen schabte, häßlich wider.

 

Sie starrte auf das schwarze Ding, auf… Atem. Eine eisige Hand umklammerte ihr Herz. Eine Hand erhoben starrte Atem zur ihr hinauf, er gurgelte, Blut quoll aus seinem Mund. Aus… aus seinen Augen! Schwarz und zähflüssig wie Teer.

 

„Sieh sie nicht direkt an!“

 

Jonos kalter Schrei ließ ihren Kopf hochschießen. Aus den Augenwinkeln nahm sie unter sich eine winselnde, schwarze Kreatur wahr. Schwarze Haut spannte sich über die lange Schnauze, eine löchrige, faulende Zunge streckte sich in die Luft. Mai schloß die Augen und stieß mit einem Keuchen ihr Schwert in den Schädel, dann war es vorbei. „Wie viele sind es?“ wollte sie wissen, während sie ihr Schwert zurückzog und neben Jono trat.

 

„Ein halbes Dutzend, vielleicht mehr“, antwortete der grimmig. In seinen Augen aber spiegelte sich noch immer Angst.

 

„Was machen sie hier? Sie sollten nicht durch den Schutzschild dringen können.“ Mai blickte hinauf zu Nut, doch die magischen Barrieren waren unsichtbar.

 

„Frag nicht mich. Ich… ich hab noch nie welche gesehen. Also Fleischwechsler.“ Jono schauderte.

 

„Ich erst einmal, auf einem Schlachtfeld. Sie sahen aus wie unsere toten Kameraden.“ Mai schüttelte dann den Kopf. Nein, daran durfte sie jetzt nicht denken. Nicht an den Schmerz, Freunde ihrem Gefühl nach erneut zu töten. Erneut zusehen zu müssen wie… Sie stöhnte. „Wen hast du gesehen?“ stieß sie die Frage hervor, die Augen zu Boden gerichtet, während sie aus den Augenwinkeln nach ihren Feinden spähte.

 

„Ryou.“

 

„Woher wußtest du, daß er es nicht war?“ Mai schwang ihr Schwert und trennte eine verkümmerte Pfote ab. Die Kreatur, die sie hatte überraschen wollen, hinkte winselnd davon. Vorerst.

 

„Hat sich nicht wie er angefühlt. Nicht warm genug, traurig genug.“ Jono sprang vor, sein Schwert erleichterte einen weiteren Fleischwechsler um dessen Schwanz. Wie ein Wurm fiel dieser zu Boden und wand sich.

 

„Jono?“

 

„Ja?“

 

„Du mußt Hilfe holen.“

 

„Aber…“

 

„Das ist ein Befehl! Ich kümmere mich um die Dämonen.“ Mai konnte förmlich Jonos Anspannung spüren. Dann riß ihr Kampfgefährte sich aus seiner Starre, nickte.

 

Mai hörte, wie Jono zurück in ihre Gemächer lief. Sicher würde Anzu dort auf ihn warten. Sie wäre dann sicher.

Mai lächelte, dann warf sie sich herum und ihr Schwert fuhr durch Fleisch und Knochen. Heulend stürzte der Fleischwechsler zu Boden. Tückische Biester! Aber nicht so intelligent, wie sie dachten. Sah man sie nicht direkt an, sah man ihre wahre, verkrüppelte Gestalt, nur noch am Leben gehalten durch dämonische Mächte. Nichts, womit sie nicht fertig werden würde.

 

***

 

„Du bist ja so winzig, ja, so winzig! So winzige Füßchen und Händchen und wie hübsch du bist! Du siehst genauso aus wie dein Vater, mein kleines Küken.“ Tausret lachte wie ein junges Mädchen und preßte ihre Lippen auf die Stirn des glucksenden Babies. Sanft tätschelte sie das rundliche Bäuchlein, befühlte die zarten, so zerbrechlichen Glieder, während Tränen über ihre Wangen liefen. Sie hatte heute nacht wieder nicht gut geschlafen, ein lautes Donnern hatte sie schnell wieder aufgeweckt. Aber, oh, jetzt war aller Schmerz und Kummer vergessen, als sie ihr liebes, süßes Kind ansah. Es war zu ihr zurückgekommen, die Götter hatten ein Einsehen mit ihr gehabt. Tausret dankte ihnen von ganzem Herzen.

 

Ihr kleiner Sohn strampelte eifrig, er kicherte und er hatte so hübsche Augen, Augen wie Atem. Zärtlich hob Tausret das Kind an ihre Brust. „Du bist auch glücklich, nicht wahr? Jetzt ist Mama für dich da, mein kleiner Schatz. Mama macht alles wieder gut.“ Sie küßte den dunklen Flaum auf dem Kopf ihres Sohnes. Ja, er war noch immer so klein, viel kleiner als die Kinder, die nach neun Monaten geboren wurden, aber er war hier, war stark, strampelte. Ein Kämpfer wie sein Vater! Sie stand auf, ihr Söhnchen wiegend.

 

Dieses verzog nun sein Gesichtchen, wurde rot und seine Händchen klopften gegen ihre Brust. Tausret zog ihr leichtes Nachtgewand auseinander, betrachtete ihre Brüste. Sanft massierte sie sie, aber die Milch war schon vor Jahren versiegt. Sie seufzte leise. „Ich werde dir eine gute, starke Amme suchen, mein Küken“, versprach sie dann entschlossen. Aber zuerst mußte es andere Milch tun. Zum Glück hatte sie noch einen Rest vom Abendessen. Sie versicherte sich, daß die Milch noch gut war, dann setzte sie sich, ihren Herzensschatz im Arm und begann, diesen zu füttern.

 

***

 

Atem warf die Decke von sich, als ein aufgeregter Diener sein Schlafgemach stürmte und etwas von Notfall und Dämonen stammelte. Er hielt Atem einen Schurz hin, den der sich hastig umlegte, dann nahm er vom selben Diener Schwert und Diaha Diank entgegen. Das Puzzle hängte er sich im Laufen um.

In seinem Vorzimmer standen Mana, deren Miene zwischen Entsetzen und Amüsement schwankte, und Jono, der wohl der Grund für letzteres war. Mit Ausnahme eines grimmigen Gesichtsausdrucks und seines Schwertes trug der nämlich nichts am Leibe.

 

„Was ist passiert? Was für Dämonen?“

 

„Fleischwechsler“, antwortete Jono und Mana nickte.

 

„Ich hatte plötzlich so ein Biest im Schlafzimmer. Ich glaube, es ist durchs Fenster gekrochen.“ Mana schüttelte es. „Es sah aus wie… wie Meister Mahaad, ganz verbrannt und…“ Sie brach ab, verloren starrte sie zu Boden. „Ich hab es mit einem Feuerzauber beworfen“, wisperte sie dann.

 

Atem zog es das Herz zusammen, aber sie hatten gerade keine Zeit für Gefühle. „Jono?“

 

„Ryou. Es hat mir vor M… General Mais Haus aufgelauert. Sie kümmert sich um die anderen, die noch dort sind und hat mich hergeschickt. Ich habe schon Meister Mahaad Bescheid gesagt. Der hat mich zu dir geschickt, Lebender Horus, zusammen mit Mana.“

 

Atem nickte, atmete tief durch. Gut, Mahaad würde sich darum kümmern, daß jeder Zauberer und Soldat wußte, was zu tun war. Nochmal durchatmen. Zuerst würde er nach seiner Familie sehen. Er mußte sehen, daß es seinen Töchtern gut ging, dann nach seinen Schwestern. Und dann… Große, violette Augen blitzten vor seinem inneren Auge auf. Warum konnte er sich nicht in Drei teilen? Atem rieb sich über seine Augen, kleine Krümel fielen durch seine Finger.

„Jono, geh zu Mai zurück. Hilf ihr. Mana, ab mit dir zu Mahaad. Er braucht jeden Zauberer, um die Barrieren zu erneuern. Ich stoße zu euch, sobald ich kann.“

 

Mana und Jono nickten, dann stürmten sie aus dem Zimmer.

 

„Und zieh dir einen Schurz an, Jono!“ rief Atem diesem nach. Ein weiteres Mal atmete er durch, straffte seine Schultern, dann machte er sich auf den Weg. Seine Leibwache folgte ihm.

Im Harem wurde er von seinen nervösen Gemahlinnen und Knaben erwartet, aber nichts war eingedrungen, nichts hatte ihnen einen grausamen Streich gespielt. Atem atmete auf, als er dann seine Töchter sah. Sie alle schliefen, entweder in ihren Betten oder an der Brust ihrer Mütter, die über die Kleinen wachten. Atem ließ seine Leibwache im Harem, als zusätzliche Hilfe für die Haremswächter.

 

Mai konnte, so wie er selbst, gut auf sich selber aufpassen, Tausret aber war weder Kriegerin noch Zauberin, also führten seine Schritte Atem zu den Gemächern seiner Gemahlin und Schwester. Vor ihrer Tür standen drei kräftige Männer. Als sie Atem sahen, standen sie automatisch stramm, in ihren Gesichtern spiegelte sich Erleichterung wider. „Was ist mit der Großen Königlichen Gemahlin?“ verlangte Atem sofort zu wissen.

 

„Offenbar geht es ihr gut, Großer Pharao. Wir haben nichts Ungewöhnliches gehört.“

 

„Wart ihr nicht in ihrem Gemach?“

 

„Sie hat uns befohlen, vor der Türe zu bleiben.“ Der Wächter tauschte einen hilflosen Blick mit seinen Kollegen.

 

Atem verstand. Leibwächter oder nicht, sich über die Anweisung seiner Schwester hinwegzusetzen und das Gemach zu betreten, konnte schwere Strafen nach sich ziehen. Aber das hieß nicht, daß nichts passiert war… oder Tausret in Gefahr schwebte.

 

Ohne sich anzukündigen öffnete Atem die Tür und trat in das Wohngemach Tausrets. Unter seinen nackten Zehen fühlte er den Teppich, den Vater Tausret damals zur Hochzeit geschenkt hatte. Der dünne Schein einer Öllampe lenkte seine Aufmerksamkeit auf den aus Ebenholz geschnitzten Tisch, an dem Tausret zu speisen pflegte, und den zugehörigen Stuhl. Für einen Moment war Atem erleichtert, als er das lächelnde Gesicht seiner Schwester sah, dann aber folgte er ihrem Blick zu dem, was sie an ihre Brust gedrückt hielt.

 

Für einen Moment sah er, was sie sah: Ein winziges, viel zu winziges Kind mit dunklem Haar und hellen Augen, das zufrieden Milch von Tausrets Fingern lutschte. Doch dann schob sich der scharfe Blick des Horus wieder über seine Augen und statt eines Kindes, dessen Anblick ihm sein Herz zerriß, erblickte Atem eine magere, dunkle Kreatur, die sich an Tausrets Busen preßte. Mit einer schwarzen Zunge leckte es Milch und Blut von zerkratzter Haut, leise winselnd. Für einen Moment empfand Atem Mitleid für den Schakalwelpen, der viel zu früh aus dem Leben gerissen worden war, genauso wie… Aber gnadenlos schob Atem das Gefühl beiseite. Er stürzte vor und riß Tausret hoch.

 

Sie strahlte ihn an. „Sieh, sieh, Atem! Es ist ein Wunder!“

 

Das Glück in ihrer Stimme nahm Atem fast die Luft zum Atmen. Mit Tränen in den Augen riß er ihr die Kreatur aus den Armen.

 

„Wa-was machst du?“ Tausret klammerte sich an seinen Arm, ihre Nägel schnitten in sein Fleisch.

 

„Das ist kein Mensch! Es ist ein Dämon!“ Atem hielt es so, daß Tausret das wimmernde Wesen nur aus dem Augenwinkel sehen konnte. Es wand sich in Atems Griff und versuchte, mit seiner kleinen Schnauze nach seinem Fänger zu schnappen.

 

Tausret prallte zurück. Ihr Gesicht war kalkweiß. „Du lügst!“ brüllte sie, mit beiden Fäuste schlug sie auf Atem ein, der gerade noch seinen freien Arm hochreißen konnte.

 

„Das würde ich nie tun!“

 

„Du haßt mich! Du haßt mich! Du willst mir kein Glück gönnen! Gib mir mein Kind zurück!“

 

„Das ist nicht unser Kind!“ schrie Atem und mußte zurückweichen. Er hatte nie gewußt, wie hart Tausret zuschlagen konnte. In ihren Augen glühte der Wahnsinn.

 

„Du elender Kerl! Ich haße dich! Ich haße dich so sehr! Gib es mir, gib mir meinen Sohn! Gib ihn mir zurück!“ Tränen liefen nun über Tausrets schmerzverzerrtes Gesicht.

 

Atem schleuderte die Kreatur zu Boden, wo sie mit einem häßlichen Knacken und einem letzten Winseln aufkam. Dann packte er seine Schwester bei den Schultern und schüttelte sie. „Das ist nicht unser Sohn! Unser Sohn ist tot! Er kommt nicht zurück, zu dir genauso wenig wie zu mir! Merenra ist tot!“

 

Tausret erstarrte. Atem fiel gegen sie, keuchend. Er zitterte, seine Knie fühlten sich an wie Mus. Die Realität war über sie gekommen wie eine kalte Welle und hatte ihrer beider Kraft fortgeschwemmt.

 

Atem zwang sich zurück auf seine zitternden Füße, er faßte Tausret fest bei der Hand, dann führte er sie aus dem Zimmer. Er wagte es nicht, zu Boden zu blicken. Er hatte jetzt schon Mühe, durch den Schleier vor seinen Augen noch etwas zu erkennen.

 

Tausret ging mit wie eine willenlose Puppe, ließ sich von Atem auf eine Bank setzen und starrte dann auf ihre Finger, die die Spuren winziger Zähne trugen.

 

Atem rief sofort nach seinem Leibarzt, dann wandte er sich wieder seiner Schwester zu. Ihr Blick war so leer. Er preßte die Lider zusammen, doch seine Wangen wurden dennoch naß.

 

„Bitte geh nicht weg.“ Tausret klang dünn, besiegt. So gar nicht wie die selbstbewußte, streitlustige Frau, vor der Atem bevorzugt fortlief.

 

Er setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. „Ich muß sehen, daß alle hier im Palast geschützt sind“, antwortete er vorsichtig. Er schniefte und ihre Hand legte sich um die seine. „Dann komme ich aber zurück zu dir und bleibe bei dir.“

 

„Den Rest der Nacht?“

 

„Den Rest der Nacht“, versprach er.

 

„Ich haße dich nicht, Atem.“

 

„Ich weiß. Ich dich auch nicht.“

 

„Ich weiß.“ Tausret wandte ihm ihr Gesicht zu. Ihre Erschöpfung war wie ein Schlag in Atems Magengrube. Wie lange ging das schon? Wieso hatte er das nicht gesehen?

„Du kannst nichts ändern.“

 

„Nicht die Vergangenheit“, erlaubte Atem den Themenwechsel. Sanft streichelte er über Tausrets eingefallene Wangen.

 

Sie nickte. „Du wirst nach Yugi sehen?“

 

Er zögerte, dann nickte er.

 

In ihren Augen lag keinerlei Überraschung. „Das ist gut.“

 

„Du willst ihn nicht auspeitschen?“

 

Tausret schüttelte den Kopf. „Selbst wenn ich es wollte, es würde nichts ändern. Geh schon. Dann kannst du bald wieder hier sein.“

 

Atem drückte sanft ihre Schultern, gab ihr einen brüderlichen Kuß auf die feuchte Stirn und erhob sich. Zu seiner Erleichterung kam auch gerade der Arzt, so konnte Atem Tausret vorerst beruhigt in dessen Händen zurücklassen. Doch auch wenn der Arzt Tausrets Wunden an den Händen versorgen konnte, mehr Sorgen bereiteten Atem die Wunden an ihrer Seele. Und seiner eigenen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Usaria
2018-02-04T16:40:06+00:00 04.02.2018 17:40
Huuu! Spannung pur! Äh habe ich etwas überlesen, oder warum will Tausret Yugi auspeitschen lassen?
Hm deine Fantasie kennt keine Grenzen, von solchen Dämonen habe ich auch noch nie gehört. Ich finde es totall klasse wenn du dir eigene Kreaturen aus denkst, und im Bereich der Dämonen kann alles möglich sein. Freue mich schon auf das nächste Kapitel.


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