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Schatten über Kemet

von

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25. Kapitel

Atem stürmte Mais Gemächer.

 

Seine Schwester stand an einem Fenster und wandte ihm den Kopf zu, eine Augenbraue erhoben. „Kann ich euch helfen?“

 

Aus dem Augenwinkel sah Atem Mana, die ihm tatsächlich bis hierher gefolgt war. „Mai, was fällt dir zu dem Thema „Die Schwester meiner Mutter“ ein?“

 

„Soll das ein Ratespiel werden?“ Mai drehte sich ganz zu ihnen um. Sie trug nur eine Tunika, was ihre langen, nackten Beine gut zur Geltung brachte.

 

Atem nahm an, daß auch Anzu hier war, aber das interessierte ihn gerade nicht. „Beantworte meine Frage!“

 

Mai stemmte die Hände in die Hüften und seufzte. „Sie ist hier, oder?“

 

„Also wußtest du von ihr.“

 

„Und? Ich habe schon ewig nicht mehr an sie gedacht.“ Mai zuckte mit den Schultern.

 

„Du hättest es uns dennoch sagen können!“

 

Atem blickte überrascht zu Mana, die sich an ihm vorbei schob.

 

„Wir dachten, wir hätten einen Geist gesehen! Oder ein Wunder…“

 

Mai ließ die Arme sinken und schloß die Augen. „Es tut mir leid. Ich hatte ehrlich nicht mehr daran gedacht. Ich hielt es auch nie für sonderlich relevant, um ehrlich zu sein.“

 

„Wirklich?“ Atem blickte sie scharf an.

 

„Ich wollte nicht, daß du dich schlecht fühlst. Außerdem hatten deine Mutter und unser Vater verboten, über diese Geschichte zu sprechen.“

 

„Dasselbe haben sie bei Mana auch angeordnet, du hast dein Schweigen aber gebrochen.“

 

„Weil es wichtig war. Nicht nur für euch, sondern für sehr viele Menschen. In dem Fall war es eine Sache, die nur die Familie betraf.“ Mai ließ sich auf eine Ruheliege fallen.

 

Atem trat zur ihr und blickte hinunter auf sie. „Warum sollte das ein Geheimnis bleiben?“

 

Mai rollte mit den Augen. „Hört auf, mich wie einen Verbrecher anzustarren. Ich hab die Entscheidung nicht getroffen.“

 

„Aber nicht in Frage gestellt!“

 

„Oh doch! Und kam zu dem Schluß, daß ich nichts wieder ans Licht bringen wollte, was Kummer über dich bringt. Und nicht nur dich.“

 

„Ich würde sagen, daß ich als Pharao inzwischen Kummer gewöhnt bin. Ich entbinde dich von deinem Schweigen. Heraus mit der Wahrheit! Warum hat Yugis Mutter den Hof verlassen und sich bisher geweigert, zurückzukehren? Warum wollte sie selbst Yugi davon abhalten? So langsam glaube ich nicht mehr an einen Zufall oder unterschiedliche Lebensentwürfe.“

 

„Schön.“ Mai richtete sich auf und wies Mana und Atem an, sich ebenfalls zu setzen. „Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

 

***

 

„Du schuldest mir eine Erklärung, Mama.“ Yugi atmete tief die kühlere Abendluft ein und machte es sich bequemer auf der Bank vor dem Haus.

 

Tuja seufzte. „Das tu ich wohl.“

 

„Atem wird sicher auch wissen wollen, worum es geht.“

 

„Atem, ja?“

 

„Er ist ein sehr guter Mann.“

 

„Zweifellos. Nicht weniger würde ich vom Sohn meiner Schwester erwarten.“ Tuja lächelte und legte einen Arm um Yugi. „Ich hätte wissen müssen, daß ihr euch wieder finden würdet.“

 

Yugi dachte an heute morgen, an Atems Lippen und ihrer beider Versprechen. Das war wohl kaum die Liebe, die sie als Kinder füreinander empfunden haben mochten. Aber das spielte gerade keine Rolle.

„Was ist damals geschehen?“

 

Tuja atmete tief durch als hätte sie vor, einen Granitquader mit bloßen Händen zu stemmen. „Nun gut, ich wußte, daß ich dir irgendwann einmal alles erzählen würde müssen. Teti und ich arbeiteten in der Töpferei des Palastes, nachdem auch unser Vater gestorben war. Ich fühlte mich für meine Schwester verantwortlich. Sie war einer der freundlichsten und gütigsten Menschen, die ich je gekannt habe.“ Sie lächelte Yugi an und strich ihm die widerborstige Locke aus der Stirn, wie immer vergeblich. „Außerdem war sie schon immer eine kleine Träumerin. Kurz, ich fürchtete, ihr freundliches Wesen könnte ausgenutzt werden. Doch nicht einmal ich konnte mich dem Lauf der Zeit und dem Willen der Götter entgegenstellen.“

 

„Atem erzählte mir, sein Vater hätte seine Mutter in der Töpferei kennengelernt.“

 

“Das ist richtig. Osiris-Pharao Aknamkanon, damals noch Falke im Nest, war an allem interessiert und wollte viel Wissen ansammeln, um später seinem Volk gerecht werden zu können. Als er das erste Mal kam, war es schwer für uns alle, wie immer zu arbeiten. Dann kam er öfter und wir gewöhnten uns an ihn. Zuerst hielt ich ihn für ein wenig merkwürdig, daß er so viel Zeit bei uns verbrachte, wo es doch sicher noch mehr zu lernen gab als wie man Ton bearbeitet. Dann merkte ich, daß er sich häufig in Tetis Nähe aufhielt. Ich hatte ein schlechtes Gefühl dabei, denn Teti wurde seiner Nähe und Aufmerksamkeit nie müde. War er nicht da, träumte sie. Ich versuchte, sie zu warnen. Schließlich war es keine Seltenheit, daß die männlichen Mitglieder des Königshauses sich auch Zerstreuung in unseren Kreisen suchten. Aber Teti wollte nicht auf mich hören.“

 

„Aber Atems Vater hatte nicht Zerstreuung im Sinn, oder? Atem sagte, sein Vater hätte Teti wahrhaftig geliebt.“

 

„Das konnte ich damals nicht wissen. Dann mußte ich feststellen, daß Teti sich heimlich nachts aus unserem kleinen Zimmer schlich. Ich folgte ihr, ich wollte sie aufhalten, denn ein uneheliches Kind hätte leicht ihren Ruf ruinieren können. Natürlich traf sie sich mit dem Falken im Nest. Nicht, daß ich nahe genug an sie herankam, um sie mit mir ziehen zu können.“ Tuja lächelte und schüttelte den Kopf.

 

„Warum?“

 

„Oh, der Falke im Nest hatte einen seiner engsten Freunde in seine Pläne eingeweiht. Dieser sollte dafür sorgen, daß ihre Treffen unentdeckt und ungestört blieben.“

 

„Du kamst also nicht an ihm vorbei?“ Yugi schmunzelte. „Dabei dachte ich, dich könnte nichts aufhalten.“

 

„Er konnte es.“ Tujas Blick wurde warm. „Ich folgte meiner Schwester in jeder Nacht, in der sie sich mit ihrem Liebsten traf. Ich verbrachte dann meine Zeit mit besagtem Freund. Nach einer Weile kam ich nicht mehr nur wegen meiner Schwester.“

 

„Oh, haben du und dieser Freund euch so gut verstanden?“

 

Tuja lachte auf. „Gut genug, daß wir dich bekommen haben.“

 

Yugi klappte der Mund auf.

 

„Ja, es war dein Vater. Amunhotep war damals schon General und zu dieser Zeit in Waset. Er war es, der mich von der ehrlichen Absicht seines Freundes überzeugte und daß er nie zulassen würde, daß Teti in Verruf geraten würde. Es gab nur ein Problem.“

 

„Atems Großvater, stimmts? Atem sagte, er hätte nie eine Ehe seines Sohnes mit einer Dienerin geduldet.“

 

„Wie wahr. Und bei dieser Sache konnte nicht mal dein Vater mir meine Ängste nehmen, Yugi. Hätte der damalige Pharao von Teti erfahren, hätte das böse ausgehen können. Er hatte die absolute Macht, gegen die nicht mal einer seiner Söhne hätte aufbegehren können. So machte ich mir gut anderthalb Jahre Sorgen um Teti. Doch die Zeit und die Götter waren auf unserer Seite.“

 

„Offensichtlich. Atems Vater wurde selbst Pharao und damit konnte er tun, was er sich wünschte.“

 

„Oh ja! Er nahm meine Schwester zur Gemahlin.“

 

Für einen Moment waren sie beide still. In Gedanken fragte Yugi sich, wie das damals gewesen sein mußte. Eine königliche Hochzeit! Tänzer und Musiker überall, Gelächter in der ganzen Stadt, herrliches Essen und natürlich der Pharao und seine Braut in prächtigen Gewändern und Geschmeide. 

„Das muß wunderschön gewesen sein.“ Yugi seufzte verträumt und zog die Knie unters Kinn, legte die Arme um seine Beine.

 

„Es war ein sehr prächtiges Fest. Pharao Aknamkanon ließ alle an seinem Glück teilhaben und Teti sah so glücklich aus, daß sie selbst Gold und Juwelen überstrahlte. Schon wenige Monate später, dein Vater und ich hatten in der Zwischenzeit ebenfalls geheiratet, war es unübersehbar, daß Teti schwanger war.“

 

Yugi erinnerte sich erneut an einen Teil der Geschichte, die Atem ihm erzählt hatte. „Eine Konkubine versuchte, deine Schwester zu vergiften, nicht?“

 

„Ja. Danach mußte Teti umziehen und stand Tag und Nacht unter noch strengerer Bewachung.“

 

Yugi nickte. „Hast du sie oft besucht?“

 

„Ich habe praktisch mit ihr zusammen gelebt. Dein Vater war immerhin oft fort. Immer wieder wurde sein Wissen gebraucht und seine strategischen Fähigkeiten. Gemeinsam ließ es sich besser aushalten, besonders nachdem du das Licht der Welt erblicktest. Du warst so süß! Teti liebte dich wie auch ich ihren Sohn liebte. Und ihr beiden wurdet praktisch unzenntrennlich. Ihr habt zusammen gegessen, gespielt, geschlafen…“ Tuja blickte ihren Sohn sanft an. „Ihr hattet viel Spaß zusammen.“

 

„Ich kann nicht glauben, daß ich das alles vergessen habe“, murmelte Yugi. „Aber wenn alles so gut war, wieso mußte unsere Familie dann wegziehen?“

 

Nun wurde Tujas Miene wieder ernst. „Weil du in Gefahr warst. Ihr wart beide ungefähr vier Jahre alt, als sich alles änderte. Zwei Hochverrätern gelang es, eine Explosion direkt im Garten um Tetis Haus auszulösen. Bis heute kann ich mich daran erinnern. Meine Beine zitterten und ich hielt dich fest, während ich den Göttern dankte, daß du wegen eines aufgeschrammten Knies zu mir ins Haus gekommen warst. Und dann kam dieser furchtbare Geruch. Der Gestank von verbranntem Fleisch. Wie du geschrien hast, wie ich schrie, als Atem hereingetragen wurde. Wie still er dann auf seinem Bett lag, seine kleinen Beine eine merkwürdige Masse aus Schwarz und Rot. Wie Teti geweint hat. Oh, es war furchtbar.“ Tuja bedeckte ihre Augen und es schüttelte sie, als wolle sie die Erinnerung abwerfen.

 

„M-mama! Aber… Aber Atems Beine… Sie sind doch ganz gesund!“ Yugi wollte nicht glauben, was er da hörte. Es konnte nicht stimmen, Atems Gesundheitszustand paßte nicht zu der Schilderung seiner Mutter.

 

„Ach, Yugi… Es war so schlimm. Noch schlimmer sogar. Die Heiler glaubten selbst dann nicht an sein Überleben, hätten sie ihm beide Beine abgenommen. Hätte ich etwas tun können, ich hätte es mit Freuden getan, um ihm zu helfen. Aber nicht ich war es, die den Schlüssel zu seiner Heilung trug. Das, Yugi, warst du.“

 

„Was meinst du damit?“ hakte Yugi nach.

 

„Es gab eine Möglichkeit, Atem zu retten. Ihm mußte ein Teil des Bas eines anderen Menschen durch einen Zauber übertragen werden. Aber dafür eignete sich nicht jeder. Ich habe mich angeboten, Teti, Amunhotep und sogar Pharao Aknamkanon. Auch unzählige andere waren bereit, für den einzigen Sohn des Pharaos dieses Opfer zu bringen. Aber aus Gründen, die allein die Götter kennen mögen, warst du der einzige, dessen Ba vollkommen mit Atems harmonierte.“

 

Yugi starrte seine Mutter an, dann senkte er den Blick. „Hat… Hat Pharao Aknamkanon befohlen, daß es so geschehen muß?“

 

Tuja lachte überrascht auf. „Oh nein! Er mochte dich und er wußte, wie sehr Atem an dir hing. Er war es nicht, der diese Entscheidung traf, sondern du. Du wolltest es so. Du hast geschrien und geweint, ja, sogar um dich geschlagen, als wir dir ins Gewissen reden wollten. Du hast nicht eher Ruhe gegeben, bis wir dich ließen.“ Sie streichelte Yugi sanft durchs Haar. „Mein dickschädliger, liebenswerter Sohn! Dein Vater ließ sich daraufhin überprüfen, ob sein Ba mit deinem harmonierte und als das Ergebnis positiv war, ließ er direkt nach der Zeremonie für Atem einen Teil seines eigenen Bas auf dich übertragen. Er wußte, daß es sein Leben verkürzen würde, aber er sagte, auf so einen mitfühlenden Sohn könne er nur stolz sein.“

 

„Ist Papa wegen mir gestorben?“ Yugi liefen die Tränen über die Wangen. Wenn das stimmte… Seine Mutter zog ihn an sich und küßte sein Haar. Ihre Finger hinterließen eine beruhigende Wärme auf Yugis Haut.

 

„Papa hat dich unendlich geliebt und im Jenseits wird er dich weiterhin lieben. Er wußte, was er tat. Er wollte, daß du lebst. Er wollte, daß Atem lebt. Er hatte schließlich gehofft, daß sein Ba für Atem geeignet sei. Yugi, bitte weine nicht. Du hast deinen Vater jeden Tag stolz gemacht und glücklich, ebenso wie mich. Als ich kein zweites Mal schwanger wurde, waren dein Vater und ich bekümmert. Doch nach einer Weile haben wir uns daran erinnert, daß wir bereits ein wunderbares Kind unser eigen nannten. So wunderbar, daß es anderen helfen wollte, ohne auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Dein Vater wollte dein Glück, Yugi. Er wollte, daß du lange lebst und deine Güte und deine Freundlichkeit anderen Licht bringt. Deshalb verließen wir Waset.“

 

Yugi schniefte und blickte mit tränennassen Augen auf zu meiner Mutter. „Aber warum das?“

 

„Weil es Menschen am Hof gab, die in dir eine Versicherung für das Leben des Falkens im Nest sahen. Ihrer Meinung nach gehörtest du in einen Käfig und deine Lebenskraft hätte allein Atem zugestanden. Natürlich hätte der Pharao so etwas Furchtbares niemals zugelassen, aber niemand weiß, wann die Götter die eigene Zeit zu gehen niedergeschrieben haben. Niemand weiß, welche skrupellosen Menschen sich aus den Schatten erheben, wenn ein Kind regieren soll. Darum verließen wir Waset. Darum gingen wir in ein Dorf, in dem uns niemand kannte. Mein Herz brach als ich mich von Teti verabschieden mußte und ich spürte, daß wir uns in diesem Leben nicht wiedersehen würden. Tetis Herz brach. Auch dein Herz brach als du Atem zurücklassen mußtest und auch ihn wird dasselbe Schicksal ereilt haben. Glaube mir, dein Weinen klingt mir noch immer in den Ohren. Es war die furchtbarste und schwerste Entscheidung, die ich in meinem Leben treffen mußte, meine Familie entzwei zu reißen.“

 

Yugi hatte mit gesenktem Kopf zugehört. „Wollte Teti dich nicht aufhalten?“

 

„Zuerst schon, aber Pharao Aknamkanon teilte unsere Einschätzung. Sie hat sich dem gebeugt.“

 

Yugi schmiegte sich eng an seine Mutter. Sie hatte für ihn soviel aufgegeben, ebenso sein Vater. Kein Wunder, daß sie Waset gemieden hatten. „Am Ende hast du mich doch zurückkehren lassen“, murmelte er, mehr Feststellung als Frage.

 

„Atem ist kein Kind mehr, die meisten haben vergessen und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, eines Nachts dein Bett leer vorzufinden.“

 

„Und nun?“

 

„Frage ich mich auch.“

 

Sie beiden verfielen in Schweigen, während sie beobachteten, wie Nut sich mit prächtigen Juwelen schmückte.

 

In Yugis Kopf aber gab ein Gedanke keine Ruhe: Was würde Atem dazu sagen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  -Pharao-Atemu-
2017-11-08T20:38:56+00:00 08.11.2017 21:38
Ja, was sagt Atemu dazu???
hmm?
Von:  Nala
2017-11-05T10:04:35+00:00 05.11.2017 11:04
Hallo ^^
Das ist ein wirklich wunderschönes Kapitel. Die Geschichte wird hier sehr schön erklärt und ich habe auch ein bisschen geweint. Alle Entscheidungen sind durchweg nachvollziehbar und eine natürliche Kette der Ereignisse geworden. Es ist wirklich ein spannendes und interessantes Kapitel geworden und ich hoffe, bald mehr lesen zu können, bin schon sehr gespannt x3 weiter so!
Von:  Usaria
2017-11-04T16:39:26+00:00 04.11.2017 17:39
Hey Moony,

Hu, dass ist ja mal ein Geständnis, Bar ist doch die Lebensenergie oder? Werds mal ausgugeln. Ich weiß nicht was ich sonst noch sagen soll, dies muss ich erst einmal Sacken lassen.


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