Zum Inhalt der Seite

Schatten über Kemet

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

20. Kapitel

Yugi hatte seine Nase im Pantherfell vergraben. Er glaubte, er könnte noch etwas von Atems Duft wahrnehmen, von den Ölen, die Atem bevorzugte. Yugi schloß halb die Lider. Sein Körper war müde, aber sein Geist hellwach. Der Tag war mit Dösen, Schlafen und Ryous Behandlungen vergangen. Nun hatte Nut sich in ihr dunkles Nachtgewand gekleidet und der Mond malte Boden und Decke silbrig an.

 

Yugi schmiegte seine Wange gegen das weiche Fell. Er wünschte, er würde auch gut riechen, aber die Heilsalbe verbreitete einen strengen Duft. Dafür aber hielt sie seine schmerzende Haut kühl und Ryou hatte ihm bei seinem letzten Besuch heute versichert, Yugi sei bald wieder genesen und dürfte das Bett verlassen. Aber eben jetzt noch nicht…

 

Jono hatte von der Verstärkung berichtet, die den Palast heute erreicht hatte, allen voran von General Mai. Yugi hätte ja wirklich gerne einen Blick auf den weiblichen General geworfen, aber natürlich hatte er sie nicht zu Gesicht bekommen. Atems Schwester… Yugi wußte natürlich, daß die Große Herrin Tausret eine Schwester Atems war, aber er war sich nicht sicher, wie viele Atem hatte.

 

Yugi kraulte das Fell. Aber es war ja immer schwierig, die oft ausufernden Stammbäume der Pharaonen im Kopf zu behalten. Jeder Pharao hatte unzählige Frauen und Konkubinen und hatte diese auch regelmäßig des Nachts aufzusuchen, um viele kleine Prinzessinnen und Prinzen zu zeugen.

 

Ein Knacken durchbrach die nächtliche Stille. Yugi saß im Bett, verkniff sich ein Stöhnen und versuchte, seinen schmerzenden Rücken zu ignorieren. Das war von draußen gekommen… Vorsichtig kroch Yugi über das Bett und hob den Kopf, um aus dem Fenster zu spähen. Er schluckte, um im Notfall die Wache vor der Tür zu alarmieren.

 

Yugi blickte in das dunkle Geäst des Baumes, der direkt unter seinem Fenster wuchs. Vielleicht war es nur ein Tier gewesen? Erneut knackte es, Yugi wollte schon schreien, da schoben die Zweige des Baumes sich auseinander und im Mondlicht erschien ein wohlbekanntes Gesicht, nur wenige Zentimeter vor Yugis eigenem.

 

Ungläubig starrte Yugi Atem an, der schief lächelte. „Was machst du in meinem Baum?“

 

„Ich wollte sehen, wie es dir geht“, antwortete Atem leise. „Kann ich reinkommen?“

 

Yugi nickte und rutschte vom Fenster fort. Atem faßte den Fenstersims und stieg hinein. Das Bett sank unter dem zusätzlichen Gewicht noch mehr ein.

„Sitzt du öfter in Bäumen? Jemand könnte dich mit Speer oder Pfeil zur Strecke bringen.“

 

Atem lachte leise und setzte sich neben Yugi. „Daraus sollte ich wahrlich keine Gewohnheit machen. Aber du bist bereits verletzt und zu viele würden es mitbekommen, wenn ich dich auf normalem Wege aufsuchen würde.“

 

„Du glaubst, ich könnte ein Ziel sein?“ Yugi verzog das Gesicht. Seine hastigen Bewegungen eben hatten seinem Rücken nicht gut getan.

 

Atem berührte sanft die nackte Haut. „Verzeih. Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich verspreche, ich mache keine Gewohnheit daraus, bei dir einzusteigen.“

 

Yugi entspannte sich unter der warmen Berührung. „Das weiß ich doch. Also… glaubst du, man will mich angreifen, um dir zu schaden?“

 

„Es ist leider möglich. Ich lasse dich nicht Tag und Nacht bewachen, nur weil es mir Spaß macht.“

 

Yugi lächelte und lehnte sich vorsichtig an Atem. „Noch keine Spur?“

 

„Nichts. Und der einzige Mann, der es sicher weiß, ist noch immer bewußtlos.“ Atem lehnte seine Wange an Yugis Kopf.

 

Yugi streichelte tröstend über Atems Arm. „Er ist stark. Er wird noch nicht Anubis folgen.“

 

„Ich hoffe doch. Ich hoffe, Mahaad hat noch nicht das Datum erreicht, das Thot für ihn im selben Moment aufschrieb, da er geboren wurde.“

 

Für einen Moment war es still. Dann: „Danke, daß du gekommen bist, Atem. Du mußt sehr beschäftigt sein.“

 

„Ich jage Schatten im Wachen und in meinen Träumen jagen sie mich.“ Atem schüttelte den Kopf, als wolle er seine düsteren Gedanken vertreiben. „Ich mußte dich sehen. Offenbar erholst du dich gut. Das freut mich wirklich.“

 

Yugi zupfte an einer der Ketten, die Atem trug. „Es tut nicht mehr ganz so weh und Ryou war heute schon sehr zuversichtlich. Sachmet muß mir wohl gewogen sein.“

 

Atem lächelte und er strich über Yugis Wange. Yugi schloß die Augen, genoß das Kribbeln auf seiner Haut. „Ohne jeden Zweifel, liebster Yugi.“

 

Yugi lächelte. „Ich kann auch nicht schlafen. Ich habe den ganzen Tag nur hier gelegen und das Spannendste verpaßt.“

 

„Das Spannendste?“ Atems Stimme war weich vor Müdigkeit und Amüsement.

 

„Jono ist auf General Mai getroffen. Er hat die ganze Zeit von nichts anderem mehr geredet.“ Yugi spürte grinsend, wie Atem es vor unterdrückten Gelächter schüttelte. „Sie muß sehr beeindruckend sein.“

 

„Das ist untertrieben“, antwortete Atem, dann lachte er nochmal leise. „Keiner vergißt sie.“

 

„Ich habe noch nie von einer Frau als General hier in Kemet gehört.“

 

„Mais Aufgabengebiet ist verschwiegener Natur. Außerdem ist sie meine Schwester. Klatsch über sie verläßt gewöhnlich nicht diese Mauern.“

 

„Das wundert mich.“

 

„Mich noch mehr.“ Sorgfältig legte Atem die Decke besser über Yugis Beine. Dann lächelte er. „Es ist genau da, wo ich gehofft hatte, daß du es aufbewahrst.“

 

„Hm?“ Yugi blickte neben sich, dann lächelte auch er. „Es ist ein Geschenk von dir“, antwortete er und strich durch das bläulich schimmernde Fell. „Es hält mich nachts schön warm und erinnert mich an deine Nähe.“

 

„Ich bin ein Egoist, oder? Daß ich versuche, dich für mich zu gewinnen, trotz aller Gefahren und Widrigkeiten.“

 

„Eher ein romantischer Mensch.“

 

„Oder ein verliebter Dummkopf.“

 

„Ach, Atem… Können wir das nicht verschieben, bis uns niemand mehr nach dem Leben trachtet?“

 

„Dann bin ich alt und tattrig… so ich überlebe“, konterte Atem trocken, doch sein Blick war herzlich.

 

Yugi verließ sich auf die alte Taktik des Zungeherausstreckens. Atem lachte.

„Dann formuliere ich um: Bis wir diese Krise aufgeklärt und abgewendet haben.“

 

„Das klingt schon besser!“

 

Yugi lächelte als Antwort nur. Vorsichtig legte er sich wieder hin, dann bedeutete er Atem, dasselbe zu tun.

 

Atem sank neben Yugi seitlich auf das Bett, den Kopf auf einer Hand abgestützt. „Ich wünschte, ich könnte dich jede Nacht an meiner Seite haben. Ich wünsche, ich könnte dich jetzt küssen.“

 

„Das wünschte ich auch.“ Yugi verzog das Gesicht. „Aber meine Lippen fühlen sich noch immer komisch an. Als würde sich die Haut vom Fleisch lösen…“

 

Atem nickte mitfühlend. „Denk nicht dran“, empfahl er.

 

Als ob Yugi sich gerne damit beschäftigte… Aber Atem konnte nichts dafür. Für einige Momente sprachen nur ihre Blicke miteinander und Yugi wünschte sich nichts mehr, als daß sie wirklich zusammen sein konnten ohne Brandblasen, Schmerzen oder Alpträume. Daß Atem die Nacht bleiben konnte. Daß sie Zeit für sich haben konnten.

 

Atem seufzte leise und streichelte durch Yugis Haar. „Ich würde so gerne bleiben“, sprach er Yugis Gedanken aus. „Aber du bist nicht gesund und ich muß gleich in aller Frühe zu meinem Reinigungsritual. In der jetzigen Situation wäre es nicht gut, käme ich zu spät.“

 

„Das würde sofort als schlechtes Zeichen gewertet werden, schon klar.“ Yugi rutschte etwas näher an Atem. „Gehst du schon wieder?“

 

Atem hatte die Traurigkeit in Yugis Stimme wohl wahrgenommen, denn er antwortete: „Erst wenn du eingeschlafen bist.“

 

„Warum ist alles nur so schwierig?“ murmelte Yugi. „Wie sollen wir herausfinden, was wir fühlen, wenn wir kaum beieinander sein können? Ich möchte nicht… nichts… ohne Gefühl…“

 

Atem streichelte Yugi weiter. „Das ist sehr weise, Yugi“, murmelte er.

 

Yugi dachte an die Frauen, die Atem immer und immer wieder aufsuchen mußte. „Fühlst du keine Freude bei deinen Gemahlinnen?“ murmelte er.

 

„Doch, ja. Aber ich weiß, daß etwas fehlt. Das Gefühl der Befriedigung, der wahren Befriedigung. Nicht körperlich, sondern seelisch. Verstehst du das? Vielleicht wäre es einfacher für mich, würde ich nicht wissen, daß es fehlt.“

 

„Das hört sich furchtbar an!“

 

Atem lachte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Es klingt sicher schlimmer als es in Wahrheit ist. Ich mag Sex, ich hab ihn gern. Ich habe nur so viel um die Ohren, daß ich ihn gerade nicht so genießen kann und deshalb stört mich einiges mehr als normal.“

 

„Du hörst dich jedenfalls nicht glücklich an. Für mich wäre das nichts.“ Mit müdem Blinzeln ergriff Yugi sachte Atems Hand und hauchte einen Kuß darauf. Hitze schoß in seine Wangen und seine Lippen fühlten sich erneut ekelhaft seltsam an.

 

„Du siehst nicht glücklich aus.“

 

„Meine Lippen werden heilen.“

 

„Meine Probleme werde ich hoffentlich bald lösen“, konterte Atem. Er machte es sich bequemer und rutschte dann erneut an Yugi heran. Sein Blick ging dann aus dem Fenster.

 

Auch Yugi verfolgte den Zug der Wolken, die immer wieder Thot verschleierten und dann wieder preisgaben wie Tänzerinnen, die einen Mann umschwärmten.

 

„Yugi?“

 

„Hm?“

 

„Noch etwas möchte ich dir sagen. Du hättest es als Bestienzähmer sowieso erfahren, aber ich wollte es dir selber erzählen.“ Atem runzelte die Stirn, seine Hände ballten sich zu Fäusten.

 

Yugi hob den Kopf. „Worum geht es?“

 

„Ich habe Alpträume.“ Atems Kiefer mahlten.

 

Yugi legte den Kopf schief. „Hätte die nicht jeder nach dieser schrecklichen Tragödie?“

 

„Nicht diese Art von Alpträumen. Meine sind prophetischer Natur, mir von den Göttern eingegeben.“

 

Yugi starrte Atem an, blinzelte. Es dauerte einen Moment, bis die volle Tragweite von Atems Geständnis für ihn völlig zu verstehen war. „Du siehst also die Zukunft… Eine schlimme Zukunft“, stellte er fest. Er zitterte, allerdings nicht wegen der Kälte. Hieß das, ihnen stand ein Krieg bevor? Atems Nicken verursachte bei Yugi Gänsehaut. Krieg hieß Schmerz und Tod, Leiden und Trauer. Keiner wurde davon verschont, reich genauso wenig wie arm.

 

„Es ist etwas Schwarzes, dessen Form ich nie genau sehen kann. Es hat Krallen und Zähne, zerfließt, wabert, heult, breitet sich aus… Wahrscheinlich kann nur die Macht weniger dieses Wesen aufhalten und Bestienzähmer gehören dazu. Wir können uns also nicht mehr viel Zeit lassen. Mokuba und du, ihr müßt sofort damit beginnen, Monster aus Steintafeln beschwören zu lernen. Je mehr ihr rufen und befehligen könnt, desto größer sind eure Möglichkeiten, wenn es zum Kampf kommt.“

 

„Was, wie, Mokuba?“

 

„Er hat es gestern Abend erlernt, wenn auch auf die radikale Art. Das hatte ich nicht geplant.“

 

Yugi nickte, dann kehrten seine Gedanken zu der wichtigeren Eröffnung zurück. „Dieses unbekannte Schwarze ohne Namen, meinst du, es ist für die Explosion verantwortlich?“

 

„Möglich wäre es. Aber es wirkte auf mich nie zielstrebig oder kontrolliert. Nicht so, als könnte es planen, aber… Meine Träume offenbaren mir nicht alles, sie wechseln auch immer wieder. Ich sehe dich in Gefahr, Yugi, auch Mana und meine Kinder… Mein gesamtes Volk!“ Atem rieb sich über das Gesicht. „In tödlicher Gefahr“, murmelte er verzweifelt. „Und ich weiß nicht genug, um es aufzuhalten.“

 

„Wenn es inzwischen schon im Palast ist… Warum hat es uns dann nicht getötet? Warum sollte es warten?“ Yugi setzte sich auf und ergriff beide Hände Atems mit den seinen. „Da stimmt doch etwas nicht!“

 

„Vielleicht war es nur ein Versuch. Vielleicht wollte es unsere Verteidigung auf die Probe stellen.“ Atem rieb mit den Daumen sanft über Yugis Handrücken.

 

„Oder es ist nicht das Schwarze, das dich testet.“

 

„Sondern?“

 

„Was, wenn es etwas ähnliches wie eine Ka-Bestie ist? Was, wenn es selbst gar nichts plant, sondern den Befehlen eines Menschen folgt? Du sagtest doch, deine Träume würden sich immer wieder ändern, oder? Vielleicht ändern sie sich, wenn der Beschwörer der Schwärze neue Pläne faßt und alte verwirft.“

 

„Die Zukunft ist immer in Bewegung, je nachdem, was geschieht“, murmelte Atem. „Wenn es einen menschlichen Beschwörer gibt, wenn dieses Schwarze ihm folgt, dann müßten wir ihn aufspüren können.“

 

„Wirklich?“ Yugi glaubte, man müßte das Poltern noch am anderen Ende von Waset hören, so schwer war der Stein, der ihm vom Herzen fiel. Er lächelte und drückte Atems Hände. „Das ist wundervoll!“

 

„Jubel nicht zu früh, noch wissen wir nicht, ob deine Theorie auch der Wahrheit entspricht.“ Dennoch lächelte Atem, breit, ehrlich aufgeregt. Er zog Yugi an sich und küßte schmatzend dessen Stirn. Yugi lachte.

„Aber ich wünsche mir sehr, daß es so ist. Dann können wir die Bedrohung aufspüren und unschädlich machen.“

 

„Ich bete zu den Göttern, daß sie uns beistehen“, versprach Yugi.

 

„Ich werde dasselbe tun.“ Atem lehnte seine Stirn gegen Yugis und blickte tief in Yugis Augen. „Du strahlst wie tausend Sterne, mein liebster Yugi. In diesen Augen trägst du sie, trägst Thots Geheimnisse und Hathors Macht.“

 

„A-atem…“ Yugi wurde angenehm warm. „Du machst dir so viele Sorgen um andere. Die Götter müssen dich einfach unterstützen. Ich weiß, du hast die Kraft, um alles zum Guten zu wenden. In dir ist Horus, der dir seine Augen und seine Entschlossenheit gab, dessen Winde immer in deinem Rücken sind.“

 

Atems Blick wurde noch weicher und Yugi wollte nichts mehr, als ewig in diese Augen zu sehen, die ihm süßeste Freuden und tausende Rätsel versprachen. Die Welt war groß und weit, doch in diesem Augenblick sahen sie im jeweils anderen alle Wunder und Mysterien des gesamten Universums.

 

***

 

„Mein Pharao!“

 

Atem fiel fast aus dem Bett, aus süßem Schlummer gerissen. Stöhnend setzte er sich auf, rieb sich über die Augen, blinzelte… und starrte dann seinen Wesir an, der ihn mit Empörung betrachtete.

Atem lächelte schwach. „Was machst du in meinen Gemächern, Siamun?“

 

„Mit Verlaub, Lebender Horus, auch wenn dir alles gehört… Dies hier sind dennoch nicht deine Gemächer.“

 

Verwirrt runzelte Atem die Stirn, dann erst sah er sich um. Das war nicht sein Bett, das da nicht sein Tisch und sein Mitschläfer war nicht einer seiner Jünglinge.

Atem fühlte Hitze in seinem Gesicht. Vorsichtig zog er die verrutschte Decke wieder über Yugis inzwischen nicht nur blau, sondern schwarz gesprenkelten Rücken. „Es ist nichts vorgefallen“, fühlte Atem sich bemüßigt, sich zu verteidigen. Kurz erlaubte er es sich, durch Yugis wirres Haar zu streichen. Erstaunlich, was Yugi alles verschlafen konnte…

 

„Selbst wenn dem so wäre, könnte ich es nicht mehr ungeschehen machen, nicht wahr?“ Siamun klang spitz.

 

Atem widerstand dem Drang, den Kopf hängen zu lassen. Er war nicht mehr Prinz und mußte sich nicht mehr tadeln lassen.

 

„Außerdem ist Yugi erwachsen. Auch wenn ich nicht mit jeder seiner Entscheidungen einverstanden bin, ich kann ihm nichts verbieten.“

 

Atem kletterte vorsichtig, um Yugi nicht zu wecken, aus dem Bett und streckte sich. „Ich sollte zu meiner Reinigung.“

 

„Wenn du Glück hast, vermißt man dich noch nicht, Lebender Horus.“

 

Atem nickte, dann warf er einen letzten Blick auf Yugi, auf dessen vom Schlaf entspanntes Gesicht. „Gleich was du denkst, Siamun, Yugi will ich nicht in Gefahr bringen. Ich will niemanden in Gefahr bringen.“

 

Siamun fuhr sich durch das graue Haar. „Du mußt dich vor mir nicht rechtfertigen.“

 

Atem hob die Schultern und verließ das Zimmer, Siamun folgte ihm. „Ich weiß, du suchst für ihn eine angemessene Braut.“

 

„So sieht das Gesetz der Götter es vor, ja. Aber am Ende kann ich ihm nur Vorschläge machen. Er muß wählen, er muß dann ja auch mit ihr zusammenleben.“ Siamun preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

 

„Du mißbilligst dennoch seine Beziehung zu mir. Woran genau liegt es? Daran, daß ich Pharao bin? Oder ein Mann, was bedeuten würde, deine Blutlinie würde mit Yugi enden, wenn er keine eigenen Kinder zeugt?“ Atem hielt im Vorraum inne, nachdem er die Treppe hinabgestiegen war und wartete auf Siamun.

 

Dieser folgte ihm keuchend. „Spielt das eine Rolle? So oder so würde Yugis Leben einem unabwägbaren Pfad folgen. Du wünschst nicht, Yugi in den Harem zu holen, dennoch wirbst du um ihn. Es gibt keinen Mittelweg, Lebender Horus. Entweder willst du Yugi für dich oder du mußt ihn aufgeben.“

 

Atem ballte die Hände zu Fäusten. „Du fürchtest um Yugis Sicherheit, so wie ich. Das respektiere ich.“

 

„Und ich respektiere, daß du Yugi nicht aus Langeweile aufsuchst, daß du in ihm Gesellschaft findest, die mehr ist als kurze Tändelei. Doch wenn du dich nicht entscheiden kannst, Lebender Horus, dann, mit allem gebührenden Respekt, setzt du wissentlich Yugis Gesundheit und Sicherheit aufs Spiel, ja, sogar sein Leben.“

 

Atem verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich lasse nicht zu, daß ihm etwas geschieht! Weder im Harem noch außerhalb.“

 

„Ich wünschte, ich könnte deinen Optimismus teilen. Aber Yugi…“

 

„Ist erwachsen“, unterbrach Atem ungeduldig seinen Wesir. „Wie du bereits selbst sagtest. Mich beunruhigt viel mehr dein mangelndes Vertrauen in Yugis Fähigkeiten. Er ist kein Mensch, der untätig in der Ecke sitzt, er kümmert sich um andere. Kein Käfig, weder von dir oder mir gemacht, würde ihn aufhalten und beschützen können.“

 

Siamun atmete tief durch, doch seine zusammgengezogenen Brauen sprachen von seiner Anspannung. „Er ist kein Krieger. Ich fürchte, er überschätzt sich und du bist diesem Trugschluß ebenfalls verfallen, befreit er dich doch aus deiner Verantwortung. Deine Position…“

 

„Weil es natürlich niemand jemals auf die Familie des Wesirs abgesehen haben könnte!“ Atem mußte sich zügeln, um nicht zu laut zu werden und das ganze Haus zusammenzuschreien.

 

Der Wesir versteifte sich sichtlich. „Diese Möglichkeit ist mir bewußt.“

 

„Siamun, du bist ein großartiger Berater in Fragen der Politik, Diplomatie und der Heerführung. Aber ein furchtbarer, wenn es um die Herzen von Menschen geht. Yugi ist etwas Besonderes. Du kannst es leugnen und mich beschuldigen, Yugi vom rechten Pfade geführt zu haben, aber das wird nichts ändern. Wenn es Hathors Wille ist, kann sich dem niemand widersetzen, nicht einmal du!“

 

„Nicht ich verweigere mich der Realität! Yugi ist nun mal nicht dafür geschaffen, dein nächtliches Geheimnis zu sein, verborgen vor aller Augen. Wenn er so besonders ist, wie du sagst, dann gib ihn frei! Kette ihn nicht an dich.“

 

„Du sagtest vorhin noch, es sei mehr als Tändelei und nun wirfst du mir vor, ich wolle Yugi nur zur Befriedigung meiner niederen Triebe? Daß ich nicht vor aller Welt zu ihm stehen würde?“ Atems Augen brannten vor Zorn. Er richtete einen bebenden Zeigefinger auf Siamun. „Du willst nur eines von mir hören, nicht wahr? Daß ich Yugi aufgebe und du ihn mit Rebekka verheiraten kannst.“

 

„Rebekka steht längst nicht mehr zur Debatte“, antwortete Siamun mit verengten Augen. Sein Tonfall hatte früher Atems Gehorsam garantiert. Doch nun legte Atem keinen Wert mehr darauf, sich dem Diktat anderer zu unterwerfen.

 

„Dann willst du Yugi eben mit einer anderen verheiraten. Hauptsache, es läßt sich politisch aus der Verbindung Kapital schlagen. Oder zumindest kann sie einen Stall Kinder gebären, damit du dich besser fühlst. Macht dir deine eigene Sterblichkeit so zu schaffen, daß du Yugi nur noch als Zuchthengst siehst? Schließlich sehe ich nicht, daß du ihm oder seinen Wünschen in dieser Diskussion Beachtung schenkst!“

 

„Welche Wünsche? Dir nahe zu sein, Großer Horus? Wäre ich wirklich politisch so versessen, dann würde ich Yugi wohl dazu raten, in den Harem zu gehen. Es geht hier nicht um meine Wünsche, es geht um Yugis Sicherheit!“ Siamun war hochrot.

 

Ebenso hochrot schoß Atem zurück: „Yugi würde gerne wissen, was zwischen uns ist. Ob Hathor uns berührt hat oder ob wir nur Freundschaft und eine gewisse körperliche Anziehung verspüren. Er ist weise genug, sich auf nichts einzulassen, was ihn verletzen könnte.“

 

„Wäre er weise, würde er nicht seine Zeit mit dir verschwenden, sondern ein anständiges Mädchen suchen!“

 

„Ha, ich wußte es! Es geht dir doch nur um den Fortbestand deiner Familie.“ Atem grinste trumphierend.

 

„Das stimmt nicht, aber da du dieses Thema schon ansprichst: Was ist mit dem Fortbestand der deinen?“

 

Atem spürte ein Reißen in der Brust, als würde eine Klauenhand sein Herz aus seiner Brust zu entfernen suchen. „Einen Schlag, der tiefer unter die Gürtellinie geht, hast du wohl nicht gefunden, was?“ erkundigte er sich zischend. Dann fiel sein Blick auf die Treppe und seine Streitlust erstarb. Stumm bewegte er seine tauben Lippen.

 

„Du bist verantwortungslos und Yugi ist ein Narr. Ihr seid nichts weiter als Kinder, die ein bißchen Freundschaft mit Liebe verwechseln. Nun, was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen, daß ich Yugi besser einschätzen kann als du?“ Siamun lächelte, doch nicht sehr lange.

 

„Atem hat aber recht“, kam eine zittrige Stimme.

 

Siamun wirbelte zur Treppe herum und entdeckte nun auch Yugi.

 

„Ich will herausfinden, was uns verbindet. Weil ich so für niemanden je empfunden habe.“ Yugi wischte sich über das nasse Gesicht. Seine Miene war so verzweifelt, daß es Atem das Herz zerbrach. „Halte mich nur für einen Narren, Großvater, aber ich folge meinem Herzen, wie mein Vater es mit beigebracht hat.“

Damit drehte Yugi sich um und stieg mühevoll die Treppe wieder hinauf.

 

Atem ließ den Kopf hängen. Aus den Augenwinkeln sah er, daß er damit in guter Gesellschaft war.

 

„Wesir!“

 

Zwei Köpfe hoben sich, als Honda keuchend in das Haus stürmte. Quietschend kam er auf dem polierten Marmorboden zum stehen und stemmte seine Hände gegen die Knie, während er sich nach Luft schnappend vorbeugte.

 

„Oh, Pharao…“

 

„Was gibt es, Honda?“ erkundigte Siamun sich, wieder ganz Wesir.

 

Honda lächelte zuerst Siamun an, dann Atem. „Es ist Meister Mahaad… Er ist aufgewacht!“

 

Atem entrang sich ein Seufzer der Erleichterung, seine Schultern hoben sich und er mußte einfach lächeln. „Ich werde ihn sofort aufsuchen. Honda, bitte löse den Wachposten bei Yugi ab.“

 

„Sehr wohl, großer Pharao“, antwortete Honda grinsend, richtete sich auf und ging die Treppe hinauf.

 

Atem derweil verließ grußlos das Haus seines Wesirs. Mit dieser Sache würde er sich später befassen, jetzt drängten andere Angelegenheiten.

Drängen tat auch Atem und zwar durch seine Priester, die ihn wohl schon gesucht hatten. Aber keiner wagte es, ihn von Mahaads Türe abzuhalten. Statt dessen folgten sie ihm alle wie Küken der Glucke zu Mahaads Gemächern. Ein Blick Atems und sie blieben davor stehen. Atem stürmte hinein und sein wild schlagendes Herz fand erst in den Takt zurück, nachdem er Mahaad entdeckt hatte.

 

Von Kissen gestützt ruhte Mahaad im Bett und ließ sich mit dunklem Blick von einer Dienerin mit Suppe füttern. Die Hälfte seines Gesichts war noch immer mit Brandblasen übersät und die Haut hatte begonnen, sich zu schälen, aber Mahaad sah dennoch besser aus. Die Zauberer und Heiler hatten seine Haut retten können, ansonsten wäre Mahaad ein Leben lang entstellt geblieben. Vorausgesetzt, Mahaad hätte überlebt.

 

Atem trat lächelnd zum Bett. „Mein alter Freund, du hast mein Herz mit großer Freude gefüllt.“

 

„Ich mußte ja, nachdem ich es zuerst mit großer Sorge gefüllt habe.“

Die Männer lächelten sich an, dann nahm Atem auf der Bettkante platz. Mahaad nickte der Dienerin inzwischen zu und sie zog sich zurück.

„Es ist mir zuwider, hier zu liegen und gefüttert zu werden wie ein Kind.“

 

Atem nickte und bedachte Mahaads dick verbundene Hände mit besorgtem Blick. „Du wirst wieder heilen, da bin ich mir sicher.“

 

Mahaad nickte kurz. „So Sachmet mir weiter gewogen bleibt… Ich bin erleichtert, dich wohlauf zu sehen, mein lieber Freund.“

 

Atem senkte kurz den Kopf. „Ich wünschte, ich hätte den Palast nicht verlassen.“

 

„Dann müßten wir vielleicht deine Beerdigung vorbereiten.“ Mahaad schüttelte leicht den Kopf. „Du bist zu wichtig, um zu sterben.“

 

„Wichtig, solange ich keinen Sohn habe.“ Atem atmete tief durch. „Was ist geschehen?“

 

Mahaad ließ das ungeliebte Thema der Thronfolge ruhen und erwiderte: „Ein Zauber, der uns täuschte. Was wir für einen Fluch der einfachsten Stufe hielten, war ein getarnter Fluch der Kategorie 2. Jedenfalls hatte es seine Macht und Stärke.“

 

Atem verkrampfte seine Hände umeinander. „Du hast den Fluch gegen dich gerichtet?“

 

„Wenn nicht, wären zahllose Unschuldige gestorben. Mana, Yugi, die anderen Zauberlehrlinge, die Soldaten… Ich hatte keine Wahl, Atem.“ Mahaad schloß die Augen und stöhnte leise.

 

„Wie können wir das nächste Mal herausfinden, ob ein eher harmloser Fluch in Wahrheit ein Anschlag ist?“

 

„Schwerlich“, war Mahaads müde Antwort.

 

„Aber es muß doch auch dafür einen Zauber geben?“ drängte Atem. Er haßte es, Mahaad so zusetzen zu müssen, aber jede Minute, jede Information konnte über Leben und Tod vieler Menschen entscheiden.

 

„Ich weiß nur… von einem solchen Zauber…“ Mahaad öffnete die Augen, doch sein Blick verlor langsam an Schärfe.

 

„Wo ist der zu finden?“

 

„Verschollen… zusammen mit dem Zauber… der zur Tarnung genutzt wird. Selber Erfinder.“ Mahaad preßte die Lider zusammen und stöhnte.

 

Atems Herz setzte einen Schlag aus. „Du meinst, der Enttarnungszauber ist in Händen des Attentäters?“

 

„Attentäter tot… Ich war noch ein Kind…“ Mahaad kämpfte sichtlich gegen die Bewußtlosigkeit.

 

Atem runzelte die Stirn. Der Attentäter war tot? Nein, warte! Es hatte schon mal einen Attentäter gegeben! Einen, der nun laut Mahaad tot war. Aber das hieß… „Wer könnte diese Zauber sonst kennen?“

 

Mahaad schüttelte den Kopf.

 

„Bitte denk nach! Mahaad!“

 

„Osiris-Pharao versprochen… Geheimnis bleibt gewahrt. M-mana…“ Ein letztes Stöhnen und Mahaads Kopf fiel zur Seite. Nur das Heben und Senken seines Brustkorbs verhinderte, daß Atem völlig den Kopf verlor.

 

Doch das Gestammel seines besten Freundes machte keinen Sinn! Atem hätte doch von einem Zauberer-Attentäter während seiner Ausbildung gehört. Atem wußte, sein Vater hätte ihm dergleichen niemals verschwiegen.

Nach einem letzten Blick auf Mahaads nun entspanntes Gesicht verließ Atem die Gemächer seines besten Freundes, auf dem Gang erwarteten ihn die Priester.

Atem hielt inne und musterte jeden von ihnen eingehend. So es doch ein Geheimnis gab, könnte einer von ihnen darüber Bescheid wissen? Wen mochte sein Vater noch ins Vertrauen gezogen haben? Siamun vielleicht?

 

„Das Bad erwartet dich, mein König und Neffe.“ Aknadin lächelte kurz und machte eine einladende Geste den Gang hinunter.

 

„Dann wollen wir die Diener nicht warten lassen“, erwiderte Atem. Sobald das Ritual vollzogen war, stand Atem ein langer Tag in den königlichen Archiven bevor.

 

***

 

Yugi stocherte lustlos mit dem Holzlöffel in seinem Brei herum. Ra hatte erst seine Reise begonnen und Yugi war bereits jetzt dieses Tages überdrüssig.

Honda hatte versucht, ihn aufzumuntern, doch offenbar hatte Yugis Mangel an Antworten ihn verstummen lassen.

Yugi schob sich einen Löffel Brei in den Mund. Es schmeckte gut, aber ihm fehlte einfach der Appetit.

 

Honda spielte mit einem Kreisel aus Bein und blickte auf, als Yugi zum wiederholten Male seufzte. „Ich weiß, du bist genervt vom Liegen, aber bald ist es überstanden.“

 

Yugi zuckte mit den Achseln. Ja, die Bettruhe war langweilig, aber sein Verdruß lag in dem Streit begründet, den sein Großvater und Atem alles andere als leise geführt hatten. War Yugi, wie sein Großvater gesagt hatte, wahrhaftig ein Narr, nur weil er Atem nicht sofort aus seinem Herzen und seinem Leben ausschloß? Gefahren lauerten überall, das war Yugi bewußt. Doch dieses Risiko trug er, nicht Atem.

Als die Tür ging fand Yugi sich dem Grund seiner trüben Gedanken gegenüber.

 

„Honda, warte kurz draußen“, bat Yugis Großvater. Der nickte und verließ das Zimmer.

 

Yugi richtete seinen Blick wieder auf sein halbgegessenes Frühstück.

 

„Ich will mit dir reden“, erklärte der Großvater und ließ sich auf dem Schemel nieder, auf dem eben Honda noch gesessen hatte.

 

Yugi sagte nichts. Er wollte nämlich nicht reden.Jedenfalls nicht mit seinem Großvater.

 

Der seufzte. „Es tut mir leid, Yugi. Ich habe in meinem Zorn Dinge gesagt, die nicht wahr sind. Du bist kein Narr.“

 

„Ach ja?“ fühlte Yugi sich schließlich doch zu einem Kommentar bemüßigt. „Vorhin klangst du vollkommen sicher.“

 

„Ich mache mir Sorgen um dich. Du hast dich auf ein närrisches Spiel eingelassen, aber das allein macht aus dir keinen Narren.“

 

„Also vertraust du mir nicht? Hältst du mich noch immer für ein Kind, das du beschützen mußt?“ Yugi hob den Kopf und seufzte. „Ich kann sehr wohl Risiken selbst abwägen und dieses will ich eingehen. Als Bestienzähmer werde ich noch anderen Gefahren ausgesetzt sein. Soll ich da die Kämpfe den anderen überlassen? Ich bin nun Teil dieses Palastes.“

 

„Ich hoffe, ich kann dich eines Tages von dieser Pflicht befreien.“

 

„Hast du das Vater auch angeboten?“ erkundigte Yugi sich ungläubig.

 

„Nein. Es war immer sein Wunsch, seine Heimat zu beschützen.“ Siamuns Blick war wehmütig. „Aber dein Wunsch ist ein anderer.“

 

„Ja. Nur du warst nur zu bereit, diesen Wunsch zu übergehen, wenn du mich dafür mit jemandem wie Rebekka verheiraten konntest. Kannst du sie dir inmitten von Ton und Gefäßen vorstellen? Lehm bis über die Ellbogen hinauf?“

 

Siamun nickte mehrfach. „Ich gebe zu, mein Urteilsvermögen war etwas getrübt. Nicht wegen Rebekkas Stand, sondern wegen meiner Freundschaft zu ihrem Großvater. Du hattest recht, sie abzulehnen. Es tut mir leid, daß ich dich in solch eine unangenehme Lage gebracht habe.“

 

Für einen Moment blickten sich Großvater und Enkel an, dann meinte Letzterer: „Du hast dich also närrisch benommen?“

 

„Das kannst du so nennen, ja.“

 

„Und ist es wirklich närrisch, daß ich mich zu Atem hingezogen fühle? Daß ich ihn nicht einfach aus meinen Gedanken, meinem Herzen verbannen kann?“

 

„Vielleicht.“ Yugis Großvater lächelte. „Ich habe dich verletzt, dabei wollte ich dich nur beschützen.“

 

„Ich fürchte, das kannst nicht einmal du! Ich hab dich sehr lieb, Großvater, aber du weißt nicht, was auf uns zukommt. Das weiß niemand…“

 

„Die Zukunft ist in beständiger Veränderung. Nicht mal unsere Priesterin Isis kann genaue Vorhersagen treffen.“

 

„Sie kann in die Zukunft sehen? Hat sie auch prophetische Träume?“

 

Yugis Großvater hob eine Augenbraue. „Der Pharao hat dich ins Vertrauen gezogen?“

 

Yugi lief knallrot an. „Oh, das wollte ich gar nicht aussprechen…“

 

„Bei mir ist das nicht schlimm, aber bei anderen…“

 

„Muß ich mich hüten. Einiges muß ich wohl doch noch lernen.“

 

„Ich werde dir helfen“, versprach der Großvater. „Und Isis kann aufgrund ihrer Millenniumskette in die Zukunft sehen.“

 

„Millenniumskette? Oh, du meinst diese merkwürdigen Artefakte, die der Pharao und seine Priester tragen, nicht wahr?“ Yugi schob seine Breischüssel von sich. Das Essen war inzwischen sowieso kalt.

 

„Mhm, ganz genau. Jedes Artefakt verleiht seinem Träger besondere Eigenschaften. Die Kette ermöglicht es, in die Zukunft zu sehen.“

 

„Sieht Isis einen Krieg voraus?“

 

Yugis Großvater schüttelte den Kopf. „Nein. Aber leider sagt das gar nichts. Die Zukunft bewegt sich ohne Unterlaß, mit jeder Handlung der Gegenwart.“

 

„Aber Atem sieht etwas!“

 

„Ja, aber er ist auch der Pharao, der Sohn der Götter. Seine himmlischen Eltern können zu ihm sprechen wie mit keinem anderen.“ Siamun strich sich über seinen gepflegten Bart. „Vor einer Weile glaubte, hoffte ich noch, daß es doch nicht mehr als Hirngespinste seien, Zeichen von zuviel Arbeit und zu wenig Ruhe. Doch nun naht das Böse, wenn es sich nicht schon innerhalb der Palastmauern befindet. Yugi, ich bitte dich, äußerst vorsichtig zu sein. Zögere niemals, dich an mich zu wenden, wenn dich etwas besorgt oder dir etwas auffällt.“

 

„Das werde ich, Großvater. Danke.“ Yugi lächelte.

 

„Wenn du so besonders bist, wie unser Pharao es sagt, dann mußt du gut auf dich acht geben.“

 

Yugi dachte an das Gespräch gestern Abend. Vielleicht hatte er tatsächlich eine Spur gefunden. Auf alle Fälle half es Atem, mit ihm zu sprechen. Das allein war Grund genug, besondere Vorsicht walten zu lassen. „Du hast mein Wort, daß ich nichts Unüberlegtes tun werde, Großvater. Aber ich hoffe, Atem ist dir in Zukunft wieder willkommen?“

 

„Er ist mir jederzeit willkommen, mein Enkel.“ Siamun streichelte durch Yugis unzähmbares Haar. „Du bist es, der am Ende entscheiden muß. Ich bete, daß sich für uns alles zum Guten wenden wird.“

 

„Ich auch, Großvater. Ich auch.“

 

***

 

Atem stand auf den großen Balkon und beobachtete, wie Ras letzte Farbe am Horizont verlosch und unzählige Lichter an Nuts Leib erstrahlten wie kostbarster Schmuck. Die Hitze des Tages wich langsam und Atem konnte wieder besser durchatmen.

 

„Du hast doch nicht wirklich den ganzen Tag in den königlichen Archiven verbracht, kleiner Bruder? Ein Wunder, daß du nicht ausgetrocknet bist.“

 

Atem drehte sich um und lächelte Mai an, die gerade ihr langes, blondes Haar bürstete. Ihre normalerweise bevorzugte Ledermontur hatte sie gegen ein weißes, eng geschnittenes Kleid getauscht. „Wie du siehst, ich bin noch da und voller Saft.“

 

 

Mai legte die Bürste fort und drückte einen dünnen Reif aus Gold auf ihr Haar. „Du hattest Streit mit Tausret?“

 

„Ist das was Neues?“

 

Mai schüttelte den Kopf. „Ich hatte nur auf ein Nein gehofft.“

 

„Sei vorsichtig. Sie wird dich kaum verschonen“, warnte Atem Mai, die zuckte mit den Achseln.

 

„Ihre Machtspielchen, um ihr Ego aufzupolieren, sind mir herzlich egal.“ Mai überprüfte die Farbe ihrer Lippen und tupfte noch etwas Rot auf. Zufrieden nickend wandte sie sich dann Atem zu. „Was bedrückt dich, mein Bruder?“

 

„Du meinst, außer dem Offensichtlichen?“ Auf Mais Nicken hin fuhr Atem fort: „Vielleicht kannst du mir eine Frage beantworten, die Mahaad aufgeworfen hat. Du bist schließlich älter als er.“

 

Mai machte eine auffordernde Geste. „Versuch es.“

 

„Er erwähnte, es gäbe ein Geheimnis, bei dem unser Vater ihn ins Vertrauen gezogen hat. Es hatte wohl mit einem Zauberer-Attentäter zu tun, der bereits in Mahaads Kindertagen starb. Ich konnte keine Spur in den Archiven finden und Mahaad ist erneut nicht ansprechbar. Jeder Hinweis könnte mir sehr helfen“, schilderte Atem mit gefurchter Stirn und vor der Brust verschränkten Armen sein Problem.

 

„Und jetzt hoffst du, in meinen Erinnerungen eine brauchbare Lösung zu finden?“ Mai blickte nun wieder in ihren Spiegel.

 

„Ja, wenn Mahaad sich noch erinnern kann, dann müßtest du es auch.“ Atem rieb über den rauen Stein einer Sachmetstatue, hoffnungsvoll, daß seine älteste Schwester einen Hinweis kannte.

 

Mai preßte die Lippen aufeinander, dann schloß sie die Augen. „Ein Zauberer-Attentäter“, murmelte sie.

 

„Mahaad sagte, er müßte tot sein. Offenbar besaß er die Zauber, um Flüche zu tarnen und um diese Tarnung wieder aufzuheben.“

 

Mai hob den Kopf, ihr Blick war resigniert. „Wo ist Mana gerade?“

 

„Wahrscheinlich in Mahaads Gemächern. Warum?“

 

„Sie muß die Geschichte auch hören. Es wäre nicht gerecht, es dir zu erzählen, aber ihr nicht.“

 

Atem hob überrascht die Augenbrauen. „Ich habe nichts dagegen, Mana ins Vertrauen zu ziehen. Aber wie kann diese alte Geschichte sie betreffen? Mana ist ja noch jünger als ich!“

 

„Du wirst es bald erfahren. Wir treffen uns nach dem Abendessen in Manas Haus. Mana kann uns dort sicher mit einem Stillezauber vor ungebetenen Lauschern schützen.“ Mai erhob sich. Ihr Gesicht zeigte Resignation. Worum auch immer es ging, sie hatte es nie erzählen wollen, doch die äußeren Umstände zwangen sie.

 

In Atems Unterleib verknoteten sich schmerzhaft die Eingeweide. Er ließ Mana die harmlose Nachricht zukommen, er wolle sie später noch besuchen, dann wurde es auch schon Zeit für das Abendessen mit seinen Schwestern.

 

Atem stopfte sich den Mund mit Trauben voll, weniger weil er Appetit hatte, sondern um nicht gezwungen zu sein, irgendwas zu sagen. Aber wie er schnell feststellte, war das gar nicht nötig. Tausret und Mai bestritten die Unterhaltung und wie immer war streiten genau das Wort, um diese zu beschreiben. Wie immer ging alles ganz harmlos los.

 

„Ich habe gehört, ihr habt mehrere Truppen der Mitanni in den Grenzländern vorgefunden?“ Tausret schob sich ein Stück knusprig gebratener Taube in den Mund.

 

„Nicht nur vorgefunden, kleine Schwester, wir haben sie auch besiegt und nach Mitanni zurückgeschickt. Es wird Zeit, daß deren König sich endlich auf Kemet einläßt. Er kann viel mehr gewinnen, wenn er zu unseren Verbündeten zählt.“ Mai trank etwas Wein, dann lächelte sie. „Es stünde einem Bündnis ja auch nichts im Wege. Der König hat eine unverheiratete Tochter in Atems Alter.“

 

Atem griff nun selbst zum Wein. Auch wenn das sein Vorschlag gewesen war, gerade wollte er nichts über neue Gemahlinnen hören. Schon gar nicht, wenn er wußte, daß es am Ende gar nicht darum ging.

 

Tausret lachte verächtlich. „Wieder so ein ungezogenes, wildes Gör ohne Manieren, das in unmöglicher Kleidung herumläuft? Ich habe nicht die Zeit, noch so einer beizubringen, wie sich eine Königsgemahlin gefälligst zu verhalten hat. Die Prinzessin aus Kusch läuft noch immer in diesen grauenhaften Fetzen herum, die ihr Volk für Kleidung hält.“

 

Atem ließ sich einen zweiten Becher füllen. Der Diener hatte zwar den Blick abgewandt, aber dennoch zuckten seine Mundwinkel. Atem konnte es ihm nicht mal verdenken: Er an seiner Stelle hätte sich wohl auch darüber amüsiert.

 

„Oh, die Götter mögen dich vor dem Anblick von Modesünden bewahren, kleine Schwester. Wie furchtbar, daß nicht jeder so ist, wie es dir am besten gefiele.“ Mai hob einen Taubenschenkel zu den Lippen und biß hinein wie ein Raubtier, Zähne entblößt, Mundwinkel weit zurückgezogen.

 

Tausret sog scharf die Luft ein. „Deine Mutter hat wohl auch keine Minute auf deine Erziehung verschwendet.“

 

„Meine Mutter hatte wenigstens keinen Stock im Arsch. Außerdem darf ich dich daran erinnern, daß deine Mutter genauso wenig Ägypterin war wie meine?“

 

Tausret verengte gefährlich die Augen. „Du erlaubst dir sehr viel. Zu viel, wenn du mich fragst! Nicht mal in Syrien, der Heimat deiner Mutter, gibt es weibliche Krieger. Meine Mutter hat immer viel Wert darauf gelegt, mich als Ägypterin und hohe Dame zu erziehen. Sie war sich ihrer Verantwortung bewußt, obwohl sie Lybierin war.“

 

Atem studierte eingehend die Obstschale. Granatapfel, noch mehr Trauben oder doch lieber ein paar Datteln? Eine wirklich schwere Entscheidung…

 

„Komisch, vor zehn Jahren hast du dich die ganze Zeit darüber beklagt und wolltest lieber durch die Gärten toben. Wie oft du voller Matsch und Erde heimgekommen bist, dein Kindermädchen ist damals beinahe verzweifelt.“

 

Tausret nahm eine wirklich interessante Rotfärbung an. Fast so schön wie der Granatapfel, den Atem gerade auseinander schnitt. Gierig hob er eine Hälfte zu den Lippen und schlürfte praktisch das Fruchtfleisch samt Kernen hinaus.

 

„Ich bin erwachsen geworden!“ fand Tausret eine neue Strategie, um sich in diesem Wortgefecht zu verteidigen. „Du hingegen führst dich auf… Es wird Zeit für dich, dir endlich einen Mann zu nehmen! Du wirst bald dreißig sein, Zeit, daß du unserer Dynastie Kinder schenkst. Söhne und Töchter, die einmal Atems Nachwuchs heiraten können.“

 

„Wenn sich ein passender Mann finden ließe, gerne. Und damit meine ich nicht diese aufgeblasenen Gaufürsten oder ihre Söhne, die mir auf die Brüste starren und dann so dämlich grinsen, als wollten sie Prügel von mir beziehen.“

 

„Wärst du nicht die Schwester des Pharaos, Gaufürst Sethnacht hätte dich nach deinem Ausfall letztes Jahr auspeitschen lassen.“

 

Gaufürst Sethnacht war ein alter Widerling, der nach Atems Meinung die Schläge redlichst verdient hatte. Atem hatte ihm nicht umsonst gesagt, daß er nie wieder hören wolle, daß er eine andere Frau ungefragt berührt hatte, gleich welchen Stand sie hatte.

 

„Das hätte er versuchen sollen! Er hätte sich schneller am anderen Ende der Peitsche wiedergefunden als ihm lieb gewesen wäre. Daß du diesen Mann sogar noch verteidigst!“

 

„Wohl kaum! Aber es gibt andere Wege für eine Dame, sich zu verteidigen, als ihren Angreifer durch den halben Palast zu prügeln.“ Tausret warf die langen Zöpfchen ihrer Perücke zurück.

 

„Wie auch immer, so einen Mann will ich nicht.“

 

„Willst du überhaupt einen? Ich habe erfahren, daß du der Ersten Tänzerin der Hathor schon Nachricht zukommen hast lassen. Ohne Zweifel wird sie bald wieder im Palast erscheinen und nächtelang in deinen Gemächern verschwinden.“

 

„Halt deine Nase aus meinen Privatangelenheiten heraus!“ Mai setzte ihren Weinbecher mit solcher Gewalt auf den Tisch, daß es gefährlich klirrte. „Mit wem ich mich wann und wie lange treffe, ist ganz allein meine Angelegenheit. Sollte ich es wünschen, daß du darüber Bescheid weißt, so würde ich dir schon etwas erzählen.“

 

„Würde ich darauf warten, erführe ich ja nie etwas“, konterte Tausret.

 

Atem widerstand dem Drang, seine Stirn gegen den Tisch zu schlagen. Mehrfach.

 

„Hast du nichts Besseres zu tun, als dich überall einzumischen und deine vorwurfsvolle Meinung in jedermanns Gesicht zu drücken?“

 

„Ich muß auf die Wahrung gewisser Sitten achten. Du hast viel zu lange getan, als seist du dieser Familie nicht verpflichtet. Aber das bist du nun mal, Mai! Auch von dir wird erwartet, daß du dich dem Gesetz der Götter beugst. Auch du mußt dir einen Gemahl erwählen. Von mir aus behalte die Tänzerin als Geliebte, wenn sie dir so sehr zusagt, aber solange du nicht von ihr Kinder erwarten kannst, kommst du nicht um einen Gemahl herum. Ist das denn so schwer zu verstehen?“

 

„Hör auf, deinen persönlichen Lebensentwurf mir aufdrücken zu wollen. Das ist ganz und gar meine Angelegenheit.“

 

„Heirate endlich!“

 

Das Quietschen schmerzte Atem in den Ohren.

 

Mai knurrte, dann wandte sie sich ihm zu und piekste ihm mit einem Finger in die Rippen. „He, du! Heirate mich, damit Tausret endlich ihren Mund hält.“

 

Atem verdrehte die Augen und erlaubte sich ein Lachen. „Sicher. Wenn du das unbedingt willst… Wäre dir morgen recht, Mai? Nachts kannst du gerne deine Geliebte mitbringen. Ich könnte sie auch heiraten, dann müßtet ihr euch nie wieder trennen.“

 

Tausret warf ihr Fingerhandtuch nach Mai und Atem und verfehlte dadurch beide. „Ja, macht euch nur über mich lustig! Undankbares Pack! Nur das Beste will man für euch. Aber gedankt wird es einem mit Hohn und Spott oder Abweisung! Ihr beide seid doch zum davonlaufen!“ Sie sprang auf und stürmte aus dem Zimmer.

 

„Wenigstens läßt sie ihren Worten Taten folgen“, kommentierte Mai trocken.

 

„Weißt du, wenn es dir helfen würde, würde ich gerne die Ehe mit dir eingehen“, nahm Atem ihr Gespräch eine halbe Stunde später wieder auf. Sie beide saßen auf Liegen in Manas Haus. Mana selbst war noch nicht von Mahaads Seite zurückgekehrt, aber das Abendessen war auch kürzer geworden als ursprünglich geplant.

 

„Nein, das kann ich dir nicht antun, Atem. Tausret würde glauben, daß ich versuche, ihren Platz einzunehmen.“ Mai verdrehte die Augen. „Sie würde sowohl dich als auch mich weiterhin traktieren. Damit wäre keinem von uns geholfen.“

 

„Heutzutage ertappe ich mich ständig dabei, wie ich versuche, ihr aus dem Weg zu gehen. Wie ich Gänge wähle, weil ich sie dort höchstwahrscheinlich nicht antreffe. Wie ich mich hinter Arbeit und Unwohlsein verstecke, damit ich keine Zeit mit ihr verbringen muß.“ Atem preßte seine Hände aneinander, bis er den Druck in den Armen spürte.

 

„Was ist nur mit ihr geschehen?“

 

Atem schüttelte den Kopf. „Wir beide wissen doch zu genau, was passiert ist.“

 

Mai senkte den Kopf. „Natürlich, ja. Aber es ist noch immer schwer zu begreifen. Sie muß mich ja verachten. Ich habe, was ihr genommen wurde. Es macht sie rasend, daß ich nicht lebe, was ihr versagt bleibt.“

 

Atem starrte auf seine Hände als würden sie noch immer voller Blut sein. Als könnte er noch immer die Schreie hören und das namenlose Entsetzen fühlen, das die Klauen in ihn schlug und ihn in Stücke riß. Aber das Blut war fort, er hörte nur den Atem Mais und seiner selbst und in seinem Herzen lag die tiefe Trauer, unaussprechlich und schwer wie ein Stein, genauso wie der Name. „Früher hat sie zumindest nie Anstoß an deiner Lebensweise genommen.“ Er hob den Kopf, versuchte ein Lächeln. „Ich würde mich freuen, wenn deine Liebste wieder den Palast besucht.“

 

„Sie hat nicht gerade viele Gründe, herzukommen, wenn ich abwesend bin. Schließlich ist sie im Tempel gut genug beschäftigt.“

 

„Puh!“

 

Sowohl Atem als auch Mai zuckten zusammen, aber der Anblick einer rotgesichtigen Mana ließ den Schreck nicht lang anhalten.

 

„Er ist noch nicht wieder aufgewacht“, berichtete Mana seufzend und ließ sich auf einen Berg Kissen fallen.

 

„Er ist stark, Mana, er wird es schaffen. Wenn er einmal aufwachen konnte, dann wird er bald wieder gesund sein.“ Atem setzte sich zu ihr und nahm seine beste Freundin in die Arme.

 

Sie schniefte leise und krallte sich an Atems Hemd fest. „Sie sagen, er wird vielleicht nie wieder ganz gesund. Dadurch, daß er die Magie auf sich selbst gerichtet hatte…“

 

Atem wiegte Mana sanft hin und her, seine Brust wurde feucht. „Er wird es schaffen“, murmelte er. „Die Götter werden einem ihrer treuesten Diener nicht solches Leid auferlegen, nicht dafür, daß er versucht hat, es so vielen zu ersparen.“

 

Auch Mai ließ sich neben Mana nieder und rieb dieser sanft über den Rücken. „Verzage bitte nicht, Mana. Wir alle beten für Mahaads Genesung. Die Götter können das nicht ignorieren.“

 

Mana hob langsam ihr verquollenes Gesicht und rieb sich über ihre tränennassen Augen. Geräuschvoll zog sie die Nase hoch. „Sicher?“

 

„Ganz sicher“, versprach Atem mit einer Entschlossenheit, die er sich selbst nicht erklären konnte. Vielleicht waren es die Götter selbst, die durch ihn sprachen, um ihnen allen Trost zu schenken. Vielleicht konnte er einfach nicht glauben, daß sein bester Freund von irgendetwas aufgehalten werden konnte.

 

Mana lächelte kurz, dann rieb sie sich noch fester über das Gesicht. Ihre Haut färbte sich rot. „Warum wolltet ihr mich sprechen?“ erkundigte sie sich dann.

 

„Um ganz genau zu sein: Ich will euch beiden etwas erzählen“, erwiderte Mai.

 

Atem nickte, dann berichtete er Mana von seinem Gespräch mit Mahaad am Morgen und von dessen Bemerkungen.

 

„Es gab schon mal so ein Attentat?“ erkundigte Mana sich und trank aus einem Becher, den Mai ihr fürsorglich eingeschenkt hatte, einen Schluck Bier. „Ich verstehe nur nicht, warum ich… Soll ich etwas über die Sprüche herausfinden?“ Sie lächelte mit neu erwachtem Elan und blickte zwischen Mai und Atem hin und her.

 

„Nein, darum geht es nicht. Ich entbinde nur Mahaad dem Gewissenskonfilkt, was er tun soll. Und da es Atem nicht anders erginge, entbinde ich ihn auch gleich.“

 

„Das hört sich nicht gut an“, stellte der fest. „Mana, ist hier alles abhörsicher?“

 

Sie nickte. „Mahaad hat mir bei dem Zauber geholfen.“

 

Mai reichte nun auch Atem einen Becher Bier, mit dem letzten lehnte sie selbst sich zurück. „Gut zu wissen.“ Sie starrte auf den weichen Teppich unter ihren Füßen, das Geschenk irgendeines Fürsten an Atems Mutter. Sie seufzte zweimal, dann nahm sie einen ordentlichen Schluck. „Atem, du warst damals gerade vier Jahre alt. Du lebtest damals schon hier, in diesem Haus, zusammen mit deiner Mutter, immer umgeben von Wachen.“

 

„Ich weiß. Vater fürchtete nichts mehr, als uns zu verlieren.“ Atem trank von seinem Bier und hoffte, so seine flatternden Nerven zu beruhigen.

 

„Allerdings. Er hat dich immer geliebt und ich weiß, auch jetzt liebt er dich noch. Er fürchtete auch, was aus Kemet werden würde, solltest du nicht überleben.“

 

Atem nickte. Solche Gedanken waren ihm inzwischen nur zu vertraut. Er konnte seinem Vater keinen Vorwurf machen, daß der nicht nur wie ein liebender Vater denken und handeln hatte können.

 

Mai fuhr fort: „Es passierte, als du im Garten spieltest. Du entdecktest eine wunderschöne Blume. Du wolltest sie deiner Mutter bringen, also hast du versucht, sie auszugraben.“ Mai schloß die Augen. „Dein Kindermädchen aber zog dich fort. Wohl damit du dich nicht schmutzig machst. Hätte sie das nicht getan… Es gab eine Explosion.“

 

Atem schauderte und er spürte, wie Mana sich neben ihm versteifte. „Aber es ist nichts passiert.“

 

„Du und das Mädchen, ihr kamt mit dem Schrecken, Kratzern und blauen Flecken davon.“ Ihre Lippen wurden ein dünner Strich. Sie bebte, als würde sie selbst alles sehen, miterleben. Mai stieß die Luft aus. „Die besten Zauberer des Landes wurden gerufen, die Unglücksstelle zu untersuchen. Deine Mutter behielt dich fast die ganze Zeit im Haus und ließ auch kaum jemanden hinein zu dir.“

 

„Sie muß sich furchtbar gesorgt haben.“ Mana nahm mitfühlend Atems Hand.

 

Atem schenkte ihr ein schwaches Lächeln. „Ich erinnere mich überhaupt nicht daran.“

 

„Nach einer Weile hieltest du es für einen Alptraum und irgendwann schienst du alles vergessen zu haben. Wir wollten dich glücklich sehen, darum wollte niemand darüber sprechen.“

 

Atem nickte sinnend. Ja, das würde passen. Wozu eine Wunde aufreißen, die abgeheilt war? „Aber das war nicht das Ende, oder? Vater ließ also die Explosion untersuchen.“

 

Mai nickte. „Jemand hatte einen mächtigen Tarnzauber erschaffen, den vorher keiner gekannt hatte. Mahaads Meister gehörte zu denjenigen, die ihn untersuchten.“

 

Atem erinnerte sich dunkel an den Mann. Ein hochgewachsener, knochig wirkender Zauberer mit Schnauzbart, einer der ersten Träger der Millenniumsgegenstände. Normalerweise nahmen Zauberer erst dann Lehrlinge an, wenn diese bereits dem Erwachsenenalter näher als dem Kindesalter waren. Mahaad war eine Ausnahme gewesen. „Er war ein guter Zauberer. Sehr fähig, sehr schlau.“

 

„Allerdings. Es war auch Mencheperre, der am Ende den Tarnzauber entschlüsseln und ihn zurück zu seinen Schöpfern verfolgen konnte.“ Mai leerte ihren Becher.

 

Atem konnte sich nicht erinnern, daß Mai sich je hatte Mut antrinken müssen.

 

„Und so habt ihr also die Verräter gefunden?“ erkundigte Mana sich aufgeregt. „Das ist gut! Ich nehme an, sie wurden hingerichtet?“

 

„Da nimmst du richtig an, Mana.“ Mais Lächeln hatte etwas Bitteres, als hätte sie Galle im Mund. „Vater hat sie zum Tode verurteilt. Man hat sie an Sobeks ewig hungrige Kinder verfüttert.“

 

Mana schauderte. „Und ihre Geheimnisse nahmen sie mit ins Grab?“

 

„Ja. Sie sagten, sie hätten alleine gehandelt. Keiner konnte glauben, daß zwei der besten Zauberer am Hofe zu solch einem Verrat alleine fähig gewesen waren. Niemand…“ Mai verfiel wieder in Schweigen, als würde sie erneut alles erleben.

 

„Zwei Zauberer? Wie entsetzlich! Den Pharao zu verraten, den Kronprinz ermorden wollen…“ Mana schüttelte es. „Wie tief kann man sinken?“

 

Atem streichelte über Manas harte Schultern. „Was haben sie sich davon versprochen?“

 

„Das ist es ja: Es hätte ihnen nichts gebracht. Dein Tod, Atem, hätte zwar die Thronfolge gefährdet, aber die beiden hätten davon nichts gehabt! Falls sie den Thron für sich beanspruchen wollten, hätten sie auch Vater töten müssen.“

 

„Das können sie ja durchaus vorgehabt haben.“

 

„Ja, aber das konnte niemand herausfinden, niemand beweisen. Alles, was wir haben, sind Spekulationen über das Warum und Wieso. Vermutungen, daß hinter dem Mordanschlag eine größere Verschwörung steckte, konnten sich nie zu Tatsachen erhärten lassen.“ Mai fuhr sich durch ihre unordentlichen Locken. „Jedenfalls nahm der Spuk mit dem Tod der zwei Verräter ein Ende.“

 

Atem nickte, dann sah er zu Mana. „Aber was meinst du damit, du würdest Mahaad und mich eines Gewissenskonflikts gegenüber Mana entbinden, Mai? Ich sehe nicht, daß diese Geschichte sie betrifft.“

 

„Also, wenn ich die Zauber studieren soll…“

 

„Nein, Mana, das ist es wirklich nicht.“ Mais Stimme wurde sanft. „Diese Geschichte betrifft dich, weil die Verräter deine leiblichen Eltern waren.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Usaria
2017-09-30T22:00:36+00:00 01.10.2017 00:00
Ahhh! War dies jetzt spannend. Während des ganzen lesens, hoffentlich schreibt sie den Grund noch in dieses Kapitel, hoffentlich kein großer Cliffhanger.
Ja es ist ein langes Kapitel, aber ich liebe lange Kapiteln. Ich hasse Kapiteln die mit einem rießigen Cliffhanger enden. Ja viele Autoren sagen dann um die Spannung hoch zu halten, hmm! Man kann auch die Spannung hoch halten wenn man einen etwas kleineren Cliffhanger macht, so wie du jetzt.
Ich musste wieder mit Knuddelkissen lesen, weil`s so spannend war. Trotdem frage ich mich, was vor 3 Jahren geschehen ist. Aber mein Gefühl sagt mir, dass dieses Geheimniss noch nicht so schnell gelüftet wird. Hmm dooof!

Bei der Baumszene musste ich schmunzeln. Ein Pharao der das Äffchen in sich entdeckt und Fenstaln auf alt Ägyptisch.
Mhh Fenstaln wie erkläre ich es dir. Also früher wenn sich zwei Liebende des Nachts sehen wollten, aber es die Umgebung nicht gut hieß, weil Standesunterschiede und was weiß ich noch alles, dann schlich sich der Geliebte zu seiner Liebsten und warf steine an das Fenster ihrer Kammer, Die Liebste öffnete dann das Fenster und der Geliebte stieg mit Hilfe einer Leiter zu ihr nach oben, oder blieb auf der Obesten Sproße stehen und sie küssten sich nur.
Das ist Fenstaln, so nennt man es bei mir in Bayern.

Nun ich bin gespannt, was noch so alles passiert.

Moment! Wurden nicht früher auch die Kinder von Verrätern hingerichtet bzw verbannt?
Hoffentlich geht´s bald weiter, freue mich schon auf das nächste Kapitel.


Zurück