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Schatten über Kemet

von

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15. Kapitel

Die nächsten Tage zogen sich wie ein langweiliges Lied. Yugi ließ die Übungen der Bestienzähmer über sich ergehen, lustlos. Es machte wenig aus, da alle Lehrer sich darauf konzentrierten Mana, Mokuba und dem Neuankömmling Ryou die erste Beschwörung zu entlocken.

Yugi saß also meistens abseits bei Honda und Jono. Die beiden waren fast immer gut gelaunt, lachten viel und erzählten Geschichten. Yugi mußte nur lächeln und dann und wann nicken und seine eigene Mundfaulheit fiel kaum auf.

 

Atem war offensichtlich sehr beschäftigt. Jeden Tag ersuchten mehr und mehr Bittsteller um eine Audienz. Großvater meinte, das sei normal um diese Jahreszeit. Zwischen Ernte und neuer Nilschwemme war wenig zu tun für die einfachen Leute.

 

Normal oder nicht, Yugi hätte zu gerne mit Atem gesprochen, aber obwohl sie praktisch nebeneinander wohnten, konnte er Atem nicht erreichen. Schließlich konnte Yugi nicht einfach so in dessen Gemächer platzen, wann es ihm beliebte. Ehrlich gesagt konnte er ziemlich wenig tun außer nachzudenken.

Was fühlte er für Atem? Mußte er wirklich einen Teil seiner Träume und Ziele aufgeben, um diesem nahe zu sein? Und wenn ja, war er dafür bereit? Würde er es nicht bereuen? Jedes Mal raufte Yugi sich die Haare, wenn er darüber nachdachte. Er raufte sich sehr oft die Haare.

 

Großvater wollte immer wieder nochmal darüber sprechen, aber Yugi wich dem immer aus. Ihm ging so schon genug im Kopf herum. Wenn er mit jemandem sprechen wollte, dann mit Atem, aber der war ja von Arbeit überschwemmt.

 

Yugi verkniff sich ein Seufzen und sah zu, wie Meisterin Isis Mana und Mokuba zu besserer Mitarbeit aufforderte. Ryou arbeitete konzentrierter, aber wann immer Meisterin Isis ihn anblickte, erschien eine steile Falte zwischen ihren Augen. Sie sagte nie etwas und so konnte Yugi sich nicht vorstellen, was für ein Problem sie mit ihm hatte.

Schließlich war auch der Unterricht dieses Tages überstanden. Ryou kehrte mit Jono und Honda zu den Unterkünften der Soldaten zurück und Yugi wollte auch gerade nachhause gehen, da zog Mana ihn beiseite.

 

„Oh, Yugi, magst du nicht mit uns mitkommen? Mokuba hat ein neues Schlangenspiel!“

 

Der kleine Prinz nickte grinsend. „Mein großer Bruder ist nicht da, wir haben also Zeit und Ruhe.“

 

Yugi blickte zwischen den beiden hin und her. „Ich bin ehrlich gesagt müde.“ Er hatte schwer in den Schlaf gefunden letzte Nacht.

 

Mana schüttelte seufzend den Kopf. „Komm schon! Das wird lustig! Dann wirst du auch wieder wach. Du hast doch sowieso fast die ganze Zeit nur gesessen und zugekuckt.“

 

Dem konnte Yugi schwerlich widersprechen. „Na gut. Aber ich verspreche nichts.“

 

„Ist ein Anfang“, erwiderte Mokuba, drehte sich um und ging voraus.

 

Yugi folgte ihm. Na, wenigstens kam er so um einen weiteren Gesprächsversuch seines Großvaters herum. Mana plapperte drauf los und erzählte von Meister Mahaads neuem Zauberexperiment und von ihrem letzten Flugversuch. Offenbar fehlte der Palastwäscherei noch immer ein Bettlaken von Meister Shada und Mana fragte sich, mit welchem Zauber man sowas säubern könnte.

 

„Du solltest ihm das Laken bald zurückbringen“, gab Yugi ihr einen gutgemeinten Rat.

 

Mana verzog das Gesicht. “Er wird über die Schlammflecken nicht erbaut sein…“

 

„Wer auch immer in der Palastwäscherei getadelt wird, weil das Laken fehlt, wird das genauso wenig sein“, machte Yugi ihr klar und sie nickte.

 

Mokuba hatte sie inzwischen durch mehrere Gänge in das Innere des Palastes geführt. Durch eine Tür gelangten sie in die Gemächer, die Mokuba mit seinem älteren Bruder teilte. Der Hauptraum war penibel aufgeräumt, ein eckiger Tisch und zwei Stühle standen in der Mitte. Ein Regal enthielt gestapelte Papyrusrollen und auf dem Tisch davor lag ein unbeschriebener Papyrus ausgerollt. Das Schreibzeug lag wie abgemessen daneben. Die Wände schmückten mehrere Bilder einer seltsamen, blauen Kreatur mit Flügeln und Krallen.

 

Mokuba öffnete eine zweite Tür und Yugi fand sich in einem kleineren Zimmer wieder. Hier zierten bunte Ornamente und Geschichten der Götter die Wände. Auf einem Regal lagen mehrere Spielzeuge und noch mehr waren über das Zimmer verteilt: Auf einer fellbedeckten Liege unter dem winzigen Fenster, auf dem Bett, auf dem Tischchen.

Mokuba sammelte ein aus Holz geschnitztes Nilpferd von einem Schemel und ein hölzernes Schwert von dem anderen. Er blickte sich unschlüssig um und schob die Sachen dann unter sein Bett. „Das hier ist mein Zimmer“, erklärte er überflüßigerweise. „Schau dich nur um, Yugi.“

 

Yugi betrachtete eine Reihe Soldaten aus Ton auf dem Regal und strich über das rote Material. Sie waren wirklich gut gelungen. Die Figuren hatten sogar verschiedene Gesichter und unterschiedliche Waffen. Daneben stand ein Krokodil, sicher so lang wie Yugis gesamter Arm. Das hölzerne Spielzeug konnte das Maul auf- und zuklappen und ließ sich sogar dank eines dünnen Seils und vier kleinen Rädern über den Boden ziehen. Auf einem zweiten Regalbrett saßen mehrere Gliederpuppen aus Elfenbein. Sie besaßen alle Schnüre an ihren Gliedmaßen und Yugi nahm an, daß die Puppen durch diese tanzen und sich drehen konnten.

„Du hast hier schöne Sachen. Mein Krokodil war nur aus einem Stück geschnitzt und solche Puppen habe ich noch nie gesehen.“

 

Mokuba lächelte verlegen. „Set ist auch ab und zu unterwegs, im Auftrag unseres Vetters. Er bringt mir jedes Mal was mit.“

 

Dann war Meister Set wohl oft unterwegs gewesen. Mokuba hatte eine beeindruckende Sammlung. Sogar ein Bogen in einer für Mokuba angemessenen Größe hing an der Wand. Er war mit Schnitzereien verziert und auch mit goldenen Einlagen.

 

Mokuba hatte Yugis Blick wohl bemerkt, denn er sagte: „Den hab ich zu meinem letzten Geburtstag von Atem bekommen. Damit ich mit auf die Jagd gehen kann.“

 

„Du gehst auf die Jagd? Aber du mußt doch sicher nicht dein Essen selber jagen.“ Ob Yugi wollte oder nicht, er mußte an den letzten Jagdausflug ihres Dorfes denken… und an den Tod seines Vaters dabei. Seine Augen prickelten.

 

Mokuba lachte, es klang aber nicht böse. „Müssen wir nicht, aber die meisten Adligen gehen gerne auf die Jagd. Die Palastküche freut sich immer über zusätzliches Fleisch. Atem hat das letzte Mal einen ganzen Haufen Gänse und Enten zurückgebracht. Er hat mehr geschossen als sonst einer an dem Tag“, berichtete Mokuba stolz. „Ich hoffe, das nächste Mal läßt Set mich mitgehen.“

 

Yugi hatte keinen Zweifel, daß Atem ein Meister mit Pfeil und Bogen war. Dieser Mann hatte die Augen eines Falken und die Macht des Horus auf seiner Seite.

Da fiel Yugi auf, daß etwas nicht stimmte. Er hatte schon eine Weile kein fröhliches Geplapper mehr gehört. Ein Blick und sein Verdacht wurde bestätigt.

„Wo steckt Mana? Ich hätte schwören können, daß sie noch bei uns war, als wir in eure Gemächer gekommen sind.“

 

Auch Mokuba sah sich um und zuckte dann die Achseln. „Keine Ahnung! Ich geh mal schnell und such sie, ja? Du kannst dich gerne weiter umsehen. Bis gleich!“

 

Yugi wollte gerade einwerfen, daß er doch mitkommen könnte, da war Mokuba auch schon weg. „Dabei war Mana doch ganz wild auf das Schlangenspiel.“

Yugi setzte sich auf die Liege und rieb sich gähnend über die Augen. Ob es Mokuba wohl stören würde, wenn er sich kurz ausruhte?

Yugis Kopf sank gegen die Lehne. Hm, schön warm…

 

„Mokuba! Das ist mein letztes Wort: Mach die Tür auf!“

 

Yugi schoß hoch, blinzelnd, dann gähnte er. Warum stand Atem an der Tür und rüttelte an ihr? Woher kam Atem überhaupt? Yugi rieb sich über Gesicht und Nacken. Warte… Atem war hier?

 

„Nein, du sollst dich umsehen. Dann willst du nicht, daß ich die Tür aufmache, Atem.“ Mokubas gedämpfte Stimme drang durch die Tür, ebenso Manas Kichern.

 

„Mokuba, ich habe Arbeit! Ich dachte, es sei wichtig.“ Atem rüttelte erneut an der Tür, die ihm aber nicht nachgab.

 

„Aber es ist wichtig! Sehr wichtig sogar.“ Mana diesmal. Ihr Vergnügen war deutlich herauszuhören.

 

„Und was ist so… Oh!“ Atems Blick blieb an Yugi hängen, der auf der Liege saß und sich den Schlaf aus den Augen blinzelte.

 

„Wir gehen jetzt.“ Mokuba klang sehr zufrieden. „Bleibt nur bitte anständig da drinnen, ja?“ Dann entfernten sich Schritte von der Tür.

 

Mit knallrotem Gesicht starrte Yugi auf die Tür, dann auf Atem. Yugi wurde noch heißer und er blickte auf den Boden. Wie kamen nur all diese halben Kinder auf solche Ideen? Yugi hatte sich mit zwölf noch nicht für sowas interessiert, geschweige denn solche Reden geschwungen.

 

„Yugi, ich wußte nicht, daß du hier bist.“ Atem holte sich einen Schemel und setzte sich vor Yugi.

 

„Ich muß wohl eingeschlafen sein… Mana war plötzlich weg und Mokuba wollte sie suchen gehen.“ Yugi gähnte hinter vorgehaltener Hand.

 

„Mokuba hat mir erzählt, er müßte mir etwas Wichtiges zeigen und dafür müßte ich mit in sein Zimmer kommen. Dann war die Tür plötzlich zu und diese beiden Scherzkekse wollten mich nicht mehr hinauslassen.“ Atem lachte leise. „Er hat nicht gelogen.“

 

Yugi wurde warm im Bauch. Wichtig… Atem nahm ihn als wichtig wahr. Dann aber kamen Großvaters Ermahnungen wieder an die Oberfläche seines Geistes und Yugis Miene wurde wieder ernst. „Offenbar wollen sie, daß wir reden.“

 

„Es sieht so aus. Mana sagte mir schon, sie würde versuchen, uns zu einem unbeobachteten Treffen zu verhelfen. Das hier habe ich nicht erwartet.“ Atem nahm sanft eine Hand Yugis in die seine. „Aber ich bin froh, dich wiederzusehen.“

Atems Augen schimmerten ehrlich und Yugi wurde die Kehle eng.

 

„Ich bin auch froh…“ Yugi zögerte.

 

Atem entging das nicht. „Aber?“

 

Yugi atmete tief durch und lachte kurz, aber ohne Freude. „Es ist Großvater. Nachdem du ihm geraten hattest, mich nicht mit Rebekka zu verheiraten, hat er mir erklärt, daß… eine Beziehung mit dir… Daß es unglaublich schwierig wäre.“ Er seufzte, doch drückte er Atems Hand. „Dabei weiß ich gar nicht… Bitte versteh mich nicht falsch, aber…“

 

„…wir kennen uns noch nicht lange, wissen viel über den jeweils anderen nicht und haben keine Ahnung, wohin unsere Gefühle uns führen werden“, führte Atem den Satz zu Ende. Yugi nickte erleichtert. „Ich hatte befürchtet, daß er versucht, dich abzuschrecken. Ich kann es ihm noch nicht mal verübeln.“

 

„Wie das? Träumen denn nicht viele davon, daß du dich für sie interessierst?“

 

Atem zog Yugis Hand an seine Lippen. Dann sah er Yugi direkt in die Augen. „Im Harem gehen diese Träume schneller zu Bruch als dünnste Keramik.“

 

Sie schwiegen für einen Moment, Yugi rotwangig. „Ist es wirklich so schlimm?“

 

„Der Harem ist nichts für Zartbesaitete und Träumer. Gleich, was sie dort draußen glauben, es ist ein nie wollender Konkurrenzkampf drinnen. Sie denken an Sex und wie großartig es sein muß, diesen mit einem Gott zu vollziehen. Sie denken nicht daran, daß jede Frau auch Mutter des nächsten Gottes sein will. Jede will Aufmerksamkeit und die Interessen ihrer Familie, ihres Landes durchsetzen.“

 

„Das hört sich furchtbar an.“

 

„Das ist meine Pflicht. Ehe ist für einen König nun mal kein Vergnügen. Manchmal hat man das Glück, daß eine Gemahlin doch wie ein Leuchtfeuer aus der Dunkelheit hervorsticht. Daß man sie wirklich lieben kann…“ Atem blickte fort. „Aber das ist Glückssache und ein einziger Moment kann all das zerstören.“ Da war ein seltsam trauriger Unterton, ein Hinweis, daß Atem nicht nur die Erfahrungen anderer wiedergab.

 

Yugi drückte mitfühlend Atems Hand, aber er drang nicht weiter in Atems Seelenleben. Wenn Atem wollte, daß er alles wußte, der würde es ihm erzählen.

 

Atem hob seinen nachdenklichen Blick, kurz huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Wir sollten uns wahrhaftig besser kennenlernen, bevor dein Großvater Alarm schlägt.“

 

Yugi nickte. „Natürlich meint er es gut. Nur dachte ich, das zwischen uns sei etwas, das ich zur Abwechslung mal nicht hinterfragen oder bezweifeln müßte. Nun sieht es aus, als hätte ich mich geirrt.“ Er ließ den Kopf hängen.

 

Holz scharrte über den Steinboden, dann sank die Liege neben Yugi etwas ein. „Es ist etwas früh für ein böses Erwachen.“

 

Yugi lehnte sich gegen den warmen Körper neben sich. Atem duftete gut, beruhigend… „Wir wissen nicht mal, ob es irgendein Erwachen gibt. Ob es eine Zukunft gibt. Und wenn ja, wie wir sie gestalten würden.“

 

„Mhm. Also… Was willst du wissen? Oder mir sagen?“ Atems Arm legte sich wie von selbst um Yugis Hüften.

 

„Oh je!“ Yugi lachte. „Das ist schwierig. Gleichzeitig eine Menge und doch wenig. Macht das Sinn?“

 

„Absolut. Mir geht es nicht anders.“

 

„Spielst du oft Senet?“ fing Yugi mit etwas einfachem an. Er erinnerte sich noch gut an das Spiel, das Marshmallon aus seinem Inneren gezogen hatte.

 

„So gut wie jeden Tag. Und du?“

 

„Das würde ich auch gerne tun, aber ich komme nicht so oft dazu. Mein Vater hat immer mit mir gespielt, aber meine Mutter hatte letztens keine Zeit und Großvater… Nun, er scheint mir manchmal beschäftigter als du zu sein, Atem.“

 

Der lachte. „Das ist auch wirklich so. Ohne ihn würde nicht mal die Hälfte so gut funktionieren. Er war schon meinem Vater eine große Hilfe.“ Ernster erkundigte Atem sich: „Wie war dein Vater? Ich kenne zwar die offiziellen Berichte über seine militärische Laufbahn, aber ich weiß nichts über ihn als Mensch.“

 

Yugi schwieg einen Moment. So viele Erinnerungen… „Er war ein herzlicher Mensch. Alle im Dorf mochten ihn, selbst unser eigenbrötlerischer Miesepeter vom Dienst. Er ging mit den Männern auf die Jagd, er half auf den Feldern und wann immer es hieß, es seien Räuber in der Gegend war er der Rrste, der abends einen Rundgang machte und der Letzte, der morgens heimkam.“

 

Yugi zog die Beine hoch an die Brust und umarmte sie. „Er ist mit mir oft an den Nil gegangen, um zu fischen. Er hat dann auch immer mit mir kleine Wasserräder gebastelt.“ Yugi lächelte. „Einmal habe ich eine Vase zerbrochen, eine große, mit schwierigen Mustern. Ich war fünf oder sechs… Ich hatte Angst, daß meine Eltern wütend sein würden, die Vase sollte schließlich verkauft werden. Ich bin zum Nil gelaufen und wollte mich dort verstecken.“

Yugi schüttelte den Kopf über seine damalige Naivität.

„Ich saß sicher zwei Stunden im Schilf und habe nach Mücken geschlagen. Dann war da plötzlich mein Vater! Ich habe einen riesigen Schreck bekommen und wollte weglaufen, doch er nahm mich einfach auf die Arme und drückte mich. Er weinte, Atem! Er hat nur selten geweint, soweit ich mich erinnern kann. Er sagte, er hätte solche Angst gehabt, ich sei ertrunken oder im Bauch eines Kinds Sobeks gelandet. Ich habe mich schrecklich geschämt. Papa trug mich heim und wusch mich. Er war so ruhig… Er bat mich, nie wieder davonzulaufen. Daß ich nur zu ihm kommen müsse, er würde mir bei allem helfen. Ich hab es ihm versprochen. Als ich zwei Jahre später beim Spielen wieder eine solche Vase zerstörte, hab ich es ihm gesagt und gemeinsam haben wir eine neue Vase gemacht, damit Mama nicht unglücklich wird. Als der ekelhafte Nachbarsjunge mit Steinen nach mir geworfen hat, hat er mit wenigen Sätzen und einem harten Blick dafür gesorgt, daß es nie wieder passiert. Als ich Teti hinter dem Haus ihrer Eltern geküßt habe und ihr Vater erwischte uns und schleifte mich heim, hat Papa ihm gesagt, daß er mich nicht anzufassen hat, sonst könnte er in Zukunft auf seine Kundschaft verzichten. Papa hat ihm wirklich gedroht, er würde jeweils zwei Stunden hin und zurück gehen, um in Zukunft Glasuren in der nächsten Stadt zu kaufen. Er war wirklich großartig, er hat sich immer für mich eingesetzt.“ Yugi wischte sich über das Gesicht und schniefte.

 

Atem legte eine warme Hand auf Yugis Rücken und massierte diesen sanft.

„Du warst ihm offensichtlich sehr wichtig, Yugi. Er hat dich sehr geliebt.“

 

Yugi nickte und versuchte, den Kloß in seinem Hals zu schlucken. „Wie war dein Vater?“

 

Atem blickte an die mit blauen Blüten bemalte Decke. „Immer sehr beschäftigt natürlich. Aber wenn ich Hilfe brauchte oder einen Rat hat er sich immer für mich Zeit genommen. Er hat jeden Tag mit mir Senet gespielt seit ich denken kann. Er war streng, aber nie ungerecht oder wütend.“ Atem senkte den Kopf. „Er hat sogar mal gebetet, daß er alle Sünden auf sich nehmen würde, damit ich frei von Schaden aufwachsen könnte. Ich weiß noch, wie sehr ich mich im unterirdischen Tempel vor den Schattenkreaturen gefürchtet habe, die dort lauerten. Ich hatte solche Angst, daß ich, als wir eine Brücke überquerten, abrutschte. Ich hielt mich gerade so fest. Ich weiß noch, wie mein Vater mich angesehen hat, mit diesem Vertrauen. Ich habe mich wieder hochgezogen und wir gingen weiter.“

 

Yugi hatte entsetzt nach Luft geschnappt. „Er hat nicht eingegriffen?“

 

Atem lächelte. „Er hätte mich jederzeit fangen können, wenn ich es nicht geschafft hätte, Yugi. Er konnte wie du und ich Bestien beschwören. Ein Wort hätte genügt und ich wäre sicher aufgefangen gewesen. Aber er gab mir die Möglichkeit, mich selber zu beweisen, so viel Angst ich auch hatte. Danach habe ich mich besser gefühlt. Stärker, selbstbewußter.“

 

„Er hat es also für dich getan.“ Yugi musterte Atem genau. „Er hätte dich also nie zu Schaden kommen lassen.“

 

Atem schüttelte den Kopf. „Er hat all seine Kinder geliebt. Außerdem war ich das einzige Kind meiner Mutter.“

 

„Sie war deinem Vater wichtig?“

 

„Sehr wichtig. Aber niemand sollte es erfahren, sonst wäre ihr Leben in noch größerer Gefahr gewesen. Sie haben sich meist heimlich getroffen.“

 

„Wieso denn das?“

 

„Sie hatte mich zur Welt gebracht, den Thronfolger. Das war einigen gar nicht recht.“ Atem strich über ein rotes Amulett, das er neben dem merkwürdigen Pyramidenschmuckstück um den Hals trug. „Meine Mutter war keine Prinzessin, keine hohe Herrin nobler Geburt.“

 

„Sie war also eine Bürgerliche? Das ist ungewöhnlich.“

 

„Allerdings. Sie hatte keinen Namen, kein Vermögen, nicht mal Familie. Mein Vater lernte sie kennen, als er als junger Mann einmal die Palasttöpferei aufsuchte. Er war neugierig, also auf Handwerksberufe, und dort traf er sie.“

 

„Das ist wirklich eine wunderbare Geschichte. Hat er sie dann geheiratet?“ erkundigte Yugi sich mit geröteten Wangen.

 

„So schnell ging das nicht!“ Atem lachte. „Er hat immer wieder die Töpferei besucht, angeblich weil er etwas über die Töpferkunst lernen wollte. Natürlich wollte er meiner Mutter nahe sein. Sie hatte freilich zuerst Bedenken: Mein Vater war Kronprinz, würde eines Tages Pharao sein und an Gemahlinnen würde es ihm nie mangeln. Dazu kam, daß mein Großvater nicht nur sehr streng war, sondern auch sehr auf den sozialen Rang achtete. Der Gedanke, sein Erbe würde eine einfache Töpferin heiraten, hätte ihn zur Weißglut getrieben und wer weiß, was dann geschehen wäre. Mein Vater warb also heimlich um die Gunst meiner Mutter und kaum war mein Großvater gestorben, bat er sie, ihn zu heiraten.“

 

„Offensichtlich hat sie Ja gesagt.“ Yugi schmunzelte.

 

„Ja. Sie wurde die zweite Gemahlin meines Vaters, die erste war eine syrische Prinzessin. Im Laufe der Jahre heiratete mein Vater aus politischen Gründen eine Reihe von Prinzessinnen und ägyptischer Adliger. Aber meine Mutter hat er immer geliebt und verehrt. Er ließ ihr einen Palast in Minnefer erbauen und sie zahllose Male als Göttin Hathor darstellen. Nach außen hin hatte er durch meine Geburt dafür auch die passende Begründung.“ Atem lehnte sich zurück und Yugi folgte ihm.

 

„Dein Vater sah also in ihr die Göttin der Liebe.“

 

Atem nickte lächelnd. „Aber viele neideten ihr ihr Glück. Als ihre Schwangerschaft nicht mehr zu verheimlichen war, versuchte eine andere Frau meines Vaters sie zu vergiften. Zum Glück hatte meine Mutter einen Vorkoster und so überlebte sie. Die Giftmischerin ließ mein Vater hinrichten.“

 

Yugi schauderte. „Wie furchtbar! Ich hätte nie gedacht, daß solche Dinge passieren können. Direkt unter der Nase des Pharaos!“

 

„Das hat noch niemanden im Harem aufgehalten. Ungeliebte Nebenbuhlerinnen versucht man loszuwerden. Subtil oder wie in diesem Fall mit der Holzhammermethode. Mein Vater mußte Mutter rund um die Uhr bewachen lassen. Und mich auch. Die ersten Jahre meines Lebens waren wir fast vollkommen von der Welt abgeschottet. Ich fing an, mit meinem Spiegelbild zu spielen. Meine Schwestern dürften mich von ihren Müttern aus nur selten besuchen. Zu selten jedenfalls für ein kleines Kind.“

 

„Das tut mir leid.“ Yugi streichelte über Atems Arm und schmiegte sich näher an den Mann, der ihm so wunderbar nahe schien. „Das war sicher keine schöne Kindheit, so allein…“

 

„Nach einer Weile bekam ich Spielkameraden: Mana und Mahaad. Mahaad ist der  Sohn eines inzwischen verstorbenen Ministers, Mana hatte keine Eltern mehr. So zog Mana in das kleine Haus, das meine Mutter und ich bewohnten. Mutter behandelte sie immer wie ihre eigene Tochter, auch da es ihr verwehrt blieb, noch ein Kind auszutragen.“

 

Yugi runzelte die Stirn. Kein Wunder, daß Mana und Atem ein so enges Verhältnis pflegten. Sie hatten ihre Kindheit zusammen verbracht. „Das hat Mana nie erwähnt.“

 

Atem zuckte mit den Achseln. „Sie spricht nicht oft darüber. Und sie will nicht prahlen, daß sie mit mir aufwachsen durfte.“

 

„Schon wieder Giftmischer, denen das nicht gefallen könnte?“

 

„Möglich. Aber sie meinte immer, daß sie etwas schaffen will, ohne daß ihr mein Name jede Tür öffnet.“

 

„Sie ist ein wenig… tolpatschig, aber ich denke, sie kann eine sehr gute Zauberin werden. Leider scheinen einige das anders zu sehen.“

 

Atem schnaubte lachend. „Set ist ungefähr so subtil wie ein Rammbock. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo er das her hat. Seine Mutter war sanft wie eine Gazelle und sein Vater setzt sich immer für eine menschenwürdige Behandlung unserer Gefangenen ein, selbst für die überführter Verbrecher.“

 

„Sets und Mokubas Vater lebt noch?“ Yugi sah sich um. „Wohnt er auch hier?“

 

„Im Palast, ja. Mein Onkel Aknadin ist einer der auserwählten Priester.“

 

„A-aknadin?“ Yugis Augen weiteten sich. Er dachte an das seltsame Goldauge des alten Priesters. „Äh, ich meine Meister Aknadin? Er ist dein Onkel?“

 

„Der jüngere Bruder meines Vaters.“

 

„Deine Familie ist groß.“ Yugi lachte, noch immer überrascht. „Da kann ich nicht mithalten. Ich habe nur noch meine Mutter und meinen Großvater. Na ja, es gibt noch Verwandtschaft in der Nähe von Abu, aber das sind nur weit entfernte Basen und Vettern, die wir nie sehen.“

 

Atem zog Yugi auf seinen Schoß. Yugi quiekte und seine Ohren glühten. Atem lachte. „Das ist doch kein Wettbewerb.“

 

„Ich weiß. Nur du ziehst ständig neue Verwandtschaft aus deinem Shendit. Ich komme mir etwas merkwürdig dabei vor.“ Ganz vorsichtig streichelte Yugi über Atems Kinn. Er fühlte weiche Haut und ein paar Bartstoppeln.

 

„Meine Vorfahren waren sehr fleißig und ich muß es ihnen gleich tun“, erinnerte Atem Yugi an seine Pflichten. Er schloß die Augen und schmiegte sich in Yugis Hand. „Weich…“

 

„Nur weil ich hier nicht arbeite.“ Yugi ließ sich gegen Atems Brust sinken und atmete tief den Duft von Lotos ein, gemischt mit Atems eigenem Duft. „Es belastet dich, oder?“

 

„Hm?“

 

„Daß du noch keinen Sohn hast“, murmelte Yugi. Eine angenehm schwere, warme Hand strich durch sein Haar.

 

„Ja. Wenigstens glaubt keiner, ich sei unfruchtbar, aber langsam werden alle ungeduldig.“ Atem vergrub seine Nase in Yugis Haar. Warme Luft glitt über Yugis Kopfhaut. „Ich bin es müde… Wie oft soll ich meine Gemahlinnen denn noch beschlafen? Kaum eine Nacht, in der ich nicht bei einer sein muß.“

 

„Du mußt jede Nacht eine aufsuchen?“

 

„Ja, so ziemlich…“ Atem machte einen genervten Laut. „Es ist nicht ihre Schuld, aber ich fühle mich ihrer so müde… Jede versichert mir, daß sie meinen Thronfolger zur Welt bringen wird. Ich will es nicht mehr hören.“

 

„Es gibt Männer, die dich beneiden.“

 

„Sie beneiden mich nur, weil von ihrem Fortpflanzungskönnen nicht ein ganzes Reich abhängt.“ Atem schnaubte wie ein wütendes Pferd.

 

Yugi streichelte Atems Hände, die sich um seinen Bauch gelegt hatten. „Wohl wahr. Das hört sich nicht nach Vergnügen an, sondern nach reiner Pflichterfüllung.“

 

Atem nickte seufzend. „Genau das ist es. Andere haben es da wahrlich leichter.“

 

„Aber du liebst deine Kinder sehr. Das habe ich sofort gesehen. Und sie lieben dich.“ Yugi lächelte, suchte Atems Augen, in denen nun ein Funken erglomm.

 

„Sie sind wunderbar und der Hauptgrund, warum ich daran noch nicht verzweifelt bin. Ihr Lächeln, ihr Vertrauen, ihre Liebe… Ich fühle zutiefst Demut, daß sie sich immer an mich wenden, mit mir spielen wollen und unzählige Fragen haben.“ Atems Stimme war voller Wärme und Bewunderung.

 

Yugi lachte leise. „Ja, das muß wundervoll sein.“

 

„Du wirst es auch erleben.“

 

Yugi blickte Atem an. „Warten wir es ab. Es wäre zu früh, das eine oder das andere als endgültig anzusehen.“

 

Atem nickte und streichelte Yugis Hände. „Bei dir fühle ich mich so wohl… Als würde ich dich schon ewig kennen.“

 

Yugi lehnte seinen Kopf gegen Atems Schulter. „Weißt du was? Ich fühle dasselbe bei dir.“

 

Sie beide lächelten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  YuuShindo22
2017-08-26T21:19:52+00:00 26.08.2017 23:19
awwwee ich schmelze gerade innerlich *_* das ist so mega süß und toll.
die Kuscheln Sezene find ich bis jetzt am besten, und klar f+hlen die beiden sich bei dem je anderen wohl *_* sind immerhin ein Herz und eine Seele


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