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Schatten über Kemet

von

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4. Kapitel

Yugi war noch müde, als er am nächsten Morgen seinen Großvater zum Frühstück traf. Die Diener hatten einen kleinen Holztisch vor eine Bank am Haus gestellt, sodaß Yugi zusehen konnte, wie Ras Barke sich langsam aus der Unterwelt in den Himmel hob, erneut geboren von der himmlischen Mutter Nut.

Yugi zog seinen Überwurf enger um sich und gähnte.

 

“Ich dachte, du bist das frühe Aufstehen gewöhnt?” Yugis Großvater rollte einen Papyrus zusammen und steckte ihn in ein lederne Röhre, die an seinem Gürtel befestigt war.

 

“Aber keine so langen Reisen.” Yugi rieb sich durch das Gesicht und verbiß sich ein neuerliches Gähnen. Danach wandte er seine Aufmerksamkeit ihrem Frühstück zu: Warmes Fladenbrot stapelte sich auf einem tönernen Teller und in einer Schale lagen aufgeschnittene Granatäpfel neben Trauben und Nüssen. Milch und Bier in dickbauchigen Krügen wurden von einer Dienerin herangetragen, eine weitere brachte Honig und warmen Brei aus Kichererbsen und Getreide.

Der Duft weckte Yugis Lebensgeister und er nahm sich zuerst von dem Brot und dem Brei, bevor sie kalt wurden.

 

Sein Großvater ließ sich mehr Zeit. “Was soll ich dann sagen? Ich werde mich heute Nachmittag nach dem Mittagsmahl noch etwas ausruhen und dir rate ich das auch.”

 

“Wer will schon in der Mittagshitze arbeiten, wenn er nicht muß?” Yugi lächelte. “Treffen wir uns dann wieder hier?”

 

“Ja. Zuerst das Gespräch mit Seiner Majestät und danach sind Audienzen. Am Nachmittag ist Ratssitzung und danach habe ich noch einige Briefe zu schreiben.”

 

“Das ist ganz schön viel.” Yugi nahm einen Granatapfel und biß hinein. Roter Saft tropfte über sein Kinn und seine Finger in seine Breischale. “Ermüdet dich das nicht, Großvater?”

 

“Oh, ich würde mich zu Tode langweilen, hätte ich nichts zu tun. Und so will ich wahrlich nicht Osiris gegenüber treten müssen, mein lieber Junge.” Großvater lächelte und rührte mit einem Holzlöffel in seinem Brei, bis dieser nicht mehr so stark dampfte. “Womit willst du dir heute die Zeit vertreiben?”

 

“Ich wollte mich etwas umsehen. Die Töpferei besuchen, in der Mutter früher gearbeitet hat, und die Gärten erkunden. Solche Dinge. Da gibt es doch nichts einzuwenden, oder?” Yugi dachte an die junge Wache von gestern. Ob sie heute auch wieder Dienst hatte?

 

“Überhaupt nichts. Warum?” Großvater musterte Yugi mit einem scharfen Blick, den die meisten ihm nicht zugetraut hätten. “Gab es gestern Probleme?”

 

“Wie kommst du darauf?”

 

“Du warst gestern so seltsam und du bist es noch.” Großvater piekste Yugi in die Seite. “Was war los?”

 

“Ach, nichts Weltbewegendes...” Kurz berichtete Yugi von seiner Begegnung. “Wahrscheinlich werden mich noch einige fragen, wer ich bin oder aus welcher Familie ich stamme.”

 

Großvater hatte in der Zwischenzeit seine Schale geleert. “Sicherlich. Aber bald wird jeder wissen, wer du bist. Klatsch reist schnell, noch mehr in den Gängen und Dienstbotenzimmern des Palastes.”

 

“Meinst du, ich habe ihm zuviel gesagt? Gestern?”

 

“Möglich, Yugi. Aber nun ist es getan. Sei das nächste Mal bedachter.”

 

Yugi seufzte. Er trank etwas Milch, bevor er erwiderte: “So haben meine Eltern mich nicht erzogen. Meine Mutter würde sich in all ihren schlimmen Vorstellungen bestätigt sehen.”

 

“Sie ist aber nicht hier und du kannst ihr noch beweisen, daß es ein einmaliges Versehen war.” Siamun wischte sich seine Finger an einem feuchten Tuch ab. Yugi tat es ihm gleich. “Ich muß nun los, den Lebenden Horus sollte man nicht warten lassen.”

 

Yugi nickte lächelnd. Sie erhoben sich gemeinsam und nach einer kurzen Verabschiedung war Yugi allein. Oder zumindest so allein, wie er es mit einigen Dienern sein konnten, die nur auf sein Zeichen warteten, um den Frühstückstisch abzuräumen.

 

Sobald Ra Geb erwärmt hatte, machte auch Yugi sich auf den Weg und suchte die palasteigene Töpferei. Er mußte einige Leute fragen, aber schließlich fand er sein Ziel: Ein längliches Gebäude, dessen eine Längsseite offen war und so einen Einblick in die Arbeit bot. Draußen in der Sonne standen mehrere aus Papyrus und Schilf geflochtene Gestelle, auf denen Vasen, Töpfe, Schalen, Teller und Krüge unterschiedlichster Größe und Form in Ras Strahlen trockneten. In einige Gefäße waren Muster oder Hieroglyphen geritzt worden, andere waren völlig glatt. Yugi erkannte den Nilton an seinen Grautönen, die bis ins Schwarze gingen, der im Ofen ein wundervolles Rot oder Braun annehmen würde. Auch den hellen Wüstenton gab es, der gebrannt von weiß bis olivgrün variieren konnte, je nachdem, wie heiß der Ofen war. Yugis Familie nannte gerade mal einen Ofen ihr eigen, aber in der Töpferei konnte Yugi allein sechs Stück zählen.

 

In zwei Reihen, mit gebührendem Abstand zu den Öfen, saßen Männer und Frauen an Drehscheiben und formten den Ton zu Haushaltsgegenständen und Gebrauchtwaren. Einige der Töpfer hatten Unterstützung von einem Jungen oder Mädchen, die die Scheibe noch schneller drehten, als es einem einzelnen Töpfer mit einer Hand möglich war. Es wurde geredet, einer pfiff ein Liedchen und ab und zu kam Gelächter auf, wenn jemand einen mehr oder weniger geglückten Scherz zum Besten gab.

 

Draußen war auch eine kleine Grube, angefüllt mit Wasser. Zwei Männer traten darin den Ton. Dieser kam aufgrund Ras Hitze immer getrocknet bei den Töpfern an und mußte dann erst wieder mit Wasser geschmeidig gemacht werden. Auch verunglückte, schon getrocknete Gefäße fanden ihren Weg zurück in die Grube. Zwei weitere Männer standen unter einem Sonnensegel und walkten den Ton. Der eine schlug jeweils zwei Brocken des aufbereiteten Tons kräftig aneinander, um die Luftblasen aus der Masse zu pressen, der zweite stand tiefgebückt über einem Holzgefäß und preßte den Ton wieder zusammen. Es schmatzte und über allem lag der Duft von frischem Ton. Daneben saßen drei junge Frauen, die noch harten Ton durchsiebten, um ihn von Steinchen und anderen ungewollten Bestandteilen zu reinigen.

 

Yugi hatte noch nie soviele Töpfer auf einem Haufen noch so viel Arbeit in so kurzer Zeit erledigt gesehen. Sie hatten nie soviel geschafft zu dritt. Yugis Mutter hatte immer das Töpfern an sich übernommen, während Yugis Vater sich meist um das Walken gekümmert hatte. Yugi hatte gesiebt, getreten, seiner Mutter an der Drehscheibe assistiert und schließlich eine eigene übernommen. Wenn er zurück zu seiner Mutter ging, mußten sie wohl jemand einstellen, um weiterhin ihr gewohntes Arbeitspensum aufrecht erhalten zu können. Vorausgesetzt es fand sich jemand unter den Jungen und Mädchen, der bei ihnen das Handwerk erlernen wollte. Für den Moment reichte ihr Erspartes noch, aber im nächsten Jahr würde es kritisch werden, fänden sie niemanden.

 

Mit einem letzten Blick auf die Drehscheiben wandte Yugi sich zum gehen. Er wollte nicht noch gefragt werden, was er hier trieb. Er bezweifelte sowieso, daß sich einer der Töpfer noch an seine Mutter erinnerte. Sie alle waren Yugis Alter näher als dem seiner Mutter.

 

So richtete Yugi seine Schritte zurück in die Palastgärten und ließ seine Sinne sich mit der Schönheit von Blüten füllen, von umherfliegenden Vögelchen, Schmetterlingen und großer, glänzender Libellen. Unzählige Blumen schwängerten die Luft mit ihrem betörenden Duft und Bienen summten eifrig durch die Luft, ihre hinteren Beinchen gelb von Pollenpäckchen. Yugi wandte sein Gesicht Ra zu, die Augen geschlossen, und betete schweigend zu dem mächtigen Gott, daß er auch weiterhin sein Licht ihre Wege erhellen ließ und daß er Yugis Vater sicher auf seiner Barke nach Westen brachte.

 

Plötzlich prallte etwas gegen Yugis Rücken und der junge Mann verlor das Gleichgewicht. Er stürzte nach vorne auf die festgetretene Erde und das Gewicht auf seinem Rücken drückte ihn weiter hinunter. Er keuchte und spürte Feuchtigkeit an seinen Händen und Knien.

 

“Oh... Oh je! Der Rückstoß war viel zu stark! Oh, es tut mir so leid!” plapperte eine ängstliche Mädchenstimme in Yugis Ohr. “Warte... Uff!”

 

Yugi atmete auf, als das Gewicht von seinem Rücken verschwand. Vorsichtig wandte er den Kopf. Und blickte direkt in besorgte, braune Augen in einem kindlichen Gesicht.

 

“Geht es?” erkundigte sich seine Angreiferin wider Willen und half ihm vorsichtig zurück auf die Beine.

 

Yugi ächzte ein Dankeschön und blickte dann auf seine zerkratzten Handinnenflächen. Seine Knie sahen nicht besser aus.

 

“Oh nein! Entschuldige! Du blutest ja sogar! Oh... Ich werde das sofort versorgen, versprochen!” Das Mädchen blickte sich hektisch um, daß seine wirren brünetten Haare flogen. “Meister? Meister! Ich bin hier! Bitte, ich brauche deine Hilfe.”

 

Yugi lächelte. “Es schmerzt kaum. Das kann ich schon alleine verbinden. Ist dir was passiert?”

 

“Nein, nein, alles gut! Aber so kann ich dich doch nicht allein weitergehen lassen.” Das Mädchen betrachtete Yugis Hände, die Mundwinkel hängend und die Augenbrauen erhoben.

 

“Was soll dieses infernalische Geschrei?” Wie ein übergroßer Vogel stieß ein hochgewachsener Mann aus einem angrenzenden Teil des Gartens, ein blauer Umhang blähte sich hinter ihm auf.

 

Das Mädchen schluckte und ihre Augen wurden groß, während sie einen Schritt zurück trat. “M-meister Set...”

 

Der so Angesprochene blieb vor Yugi stehen und verengte kalte Augen zu schmalen Schlitzen. “Mana, welchem Ausbund deines Untalents haben wir diesen Lärm zu verdanken?”

 

Yugi folgte dem Mädchen, Mana, ebenfalls einen Schritt zurück. “Ich bin in sie hineingelaufen und dann gestürzt. Ich habe sie wohl sehr erschreckt.” Nun richteten sich die dunkelblauen Augen auf ihn. “Aber jetzt ist ja alles gut!” fügte Yugi eilig hinzu, während seine Eingeweide sich verknoteten.

 

“So? Ist es das?” Dieser Meister Set rieb über das mit einem Horusauge geschmückte Ende seines goldenen Stabes. Yugis Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen, doch Yugi nickte mit einem schwachen Lächeln.

“Wer bist du überhaupt? Hast du keine Arbeit?”

 

“Mein Name ist Yugi, ehrenwerter Meister Set. Ich habe hier auch keine Arbeit, nicht direkt. Ich besuche momentan nur meinen Großvater...” Yugi schluckte und leckte sich über die spröden Lippen.

 

“Oh, oh!” Mana faßte ihn an den Schultern und drehte ihn zu sich. “Dann bist du ja der Enkelsohn des Wesirs! Oh nein! Das tut mir ja so leid...”

 

“Siamuns Enkel?” unterbrach Meister Set Manas Redefluß. Seine Augen verloren an Schärfe, doch nicht an Interesse. “In diesem Falle sollte Mana dich ohne Umschweife zu den Heilern bringen.”

 

“Mein Meister müßte eigentlich...”

 

“Dein Meister ist sicher schon bei den Audienzen”, unterbracht Meister Set sie erneut. “Wo ich übrigens auch schon längst sein sollte.”

 

“Stimmt.” Mana ließ den Kopf hängen. “Ich kümmere mich um Yugi.” Bei Meister Sets unwirschem Knurren, klärte sie hastig auf: “Also ich zeige ihm den Weg zu den Heilern.”

 

“Das will ich dir auch geraten haben! Bei deinem Unvermögen müßte ich sonst noch am Ende dem Wesir erklären, warum sein Enkel plötzlich ein Frosch ist oder himmelblaue Haut hat.” Meister Set blickte dann wieder zu Yugi. “Wir werden uns bestimmt wiedersehen, Enkel des Wesirs.” Dann ging er mit langen Schritten an ihnen vorbei und verschwand hinter einer Hecke, bevor Yugi oder Mana noch etwas sagen konnten.

 

Yugi blinzelte merhfach verwundert, dann blickte er zu Mana, die mit unglücklichem Gesicht neben ihm stand und ihre Hände knetete. “Wer war das?”

 

“Meister Set. Er ist der Vetter des Pri... äh... des Pharaos, einer der von den Millenniumsgegenständen auserwählten Priester und zuständig für die Sicherheit des Reiches”, erklärte Mana und seufzte. “Und er ist ein wahrer Alptraum.”

 

Yugi nickte. “Verstehe. Ja, er war wirklich sehr hart zu dir.”

 

“Er hält nichts von mir und macht daraus auch nie einen Hehl.” Mana schüttelte sich kurz, als wolle sie alle dunklen Gedanken abschütteln, dann lächelte sie Yugi an. “Gehen wir lieber los. Deine Wunden müssen gesäubert und verbunden werden.”

 

Yugi nickte und ging gemeinsam mit ihr los. “Du sagtest was von einem Rückstoß vorhin...”

 

“Oh, ja! Ich wollte eigentlich fliegen üben, aber.... Na ja, statt dessen habe ich dich umgeworfen.” Verlegen lachend fuhr Mana sich durch ihr zerzaustes Haar.

 

“F-fliegen?” Yugi starrte Mana an, als sei ihr soeben ein rotgepunkteter zweiter Kopf aus der Schulter gewachsen.

 

“Ja, ich bin ein Zauberlehrling hier im Palast. Meister Mahaad ist mein Lehrmeister, weißt du? Er wäre sicher ärgerlich, daß ich es ohne Aufsicht versucht habe, aber ich dachte, ich sei allein und niemand könnte zu Schaden kommen.” Sie drehte sich um und lief vor Yugi, ihr Gesicht ihm zugewandt. “Da hab ich mich wohl getäuscht.”

 

Yugi starrte sie an, dann lachte er. “Ein Zauberlehrling? Unglaublich! Ich habe noch nie einen Zauberer gesehen.” Erst jetzt fiel ihm der hölzerne, vielleicht unterarmlange Stab auf, den Mana an ihrem Gürtel trug.

 

Mana winkte ab. “Ich bin noch lange keine Meisterin. Ich habe noch viel zu lernen. Meister Mahaad sagt, ich werde es schaffen und auch der Prin... äh.... Pharao unterstützt mich andauernd.”

 

“Dann wirst du bestimmt eine erstklassige Zauberin. Laß dich nicht von diesem Meister Set entmutigen. Er schien ja direkt einen Streit zu suchen.”

 

“Du hast wahrscheinlich recht, Yugi. Ich muß einfach hart an mir arbeiten und noch mehr üben.” Mana ballte die Fäuste. “Ich lasse mich nicht aufhalten!” Dann stolperte sie über einen Stein und landete mit einem Schrei Hintern voraus im Gras.

Als sie schließlich eine Viertelstunde später bei den Palastheilern ankamen, hatten sie wenigstens einige Arbeit für diese.

 

***

 

“Mein werter Vetter, mußt du mich wirklich jetzt sprechen?” Atem ließ sich auf eine Liege in seinen Privatgemächern sinken und legte einen Arm über seine müden Augen. “Es ist Mittag und ich sehne mich nach einer Ruhepause.”

 

“Ich würde dich nicht davon abhalten, großer Pharao, wenn es nicht wichtig wäre.” Set klang so zufrieden wie das Schnurren einer Katze, die eben eine dicke Maus gefangen hatte.

 

Atem machte eine auffordernde Geste und verkniff sich ein Seufzen. Je schneller Set zum Punkt kam, desto schneller konnte Atem speisen und sich dann zur Ruhe legen. Zu seinem Glück war Set kein Mann für unnützes Geschwätz.

 

“Ich habe eine interessante Spur gefunden, vielleicht sogar einen Bestienzähmer.”

 

Atem ließ den Arm sinken und er drehte den Kopf zu Set. “Weiter?”

 

“Siamuns Enkelsohn. Ich bin ihm heute in den Gärten begegnet. Vielleicht erinnerst du dich, Atem, sein Großvater war früher der Träger des Millenniumsschlüssels.”

 

“Ja, ich erinnere mich.”

 

“Außerdem habe ich mir den Stammbaum der Familie nochmal angesehen. Amunhotep, Siamuns Sohn, war ebenfalls ein Bestienzähmer und einer der besten Generäle deines Vaters, des Osiris-Pharaos Akhnamkanon.”

 

“Das wußte ich nicht.” Atem stemmte sich hoch. Eine steile Falte war auf seiner Stirn erschienen. “Dann müßte Yugis Blut stark genug sein, um eine Bestie zu beschwören.”

 

Set verneigte sich leicht. “Es ist jedenfalls wahrscheinlich. Mit zwei direkten Vorfahren mit dieser Fähigkeit ist Yugi nach deiner katastrophalen Freundin Mana unser bester Kandidat.”

 

“Set, laß Mana aus dem Spiel.”

 

“Ah, sie hat Yugi wohl umgeworfen und dann hat sie geschrien wie von Sinnen. Ich mußte mir dieses entwürdigende Schauspiel auch noch ansehen.” Set schüttelte den Kopf. “Sie richtet Schaden an, wo sie geht und steht.”

 

Atem rieb sich über die Stirn. “Trotzdem ist Mana nicht der Fokus dieses Gesprächs, gleich wie oft du noch versuchen willst, mich bezüglich ihrer Fähigkeiten umzustimmen.”

 

Set verneigte sich diesmal tiefer. “Soll ich Siamun auf das Potential seines Enkels ansprechen?”

 

“Potential ist gut und schön, aber ich will einen Beweis. Ich werde selbst mit Yugi sprechen. Noch hält er mich ja für eine Wache...” Atem lächelte, während in seinen Gedanken ein Plan Gestalt annahm.

 

“Bitte, Lebender Horus?” Sets Miene bewölkte sich.

 

“Ach, ich habe nur laut gedacht. Überlaß die nächsten Schritte mir und suche mir derweil ein paar mehr Kandidaten aus.” Atem runzelte die Stirn. “Und laß mir alles über Yugis Vater bringen, was wir an Aufzeichnungen haben.”

 

“Sehr wohl.” Nach einer letzten Verbeugung zog Set sich zurück und Atem konnte endlich seiner wohlverdienten Mittagsruhe frönen.

 

***

 

“Brauchst du wirklich keine Hilfe?”

 

Yugi schüttelte den Kopf. “Ich gehe doch nur baden und das sind nur ein paar Kratzer, Großvater. Ich komme schon zurecht.” Er gähnte leise.

 

“Wenn du meinst. Du wirkst nur etwas angestrengt auf mich, Yugi.”

 

“Es war ein langer Tag, aber auch ein sehr schöner. Mana hat mir viel gezeigt, nachdem mich die Heiler verarztet haben. Die Palastküche, die Gärten, die Schreine von Horus und Hathor, den Säulengang mit den Namen aller Pharaonen, die vor uns kamen...” Yugi lächelte versonnen. Mana hatte ihn mit ihrer Aufregung angesteckt. Auch nach dem Mittagsmahl hatten sie ihren Rundgang fortgesetzt.

 

“Mana ist ein nettes Mädchen.” Großvater schmunzelte. “Na, dann geh mal baden. Ich werde mich derweil etwas ausruhen.”

 

“Das solltest du. Du siehst nämlich auch angestrengt aus.” Yugi schenkte seinem Großvater noch ein liebes Lächeln, dann verließ er das Haus. Dieselbe Dienerin wie gestern Abend folgte ihm und erneut machte sie ein unwirsches Gesicht, als Yugi sie fortschickte. Wirklich, er war alt genug, sich allein zu waschen! War das wirklich so schwer zu verstehen? Kopfschüttelnd löste er seinen Schurz, dann ging er mit dem Sodastein in einer Hand in das gefüllte Becken. Yugi schloß die Augen und lehnte sich gegen die Beckenwand. Das Wasser war angenehm warm und lockerte seine Muskeln. Seine Hände und Knie brannten ein bißchen, aber das würde vergehen. Yugi machte ein zufriedenes Geräusch. Was für ein wundervoller Tag! Und dabei hatte er noch nicht mal den Palast verlassen und sich Waset erlebt. Er konnte es kaum erwarten, sich die Stadt der hundert Tore und tausend Möglichkeiten anzusehen.

 

“Guten Abend, Yugi.”

 

Die angenehme Männerstimme legte sich wie eine warme Decke um Yugi, der blinzelnd die Augen öffnete. Als er sich umdrehte, entdeckte er die Wache von gestern Abend.

 

“Oh, guten Abend.” Yugi schüttelte sich leicht, um die warmen Finger des Schlafes abzuschütteln. Diesmal würde er achtsamer sein. “Hast du immer um diese Zeit Dienst?”

 

“Um der Wahrheit die Ehre zu geben, mein Dienst ist gerade zuende. Ich wollte aber noch nachsehen, ob hier alles in Ordnung ist. Immerhin könnte es sein, daß der Enkel des Wesirs in die Klauen von Räubern und Entführern geraten ist.” Der Tonfall des Soldaten war leicht und sein Lächeln breit.

 

Yugi wog den Sodastein in der Hand. “Oh, ich kann mich verteidigen. Aber wie du siehst ist hier niemand außer uns beiden. Der einzige, der mich berauben und entführen könnte, wärst also du.”

 

Die Wache setzte sich auf den Beckenrand und ließ die bloßen Füße ins Wasser baumeln. “Ich bin verletzt, daß du mich solcher Untaten für fähig hältst.” Das Lächeln aber blieb.

 

Yugi hob den vielleicht faustgroßen Sodastein. “Apropos Verletzungen: Könntest du diesem hier schnell genug ausweichen?”

 

Der andere Mann lachte. “Du scheinst dein Mißtrauen gefunden zu haben.”

 

“Sagen wir, ich war gestern unvorsichtiger als es gut für mich war, aber ich lerne schnell wie du siehst.”

 

“Nun, dann werde ich dich in Zukunft nicht mehr unterschätzen, Yugi. Was kann ich tun, um dich meiner guten Absichten zu versichern?” Der Soldat fuhr sich durch sein wirres Haar, dann beugte er sich in Yugis Richtung.

 

“Dein Name wäre für den Anfang nicht schlecht. Ich kann dich ja nicht nur mit “du da” ansprechen.”

 

Der Soldat nickte. “Mein Name ist Atem.”

 

“Atem also.” Yugi nickte lächelnd. “Hast du immer hier im Palast Dienst?”

 

“Oft, aber ich gehe, wohin ich gebraucht werde.” Atem bewegte seine Beine im Wasser; es plätscherte.

 

“Es ist sicher kein Spaß, oft herumgeschickt zu werden.” Yugi lehnte sich neben Atem an den Beckenrand, den Sodastein legte er auf den Boden aus weißen Steinplatten.

 

“Aber notwendig.”

 

Yugi nickte. “Ich weiß. Mein Vater war früher Soldat und später General.”

 

“Ich habe von ihm gehört. Schon komisch, so plötzlich um die Entlassung zu bitten, nicht wahr?” Atem hob die Füße aus dem Wasser und umarmte dann seine Beine.

 

Yugi zuckte mit den Schultern. “Vielleicht weil ich sein einziges Kind war und er mich aufwachsen sehen wollte.”

 

“Vielleicht wollte er dich auch immer beschützen”, schlug Atem vor. Nach einem Moment stand er auf und ließ sein Schwert und seinen Schurz auf den Boden sinken, dann glitt er in das Wasser neben Yugi.

 

Der beobachtete ihn überrascht. “Kann sein.”

 

Atem war Yugis Reaktion nicht entgangen, also fragte er: “Es stört dich doch nicht, daß ich auch hier bade, oder?”

 

“Nicht direkt. Ich wundere mich nur. Die Diener meines Großvaters empfinden mein Verhalten so schon als seltsam, ich bin mir nicht sicher, was sie davon halten würden, daß ich mit einem Soldaten das Becken teile.” Yugi holte den Sodastein wieder ins Wasser, damit sie sich waschen konnten. Und so hatte Yugi zur Sicherheit immer eine Waffe zur Hand.

 

Atem warf einen Blick auf Yugis Hand, lächelte und zuckte die Achseln. “Sie würden wohl denken, daß du wahrhaftig ein hoffnungsloser Fall bist. Oder eine interessante Geschichte um uns beide spinnen. Daß ich dich verführen will, um so an deinen Großvater heranzukommen und ihn dann heimtückisch von hinten zu erschlagen. Oder wäre erstechen dramatischer?”

 

“Wie dramatisch wäre ein Sodastein in deinem Gesicht?”

 

“Sehr dramatisch.”

 

Yugi starrte Atem an, dann fing er an zu lachen. Er prustete und auch Atem stimmte nach einem Moment mit ein. Yugi mußte aufpassen, nicht unterzugehen, so sehr schüttelte es ihn vor Lachen. Es dauerte sicher mehrere Minuten, bis ihr Gelächter abgeflaut war. Nur noch dann und wann brach sich ein Lacher Bahn.

 

“An dir ist ein Dichter verloren gegangen.”

 

Atem verneigte sich leicht. “Danke für das Kompliment. Aber bevor du wirklich noch in das gräßliche Geflecht des palasteigenen Tratsch- und Klatsch-Netzwerkes hineingezogen wirst, sollte ich mich waschen und meiner Wege gehen.” Damit tauchte er unter.

 

Yugi schüttelte schmunzelnd den Kopf und rieb sich mit dem sodahaltigen Wasser ein. Sein neuer Bekannter war wahrlich ein Unikat. Vielleicht war sein Vertrauen gestern Abend doch gerechtfertigt gewesen.

 

Da brach Atem aus dem Wasser und Yugi vergaß prompt jeden eben noch gehegten Gedanken. Wasser perlte an einem perfekten Brustkorb hinunter über einen flachen Bauch und strebte noch tiefer. Atem rieb mit langen Fingern über seine Oberarme, deren Muskeln sich dabei anspannten, dann über seine Schenkel. Wahrhaftig, Atem hatte den Körper eines Mannes, der viel Zeit in körperliche Ertüchtigung investiert hatte. Kein Gramm Fett zuviel, dafür für den Betrachter angenehme Muskeln.

Yugi tauchte etwas tiefer ins Wasser, plötzlich dankbar für das Zwielicht, das inzwischen herrschte und seine prekäre Situation verschleierte.

 

Atem warf den Kopf in den Nacken. Tropfen flogen wie kleine Juwelen aus seinem Haar. “Ah! Das tut gut...” Er beugte sich nach hinten und preßte mit beiden Händen noch mehr Wasser aus seinen Haaren.

 

“M-hm”, machte Yugi, der seiner Stimme gerade nicht traute. Er hatte gerade Mühe genug, seinen Blick nicht zu tief schweifen zu lassen, auch wenn es schwierig war.

 

Da drehte Atem sich zur Seite und starrte angestrengt in den bläulichen Himmel. “Was war das?”

 

“Was war was?” Yugi folgte Atems Blick, doch er konnte nichts sehen.

 

“Da!” Atem deutete auf einen Schemen, der sich über den Himmel bewegte.

 

Yugi runzelte die Stirn und kam zu Atem. Der Schemen war rundlich und bewegte sich ohne sichtbare Flügel durch die Luft. Bebend wich Yugi zurück. “Was ist das? Doch nicht e-ein Dämon?” Instinktiv griff er nach dem Hathor-Amulett, das ihn vor solcherlei Kreaturen beschützen sollte.

 

“Vielleicht eine Eule...” Atem klang von seinem eigenen Vorschlag nicht überzeugt.

 

Yugi starrte das Ding an, das mehrere Kreise am Himmel zog, zu weit entfernt, um irgendwelche Details erkennen zu erkönnen. Sein Magen fühlte sich wie mit kaltem Wasser gefüllt an. “Eulen haben Flügel! Wir sollten schnell einen Priester rufen und...”

 

Doch Atem hob nur die Hand. “Jetzt ist es weg.”

 

Yugi blickte diesen ungläubig an, bevor er wieder angestrengt in den Himmel sah. Doch außer ein paar Sternen konnte er nichts mehr erkennen. “Was, wenn es zurückkommt?”

 

“Der Palast ist durch die mächtigen Zauber des Pharaos und seiner besten Magier geschützt. Kein Dämon kann hier eindringen”, versicherte Atem, der sich nun zu ihm drehte. Seine Miene verlor an Schärfe, als er Yugi sah, der praktisch mit dem Rücken an der Beckenwand klebte. Atem watete zu Yugi und zog diesen einfach an seine Brust. “Du bist ja ganz kalt...”

 

“Bist du sicher?” Yugi klang seine eigene Stimme so schwach in den Ohren wie die einer Maus. “Ich habe noch nie einen Dämon gesehen. Das ist kein gutes Zeichen...” Er preßte die Augen zusammen.

 

“Vielleicht war es auch ein Gott. Einer, der nur sehen wollte, daß wir in Sicherheit sind”, wisperte Atem und rieb über Yugis schmalen Rücken.

 

“Meinst du?”

 

“Ganz bestimmt! Sorg dich nicht, Yugi. Ich spüre, du bist in Sicherheit.”

 

“Das sagt sich leicht. Doch das Leben ist voller Unabwägbarkeiten.”

 

“Ich weiß jedenfalls, daß ich dafür beten werde, daß dir nie etwas Übles widerfährt. Das verspreche ich dir.”

 

Yugi atmete langsam aus, dann ein. Atem duftete schwach nach Jasmin und Lotos. Es war beruhigend, genauso wie Atems wärmende Nähe. “Du bist sehr großzügig.”

 

Atem schüttelte seinen Kopf. “Das ist ja wohl das Mindeste. Na komm, du solltest dich abtrocknen und zu deinem Großvater zurückgehen. Er wartet sicher schon auf dich.”

 

“Bestimmt, ja.” Ein wenig widerwillig löste Yugi sich aus Atems Umarmung und stieg aus dem Becken, Atem hinter ihm. Dieser hüllte ihn dann in ein weiches Tuch ebenso wie sich selbst.

 

“Willst du mich nicht begleiten?” Yugi rieb sich derweil trocken und mehr Wärme kehrte in seinen Leib zurück.

 

Atem schüttelte den Kopf. “Man würde sich fragen, was wir allein hier draußen gemacht haben. Ich möchte dich nicht damit in Verlegenheit bringen, daß morgen alle Dienerschaft von deinem angeblichen Liebesabenteuer mit mir tratscht.” Er rieb sich trocken und zog sich seinen Schurz an, dann gürtete er sein Schwert.

 

Yugi nickte seufzend. “So hatte ich mir das Leben im Palast nicht vorgestellt.” Sein Blick wanderte wieder hinauf zu den Sternen, doch diese funkelten unschuldig, unwissend, was zwei Menschen eben noch in Schrecken versetzt hatte.

 

Atem entkam ein spöttisches Lachen, kurz und abgehackt. “Das glaube ich dir.”

 

Auch Yugi zog sich wieder an. Er verschob das Einölen bis er wieder daheim war, hinter sicheren Mauern, versehen mit Schutzzaubern. “Ich danke dir für deinen Beistand.”

 

“Oh, ich sagte ja, ich bin immer da, wo ich gebraucht werde”, sprach Atem leichthin und wrang ein letztes Mal seine nassen Haare aus. “Geh du schon mal. Ich bleibe hier und gebe dir Deckung.”

 

“Danke.” Yugi nahm seine restlichen Sachen und schenkte Atem ein ehrliches Lächeln. “Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.”

 

“Ich habe im Gefühl, daß es sehr bald sein wird”, erwiderte Atem und in seinen Augen brannte ein Versprechen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Usaria
2017-02-19T19:49:26+00:00 19.02.2017 20:49
Hallo Mondprinzessin,

Das ist war ein sehr schönes Kapitel. Da hat Yugi ja schon einiges erlebt, an seinem ersten Tag. Hmm ich bin gespannt, wie er reagieren wird, wenn er die Wahrheit erfährt. Der fällt doch vor Schreck in Ohnmacht.
Soso sein Vater war also Bestienzähmer, hmm jetzt verstehe ich auch die Sorge von Yugis Mutter. Sie befrührchtet, dass evtl. in ihrem Sohn die gleichen Fähigkeiten schlummern könnten. Hmm! Wenn ich mal so spekulieren darf. Auf jenden Fall bin ich gespannt wie´s weiter geht.
Noch einen schönen So.
Antwort von:  Moonprincess
20.02.2017 12:58
Hallo Usaria ^^

Danke für dein Lob!
Wie es mit Yugi und Atem weitergeht, das wirst du zu gegebener Zeit erfahren. ;) Ich hoffe natürlich, daß es dir dann auch gefällt.
Ja, deine Vermutung bezüglich Yugis Mutter stimmt, auch wenn die komplette Erklärung noch etwas komplexer ist. Laß dich überraschen!

Eine schöne Woche,
Moonprincess


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