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Schatten über Kemet

von

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2. Kapitel

"Jetzt sei doch nicht so stur! Wir sind doch sowieso gleich zuhause." Yugi zog ein letztes Mal an dem Strick, dann ließ er sich erschöpft auf den sandigen Weg plumpsen. Ungläubig starrte er dem Esel in die Augen. Nur das Zucken der großen Ohren und des Schwanzes verrieten, daß der Esel kein lebensgroßes Standbild war. Yugi stöhnte. "Sei doch nicht so. Ich bin auch müde. Aber wir sind doch bald wieder im Dorf." Sie befanden sich auf einem Hügel und Yugi konnte die Hütten schon von hier aus sehen.
 

Yugi nahm sein Kopftuch ab, fuhr sich durch sein feuchtes Haar und setzte das Tuch wieder auf. "Ich hole mir noch einen Sonnenstich wegen dir, Langohr." Mißmutig rappelte Yugi sich wieder auf. Es war ein langer Weg aus der nächsten, größeren Stadt gewesen. Er hatte viele der Töpferwaren seiner Mutter verkauft und nun strebte er mit den Resten und den ertauschten Waren zurück nach Hause. Nur Langohr hatte mal wieder seinen eigenen Kopf. Und Yugi wußte, zog er zu sehr am Strick, würde Langohr sich zwar in Bewegung setzen, aber höchstwahrscheinlich in einem Tempo, daß er einen guten Teil seiner Lasten verlieren würde. Yugi konnte sich das Gesicht seiner Mutter lebhaft vorstellen, müßte er ihr dergleichen beibringen. Sie hatten auch so schon genug Sorgen.

 

"Langohr, gleich sind wir in deinem Stall, da gibt es Wasser und Futter für dich. Ich nehme dir auch alle Lasten ab. Komm, bitte." Yugi kraulte Langohr zwischen den Ohren. Diese richteten sich aufmerksam auf, als hätten sie begriffen, worum es ging, dann machte Langohr einen Schritt nach vorne. Und dann noch einen!

Yugi wurde das Herz leicht und den Führstrick locker in der Hand wanderte er neben dem Esel ins Dorf.

 

Wenig später tauchte das kleine Lehmhaus seiner Mutter vor ihm auf. Rauch stieg auf, also brannte gerade eine neue Fuhre von Vasen, Schalen und Schüsseln. Yugi lächelte. "Gleich geschafft", ermunterte er Langohr und führten diesen hinter das Haus. Yugi träumte bereits von Fladenbrot und kühlem Bier und ebenso kühlem Wasser, um sich Staub und Schweiß abzuwaschen.

 

"Halt!"

 

Aufgeschreckt aus seinen Erholungsträumen starrte Yugi einen Soldaten an, dessen braune Augen ihn zu durchbohren schienen. "Ähm..."

 

"Wer bist du und was hast du hier zu suchen?"

 

Verwirrt blickte Yugi auf das Haus, dann zurück zu dem Soldaten. "Ich wohne hier", erwiderte er verdutzt.

 

Der Soldat musterte ihn eindringlich, dann grinste er. "Du bist der Sohn von Tuja?"

 

Vorsichtig nickte Yugi. "Ist alles in Ordnung?"

 

"Ja, ja, freilich. Du kannst passieren." Der Soldat trat beiseite. "Entschuldige."

 

Yugi musterte diesen kurz. Er trug einen Schendit und darüber an einem ledernen Gurt ein Krummschwert. Über seine Brust spannte sich ein lederner Schutz und an seinem rechten Arm glänzte golden ein seltsames Gerät, das Yugi noch nie zuvor gesehen hatte. "Was machst du hier?"

 

"Ich und mein Kumpel sollen nur unseren Herrn begleiten", antwortete der Soldat und blickte zu Yugis Haus. "Wir sollen hier draußen warten, während er deine Mutter besucht."

 

Leibwächter? Yugi runzelte die Stirn. Woher kannte seine Mutter Männer, die Leibwächter beschäftigen konnten? "Danke", erwiderte er abgelenkt. Danach führte er Langohr in den kleinen Stall und schnallte dem Esel zuerst seine zahlreichen Pakete ab, bevor er Langohr zur Tränke führte. Zu Yugis Erleichterung war diese bereits gefüllt und während Langohr sein Maul in das kühle Naß tauchte, trat Yugi wieder hinaus ins Freie. Er bemerkte, daß Ra sich Geb schon wieder zugeneigt hatte. Nicht mehr lange und der Sonnengott würde seine Reise durch die Unterwelt antreten. Er sah kurz zu dem Soldaten, der noch immer Wache hielt.

 

Yugi straffte seine Schultern. Antworten bekam man nur, wenn man Fragen stellte. Dann trat er ins Haus. Er streifte sein Tuch ab und hängte es an einem Haken neben der Tür auf. In der Töpferwerkstatt war es dunkel, doch Yugi hörte Stimmen von oben aus dem Wohnbereich und erklomm die steile Stiege.

 

"Es tut mir leid, aber ich habe Nachricht geschickt, sobald ich es vermochte. Daß sie erst so spät eintraf, bedrückt auch mich." Yugis Mutter, sie klang wenig erbaut.

 

"Sei es wie es sei." Eine Männerstimme, alt, müde. "Ich wollte dennoch kommen und euch beide sehen. Es ist schließlich schon eine Weile her."

 

Yugi mußte unwillkürlich lächeln. "Großvater!" Er nahm die letzten Stufen trotz seiner kurzen Beine in nur einem Satz. Wie hatte er das nur vergessen können? Aber es war wirklich schon eine Weile her, sicher drei Jahre, seit Großvater sie das letzte Mal besucht hatte.

 

Auch Yugis Großvater lächelte und schloß Yugi erstaunlich fest in die Arme. Wie immer roch er nach fremdländischen Gewürzen und sein Schmuck klirrte leise, angenehm.

 

"Yugi, du bist schon zurück?" Der Tonfall seiner Mutter war undefinierbar.

 

"Ja", murmelte Yugi und wurde dann ein Stück von seinem Großvater weggeschoben, der ihn lächelnd musterte.

 

"Du bist groß geworden. Ein richtiger Mann!"

 

Yugi lachte verlegen. Er war noch immer kleiner als sein Großvater. Dann wurde seine Miene ernst. "Es ist schade, daß du es nicht zur Beerdigung geschafft hast."

 

"In der Tat, aber nichts wird mich abhalten, meinem Sohn Brot, Fleisch und Bier zu opfern, damit er auch weiterhin genug zu essen hat." Der Großvater zauste liebevoll Yugis wirre Haare. "Er ist bestimmt sehr stolz auf dich."

 

Yugi senkte den Kopf, seine Ohren brannten, doch er lächelte. Seine Mutter räusperte sich und Yugi sah zu ihr. Sie spielte mit einer der in ihre Perücke geflochtenen Perlen, doch ihr Blick war düster. "Die Einkäufe sind noch alle im Stall. Soll ich sie reinholen?" erkundigte Yugi sich. Er wußte, wenn seine Mutter schlechte Laune hatte, gab man ihr besser keinen Grund zu einer Standpauke.

 

"Das kann warten. Aber du mußt Bier aus dem Keller holen und Fleisch auch. Ich kann deinem Großvater nicht nur Brot und Wasser vorsetzen, wenn er den langen Weg zu uns gemacht hat." Ihre Miene erhellte sich nicht.

 

Yugi blickte zu seinem Großvater, doch der schien Tujas schlechte Stimmung nicht zu bemerken. "Dann gehe ich mal", antwortete er und sein Großvater nickte ihm unauffällig zu. Sobald Yugi die Hälfte der Treppe hinabgestiegen war, hörte er seine Mutter: "Wehe, du setzt dem Jungen eine deiner unmöglichen Flausen in den Kopf, Siamun! Wesir oder nicht, er ist mein Sohn!"

 

"Er ist ein Mann, Tuja. Er kann wohl seinen eigenen Weg gehen."

 

"Verschone mich! Wir haben den Palast damals aus gutem Grund verlassen."

 

Yugi seufzte. Er kannte diese Auseinandersetzung, aber früher hatte sein Vater die beiden Streithähne immer beruhigen können. Im Erdgeschoß kletterte Yugi eine enge Leiter hinunter in den kleinen, dunklen Keller. Hier war es angenehm kühl. Früher hatte Yugi es Angst gemacht, wenn überhaupt nur Schemen zu sehen. Sein Vater hingegen hatte sogar oft hier unten gesessen. Er hatte gesagt, es half ihm, abzukühlen und sich zu konzentrieren. Yugi tastete nach einem versiegelten Krug Bier und einem kleinen Faß mit gepökeltem Fleisch. Es dauerte einen Moment, bis Yugi seine Tränen fort geblinzelt hatte, erst dann konnte er die Gefäße nach oben in die kleine Küche schaffen.

 

Seine Mutter stand bereits an der Feuerstelle, ihre zusammengezogenen Augenbrauen waren wie eine Drohung. Yugi seufzte erneut.

 

"Junge, hör damit auf."

 

"Warum bist du nur so böse? Sein einziges Kind ist gestorben. Und ich mag es nicht, wenn ihr euch streitet."

 

"Es ist eine alte Geschichte." Seine Mutter nahm ihm das Fleisch ab, um es zu braten.

 

Yugi stellte danach den Bierkrug ab und öffnete ihn vorsichtig. "Wenn sie so alt ist, wieso vergißt du sie nicht? Ich weiß, du magst Waset nicht, aber ich würde es wirklich gerne kennenlernen. Ich erinnere mich an nichts von damals."

 

"Das ist vielleicht auch besser", brummte seine Mutter und trat vom Feuer zurück. Es knisterte und langsam breitete sich ein angenehmer Geruch aus, bei dem Yugi das Wasser im Munde zusammenlief.

 

"Mama..."

 

Sie schüttelte den Kopf. "Ich weiß, ich weiß. Du bist im Mannesalter. Bring das Bier hoch, Yugi. Ich mache das hier fertig. Du siehst deinen Großvater wirklich selten."

 

Yugi lächelte und hob den Krug an. "Danke." Dennoch fragte er sich, ob seine Mutter es wirklich für Flausen hielt, sich einmal im Leben die Hauptstadt des Königreichs anzusehen. Oben angekommen fragte er seinen Großvater genau das, während er zwei Becher mit Bier füllte.

 

Großvater lachte. "Deine Mutter mag Waset nicht. Dementsprechend reagiert sie. Sei ihr nicht gram, sie sorgt sich nur um dich."

 

"Ich weiß ja. Aber sie tut so, als würde ich dort von Dämonen verschlungen, kaum daß ich eines der zahllosen Tore durchschritten habe." Yugi gab seinem Großvater einen Becher, mit dem zweiten setzte er sich auf einen Schemel. "Vielleicht sorgt sie sich, daß sie bald ganz alleine ist", überlegte Yugi laut. Sein Blick schweifte über die geweißelten Wände und die Türen, die zu den Schlafzimmern führten.

 

"Dieser Tag könnte auch so kommen." Großvater grinste schelmisch. "Sicher nimmst du bald ein liebes Mädchen zur Frau."

 

"Ich habe keine Braut, Großvater. Noch nicht jedenfalls."

 

Danach schwiegen sie eine Weile. Großvater war es, der schließlich das Schweigen brach. "Was ist passiert?" erkundigte er sich ernst. "Amunhotep hat mir doch erst vor zwei Monden einen langen Brief zukommen lassen."

 

Yugi senkte den Kopf. "Das weiß keiner genau, Großvater. Er war mit einigen anderen Männern aus dem Dorf auf der Jagd. Laut ihren Worten brach er auf dem Heimweg einfach zusammen. Sie brachten ihn heim und der Arzt kam, aber der konnte nur feststellen, daß..." Yugi biß sich auf die Unterlippe. Feuchtigkeit lief über seine Wangen. Ein gequälter Laut ließ ihn aufblicken. Großvater hatte das Gesicht in seiner freien Hand vergraben, der Becher in seiner anderen bebte.

Yugi ließ fast seinen Becher fallen, als er diesen abstellte, dann stand er auf und nahm seinen Großvater in den Arm.

 

Erst Yugis Mutter unterbrach die Stille, in der die beiden geraume Zeit gefangen waren. "Es dauert noch eine Weile, bis alles fertig ist", murmelte sie.

 

Yugis Großvater nickte und stand auf. "Ich sage meinen Männern unten Bescheid, Tuja."

 

Ihr Gesichtsausdruck war nun erstaunlich sanft. "Natürlich. Sie sollen auch nicht dursten und darben. Ich bringe ihnen gleich etwas."

Großvater stieg langsam die Treppe hinunter und Tuja wandte sich an Yugi, der schweigend und verloren im Zimmer stand. "Yugi, würde es dich wirklich glücklich machen, nach Waset zu gehen?"

 

"Ich weiß nicht, aber Großvater ist immer alleine dort. Das muß schrecklich sein", antwortete Yugi leise. "Ich möchte eine Zeit bei ihm sein."

 

Seine Mutter nickte langsam. Schmerz flackerte kurz in ihren Augen. "Dann kann ich dich wohl nicht mehr aufhalten. Siamun hat recht: Du bist ein Mann."

 

Yugi lächelte. "Danke dir. Und wer weiß, vielleicht lerne ich ja am Hof ein liebes Mädchen kennen."

 

Seine Mutter lachte trocken auf. "Dort gibt es die größten Schlangen. Sei vorsichtig, daß sie dich nicht vergiften und dich mit Haut und Haaren verschlingen."

 

"Mama, du hast doch auch damals im Palast gearbeitet, als du Papa kennengelernt hast", rief Yugi aus und mußte lachen. "Du bist doch keine Schlange."

 

"Ich sagte nicht, daß alle Schlangen sind, aber leider sehr viele." Sie seufzte. "Laß dich nicht blenden und von Tand verführen. Bleib den Politikern fern, sie sind genauso schlimm wie die Frauen, die Männer zu ihrem Vorteil benutzen. Wir haben dich zur Wachsamkeit erzogen, Yugi, bitte beweise uns, daß es nicht vergeblich war."

 

"Ich werde euch nicht enttäuschen", versprach Yugi und nahm seine Mutter in den Arm.

 

***

 

"Sollte Siamun nicht hier sein?" Die dunkelblauen Augen des hochgewachsenen Priesters, der mitten in Atems Empfangszimmer stand, vermittelten den Unmut so klar wie die Worte.

 

Atem schloß seine eigenen Augen und ließ die ätzende Stimme seines Vetters über sich hinwegrollen. Er atmete durch, bevor er erwiderte: "Ein familiärer Notfall, Set. Er wird bald wieder zurück sein. So oder so müßte ich mich an dich wenden."

Als er die Augen wieder öffnete, verneigte Set sich kurz. Atem nahm die stille Entschuldigung an und fuhr fort: "Hast du schon weitere Kandidaten für unser Übungsprogramm gefunden?"

 

Set nickte. "Leider aber nicht genug. Neben diesen Tölpeln, die Siamun als seine Leibwächter bezeichnet, paßt nur noch Mana in das Profil. Sie ist aber zu sehr damit beschäftigt, ihre unvollkommene Zauberkunst zu vervollkommnen. Ein Unterfangen, dem ich weniger zuversichtlich gegenüberstehe als Meister Mahaad."

 

"Natürlich", erwiderte Atem ruhig und lehnte sich auf seinem aus Zedernholz geschnitzten Stuhl zurück. "Dein Unterfangen hingegen genießt dein eigenes Wohlwollen sicher mehr."

 

Sets Lippen wurden ein schmaler Strich. "Mein Pharao", preßte er hervor, "mir liegt nur dein Schutz am Herzen. Ich muß befürchten, daß Meister Mahaad diesen vernachlässigt zugunsten dieses Mädchens."

 

"Mahaad tut seinen Teil. Überlaß es mir, ihn anzutreiben, sollte der mir nicht genügen." Atem strich sich durch sein Haar. Die Animosität zwischen Mahaad und Set war am ganzen Hofe wohlbekannt. Atem schätzte beide als seine engsten Vertrauten und früher hatte er noch versucht, den einen vor dem anderen zu verteidigen. Inzwischen war er, um seine Nerven zu schonen, dazu übergegangen, nicht mehr jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und nur noch einzugreifen, sollte er darum gebeten werden. Bisher hatten weder Mahaad noch Set von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. "Zurück zu unserem derzeitigen Problem. Wie können wir mehr Bestienzähmer aufspüren?"

 

"Die Millenniumsgegenstände reagieren zwar auf die Bestien, die in den Herzen der Menschen leben, aber leider nicht auf die Menschen, die sie beschwören und befehligen können. Meine Versuche diesbezüglich sind fehlgeschlagen." Sets Augen verengten sich.

 

Atem wußte, daß seinem Vetter Niederlagen abhold waren. Vor einem anderen würde er sie niemals zugeben. "Hm, es war einen Versuch wert."

 

"Aber ich habe auch einen anderen Ansatz verfolgt."

Atem hob überrascht die Augenbrauen, während Set wie ein Schakal lächelte.

"Meine Studien ergaben, daß die Fähigkeit in gewissen Blutlinien gehäuft auftritt. Ich habe Kundschafter ausgesandt, um Abkömmlinge dieser Linien aufzuspüren."

 

Atem lächelte. "Das wird uns sicher weiterbringen. Benachrichtige mich sofort, wenn du Neuigkeiten hast."

 

Set verneigte sich. "Leben, Glück, Gesundheit, mein Pharao."

 

Atem nickte wohlwollend zum Abschied, dann aber fiel ihm noch etwas ein. "Und nimm dir heute ein paar Stunden frei. Mokuba vermißt dich, wenn du mich fragst."

Ein steifes Nicken war Atems einzige Antwort.

 

Atem ließ seinen Kopf nach hinten sinken und starrte an die Decke, die mit Lotosblüten und Vögeln bemalt war. Sie brauchten mehr Bestienzähmer. So schnell wie möglich! Set wußte noch nichts von Atems beklemmenden Träumen und vorerst wollte Atem es auch dabei belassen. Set forderte für alles einen Beweis und Atem konnte noch keinen erbringen.

 

Noch. Atem war sich nicht sicher, ob dieses Wörtchen ihn beruhigen oder beunruhigen sollte. Am liebsten wäre es ihm, er fände heraus, daß seine düsteren Visionen nicht mehr als das Ergebnis von zuviel Wein und zu wenig Ruhe wären. Er lächelte müde. Wenn es doch nur so einfach wäre...

Er vermisste Siamun an seiner Seite. Der Wesir hatte schon Atems Vater, dem ehrwürdigen Osiris-Pharao Aknamkanon, zur Seite gestanden und war früher sogar der Hüter des Millenniumsschlüssels gewesen. Siamuns Rat war Atem wertvoller als Gold und Juwelen. Ohne diesen hätte er sicher so manche falsche Entscheidung getroffen. Es gab genug, die glaubten, der Pharao alleine würde alles entscheiden, aber eines hatte Atem von seinem Vater mit Sicherheit gelernt: Niemand war unfehlbar, auch der Pharao nicht.

 

Atem öffnete die Augen, als er das ungestüme Patschen kleiner Füße auf dem steinernen Boden hörte. Sein Lächeln wurde warm, als er sich aufrichtete und seine Arme nach den drei kleinen, nackten Gestalten ausstreckte, die lachend und quietschend hineinliefen. "Meine liebsten Schätze", rief er ebenfalls lachend und drückte seine drei ältesten Töchter an sich. "Tanafriti, Nubiti, Metit, wart ihr auch alle brav heute?"

Natürlich bejahten alle drei diese Frage lächelnd mit großen Augen. Atem schmunzelte. "Wollen wir dann baden gehen?"

 

"Au ja!" rief Metit und legte beide Arme um den Hals ihres Vaters. Ihre Schwestern klammerten sich an seine Beine.

 

Atem mußte lachen und sah zu den Kindermädchen seiner Töchter, die mit gesenkten Köpfen an der Tür standen. "Also gehen wir baden." Er erhob sich stöhnend, während er Metit festhielt. "Aber loslassen müßt ihr mich, sonst komme ich nicht von der Stelle." Unter Lachen wurde er freigegeben.

 

Ein Weilchen später saß Atem mit seinen Töchtern im warmen Wasser ihres liebsten Beckens draußen in den Gärten. An jeder Ecke des quadratischen Beckens ragte eine weiße Säule in den Himmel, deren Enden kunstvoll zu Blüten gehauen worden waren. Durch ein Rohr konnte Wasser in das Becken fließen und danach kam das herrliche Naß den Palastgärten zugute. Atem wußte, daß die Leibwächter und die Kindermädchen nur wenige Meter von ihnen entfernt waren, um immer sofort eingreifen zu können. Die Büsche um das Becken ließen aber bei den Kindern die Illusion entstehen, sie seien ganz alleine mit ihrem Vater. Und genau das wollte Atem.

 

Metit und Nubiti paddelten und planschten um die Wette, prustend und mit geröteten Wangen. Beide waren schon gute Schwimmerinnen mit ihren vier Jahren. Tanafriti hingegen mit ihren drei Jahren klammerte sich noch bevorzugt an ihren Vater oder saß auf der kleinen, in das Becken gehauenen, Bank aus Stein.

 

Gerade aber paddelte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen auf Atem zu, der sich weiter in das Becken begeben hatte. "Na komm, Tana! Du hast es gleich geschafft!" rief er ihr lächelnd zu. Immer wieder wich er ein Stückchen zurück. Tanafriti prustete wie ein Nilpferdjunges, dann schoß sie plötzlich nach vorne und hielt sich an Atems Oberarmen fest.

 

"Du hast gesagt, nur bis zur Hüfte, Papa", maulte sie und starrte auf Atems Brust.

 

"Ja, aber du warst heute so gut. Da dachte ich, du schaffst etwas mehr."

 

"Ich war gut?" Tanafritis Miene erhellte sich.

 

"Aber ja! Bald nimmst du es mit deinen Schwestern auf. Wir müssen nur fleißig weiter üben."

 

Tanafritis violette Augen blickten stolz in das Gesicht ihres Vaters. "Ja, morgen wieder."

 

Atem lachte und brachte sie zurück zur Bank. Danach fischte er Metit aus dem Wasser und rubbelte ihr unter lautem Quietschen und Lachen ihrerseits Bauch und Rücken blitzblank. Natürlich hätte er eins der Kindermädchen dafür rufen können, aber seine Zeit mit seinen Kindern war knapp bemessen. So tat er alles, um sie bis auf die letzte Sekunde zu genießen und seine Kinder für sich zu haben.

 

"Papa, zeigst du uns wieder dein Monster?" fragte Nubiti aufgeregt, als sie sich zu Tanafriti setzte.

 

"Oh ja!" stimmte diese ein. "Flauschball!"

 

Atem setzte Metit zu ihren Schwestern. "Heute nicht, ihr drei, euer Papa ist müde."

 

"Ach, bitteee!" Metit blickte ihn mit großen Augen an.

 

Ihrem Blick allein, so jedenfalls sagte Atem es sich, hätte er mit Leichtigkeit widerstehen können. Unglücklicherweise waren seine anderen zwei Großen ebenfalls in dieser Kunst bewandert. Atem verfluchte seine Schwäche, als er sich hören sagte: "Na gut! Aber nur kurz."

Er konzentrierte sich mit geschlossenen Augen auf sein Ka, goldene Energie tanzte hinter seinen Augenlidern. Atem spürte das altbekannte Ziehen in seiner Brust und atmete aus.

 

"Kuri!"

 

Lächelnd öffnete er die Augen und das Erste, was er sah, war seine Ka-Bestie Kuriboh, der vor ihm in der Luft schwebte und ihn aufmerksam musterte. "Deine Freundinnen haben dich vermisst", erklärte Atem einfach und lehnte sich an den Beckenrand.

 

Kleine, aufgeregte Hände streckten sich nach Kuriboh und streichelten durch das braune Fell. Kuriboh machte einen fröhlichen Laut und ließ sich bei den Kindern nieder, die ihn glücklich drückten.

 

Atem lachte leise. Ob seine Töchter schon verstanden hatten, daß Kuriboh ein Teil seiner Selbst war? Er war sich da nicht so sicher. Aber solange sie Spaß hatten, hatte er ihn auch. Kuriboh wurde wie immer ordentlich verwöhnt, dann kugelte er einfach ins Wasser, paddelte mit seinen grünen Pfoten und bespritzte die quietschenden Mädchen mit Wasser. Es kam natürlich wie es kommen mußte: Sie spritzten zurück, erwischten auch Atem und der ließ sich das nun wirklich nicht ohne Gegenwehr gefallen. So war innerhalb kurzer Zeit die schönste Wasserschlacht im Gange, die erst ihr Ende fand, als Atem merkte, daß seine Kräfte schwanden. Kuriboh löste sich auf und Atem scheuchte seine schmollenden Töchter aus dem Becken, um sie danach gründlich trockenzureiben. Er hatte sich selbst gerade abgetrocknet und seinen Schurz wieder umgelegt, als ein Diener mit gesenktem Kopf aus den Büschen kam.

 

“Was gibt es?” erkundigte Atem sich.

 

“Lebender Horus, der Herr Wesir Siamun ist soeben zurückgekehrt.”

 

Atem fühlte, als würde sich eine schwere Last von seinen Schultern heben. “Sag ihm, ich will ihn morgen gleich nach dem Frühstück sprechen.”

 

Der Diener verneigte sich noch tiefer. “Sehr wohl, oh großmächtiger Herr Kemets.” Langsam zog der Diener sich zurück, immer den Kopf in Richtung Atems und immer den linken Fuß vorangestellt.

 

Atem atmete tief durch, dann hob er Tanafriti auf seine Arme. “Kommt, es wird Zeit für das Abendessen und dann werdet ihr brav zu Bett gehen und euren Müttern keinen Kummer bereiten.”

 

“Ja, Papa”, antworteten die Mädchen im Chor und Atem lächelte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Zebran20121
2017-02-02T08:02:56+00:00 02.02.2017 09:02
Morgen,

auch das Zweite Kapitel ist gut geworden. Ich finde seine Mutter ist eine sehr willensstarke Person, die lässt sich wohl nicht so leicht unterkriegen. Ich bin in Geschichte etwas eingerostet, kannste mir sagen ob es Wesat wirklich gab oder nur ausgedacht ist? Soviel ich noch weiß gab es keine wirklich Hauptstadt, da wo der Pharao war war der Wichtigste punkt im ganzen land. und wenn es mal ne Hauptstadt gab dann wäre es vermutlich Alexandria. Bin mir aber wie gesagt nicht so sicher ob ich hier nicht grade alles durcheinander bringe. Das Zweite Kapitel kam ja flott, meinste du kannst das Tempo halten oder haste grad einfach Schaffenskraft mit löffeln gefuttert?. Ich bin auf das nächste Kapitel gespannt, dort werden sich Yugi und Atem das erste mal begegnen.

LG Zebran
Antwort von:  Moonprincess
12.02.2017 14:23
Hallo ^^

Dankeschön! Und ja, Yugis Mutter sollte man nicht unterschätzen.

Es stimmt natürlich, daß es damals keine Hauptstadt im heutigen Sinne gab, aber gewöhnlich war die Stadt die Wichtigste, in der der Pharao residierte. Waset ist der altägyptische Name für Theben, das heutige Luxor, das für viele Pharaonen der Sitz war und eines der wichtigsten religiösen Zentren.

Im Großen und Ganzen bin ich mit der Fanfic fertig, von daher hoffe ich natürlich, ein hohes Tempo halten zu können. Das nächste Kapitel ist übrigens schon on. ^^

Liebe Grüße,
Moonprincess


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