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DigiRonpa

Mut. Freundschaft. Liebe. Wissen. Ehrlichkeit. Zuverlässigkeit. Licht. Hoffnung ... Verzweiflung.
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Bevor es losgeht, muss ich noch etwas loswerden: Es hat mich riesig gefreut, dass es zu dem letzten Kapitel so viele Rückmeldungen gab und dass ihr so viel mitgerätselt habt. Ehrlich, damit habe ich gar nicht gerechnet. Also an dieser Stelle nochmal ein Dank an alle, die mich an ihren Überlegungen haben teilhaben lassen :)
... und jetzt hoffe ich, dass die Auflösung euren Erwartungen auch gerecht wird xD Here we go! Komplett anzeigen

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Fall 01: Klassenprozess

Die große Fertigungshalle hatte sich verändert. Es fuhren immer noch nutzlos aussehende Teile auf Förderbändern herum, wurden um noch nutzlosere Teile angereichert und später wieder zerlegt. Zwischen den Förderbändern jedoch war ein Kreis aus Metallkonstruktionen aufgestellt worden – jene klassischen, kleinen Buchten, in denen man normalerweise die Angeklagten eines Gerichts vermutet. Sie waren zueinander gerichtet, am Boden festgeschraubt und besaßen Namensplättchen. Wenn sie hier ihre Plätze einnahmen, würden sie alle einander in die Augen blicken können. Zweifellos war das der Ort, an dem Monokuma sich eine Art Showdown erwartete. Eine der Buchten war bereits besetzt – von einem Ständer mit einem Bild von Soras Gesicht.

Der sprechende Bär saß auf einem weich gepolsterten, metallenen Suhl und schien so etwas wie die Aufsicht über den Prozess zu haben. Nach und nach teilte sich die Gruppe – nicht ohne sichtbares bis verbales Widerstreben – auf die ihnen zugewiesenen Plätze auf. Mimi betrachtete unwohl den Hebel, der an der Lehne der Metallbrüstung angebracht war. Die zwei Richtungen, in die man ihn bewegen konnte, waren mit Schuldig und Nicht schuldig beschriftet.

„Also, also“, begann Monokuma gut gelaunt, als alle auf ihren Plätzen standen. „Der erste Klassenprozess kann starten! Beginnen wir mit einer kurzen Erklärung: Während des Prozesses versucht ihr herauszufinden, wer von euch das Opfer, Sora Takenouchi, getötet hat. Wenn ihr zu einem Entschluss gelangt seid, wird für diese Person abgestimmt. Dazu bewegt ihr den Hebel vor euch. Wenn ihr per Mehrheitsbeschluss den tatsächlichen Täter oder die Täterin angeklagt habt, wird er oder sie allein bestraft. Aber wenn ihr jemanden anklagt, der in Wahrheit unschuldig ist, wird jeder außer dem oder der Schuldigen bestraft, und der oder die Schuldige darf die Insel verlassen.“

„Eine Frage.“ Jou hob die Hand. „Du sagst immer bestrafen – was genau ist das für eine Bestrafung?“

„Puhuhuhu“, kicherte Monokuma in seine Tatzen. „Was wohl? Es ist natürlich eine öffentliche Hinrichtung!“

Die Stille war wie ein Donnerschlag. Mimi war versucht, sich einfach zu Boden sinken zu lassen und aufzugeben. Natürlich, was hatte sie erwartet? War sie tatsächlich so naiv gewesen, das alles für ein harmloses Spiel zu halten, selbst nachdem Sora gestorben war?

„Also dann, fangt an“, sagte Monokuma eifrig.

„A-also“, machte Koushiro und man hörte, wie trocken seine Kehle war. „Wir sollten vielleicht damit beginnen, wie …“

„Stopp“, sagte Mimi. „Wir müssen gar nicht beginnen. Das alles ist doch wohl ein schlechter Witz! Wir boykottieren das Gericht einfach – genau, das machen wir! Monokuma will, dass wir unsere Freunde verraten und verdächtigen und … er will noch jemanden hinrichten! Reicht es nicht, dass Sora gestorben ist? Ich will nicht!“

„Mimi …“, murmelte Miyako entgeistert.

„Nein! Ich hab‘s einfach satt! Wir werden hier auf eine einsame Insel oder was auch immer verschleppt, müssen tagelang durch die Wildnis marschieren und kaum haben wir ein Dach über dem Kopf, geschieht ein Mord? Das ist doch vollkommen hirnrissig!“

„Wir sind eben nicht alle lauter heitere Freunde, Mimi“, sagte Wallace ruhig. „Wir kennen uns erst ein paar Tage. Und irgendjemand hier scheint wirklich ein Mörder zu sein.“

„Aber wir haben doch gesagt … Also … Was, wenn das alles nur eine Farce von Monokuma ist?“, wagte Jou zu fragen.

„Puhuhuhu, natürlich nicht“, warf der Bär ein. „Der Mord ist natürlich echt und der Mörder ist unter euch. Sonst würde das hier ja weder Spaß noch Sinn machen.“

„Spaß“, schnaubte Yamato. „Ich bin raus. Diskutiert das ohne mich, wenn ihr unbedingt wollt.“

Er machte Anstalten, aus dem Kreis zu treten, als ein mechanisch-hydraulisches Geräusch laut wurde. Andromon trat aus einer finsteren Ecke der Halle. Seine Brustklappen waren geöffnet, seine Augen glühten unheilvoll. Die schwarze Spirale um sein Bein wirkte wie eine fette, glänzende Schlange.

„Keiner verlässt den Saal, ehe nicht ein Schuldiger bestimmt wurde“, sagte Monokuma bestimmt. „Wenn, dann nur in Stückchen. Puhuhuhu.“

„Verdammt, mir reicht’s“, knurrte Taichi. „Bringen wir es schon hinter uns.“

Mimi nagte an ihrer Unterlippe. Sie hatte absolut keine Lust dazu. Sie hatte keine Lust auf überhaupt alles, was hier geschah. „Warum nur?“, stöhnte sie. „Warum muss mir das passieren?“

„Reiß dich endlich mal zusammen“, brummte Daisuke. „Blöde Kuh. Wir versuchen hier Soras Mörder zu finden und ihn zur Rechenschaft zu ziehen!“

„Ich will aber niemanden zur Rechenschaft ziehen!“

Daisuke stöhnte auf. „Also echt …“

„Lass sie“, sagte Taichi. „Fangen wir einfach an.“ Er nickte Koushiro zu, der während Mimis Tirade den Mund gehalten hatte.

 

Koushiro räusperte sich. Jetzt galt es, sich zu konzentrieren. „Ja, also ... gehen wir noch mal durch, was geschehen ist. Der Mord fand um vier Uhr statt. Was genau ist passiert?“

„Ist doch ganz klar“, brummte Yamato. „Irgendein hinterhältiges Arschloch hat Sora überfallen, bewusstlos geschlagen und dann aufgehängt.“

„Hä?“, machte Miyako. „Ich dachte, sie wäre auf einem Stuhl gestanden, der dann umgeworfen wurde?“

Koushiro stutzte. Sie waren erst bei der ersten Frage und schon gab es unterschiedliche Ansichten, was die Antwort sein könnte.

„Willst du etwa auch behaupten, sie hätte Selbstmord begangen?“, fragte Yamato verächtlich.

„Das halte ich auch für unwahrscheinlich“, sagte Wallace. „Immerhin war Sora gefesselt und geknebelt. Wenn sie sich selbst umbringen wollte, hätte sie das nicht tun müssen – abgesehen davon, dass es wohl ziemlich schwierig ist, sich selbst so die Hände hinter den Rücken zu binden.“

„Vergesst nicht das EKG“, warf Iori ein. „Damit muss es doch wohl irgendeine Bewandtnis haben.“

„Lasst mich doch einfach ausreden“, sagte Miyako gereizt. „Nein, ich glaube auch nicht, dass es Selbstmord war. Aber kann es nicht sein, dass sie jemand auf den Stuhl hat steigen lassen und den dann umgetreten hat? Damit es zumindest auf den ersten Blick aussieht wie Selbstmord? Immerhin lag der Stuhl am Boden rum.“

„Verstehe“, murmelte Wallace. „Du meinst also, jemand hat sie gezwungen, da raufzusteigen, nachdem er sie gefesselt hat. Das ergibt natürlich mehr Sinn. Wenn jemand in der Lage ist, sie so zu fesseln und zu knebeln, hatte sie wohl kaum die Chance, sich zu widersetzen.“

„Genau!“, bekräftigte Miyako eifrig. „Und dann hat dieser Jemand den Stuhl weggetreten und sie damit erhängt. So muss es gewesen sein.“

„Wartet“, sagte plötzlich Takeru. Die Augen aller wandten sich ihm zu. „Etwas spricht gegen diese Theorie.“

„Da bin ich ja mal gespannt“, sagte Wallace gedehnt, der nicht erfreut schien, dass ihm und Miyako jemand gegen den Mund redete.

„Erst mal, warum sollte jemand Sora überhaupt erhängen wollen, wenn er sie doch schon gefesselt und geknebelt hat? Er könnte sie ganz einfach erwürgen oder anderweitig umbringen.“

„Um den Anschein eines Selbstmords zu erwecken, natürlich“, beharrte Miyako.

„Zweitens“, fuhr Takeru fort, „steht im Monokuma-File, dass Sora erstickt ist, richtig? Das heiß, jemand hat etwas gemacht, weswegen sie keine Luft mehr bekommen hat, bis sie gestorben ist.“

Mimi murmelte etwas von wegen, wie sie nur so über Sora und ihren Tod reden konnten. Koushiro konnte ihre Gefühle gut nachvollziehen, aber es ging hier um ihr aller Leben – und darum, die Wahrheit hinter diesem Mord aufzudecken!

„Ich weiß schon, was du meinst“, griff Yamato Takerus Einwand auf. „Es sieht zwar so aus, als wäre sie nach allen Regeln der Kunst erhängt worden, aber genau so war es eben nicht. Wenn jemand erhängt wird, stirbt er normalerweise, weil sein Genick unter seinem Körpergewicht bricht.“

„Echt? Das wusste ich nicht“, murmelte Daisuke.

„Das ist auch nur dann so, wenn … der Henker weiß, was er tut“, sagte Iori.

„Wie auch immer. Ich bleibe dabei, wenn Sora richtig erhängt worden wäre, wäre die Todesursache eine andere“, sagte Takeru. „Vielleicht hätten wir einen Genickbruch auch von außen gesehen … keine Ahnung, ehrlich gesagt, wie so etwas aussieht.“

Mimis Murren wurde lauter.

„Das ist doch einerlei“, meine Wallace. „Vielleicht wäre ihr Genick gebrochen, wenn sie richtig gehängt worden wäre, gut. Aber keiner hat gesagt, dass der Mörder sich dabei so gut auskennt, dass er das ohne Fehler inszenieren könnte. Ich bin mir ziemlich sicher, selbst wenn man ihr den Stuhl unter den Füßen wegtritt: Wenn der Mörder sie vorher nicht richtig platziert oder das Seil – in unserem Fall, die Laken – nicht ordentlich geknüpft hat, stirbt sie vielleicht wirklich nicht an Genickbruch, sondern an Ersticken.“

„Lassen wir das fürs Erste“, beschloss Koushiro. „Überlegen wir lieber, wer es gewesen sein könnte.“

„Na toll. Wird immer besser“, brummte Mimi.

„Wir haben ja ein ziemlich gutes Beweismittel“, sagte Yamato. „Die Kamera von Ken und Daisuke. Koushiro, kannst du uns nochmal eine Zusammenfassung davon geben, was für Bilder darauf waren und wann sie in etwa geschossen wurden?“

„Sekunde.“ Koushiro nahm seinen Laptop in die Hände und sah seine Aufzeichnungen durch. „Ken hat die Kamera nach eigenen Angaben um halb zwei Uhr aufgestellt und um halb vier für eine halbe Stunde wieder in sein Zimmer geholt, um sie zu testen und den Akku aufzuladen. Zu der Zeit war noch kein Bild darauf. Das heißt, niemand ist zwischen halb zwei und halb vier den Flur entlang gegangen. Um vier Uhr hat Ken sie wieder vor die Tür gestellt. Das war ungefähr der Zeitpunkt, an dem Sora ermordet wurde – vielleicht sogar kurz vorher.“

„Zu der Zeit war Sora also schon in der Kantine“, sagte Takeru. „Das bedeutet, sie muss in der Zeit dorthin gegangen sein, als die Kamera gerade nicht aufgestellt war.“

„Tut mir leid“, murmelte Ken. „Wenn ich nur nicht verschlafen hätte, die Kamera hinzustellen, dann hätte ich sie früher wieder aufladen können und wir hätten Sora damit vielleicht erwischt …“

„Mach dir keine Vorwürfe“, sagte Takeru. „Selbst wenn sie sie fotografiert hätte, wie sie in die Kantine geht, den Mord hättest du damit auch nicht verhindern können.“

Ken seufzte nur unglücklich.

„Wartet mal, was haben wir da vorher diskutiert?“, warf plötzlich Miyako ein. „Dass der Mörder nicht an den Tatort gelangen konnte, weil er nicht auf den Fotos drauf ist? Das ist doch eigentlich völlig klar! Der Mörder ist auch in dieser halben Stunde daran vorbeigegangen, in der die Kamera in Kens und Daisukes Zimmer war. Genau wie Sora selbst!“

„Du verwechselst da was“, sagte Yamato. „Es ging nicht darum, wie der Mörder zum Tatort gekommen ist, sondern wie er wieder in sein Zimmer zurückgelangt ist.“

Koushiro nickte. „Wir sind alle auf der Kamera zu sehen, wie wir am Morgen in die Kantine gehen oder laufen. Das heißt, jeder von uns war am Morgen in seinem Zimmer.“

„Wobei man das bei Hikari nicht garantieren kann“, warf Iori ein.

„Fängst du schon wieder damit an?“, rief Daisuke zornig.

„Es ist nun mal eine Tatsache, dass sie als Einzige nicht an der Kamera vorbeimusste, um in die Kantine oder zurück in ihr Zimmer zu kommen! Was kann ich denn dafür?“, ereiferte sich der Jüngere.

„Hikari, was sagst du dazu?“, fragte Miyako. „Du bist die ganze Zeit so schweigsam.“

„Was ich dazu sage?“, wiederholte sie fassungslos. „Klar bin ich schweigsam! Ich begreife es einfach nicht, versteht ihr? Sora ist gestorben, sie ist tot! Sie war mit uns unterwegs und jetzt … Und ihr glaubt allen Ernstes, ich war es?“

„Hikari kann es unmöglich gewesen sein“, sagte Taichi ruhig. „Ja, ja, ich weiß, wir kennen uns alle nicht halb so gut, wie wir tun, aber sie ist meine Schwester. Ich wüsste es doch, wenn sie zu einem Mord fähig wäre!“

„Und natürlich würde ein Bruder seine Schwester immer verteidigen“, sagte Yamato trocken.

„Wie war das?“, fragte Taichi mit funkelnden Augen.

„Ich sage nur, dass wir deiner Aussage in diesem Fall nicht glauben können, das ist alles.“

„Sag mal, hast du ein Problem oder was?“

„Ja, habe ich“, sagte Yamato lauter. „Sora wurde umgebracht, während wir alle arglos geschlafen haben. Wenn das nicht Problem genug ist, dann weiß ich auch nicht!“

Taichi verstummte, schoss aber weiter böse Blicke auf ihn ab.

„Bewahren wir doch einen kühlen Kopf“, sagte Wallace. „Ich glaube auch nicht, dass ein so hübsches, nettes Mädchen wie Hikari zu einem Mord fähig wäre.“

„Und deinen Aussagen kann man leider auch nicht trauen, Casanova“, sagte Yamato.

„Schluss damit. Die Kamera kann auch einfach defekt sein, das hat Ken selbst zugegeben“, sagte plötzlich Mimi, die sich wieder aufgerafft zu haben schien, an der Diskussion teilzunehmen.

„Trotzdem ist es merkwürdig“, sagte Iori. „Findet ihr das nicht auch? Taichi und Hikari sind Geschwister und stehen angeblich so füreinander ein, aber trotzdem haben sie sich geweigert, sich ein Zimmer zu teilen. Fragt ihr euch nicht auch, wieso?“

„Vielleicht verstehst du das, wenn du älter bist“, spottete Taichi. „Eine kleine Schwester will halt auch nicht jede Nacht bei ihrem großen Bruder schlafen.“

„Ich glaube nicht, dass es das ist“, gab Iori zurück, ohne auf die Spitze einzugehen. „Wir wurden allesamt auf einer verlassenen Insel ausgesetzt. Versucht man da nicht normalerweise, bei denen zu bleiben, denen man am meisten vertraut?“

„Da fällt mir ein …“, sagte Jou vorsichtig. „Gestern habt ihr ja eigentlich auch zusammen die Fabrik untersuchen wollen. Trotzdem ist Hikari dann allein zurückgekommen und Taichi war auf einmal bei Mimi.“

„Was willst du damit sagen?“, knurrte Taichi.

Hikari seufzte entnervt. „Wir haben uns gestritten, okay? Taichi hat mal wieder gemeint, ich solle aufpassen, mit wem ich mich einlasse. Die Sache wegen Daisuke und alles, ihr wisst schon. Ich wollte mir aber nicht vorschreiben lassen, mit wem ich reden darf und mit wem nicht. Ich hoffe, das ist verständlich.“

Taichi warf Daisuke dabei einen schiefen Blick zu, so als gäbe er ihm dafür die ganze Schuld.

„Und was ist, wenn es gar nicht nur um Daisuke ging?“, warf Miyako plötzlich ein. „Wenn Taichi vielleicht gesagt hat, dass er zum Beispiel Sora mag, und Hikari damit nicht einverstanden war? Und dann hat sie Sora umgebracht. So was sieht man oft in Filmen.“ Plötzlich zuckte Miyako zusammen. „Äh, ich meine, ich glaube natürlich nicht, dass es so war ... Tut mir leid, ich hab einfach nur gesagt, was mir so durch den Kopf geht …“

Aber der Schaden war angerichtet. Alle blickten nun noch argwöhnischer zu den Yagami-Geschwistern.

„Ich wollte nichts von Sora, klar?“, knurrte Taichi und sein Blick blieb dabei kurz an Mimi hängen. „Das ist doch wohl alles Verleumdung.“

„Ich würde auch nie jemanden umbringen, auf den Taichi ein Auge geworfen hat“, murmelte Hikari. „Das wäre einfach … Das ist doch …“

„Es kann aber nun mal niemand anderes als Hikari gewesen sein“, beharrte Iori. „Das ist eine Tatsache.“

„Sofern die Kamera funktioniert hat“, warf Takeru ein.

„Vergiss mal die Kamera. Es geht hier um unser Leben! Wenn wir einen Fehler machen, sind wir tot, begreift ihr das nicht? Und für Hikari sprechen eben die meisten Beweise!“

„Warum? Weil sie alleine geschlafen hat? Selbst in den Zweibettzimmern wäre es möglich, sich rauszuschleichen und den Mord zu begehen. Wir waren alle ziemlich fertig von der langen Wanderung. Wir hätten es nicht mal bemerkt, wenn unser Zimmerkamerad Kanonen abfeuert!“, sagte Takeru.

„Ich dachte, dein Zimmerkamerad ist aufgewacht, als du einen Albtraum hattest?“, fragte Jou.

Takeru öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. „Ja“, sagte stattdessen Yamato, der weniger Skrupel hatte, eine Antwort darauf zu geben. „Weil er geschrien hat wie am Spieß.“

„Okay, wie auch immer“, sagte Koushiro. „Wir haben nur eine Chance, zu wählen. Gibt es vielleicht noch irgendwelche anderen Möglichkeiten, wie es passiert sein könnte?“ Auch er konnte und wollte nicht glauben, dass Hikari Sora überwältigt, gefesselt und dann aufgehängt haben sollte.

„Jou“, sagte Daisuke plötzlich. „Ja, guck nicht so entgeistert. Du bist doch der Einzige, der sich wirklich mit so einem EKG-Ding auskennt. Wer sollte Sora so fachmännisch daran angeschlossen haben, wenn nicht du?“

„Ich … ich habe nur getan, was ich konnte, um bei den Ermittlungen zu helfen!“, rief Jou aus.

„Das stimmt. Der Mörder wäre wohl kaum so dumm, nach diesem Mord öffentlich zuzugeben, dass er sich mit EKG-Elektroden auskennt“, sagte Yamato trocken.

„Danke, Yamato“, seufzte Jou.

„Trotzdem behalten wir lieber im Hinterkopf, dass du dich auskennst“, fuhr der Junge fort.

Jou ließ den Kopf hängen.

„Okay“, sagte Koushiro mal wieder. „Hat sonst noch jemand eine Idee? Wir sollten persönliche Gefühle und so mal außer Acht lassen und einfach sagen, was uns so einfällt. So wie Miyako vorhin.“

„Ich bin da aber nicht gerade stolz drauf“, brummte sie.

Niemand meldete sich mehr.

„Dann scheint es ziemlich eindeutig zu sein“, knurrte Yamato, und Hikari wurde kreidebleich. „Tut mir ja leid, Taichi, aber deine Schwester ist und bleibt die Hauptverdächtige.“

„Wegen einer blöden Kamera?“, brauste dieser auf.

„Zufällig, ja.“

„Ich schwöre dir, wenn du den Hebel bewegst, bring ich dich um!“

„Keine Gewalt während des Klassenprozesses“, rief Monokuma dazwischen. Koushiro hatte fast vergessen, dass er da war, so sehr war er in den Prozess vertieft gewesen. „Hebt euch eure Energie für später auf.“

Als Taichi nur verbissen Yamato anfunkelte, schien die Diskussion erkaltet zu sein. Niemand brachte noch neue Argumente vor. Auch wenn niemand es sagte – es schien entschieden, dass Hikari die Täterin war. Eine kaltblütige Mörderin, die Sora nicht nur umgebracht, sondern auch noch in diesem erbarmungswürdigen Zustand hinterlassen hatte.

Sie selbst sah nur jedem nacheinander fest in die Augen, flehend, als könnte sie nicht glauben, dass sie auf der Anklagebank saß.

„Ich verstehe“, murmelte Yamato schließlich, als niemand mehr etwas sagte. „War das der Grund, warum du nicht wolltest, dass wir Sora untersuchen, Hikari? Wolltest du uns davon abhalten, die Wahrheit zu erfahren?“

Sie zuckte zusammen. „Nein, das …“ Irgendwie klang sie weinerlich. Weinerlich genug, um Taichis und Daisukes Wut wieder aufflammen zu lassen.

„Hikari war es nicht, zur Hölle noch mal!“, zischte ihr Bruder.

„Ja, zur Hölle damit! Zur Hölle mit euch allen! Ihr habt ja alle keine Ahnung! Hikari hätte so etwas nie getan!“, war Daisuke überzeugt.

„Ich kann für mich selbst sprechen!“, rief Hikari dazwischen.

Ehe der Teufelskreis sich wieder in Bewegung setzen konnte, sagte plötzlich Jou: „Sagt mal, was denkt ihr, was …“

„Alle Hinweise deuten nun mal auf sie“, unterbrach ihn Yamato knurrend. „Hast du es getan, Hikari? Hast du Sora umgebracht?“ Seine Stimme wurde mit jeder Silbe schärfer, als könnte er damit jede Unwahrheit entzweischneiden.

„Nein!“, keuchte Hikari auf. „Wie oft soll ich es denn noch sagen? Ich würde nie jemanden umbringen! Was haltet ihr von mir?“

„Würde irgendjemand hier von sich behaupten, dass er jemanden umbringen könnte?“, hielt Iori dagegen. „Ich meine, behaupten kann man viel …“

„Ihr zwei“, knurrte Daisuke, „ihr macht euch gerade echt mega-unbeliebt!“

„Ähm, Leute …“

„Du bist derjenige, der sich unbeliebt macht“, erwiderte Yamato finster. „Du spuckst einfach nur große Töne, hast aber keine Beweise, um deine Aussagen zu untermauern.“

„Für so was braucht man keine Beweise! Das ist gesunder Menschenverstand!“, rief Daisuke.

„Dann sieh mal dorthin!“ Iori zeigte auf Andromon. Der Cyborg stand immer noch in der Ecke der Halle. Er hatte sich seit seinem Auftauchen nicht geregt. „Sagt dir dein gesunder Menschenverstand auch, wie das Ding da funktioniert? Oder Monokuma? Oder wie wir hierhergekommen sind? Es gibt so vieles, was wir nicht wissen! Und leider wissen wir übereinander auch zu wenig, um uns wirklich vertrauen zu können!“

Daisuke stieß ein wortloses Knurren aus. Jou versuchte es erneut und räusperte sich.

„Ich glaube, Jou will etwas sagen“, bemerkte Wallace. „Du musst wohl ein wenig energischer werden“, meinte er feixend, „bei diesen lärmenden Streithammeln.“

„Was ist, Jou?“, fragte nun auch Takeru.

Der Älteste der Gruppe schien sich unter all den Blicken unwohl zu fühlen. „Ich habe mich nur gefragt … was Sora nachts überhaupt in der Kantine wollte …“

„Vielleicht hatte sie Lust auf einen verspäteten Mitternachtssnack? Es gibt ja noch ein paar von den Körnern“, schlug Miyako vor. „Aber jetzt, wo du es sagst, merkwürdig ist es schon.“

„Diese Körner schmecken nach überhaupt nichts“, murmelte Mimi. „Als ob da jemand Lust drauf bekommen könnte.“

„Außerdem würde das bedeuten, dass sie um vier Uhr morgens durch unbekanntes Gelände hätte marschieren müssen“, überlegte Koushiro. „Ich weiß nicht, ob ich das gewollt hätte. Die Fabrik ist ja nicht unbedingt ein freundlicher Ort, und mit einem Raketenwerfer-Cyborg, der darin herumläuft …“

„Hm …“, machte Miyako. „Also ich denke, um die Uhrzeit würde ich auch nicht extra in die Kantine was essen gehen. Der einzige Grund, der mir einfällt, warum ich um die Zeit aufstehen würde, wär, um aufs Klo zu gehen.“

Koushiro zuckte zusammen. „Sag das nochmal!“

„Was? Wieso? Ich meine – was hat das damit zu tun?“

„Das Klo! Das muss die Lösung sein!“

„Jetzt dreht er völlig durch“, seufzte Taichi. „Ehrlich, was ist so merkwürdig daran, dass jemand nachts aufs Klo geht?“

Iori horchte auf. „Ich weiß, was du meinst. Die geputzte Toilette, nicht wahr?“

„Genau. Nicht das Klogehen ist merkwürdig, sondern das Klo selbst. Als ich heute drin war, war der Boden blitzeblank. Gestern war er noch dreckig und staubig. In den Ecken hat man auch noch Spuren von dem Schmutz gesehen“, berichtete Koushiro. „Iori hat dasselbe bemerkt. Jemand hat dort drin saubergemacht.“

Taichi rollte mit den Augen. „Echt mal, reden wir gerade über jemanden, der ein Klo geputzt hat? Das ist ja wohl lächerlich.“

„Wir haben doch gestern beschlossen, dass wir nicht in der Fabrik bleiben“, erinnerte Iori. „Warum sollte jemand von uns mitten in der Nacht den Toilettenboden putzen?“

„Vielleicht hat er daneben gepinkelt?“, witzelte Daisuke.

„Passiert dir das so oft, dass du das nachempfinden kannst, oder wie?“, fragte Yamato trocken.

„Verdammt, halt den Mund! Als ob ich …“

„Anders gefragt: Hat jemand von euch die Toilette geputzt?“, unterbrach Iori die Streithähne. Obwohl er der Jüngste war, schaffte er es immer wieder, direkt in ihre Konversationen zu schneiden – ein Talent, das Jou offenbar fehlte. „Wenn es nichts mit dem Mord zu tun hat, dann kann derjenige es ja ruhig zugeben.“

Niemand meldete sich. „Vielleicht war es Sora?“, fragte Mimi. „Sie scheint mir wie der Typ, der so was tun würde … getan hätte“, verbesserte sie sich traurig.

„Entweder das, oder es war der Mörder. Mir ist noch etwas eingefallen“, sagte Koushiro. „Genauer gesagt hat Iori mich darauf hingewiesen. Die Seifenflasche auf dem Waschbecken war halb leer. Als ob man den Boden mit Seife geputzt hätte – seltsam, nicht? Im Arztzimmer hätte es Putzmittel gegeben.“

„Dann hat derjenige, der geputzt hat, eben nicht richtig nachgesehen“, meinte Wallace gelangweilt. „Können wir dann wieder zum Thema kommen?“

„Was ist, wenn der Täter nicht geputzt hat, um die Toilette sauber zu machen? Sondern um zum Beispiel Spuren zu verwischen?“, fragte Koushiro.

Seine Worte hatten einen größeren Effekt, als er gedacht hatte. Plötzlich riefen alle durcheinander. Er konnte gar nicht auseinanderhalten, welche Worte von wem kamen.

„Du meinst Blutspuren?“

„Aber der Mord fand doch in der Kantine statt!“

„Sind wir jetzt von der Kantine plötzlich auf die Toilette gewechselt?“

„Das ist doch alles ausgekochter Blödsinn.“

„Was könnte der Täter denn für Spuren verwischen?“

„Wir haben uns doch vorhin gefragt, was Sora in der Kantine zu suchen hatte“, sagte Takeru. „Vielleicht war die Frage berechtigt. Vielleicht wollte sie stattdessen auf die Toilette … Das hast du mit deiner Schlussfolgerung gemeint, oder?“

Koushiro nickte. „Stellt euch vor, ihr wollt mitten in der Nacht jemanden umbringen. Es wäre gefährlich, wenn ihr euer Opfer in seinem Zimmer heimsucht. Jemand könnte etwas bemerken, zum Beispiel der Zimmerkamerad, oder man könnte euch im Flur sehen. Etwa, wenn noch jemand nachts aufsteht.“

„Deswegen hat der Mörder beschlossen, eben auf jene abzuzielen, die das tun. Die nachts aufstehen“, beendete Takeru den Gedanken. „Okay, ich verstehe.“

„Ich nicht“, brummte Daisuke. „Kann mir das mal jemand richtig erklären?“

„Du meinst Mordplanung für Doofies?“, schnaubte Yamato. „Immerhin wissen wir jetzt, dass du unmöglich der Mörder sein kannst.“ Daisuke schickte einen giftigen Blick in seine Richtung.

„Der Mörder hat gehofft, dass einer von uns nachts aufsteht. Bei zwölf Personen ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass zumindest einer auf die Toilette geht“, sagte Iori und schauderte plötzlich. „Wenn ich daran denke, dass ich vor Mitternacht selbst noch dort war … Vielleicht bin ich ihm nur knapp entkommen.“

„Der Mörder hatte Glück“, sagte Koushiro. „Ich weiß nicht, was er getan hätte, wenn überhaupt niemand aufgestanden wäre, aber es ist ja nicht so, als müsste er zwingend jemanden umbringen. Wenn er es schon vorhat, könnte er ruhig auch auf eine neue Gelegenheit warten.

Er muss sich im Arztzimmer versteckt haben. Da hat er vielleicht durch den Türspalt gelugt, um zu sehen, wann jemand daran vorbei zur Toilette geht. Das war dann Sora – sie hatte wohl einfach das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.“

„Und der Mörder hat dann einfach vor der Klotür darauf gewartet, dass sie wieder herauskommt“, meinte Iori. „Und dann hat er zugeschlagen!“

„Aber das hieße ja, dass der Mord gar nicht in der Kantine stattgefunden hat“, meinte Hikari.

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, überlegte Koushiro. „Ich denke, der Mörder hat Sora vorerst bewusstlos geschlagen und dann in die Kantine gebracht, um sie hinzurichten.“

„Da waren aber keine Schleifspuren auf dem Boden“, wandte Yamato ein. „Der ist nämlich auch nicht gerade sauber. Oder meint ihr, er hat sie getragen?“

„Er könnte das Medizinwägelchen aus dem Arztzimmer benutzt haben, um ihren Körper in die Kantine zu transportieren“, sagte Iori. „Oder er hat sie wirklich getragen, je nachdem, wie stark er ist.“

„Ihr sagt, er hätte sie bewusstlos geschlagen“, murmelte Miyako, „aber müsste da nicht eine Beule an ihrem Kopf gewesen sein? Oder eine Wunde? Ich hab nichts in der Art gesehen.“

„Doch, da war eine Wunde“, sagte Takeru. „Wisst ihr nicht mehr? Die zwei kleinen Stiche an ihrem Hals, wie von einem Schlangenbiss.“

„Er hat sie mit einer Giftschlange angegriffen!“, platzte Daisuke heraus.

„Sei nicht so dumm“, sagte Yamato. „Zwei Stichwunden am Hals? Wenn sie damit betäubt wurde, dann könnten das die Widerhaken von Taserkabeln gewesen sein.“

„Ein Taser …“, überlegte Koushiro. „Das ist gut möglich.“

„Ich bilde mir ein, einen Haufen elektronisches Zeug in den Kisten in der Fabrik gesehen zu haben“, sagte Taichi.

„Dann war es einfach für den Mörder“, fasste Iori zusammen. „Er hat vor der Toilettentür gewartet, biss Sora sie arglos wieder geöffnet hat. Und dann hat er ihr mit der Taserpistole in den Hals geschossen. Bei so einem Ding wäre es, glaube ich, sogar egal, wo er sie getroffen hätte, und auf die Entfernung könnte er nicht danebenschießen. Er hat sie unter Strom gesetzt und somit ausgeknockt.“

„Aber dabei ist etwas passiert, das er nicht vorhersehen konnte“, murmelte Koushiro. „Ich glaube – das heißt, ich bin mir ziemlich sicher, dass … hm.“

„Sag schon“, forderte Taichi ihn auf, als er es sich noch einmal durch den Kopf gehen ließ.

„Sora muss sofort zusammengebrochen sein. Vielleicht haben auch ihre Gliedmaßen unter dem Strom gezuckt, ich habe ehrlich gesagt noch nie einen Taser im Einsatz gesehen. Aber selbst wenn sie einfach nur umgefallen wäre, könnte es passiert sein.“

„Was denn, verdammt?“

„Sora muss die Flasche mit der Flüssigseife vom Waschbecken gerissen haben“, sagte er. „Vielleicht mit der Hand oder so. Die Flasche ist auf den Boden gefallen und die Seife ist ausgelaufen. So passt alles zusammen!“

„Davon wird der Boden aber auch nicht sauber“, meinte Taichi stirnrunzelnd.

„Das nicht, aber wenn wir die ausgelaufene Seife bemerkt hätten, hätten wir gewusst – oder zumindest ahnen können –, dass sich nachts etwas auf der Toilette abgespielt hat. Seife zu verschütten ist kein Drama; wenn man das tut, kann man es zugeben, wenn man danach gefragt wird – vor allem, wenn es um unser Leben geht! Der Mörder wusste das. Wenn wir hier also gefragt hätten, wer die Seife verschüttet hat, hätte keiner eine Antwort gehabt. Dann hätten wir angenommen, dass Sora es gewesen war, und gewusst, dass sie nicht in die Kantine gegangen ist – zumindest nicht nur. Und das wiederum wirft die Möglichkeit auf, dass sie schon auf der Toilette angegriffen wurde.

Man könnte argumentieren, dass die verschüttete Seife nichts mit dem Mord zu tun haben muss, aber wenn wir annehmen, dass Sora überfallen wurde … Wenn man attackiert wird, geht schnell etwas zu Bruch oder fällt hinunter. Und der Mörder wollte vielleicht nicht, dass wir dahinterkommen, wo er Sora wirklich angegriffen hat. Klar, er hätte selbst angeben können, die Falsche umgestoßen zu haben, um uns von Sora wegzulenken – aber damit hätte er zugegeben, dass er selbst nachts unterwegs war.“

„Reden wir gerade immer noch von Seife? Mir brummt der Kopf“, murmelte Taichi.

„Seltsam. Wo doch nichts drin ist“, kommentierte Yamato.

„Du!“, zischte er.

„Okay, ich glaube, ich weiß, worauf das hinausläuft“, sagte Wallace. „Hätte der Täter die Seife einfach aufgewischt, hätte das definitiv Schmierspuren im Dreck hinterlassen. Also hat er gleich etwas Wasser genommen und mit der ausgelaufenen Seife den Boden gleichmäßig geputzt. Im Endeffekt ist es uns zwar trotzdem aufgefallen, aber es war auf jeden Fall schwieriger zu bemerken, als wenn einfach ein sauberer Fleck irgendwo geprangt hätte.“

„Und das beweist, dass der Täter Sora eigentlich auf der Toilette angegriffen und dann erst in die Kantine verfrachtet hat. Mehr noch, er wollte diesen Fakt verschleiern“, sagte Koushiro. „Erst dann hat er sie in der Kantine gefesselt, geknebelt, das EKG an ihre Brust angeschlossen und sie aufgehängt. Wir haben also den Tathergang.“

„Toll. Das hilft uns immer noch nicht weiter“, seufzte Miyako.

„Stimmt … Momentan glaube ich immer noch, dass es Hikari war“, brummte Iori. Taichi wollte aufbrausen, als er hinzufügte: „Aber ich denke, wir sollten uns das auf jeden Fall nochmal durch den Kopf gehen lassen. Hier sind einige Dinge nicht so, wie sie scheinen.“

„Da hast du gerade noch mal den Kopf aus der Schlinge gezogen“, knurrte Taichi. Als er bemerkte, was er da eben gesagt hatte, zuckte er zusammen.

Koushiro musterte Daisuke. Eigentlich hatte er auch auf eine Bemerkung seinerseits gewartet, wie es bisher jedes Mal gewesen war, wenn der Verdacht auf Hikari gefallen war. Doch der Junge schwieg. War er nicht auch plötzlich ein bisschen blass um die Nase?

„Monokuma“, seufzte Mimi. „Wie lange müssen wir denn noch weitermachen? Reicht es nicht bald? Ich kann nicht mehr!“

„Es wird weiterdiskutiert, bis ihr zu einem Entschluss kommt“, sagte der schwarzweiße Bär von seinem Stuhl aus.

„Aber ich halte das bald nicht mehr aus! Meine Füße tun weh, ich bin müde, der Maschinenkrach tut mir in den Ohren weh und mir ist heiß!“

Koushiro wollte sie eben halbherzig ermahnen, als Takeru zusammenfuhr – viel heftiger als Taichi zuvor. „Scheiße“, sagte er. „Wir sind Idioten.“

„Wieso?“, fragte Yamato.

„Die Ventilatoren in der Kantine! Die bewegen sich doch!“, rief er aus. Plötzlich schwitzte auch er, als hätten Mimis Worte die Hitze erst beschworen. „Gestern, als wir essen gegangen sind – wie spät war es da?“

„Ähm, da war es ungefähr sechs Uhr, glaube ich.“ Jou rückte seine Brille zurecht.

„Da haben sich die Ventilatoren eingeschaltet. Und sie sind runtergefahren. Erinnert ihr euch? Sie haben fast zwei Meter dabei zurückgelegt.“

„Ja“, murrte Mimi. „Da war es wenigstens schön kühl.“

„Wir sind etwa um acht in unsere Zimmer gegangen. Ungefähr zu der Zeit sind die Ventilatoren wieder raufgefahren und haben sich ausgeschaltet, richtig? Zwei Stunden. Heute Morgen haben sie sich auch wieder eingeschaltet. Also was, wenn das nicht einfach zwischen sechs und acht Uhr abends passiert, sondern mehrmals, auch in der Nacht?“

Takeru erntete einige verblüffte Blicke. Koushiro starrte auf seine Liste mit Beobachtungen. Tatsächlich, das Verhalten der Deckenventilatoren stand da. Er hatte es in der Hitze des Gefechts wohl einfach vergessen.

„Monokuma“, sagte plötzlich Wallace nonchalant, „stimmt das? Du müsstest es doch wissen.“

„Puhuhu“, machte der Bär. „Ob ich euch das wirklich verraten sollte? … Kleiner Scherz! Es ist wahr. Alle zwei Stunden wird die Kantine für zwei Stunden gekühlt. Die Abwärme von der Fabrik würde es sonst unmöglich machen, darin zu essen. Auch wenn es momentan keine Mitarbeiter gibt, man muss ja für alle Eventualitäten vorsorgen, nicht wahr?“

„Und wenn die Kantine gekühlt wird, sinken die Ventilatoren herunter, und danach schrauben sie sich wieder in die Höhe, ja?“

„Oh“, machte Koushiro. „Wir sind wirklich Idioten.“

„Ich … begreife gar nichts mehr“, gab Jou zu.

„Der Todeszeitpunkt! Das EKG! Natürlich! Es ist doch ganz simpel! Als wir Sora gefunden haben, war es halb sechs, richtig? Die Ventilatoren waren oben, klare Sache. Und um sechs sind sie wieder gesunken. Das heißt, zwei Stunden vorher sind sie gerade nach oben gefahren … und kurz darauf ist Sora gestorben. Und das wiederum heißt …“ Er ließ den Satz unausgesprochen.

Nach und nach schienen die meisten anderen zu demselben Schluss zu kommen. „Du … Du meinst …“, stammelte Miyako. „Der Mörder hat Sora einfach an den Ventilator gebunden, als er unten war, und dann um vier Uhr ist der Ventilator nach oben gefahren, hat sie mit sich gezogen und …“

„Und stranguliert“, bestätigte Koushiro. „So muss es gewesen sein. Darum hat er sein Opfer auch gefesselt und geknebelt. Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, was der Sinn dahinter gewesen ist – er wusste offensichtlich nicht, ob und wann sein Opfer aufwachen würde. Er wollte verhindern, dass Sora sich befreit oder um Hilfe schreit.“

„Wie furchtbar“, hauchte Mimi. Sicher stellte sie sich genau wie Koushiro eben vor, wie es sein musste, gefesselt in der Kantine aufzuwachen, mit einem Seil aus Laken an einen Ventilator geknüpft, der sich irgendwann in Bewegung setzte und nach oben fuhr … Der Mörder hatte das Seil kurz unter den Rotorblättern befestigt, wie er sich erinnerte. Weiter oben wäre es ihm bei den sich drehenden Ventilatoren auch gar nicht gelungen.

Der Mörder, von dem sie hier sprachen, hatte sich alles genau überlegt. Er war kaltblütig und überlegt zu Werke gegangen. Das Missgeschick mit der Seife konnte er nicht verhindern, aber das war keine große Sache. Alles war teuflisch ausgeklügelt gewesen.

Nur … wer war es?

„Moment mal“, sagte Takeru, als ihm etwas in den Sinn kam. Er zog eine Miene, als fiele es ihm nun wie Schuppen von den Augen. „Wenn der Ventilator um vier Uhr hochgezogen wurde und Sora deswegen gestorben ist, dann muss der Angreifer sie ja irgendwann vorher bewusstlos getasert und festgebunden haben, richtig? Und das kann im Grunde bis zu zwei Stunden vorher geschehen sein, während die Ventilatoren unten waren!“

„Anders gesagt, in der Zeit zwischen zwei und vier Uhr“, sagte Yamato.

„Richtig“, sagte Koushiro. „Der Mörder hat die Ventilatoren benutzt, um Sora zu ermorden. Und nicht nur das. Weil die sich alle zwei Stunden bewegen, konnte er verschleiern, dass der Tatzeitpunkt und der Todeszeitpunkt auseinander liegen. Darum der umgestoßene Stuhl – es sollte so aussehen, als hätte er sie an den Ventilator geknüpft, während dieser oben war. Und darum hat er auch das EKG an sie angeschlossen. Er hat sich vorher angesehen, was das Ding kann. Es zeichnet auf, wann die … wie heißt es, Jou?“

„Äh, Asystolie. Wann ihr Herz zu schlagen aufgehört hat.“

„Danke. Es zeichnet den Zeitpunkt der Asystolie auf, und das hat der Täter ausgenutzt. Er wusste nicht, dass im Monokuma-File auch der Todeszeitpunkt beschrieben werden würde. So hat er versucht, uns zu überlisten. Sora ist um vier Uhr gestorben, aber das heißt nicht, dass sie um vier Uhr angegriffen wurde! Im Gegenteil. Der Mörder muss Sora zwischen zwei und vier Uhr überfallen haben, als die Ventilatoren unten waren, und diese ganze Scharade ergibt nur Sinn, wenn es eher früher als später war. Hätte er Sora kurz vor vier angegriffen, hätte er sich die Mühe mit dem Stuhl und dem EKG sparen können – er hätte sie auch einfach erdrosseln können und sich nicht auf die Ventilatoren verlassen müssen. Der Überfall fand also mit Sicherheit deutlich vor vier Uhr statt.“

Und noch während er das sagte, kam er auf die Lösung.

„Das heißt dann auch, dass wir einer bestimmten Zeugenaussage keinen Glauben schenken können“, sagte er und seine Stimme zitterte plötzlich. Er war gespannt, was er sehen würde, wenn er dieser gewissen Person in die Augen blickte. Er sah gar nichts. Nur zwei blaue Juwelen, die ihm teilnahmslos entgegenfunkelten.

„Willst du vielleicht … irgendetwas dazu sagen, Ken?“

Es wurde totenstill in dem Raum, nur die Maschinen führten ihre fruchtlosen Tätigkeiten fort.

„Was … Aber warum Ken?“, fragte Taichi. „Irgendwo bei dem Gedankensprung bleibe ich gerade auf der Strecke.“

„Du hast doch angeblich deine Kamera um halb zwei Uhr aufgestellt. Dann hattest du sie ab halb vier für eine halbe Stunde in eurem Zimmer. Letzteres kann Daisuke bestätigen. Und dann habt ihr sie wieder aufgestellt. Aber wenn alles so ist, wie du es sagst, müsste auf den Fotos irgendwann Sora zu sehen sein, als sie auf die Toilette ging!

Wir haben angenommen, dass sie zwischen halb vier und vier vorbeigegangen ist, als die Kamera in eurem Zimmer war, aber sie zu tasern und zu fesseln und an die Ventilatorstange zu binden, kostet Zeit. Der Täter wäre nicht lange vor vier Uhr damit fertiggewesen – und wie wir eben festgestellt haben, hätte er es sich dann sparen können, die Ventilatoren und das EKG überhaupt zu benutzen!

Wenn der Täter wirklich den Zeitpunkt seines Angriffs verschleiern wollte, dann um sich ein Alibi zu verschaffen. Also hat er Sora in Wahrheit sicher lange vor halb vier angegriffen. Vielleicht um drei Uhr oder noch früher. Und zu der Zeit stand die Kamera laut deiner Aussage im Flur und hätte Sora auf dem Weg zur Toilette fotografieren müssen!“

„K-Ken?“, murmelte Miyako fassungslos. „Wie … wie kommen wir jetzt plötzlich auf Ken? Ich versteh das nicht …“

Ken schnaubte und zog plötzlich amüsiert die Mundwinkel hoch. „Nicht übel. Ihr scheint tatsächlich ein wenig mehr Hirn zu haben, als ich immer dachte.“

Etwas an ihm war plötzlich anders. Koushiro konnte das Gefühl nicht einordnen, aber wenn er Kens Körperhaltung, seinen Tonfall, sein ganzes Gehabe betrachtete … dann rieselte ihm ein Schauer über den Rücken.

„Wir haben ja alle oft genug betont, dass meine Kamera fehlerhaft sein könnte“, fuhr Ken fort. „Damit haben einige von uns während dieses Prozesses immer wieder argumentiert, wie es ihnen gerade gepasst hat. Was, wenn Sora einfach wirklich nicht fotografiert wurde?“

„Ich habe es die ganze Zeit schon merkwürdig gefunden“, begann Wallace. „Nur eine einzige Person kann laut unseren Ermittlungen der Täter gewesen sein – nämlich Hikari. Zufällig gerade das Mädchen, das unmöglich auf der Kamera auftauchen konnte. Als hätte sie gewusst, welches Zimmer sie nehmen muss, um nicht erwischt zu werden.“

„Zufälle passieren“, behauptete Ken.

„Klar. Aber dass Sora auch noch zufällig zu der Zeit an deiner Tür vorbeiläuft, während du die Kamera nicht an hast? Oder dass sie zwar vorbeiläuft, während die Kamera draußen steht, aber dieses Ding gerade dann nicht funktioniert? Da hätten ja mehrere Leute irrsinniges Pech gehabt, meinst du nicht? Zum Beispiel auch wir, weil wir nicht auf die Wahrheit kommen.“

„Wie oft soll ich euch noch sagen, dass ich es nicht war?“, seufzte Hikari erschöpft. „Ich wüsste ja nicht mal, wie ich so ein EKG richtig anlege.“

„Und ihr denkt, ich weiß es?“, entgegnete Ken.

„Ach, verdammt!“, stieß Daisuke plötzlich aus und raufte sich das Haar. „Hör schon auf, Ken!“

Und Ken verstummte. Er sah Daisuke nur abschätzig an.

„Wieso hast du nichts gesagt?“, fuhr Daisuke ihn an. „Ich dachte, wir wären Freunde? Wenn du irgendwelche Probleme oder Pläne oder sonst was hast, wieso weihst du mich nicht ein?“

„Offensichtlich würde dich niemand in so einen Plan einweihen“, sagte Ken trocken.

„Klar, aber wir hätten reden können! Ich hätte dir das schon ausgetrieben, verdammt! Wie konntest du so etwas tun? Ich verstehe dich nicht!“

„Langsam. Noch ist es nicht entschieden“, sagte Takeru.

„Doch“, stöhnte Daisuke. „Ken hat … Ken hat sich eine dieser Taserpistolen genommen. Als wir gemeinsam unterwegs waren, gestern, in der Fabrik. Scheiße, was hast du dir dabei gedacht?“

„Was? Wieso sagst du das erst jetzt?“, schnappte Taichi.

„Er hat gesagt, er will sie zur Selbstverteidigung“, sagte Daisuke und klang richtig hilflos. Wie ein Junge, der vor seinem geschmolzenen Schneemann steht und nicht weiß, wieso. „Ich bin sicher, es haben mehrere von euch was aus der Fabrik mitgenommen, zur Sicherheit! Er hat gemeint, vielleicht wirkt das Ding auch gegen Monokuma oder Andromon! Ich hätte nie gedacht, dass er damit… Das passt nicht zu dir, Ken!“

„Dass ich einen Taser mitgenommen habe, beweist gar nichts“, erwiderte dieser. „Es gab mehrere in dieser Kiste.“

„Möglich. Aber du hast über die Kamera gelogen“, sagte Yamato düster. „Jeder von uns ist darauf zu sehen. Nur Hikari nicht, die nicht daran vorbei musste, und Sora. Und gerade diese Sora sollte drauf sein. Du kannst es langsam nicht mehr mit einem Zufall erklären, dass die Kamera gerade bei ihr versagt hat. Spuck’s schon aus: Du hast Sora überfallen, an den Ventilator gebunden, noch brav die Toilette geputzt und dann erst die Kamera angemacht. Kurz darauf hast du sie Daisuke gezeigt und behauptet, sie würde schon seit halb zwei laufen. Damit hast du den Anschein erweckt, Sora wäre an eurer Tür vorbeigekommen, während ihr geredet habt, und sie wäre erst gegen vier Uhr überfallen worden.

Dabei hast du das Ding erst eingeschaltet, nachdem du Sora festgebunden hast, und den Deckenventilator den Rest machen lassen! Du hast dir ein perfektes Alibi zugelegt, weil du zum Todeszeitpunkt mit Daisuke in eurem Zimmer warst! Und zuletzt wolltest du den Mord Hikari in die Schuhe schieben, weil sie als Einzige nicht an der Kamera vorbeimusste!“

„Und damit niemand merkt, dass du einen Taser benutzt hast – von dem ja immerhin einer hier weiß, dass du ihn gehabt hast –, hast du versucht alle Spuren zu verwischen, die darauf hindeuten, dass du Sora vor dem Mord das Bewusstsein nehmen musstest, und dass du sie eigentlich schon auf der Toilette angegriffen hast“, sagte Iori. „Nur haben wir trotzdem Hinweise darauf gefunden, dass sie getasert wurde!“

„Ken“, murmelte Daisuke mit belegter Stimme, „sag doch auch mal was.“

Doch Ken sagte nichts. Er lachte.

Daisuke starrte seinen Freund fassungslos an, der den Kopf in den Nacken geworfen hatte und schallend gackerte, wie man es noch nie von ihm gehört hatte. „Darauf scheint ihr wohl mit mehr Glück als Verstand gekommen zu sein, was?“, fragte er schließlich mit einem grimmigen Lächeln. „Ich hätte wohl noch umsichtiger sein müssen. Kaum zu glauben, dass ihr dahintergekommen seid.“

Daisukes Augen wurden riesig, die Pupillen zitterten förmlich darin. „Das … Das heißt …“

„Das heißt, dass das wohl ein Geständnis ist“, knurrte Taichi.

„Aber … wieso …?“, hauchte Daisuke. „Wie konntest du so etwas tun, Ken? Wie konntest … Wieso, Ken?!“

„Wieso? Das ist doch ganz einfach!“ Ken breitete die Arme aus und lächelte ihn böse an. Seine Augen schienen jeden Glanz verloren zu haben – sie waren zwei ungeschliffene Saphire, kalt und stechend. „Weil das Ganze hier nichts als ein Spiel ist! Und genau genommen ist dieses lächerliche Mordfallspiel nur der Anfang, der Auftakt zu etwas Größerem!“

Daisukes Gesicht verlor den Rest seiner Farbe. „Ein Spiel … Aber Ken …“

„Hör schon auf, mich dauernd so zu nennen“, fuhr Ken ihn an. „Du jämmerliche Witzfigur. Tu nicht so, als wären wir Freunde, denn das sind wir nicht!“

„Doch“, beharrte Daisuke hilflos. „Ich dachte eigentlich, wir wären es …“

„Sei nicht albern. Als könnte ich jemals mit euch auf einer Stufe stehen! Ihr seid nichts als hirnlose Primaten, die keine Ahnung von der Welt haben, in der wir uns befinden. Eigentlich hättet ihr den Fall nie lösen dürfen!“

„Dann bist du wohl um so vieles schlauer“, knurrte Yamato.

„Allerdings. Mein Intellekt übersteigt euren bei Weitem! Ich bin dazu vorherbestimmt, diese Welt zu beherrschen, während ihr nur … lächerliche Nebencharaktere seid, die mir bei meinem Aufstieg auf meine Bühne im Weg stehen.“

„Diese Welt? Was soll das heißen?“, fragte Takeru.

Ken lachte überheblich. „Natürlich wisst ihr nicht einmal das. Was Monokuma euch so schön als File-Insel vorgestellt hat, ist Teil der DigiWelt – einer Welt, in der digitale Monster leben und in der ich der absolute Herrscher sein werde, sobald ich von hier fortkomme.“

„Du bist doch größenwahnsinnig“, murmelte Iori.

„Denkst du? Du hast ja keine Ahnung!“

„Woher weißt du das mit dieser … DigiWelt?“, fragte Miyako.

„Ich wüsste nicht, warum ich euch das auf die Nase binden sollte – wobei ihr dann vielleicht endlich versteht, dass ihr ein Nichts gegen mich seid. Also schön: Ich war schon einmal hier, in der DigiWelt. Ich bin immer wieder mal hergekommen, um meinen Herrschaftsbereich auszubauen. Das hier“, er hob sein DigiVice, das pechschwarz war, „habe ich im Meer der Dunkelheit getauft. Es verleiht mir die Macht, Digimon nach meinem Willen zu knechten!“

Koushiro hatte keine Ahnung, wovon er redete.

Das bin ich“, fuhr Ken fort. „Nicht Ken, euer Freund. Ich bin der wahre Herrscher dieser Welt!“ Er breitete die Arme aus, und etwas Seltsames geschah. Als hätte sein Stimmungswandel sein Äußeres nicht nur seine Haltung betreffend verändert, tauchten plötzlich aus den Schatten der Fabrik glitzernde Funken auf, sammelten sich um Kens Körper, legten sich um seine Arme und Beine und bildeten einen futuristischen, blauschwarzen Anzug. Ein blaues Cape floss über seine Schultern, Handschuhe stülpten sich wie von selbst über seine Hände. Sein Haar veränderte sich, als würde eine zerzauste Perücke direkt auf seinem Kopf erscheinen. Auf seiner Nase ruhte plötzlich eine schwere, goldene Brille mit getönten Gläsern. Ken holte tief Luft. „Und mit dem Nächsten, der mich mit Ken anspricht, geschieht dasselbe wie mit Sora. Ich bin der DigimonKaiser, und genauso werdet ihr mich nennen!“

„Der DigimonKaiser?“, wiederholte Hikari schockiert.

„Du bist wahnsinnig“, murmelte Daisuke.

„Wahnsinnig? Ich? Ihr seid es, die glauben, das hier wäre ein besserer Pfadfinderurlaub. Ich weiß nicht, was genau hier gespielt wird, aber ich lasse mich nicht einfach mit ein paar hirnlosen Heinis auf eine Insel sperren.“ Kens behandschuhter Finger zeigte anklagend auf Monokuma. „Ich habe keine Ahnung, was das hier soll und warum ich hier aufwache, kurz nachdem ich meinem Genie entsprechend an der besten Schule des Landes angenommen wurde. Aber ich kann dir versprechen, Monokuma, wenn ich auf dem Server-Kontinent meine Armeen aus Schwarzringdigimon zusammenrufe, dann bist du erledigt! Ich werde dich bitter büßen lassen für diese lächerlichen Stolpersteine, die du mir in den Weg streust!“

Monokuma schwieg.

„Digimon? Wovon redest du?“, fragte Taichi.

Ken schnaubte. „Die Wesen, die diese Welt bevölkern. Andromon ist zum Beispiel eines. Eigentlich müssten hier noch mehr von ihnen leben, aber die Insel scheint von ihnen gesäubert worden zu sein. Wahrscheinlich ist Monokuma auch ein Digimon – und damit eigentlich dazu bestimmt, mein Sklave zu sein.“ Sein Finger ruckte zu dem Cyborg in der Ecke der Halle. „Eigentlich ist die Teufelsspirale, die Andromon um das Bein trägt, meine geniale Erfindung! Ich weiß nicht, wie Monokuma sie modifiziert hat, damit Andromon ihm gehorcht, aber gebt mir eine Woche, und ich habe das Programm wieder überschrieben!“

„Ich begreife das alles nicht“, murmelte Daisuke. „Das heißt, du hast Sora umgebracht, weil du von hier weg wolltest? Zu deinem … Imperium oder was auch immer?“

„Ich hätte euch alle umgebracht, wenn ich nicht erwartet hätte, dass Andromon mich dann in Stücke schießt“, sagte Ken höhnisch. „Ihr arglosen Idioten habt es ja förmlich herausgefordert.“

Koushiro erinnerte sich an die Schulregeln, die besagten, dass man maximal zwei Personen töten durfte.

„Ich denke, es ist Zeit für die Abstimmung“, sagte Yamato finster. „Ich habe genug gehört, im Ernst.“

Daisuke starrte apathisch den Hebel vor sich an. Die anderen packten die Dinger bereits und schoben sie auf Schuldig.

„Idioten“, schnaubte Ken. „Denkt ihr wirklich, dieser Prozess bedeutet mir etwas?“

„Und damit ist die Abstimmung erledigt“, schaltete sich Monokuma ein. „Es gab zwei Enthaltungen.“ Daisuke und Ken selbst. „Aber der Rest hat einheitlich für Schuldig gestimmt. Ich gratuliere euch. Ken Ichijouji ist tatsächlich der Mörder von Sora Takenouchi.“

„Ich kann’s immer noch nicht fassen“, jaulte Daisuke auf, sprang aus seiner Bucht und lief direkt auf Ken zu. Er packte ihn am Kragen. „Wie konntest du nur? Ich begreife es nicht!“ Mit hilfloser Wut starrte er auf Kens Brillengläser, hinter denen seine Augen kaum zu sehen waren.

„Ich hatte ihn auch für einen netten Kerl gehalten“, murmelte Miyako kraftlos.

Ken fegte Daisukes Hände fort. „Als ob jemand wie ihr mich je verstehen könnte“, meinte er amüsiert. „Zwischen eurem und meinem Verstand liegen Welten. Wie könnt ihr erwarten, dasselbe zu sehen und zu begreifen wie ich?“

Daisuke taumelte von ihm fort. Dann ballte er die Fäuste, wie um …

„So, und nachdem die beiden Freunde sich ausgesprochen haben, ist es Zeit für die Bestrafung!“, verkündete Monokuma spielerisch.

„Halt den Rand“, fuhr Ken ihn an. „Als ob ich dir noch einen Moment länger gestatten würde, mein Spiel mit deinem Spiel zu stören!“ Er nahm eine Art metallenen Stab, der gemeinsam mit seinen neuen Klamotten erschienen war, von seinem Gürtel und drückte einen Knopf darauf. Eine lange, dunkle Gummischlange quoll aus dem Stab hervor, bis er eine Peitsche in der Hand hielt. Er sprang aus der Prozessrunde und holte weit mit der Waffe aus. „Du bist nur ein Digimon, und Digimon sollten mir gehorchen!“ Damit schlug er zu.

Monokuma stieß ein langes, ängstliches Kreischen aus – als plötzlich Andromon vor ihn sprang. Die Peitsche wickelte sich um dessen metallenen Arm. Monokumas Schrei wurde zu einer Ouvertüre für sein anschließendes Gelächter. „Habt ihr es vergessen? Keine Gewalt gegenüber eurem Schulleiter! Naja, nicht dass es für dich noch eine Rolle spielen würde. Zeit für die Bestrafung!“ Vor ihm ging eine Klappe im Boden auf, und etwas wie die Schelle bei einem Ringkampf fuhr in die Höhe. Monokuma zückte einen Spielzeughammer und schlug kräftig darauf.

Im gleichen Moment schoss aus den Ecken der Fabrikshalle eine Unzahl an schwarzen Ringen hervor. Ken stieß überrascht die Luft aus. Im nächsten Augenblick schnappten sie mit eiserner Härte rings um seinen Körper zu, schnallten sich um all seine Gliedmaßen und sogar seinen Hals. Dann brach unter ihm der Boden auf und ein riesiger, schwarzer Obelisk schoss in die Höhe.

Die anderen kreischten auf. Wo kam das Ding so plötzlich her? Ken klebte förmlich daran, einige der Ringe schienen mit dem schwarzen Turm verwachsen.

„Ein passendes Ende für den selbsternannten DigimonKaiser“, befand Monokuma zufrieden. Andromons Brustklappen entließen zwei Raketenpaare in die Freiheit, die eine dichte Qualmspur hinter sich her zogen. Die ersten beiden flogen zur Spitze des Turms und schraubten sich in einer Spirale nach unten, die anderen zwei stiegen von unten nach oben. Ken öffnete den Mund, um Monokuma zu verfluchen, aber da trafen sich die vier Sprengkörper in der Mitte – genau dort, wo er an den Turm gefesselt war. Es gab einen Knall und eine Druckwelle, die Staub und grobkörniges schwarzes Zeug in die Augen der Freunde sprühte. Der Turm blitzte elektrisch, brach in sich zusammen und riss dabei die halbe Werkshalle mit sich.

Die Staubwolke schien sich minutenlang nicht zu legen. Koushiro und die anderen konnten nur entsetzt auf die Verwüstung starren. Der Boden neben dem Prozessring war fort, eingerissen von den Überresten des Turms. Von Ken war nichts mehr zu sehen.

Monokumas Kichern riss sie einmal mehr aus ihrer Starre. „Puhuhuhu, endlich ist ein wenig Schwung in dieses Spiel gekommen. Also dann, der Prozess ist beendet. Ich freue mich schon auf den nächsten, also mordet fleißig weiter!“

Damit sprang er hinter seinen Aufseherstuhl und verschwand ebenso spurlos wie Ken, und elf schockierte Jugendliche blieben in der Halle zurück und versuchten jeder für sich zu begreifen, was hier vor ihren Augen vorgefallen war.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Somit hätten wir den ersten Fall abgeschlossen. Zwei gibt es noch. Ich hoffe, die Auflösung war nachvollziehbar. Übrigens, sagt Bescheid, wenn die Kapitel zu lang sind; dann werde ich mich bemühen, sie kürzer zu gestalten bzw. aufzuteilen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  RinRainbow
2018-11-23T11:48:13+00:00 23.11.2018 12:48
Ken...
Der kam mir mit seiner Kamera ja auch etwas verdächtig vor! xD
Wobei ich ja schon schrieb, das Motiv ist das Problem. Und da wäre ich jetzt wirklich niemals drauf gekommen!
Aber ich finde es super wie du seine Identität als Digmonkaiser miteingebaut hast, super Idee =)
Und irgendwie auch wieder eine - kleine - Parallele zu Danganronpa, Toko lässt grüßen :p
Auch die Art wie Ken dann schließlich "bestraft" wird ist passend, das ist ja etwas was in der Spielereihe auch immer interessant zu sehen ist.

Auf jeden Fall mochte ich den Klassenprozess, es ist immer toll wenn soviele Charakter miteinander interagieren, ich mochte Joe und Koushiro besonders =)
Schließlich ist es Joe der mit seiner Frage, was Sora eigentlich so spät in der Kantine wollte, zur Lösung des Falles führt ^^ &&Koushiro mit seinem logischem Denken ist eh der Beste!
Ich freue mich schon auf die nächsten Morde...ähhh Kapitel ^^
Liebe Grüße x)
Von:  NamEkianer92
2018-11-08T13:22:54+00:00 08.11.2018 14:22
Hey Hey, Ich mal wieder ^^ (Nam auf ff.de)

Hatte endlich mal wieder Zeit reinzuschauen und wow, das Setting hat mich echt gecatcht, obwohl ich Danganronpa zuvor nur durch Hörensagen kannte.
Stelle es mir super spaßig vor Monokuma zu schreiben xD

So viel bleibt mir vorerst gar nicht zu sagen. Auf die Auflösung des ersten Mordes bin ich nicht gekommen.
Vllt ja nächstes mal, bleibe auf jeden Fall dran :)

P. S. Hab auch paar deiner älteren Sachen wie Masquerade Masquerade und Armaggedon ausgebuddelt, waren auch super ^^
Und bei das legendäre Lanak musste ich einfach lachen xD
Antwort von:  UrrSharrador
11.11.2018 22:42
Hi,
ah, dann weiß ich jetzt ja auch, was der Nickname bedeutet :D
Jep, Monokuma ist recht witzig zu schreiben^^ Rückwirkend betrachtet ist der erste Fall auch ziemlich knifflig. Der zweite wird auf jeden Fall einfacher.

P.S.: Freut mich! Lanak hat einen Fan, ich glaub's ja nicht xD
Antwort von:  NamEkianer92
13.11.2018 20:43
Ich muss deine Schlussfolgerung leider entkräften xD Nam ist mein echter Vorname, auf NamEkianer kam ich dann später, haha xD
Antwort von:  UrrSharrador
22.11.2018 21:06
Oh, sorry, hätte ich nie vermutet ^^' Darf man fragen, aus welcher Sprache der Name stammt?
Antwort von:  NamEkianer92
23.11.2018 08:43
Na klar ^^ er kommt aus dem (halt dich fest xD) vietNAMesischen ~
Antwort von:  UrrSharrador
25.11.2018 20:01
ok, didn't see that coming xD
Von:  _Mika_
2018-11-04T19:13:44+00:00 04.11.2018 20:13
Ok, mit dem wahnsinnigen digimonkaiser hätte ich nun nicht gerechnet. Wenn man aber drüber nachdenkt, na klar. ^^` allerdings seltsam das er irgendwie seine Erinnerung behalten hat und die anderen nicht. Schon seltsam... Kapitellänge passt perfekt.
Bin schon gespannt auf den nächsten krimi ;) ich liebe detektivaufgaben
Antwort von:  UrrSharrador
11.11.2018 22:40
Danke für deinen Kommi :)
Ken kann sich auch nicht daran erinnern, wie er entführt wurde, aber er war halt im Gegensatz zu den anderen schon mal in der DigiWelt und hat dort DigimonKaiser gespielt. Die Erinnerungen beziehen sich nur auf die Entführung, sie kennen sich in dieser FF wirklich alle nicht.
Von:  hayden
2018-11-04T14:32:50+00:00 04.11.2018 15:32
Wuhu :D

Also erstmal: Die Kapitel könnten meiner Meinung nach gern noch länger sein :D Oder ... ach weißt du was? Lad einfach gleich komplett den Rest hoch, dann bin ich auch zufrieden. Die Spannung nach dem letzten Kapitel hätte mich wirklich fast umgebracht :D

Zur Auflösung: Erstmal find ich's natürlich cool das ich da teilweise doch richtig lag. Im ersten Moment war ich doch sehr uberrr das es Ken war, im zweiten dachte ich mir dann aber, dass das irgendwie zu dir passt :D Wobei ich bisher immer das Gefühl hattest du würdest Ken besonders mögen ...
Naja :D
Was mich sehr sehr sehr SEHR gefreut hat war, das Tai nicht an Sora, sondern offensichtlich an Mimi interesse hat. Das hat mein Michi-Herz höher schlagen lassen.

Ich kann mir jetzt nicht wirklich vorstellen wie es weitergeht bzw. das noch zwei Morde passieren. Ich nehme zumindest an das noch zwei passieren, da du ja meintest es kommen noch 2 Fälle.
Im Nachhinein hat es zu Ken gepasst. Er hat nun mal diese Digimonkaiser-Seite, doch die anderen ... zumindest aus dem Originalwerk ist da nichts bekannt. Daher bin ich gespannt was du dir da hast einfallen lassen.
Zwischenzeitlich dachte ich mal das es ab jetzt darum geht Ken zu bekämpfen. Aber dann hätte der Titel nur noch wenig Sinn gemacht und ich wäre auch ehrlich enttäuscht gewesen, da mir das Konzept bisher enorm gut gefällt. Ich liebe es, wenn man so mit raten kann :D

So das war jetzt genug geschwafel.
Bis zum nächsten mal :)
Antwort von:  UrrSharrador
11.11.2018 22:38
Danke für deinen Kommentar! Ein bisschen Spannung schadet doch nicht ;P
Ich mag Ken sogar sehr^^ Aber wie sagt man so schön, ich darf mich beim Schreiben nicht von persönlichen Gefühlen leiten lassen xD
Lass dich überraschen, die Gründe für die anderen Morde sollten jedenfalls ebenso nachvollziehbar sein :) Und keine Sorge, natürlich geht es mit diesem Konzept weiter!
Von:  Diana
2018-11-04T12:27:44+00:00 04.11.2018 13:27
Hey,
wow was für eine Auflösung. Ich bin sprachlos. Es war also Ken. Darauf wäre ich tatsächlich nicht gekommen aber wirklich sehr gut erklärt! Ich finde die Länge der Kapitel super, weil es dann ordentlich was zu lesen gibt. Ich hatte schon sehnsüchtig auf dieses gewartet.
Ich freue mich sehr auf alles was folgt. Tolle Geschichte. Ich bin tatsächlich gespannt wer sich noch zu einem Mord hinreißen lässt. Aber klasse das du auch Kens zweite Seite eingebracht hast.

Liebe Grüße
Antwort von:  UrrSharrador
11.11.2018 22:34
Danke für deinen Kommi, freut mich, dass die Erklärung nachvollziehbar war :)


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