Zum Inhalt der Seite

Ein unverhofftes Familientreffen

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Gesundes neues Jahr euch allen! Ich hoffe, ihr seid alle gut reingerutscht!
Ich habe soeben mit Entsetzen festgestellt, dass 2021 gerade mal ein Kapitel kam. Ich kann mich leider nur erneut entschuldigen, es tut mir wirklich sehr leid. T_T
Neben dem Studium habe ich noch mit Schreibblockaden zu kämpfen, ich hoffe aber wirklich, dass es dieses Jahr besser werden wird. Nochmal, Entschuldigung. :(
Nun ja, ich wünsche dennoch viel Spaß! Falls jemand überhaupt noch mitliest. ._. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der letzte Kampf beginnt

Satan wachte wie üblich vor dem Rest seiner Kinder auf. Er machte sich schnell fertig, dann weckte er den Rest, Rin ließen sie dagegen weiterschlafen, da er die wenigste Vorbereitung nötig hatte. Noch immer bereitete ihm diese Entscheidung Unbehagen, tröstete sich allerdings mit dem Gendanken, dass er den Nephilim durchgehend im Blick haben würde. Was den Rest betraf, so konnte er nur hoffen.

 

Nach einem kurzen Wortwechsel verließ er als erstes den Raum und betrat die noch ziemlich leeren Flure. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich diese füllten, denn nach ewigen planen, auskundschaften und beraten war endlich der Tag gekommen, an dem sie sich Gehenna zurückholen würden. Sie hatten alles Mögliche getan, um sich vorzubereiten und doch war er nicht sicher, wie es laufen würde. Schon im Voraus rechneten sie damit, viele Exorzisten zurücklassen zu müssen, da Gehenna sie krank machen würde, zudem war fraglich wie viele es schlussendlich überhaupt heil rüber schafften. Sicher, die Grenzen waren dünner, theoretisch sollte es damit einfacher sein, doch es war keine Garantie für einen Erfolg. Selbst für Dämonen konnte ein Risiko bestehen, bei Menschen war es somit umso höher.

 

Zumindest hatte er in weiser Voraussicht über die letzten Tage hinweg bereits viele Dämonen nach Gehenna vorgeschickt. Einerseits sparten sie so Zeit und Nerven, andererseits war nicht sicher, ob er wirklich so viele Personen mit einmal in die Dämonenwelt bringen könnte und er wollte es auf diese Weise nicht herausfinden. Außerdem hatten sie dadurch bereits einige Berichte erhalten, wobei diese nicht viel zu sagen hatten. Die Gegenden, in denen sie sich versteckten hatten, waren relativ ruhig, von einigen seltsamen Tieren abgesehen, welche höchstwahrscheinlich weitere Experimente waren.

 

Wie erwartet traf er auf den Gängen nur vereinzelte Dämonen und Exorzisten, letztere machten einen gewaltigen Bogen um ihn, was ihn aber nicht weiter störte, solange sie keinen Ärger machten. Es war überraschend, dass bisher noch niemand versucht hatte, ihn anzugreifen. Zwar hatte es einige gegeben, die ihn bezüglich der blauen Nacht konfrontiert oder offen gestanden hatten, dass sie ihm nicht trauten, allerdings war das immer noch friedlicher als erwartet. Hoffentlich kamen sie am Ende nicht auf die Idee, ihnen in den Rücken zu fallen, wenn Lilith erledigt war. In diesem Fall würde er sie auslöschen, auch wenn Rin es wohl nicht gut heißen würde.

 

Er hatte gerade den leeren Flur vor den Trainingshallen erreicht und hörte überraschenderweise Schüsse aus einer davon. Vermutlich wäre es besser, einfach weiterzugehen und sich nicht davon stören zu lassen, doch am Ende gewann seine Neugier. Zögerlich betrat er die Halle, wo Yukio gerade Schussübungen absolvierte. Das sollte ihn wohl kaum überraschen. Nach dem was Rin und Samael ihm erzählt hatten, war Yukio sehr penibel, wenn es um seine Fähigkeiten ging. Ein wenig widerwillig musste der Dämonengott eingestehen, dass der Jüngere ein guter Schütze war, doch natürlich konnte er seine Unzufriedenheit nicht ganz im Zaun halten.

 

Zum wiederholten Male fragte er sich, was sich Fujimoto dabei gedacht hatte, eins seiner Kinder zu einem Exorzisten zu machen, wenn er besagte Kinder eigentlich von Dämonen fern halten sollte. Entweder war es seine Art Satan den Mittelfinger zu zeigen oder er hatte tatsächlich gedacht, er würde damit ihr Leben erleichtern. Seine Intentionen waren sicherlich alles andere als schlecht gewesen, der Schaden war jedoch gemacht und er selbst trug teilweise Schuld daran. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, seine erste Begegnung mit Rin wäre anders abgelaufen, aber wie hätte er ahnen sollen, dass der ehemalige Paladin genug Willenskraft besaß, um die Kontrolle zurückzuerlangen? Nun, es ließ sich leider nicht mehr ändern.

 

Yukio schien ihn noch nicht bemerkt zu haben oder ihn zu ignorieren, aber entgegen seines Urteilsvermögen trat er langsam näher, als der Brillenträger kurz inne hielt, um nachzuladen. Immerhin wollte er nicht riskieren, selbst zur Zielübung zu werden und die Situation somit noch unangenehmer zu machen. „Ist es nicht etwas früh dafür?“, fragte er ruhig, während er sich bereits darauf vorbereitete, notfalls auszuweichen. „Du verschwendest Energie und Munition.“

 

Der jüngere Okumura Zwilling drehte sich gar nicht erst um und fuhr mit seinen Übungen fort, gab ihm allerdings zumindest eine Antwort. „Es hilft mir dabei, mich zu konzentrieren und es ist eine gute Ablenkung.“, erwiderte er knapp. „Außerdem beruhigt es.“ Ausnahmsweise etwas, mit dem sich Satan identifizieren konnte. Etwas zu verbrennen oder einfach nur kurz und klein zu schlagen, war manchmal durchaus therapierend, auch wenn Shax wohl protestieren würde. Allerdings war es immer noch besser, als zufällig vorbeikommende Dämonen einzuäschern wie er es früher getan hatte. Selbst wenn es einige seiner Meinung nach wirklich verdient hätten. Dennoch war es etwas besorgniserregend, dass ein 16-Jähriger den Umgang mit Schusswaffen entspannend fand.

 

„Wenn es dir hilft, dann gut. Pass aber besser auf, dass du nicht zu früh deine Kräfte verschwendest, andernfalls wirst du später Probleme haben.“, riet er und wandte sich zum gehen. Er war sich vollkommen darüber im Klaren, dass sein jüngster Sohn nichts mit ihm zu tun haben wollte, weswegen er umso überraschter von dessen Reaktion war.

 

„Warte!“, wurde er aufgehalten. „Ich muss kurz mit dir reden.“ Verwundert drehte sich der Dämonenherrscher um, nickte langsam und sah ihn mit verschränkten Armen an. Er konnte sich bereits denken, worum es ging, fragte allerdings trotzdem nach.  „Worum geht es?“ Natürlich sollte er mit seiner Vermutung Recht behalten. „Ich mache mir Sorgen um Rin.“, antwortete Yukio unverblümt. „Ich weiß, er hat in den letzten Monaten viel dazu gelernt und er ist stärker geworden, aber vor allem nach der Sache mit Lilith bin ich nicht sicher, ob er die Nerven behalten wird.“

„Inwiefern meinst du das?“

 

„Ich denke, das weißt du. Rin hat sich noch immer nicht erholt, wie denn auch nach dem Erlebnis? Er tendiert außerdem dazu, bei großem Druck Panik zu bekommen, er könnte einen Aussetzer haben, wenn es drauf ankommt.“ Endlich sah er den Dämonen an und zum ersten Mal lag in seinem Blick keine Abneigung, dafür Hilflosigkeit und Sorge. Wohlwissen, dass er mit dem Brillenträger nicht wie mit seinen restlichen Söhnen sprechen konnte, versuchte er es durch gutes zureden.

 

„So sehr ich deine Sorgen verstehe, ich denke, dass du ihn unterschätzt.“, antwortete Satan ruhig. „Rin ist wesentlich härter im Nehmen als du denkst, anderenfalls wäre er nicht so ruhig geblieben, nachdem er von seiner wahren Herkunft erfahren hat oder als die Exorzisten ihm nur ein Jahr für die Exorzistenprüfung gegeben haben. Ja, er hat sich noch nicht erholt und es wird eine Weile dauern bis er es kann, aber ich habe keinen Grund zu glauben, dass er versagen wird.“ Yukio öffnete den Mund, doch er unterbrach ihn. „Und komm mir jetzt nicht damit an, dass er alles auf die leichte Schulter nimmt, weil er den Ernst der Lage nicht begreift. Er versteht wesentlich mehr als du denkt, er ist nur ziemlich gut darin, es zu verstecken.“

 

Der Exorzist zuckte zusammen und wich dem Blick des Dämonenherrschers aus. „Versteh mich nicht falsch. Ich meine damit nicht, dass Rin dumm ist. Aber wir wissen beide, wie vorschnell er sein. Es hängt alles von diesem Ritual ab, wenn er die Nerven verliert, verlieren wir alles. Das ist zu viel Druck!“

 

„Damit magst du recht haben, aber wir brauchen ihn. Andernfalls würde ich ihn nicht mitnehmen.“, seufzte Satan. Was würde er nicht geben, um Rin in Assiah lassen zu können, aber sich jetzt deswegen Gedanken zu machen, würde niemanden etwas bringen. Es musste getan werden. „Er hat sich lange darauf vorbereitet und wir werden ihn bis zu dem Ritual beschützen. Er ist in guten Händen.“

 

„Und wenn Lilith ihn wieder übernimmt? Ich weiß, ich hab genauso dabei versagt, ihn zu beschützen, aber wenn ihr das nochmal passieren lasst-“

 

„Es wird nicht nochmal passieren.“, schnitt der ältere Dämon ihn harscher ab, als er geplant hatte. Zwar war er an Rins Gefangennahme mit schuld, allerdings wurde er nach wie vor ungern daran erinnert. Er hatte schon beim ersten Krieg und der Zeit davor so viele schlechte Entscheidungen getroffen und unbewusst Azazel im Stich gelassen. Als Vater und Herrscher gab es für ihn nichts Schlimmeres. Da Yukio noch immer unsicher wirkte, setzte er nach. „Es geht nicht anders, außer du hast eine bessere Idee oder weißt, wie wir Azazel komplett von Liliths Einfluss befreien und innerhalb der nächsten Stunden wieder vollkommen auf die Beine bringen.“

 

Natürlich schwieg der Jüngere, die Frustration deutlich, bis er schließlich nickte. „Ich schätze, du hast Recht. Passt einfach auf ihn auf, Bitte. Wenn ich nicht helfen kann, dann wenigstens ihr.“ Damit drehte er sich um und verließ beinahe fluchtartig die Halle. Satan hielt ihn nicht auf, er wollte keinen Streit riskieren und offenbar war der jüngere Zwilling ohnehin schon aufgeregt genug. Hoffentlich würde er nichts Unüberlegtes versuchen.

 

„Sieht aus, als wäre ich nicht die Einzige, die von ihrem eigenen Kind verachtet wird. Das baut doch auf.“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Na, das brauchte er jetzt.

 

„Nur war es im Gegensatz zu dir nie meine Entscheidung ihn zurückzulassen, Indra.“ Er drehte sich um und sah die Zeitdämonin genervt an, diese verdrehte die Augen. „Ach, fängst du wieder damit an? Wie originell. Allerdings hast du obendrein den Tod seines Adoptivvaters zu verantworten, daher solltest du nicht so unschuldig tun. Ich schätze, wir sind auf unsere jeweils eigene Weise Versager.“

 

„Und woher weißt du das jetzt wieder?“, knurrte Satan ein wenig gereizt. Er hatte sichergestellt, dass niemand von seinem Fehltritt erfahren würde, andernfalls hätten sich alle wie die Geier darauf gestürzt. Der König Gehennas traumatisierte sein Kind indem er dessen Adoptivvater, welcher passenderweise noch der Paladin der Heiligkreuz Ritterschaft war, vor seinen Augen sterben ließ, mal ganz zu schweigen von Astaroths Aktion. Oh, das wäre ein wahrhaftiges Fest für die höhere Gesellschaft und Klatschpresse gewesen. „Ich habe meine Wege.“, erwiderte die Zeitdämonin beinahe schon gelangweilt klingend. „Abgesehen davon hattest du schon immer die Tendenz, voreilig zu handeln, was du ja durchaus vererbt hast. Nicht, dass ich deine Entscheidung nicht nachvollziehen kann. Die wenigstens wären begeistert gewesen, wenn man deren Kinder stiehlt, zumal der Paladin wusste, worauf er sich einlässt.“

 

„Führt dieses Gespräch noch irgendwohin oder willst du nur clevere Kommentare abgeben?“ Heute hatte er wirklich keine Nerven für ein solches Theater, abgesehen davon war Indra nun wirklich die letzte, die sich über dieses Thema auslassen sollte. Die Dämonin hielt inne, bevor sie mit den Schultern zuckte. „Verzeih, Macht der Gewohnheit, fürchte ich. Meine Achtung allerdings, du und…wie war sein Name noch gleich? Nun ja, Kompliment an dich, dass du so ruhig bleiben kannst. Er wirkt ziemlich nervtötend.“

„Er macht sich nur Sorgen um Rin.“

 

„Und doch sagt sein Blick mehr als tausend Worte. Selbst wenn er es versucht zu verstecken, ihm sind Dämonen zuwider, insbesondere ihr. Er kann noch nicht akzeptieren, dass Rin in beide Welten gehört oder euch gar verzeihen. Andererseits konnte ich mich mehr oder weniger mit Samael aussprechen, also besteht eventuell noch Hoffnung für euch.“ Das erregte die Aufmerksamkeit des älteren Dämonen sofort. „Also habt ihr euch wirklich vertragen? Er hat sich nicht dazu geäußert.“

 

Zum ersten Mal wich die Dämonin seinem Blick aus. „Mehr oder weniger.“, gestand sie langsam. „Ich bin selbst nicht sicher. Er ist noch nicht ganz bereit mir zu vergeben, aber er scheint mich zumindest nicht länger zu hassen und man kann ein halbwegs normales Gespräch mit ihm führen. Es ist immer noch unfassbar, dass ausgerechnet ein Nephilim das ermöglicht hat.“ Satan fragte sich, ob sie ihm alles erzählte, hakte aber nicht nach. Das war zwischen ihr und Samael, er würde sich erst einmischen, wenn man ihn darum bat. Er beschloss, das Thema zu wechseln.

 

„Ich bin überrascht, dich so früh wach zu sehen. Schlecht geschlafen?“ Erneut wich Indra seinem Blick aus. „Nein. Ich habe mich entschieden mit nach Gehenna zu kommen.“ Satan hatte mit allem gerechnet, doch nicht hiermit. Stirnrunzelnd sah er sein Gegenüber an. „Vergiss es. Du bist keine Kämpferin und ich werde nicht deine Überreste vom Boden aufkratzen.“ Sie lachte kurz auf. „Oh, du magst mich also doch noch. Welch Überraschung, ich fühle mich geschmeichelt.~“

 

„Indra, das ist kein Witz.“

 

„Darüber bin ich mir durchaus gewahr, ich meine es vollkommen ernst. Ich mag keine Kämpferin sein und bin damit an der Front unnütz, dafür kenne ich mich mit Giften aus, was ihr angesichts der Naga dringend nötig habt. Muss ich dich an Egyn im ersten Krieg erinnert? Er wäre fast wegen einer von ihnen gestorben.“

 

„Daran musst du mich nicht erinnern.“, sagte der Dämonengott schnell. Er dachte ungern darüber nach, wie oft seine Söhne im ersten Krieg gegen Lilith verletzt oder beinahe getötet worden waren. Sie waren eindeutig zu jung gewesen, allerdings hatten sie keine Wahl gehabt. Vorwürfe hatte er sich dennoch gemacht. „Aber du standest noch nie auf einem Schlachtfeld und obendrein hasst Lilith dich. Es würde mich nicht wundern, wenn dich manche direkt erkennen und angreifen.“

 

„Oh, natürlich werden sie mich angreifen. Es ist mir nur, um ganz direkt zu sein, ziemlich egal. Wirklich zu verlieren habe ich nichts und ich habe genug davon, nichts zu tun. Irgendwann reicht es dann damit die Jungfrau in Nöten zu spielen.“  Nun war es Satan, der schnaubte. „Das ist das letzte Wort mit dem ich dich beschreiben würde, doch diese Einstellung kannst du dir schenken, ansonsten kannst du dir gleich einen Strick nehmen.“

 

Indra schien es wenig zu stören. „Warum nicht? Es stimmt. Meine Familie hat mich verstoßen, damit habe ich weder Recht auf Titel noch Vermögen. Das Anwesen meines Ex-Mannes wurde mir weggenommen und dank der Publikation unserer kleiner Affäre bin ich das Gespött jedes gesellschaftlichen Kreises. Versteh mich nicht falsch, ich werde nicht in die nächste Klinge springen, aber wenn der Tod kommt, dann kommt er.“ Endlich sah sie Satan an, ihr Blick entschlossen. „Und wenn ich überlebe…nun, vielleicht kann ich versuchen, Teil von Samaels Leben zu sein, wenn er mich lässt. Es wird wohl dauern, aber wir haben ja Zeit. Theoretisch sollte ich zumindest mein Anwesen zurückbekommen. Ich schätze, ich werde es dann einfach verkaufen und mich anderswo nieder lassen. Wer weiß, vielleicht könnte ich etwas mit meinen Giftkenntnissen aufbauen…“ Sie schien kurz in Gedanken, bevor sie mit den Schultern zuckte. „Mir fällt etwas ein, wenn es so weit ist.“

 

„Du könntest vorerst im Palast bleiben. Vielleicht erklärt sich Samael sogar bereit, dir einen von deiner Familie unabhängigen Titel zu geben.“, bot der Dämonenherrscher an, die Zeitdämonin schüttelte allerdings mit dem Kopf. „Mein Ruf ist ruiniert, daher wird niemand für mich arbeiten, das würde sich schlecht in ihrem Lebenslauf machen. Ich heirate nicht und habe somit keinen Erben, daher wäre es für Samael eine schlechte Investition und am wichtigsten: Ich habe keinerlei Einkommens- oder Einflussbasis, mal ganz abgesehen von Kontakten und Verbindungen. Ich würde mich nicht lange halten können. Sich irgendwo niederzulassen und zu versuchen, sich selbst etwas aufzubauen, erscheint mir da klüger. Andere Dämonen haben es genauso geschafft, sogar jene die zu Lilith gehören und damit noch schlechtere Voraussetzungen haben.“

 

Natürlich hatte sie nicht Unrecht, ohne Verbindungen und Investitionen überlebte man unter den Adelsfamilien nicht lange und er konnte Indras Familie nicht zwingen, sie zurückzunehmen. Außerdem war es schlussendlich immer noch ihre Entscheidung, es stand ihm nicht zu, sich einzumischen. Natürlich hatte er ein schlechtes Gefühl, aber wusste wie sinnlos ein Streit war. „Gut, wenn du meinst. Ich werde dich nicht aufhalten.“ Die Dämonin nickte kommentarlos, schien jedoch noch etwas sagen zu wollen. Da er nicht ewig Zeit hatte, wollte er sie zunächst vertrösten, doch die sie kam ihm zuvor und weckte mit dem Gesagten sofort sein Interesse.

 

„Es gibt eine Sache, die ich dir gestehen und für die ich entschuldigen muss.“ Sie wich erneut seinem Blick aus, offenbar war ihr unangenehm, was folgen würde. „Es geht um Lilith und den Mord an Uriel. Wahrscheinlich wirst du mich dafür hassen. Einige Tage zuvor kam Lilith zu Besuch und hat sich darüber ausgelassen, dass Uriel von dir schwanger ist. Zu Beginn war es das übliche, sie hat Gift gespuckt, ich hab es mir angehört und versucht sie zu beruhigen, aber dann begann sie plötzlich Andeutungen zu machen. Sie sprach davon, dass Unfälle passieren. Ich habe es in dem Moment für eine Verzweiflungstat gehalten und sie an die Folgen erinnert. Daraufhin ist sie abrupt gegangen und meinte nur, dass sie keine Königin, sondern die Königin sein will.“

 

Satan konnte im ersten Augenblick gar nicht begreifen, was die Zeitdämonin ihm gestand. Er selbst hatte damals nicht mal ansatzweise in Erwägung gezogen, dass die Dämonengöttin auf Mord zurückgreifen würde. Sicherlich, sie war oft gewalttätig geworden und insbesondere die armen Dienstmädchen im Palast zu jener Zeit konnten davon ein Lied singen, jedoch hatte er sie als stabiler eingeschätzt. Trotz all ihrer Fehler hatte sie nie ein Kind oder eine Mutter angerührt, ob nun eine momentane oder werdende. Wie tief musste ihre Obsession bereits verwurzelt gewesen sein, wenn sie alle Überzeugungen bereits nach so kurzer Zeit über Bord warf? Dass sie obendrein noch jemanden von ihrer scheinbar spontanen Idee erzählt hatte, machte ihren Zerfall nur noch deutlicher. War es ihr am Ende sogar egal gewesen, ob sie erwischt wurde oder nicht? Stets war er davon ausgegangen, dass ihr Wahnsinn sich über die weiteren Jahre aufgebaut hatte, doch dies war ganz eindeutig ein Irrtum gewesen. Indra war allerdings noch nicht fertig.

 

„Ich habe es für eine dumme Idee gehalten, die im Eifer des Gefechts hatte. Sie war wütend und frustriert und es war nicht das erste Mal, dass sie Mordwünsche geäußert hat, das aber wirkte…anders. Als würde sie es wirklich ernst meinen. Dumm wie ich war, habe ich die Sorge beiseitegeschoben.“, die Zeitdämonin senkte beschämt den Blick, etwas dass sie noch nie zuvor getan hatte, zumindest nicht in seiner Gegenwart. „Wenn ich zu euch gekommen und euch gewarnt hätte, wäre alles danach wahrscheinlich nie passiert. Uriel wäre am Leben und wir müssten uns jetzt keine Gedanken um einen Krieg machen. Ich weiß, Worte können das nicht ansatzweise wieder gut machen, doch ich-“

 

„Du hattest noch einen anderen Grund, sie nicht zu verraten.“, unterbrach Satan sie zu seiner eigenen Überraschung. Es war keine Frage, jahrelange Übung und Erfahrung verriet es ihm. Indra sagte nur einen Teil der Wahrheit und tatsächlich kam sie ins Schleudern, stritt jedoch nichts ab. „Die Wahrheit ist…ich hatte Gefühle für sie.“, gestand sie schließlich mit erstickter und ließ den Dämonenherrscher erstarren. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Dennoch ließ er sie weiterreden.

 

„Zu diesem Zeitpunkt wollte ich es mir nicht ganz eingestehen und sie war dabei, sich von eurer Trennung zu erholen. Zumindest dachte ich, dass sie sich erholt. Irgendwann nach Uriels Tod habe ich es gestanden, aber sie hat mich verspottet. Wir waren bereits distanziert, jedoch wollte ich sie bezüglich meines Verdachtes nicht konfrontieren. Ich hatte zu große Angst vor der Antwort und was es für mich bedeuten würde. Immerhin könnte man meine Passivität als Beihilfe auslegen.“ Sie verzog das Gesicht als wäre sie von sich selbst angewidert. „Dann kamst du ins Spiel. Ich wollte ihr wehtun, diesen Teil kennst du ja. Zu Beginn habe ich dich nur als Mittel zum Zweck gesehen, mit der Zeit habe ich begonnen, dich zu mögen. Auf freundliche Weise versteht sich. Als dann Samael kam, folgte die Panik. Ich war zu ängstlich wegen der Reaktion anderer, insbesondere Liliths. Einerseits wollte ich mich nicht den Konsequenzen meiner Handlungen stellen, andererseits hatte ich weder dich noch Samael verdient. Also bin ich lieber weggelaufen und habe somit alles schlimmer gemacht. Es…Es tut mir leid. Läge es innerhalb meiner Macht, würde ich es rückgängig machen.“ Ihre Stimme klang mit jemanden Satz angespannter, so als schien sie kurz vor den Tränen zu stehen.

 

Satan antwortete nicht sofort, er brauchte einige Sekunden um alles aufzunehmen. Hätte Indra ihm all dies vor einigen Jahrhunderten gestanden, wäre er wohl rasend gewesen. Wie konnte sie nur so auf Lilith hereinfallen?! Stattdessen empfand er nur eine seltsame Mischung aus Mitleid, Frustration und Wut, wobei sich letzteres ausschließlich gegen Lilith richtete. „Indra…es spielt keine Rolle mehr.“, sagte er mit beinahe schon gebrochener Stimme. „Lilith hat uns alle hereingelegt und wenn jemand die Schuld trägt, bin ich es. Ich habe sie vollkommen falsch eingeschätzt und den Schutz meiner Frauen vernachlässigt obwohl sie unter teilweise seltsamen Umständen verstorben sind. Außerdem habe ich mich zu sehr von den Meinungen anderer beeinflussen lassen, dabei hätte ich Lilith sofort konfrontieren sollen. Stattdessen habe ich als Gatte, Herrscher und Vater versagt. Jetzt kann ich nur versuchen, das irgendwie wieder gerade zu biegen. Ich verzeihe dir.“

 

Indras Haltung wurde entspannte etwas, ihr unsicherer Blick blieb dagegen. „Nichts für ungut, doch es fällt mir schwer, dass zu glauben. Nochmal, ich hätte es verhindern können-“

 

„Das weißt du nicht. Wie gesagt, es liegt in der Vergangenheit.“, wiederholte Satan. „Früher hätte ich dir nicht verziehen und dich wahrscheinlich eingeäschert, das stimmt.“ Indra verzog kurz das Gesicht, sagte jedoch nichts. „Wie gesagt, es war genauso meine Schuld und theoretisch könntest du noch dem Attentäter, den Wachen und wem nicht allen die Schuld zuweisen, es bringt nichts und wir haben Wichtigeres zu tun.“

 

„Ich schätze, das ist wahr. Danke.“, gestand die Dämonin zögerlich. Satan nickte kurz und so gern er weiter geredet hätte, er musste weiter. „Ich sollte jetzt gehen. Viel Glück und pass auf dich auf.“

 

„Du ebenfalls. Schick dieses Miststück in den Hades für mich, da? Ich würde es ja zu gern selbst tun, aber ich denke, dir stehst es eher zu.“ Für einen Moment schien sie etwas sagen zu wollen, doch überlegte es sich dann offenbar anders und wandte sich wieder ab. ‚Diese Frau bringt mich eines Tages ins Grab.‘, dachte er kopfschüttelnd. Wirklich Zeit sich Gedanken zu machen, blieb allerdings nicht, denn er hörte bereits die ersten sich streitenden Stimmen und entdeckte eine Gruppe Exorzisten, die sich mit mehreren Dämonen in den Haaren hatte. Der Morgen ging ja bereits sehr gut los.

 

 

……………………………………………………………………..

 

 

Obwohl der Tag der Entscheidung gekommen war, fühlte er sich für Rin nicht anders an, als an die Tage zuvor. Er stand auf, machte sich fertig und ging zum Frühstück. Auf dem Weg traf er Alastor, der zusammen mit den anderen Stellvertretern im Gespräch war. Paymon war der erste, der ihn bemerkte und winkte ihn heran. „Guten Morgen, Rin. Du hast es also schlussendlich aus dem Bett geschafft.“, begrüßte er ihn überraschend gut gelaunt. „Ankou hatte sich schon freiwillig gemeldet, um dich zu wecken.“

 

„Sei froh, dass sie nicht die Gelegenheit bekommen hat.“, murmelte Halphas, wofür er Seitenblick von der besagten Dämonin bekam. „Was genau soll mir das sagen?“, fragte sie ihn scharf.

 

„Nichts, gar nichts!“, versicherte der Feuerdämon ihr schnell und grinste nervös. Alastor verdrehte die Augen, schien allerdings ebenfalls relativ gute Laune zu haben. Es war etwas schwer zu sagen, wenn er immer so düster drein schaute, da aber heute mit Sicherheit ein ziemliches Gemetzel kommen würde, musste das für ihn wie Weihnachten sein. Oder was auch immer man in Gehenna feierte. Rin sollte bei Gelegenheit nachfragen. „Ich hoffe um deinetwillen, dass du bereit bist.“, sagte der Vollsztecker ganz direkt. „Du kannst dir keinen Fehler leisten.“

 

„Jetzt setz ihn nicht zu sehr unter Druck, er wird schon so aufgeregt genug sein!“, rügte Shax ihn, aber natürlich winkte der andere Dämon ab. „Wenn er schon vor Worten Schiss bekommt, wird er’s im Kampf keine fünf Minuten aushalten.“ Rin musste eingestehen, dass er damit nicht ganz unrecht hatte und zwang sich zu seinem Lächeln. „Bei mir ist alles in Ordnung.“, versicherte er schnell und versuchte dabei möglichst zuversichtlich auszusehen. Er war nicht sicher, ob sie ihm wirklich glaubten, aber zumindest hakten sie nicht nach. „Denk nur an das, was ich dir beim Training gezeigt habe, das könnte dir das Leben retten.“, riet Alastor ihm. „Sie sollten zwar nicht an dich rankommen, aber das ist kein Grund die Füße hochzulegen.“

 

„Ich bin sicher, Rin weiß das.“, sprang schnell Agares ein, bevor der Feuerdämon richtig in Fahrt kommen konnte. „Er schafft das schon.“ Der Halbdämon war froh, dass sie ihm zumindest vertrauten und nickte zustimmend. Allerdings wollte er nicht mehr über den Kampf reden, daher sah er die Wasserdämonin erwartungsvoll an. Sie sagte nichts, offenbar verstand sie nicht, was er wollte. Wahrscheinlich sollte er warten, bis sie selbst etwas sagte, doch seine Neugier siegte schlussendlich. „Also, kam noch irgendwas bei Egyn raus?“

 

Sofort wurde sie rot, aber lächelte dennoch zufrieden. „Na ja, wir wollen wie gesagt warten bis das hier vorbei ist, bevor wir es versuchen. Wir haben allerdings die letzten Tage zusammen verbracht und es war wirklich schön. Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir vielleicht wirklich zusammen sein werden!“

 

„Ihr wärt schneller zusammen gewesen, wenn du dich eher getraut hättest.“, warf Tap ein, was Agares gekonnt ignorierte. Stattdessen schwärmte sie von davon wie sehr sie sich auf die Zukunft freute. Zumindest sie schien zuversichtlich zu sein. Sie redeten noch eine Weile über alles Mögliche, Amon war dann allerdings der erste der sich verabschiedete, da er noch möglichst viel Zeit mit seiner Familie verbringen wollte. Halphas und Alastor gingen als nächstes, gefolgt von Tap, weswegen nur Rin, Shax, Ankou und Paymon übrig blieben.

 

„So jetzt da die anderen weg sind: Wie fühlst du dich wirklich?“, fragte Shax ihn direkt und ließ den Halbdämonen zusammen zucken. „Ich habe ernst gemeint, was ich gesagt habe. Es geht mir gut. Das wird kein Problem.“, sagte er schnell. Ankou seufzte und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du bist immer noch miserabel im Lügen.“, kommentierte sie. „Na komm, wir wissen alle, dass du nervös bist.“ Da Rin nicht antwortete, ergriff Shax das Wort.

 

„Wir wollen das jetzt nicht weiter ausschlachten.“, erklärte er ernst. „Denke bitte nur dran, dass du nicht allein bist, in Ordnung? Wir stehen hinter dir und du hast das bisher wunderbar gemacht. Du hast schon eine Menge in Gehenna gelernt, da wird dieses Ritual keine Schwierigkeit sein.“

 

„Genau das denke ich ebenfalls.“, bestätigte Paymon. „Gehennisch ging am Anfang auch nur holprig, aber du hast es gut gemeistert. Selbst wenn du noch einiges zu lernen hast, hast du bewiesen, dass du einiges kannst. Lass dich jetzt nicht unterkriegen.“

 

„Und seien wir ehrlich.“, steuerte  Ankou bei. „Amaimon und Astaroth haben es beide geschafft, dabei wissen sie gerade mal, von welcher Seite man Sigillen anfängt zu zeichnen.“ Rin musste gegen sein Willen kurz lachen, allerdings war zumindest ein Teil der Anspannung verflogen. Er würde außerdem einfach mal so tun, als wüsste er, dass man Sigillen von einer bestimmten Seite zeichnen musste. „Dankeschön. Ich glaube das ist das erste Mal, dass Leute wirklich daran glauben, dass ich etwas schaffe. Mit der Ausnahme von Shiro und den anderen Mönchen.“, gestand er. Das ließ auch die anderen lächeln und Ankou nickte ihm zu.

„Dann zeig auch dem Rest, dass du’s kannst.“, ermutigte sie ihn. „Ich muss jetzt aber wirklich los, ich möchte nochmal Azazel besuchen. Wir sehen uns dann nachher.“ Auch die anderen beiden mussten sich verabschieden, jedoch ging Rin nun wesentlich zuversichtlicher zum Frühstück. So viele verließen sich auf ihn, manche hatten wahrscheinlich Angst, dass er es in den Sand setzte, aber die Tatsache, dass zumindest einige an ihn glaubten machte es zumindest etwas einfacher. Die Nervosität würde zwar bleiben, aber er zwang sich dazu, positiv zu denken.

 

Endlich erreichte er den Saal, wo alle in Gesprächen vertieft waren, allerdings wirkte die Stimmung bedrückender als sonst, das erste Anzeichen, dass dieser Tag nicht wie der Rest sein würde. Er holte sich sein Essen und ließ sich an einem der Tische nieder, die leeren Plätze wurden allerdings schnell von den Adepten und Mönchen gefüllt. „Alles klar bei dir, Rin?“, erkundigte sich Izumi besorgt und musterte den Nephilim angespannt. Dieser nickte und nahm einen weiteren Bissen. „Fühlt sich etwas seltsam an, aber es geht.“, antwortete er wahrheitsgemäß und sah sich um. „Wo sind Yukio und Shura?“

 

„Shura wurde zur Aufsicht eingeteilt und er wollte ihr helfen. Sie werden bestimmt demnächst kommen.“, berichtete Shiemi, während sie in ihrem eigenen Essen stocherte. Angespannte Stille folgte, die schließlich von Shima durchbrochen wurde. „Also…ich schätze, das war‘s dann jetzt, oder?“, sagte er und lachte nervös. „Der letzte Kampf.“ Bon warf ihm einen Seitenblick zu. „Du klingt, als würdest du dich schon im Grab sehen. Entspann dich oder das wird nie was.“

 

„Er hat aber schon recht.“, warf Koneko ein. „Also, ich meine nicht, dass wir alle sterben werden!“, ergänzte er hastig, als er die Gesichter der anderen sah. „Aber es wird der letzte Kampf und wir wissen nicht, wie es endet oder wer das alles überleben wird.“

 

„Wenn ihr so redet, können wir gleich hier bleiben.“, schnaubte Izumo. „Wir haben den Kampf im Vatikan überlebt und konnten uns schon mal in Satans Palast schleichen. Ich denke, unsere Chancen könnten schlimmer sein.“ Rin schwieg, er wollte sich nicht zu sehr in die Sache reinsteigern und überlegte stattdessen wie er das Thema wechseln konnte. Glücklicherweise nahm Kyodo dies bereits selbst in die Hand. „Ihr seid ja nicht an vorderster Front.“, beruhigte er die Adepten. „Bleibt ganz ruhig, das wird schon werden. Reden wir lieber über etwas anderes.“

 

Ob der Mönch Rins Unbehagen nun bemerkt hatte oder nicht, der Nephilim war ihm sehr dankbar für sein Eingreifen. Das Gespräch wurde wesentlich fröhlicher, nach einer Weile gesellten sich Shura und Yukio hinzu, die sofort darauf ansprangen. Zwar warfen beide immer wieder Seitenblicke Richtung Rin, sprachen ihn allerdings nicht auf das an, was später kommen würde. Sie waren so vertieft, dass er nicht bemerkte wie sich Agares nährte und sich folglich ziemlich erschreckte, als sie ihm auf die Schulter tippte. „Hey, Rin. Tut mir leid zu stören, aber kommst du bitte mal kurz mit?“, fragte sie. Sofort schwang seine gute Laune in Sorge um und er drehte sich rückartig zu ihr um. „Ist etwas passiert? Geht es Azazel schlechter?!“

 

Natürlich malte er sich sofort alle möglichen Horrorszenarien aus, doch glücklicherweise verneinte sie schnell. „Nichts dergleichen. Lord Satan und deine Brüder wollen noch ein letztes Mal zu Azazel und sich verabschieden, bevor es los geht. Er würde sich sehr freuen, dich zu sehen.“ Selbstverständlich ließ sich der Nephilim nicht lange bitten, verabschiedete sich von den anderen und machte sich sofort auf den Weg. Es war schon wieder eine ganze Weile her, seit er den Geisterkönig hatte besuchen können, weswegen er entsprechend aufgeregt war.

 

Agares überbrückte die Laufzeit derweil mit Small Talk. „Ich hatte vorhin ganz vergessen zu fragen, ob du gut geschlafen hast! Lord Satan war schon ziemlich früh auf den Beinen und ist umhergetigert, aber natürlich wollte er sich nicht nochmal hinlegen.“, seufzte sie. „Manchmal frage ich mich wirklich wie er sich überhaupt noch auf den Beinen halten kann, aber da ist wohl nicht viel zu machen. Er ist da total stur, vielleicht hätten wir ihm doch Ruha auf den Hals hetzen sollen. Oder Sequana, laut Egyn hat sie da auch Talent.“

 

„Ehrlich gesagt habe ich nichts davon mitbekommen, ich habe eigentlich gut geschlafen.“, erwiderte der Halbdämon schulterzuckend. „Der Rest hat glaube ebenfalls durchgeschlafen, sogar Astaroth.“

 

„Das ist gut. Müde in einen Kampf zu gehen sind nicht gerade die besten Voraussetzungen.“, fuhr die Wasserdämonin fort. „Ich erinnere mich noch zu gut an den Zwischenfall im Schwarzsumpf. Wir hatten nicht sehr viel Platz, um unser Lager aufzuschlagen und es war schwer heran zu kommen, aber wir haben Liliths Leute komplett unterschätzt. Sie haben uns in der Nacht angegriffen und die meisten Wachposten getötet, bevor wir aus den Zelten waren. Gerade schläft man noch, dann hört man plötzlich Schreie und soll direkt kämpfen. Nicht wirklich das beste Gefühl.“ Sie hielt inne, ihr Gesichtsausdruck düster, aber sie fing sich schnell und lächelte dem Halbdämonen aufmunternd zu. „Na ja, ich hoffe einfach, dass es relativ schnell vorbei ist. Je eher, desto besser.“ Da konnte Rin nur zustimmen. Niemand brannte auf einen Krieg der Monate oder gar Jahre dauerte.

 

„Wo wirst du heute sein?“, fragte er neugierig und sah sie erwartungsvoll an. „Oh, ich werde natürlich bei Egyn bleiben, aber wir trennen uns dann in zwei Gruppen, sobald wir in der Stadt sind.“, antwortete sie überraschend gelassen. „Je nachdem wie lange der Kampf dauert, werde ich mich um Verletzte kümmern. Ich hoffe, ich bin nicht zu sehr eingerostet, es ist schon etwas her, seit ich größere Wunden behandeln musste. Dein Spinnenbiss jetzt außen vor gelassen.“ Der Nephilim erschauderte bei der Erinnerung daran. Zwar war noch nicht einmal eine Narbe zurück geblieben, aber sein Magen drehte sich noch immer um, wenn er daran dachte.

 

Allerdings war es schon seltsam wie die Zeit arbeitete. Obwohl es noch kein ganzes Jahr her war, fühlte es sich wie eine halbe Ewigkeit an. Rückblickend betrachtet war seine Reaktion selten dämlich gewesen. Wer rannte durch einen Dämonenwald und übersah dann riesige Spinnennetze? Hätte er etwas besser hingesehen, wäre ihm dieses Fiasko möglicherweise erspart geblieben. Sein Vater hatte die meisten Spinnen allerdings erledigt. Ob Beelzebub bereits neue züchtete? Bisher hatten sie nie darüber gesprochen. Falls die Antwort ja war, hoffte er darauf, dass der Baal zumindest seine Lektion gelernt hatte und keine Viecher züchtete, die ihre Angriffe wegsteckten.

 

„Ich hab mich ziemlich gut davon erholt, also wirst du kaum eingerostet sein.“, versuchte er, ihr gut zuzureden. „Und du hast dich doch schon in den letzten Kämpfen um Verletzte gekümmert, oder?“

 

„Schon, aber das waren eher leichte Verletzungen. Wenn das alles vorbei ist, werden Egyn und ich fürs erste mit dem Wiederaufbau von Hawaiiki beschäftigt sein, aber dann werde ich mich wieder etwas mehr dem Heilen widmen. Das war ja mein ursprünglicher Plan.“

 

„Warst du immer nur am Heilen an sich interessiert oder auch an Forschungen? Oder machen Heiler das nicht?“ Er hatte sich noch nie wirklich große Gedanken um die verschiedenen Berufe in Gehenna gemacht, daher fand er ziemlich interessant, was sie zu erzählen hatte. „Ja, auch Forschung.“, bestätigte die Halbdämonin. „Ursprünglich wollte ich in Pandemonium in der Forschungsabteilung eines Heiler-Zentrums arbeiten. Sie sind den Krankenhäusern in Assiah recht ähnlich. Ich bin besonders an Krankheiten, die nur Wasserdämonen befallen, interessiert. In dem Dorf, wo ich aufgewachsen bin, gab es einmal eine, die es beinahe ausgelöscht hätte. Es gibt immer noch viele ähnliche Krankheiten ohne Heilung. Gifte sind allerdings ebenfalls ganz interessant, besonders das der Naga. Sie haben zwar schon ein eigenes, das sie in ihrem Körper produzieren, aber haben über die Jahre trotzdem viel experimentiert und neue Gifte gemischt, die ich ziemlich faszinierend finde. Die Formeln dafür halten sie aber um jeden Preis geheim, darum bereitet uns das sehr häufig Kopfzerbrechen und es macht Attentate von ihnen umso gefährlicher.“

 

Sie redete noch eine Weile weiter, wobei sie förmlich von verschiedenen Forschungen schwärmte und einige ihrer eigenen Theorien erklärte. Das meiste waren für Rin böhmische Dörfer, dennoch war ihre Euphorie irgendwie ansteckend und er versuchte zumindest zuzuhören. „Vielleicht solltest du doch mal mit Yukio reden. Wenn es um Medizin geht, seid ihr beide Streber.“, schlug er vor und erhielt ein kurzes Lachen. „Vielleicht. Ich bin schon lange an den Techniken der Sterblichen interessiert. Vor allem diese seltsamen Maschinen, die sie benutzen. Egyn hat mir mal erzählt, dass sie damit Knochen und Organe sehen können! Wie geht denn sowas?!“

 

„Ähm…du meinst Röntgenstrahlen, schätze ich?“ Natürlich hätte er das nicht sagen wollen, denn nun wollte sie alles darüber wissen, obwohl er keine Ahnung davon hatte. Zumindest schaffte er es am Ende, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken und er erzählte ihr stattdessen über andere Dinge aus Assiah, an denen sie nicht weniger interessiert war. Würde das zwischen ihr und Egyn klappen, sollte er sie wirklich für einige Dates mit nach Assiah nehmen. Wahrscheinlich würde sie sich dann kaum mehr einkriegen.

 

„So da wären wir. Die anderen warten schon drin.“, erklärte Agares als sie endlich an der Zimmertür standen. „Falls wir uns nachher nicht mehr sehen: Viel Glück und pass auf dich auf.“, verabschiedete sie sich, was er kurz erwiderte. Da er nicht direkt reinplatzen wollte, klopfte er kurz an die Zimmertür und wurde direkt hereingerufen. Wie sie gesagt hatte, war seine Familie bereits da, ebenso wie Ruha, die bereits durchsichtiger als beim letzten Mal war. Inzwischen wusste auch er, was es bedeutete. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie endgültig verschwand und nicht länger Kontakt herstellbar war. Zwar fühlte er sich immer noch sehr fehl am Platz, wenn sie zusammen in einem Raum waren, aber sie schien ihn zumindest zu mögen, denn sie lächelte ihn immer warm an.

 

Rins Blick galt jedoch der Person in der Ecke, die sich als Keres, Ruhas Schwester herausstellte. Deren violette Augen waren missbilligend verengt, allerdings sagte sie nichts. Rin war relativ erleichtert darüber, bisher hatte er sie nur von weitem gesehen und in der Regel stritt sie dann mit seinem Vater.

 

Azazel wirkte derweil gesünder als beim letzten Mal, offenbar half der Blutentzug endlich. Zwar schien er sich ihren Besuch zu freuen, doch sein Gesichtsausdruck war verlegen. „Ihr hättet wirklich nicht nochmal kommen müssen, ich weiß doch, wie viel er zu tun habt.“, sagte er ein wenig beschämt, Satan würgte ihn jedoch sofort ab. „Wir haben immer Zeit für dich, jetzt hör auf, sowas zu sagen, wir wissen genau, dass du dich darüber freust. Die meisten Vorbereitungen sind abgeschlossen und ich bin sicher, die anderen kommen für 15 Minuten ohne uns aus.“

 

„Er hat Recht, gib ruhig zu, dass du dich freust.“, bestätigte Ruha aufmunternd, drückte kurz seine Hand und warf dem Dämonenherrscher einen vielsagenden Blick zu. Trotz ihrer langen Zeit auseinander schienen sie sich noch immer problemlos zu verstehen, ohne ein Wort zu sagen. Beinahe schon beneidete er sie dafür. Sie mussten sich wirklich nahe gestanden haben.

„Abgesehen davon ist es das mindeste, was sie tun können.“, warf Keres patzig ein. Wie schon bei Emesh fiel Rin auf, dass sie einen Dialekt benutzte, jedoch war dieser zumindest etwas einfacher zu verstehen. Fast schon wünschte er sich, er könnte es nicht. Sein Vater warf der Dämonin einen mörderischen Blick zu, doch Ruha schritt sofort ein. „Keres, lass es bitte gut sein. Diese Feindseligkeit hilft niemanden und wenn du schon nicht selbst über deinen Schatten springen kannst, denk an Azazel. Das letzte, was er braucht, ist eine streitende Familie.“

 

„Wie kannst du nicht wütend sein?! Du bist seinetwegen gestorben, obendrein wären wir nicht in dieser Situation-“

 

„Nein, es ist nicht seine Schuld und jetzt halte bitte endlich die Klappe!“, fuhr Azazel unerwartet dazwischen und starrte seine Tante wütend an. Diese war sichtlich überrumpelt von seiner Reaktion und war sogar zusammengezuckt, aber versuchte schnell zu kontern. „Azazel, hätte er richtig gehandelt, hättest du niemals diesen Vertrag eingehen müssen“

 

„Woher willst du das wissen? Du hast nicht im Krieg mitgekämpft und seit wann sorgst du dich bitte so sehr um mich? Seit Mutter gestorben ist, habt ihr euch kaum blicken lassen und wenn doch, habt ihr nur auf Vater rumgehackt. Ich war euch egal, ihr wolltet nur die Genugtuung ihm weiter Vorwürfe zu machen.“

 

„Das ist nicht wahr-“

 

„Ach ja? Warum habt ihr euch dann nie gemeldet oder wenigstens mal eure Streitereien während der Besuche beiseitelegen können? Gib es doch zu, was mit mir ist, ist euch egal. Ihr seid nur aus Prinzip sauer und nutzt meine Situation aus, um weiter Vater schlecht zu machen. Wenn du nichts Besseres zu tun hast, kannst du gern wieder gehen. Jemanden wie dich brauche ich hier nicht und das kannst du auch gern Onkel Seker und Viduus ausrichten. Verwandte wie ihr könnt mir gestohlen bleiben!“

 

Dieses Mal konterte die Dämonin nicht und wandte sich hilfesuchend an Ruha, welche nur wehleidig mit dem Kopf schüttelte. „Er hat nicht Unrecht. Vielleicht wäre es besser, wenn du vorerst draußen wartest.“ Dieses Mal protestierte die andere Dämonin nicht und verließ wortlos den Raum. Sofort entspannte sich die Atmosphäre und Azazel vergrub das Gesicht in den Händen. „Muss sie wirklich hier bleiben? Es ist schlimm genug, dass ich hier rumsitzen muss und nicht helfen kann.“

 

„Sie bleibt hier?“, fragte Rin wenig verwundert, woraufhin Ruha nickte. „Sie und meine beiden Brüder bleiben hier und passen mit auf Azazel auf. Vielleicht kann ich sie derweil gleich noch zur Vernunft bringen.“ Azazel wirkte wenig überzeugt davon, widersprach jedoch nicht. „Versprecht mir bitte nur, dass ihr vorsichtig seid. Meine blöde Aktion hat euch letztes Mal den Hintern gerettet, also passt auf, dass das nicht nochmal passiert.“

 

„Dieses Mal werden wir uns nicht in den Tunneln trennen und Vater muss nicht Lockvogel spielen. Jedenfalls nichts unbedingt.“, warf Beelzebub ein und lächelte dem Geisterkönig aufmunternd zu. „Außerdem haben wir inzwischen mehr Erfahrung, wir werden nicht mehr so schnell auf ihre Tricks reinfallen.“

 

Satan nickte zwar, sah sie allerdings streng an. „Werdet nicht übermütig. Höchstwahrscheinlich wird Lilith damit rechnen, dass wir versuchen werden, sie erneut zu versiegeln. Das wird also noch knapper werden und im Gegensatz zum letzten Mal sind die Aveira noch auf freiem Fuß. Hinzu kommt, dass sie in die Ecke gedrängt ist, das wird sie noch gefährlicher machen und ich würde es ihr zutrauen, die Urflammen zum Erlöschen zu bringen, wenn sie keinen Ausweg mehr sieht.“

 

Die Dämonenkönige stimmten zu, Rin zuckte dagegen zusammen und sah seinen Vater überrascht an. Diese Möglichkeit hatte er noch gar in Betracht gezogen! „Meinst du wirklich, dass sie so weit geht?“, fragte er angespannt. „Das würde auch sie töten.“ Eigentlich wusste er die Antwort bereits, inzwischen kannte er die Dämonin gut genug. Lieber zog sie alle ins Verderben und befriedigte so ihr Ego anstatt sich besiegen zu lassen.

 

Der Dämonenherrscher bestätigte es mit einem grimmigen Gesichtsausdruck, dann wandte er sich erneut an Azazel, nun noch strenger als zuvor dreinblickend. „Ich möchte, dass du mir versprichst hier zu bleiben. Ganz egal, was passiert oder du vielleicht irgendwie mitbekommen solltest. Selbst wenn der Vertrag nicht mehr wäre, dich einzumischen könnte deinen Tod bedeuten und das werde ich nicht riskieren.“ Azazel zögerte für einen Moment, nickte aber schließlich. „Ja, versprochen. Was soll ich auch sonst tun?“

 

„Gut.“, warf Astaroth ein. „Mir reichte es schon auf, im Vatikan gegen dich zu kämpfen. Muss nicht nochmal sein.“

 

„Was, Angst zu verlieren?“, kam die schnippische und doch für Geschwister typische Antwort. Er erhielt ein kurzes „Träum weiter!“ und schon war die Stimmung zumindest etwas besser, zumindest bis Samael noch einen drauf setzen musste. „Und mach dir keine Sorgen. Wir passen natürlich auf, dass Rin sich nicht wieder entführen lässt. Das wird nämlich langsam langweilig.“

Normalerweise würde sich der Halbdämon ärgern, dieses Mal hatte er jedoch den perfekten Konter parat. „Als ob das meine Schuld ist! Und wenigstens habe ich keine Angst vorm Zahnarzt!“ Zu seinem Triumpf saß das und der Zeitkönig schnaubte beleidigt. „Ich habe keine Ahnung, wo du sowas lächerliches gehört hast! Ich und Angst vor so etwas banalem? Das ich nicht lache!“

 

„Aber ungern hingehen tust du trotzdem.“, kam ausgerechnet Amaimon zur Hilfe und Rin hätte schwören können, dass er ganz kurz grinste. Natürlich versuchte der Zeitdämon weiterhin, die Anschuldigungen abzustreiten, bis Ruha schließlich eingriff. „Ra’wynvi Liebling, reg dich doch nicht auf. Sie meinen es nicht böse. Abgesehen davon haben sie recht, du kannst es nicht wirklich abstreiten.~“ Empört sah der Zeitdämon sie an, entsetzt über ihren Verrat, während sich Rin Richtung Lucifer beugte. „Ra’wynvi?“, flüsterte er fragend.

 

„Ein Spitzname, den sie ihm in unserer Kindheit gegeben hat.“, flüsterte der Lichtdämon zurück. „Es ist eine Verniedlichung und kann viele Bedeutungen haben, in diesem Fall beschreibt es jemanden, der viele Streiche spielt und generell viel Blödsinn macht. Also mehr oder weniger sowas wie „Unruhestifter“, aber auf liebevolle Art gemeint. Darum hat er in Assiah später eine Zeitlang den Namen "Raven" benutzt, das ist eine Ableitung davon. Egal was er behaupten mag, er ist miserabel darin, sich eigene Namen auszudenken und ich schätze, es steckt auch etwas Nostalgie drin.“

 

Damit hatte Rin weniger gerechnet, allerdings bewies es nur erneut, dass Samael einen weicheren Kern hatte als er zugeben wollte. Das war irgendwie süß, aber er würde ihn später damit sowas von aufziehen. Wenn sich die Gelegenheit schon bot, würde er es nutzen, immerhin würde es der ältere Dämon nicht anders machen. Ruha hatte sich derweil wieder an Azazel gewandt. „Ich weiß, dass es nicht einfach sein wird, aber ich werde so lange wie ich kann hier bleiben.“

 

„Und es gibt wirklich keine Möglichkeit, dass du länger bleiben kannst?“, fragte Lucifer vorsichtig und schaute sie hoffnungsvoll an. Die Geisterdämonin lächelte allerdings nur traurig und schüttelte mit dem Kopf, sehr zur Enttäuschung der restlichen Baal. „Leider nein, aber glaubt mir, es ist besser so. Die Toten sollten ruhen dürfen, andernfalls wird es allen Beteiligten nur Schmerz bringen.“ Selbstverständlich hatte sie damit recht, sie gehörte nicht länger in das Reich der Lebenden, allerdings war es einfacher gesagt als getan. Rin wollte sich gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlen musste. Nach all den Jahren sahen die drei ältesten Dämonenkönige ihre Mutter wieder, nur um sie direkt wieder zu verlieren. Er selbst hatte seine Mutter zwar nie gekannt, doch vermutlich würde es ihm in dieser Situation nicht anders gehen. „Verstehe.“, murmelte Lucifer niedergeschlagen. Egyn trat wortlos nach vorn und umarmte ihn von hinten. „Schon gut.“, murmelte der Lichtdämon. „Ich konnte es mir ja schon denken.“

 

Die Stimmung wurde bedrückter, daher sprach Azazel schnell ein anderes Thema an. „Gibt es sonst was Neues von Lilith? Sie war bisher auffallend ruhig.“ Sowohl die Baal als auch Satan schüttelten düster den Kopf. „Nein, sie war ausnahmsweise diskret. Wahrscheinlich schmollt sie momentan und leckt ihre Wunden, aber wir rechnen mit einigem Widerstand.“, erklärte der Dämonenherrscher widerwillig. „Sie hat noch nie gut auf Niederlagen reagiert, inzwischen wird sie ziemlich instabil sein. Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir in Pandemonium ankommen.“ Noch instabiler? Als ob sie nicht schon vorher unberechenbar und durchgeknallt war. Beelzebub schien seine Unruhe zu spüren, da er ihm von hinten eine Hand auf die Schulter legte und dann aufmunternd zulächelte. Trotz allem beruhigte es irgendwie und Rin sah ihn dankbar an. Zumindest würde er dieses Mal nicht allein sein.

 

 

………………………………………………………………………………..

 

 

Sofort nachdem sie Azazels Zimmer verlassen hatten, machten sie sich fertig. Alle legten ihre Ausrüstung an und überprüften ein letztes Mal ihre Waffen. Rin bekam sein Schwert zwar nicht wieder, aber durfte zumindest den Dolch behalten, welchen er ein wenig misstrauisch beäugte. Seit er Gula damit getötet hatte, bereitete ihm der Anblick der Klinge Bauchschmerzen. Zumindest Iblis hatte sich gefreut, dass sein Geschenk nützlich gewesen war und wie versprochen hatten sich Alastor sowie seine Brüder und deren Stellvertreter die Zeit genommen, mit ihm zu trainieren. Alles in allem fühlte er sich relativ gut vorbereitet.

 

Damit war es endlich Zeit für die letzte Besprechung. Den Plan kannten alle bereits, es diente eher der Moral und so wie manche aussahen, hatten sie es bitter nötig. Zugegebenermaßen hörte er kaum zu, er war zu beschäftigt damit, erneut die Formel im Kopf aufzusagen, da er noch immer fürchtete, sie im alles entscheidenden Moment zu vergessen. Allerdings bemerkte er durchaus das Resultat, viele wirkten zuversichtlicher und entschlossener. Er sah auch seine Freunde und Yukio noch einmal, jedoch war es nur flüchtig, bevor sie sich bereits bei ihren zugewiesenen Gruppen einfinden mussten.

 

„Mach dir keine Gedanken, das wird schon.“, hörte er Egyn sagen. „Sie kümmern sich nur um Dämonen aus den niederen und mittleren Rängen, also kein Problem.“ Natürlich wusste er, dass sein Bruder und die Adepten mit solchen Dämonen in der Regel gut klar kamen, aber sie hatten es noch nie mit so großen Gruppen zu tun gehabt. „Müssen wir uns wirklich alle aufteilen?“, fragte er besorgt. „Ich dachte, wir brauchen alle für das Ritual, was wenn etwas passiert?“ Satan seufzte, doch wiederholte geduldig, was er ihm bereits mehrmals erklärt hatte. „Wir müssen alle Ressourcen nutzen, zusammen an einer Stelle zu sein, wäre eine Verschwendung und deine Brüder kennen ihre Truppen besser, insbesondere die Elitesoldaten.“

 

„Und wir hatten bisher auch Erfolg mit dieser Strategie, also mach dir nicht zu viele Gedanken.“, ergänzte Lucifer. „Du darfst dich nicht von deiner Angst verunsichern lassen, ansonsten wirst du Probleme bei dem Ritual haben.“ Dies ließ Rin inne halten und nach kurzem Zögern nickte er. Der Dämonenkönig hatte recht, so ungern er es zugab. Angst vor Verlusten hin oder her, alle verließen sich auf ihn, er konnte jetzt nicht anfangen zu zweifeln! Bon hatte es ihm schon öfter vorgeworfen, dass er sich zu selten auf andere verließ. Dieses Mal musste er es tun und seinen eigenen Teil beitragen, nur dann hatten sie überhaupt eine Chance zu gewinnen. „Alles wird gut, Rin! Du schaffst das!“, hörte er Kuro sagen. „Und ich bin ja auch dabei!“

„Danke, Kuro.“, lächelte er und streichelte den Kater über den Kopf. „Aber sei du auch vorsichtig, ok?“

 

„Sicher, ich kann dich doch nicht allein lassen! Wir machen Shiro zusammen stolz!“ Der Nephilim nickte zustimmend und lächelte sogar kurz. Der alte Knacker würde sich noch wundern, was er inzwischen alles konnte.

 

Derweil verabschiedeten sich alle um ihn herum von denen, sie zurückblieben. In einer Ecke entdeckte er Amon, der gerade Agash küsste, während ihre Kinder um sie herumwuselten. Er war nicht sicher, ob sie begriffen, dass sie ihren Vater vielleicht niemals wieder sehen würden. Amon ließ sich allerdings nichts von seiner Angespanntheit anmerken und nahm auch sie in den Arm. Der Nephilim konnte nicht verstehen, was er ihnen sagte, wollte aber auch nicht lauschen und ihren Moment stören. An einer anderen Stelle entdeckte er Egyn, der sich von Sequana verabschiedete, ebenso wie von Kyrene und einigen ihrer Familienmitglieder. Offenbar waren Kyrenes Bruder und Vater noch immer nicht über den Berg und natürlich hatte ihre Mutter ihre restlichen Kinder darum angefleht, nicht nochmal in den Kampf zu ziehen, insbesondere da sie nicht mal richtige Kämpfer waren. Tatsächlich waren Kyrene, Keto, Erato und ihr Bruder Charybdis die einzigen mit einer Kampfausbildung.

 

Allerdings war Egyn zu Rins Überraschung nicht der Einzige, der sich von Familie verabschiedete. Er verdrängte es gern, dass die meisten seiner Geschwister noch Verwandte mütterlicherseits hatten, auch wenn nicht alle mit ihnen sprachen. Bisher war Rin noch keinem offiziell begegnet, außer man zählte Ruhas Geschwister. Sie waren sich einig gewesen, dass momentan nicht der beste Zeitpunkt für Vorstellungen war, daher erkannte er niemanden mit denen sie sprachen. Natürlich mussten nicht alle Familienmitglieder sein, manche waren wahrscheinlich Freunde, aber er wollte hielt sich dennoch einfach im Hintergrund. Er entdeckte nach einer Weile Samael und Indra und wenn er genau hinhörte, verstand er sogar Teile ihres Gespräches.

 

„...keine gute Idee, du hast keine Erfahrung-“, hörte er den Zeitkönig sagen, aber die ältere Dämonin winkte ab. „Das hat dein Vater auch schon gesagt, aber es ist mir egal. Es ist meine Entscheidung.“ Er zwang sich, außer Hörweite zu gehen, um ihnen zumindest etwas Privatsphäre zu geben und er wollte lauschen wirklich nicht zur Gewohnheit werden lassen. Beinahe schon kam er sich dumm vor, weil er niemanden hatte, von dem er sich verabschiedete, rechtfertigte es jedoch damit, dass er es bereits beim Frühstück getan hatte. Bisher hatte er weder seinen Bruder, noch die Mönche oder gar Adepten entdeckt, wahrscheinlich hatten sie ihre Verabschiedungen ebenfalls hinter sich gebracht. Schlussendlich ertönte das Signal zum Abbruch und die Menge teilte sich. Es war Zeit, Lilith alles heimzuzahlen und ihr Zuhause zurückzuholen.

 

 

…………………………………………………………………..

 

 

„Satan ist auf dem Vormarsch, Eure Majestät. Befehle?“

 

Lilith schnaubte nur, ohne den anderen Dämonen anzusehen, doch ihre Hände umklammerten förmlich ihr Glas, welches drohte, jeden Moment zu zerspringen. Mal ganz zu schweigen davon, dass ihr mehrere Haarsträhnen im Gesicht hängen, was sie normalerweise nicht tolerieren würde. Ihre Fassade bekam die ersten Risse, aber sie würde es niemals zugeben. Für einige Sekunden rang sie um Fassung, bevor sie schließlich antwortete, wobei sie ihr Glas mit mehr Wucht als nötig auf den Tisch abstellte. „Ihr habt eure Befehle längst erhalten, also führt sie gefälligst aus! Sollte sich etwas ändern, werde ich Bescheid geben. Jetzt geht schon! Los, Abmarsch!“

 

„Ganz wie Ihr wünscht.“ Mit einer letzten Verbeugung ließ er sie zusammen mit den Todsünden zurück, welche betreten schwiegen. Lilith war mit den Gedanken allerdings ganz woanders. Satan ging also wirklich in die Offensive. Wie vorhersehbar. Sie setzten alles auf eine Karte, ein letzter verzweifelter Angriff, der sie stürzen sollte. Wie lachhaft! Sie hatten keine Chance, sie würde sie ausradieren, niemand hielt sie jetzt noch auf! Nur warum zitterten dann ihre Hände? Es sollte ein Moment des Triumphes sein, der Sieg war ihr sicher, sie hatte keine Zeit dafür! Ein lautes Knacksen ließ sie inne halten und hinuntersehen. Ihre Fingernägel waren zu Krallen geworden und hatten sich tief in das Holz ihres Schreibtisches gegraben. Schnell ließ sie diese auf ihre normale Größe zurückschrumpfen und zwang sich zum Durchatmen.

 

‚Ganz ruhig, du hast noch immer die Kontrolle.‘ Ihr Temperament kochte jedoch bereits mit dem nächsten Kommentar über. „Sollen wir wirklich bei diesem Plan bleiben?“, hörte sie Acedia fragen. „Wenn Satan anrückt, werden sich die meisten Einwohner auf seine Seite stellen und unsere Leute behindern. Es wäre nicht unbedingt vorteilhaft, ihn hier zu stellen.“

 

„STELL MICH GEFÄLLIGST NICHT IN FRAGE, DU DUMME-“ Sie hielt sich auf, bevor ihr das nächste Wort herausrutschen konnte. Nein, sie war die Ruhe selbst. Sie war nicht gestresst, sie war selbstsicher, alles lief hervorragend. Zitternd atmete sie die Luft ein und lachte dann. „Oh, bitte. Ich soll Angst vor ein paar Bauern und Handwerkern haben?!“, fauchte sie gereizt. „Sie sind Nichts! SIE SIND VERDAMMTES UNGEZIEFER, DIE ES NICHT MAL VERDIENT HAT, ZERQUETSCHT ZU WERDEN!“

 

In ihrer vollkommen ausgeglichen Ruhe warf sie die Weinflasche auf ihrem Tisch gegen die nächste Wand und zündete obendrein den besagten Tisch an. „Ich habe genug! Sie wollen einen Kampf?! Gut, sie bekommen einen Kampf. Satan wird mich am Ende auf den Knien anflehen ihn zurückzunehmen!“

 

Zu Iras großem Glück hörte die Dämonenherrscherin nicht ihr leise gemurmeltes und mehr als sarkastisches „Siiiicheeeeeer…“ Invidia stieß ihr einen Arm in die Rippen und warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Auch Acedia und Luxuria warfen sich beunruhigte Blicke zu, sogar Superbia schaute besorgt drein. Lilith wütete derweil munter weiter. „Mir ist egal, was ihr tun müsst, brennt meinetwegen alles nieder oder stecht sie alle ab, ich lasse mir nicht von diesen Maden den Sieg nehmen! Wir nehmen keine Gefangenen, wir akzeptieren keine Kapitulation, wir merzen sie aus. ALlesAmt. Sie werden endlich lernen, dass man sich nicht mir anlegt!“

 

Sie war so weit gekommen, inzwischen war ihr alles gleich, solange sie gewann. Früher oder später würde aus der Asche etwas Neues entstehen, so lief es immer. Wenn sich dafür die Leichen stapeln mussten, war es ihr das wert. Niemand demütigte sie und kam damit davon. Niemand!

 

 

……………………………………………………………………………….

 

 

Der Übergang nach Gehenna verlief mehr oder weniger reibungslos, zwar war mehreren Exorzisten schlecht geworden, doch zumindest war niemand gestorben oder übergab sich. Es war wirklich eine gute Idee gewesen, Gruppen voraus zu schicken, es war dadurch wesentlich einfacher, alles zu koordinieren. Im ersten Moment konnte Rin kaum die Hand vor Augen sehen, doch davor hatte sein Vater bereits gewarnt. Das Dorf in dem gelandet waren, lag ironischerweise in Azazels Gebiet, im Schwarzsumpf um ganz genau zu sein, wo laut seinen Brüdern so gut wie 24/7 Dunkelheit herrschte. Jedoch waren auch andere Teil von Azazels Reich in fast durchgehender Nacht versunken.

 

Kein Wunder, dass Geisterdämonen so extrem blass waren, dafür fiel es ihnen allerdings leichter, im Dunklen sehen. Seiner Meinung nach nicht Grund genug, um hier länger zu leben. Der einzige Grund, dass sie momentan etwas sahen, waren die ganzen Feuer, die sie überall platzierten. Ob es zumindest etwas heller wäre, wenn Azazel hier noch die Kontrolle hätte? Mit der Zeit gewöhnten sich seine Augen jedoch an die schlechten Lichtverhältnisse und er sah sich blinzelnd um. Beinahe wünschte er sich, weiterhin nichts sehen zu können.

 

Das Dorf war bereits seit Jahren verlassen, doch dass es so unheimlich war, hätte er nicht gedacht. Die meisten Häuser waren durchaus in Takt, waren jedoch zum Teil von schwarzen Dornen und anderen Pflanzen überwuchert. Modrig wirkende Holzbrücken verbanden die Sumpfinseln sowie einige der Gebäude, wahrscheinlich Lagerhäuser. Deren Außenwände waren mit roten und nach all der Zeit überraschend leuchtenden Symbolen beschmiert. Die wenigen Wege und Straßen waren zugewachsen und die Bäume wirkten wie verdrehte, düstere Mahnmale, die aus dem Nebel hervorragten. Mehr als einmal stolperte er über einige der Wurzeln und wäre einmal fast in das Sumpfwasser getreten. Einerseits war es irgendwo beeindruckend, dass sie Dörfer in einer solchen Umgebung bauen und dort leben konnten, andererseits fragte er sich wer hier freiwillig hinziehen würde.  

Das Wasser hatte einen dunklen, beinahe schon schwarzen, dreckigen Grünton und seltsame Dämpfe stiegen daraus heraus. Hinzu kamen scharfe, schwarze Felsen, zusammen mit einigen Tierknochen, die überall verstreut lagen. Obwohl er im Unterricht so gut wie nie aufgepasst hatte, meinte er sich an etwas zu erinnern. Diese Dämpfe waren Sumpfgase, waren die nicht leicht entzündbar? Falls ja, war es eigentlich nur ein weiterer Grund, weswegen man hier wirklich nicht wohnen sollte.

 

Ein kurzer erstickter Schrei ließ ihn zusammenzucken und er fuhr erschrocken herum. Einige Exorzisten, die etwas zu nah am Wasser gestanden hatten, waren zurückgewichen, alle mit demselben entsetzten Gesichtsausdruck. „Was ist da im Wasser?! Etwas hat nach uns gegriffen!“, fragte eine Frau verängstigt, doch die meisten Dämonen schienen weniger beeindruckt. „Wir haben doch gesagt, geht nicht zu nah ans Wasser!“, rief einer von ihnen zurück und damit hatte es sich für sie mehr oder weniger erledigt. Die restlichen Exorzisten nahmen sofort Abstand vom Wasser, schienen sich gleichzeitig jedoch nicht dem Dorf nähren zu wollen.

 

Rin konnte es ihnen nicht verübeln, es sah aus wie eine Kulisse für einen Horrorfilm. Sicherlich nicht gerade der erste beste Eindruck, den die Exorzisten von der Dämonenwelt bekamen. Richtig ungemütlich wurde es allerdings, als das Flüstern begann. Zunächst leise, dann zögerlich, immer stetiger und lauter. Keiner der Exorzisten reagierte, ebenso wie die meisten Dämonen, einige sahen sich dagegen wie er suchend um. Nach einer Weile wurde ihm bewusst, dass es allesamt Geisterdämonen waren. Wunderbar, jetzt kamen also auch noch verlorene Seelen oder Satan weiß was auf einen Besuch vorbei. Als ob nicht schon die Wesen im Wald reichten. Wie auf Stichwort erschienen mehrere Lichter, er konnte aber nicht erkennen, ob sie sich näherten. „Alles in Ordnung? Du siehst blass aus.“, hörte er plötzlich seinen Vater sagen und zuckte zusammen. Er musste wirklich tief in Gedanken gewesen sein, wenn er ihn erst jetzt bemerkte. Jedoch musste er gar nicht antworten. „Du hörst sie auch, nicht wahr?“

 

Beinahe schon erleichtert, dass sein Vater es ansprach, nickte er. „Es klingt, als kämen sie näher. Werden sie angreifen?“ Glücklicherweise schüttelte Satan den Kopf, auch wenn sein Gesicht düster war „Ignorier sie, sie können nichts tun. Dafür sind wir zu viele und ich bin auch noch da. Antworte ihnen nur nicht und gehe nicht zu ihnen. An sich sollte es um diese Zeit nichts allzu Gefährliches sein, höchstens einige verlorene Seelen und Irrlichter, aber momentan würde ich es nicht riskieren.“

 

„Weißt du, nur weil hier Geisterdämonen leben, hättest du dieses Gebiet ruhig etwas heller machen können.“, murmelte Rin, woraufhin der Dämonenherrscher schnaubte. „Zu Beginn sah es in ganz Gehenna so aus. Nur dunkler, mehr Felsen und wesentlich mehr Chaos. Ich konnte es nicht vollkommen ausmerzen, aber es ist zumindest im Gleichgewicht und bei all den Seelen war es absehbar, dass es…düster sein würde.“ Rin sah ihn überrascht an, für einen Moment dachte er wirklich, Satan würde Witze machen. Wie sollte es denn noch schlimmer sein? Sein Vater war jedoch noch nicht fertig. „Du hast nichts im Wasser gesehen, oder?“ Ein wenig überrascht von der Frage, schüttelte der Nephilim schnell mit dem Kopf. „Gut, dann haben sie sich fürs erste zurückgezogen. Wir hatten die Sache mit dem Wasser schon im letzten Krieg, nochmal muss wirklich nicht sein. Halt trotzdem Abstand davon, nur für den Fall.“

 

„Also ist wirklich was im Wasser?“

 

„Ja und du willst ihnen nicht begegnen, glaub mir. Wenn sie einen einmal haben, lassen sie in der Regel nicht mehr los. Sie sind der Hauptgrund warum dieses Dorf hier verlassen ist.“ Dieses Mal hinterfragte Rin nicht, was er meinte, andernfalls könnte er vermutlich nie wieder schlafen. Nach und nach kamen seine restlichen Geschwister hinzu und es wurde Zeit, sich vorerst zu verabschieden, da sich endlich alle in ihre Gruppen eingeteilt hatten. „Gut, dann ist es wohl Zeit sich aufzuteilen.“, sagte Iblis zögerlich. „Zumindest können wir endlich diesen Leichenwald hinter uns lassen. Tut mir nur einen Gefallen und bleibt am Leben, ja?“

 

„Dann halte dich zur Abwechslung an den Plan und tu nichts dummes.“, konterte Lucifer.

 

„Das wird schon.“, sprang Beelzebub ein. „Wir treffen uns dann in Pandemonium. Viel Erfolg!“ Damit wandte auch er sich an seine Truppen, um das Kommando zu übernehmen. Sie würden versuchen, die Hauptstadt einzukreisen, die Versorgung abzuschneiden und jemanden einzuschleusen, der die Tore öffnete. Rin beneidete diese Person wirklich nicht, doch ihnen blieb keine große Wahl. Die Stadt war dazu ausgelegt, längeren Belagerungen Stand zu halten, sie würden sich also die Zähne ausbrechen, wenn sie keine Alternative fanden. Natürlich hegten viele die stille Hoffnung, dass mehr der Soldaten zu ihnen überlaufen wurden, wenn sie bemerkten, was los war. Sicherlich würden sich einige finden, die das sinkende Schiff verlassen wollten und wenn es nur dazu diente, ihre eigene Haut zu retten. Weniger Soldaten für Lilith bedeutete weniger Macht für die Dämonengöttin und dafür mehr für sie. Inzwischen wollte er diese Sache nur noch hinter sich bringen, da war es ihm egal, weswegen sie schlussendlich aufgaben. Sicherlich war er mit dieser Einstellung nicht allein.

 

Ein wenig ungeduldig wartete er darauf, dass sie sich endlich auf dem Weg machten, während er den restlichen abziehenden Truppen hinterher sah. Wegen der Exorzisten würde es nicht gerade einfach werden, sich durch Gehenna zu bewegen, aber es war ihre beste Möglichkeit. Wahrscheinlich rechnete Lilith ohnehin bereits mit ihrem kommen. Da spielte es wohl keine große Rolle mehr, ob sie bis zum Schluss unentdeckt blieben.

 

Schließlich waren sie dran und Satan hielt ihm einen Arm hin.  „Gehen wir, wir müssen im Zeitplan bleiben und deine Brüder sollen ja nicht den ganzen Spaß haben, richtig?“ Er klang mehr als sarkastisch, als er "Spaß" sagte, Rin kommentierte es nicht und stimmte schnell zu. Sicherlich hatte der Dämonenherrscher genauso die Schnauze voll wie der Rest. Mit leichtem Widerwillen griff er den Arm seines Vaters und dieses bereits so verhasste Gefühl kam seinen Magen hoch. Eins der ersten Dinge, die er in jedem Fall lernen wollte, sobald sie alles überstanden hatten, war der Phasensprung. Nach dem was ihm erzählt worden war, war es dann wesentlich angenehmer und drehte einem nicht mehr den Magen um. „Ich hasse dieses Gefühl…“, murmelte vor sich hin. Satan sagte nichts und Sekunden später befanden sie sich bereits an ihrem Ziel.

 

„Ich muss meine Runde gehen und mich mit dem Rest bereden. Du bleibst so lange hier, verstanden?“ Rin brummte zustimmend, wurde aber bereits stehen gelassen. Nur kurz darauf erhielt er Gesellschaft von Alastor, der nicht weniger glücklich als er drein schaute. „Alles klar bei dir?“, fragte er grimmig, was der Nephilim mit einem kurzem „Alles ok.“ beantwortete. Dies schien den Feuerdämonen weniger zu überzeugen und er warf ihm einen kritischen Blick zu. Rin bemerkte es kaum, er sah sich stattdessen weiterhin nervös um. Die Gegend war eine völlig andere und er konnte endlich problemlos die Hand vor Augen sehen, doch er hätte er schwören können, noch immer die Stimmen der Geister zu hören, obwohl sie wahrscheinlich hunderte von Kilometern weg waren.

 

Alastor erkannte dummerweise schnell, was ihn beschäftigte oder vielleicht war er auch nur sehr gut darin, Dinge zu erraten. „Lass mich raten, Azazels Reich hat dich fertig gemacht. Japp, nicht gerade gemütlich dort, aber sobald Lilith weg ist, sollte es sich zumindest etwas legen. Dann beruhigen sich auch die Seelen wieder. Bis dahin musst du sie ignorieren, es hört irgendwann von selbst auf. Das haben sie damals zumindest immer Azazel erzählt. Nicht wirklich hilfreich, ich weiß.“ Zumindest erkannte er das von selbst, doch er war noch nicht fertig. „Und obendrein hast du vermutlich Schiss, dass dich Lilith noch mal übernimmt.“ Rin wich seinem Blick aus, bevor er mit den Schultern zuckte. „Ich hab echt genug davon, ständig Geister zu hören.“, gestand er bitte. „Und Besessenheit ist nicht viel besser. Ich will einfach nur, dass es vorbei ist.“ Beinahe rechnete er mit einem bösem Kommentar des Vollstreckers, aber Alastor seufzte stattdessen. „Kann ich verstehen. Wir haben alle genug, aber drüber zu jammern, bringt nichts. Also reiß dich zusammen und tu was gegen. Sie wird nicht nochmal an dich ran kommen.“

 

Gut, der ältere Dämon war offenbar nicht gerade der beste im Trösten, aber zumindest hatte er es versucht. Irgendwie. Auf seine ganz eigene Weise. „Satan kommt zurück.“, hörte er den anderen plötzlichen sagen und ließ ihn Aufsehen. Hatte er wirklich so lange rumgestanden oder war der Dämonenkönig schneller mit seiner Runde fertig geworden als gedacht? „Alastor, hier bist du also. Ist alles bereit?“, fragte Satan den anderen Dämonen, welcher kurz nickte. „Von meiner Seite ja. Ich hab noch Mal und Pythius rumgeschickt, wie sieht’s bei dir aus?“

 

„Alle scheinen durchgekommen zu sein und die anderen Gruppen haben sich ebenfalls gemeldet. wir müssen nur das Signal geben.“ Wie auf Stichwort kam ein Rin unbekannter Dämon dazu und er trat unbewusst einige Schritte beiseite. Etwas an dem Typen machte ihn nervös, vielleicht weil er ähnlich wie Alastor eine gewisse „Ich reiß dir den Kopf ab, wenn du mich schief anschaust“ Aura besaß. Er konnte sich nicht erinnern, ihn schon mal gesehen zu haben, konnte sich aber entfernt darin erinnern, dass Alastor seine eigene Dämonengruppe befehligte. Vielleicht gehörte dieser Dämon dazu.

 

„Alastor, Lord Satan, wir sind durch. Mal ist grad bei der letzten Reihe.“, berichtete der namenlose Dämon.

„Was macht der Rest?“, hakte der Vollstrecker nach.

 

„Sind bereits an ihren Positionen angekommen, Scarm hat grad Bescheid gegeben. Oh, und Ciri hat was von Nachtmahren an der Grenzer erzählt, aber von den Leuten dazu keine Spur.“

 

„Dann vermeidet die Gegend.“, wies Satan an und wandte sich an seine Truppen. „Es ist so weit. Bewegung.“

 

 

……………………………………………………………………

 

 

Das erste Dorf auf das sie trafen, leistete keinen Widerstand. Im Gegenteil, die Einwohner waren mehr als erleichtert und die wenigen Soldaten dort ergaben sich kampflos, einige schimpften sogar noch auf Lilith und schienen nicht weniger erfreut über ihre Ankunft als die Dorfbewohner. Wirklich überraschend war es nicht. Vermutlich hatte Lilith ihre Truppen auf Pandemonium und das nahe Umland konzentriert, allerdings kam es Astaroth dennoch seltsam vor, dass es nicht einmal richtige Wachposten oder zumindest Späher gab. Ihre Gefangenen behaupteten, es gäbe niemanden in der Nähe, doch ganz traute er der Information nicht.

 

Stattdessen befragte er den Dorfältesten, welcher leider ebenfalls nichts Bedeutendes verraten konnte. Viele der Bewohner waren für Liliths Armee eingezogen wurden, an die Bevölkerung an sich hat sie sich jedoch nicht gewandt. Stattdessen hatte sie sie lediglich ihre Armee neu positioniert und sich im Palast verschanzt. Was das genau für sie bedeutete, würde sich noch zeigen, weswegen er direkt einen Boten zu seinem Vater und seine Brüder schickte. Fürs erste würde er auf ihre Antworten warten und die Position halten, doch er ließ auch weitere Dorfbewohner befragen.

 

Einer berichtete davon, bei einem Jagdausflug mehrere Fallen in den Wäldern gefunden zu haben, welche allerdings längst verboten waren. Sie waren eigentlich zu weit weg von den größeren Städten als dass es Wilderer sein könnten. Wahrscheinlich hatte Lilith sie platzieren lassen, ob dies aber nun ihnen oder jemand anderen galt, war fragwürdig.

 

Höchstwahrscheinlich war es eher für die wildgewordenen Bewohner des Waldes gedacht, mit denen sie sich ebenfalls bald auseinander setzen mussten. Hoffentlich würden die Menschen und anderen Dämonen nicht schlapp machen, der Miasma Gehalt in der Luft war extrem hoch und verbreitete sich sicherlich bereits in den anderen Gebieten. Das letzte was sie brauchten war, dass sie den Angriff abbrechen mussten, weil plötzlich alle krank wurden. Insbesondere Menschen waren zimperlich. Das würde noch verdammt anstrengend werden.

 

 

……………………………………………………………………….

 

 

 

Samael hatte derweil nicht ganz so viel Glück. Zunächst waren sie nur einigen Spähern begegnet, die sie recht schnell hatten ausschalten können, dennoch hatte er ein mulmiges Gefühl, das sich schnell bestätigen sollte. Warum sollten ausgerechnet hier Späher unterwegs sein, während seine Geschwister laut ihren Nachrichten auf keinen einzigen getroffen waren? Naheliegend war also, dass sie zu einer größeren Truppe gehört hatten, doch wo trieben die sich rum und warum waren sie hier? Es dauerte nicht lange, bis sie die Überreste fanden.

 

Die Leichen waren teilweise zerfetzt, aber nicht geplündert, Tiere waren daher naheliegend, doch die griffen normalerweise keine Gruppe dieser Größe an, auch nicht die korrumpierten. Weiterzugehen, bevor sie wussten, was dahinter steckte, war ausgeschlossen. Er würde nicht riskieren, unnötig Leute zu verlieren, den Fehler hatten sie schon oft genug gemacht. Nicht dass er das jemals zugeben würde. ‚Wunderbar, natürlich bin wieder ich es, der den komplizierten Teil bekommt.‘, dachte er. ‚Hoffentlich wirft uns das nicht zu sehr aus dem Zeitplan…‘

 

„Lord Samael!“, hörte er einen der Späher rufen. Sie waren so schnell zurück? Das konnte nicht gut sein. „Wir haben die Verantwortlichen gefunden. Es sind einige Experimente von Lilith, mehrere sind diese Alukah-Sirenen-Hybride, aber die restlichen Dinger haben wir noch nie gesehen.“, berichtete der Dämon schnell. „Sie scheinen uns bereits bemerkt zu haben, sie sind auf dem Weg hier her.“ Wundervoll, war ja klar, dass Liliths Experimente früher oder später Reißaus nehmen würden, wobei es ihn nicht wundern würde, wenn sie sie mit Absicht frei gelassen hatte. Eventuell würde es einige Tote geben, doch zumindest sollten sie diesen Kampf gewinnen können. Als das erste Kreischen dieser Kreaturen ertönte, zogen sie die Waffen und gingen in Position.

 

 

……………………………………………………………………………..

 

 

 

„Samaels Truppe wurde von Liliths Experimenten angegriffen. Ihm geht es gut, aber sie haben einige Leute verloren und wissen nicht, wie viele noch unterwegs sind.“ Ärgerlich, doch zumindest eine Hürde weniger. Bisher war neben Samael nur Egyn auf Widerstand gestoßen, was erneut beweis, dass Lilith diesen Teil Gehennas geräumt hatte. Der richtige Spaß kam dann in Pandemonium, was sie in Kürze erreichen würden, vorausgesetzt natürlich, dass es weiterhin keine Probleme gab. Satan würde es nicht beschreien.

 

Er warf einen Seitenblick Richtung Rin, dieser schien in Gedanken verloren, aber wirkte zumindest wesentlich ruhiger als vorhin. Auch die Exorzisten schienen die Nerven zu behalten, auch wenn sie sich nach wie vor sichtlich unwohl fühlten. Durchaus verständlich, aber dass sie gefühlt jede Pflanze anstarrten, als würden sie sie gleich anspringen, war ein wenig anstrengend. Shura war ebenfalls in seiner Gruppe und eine der wenigen, die nicht bei jedem Geräusch zusammenzuckte. „Ich will mich ja nicht beschweren, aber sollten wir nicht auch langsam mal angegriffen werden? Die anderen werden’s ja offenbar auch.“, kommentierte sie, während sie sich suchend umsah.

 

„Warten wir’s ab. Bis Pandemonium kann einiges passieren.“, antwortete der Dämonenherrscher düster. „Die Truppen hier sind wahrscheinlich nur Überbleibsel oder wurden zurück gelassen, um Zeit zu schinden.“ War letzteres der Fall, bereitete Lilith wahrscheinlich etwas Größeres vor und das konnte nicht gut sein. Allein die Barrieren um Pandemonium würden sie zumindest für eine Weile in Schach halten, jede Minute zählte daher.

 

Die Berichte gingen schnell herum und sie sicherten glücklicherweise stetig Gebiet, somit würden sie hoffentlich schnell an ihr Ziel kommen. Zu versuchen, ganz Gehenna mit einem Mal zurückzuholen war sinnlos, dafür war es schlicht und ergreifend zu groß. Sie würden das sichern, was sie durchquerten und sobald Pandemonium wieder in ihrer Hand war, kümmerten sie sich um den Rest. Selbst wenn Lilith den Kampf nicht überlebte, es gab immer genug Leute, die weiterkämpfen würden, selbst wenn der Großteil aufgegeben hatte. Genauso war es schon beim letzten Mal gewesen, aber er war mehr als bereit, sich darum zu kümmern. Sie konnten sich erneut leisten, dass Liliths Anhänger wieder zurückkamen.

 

Nur kurz darauf kam die nächste Nachricht. Lucifer war auf Ärger gestoßen, aber der Widerstand war gering, viele waren sogar weggelaufen. Er vermutete, dass sie Deserteure waren oder sich spontan dazu entschlossen hatten, als sie sie sahen. Ein Teil seiner Gruppe war für den Fall der Fälle dennoch hinterher und würde sich hoffentlich in Kürze melden. Für den Rest blieb es nach wie vor ruhig, auch wenn manche berichteten, von unbekannten Wesen verfolgt zu werden. Höchstwahrscheinlich noch mehr von Liliths Viechern. Es würde sicherlich kein Spaß werden, die später zu beseitigen.

 

„Wir gehen weiter. Solange wir auf keinen Widerstand treffen, sollten wir in Bewegung bleiben.“ Niemand widersprach und sie setzten ihren Weg fort. Fürs erste würde er sich nur darauf konzentrieren, heil nach Pandemonium zu gelangen. Andere Probleme konnten bis dahin warten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück