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Die Karten legt das Schicksal

von

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Ein Roboterbein

Endlich konnte ich wieder zu Madeline und gleich wollte sie, dass ich sie auf den Arm nahm. Natürlich kam ich ihrem Wunsch nach und hob mein Mädchen hoch. Ich drückte ihren kleinen Körper an mich und strich ihr über den Rücken. Schweren Herzens fragte ich sie, ob sie Spaß hatte. Unschlüssig zuckte sie mit den Schultern. Ob sie wohl auch jetzt nicht wusste, was sie sagen sollte? Miss Green erklärte mir, dass sie gespielt haben und Madeline etwas vom Kindergarten berichtet hätte. Brian wäre vorsichtig und auch sehr achtsam gewesen und auch Madeline wäre nach einiger Zeit etwas aufgetaut. Es sei ein ruhiges Treffen gewesen und Brian habe sich gut benommen. Er habe ihr zudem keine Angst gemacht und das Thema, dass er vor meiner Haustür stand nicht noch einmal angesprochen. Zum Glück für ihn.

Es war erleichternd für mich zu wissen, denn die Angst, dass er Madeline wieder verrückt machte war während der Stunde allgegenwärtig gewesen. Ich wollte nicht, dass Madeline sich wieder so große Sorgen machte, dass sollte sie schließlich einfach nicht. Das brauchte sie nicht, in ihren jungen Jahren. Leise meinte Madeline, dass sie noch etwas zum Geburtstag bekommen habe. Ich folgte ihrem Fingern und sah dort eine Puppe. Eine Barbiepuppe mit einem Meerjungfrauenschwanz. Ich betrachtete die schrillen Farben und fand, dass diese Dinger grauenvoll aussahen. Doch natürlich konnte ich das meiner Tochter schlecht sagen.

„Wie schön, dann war dein Geburtstag ja sehr erfolgreich“, meinte ich und setze sie wieder auf den Boden ab. Sie nickte nur und erneut fand ich, dass sie zu schweigsam war. Sie zog sich ihre Jacke an und ich verabschiedete mich von Miss Green. Madeline nahm die Puppe und betrachtete sie genau. Tatsächlich erhaschte ich sogar den Anflug eines Lächelns auf ihrem pausbäckigen Gesicht. Miss Green reichte mir die Hand und freundlich verabschiedete sie sich von mir. In zwei Wochen würden ich sie wieder sehen. Vielleicht war es dann für alle beteiligten einfacher.

Wie sich mein Ex-Mann wohl gefühlt hatte? Ich glaubte, dass ich mehr wie aufgeregt gewesen wäre. Mit Madeline an der Hand ging ich zu meinem Auto und setze sie auf ihren Sitz. Immer noch war sie still und als ich losfuhr sah ich, wie sie immer noch die Puppe in den Händen hielt. „Glaubst du, du wirst mit ihr Spielen?“, fragte ich in diese unerträgliche Stille hinein. Sie sah zu mir, doch ich musste mich auch wieder auf den Verkehr vor mir konzentrieren.

„Ja“, erklärte sie leise, „Ich glaube schon. Darf ich doch oder?“ Sofort bestätigte ich sie und erklärte ihr, dass nichts dagegen sprechen würde. Ich fuhr mit Madeline nach Hause und wie ich das Haus betrat, merkte ich, wie unwohl ich mich fühlte. Zwar wusste ich, da ich den Schlüssel ja bei meinen Nachbarn abholen musste, dass Paul hier drinnen gewesen war und doch war es einfach ein seltsames Gefühl. An der Haustür waren noch die Spuren von den Polizisten zu sehen, welche versucht hatten Fingerabdrücke zu sichern. Sofort merkte ich, dass noch jemand außer mir hier drinnen war. Doch es war Paul gewesen. Schließlich hatte ich ihn selbst darum gebeten nach dem Rechten zu sehen. Unschlüssig biss ich mir auf die Lippe und merkte, dass dieses ungute Gefühl einfach nicht weichen wollte.

Unschlüssig ließ ich meine Augen durch das Haus gleiten und meinte plötzlich: „Madeline, was würdest du davon halten, wenn wir bei Paul schlafen würden? Er war so oft bei uns, wir sollten ihn auch mal besuchen!“ Fröhlich funkelten Madelines grüne Augen und sie antwortete schnell: „Oh ja! Lass uns ihn besuchen! Dann freut er sich!“ Glücklich strich ich meiner Tochter durch die Haare und begann schnell einige Sachen von uns einzupacken. Ich fühlte mich gerade wirklich nicht mehr sehr wohl in meinen eigenen vier Wänden. Heute brauchte ich einfach Abstand. Jetzt erst verstand ich die Menschen die sich schwer taten wieder in ihre Wohnungen zurückzukommen nachdem dort etwas passiert war. Früher fand ich es albern, doch nach der letzten Nacht hatten sich diesbezüglich meine Ansichten geändert.

Das Auto war noch warm als ich unsere Taschen in den Kofferraum legte und ich glaubte, dass Madeline diese Ablenkung gerade gut tat. Dennoch fiel mir auf, dass sie ihre neue Puppe mitnahm. Doch vielleicht bildete ich mir dabei nur zu viel ein. Vielleicht hatte das gar nichts mit meinem Ex-Mann zu tun, sondern einfach nur etwas damit, dass Maddy die Puppe schön fand. Vielleicht hatte sie diese auch in einer Werbung gesehen und sie sich gewünscht. Auf dem Weg zu Paul war die Stimmung im Auto eine gänzlich andere. Madeline fing an zu erzählen und berichtete, dass Taylor gerade nervte, da er ständig irgendwelche Spiele spielen wollte, die sie nicht mochte. Während ich versuchte meiner Tochter zu erklären, dass es nicht immer nach ihrem Willen gehen konnte, fuhr ich wieder hinein in die Stadt.
 

Wir erreichten das Haus Pauls. Seine Adresse hatte ich noch im Navi gespeichert und ich sah, dass das Licht brannte. Zum Glück. Erst als ich darauf achtete, fiel mir ein, dass Paul eigentlich einen Termin hatte. Zwar wusste ich nicht genau wann der war, allerdings hätte ich jetzt auch vor verschlossenen Türen stehen können. Ich parkte meinen Wagen hinter seinem und es war sehr ruhig, lag das Haus schließlich in einer Sackgasse. Auch in vielen anderen holzvertäfelten Häusern brannte noch etwas Licht. Heute war es ein sehr grauer und regnerischer Tag gewesen, natürlich waren an so einem Tag viele Menschen in ihren Häusern geblieben. Kaum einer schien sich nach der Arbeit aus dem Haus zu wagen. Nur ein Mensch war gerade auf dem Weg nach draußen und an einer Leine war ein kleiner Hund zu sehen.

Noch ein triftiger Grund sich keinen Hund anzuschaffen! Bei dem Wetter wäre sicher ich derjenige der mit dem Tier raus musste. Nein, das wollte ich nicht!

Ich schulterte den Rucksack und nahm meine Tochter an die Hand, während ich die Stufen zu Pauls Haus hochging. Irgendwie hatte ich ihn viel zu wenig besucht! Ich klingelte und wartete darauf, dass er die Tür öffnete. Es dauerte einen Augenblick bis Paul die Tür aufmachte und ich war erstaunt, dass er mich erschrocken ansah. War es wirklich so schlimm, dass ich mich nicht angemeldet hatte? Ich selbst hätte mich vermutlich gefreut ihn zu sehen. Demzufolge verstand ich die Aufregung in seinem Gesicht einfach nicht.

Jedoch, bevor ich etwas sagen konnte, zerrte Madeline aufgeregt an meinem Arm und wie ich zu ihr runter sah, deutete sie mit ihrer Hand auf Paul und plapperte sofort drauf los: „Schau mal! Sein Bein ist weg!“ Ich folgte ihrem Blick und bemerkte erst dann, dass Paul Krücken bei sich hatte und sein Hosenbein schlaff an ihm herunter hing. Natürlich lief er Zuhause nicht immer auf seinen Prothesen, dafür tat es sicher irgendwann zu weh! Sprachlos sah ich von dem fehlenden Bein zu ihm und sofort verstand ich den Ausdruck auf seinem Gesicht.

Ich blinzelte überrascht und entschuldigend begann ich zu erklären: „Ich wollte nicht alleine zuhause sein. Du weißt ja weswegen… Und… Ich habe vergessen mich anzumelden. Das tut mir leid.“ Natürlich hatte ich nicht an so etwas gedacht. Niemals wollte ich ihn in eine unangenehme Situation bringen und verlegen biss ich mir auf die Lippen. Sprachlos starrte mich mein Freund an und seine Augen glitten hinunter zu Madeline. Immer noch war sie aufgeregt und fragte: „Wo ist dein Bein?“

Immer noch sagte keiner von uns ein Wort. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Madeline zerrte weiter an meiner Hand und fragte erneut, wo sein Bein denn sei. Ich räusperte mich und murmelte nach einem Augenblick: „Ähm… erkläre ich dir später, Mäuschen.“ Immer wieder sah Paul zu Madeline und ich bemerkte, wie unangenehm es war. Er hatte alles versucht, damit Maddy nichts von dem fehlenden Bein bemerkt hatte. Er hatte mir erklärt, dass er dafür noch nach den richtigen Worten suchen musste. Allerdings vermutete ich, dass er einfach nur Angst hatte. Vielleicht Angst, dass sie lachte, oder das sie es eklig fand. „Wieso ist das Bein weg?“, wollte sie wissen und noch bevor ich etwas sagen konnte durchdrang Pauls Stimme die Stille. „Ich hatte mal einen Unfall“, begann er zu erklären und ließ uns tatsächlich eintreten. Vielleicht lag es an meinem Kind, denn seine Lippen waren eine einzige Linie und waren sogar etwas blass. „Und dabei hab ich mir das Bein so sehr verletzt, dass es weg musste.“ Entsetzt sah Madeline ihn an und ihre grünen Augen suchten meinen Blick. Was erhoffte sie sich zu sehen? Wollte sie wissen wie ich auf diese Geschichte reagierte? Suchte sie in meinem Verhalten Antworten, wie sie sich verhalten sollte?

„Passiert das auch, wenn man von der Rutschte oder der Schaukel fällt?“, wollte sie sofort wissen und ich schüttelte verneinend den Kopf. Allerdings kam ich erneut nicht dazu zu sprechen und ich stellte lieber meinen Rucksack in den Flur. „Nein, das war ein…. Ein Autounfall“, meinte Paul und ein verbitterter Zug schlich sich auf sein Gesicht. Er hasste es darüber zu sprechen und vermutlich war er nicht zufrieden, dass er es meiner Tochter so erklären musste. Natürlich verstand ich ihn und doch dachte ich mir, dass es Zeit wurde.

Schließlich hatte er mir versprochen, dass wir am Samstag Fahrrad fahren wollten. Spätestens dabei hätte man es Maddy erklären müssen. Und manchmal war es auch besser, wenn man in das kalte Wasser geworfen wurde. „Oh… Ist es deswegen so wichtig, dass man immer schaut ob ein Auto kommt? Oder das Grün ist?“, wollte Madeline mit trauriger Stimme wissen und sah hinauf in das Gesicht meines Geliebten. Er biss sich kurz auf die Lippen und nickte leicht. „Ja. Also pass auf…“, nuschelte er leise und verschränkte die Arme vor der Brust. Wäre die Situation nicht so angespannt, hätte ich über die Frage meiner Tochter schmunzeln können. „Dürfen wir denn hier bleiben?“, fragte ich Paul und sah ihn unsicher an. Irgendwie hatte ich das Gefühl nun in sein Leben eingedrungen zu sein. Ihn bei etwas zu stören, was er nicht wollte und zum ersten Mal sah ich mich als ein Eindringling in einem Leben an.

Schließlich wollte ich ihn nicht in eine unangenehme Situation bringen. Ging es mir doch nur darum, dass ich mich in meinen eigenen vier Wänden nicht mehr wohlgefühlt hatte. Vermutlich wäre alles sehr viel entspannter, wenn ich daran gedacht hätte, ihn einfach anzurufen. Doch das hatte ich vollkommen vergessen. Ich hätte es vollkommen nachvollziehen können, wenn er nein gesagt hätte. Unsere Blicke trafen sich und entschuldigend sah ich ihn in seine dunklen Augen. Ein zorniger Zug umspielte sie und mit verengten Lieder betrachtete er mich.

Kurz senkten sich meine Augen und es war mir wirklich unangenehm. Mir leicht auf die Lippen beißend sah ich ihn immer noch entschuldigend an und etwas wandelte sich plötzlich. Der harte Ausdruck verschwand und ein weicherer Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht. Während wir einander stumm ansahen bemerkte ich, dass er sich rasiert hatte und seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. „Ja ja…“, meinte er und langsam zog ich meine Jacke aus. Doch gerade als ich etwas sagen wollte hörte ich eine Stimme aus dem Wohnzimmer. Er war nicht alleine?!

„Soll ich dann verschwinden, Paul?“, rief der Mann und trat vom Wohnzimmer in den Flur. Es war Michael und unsere Augen begegneten sich. Seine blonden Haare waren etwas kürzer als bei unserem letzten Treffen und immer noch betrachtete er mich mit einem strengen Blick aus seinen hellgrünen Augen. Stur sah ich ihn an und senkte nicht den Blick. Wieso dieser Mann ein Problem mit mir hatte verstand ich immer noch nicht. Laut Pauls Aussagen war er nicht schwul, also konnte es keine Eifersucht sein und doch wirkte er unzufrieden. Unschlüssig schien er mich zu betrachten und ich konnte diesen Gesichtsausdruck einfach nicht zuordnen.

Seine Augen glitten durch den Flur und blieben an meiner Tochter hängen. Als sie den fremden Mann sah ging sie zu mir und murmelte leise „Hallo.“ Sie schien überrascht von dem Auftauchen des Fremden zu sein und liebevoll legte ich ihr eine Hand auf den Kopf. Doch anders als bei mir lächelte der Mann Madeline sehr freundlich an. Seine Augen hatten nicht mehr diesen strengen Ausdruck und seine sonst zu schmal und streng erscheinenden Lippen hatten sich zu einem freundlichen Lächeln verzogen. „Na da habe ich ja jemanden verschreckt“, sagte er mit freundlicher Stimme und als er sich kurz hinhockte war ich überrascht.

„Ich bin ein Freund von Paul… Ich heiße Michael und du musst Madeline sein. Paul hat mir von dir erzählt. Ganz viel sogar“, sprach er erstaunlich freundlich mit meiner Tochter. Was ich davon halten sollte, wusste ich selbst nicht so genau. Irgendwie erfreute es mich zu sehen, dass er wenigstens gegenüber meiner Tochter Anstand zeigen konnte. Allerdings ließ es ihn nicht per se sympathischer werden für mich. Kurz sah Madeline hoch zu mir und ich selbst sah Michael nur stumm an.

Ich wusste einfach nicht, was ich von diesem Menschen halten sollte. „Hi, Michael“, brachte ich schließlich raus und der Mann vor mir erhob sich wieder. Er nickte mir leicht zu und meinte zu Paul: „Ich habe dir alles gesagt, was ich rausbekommen konnte. Vielleicht weihst du ja endlich mal deinen Liebsten ein…“, sagte er für mich vollkommen zusammenhangslos und griff nach seiner Jacke. Was meinte er damit? Fragend sah ich zu Paul hinüber, doch er sah seinen Freund mit einem wütenden und strengen Blick an. Hatte er etwas gesagt, was ich nicht hören sollte?

Was auch immer Michael gerade gemeint hatte, es passte Paul nicht, dass er es mir so locker mitgeteilt hatte. Kurz winkte der Mann und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Die Stille die folgte war komisch und unschlüssig betrachtete ich Paul. Was meinte er damit?

Doch als ich versuchte Pauls Blick einzufangen, wandte er sich ab und ging ins Wohnzimmer. Ich kam nicht dazu etwas zu fragen, denn Madeline zog an meiner Hand: „Ist er jetzt sauer, weil ich das mit dem Bein weiß?“ Langsam schüttelte ich den Kopf. Vermutlich war er mehr sauer auf mich. Sie konnte schließlich nichts dafür. Neugierig sah Madeline sich um, schließlich war sie noch nie hier gewesen und ich war auch erst einmal in diesem Haus gewesen. Irgendwie hatte sich alles bei mir abgespielt. Doch es wunderte mich auch nicht. Denn schließlich nahm Paul sehr viel Rücksicht auf mich und meine Tochter.

Wir folgten Paul durch den Flur, vorbei an dem selbst fotografierten Bild der Kreuzung aus der Stadt und betraten das Wohnzimmer. Die gleichen dunklen und hellen Möbel standen herum und immer noch fand ich, dass es ein wenig zusammengewürfelt aussah. Ein leicht süffisantes Grinsen erschien auf meinen Lippen als ich zur der Couch sah und daran dachte, wie ich Pauls Kissen versaut hatte. Doch natürlich war der Flecks längst rausgewaschen worden. Neugierig sah sich meine Tochter um und fragte Paul: „Wieso hast du nur einen so kleinen Fernseher?“ Erinnerungen kamen wieder in mir hoch und ich erinnerte mich, wie Paul sagte, dass er gar nicht so gerne fernsah.

„Ich mach den hier eigentlich nie an. Ich schau nur bei euch. Ich bastele viel lieber“, erklärte er ruhig und ging durch eine verglaste Doppeltür in die Küche. Madeline folgte ihm und schien sich immer noch umzuschauen. „Was bastelst du?“, fragte sie und blieb an der Tür zur Küche stehen. Mir fiel auf, dass sie immer noch die Puppe in den Händen hielt, welche Brian ihr geschenkt hatte.

Paul kam mit zwei Gläsern und einer Flasche Wasser zurück ins Wohnzimmer und deutete auf den auffälligen Wohnzimmertisch welche auf einem blauen Teppich stand. „So etwas“, erklärte er und Maddy sah zu dem Tisch.

„Ach so… so etwas kann ich nicht“, meinte sie und unschlüssig sah sie zu seinem fehlenden Bein. „Hast du dein Bein mit dem du sonst gehst dann auch selbst gebaut?“, wollte sie neugierig wissen und lief etwas aufgedreht hinter Paul her, als er die Gläser und die Flasche auf dem Wohnzimmertisch abstellte.

Etwas in dieser Frage ließ mich schmunzeln und ich ließ mich auf dem Sofa nieder. Ich schüttete Wasser in die Gläser, während Paul erklärte: „Nein, das kann ich nicht. Das machen Profis. Ich mache nur Tische und sowas.“ Ich bemerkte seine Prothese, welche neben der Couch stand und neugierig sah Madeline sich das Hilfsmittel an. „Wenn du das trägst, spürst du dann, wenn ich dir auf den Fuß trete?“, wollte sie neugierig wissen und als sie die Prothese ungefragt anfasste, ermahnte ich sie vorsichtig zu sein.

Natürlich wusste ich, dass diese Hilfsmittel nicht so schnell kaputt gingen, dennoch war es kein Spielzeug und so sollte sie das auch erst gar nicht sehen!

Mit großen Augen betrachtete Madeline mich und sah dann zu Paul, welcher sich neben mir niedergelassen hatte. „Nein, das spüre ich nicht. Aber dein Dad hat recht, pass auf…“ Sie ließ die Hände von der Prothese und sah fasziniert auf den Stumpf welcher deutlich zu sehen war, nachdem Paul sich gesetzt hatte.

„Kannst du jetzt ganz lange auf einem Bein hüpfen?“, fragte sie und perplex sah ich sie an. Die Gedankengänge von Kindern muss erstmal einer verstehen. Ein leichtes Kichern entwich meiner Kehle und entrüstet sah Maddy mich an. „Das ist nicht lustig.“ Doch, ich fand es lustig, allerdings schielte ich kurz zu Paul. Meine Sorge, dass er das alles andere als lustig fand, war schließlich nicht einfach verschwunden. Er konnte sich selbst nur schwer akzeptieren so wie er jetzt war. Wie würde er dann die Fragen meiner Tochter aufnehmen?

Erleichtert war ich, als ich sah, dass auch er amüsiert drein sah. Er schüttelte den Kopf und erklärte, dass er dies genauso wenig könnte wie davor. Vermutlich fand er diese Fragen viel besser, als etwas, was ihn wirklich in Verlegenheit brachte. Doch was genau ihn in Verlegenheit bringen konnte, dass wusste ich selbst nicht. Vielleicht war es gut, dass Madeline mit einer Offenheit an das Handicap ging, wie es nur Kinder konnten.

Diese Frage schien ihr sehr viel wichtiger zu sein als die Frage, ob er noch normal Leben könnte. Ob er noch viele Schmerzen hatten. All diese Fragen kamen meiner kleinen Tochter gar nicht in den Sinn. Natürlich nicht. Und doch vermutete ich, dass Paul damit gerechnet hatte.

Ruhig erklärte ich ihr, dass Paul eigentlich alles konnte, was ein Mensch mit zwei Beinen auch kann und aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Paul das Gesicht verzog. Allerdings schwieg er darauf und sagte nichts. Natürlich nicht. Er schwieg dieses Thema immer tot. Sagte nichts dazu. Es war so typisch für ihn.

„Also können wir am Wochenende Fahrrad fahren?“, wollte Madeline wissen und ich nickte leicht. Paul hatte zugestimmt und ein Blick in seine Richtung verriet mir, dass er gerade nicht vorhatte dagegen zu argumentieren. Tatsächlich freute ich mich sehr auf diesen Ausflug.

„Was hast du da eigentlich für eine Puppe?“, warf Paul ein und blickte auf die neue Barbie in Madelines Händen. Unsicher sah sie auf einmal auf und betrachtete das Stück Plastik in ihrer Hand. Sie schien nicht zu wissen, was man antworten sollte und ich mochte es nicht, wenn sie in so einer Situation war, also half ich ihr.

„Das ist ein Geschenk von Brian. Das hat er ihr heute mitgebracht, wegen ihres Geburtstages. Ist das nicht nett?“, wollte ich von Paul wissen und als ich sah, dass Madeline mich dankbar ansah, spürte ich eine große Woge der Erleichterung und Zuneigung für mein kleines Mädchen. Sofort stimmte mir Paul zu und sagte: „Ja, das ist ja klasse. Dann hast du ja doch mehr Spaß gehabt, als du dachtest. Das freut mich für dich, Maddy.“ Sie lächelte leicht und legte die Puppe auf das Sofa und ging schweigend um sein Bein herum. Es faszinierte sie, dass konnte man deutlich sehen. Doch was hatte ich anderes erwartet?

„Das ist ein Roboterbein… Kann das noch was Cooles?“, wollte sie wissen, hockte sich vor dem Bein hin und betrachtete den Schuh genau. Doch es war ein ganz normaler Turnschuh, nichts Besonderes. Als Paul „Nein“ sagte, blickte sie erneut zu dem Bein und sagte: „Vielleicht kannst du damit ja mal fliegen irgendwann.“ Ich bemerkte, wie sich in Pauls Blick etwas wandelte. Was genau hätte ich nicht beschreiben können und auch nicht, wie er sich fühlte. Doch ein glücklicher Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Vielleicht war es auch nur ein belustigter Ausdruck. Doch es war mir egal. Paul blickte nicht mehr verkniffen und er tat etwas, was ich ihm nicht zugetraut hatte. Er zog sein Bein zu sich heran und legte es über seinen Schoß.

„Wo meinst du, sollen denn die Raketen angebracht werden?“, fragte er gut gelaunt meine Tochter und sofort zeigte sie auf eine Stelle und plapperte drauf los. Breit grinsend lauschte ich dem, was sie von sich gab und doch klingelte etwas in meinem Kopf.

Michaels Worte hatte ich nicht vergessen. Was sollte mir Paul sagen? Ein etwas ernster Ausdruck erschien auf meinem Gesicht. Er musste mir sagen was er wusste und doch wollte und konnte ich das nicht vor meiner Tochter ansprechen. Das ging einfach nicht. Ich schien mich gedulden zu müssen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  radikaldornroeschen
2019-07-01T11:57:17+00:00 01.07.2019 13:57
Kaum herrscht mal gute Laune, weil Maddy einfach zu süß und witzig ist... und schon ist das Kapitel rum wie im Flug. Menno!
Von:  chaos-kao
2019-01-22T22:03:17+00:00 22.01.2019 23:03
Maddy ist echt goldig. Perfekt um Paul abzulenken und es ihm leichter zu machen mit seinem fehlenden Bein klar zu kommen in ihrer Gegenwart. Sie ist einfach ein kleiner Sonnenschein :) Allerdings bin ich viel neugieriger was Michael gemeint hat mit seiner Andeutung. Klang ja reichlich ernst...


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