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Die Karten legt das Schicksal

von

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Ein beginnendes Gespräch

Es war ein schönes Wochenende mit meiner Familie gewesen. Zwar suchte mein Vater auch noch das Gespräch mit mir, doch es verlief genauso, wie die Gespräche mit meiner Mutter und Schwester. Auch Dad fragte mich, ob ich nicht wieder zurückziehen wollte. Ich seufzte schwer und schüttelte nur den Kopf darüber. Ich erklärte ihm, wie wichtig es mir war, es alleine zu schaffen. Doch anders als meine Mutter kam er damit mehr zurecht, wenn ich sagte, dass ich es alleine hinbekommen wollte. Auch er war so. Hilfe annehmen war auch für ihn nur in gewissem Maße annehmbar. Er verstand mich dahingehend einfach besser.

Am Montag standen meine Eltern sehr früh mit mir auf. Sie hatten wie ich Urlaub und wollten den Tag gemeinsam mit mir und ihrer Enkelin ausklingen lassen. Wir saßen zu viert, mit Madeline am Tisch und es wurden noch einige Fotos geschossen. Wie eigentlich immer wieder während des Wochenendes. Marianne schrieb ich eine Nachricht und bedankte mich, dass sie mir versucht hatte beizubringen, wie man diesen blöden Zopf hinbekam. Ich hoffte, dass sie mir nicht wirklich einen Puppenkopf gekauft hatte. Doch irgendwie ahnte ich schon, dass sie damit keinen Scherz gemacht hatte. Meine Mutter hatte frische Bagles geholt und ich freute mich ungemein darüber. Ich kaute auf dem Gebäck herum und erinnerte Madeline daran, dass sie essen sollte. Zu gerne, lenkte sie sich mit anderen Sachen ab.

„Ihr kommt doch zu meinen Geburtstag?“, fragte Madeline und blickte meine Eltern mit ihren großen Kinderaugen an. Sie klaute sich die Wurst von ihrem Bagel. Gerne nahm sie die Scheibe Wurst vom Brot und tat sich danach einfach eine neue Scheibe drauf. Sofort nickte meine Mutter und strahlte ihre Enkelin an. Ja, meine Mutter war einfach gerne Oma. „Natürlich meine Süße“, meinte sie gleich und versprach ihr, Kekse zu backen, wenn sie da ist. Ich könnte mir vorstellen, dass Madeline ziemlich rund wäre, wenn meine Mutter in der Nähe leben würde. Kuchen und Kekse, alles Sachen, welche sie nur zu gerne zubereitete. „Die mit Schokostückchen? Das sind die Besten“, wollte Madeline wissen und sofort nickte meine Mutter.

„Ich gehe mal raus und packe etwas, ihr passt auf?“, fragte ich nach dem Frühstück und sofort nickte meine Mum. Ja, dieser Service war unheimlich angenehm. Ich packte unsere Sachen ein und bedankte mich bei meiner Mutter, dass sie gestern Abend meine und Madelines Wäsche gewaschen und in den Trockner geschmissen hatte. Ich strich die Shirts glatt und musste zuhause nur noch bügeln. Nicht, dass das Spaß machte, doch man konnte nebenbei Fernsehschauen oder ein Hörbuch hören. Was ich am meisten hasste, war einfach das Kochen. Ich hörte meine Tochter unten mit meinen Eltern rumblödeln und als mein Vater mir hinaufrief, dass wir bald los mussten, beeilte ich mich, fertig zu werden. Doch immer wieder schielte ich auf mein Handy. Ich wünschte mir eigentlich, dass ich eine Nachricht von Paul bekommen würde. Doch es kam keine und ich war zu sehr in Eile, als das ich selbst hätte schreiben können.

Wir verließen das Haus und meine Eltern brachten uns zum Flughafen. Ich saß hinten neben meiner Tochter und grinsend fragte sie mich: „Glaubst du, wir sehen den Piraten wieder?“ Verwirrt zogen sich meine Augenbrauen zusammen und fragte sie, was sie damit meinte. „Na ja“, erklärte sie und drehte sich auf ihrem Kindersitz zu mir. „Der Mann mit der Augenklappe. Der, der den anderen Mann geküsst hat. Glaubst du, dass der wieder da ist?“

Es dauerte einen Moment bis ich begriff, was sie von mir wollte. „Ach“, meinte ich schmunzelnd, „Du meinst die Männer vom Flughafen. Nein, ich glaube nicht. Und das war kein Pirat Mäuschen, der Mann hatte sicher ein entzündetes Auge. Deswegen die Augenklappe“, erklärte ich ruhig, doch Madeline war überzeugt davon, dass dieser fremde Mann ein Pirat sei. Dann sollte sie es eben glauben. Ihre kindliche Fantasie lies sich kaum bremsen.

Es dauerte nicht lange, bis wir am Flughafen waren. Es war zwar viel los auf den Straßen, doch gerieten wir in keinen Stau. So erreichten wir schnell und überpünktlich den Flughafen. Viele Autos standen vor dem Eingang und einige Menschen stiegen aus und winkten ihren Angehörigen zu.

Sofort, als wir standen, schnallte ich Madeline ab und mein Vater hatte unseren Koffer und den Kinderwagen aus dem Kofferraum geholt. Ich betrachtete das sperrige Ding und meinte: „Kann ich das hier lassen? Madeline ist eigentlich groß genug und kann selbst laufen und eigentlich, brauche ich das nur, wenn wir hier sind.“ Skeptisch blickte meine Mutter zu dem Kinderwagen und fragte meinen Vater, ob sie dafür überhaupt Platz hätten. Lachend packte mein Vater das sperrige Teil wieder in den Kofferraum und meinte: „Ach, irgendwo passt der schon hin.“

Wir verabschiedeten uns und ich drückte meine Mutter liebevoll. „Hat Spaß gemacht, Mum“, meinte ich ehrlich und grinste sie an. Sie nickte und meinte freundlich: „Mir auch. Ich hätte euch gerne viel öfter hier. Und lass dich nicht verrückt machen Junge, okay?“ Ich nickte nur und verstand, dass sie Brian meinte. Sie gab mir einen netten und vermutlich lieb gemeinten Kuss auf die Wange und ich ließ sie einfach machen. Ich würde mich schon nicht unterkriegen lassen, meinte ich ruhig und gemeinsam mit Madeline gab ich den Koffer auf. Sie winkte ihren Großeltern glücklich zu und blickte mich munter an. Ja, ihr tat der Kurzurlaub auch gut. Die Entfernung und Distanz beruhigte meine Neven. Sie ließ mich die Dinge nicht mehr so eng sehen und das seltsame Gefühl, was das Treffen im Jugendamt anging, war nicht mehr vorhanden. Ich hatte nichts getan, was schlimm war. Ich hatte meiner Tochter ein gutes und geborgenes Heim gegeben und sie immer liebevoll versorgt. Ich brauchte mich weder zu rechtfertig, noch brauchte ich Sorgen zu haben.

Doch etwas anderes ließ meine Nerven flattern. Paul. Ich war gespannt und neugierig auf das Treffen mit diesem Mann. Ich hoffte, dass er wirklich kommen würde und es nicht einfach nur so gesagt wurde. Doch wieso sollte er schreiben, dass er sich mit mir treffen möchte, um dann doch nicht zu erscheinen? Das ergab keinen Sinn. So hatte ich ihn nicht kennen gelernt.

Ich beobachtete, wie Madeline auf einem Klettergerüst herumtollte und fragte mich, ob er sich darauf einlassen konnte. Jetzt wusste er ja schließlich, dass es mich nur mit Anhang gab.
 

Pünktlich startete der Flieger und wir spielten wieder Memory. Dieses Mal war der Platz neben mir besetzt, aber der Geschäftsmann störte sich nicht an meiner Tochter. Im Gegenteil, als sie ihn aufforderte mitzuspielen, stimmte er tatsächlich zu. Er hatte Spaß daran und nach zweieinhalb Stunden waren wir endlich wieder in Portland gelandet. Aufgedreht rannte Madeline vorweg und ich schielte auf mein Handy. Doch weder Paul, noch Phil hatten geschrieben. Während wir auf die Koffer warteten, schrieb ich Paul, dass der Flieger pünktlich gelandet sei und ich mich auf ihn freute. Ich hielt meine Tochter an den Händen fest und sie ließ sich an mir hängen. Ich schaukelte sie leicht hin und her war froh, als ich endlich sah, dass das Gepäckband sich in Bewegung setzte.

Nachdem wir endlich mit all unserem Gepäck im Auto saßen, meinte ich zu Madeline: „Heute Nachmittag kommt ein Bekannter von mir. Ich hoffe, dass ist für dich okay?“ Ich blickte kurz in den Rückspiegel und sah, wie meine Tochter ihren Stoffhund streichelte. Ich sah, wie sie nach vorne zu mir schaute, doch meine Augen richteten sich wieder auf den Verkehr vor mir. „Hat der einen Hund den er mitbringt? Oder Kinder?“, fragte sie neugierig und ich schüttelte nur den Kopf. „Nein, er hat weder einen Hund noch Kinder“, antwortete ich und hörte sie tief seufzten.

„Dann ist das wieder so ein langweiliges Erwachsenentreffen?“, wollte sie wissen und ich lachte leise.

„Bringt der dann Kuchen mit?“, wollte Madeline neugierig wissen und ich schüttelte den Kopf. „Du hast eindeutig genug genascht am Wochenende“, meinte ich streng und sah weiterhin auf die Straße. Verteidigend hörte ich von hinten: „Ich war aber auch ganz viel schwimmen und ohne Essen wachse ich schließlich nicht.“ Ich schmunzelte leicht und sagte trotzdem mit strenger Stimme: „Vergiss es. Du hast genug gegessen. Heute gibt es keine Süßigkeiten mehr. Es reicht ein Apfel.“ Meine Kleine, dachte ich nur und fuhr uns entspannt durch die Straßen Portlands. Ich ignorierte ihr Gemecker. Ich ließ mich auf keine Diskussionen mit ihr ein. Unser Haus sah noch genauso aus, wie ich es verlassen hatte. Ich holte Madeline und das Gepäck aus dem Wagen und endlich waren wir Zuhause! Ich schmiss die bereits gewaschenen Klamotten in den Korb für die Bügelwäsche und schrieb Paul, dass ich endlich zuhause war. Meine Tochter war nach oben gelaufen um Bolt ins Bett zu legen.
 

Ich war nervös, als es an der Tür klopfte und unschlüssig, öffnete ich meine Haustür. Paul sah gut aus, wie er da stand, in seiner dunklen Hose und dem Parker. An seinen dunklen Haaren waren Regentropfen und wie ich, lächelte er mich unsicher an. „Hey“, meinte er ruhig und fragte mich, ob ich ihn hineinließ. Ich trat beiseite und meinte: „Hi, komm rein.“

Ich war unruhig und hatte ein seltsames, komisches Gefühl in mir. Ich war aufgeregt und neugierig und gleichzeitig hatte ich Sorge, was nun alles besprochen wurde. Eine komische Amivalenz. Wir standen in meinem Flur und es schien, als wussten wir im ersten Augenblick nicht, was wir sagen sollten zu seht schien jedem das letzte Treffen noch präsent zu sein. Doch es war noch etwas anderes, was die Zeit zum Stillstand brachte. Für einen kurzen Augenblick wirkte es, als sei die Zeit zwischen uns stehen geblieben. Als seien wir wieder in unserer Blase in der es nur uns gab. Die Augen des Mannes glitten an meinem Gesicht entlang und ich sah, wie seine Lippen sich zu einem leichten Lächeln verzogen. Ich erinnerte mich an seinen Geschmack und seinen Geruch und genau in dem Augenblick in dem ich einen Schritt auf ihn zu machen wollte hörte ich ein Geräusch. Ein lautes Poltern ließ die Blase um uns zerplatzen und brachte mich und Paul zurück in die Realität.

Ich hörte meine Tochter oben spielen und Pauls Blick glitt die Treppe hinauf. Vermutlich spielte sie mit irgendwelchen Figuren. Die Augen Pauls waren immer noch auf die Treppe gerichtet. Ich wünschte, ich könnte seine Gedanken lesen.

Langsam zog er sich seine Jacke aus und fragte nach einem Augenblick der Stille: „Ähm… Wie war es, bei deiner Familie?“ Unschlüssig sah ich ihn an und meinte nach einem Moment: „Na ja, war gut. Eigentlich. Viel geredet, große Feier… Willst du vielleicht einen Kaffee?“ Während Paul seine Jacke an die Garderobe hing, nickte er und folgte mir in die Küche. Immer noch war es ein komisches und irgendwie ungutes Gefühl im Magen. Ich wusste nicht, warum es so war. Obwohl, eigentlich wusste ich es durchaus. Ich hatte Bedenken, was er sagen konnte und als ich ihm seinen Kaffee reichte, setzten wir uns an den Küchentisch. Ob er meinte, dass wir Freunde bleiben sollten? Waren ihm Kinder doch zu viel?

Er betrachtete meine moderne Küche und erst nach einem Moment sah er mir wieder ins Gesicht. Die Sekunden schienen sich gerade anzufühlen wie Stunden. Vermutlich hatte er sich beim letzten Mal als er in meinem Haus war, nicht wirklich umgesehen. Meine Einrichtung war anders, als die Seine. Doch ich konnte an seinem Gesicht nicht entschlüsseln, ob es ihm gefiel oder nicht. Vielleicht war es einfach sinnvoll mit etwas gänzlich anderem das Gespräch zu beginnen. Ich erinnerte mich, dass er heute wieder begonnen hatte zu arbeiten. „Wie war dein erster Arbeitstag?“, wollte ich nach einem Augenblick wissen und Paul antwortete: „Ruhig.“ Wieder schwiegen wir und ich ließ meinen Daumen über die Kaffeetasse gleiten. Seine Einsilbigkeit machte es für mich gerade nicht wirklich einfacher und langsam bemerkte ich, dass ich mich ärgerte, dass er es mir so schwer machte. Schließlich hatte er sich freiwillig bei mir gemeldet.

Beide seufzten wir gleichzeitig auf und wollten beginnen etwas zu sagen. Ich schmunzelte darüber und auch Paul schien dies zu amüsieren. Er forderte mich auf zu sprechen. Ich stieß kurz die Luft aus und sagte: „Also, ich weiß nicht genau, wie ich anfangen soll. Also, es tut mir Leid, dass ich dir nicht sofort von Madeline erzählt habe. Ich hätte es dir sagen müssen, aber ich finde zwei Wochen eigentlich immer noch nicht lange…“ Ich trank einen Schluck Kaffee und Paul erwiderte augenblicklich, dass wir uns in diesen zwei Wochen jedoch regelmäßig getroffen hatten. Ich hob meine Hand und fiel ihm ins Wort: „Lass uns das nicht wieder vertiefen. Es ist so, wie es jetzt ist. Es lässt sich nicht mehr ändern. Paul… Paul, ich habe ernst gemeint, was ich gesagt habe. Ich bin verknallt in dich und würde es einfach gerne versuchen. Mich gibt es aber einfach nur im Doppelpack. Damit kam bis jetzt niemand klar.“

Leicht nickte Paul und nach einem Augenblick meinte er: „Ich war auch nicht immer ehrlich…. Aber bleiben wir erstmal bei dir… Ich habe nichts gegen Kinder, wirklich nicht.“ Nachdenklich nickte ich, denn ich wartete auf sein aber. Doch er schwieg und fragend runzelte ich die Stirn.

„Es klingt…“, meinte ich nach einem Moment, „… als ob da noch ein aber kommen sollte.“ Unschlüssig schien sich Paul die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Unsere Blicke trafen sich kurz und ich bemerkte, wie seine Augen an meinem Gesicht entlangglitten und endlich begann er ruhig zu sprechen: „Ich weiß nicht, wie ich mich so…verhalten soll. Klar, du suchst keinen zweiten oder dritten Vater, aber ich werde mich ja schlecht immer heraushalten können, wenn du verstehst...“ Ich glaubte, zu wissen was er meinte. Er könne nicht immer zu Madeline sagen, dass sie zu mir gehen solle. Auch er musste sich bei ihr durchsetzen. Sonst würde sie ihm nur auf der Nase herumtanzen.

Natürlich musste er lernen, mit ihr auszukommen. So, wie sie dies auch lernen musste. Doch etwas anderes ließ mich nachdenklich zu ihm schauen. „Was meinst du, wenn du sagst, dass du auch nicht ehrlich warst?“ Meine grünen Augen starrten regelrecht in seine braunen.

Doch auf einmal wich er meinem Blick aus. So etwas kannte ich von diesem Menschen gar nicht. Die Unsicherheit war so offensichtlich und passte eigentlich nicht zu diesem Menschen. Stirnrunzelnd betrachtete ich den Mann vor mir und fragte: „Was hast du auf einmal?“ Er strich über seinen drei Tage Bart und atmete tief durch. Nervös strich er mit den Händen über die graue Tasse in seiner Hand und wippte mit dem rechten Bein hin und her. Sein Blick glitt in meine Richtung, doch erst nach einem Augenblick schaffte er es, mir in die Augen zu schauen. „Ich war einfach auch nicht…. So ehrlich, oder offen… Such es dir aus, wie du es nennen willst. Und… vielleicht habe ich einfach auch Sorge, wie du das aufnehmen könntest. Ich hab mir da am Wochenende halt Gedanken drüber gemacht und dann gemerkt, na ja…. Das ich vielleicht einfach vorschnell gehandelt habe. Vielleicht hätte ich dir auch eher etwas sagen sollen. Du hattest mich nur einfach so überrumpelt und dann hatte ich auch noch einen scheiß Tag…“ Ich nickte leicht und ließ ihn einfach weiter sprechen, denn ich hatte keinen blassen Schimmer, wovon er redete.

Ich richtete mich auf, wie ich es immer tat, wenn meine Klienten mir etwas erzählten. Wenn ich merkte, dass es wichtig war. „Na ja“, begann er ruhig weiter zu sprechen, doch ich glaubte eine Unruhe in ihm wahrzunehmen, „Ich weiß nicht… Ach schau es dir einfach an.“ Ich war überrascht, als er vom Stuhl aufstand. Leicht zitterten seine Hände, als er begann sein linkes Hosenbein hochzuschieben. Meine grünen Augen glitten hinab und perplex starrte ich auf eine Metallstange. Dort wo sein Fußgelenk hätte sein soll glänze mir silbernes Metall entgegen. Es war nicht lang, gerade einmal 10 Zentimeter, wie ich schätze, bevor ein blauschwarzer Schaft begann. Es dauerte bis es langsam zu mir hochsickerte, dass es eine Prothese war. Immer noch ratterte mein Kopf. Machte Paul nicht Sport? Hatte er mich angelogen? Nur langsam verstand ich, was er mir gerade damit zeigte. Er war behindert. Wenn man es so nennen wollte, ein Krüppel. Ich war dankbar, dass er meine Gedanken nicht lesen konnte, denn schon im nächsten Augenblick schellte ich mich selbst. Behindert klang ziemlich abwertend und Krüppel erst recht. Doch meine Gedanken waren einfach schneller als meine Erziehung.

Doch so hätte ich ihn nie genannt. Er konnte schließlich normal leben.

„Der Motorradunfall?“, fragte ich ruhig und schaffte es erst, nach einigen Augenblicken meinen Blick von dem Bein zu nehmen. Stumm nickte der Mann und biss sich auf die Unterlippe. Er atmete schwer durch und fragte, was ich davon halte. Immer noch wirkte er unsicher und ich sah, wie er sich nervös die Hände knetete.

Langsam setzte er sich wieder, sein Hosenbein fiel über die Prothese und ließ sie unsichtbar werden. So wie er mich anblickte, erinnerte er mich an mich selbst. Unsicher und unschlüssig wirkte sein Blick. Und ich sah etwas, was ich von mir kannte. Es war Angst. Ich konnte nur mutmaßen, doch sie wie er es sagte, konnte es sein, dass er Angst hatte auf Ablehnung zu stoßen. Es fiel ihm nicht leicht mir dies zu offenbaren, das konnte man ihm deutlich ansehen. „Kannst du mit einem Krüppel leben?“, fragte er ruhig und ich wunderte mich, dass er sich selbst so nannte. War es Eigenschutz? Denn locker, schien er das Thema nicht zu nehmen, dafür sah er mich zu gequält an. „Du bist kein Krüppel!“, meinte ich ruhig und betrachtete den durchtrainierten Mann vor mir. Er blickte weg, sah hinab auf den Boden und mied meinen Blick. „Paul, schau mich an“, sagte ich ruhig und wartete darauf, dass er wieder in meine Augen sah. „Du bist kein Krüppel. Du hattest einen Unfall und dir fehlt ein Bein. Das… Andere Behinderte schaffen danach noch total viel. Ich kann ins Internet gehen und danach suchen und ich würde zig Einträge dazu finden. Es sind doch schon Menschen ohne Arme und Beine Berge hinaufgestiegen.“

Ja, es war komisch zu wissen, dass er nur ein Bein hatte, doch das änderte den Menschen vor mir nicht. Er sah immer noch gut aus und er war immer noch der Mann, den ich kennen gelernt hatte. Er war immer noch der charmante Polizist. Es änderte nicht seinen Humor oder seine Sicht auf die Dinge. Machte es mich wütend, dass er es mir erst jetzt sagte?

Nein, es machte mich nicht wütend. Ich verstand ihn sogar. Ich konnte nicht wissen, ob und wie oft er bereits deswegen beleidigt wurde und wie sehr es ihn verletzt hatte. „Toll“, raunte Paul mit verbitterte Stimme, „Auf dem Rücken ihrer Freunde, um dann für die Kamera die letzten paar Meter hinauf zu kriechen. Das ist kein Bergsteigen.“ Ich verschränkte meine langen Arme vor der Brust und blickte den Mann vor mir einfach nur an.

„Und wenn schon Paul. Die haben sich nicht aufgegeben. Darauf kommt es an. Schau dir die Paralympischen Spiele an“, sagte ich, doch eisern hielt Paul dagegen. Diese würde sich eh nie jemand anschauen. Ich schwieg, denn ich erkannte, dass Paul alles, was man ihm sagte nicht annehmen wollte. Vielleicht konnte er es auch einfach nicht. Er hatte mir von dem Unfall erzählt, schließlich war dies der Grund, weswegen er so lange krankgeschrieben war. „Sechs Monate ist das jetzt her?“, fragte ich ruhig und nachdenklich nickte der athletische Mann vor mir.

„Ich finde das gar nicht schlimm“, meinte ich ruhig und griff nach seiner Hand. „Hey Paul“, meinte ich freundlich. „Schau dich an. Du siehst gut aus und machst Sport. Du gehst sogar in ein Fitnessstudio. Irgendwann wirst du sicher alles machen können, wie vorher. Vielleicht brauchst du einfach noch mehr Zeit und Ruhe.“ Unschlüssig zuckte der Mann vor mir mit den Schultern. Er wirkte nicht, als ob er mir glaubte. Unschlüssig schien er in die Tasse vor sich zu starren und als ich fragte, was bei dem Unfall geschehen war, sagte er: „Die Bremsen haben nicht reagiert und ich bin unter einen LKW gekommen.“ Erschrocken weiteten sich meine Augen. Entsetzt fragte ich, wie das denn geschehen könne. Er erklärte fast schon gehässig: „Irgendwer scheint an den Bremsen herumgespielt zu haben… Man konnte keine Beweise sichern. War nichts zu finden.“ Ich erschauderte, als ich dies hörte. Wer würde sowas machen?

Ich fragte danach und grimmig grinste er mich an, als er sagte: „Ich bin Polizist, da gibt es sicher einige.“ Er hatte nicht Unrecht. Sein Job war gefährlich und sicherlich nicht zu unterschätzen. Er war schließlich in einer Spezialeinheit. Ich strich mir über mein Kinn, doch noch bevor ich etwas fragen konnte, hörte ich laute Schritte die Treppe hinunter kommen. „Daddy“, rief Madeline und ließ unser Gespräch verstummen. Es war einfach nicht für Kinderohren bestimmt.

Fröhlich kam Madeline um die Ecke und erstarrte kurz, als sie Paul sah. Ihre grünen Augen glitten an seinem Körper entlang und musterten den Fremden mit einer gewissen Neugierde. Fragen sah Maddy zu mir und auffordernd blickte ich von ihr zu Paul. „Hallo“, sagte sie schnell und etwas leiser als gewöhnlich. Freundlich sah Paul meine Tochter an und beugte sich auf dem Stuhl etwas zu ihr hinunter. Er lächelte leicht, als er sagte: „Hallo. Ich bin Paul.“

Kurz schaute meine Tochter zu mir, bevor sie noch etwas leise sagte: „Ich heiße Madeline.“ Langsam ging sie auf uns zu und ich reichte ihr meine Hand. Sie war eigentlich nicht schüchtern, doch sie brauchte immer einen Augenblick um aufzutauen. Ich war froh, dass sie nicht gleich mit jedem Menschen gut befreundet sein wollte und strich ihr durch die Haare. „Madeline ist ein schöner Name“, meinte Paul ruhig und ich sah, wie meine Tochter anfing zu grinsen.

„Wir haben einen Paul im Kindergarten und mit dem spiele ich ab und zu“, meinte sie leise und lieb strich ich ihr durch die Haare.

„Was willst du?“, fragte ich sie ruhig und als sie zu mir blickte, antwortete sie: „Ich habe Durst.“ Leicht nickte ich ihr zu und erhob mich von dem Stuhl und schüttete Madeline etwas Wasser in ihren bunten Lieblingsbecher. Gierig wollt sie danach greifen, doch schnell zog ich ihn weg. „Was sagt man?“, fragte ich streng und verständnislos sah sie mich an. „Danke, vielleicht“, meinte ich und als sie leise das Wort wiederholte, reichte ich ihr lächelnd das Getränk.

Ich schwieg, denn ich wusste nicht, was ich sagen sollte, während meine Tochter mit im Raum war. Irgendwie überforderte es mich sogar, denn so eine Situation war noch nie vorgekommen. Doch es war mein Tochter die begann die Situation angenehmer zu machen. Vielleicht bekam sie meine Überforderung grade auch gar nicht mit. Neugierig betrachtete sie Paul und fragte nach einem Augenblick: „Hast du einen Hund?“ Genervt verdrehte ich die Augen. Immer diese beschissenen Hunde. Ich konnte es nicht mehr hören. Immer noch lächelte Paul, doch er schüttelte leicht den Kopf.

„Ich hatte mal einen, aber der war krank und ist dann… na ja der ist dann gestorben“, meinte er ehrlich und ohne großes drum herum Gerede. Ein trauriges oh, entkam Madelines Lippen und sie fragte, ob der nun im Himmel sei. Leicht nickte Paul und erklärte: „Der wartet nun brav auf mich und schaut von oben zu.“ Sie nickte und fragte gleich, ob er einen neuen Hund haben wolle. Unschlüssig schüttelte Paul den Kopf und sofort sagte Madeline: „Du musst aber! Hund sind toll und so flauschig. Ich hab oben ganz viele Hundebilder hängen. Mit flauschigen Hunden, die sind total süß. Willst du die mal sehen?“ Ich grinste leicht und als Madeline mich fragte, ob sie Paul die Hundebilder zeigen dürfe, meinte ich: „Das musst du Paul fragen.“

Breit grinste sie ihn an und er nickte leicht und stand auf. „Aber nur kurz, eigentlich muss ich noch mit deinem Vater sprechen“, meinte er sehr ruhig und ging mit meiner Tochter hinauf. Ich folgte den beiden und Madeline zeigte Paul gleich ein Poster mit einem Körbchen voll Hundewelpen. Einige hatten blaue Augen, diese fand Madeline am schönsten. „So welche“, meinte sie und streichelte eines der Hundegesichter auf dem Bild. Paul grinste leicht und blickte sich in dem Kinderzimmer meiner Tochter um, ehe er wieder zu dem Poster sah. Er beugte sich hinunter und meinte: „Du magst also Australian Shepherds?“ Sofort nickte sie und ich war erstaunt als sie sagte: „Aber Huskys sind auch schön. Doch Anna im Kindergarten meinte, dass die ganz viel Auslauf brauche. Die ziehen Schlitten, aber die sind toll, weil die so lieb sind und schlau. Wie die auf dem Bild. Die sind nämlich Hühnerhunde und deswegen schlau!“ Perplex sahen Paul und ich zu meiner Tochter. Hühnerhunde? Was sprach meine Tochter da denn? Erst als Paul lachend sagte: „Ach du meinst Hütehund! Nicht Hühnerhund“, begann ich wie der sportliche Mann neben mir zu lachen. Ich sah wie Madeline leicht rot wurde. Sie liebte diese Tiere einfach und ich konnte mir denken, dass sie nicht gerne berichtig wurde, wenn es um „ihre Tiere“ ging.

Sie funkelte mich an und meckerte: „Du weißt gar nicht, was das ist, also lach nicht.“ Doch es ließ mich nur noch lauter lachen. Doch schnell beruhigten wir uns und liebevoll strich ich ihr durch die Haare. „Nicht sauer sein. Lach einfach mit. Es war doch lustig. Weißt du Maddy, wir gehen wieder runter und du spielst hier noch ein wenig“, meinte ich und lächelte. Sie nickte und meinte nur: „Ihr seid gemein. Man lacht nicht, wenn sich jemand vertut.“

Ich ließ sie schmollen und gemeinsam mit Paul ging ich wieder runter in meine Küche. „Tut mir leid, wenn es gestört hat. Sie wird bald vier und na ja…. Kinder in dem Alter stehen ab und zu gerne im Mittelpunkt“, sagte ich, doch sofort erwiderte Paul: „Das ist doch nicht schlimm. Richard, ich weiß, dass ich Donnerstag ein etwas doofes Bild hinterlassen habe. Aber ich habe nichts gegen Kinder… Der Tag war einfach anstrengend und ich dachte halt auch, dass du noch einen Freund oder Mann hast…. Dann tat mit mein Bein weh und wurde nicht besser… Ich würde es wirklich gerne versuchen. Ich mag dich. Der Donnerstag… es war einfach nicht mein Tag.“ Eine Wärme erfüllte mich und ich begann zu strahlen, als ich das hörte.

Natürlich hieß es nicht, dass wir nun zusammen waren oder dass wir nun glücklich bis ans Ende unseres Lebens zusammen blieben. Doch endlich konnte ich jemandem zeigen, was für ein Mensch ich eigentlich war. Schließlich war ich nicht mehr der Karrieremensch von früher. Es war mir egal, dass Paul nur ein Bein hatte, er war einfach toll! Ich stand auf und ging zu ihm. Auch er grinste leicht und ich beugte mich hastig zu ihm runter und konnte einfach nicht wiederstehen, meine Lippen auf die Seinen zu drücken. Meine Hände strichen durch seine Haare und zerwühlten diese. Ich liebte den Geschmack von ihm und auch seine Hände waren nicht untätig. Es dauerte einen Moment, bis wir uns voneinander lösten und frech grinste ich ihn an. „Du hast die Hose absichtlich angelassen, als wir Sex hatten, oder?“, fragte ich, denn so glücklich ich auch war, Romantik lag mir nicht immer. Leise lachte der Polizist und zog verschwörerisch die Augenbrauen nach oben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  chaos-kao
2018-06-28T18:48:47+00:00 28.06.2018 20:48
Kam jetzt nicht soooo überraschend ;) Aber schön, dass nun beide zueinander ehrlich sein können! Das macht es mit Sicherheit auch deutlich leichter sich nicht nur in der Mittagspause zu treffen. Jetzt muss nur noch Brian Ruhe geben, dann können sie sich ganz auf ihre langsam erblühende Liebe, Maddy und den bald einziehenden Familienhund? konzentrieren :D
Antwort von:  Strichi
29.06.2018 18:59
:D wer weiß, ob da was mit einem Hund kommt oder nicht.
Rick hat darauf jedenfalls keine Lust und das wird sich sicherlich auch nicht mit Paul ändern. :D
Antwort von:  chaos-kao
29.06.2018 19:39
Aber wenn Paul und Maddy beide ihren Dackelblick aufsetzen und ganz doll versprechen sich alleine um den Hund zu kümmern? :D
Von:  Dolly-Bird
2018-06-22T18:58:21+00:00 22.06.2018 20:58
Hey^^
Ich wusste es! Klar waren die Hinweise recht deutlich, aber es hätte theoretisch auch was anderes sein können.
Ich bin so froh, dass sie sich ausgesprochen haben und es miteinander versuchen wollen :D Obwohl jeder sein Päckchen mitbringt und bestimmt auch Paul schon öfter deswegen auf Ablehnung gestoßen ist. Klar, nicht jeder kommt damit klar, aber ich finde es so toll, dass sie es versuchen wollen <3 Natürlich bedeutet es nicht, dass es auch klappt, aber es ist ein Anfang ^-^
Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel :D

LG Dolly-Bird
Antwort von:  Strichi
29.06.2018 18:58
Ja, dass ist so eine Sache mit den Päckchen. Manche lassen sich gut zu zweit tragen
andere eher weniger.
Und sooo 100%tig haben sie sich ja noch nicht ausgesprochen, dass kommt jetzt gleich noch.
Danke jedenfalls für den Kommentar ^^
Von:  Schnullerkai
2018-06-22T16:32:19+00:00 22.06.2018 18:32
Ich WUSSTE, dass Paul ein Bein fehlt! Okay, die Hinweise waren schon recht deutlich, aber da ich sonst eigentlich eher auf'm Schlauch zu stehen pflege, fühl ich mich jetzt mal schlau. Hah.
Mir gefällt die Richtung, in die es geht, und dass hier jetzt nicht der rosa Herzchenregen ausbricht, nur weil es da zwei Leute miteinander versuchen.
Schönes Kapitel. :3
Antwort von:  Strichi
29.06.2018 18:55
Ja, :D ein Bein ist weg...
Mir war klar, dass es Eindeutig war... aber halt für Richard nicht.
Und ne Rosa Herzen passen da mal so gar nicht rein.
AUch wenn es irgendwie schön wäre.
Von:  radikaldornroeschen
2018-06-22T12:27:23+00:00 22.06.2018 14:27
Hach, bin ich erleichtert, dass Paul doch kein geheimer, von Brian eingesetzter Spion ist, der Rick zu einer Schandtat verleiten und das filmen soll.... *seufz*
Das ging mir wirklich nicht mehr aus dem Kopf, auch wenn Hinweise auf die Prothesen-Variante da waren.

Paul wird doch nicht etwa einen Hund anschleppen? XD
Antwort von:  Strichi
29.06.2018 18:53
xD nein... sollte er nicht.
Und ja die Hinweise waren da. :D

Und wer weiß, was noch mit dem Hund so passiert oder nicht...
Rick will jedenfalls keinen...


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