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Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann...

The Vessel and the Fallen 1
von

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Todesnachricht

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Die Audienz im Speisesaal verlief überaus unerwartet: Kaum hatte Koumei einen Fuß über die Schwelle gesetzt, erblickte er neben Kouen seine jüngste Halbschwester Kougyoku. Verwundert warf er einen Blick auf das Mädchen, welches nervös an seinen weiten Kleiderärmeln herumnestelte und von einem Bein aufs andere trippelte. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass Kouen mit ihm alleine sprechen wollte. Anscheinend hatte er falsch gedacht, sein Bruder war schwer zu durchschauen. Dann runzelte Koumei unbehaglich die Stirn. Irgendetwas an der Atmosphäre im Raum gefiel ihm nicht. Sie hing angespannt in der Luft, wie eine schwarze Gewitterwolke, welche nur darauf wartete, ihre nasse Ladung über dem Land auszuspeien. Seine Augen wanderten von der achten Prinzessin hinüber zu seinem älteren Bruder. Kouen wirkte heute erschreckend alt. Seine Stirn lag ebenfalls in Falten und auf einmal erkannte man in aller Deutlichkeit, dass auch er in den letzten Tagen wenig geschlafen hatte. Die verkniffene Miene und die verzogenen Mundwinkel zusammen mit den rotflackernden Augen machten Koumei beinahe Angst. Sofort wusste er, dass sein Bruder tatsächlich einen guten Grund gehabt hatte, anscheinend  alle in Balbadd verbliebenen Geschwister samt Vasallen zusammen zu trommeln. So waren es ihrer immerhin drei. Kouha, Hakuei und Hakuryuu hatten anderweitig zu tun und die sechs anderen Schwestern lebten seit langem in fernen Ländern mit ihren hochrangigen Ehemännern. Aber auch so würde es wohlmöglich anstrengend werden. Hinter Kougyoku reckte Koubun Ka stolz den Kopf. Dieser machtversessene Mann trieb es immer zu weit. Neben Kouen standen Seishuu Ri, der dickliche Gaku Kin, der löwenähnliche Kokuton Shuu und Shou En, dessen Körperbau stark an einen Drachen erinnerte. Die Hausleute seines Bruders waren so groß, dass sie beinahe an die Decke stießen und jeder Beobachter sich automatisch fragte, wie sie wohl durch die Türen im Gebäude passten, die nicht derart breit und hoch waren, wie das Eingangsportal. Die vier gaben meistens Ruhe, lediglich Seishuu ließ ab und an ein paar dumme Kommentare hören, für die sich der Schlangenmann jedoch sofort selbst schämte. Wie Chuu'un mit so einem unbedachten Draufgänger befreundet sein konnte und weshalb Kouen ihn als Vasallen duldete und scheinbar schätzte, blieb für Koumei seit seiner Kindheit ein Rätsel.
 

Aber hier ging es eindeutig nicht um die Vasallen, das konnte jeder unwissende Slumbewohner dem finsteren Ausdruck auf Kouens Gesicht entnehmen.

„Setzen wir uns“, gebot er mit auffällig rauer Stimme, noch heiserer, als am Morgen. Irgendetwas schien ihn sehr zu bedrücken.

Koumei riskierte einen prüfenden Blick zu Kougyoku, doch diese wirkte genauso ahnungslos wie er, zitterte aber beinahe unter der negativ geladenen Atmosphäre. Wie so oft verspürte er Mitleid mit ihr, vielleicht weil er in ihrer Unsicherheit einen Teil seines früheren Ichs wiedererkannte. Als Chuu'un ihm den Stuhl vom Tisch wegrückte, damit er darauf Platz nehmen konnte, war Koumei sehr angespannt. Die Nachricht, die sie gleich ereilen würde, musste denkbar schlecht sein. Das Schaben von zwei weiteren Stühlen ertönte. Dann saßen die drei Geschwister an der gewaltigen, leeren Tafel. Verlegen schielte Kougyoku zu Koumei hinüber, der sich Mühe gab, seinen düsteren Blick um ihretwillen ein wenig aufzuhellen, doch es wollte ihm einfach nicht gelingen. Schlafmangel trug nicht grade zu freundlichem Aussehen bei.
 

Endlich räusperte sich Kouen, der am Kopf des langen Tisches thronte. „Soeben habe ich eine Botschaft aus unserer Heimatstadt erhalten“, begann er. Seine Grabesstimme ließ die beiden anderen erschaudern, während die Vasallen fragend von einem zum anderen sahen. Der erste Prinz fuhr unterdessen unbewegt fort: „Die Kaiserin schreibt, dass unser Vater überraschend gestorben ist-“

„Was?!“, piepste Kougyoku hysterisch dazwischen.

Auch Koumei sog erschrocken die Luft ein. Kouen besaß keinerlei Sinn für das schonungsvolle Überbringen schlechter Nachrichten. Eigentlich war es kein großer Schock, Koumei wunderte es nicht allzu sehr, dass sein kränklicher Vater plötzlich verstorben war, aber dennoch… die Neuigkeit kam trotzdem unerwartet. Nicht, dass er in der Lage wäre, angebracht um diesen tyrannischen Vater zu trauern. Nichtsdestoweniger traf ihn diese Nachricht erstaunlich schwer. „Sind dir die näheren Umstände bekannt?“, fragte er seinen Bruder, äußerlich bemerkenswert gelassen, während in seinem Inneren bereits die Gedanken tobten. Hätte er nicht verzweifelter sein müssen?

„Offenbar litt er in der vergangenen Zeit häufiger unter unerklärlichen Krankheitsschüben und Schwächeanfällen, das ist das einzige, was ich weiß.“

Kougyoku schüttelte sich. „Aber…Bruder Kouen… das ist ja schrecklich!“

„Es ist sehr bedauerlich. Vater verfügte nie über eine gute Gesundheit. Ebenso bedenklich ist jedoch, dass das Kaiserreich Kou nun ohne Regenten dasteht. Unsere verehrte Mutter-“

Stiefmutter, ergänzte Koumei im Geiste entschieden.

„- die Kaiserin tut momentan ihr Bestes, um die dringendsten Angelegenheiten zu regeln. Natürlich lautet ihr Befehl, dass alle kaiserlichen Nachfahren unverzüglich zum kaiserlichen Palast in Rakushou reisen. Demzufolge solltet ihr das Nötigste vorbereiten lassen.“
 

Herrje, eine Trauerfeier für den Kaiser steht an. Wie anstrengend und unangenehm. Die Kaiserinwitwe wird einen Heidenaufstand anzetteln. Dass ihr Mann gestorben ist, wird sie sicher auf dem Falschen Fuß erwischt haben. Jetzt sitzt sie nicht länger am Hebel der Macht. Kouen wird den Thron erben, so ist es festgeschrieben. Was er nun denken mag? Ob er sich über diesen Aufstieg freut? Hoffentlich ergeben sich da keine Probleme…

„Koumei?“, brummte Kouen rau.

Sofort schreckte der Angesprochene auf. „W-was ist, mein Bruder und König?“

Er erhielt keine Antwort.

„Kougyoku… könntest du dich dann für die Reise vorbereiten?“, bat Kouen stattdessen, doch eigentlich war es mehr ein ungewöhnlich freundlicher Befehl.

Mit einem verkrampften Nicken und ungewöhnlich wässerigen Augen erhob sich die Prinzessin vom Tisch.

„Bruder, lass sie doch noch ein wenig bleiben“, raunte Koumei, dem die Blässe in dem Gesicht seiner jungen Schwester nicht entgangen war. Doch der andere wartete stoisch, bis Kougyoku und Koubun Ka verschwunden waren.
 

Als die Tür ins Schloss fiel, bedeutete er den restlichen Vasallen, ihnen ein wenig Freiraum zulassen. Während die fünf Männer gehorsam in die entfernteste Ecke des Raumes traten, ergriff Koumei das Wort: „Du könntest ein wenig umsichtiger mit ihr sein. Sie wirkt sehr verstört von dieser Neuigkeit, die du so emotionslos vorgetragen hast. Ehrlichgesagt kommt das alles ein wenig unerwartet.“

„Todesnachrichten sind meist unerwartet“, erwiderte der Ältere nüchtern und ballte seine kräftigen Hände zu Fäusten. Entgegen seiner gefassten Rede wirkte seine Körperhaltung äußerst betroffen. „Ich denke nicht, dass es bei unserem Vater angebracht wäre, in ein glorifizierendes Wehklagen auszubrechen. Das wäre nur Heuchelei.“

Koumei nickte verständnisvoll. Kouen sprach genau das aus, was er dachte. Dann fragte der Jüngere zögerlich: „Und du? Du bist jetzt praktisch der neue Herrscher über ein machtvolles Reich. Oder wirst es bald werden. Glaubst du, du kommst damit zurecht, mein königlicher Bruder?“

Für einen Moment flackerte Dankbarkeit für diese vertrauliche Frage und das unausgesprochene Angebot eines Zuhöreres in Kouens Blick auf, dann erlosch der Funke wieder. „Was bleibt mir für eine Wahl?“, raunzte er plötzlich abwehrend. Wie gewohnt. Also konnte die Botschaft ihn nicht vollkommen aus der Bahn geworfen haben. Dann allerdings sagte er etwas, dass Koumei schaudern ließ: „Es ist schon verrückt. Vor zehn Jahren lag der Thron in unerreichbarer Ferne für uns beide. Jetzt stehe ich kurz davor, ihn zu übernehmen. Ist es nicht grausam, dass das Schicksal dafür erst unsere halbe Familie auslöschen musste?“ Seine knurrende Stimme wurde mit jedem Wort leiser. Normalerweise hielt es sich bei Kouen eher andersherum.

Bestürzt starrte Koumei auf seine verschränkten Hände, in denen er den schwarzgefiederten Fächer drehte, den ihm Hakuren einst geschenkt hatte. Das Schicksal kannte keine Gnade, aber das wussten sie ja bereits. Es machte ihm zu schaffen, seinen großen, starken Bruder auf einmal so betroffen zu sehen, obwohl er anfangs so ungerührt dahergeredet hatte.
 

„Ich weiß nicht einmal, ob es klug ist, das Erbe unseres Vaters als neuer Kaiser von Kou anzutreten“, gestand Kouen plötzlich.

„Was sagst du da?“, rief Koumei entgeistert. Wollte sein Bruder etwa vor seiner Bestimmung, seiner Pflicht, davon laufen? Das durfte nicht sein!

Schlagartig wirbelte Chuu'un am anderen Ende des Saales herum. Der Schrei seines Herrn alarmierte ihn. Erst als er sich sicher war, dass seine Hilfe nicht erwünscht war, drehte er sich wieder um, woraufhin Seishuu irgendeinen unhörbaren Kommentar machte. Es musste eine der üblichen Dummheiten sein.

Koumei konzentrierte sich wieder auf seinen Bruder.

„Gyokuen macht mir Sorgen“, murmelte Kouen und raufte sich die Haare. „Manchmal frage ich mich, besonders jetzt, nach dem überraschenden Krankheitstod unseres Vaters, ob das Leben des ersten Kaisers damals wirklich von namenlosen Aufrührern genommen wurde, oder…“

„Ob sie damit zu tun hat, nicht?“, raunte Koumei, der dicht an seinen Bruder herangerutscht war, um ihm besser zuflüstern zu können. So hielten sie es auch oft bei wichtigen Versammlungen. Aus irgendeinem Grund verunsicherte es Außenstehende immer, wenn die kaiserlichen Brüder hinter vorgehaltener Hand - beziehungsweise Fächer - Informationen austauschten.
 

Kouen nickte stumm.

Ja, Gyokuen machte sie beide stutzig. Schon Hakuren hatte damals von dem angeblich veränderten Veralten seiner Mutter berichtet. Und dann war er kurzdarauf gestorben. Verbrannt. Gemeinsam mit Hakuyuu und ihrem mächtigen Vater. Lediglich ihr Cousin und Stiefbruder Hakuryuu hatte es lebendig aus der tödlichen Falle des in Flammen stehenden Hauses heraus geschafft. Was für ein seltsamer Zufall.

„Was immer auch geschieht, wir dürfen uns diese Frau nicht zum Feind machen“, sagte Koumei langsam. „Wir werden sehen, wie sich unser Heimatbesuch entwickelt und spontan über unser Handeln entscheiden müssen, oder siehst du das anders? Kaiserwerden oder nicht… wo du deine Bedenken äußerst, wäre es auf jeden Fall angebracht, über die Vor- und Nachteile unserer Optionen nachzudenken. Das Amt scheint eine gewisse Todesgefahr mit sich zu bringen. Ich…“ will dich nicht auch noch verlieren!, schoss es unerwartet heftig durch seinen Geist.

„Da kann ich dir nur Recht geben, Koumei. Gyokuen ist unberechenbar“, seufzte Kouen erschöpft. Die Todesnachricht musste ihn sehr mitgenommen haben.

Aber gemeinsam würden sie alle Schwierigkeiten, die auf sie zukamen überwinden. Ganz egal von welcher Seite. Ob die Kaiserin und Al-Thamen sie bedrohten, andere Länder oder das aufständische Volk. Es gab für die meisten Probleme über kurz oder lang eine Lösung. Vielleicht bedeutete dies, dass Koumei ein paar zusätzliche Überstunden oder schlaflose Nächte einplanen musste, aber wenn es seinem Bruder half, waren sie eine gute Investition.
 

„Verzeih, dass ich dich vorhin aus dem Schlaf reißen ließ“, merkte Kouen plötzlich an.

Überrascht blinzelnd wehrte Koumei ab. Bei einem derartigen Vorfall konnte er gut damit leben. Seit wann bat sein Bruder um Entschuldigung? Nur wenn ihn etwas sehr beschäftigte und bedrückte, so viel stand fest. Dennoch, ein Gutes hatte die Frage definitiv:

Sichtlich erheitert über Koumeis Bemühung so zu tun, als wäre ihm der Schlafmangel gleichgültig, meinte Kouen: „Wir werden morgen früh aufbrechen, sodass uns der Rest des heutigen Tages dazu dient, die wichtigsten Sachen zu packen und noch ein paar organisatorische Angelegenheiten zu regeln. Es ist nicht viel, wir haben hier ein paar gute Vertreter, aber so ganz wohl ist mir nicht bei dem Gedanken, den Befehl über die Stadt kurzzeitig auf jemand anderen zu übertragen. Du solltest übrigens schon einmal dein Magoi sammeln“, warnte er abschließend.

Ob man diese Kraft sammeln konnte wussten sie beide eigentlich nicht, aber Kouen hatte somit unmissverständlich klargemacht, auf welchem Weg er gedachte, nach Rakushou zu reisen.

Koumei sollte es nicht stören, zwar raubte es ihm mächtig Energie, einen halben Hofstaat zu teleportieren, aber er hatte bereits weit größere Gegenstände oder Mengen versetzt. Außerdem mussten sie so keine wochenlangen Reisen über sich ergehen lassen, was er als viel beschwerlicher empfand, als sich einen winzigen Moment anzustrengen.
 

So kehrte der zweite Prinz mit Chuu'un in seine Gemächer zurück und ließ diesen ihre Utensilien zusammen raufen, während er noch ein wenig vor sich hin döste, um Kraft zu tanken, die er morgen dringend brauchen würde. Ganz wohl war ihm nicht bei der bevorstehenden Reise. Es lag nicht an seinem Zweifel an Dantalions Fähigkeiten, aber ob sie sich wirklich nach Kou begeben sollten? Eigentlich freute er sich unermesslich über die Aussicht einer kurzen Auszeit in Rakushou. Dort herrschten angenehmere Temperaturen, es gab besseres Essen und schönere Landschaften, falls man doch einmal das Haus verlassen wollte. Obendrein würde er seine Schwestern nach etlichen Jahren das erste Mal wiedersehen. Nicht, dass er seine Bindung zu ihnen als besonders eng bezeichnen würde. Trotzdem, zwei von ihnen, Kourin und Koujaku, waren beinahe gleich alt wie er und manchmal vermisste er die beiden ein wenig. Doch die Aussicht, auf seine Tante und Stiefmutter zu treffen, erfüllte ihn mit Unbehagen. Aber was konnten sie schon tun? Was die Kaiserin befahl war Gesetz, zumindest im Moment noch. Wie sich die Machtverhältnisse in Kou entwickeln würden, stand in den Sternen. Hoffentlich würden sie mit dem Ergebnis leben können. Es gab allerdings keinerlei Möglichkeit, die eventuell gefährliche Zusammenkunft mit der Familie zu meiden. Was wären sie auch für Prinzen, wenn sie nicht einmal zur Beisetzung ihres eigenen Vaters erscheinen würden? Da mussten sie wohl einfach durch.

 

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