Mama Ana Ahabak
Die Pupillen weiteten sich, versuchten sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die Frau, die seine Hand gepackt hielt, rief ihm etwas zu, doch er konnte nichts verstehen. War sie zu leise, war es zu laut?
>> Mama, sag mir, was du meinst.
Sag mir, warum es hier so dunkel ist.<<
Die Hand seiner Mutter zitterte. Er hörte ihr Schluchzen, aber er konnte sich nicht erklären, warum ihr Körper so heftig bebte.
>> Mama, sag, warum du weinst.
Ich weiß nicht, warum die traurig bist.<<
Ein gleißendes, zuckendes Licht ließ die Tränen glitzern. Das war so schön, es stand im bizarren Gegensatz zu ihrem sonst hübschen Gesicht, welches nun zu einer angsterfüllten Maske verzerrt war.
Die blauen Augen richteten sich gen Himmel, viele Lichter zischten vorbei. Die Frau war stehen geblieben, hatte ihren Arm um die kleinen Schultern gelegt. Ihr Zittern drang durch seinen dünnen Pullover, jagte ein Schaudern über seine Haut. Das laute Klopfen des vertrauten Herzens dröhnte überlaut in seinen Ohren, doch dieses rasende Trommeln war nicht das einzige Grollen.
Wieder ein helles Licht.
>> Sind das Sternschnuppen da oben?
Was ist dort vorbei geflogen?
Warum friere ich so sehr?
Warum schlägt dein Herz so schnell?
Wieso wird es dort hinten hell?
Wo kommt dieser Donner her?<<
Tief wurde der kleine, dünne Körper in die warme Geborgenheit der mütterlichen Arme gedrückt.
>> Mama Ana Ahabak
Mama, ich liebe dich.
Mama Ana Ahabak
Komm doch und beschütze mich. <<
Die Beine waren vor müde bleischwer. Er wollte nach Hause, in sein Bett, schlafen. Doch sie liefen weiter, außerhalb der Zeit.
>> Mama, wohin sollen wir gehen?
Ich will nach Hause, es ist schon so spät.<<
Beinahe wäre er in seine Mutter hineingerannt, die auf die Knie gefallen war. Sie zog ihn mit hinunter, faltete die kleinen Hände und murmelte Wortfetzen, während sie unter Tränen vor- und zurückschaukelte.
>> Mama, warum niederknien?
Was sagst du, ist das nicht ein Gebet?<<
Ein Donner, weißes Licht, ein lautes Motorgeräusch. Die blauen Saphire erblickten den Panzer, doch ein Rucken und Reißen an seiner Hand zwang ihn weiter zu laufen.
Schon spürte er kalten Stein im Rücken, die Mutter vor ihm, wie eine zweite Wand, jedoch weich und warm. Es wurde dunkel, der Körper der Mutter schluckte jedes Licht.
>> Zieh nicht so an meiner Hand.
Warum drückst du mich an die Wand
und warum gehen die Lichter aus?
Ich kann kaum noch etwas sehen.
Sag, wieso müssen wir hier stehen?
Warum gehen wir nicht nach Haus?<<
Er sah nach oben, beobachtete wie ihre Augen hektisch umher huschten. Studierte ihre Gesichtszüge, sah,dass der Mund Worte formte, er vernahm auch ihren Klang, sie versuchte seinen kleinen Bruder, der neben ihm stand, zu beruhigen, doch die Bedeutung ihrer Artikulationen vermochte nicht in sein Hirn zu dringen.
>> Mama Ana Ahabak
Mama, ich liebe dich.
Mama Ana Ahabak
Komm doch und beschütze mich.
Mama Ana Ahabak
Ich seh die Sterne nicht.
Mama Ana Ahabak
Ich sehen nur dein Gesicht.<<
Plötzlich Fußgetrappel wie Donnerhall, Schreie und Weinen. Seine Mutter zerrte wieder an seiner Hand, lief die Gasse hinunter, doch er wollte nicht mehr, wollte heim. Abrupt blieb er stehen, stemmte sich gegen den Zug. Seine Mama drehte sich um, wollte ihn überreden mitzukommen. Flehte, wimmerte, zog.
Er legte den Kopf schief. Sah sie aus müden Augen verwirrt an. Er wusste nicht wo er sich befand, wo Papa war und was hier geschah.
Wie in einer Zeitlupe liefen Menschen schreiend an ihm vorbei.
>> Kannst du mir sagen, wo wir sind?
Wo laufen diese Leute hin?
Sag mir, ist unser Weg noch weit?<<
Mit einem Mal riss ihn seine Mutter am Arm, er prallte mit dem Jüngeren zusammen und fiel zu Boden. Der große Körper zuckten, schwere Schritte entfernten sich hastig.
Blaue Augen, die er geerbt hatte, sahen ihn groß und irgendwie mahnend an. Obwohl sie die ganze Zeit geschrien oder wtas gerufen hatte, kam nichts aus ihrem Mund, als ein kleines Blutrinnsal.
>> Warum sagst du denn nichts mehr?
Wieso sind deine Augen leer?
Sag, bin ich Schuld?
Es tut mir leid...<<
Wäre er nur nicht so stur gewesen. Er starrte in die Augen seiner Mutter. Aufgewühlte Ozeane in trübe See. Mit letzter Kraft drehte er den vor sich liegenden Körper um.
Die kleinen Hände wurden vor die Augen geschlagen, warmes Naß tropfte an den Fingern vorbei. Er rief Worte, wusste selber nicht, was er sagen wollte, bat seine Mutter aufzustehen, machte sich Vorwürfe.
Der kleine Junge neben ihm sah aus den großen dunklen Augen ihres Vaters seinen Bruder an. dann den Körper am Boden.
Die winzigen Hände stubsten den leblosen Leib an, verstanden nicht, warum die Mutter nicht aufstand, sich nicht rührte.
Der Ältere zog seinen kleinen Bruder in seine Arme und wiegte ihn hin und her, evrsuchte die beruhigenden Worte der Mutter nachzuahmen, während immer noch Tränen über sein Gesicht liefen.
Er strich der Frau sanft die braunen Strähnen aus dem weichen Gesicht. Kein Herzschlag mehr, der ihn von nun an trösten würde, keine Wärme in ihrem Blick, nur Kälte, die selbe eisige Kälte, die nun von seinem Herz und seinen Augen Besitz ergriff.
Langsam wurde es dunkel...
>> Mama Ana Ahabak
Mama, ich liebe dich.
Mama Ana Ahabak
Komm doch und beschütze mich.
Mama Ana Ahabak
Denn wenn die Nacht anbricht
Mama Ana Ahabak
Sehe ich die Sterne nicht.
Ich sehe nur dein Gesicht.
Verlass mich bitte nicht.<<