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Eine Woche

Die Liebesabenteuer des Marc Terrence
von

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Montag

Montag

Ok... der erste Schritt ist getan; ich bin wach. Was jetzt? Irgendwie fühle ich mich zu schlapp, um ernsthaft in Erwägung zu ziehen, aufzustehen. Das Bett ist so weich und warm und rundum gemütlich und einfach wundervoll einschläfernd, so angenehm dass ich prompt wieder die Augen schließe und vor mich hin döse. Ganz einschlafen kann ich aber nicht - obwohl ich es will. Wahrscheinlich blockt mein Hirn das wieder einschlafen unterbewusst ab, weil ich ja dadurch meinen Job verlieren könnte. Na toll... mein Job kann mich grad mal! Ich will doch nur schlafen.

Noch einige Zeit liege ich halb tot angehaucht zwischen den Laken und starre aus halb gesenkten Liedern zur Decke. Wer hat gesagt, dass sowas uninteressant wäre?

Murrend richte ich mich aber dann doch auf und schlage die Decke zurück, um aufstehen zu können. Kaum hab ich festen Boden unter den Füßen wird mir auch schon schwindelig und kurzzeitig schwarz vor Augen. Das habe ich oft. Ist nicht weiter dramatisch, nervt aber ohne Ende. Dabei taumel ich ein bisschen herum und suche Halt, wo keiner ist. Das ganze endet damit, dass ich wieder im Bett lande - noch weniger gewillt mich dem Großstadtschungel zu stellen.

Schließlich ist jedoch auch der zweite Anlauf geschafft und ich schlurfe in richtung Bad. Jedenfalls vermute ich, dass es da ist, es sei denn, über Nacht hat sich mein Haus ein wenig umgebaut. Von selbst, versteht sich.

Nach einer kurzen, sehr, sehr kalten Dusche, drei Tassen schwarzen Kaffee und einer halben Stunde befinde ich mich wieder unter den Lebenden. Meine Haare stehen mir mal wieder verwuschelt von Kopf ab, aber ich kümmer mich nicht darum. Sieht bestimmt scheisse aus...

Seufzend ziehe ich mir meine Jacke über, nehme meine Tasche und verlasse mein Allerheiligstes. Auf in den Kampf! O Gott, nein... am Treppenabsatz steht meine Vermieterin. Die Haare hochgesteckt wie immer und der schlanke Körper in eines dieser neumodischen Kostüme fürs Büro gezwänkt. "Guten Morgen, Herr Terrence", sagte sie und nickt mir zu. Ha! Den Augenaufschlag hab ich gesehen, gerissenes Weib! Aber ich tue trotzdem so, als sei dem nicht so gewesen. Meine Devise in solchen Fällen ist immer ignorieren und hoffen, dass sich das Problem von selbst einstellt.

"Morg'n", nuschel ich zurück und gähne übertrieben. "Und auf Wiedersehen" Weg durch die Tür. Bah, wie ich das hasse... kaum steht man in der vermeintlich erlösenden Freiheit, bekommt man einen Schwall Abgaße ins Gesicht gepustet. Naja, egal... ein Blick auf die Armbanduhr verrät mir, dass ich bereits 5 Minuten zu spät komme.

Hastig laufe ich los. Sind ja nur ein paar Ecken, bis zu dem Fotoshop. Tatsächlich habe ich es in weniger als 10 Minuten geschafft, hechelnd durch die Tür zu stürmen, meine Tasche in eine Ecke hinter dem Tresen zu werfen und mich ebenfalls an ebendiesem zu positionieren, bevor mein Chef reinkommen und mich anschnauzen kann, warum ich denn schon wieder zu spät komme.

Glück lass nach: der Chef hats anscheinend gar nicht bemerkt! Auf jeden Fall spricht er mich nicht darauf an, was schon mal ein gutes Zeichen ist. Wenn man bedenkt, dass wir inzwischen schon Mittag haben ein sehr gutes Zeichen. Trotzdem... noch ganze zwei Stunden bis zur Mittagspause. Gelangweilt stehe ich da, sehne mir einen Stuhl herbei und begrüße jeden Kunden mit einer hoffentlich abschreckenden, völlig falschen, übertrieben gut gelaunten Fratze. Hollywood - ich komme!
 

"Das macht dann 5 Euro und zehn Cent", sage ich, tippe irgendwas in die Kasse ein, was hoffentlich so aussieht, als hätte ich Ahnung davon, mache sie auf (ich liebe dieses herrlich nervtötende Rasselgeräusch) und nehme das mir entgegengehaltende Geld entgegen. Die Kundin, eine Frau in den Mittvierziegern, reisst die entwickelten Fotos an sich und stelzt ohne sich zu verabschieden schnell aus dem Laden, als könne sie es nicht erwarten, endlich aus meinem näherem Umkreis zu kommen. Ich kanns ihr nicht verdenken.

Das Läuten der Türglocke kündigt weitere Arbeit, sprich: noch jemanden, der hier sein Geld lassen will, an. So gut es geht, reisse ich mich von dem überaus faszinierendem Ausblick durch das Fenster auf die Straße los und lächel dem Kunden zahnschmerzenbereitend süß entgegen. Vor mir steht ein junger Mann, vielleicht ein, zwei Jahre älter als ich, und sieht sich um. In der Hand hält er ein Filmdöschen, aber da er ja anscheinend vor hat, eventuell noch was zu kaufen, ergötze ich mich eben so lange ein wenig an seinem Anblick. So was leckeres kriege ich schließlich nicht mal im Thai-Restaurant, zwei Blocks weiter, zu Gesicht. Knackiger Hintern, breite Schultern und durch das schwarze, langärmlige Shirt zeichnen sich ganz leicht seine wohlproportionierten Muskeln ab. Ein Anblick zum dahinschmelzen. Erinnert irgendwie an die Zeit, in der man noch stundenlang vor den Postern irgendwelcher halbnackten Superstars gesessen und diese angeschmachtet hat.

Der Typ könnte wirklich ein Model sein. Selten so intensiv grüne Augen gesehen.

Erst nachdem der Traumkerl - und Kunde, wohlgemerkt! - zum zweiten Mal den Mund aufmacht realisiere ich, dass er mich auch schon eine ganze Weile angesehen und außerdem angesprochen hat. Sofort spüre ich, wie die Hitze in mein Gesicht schießt. Scheisse, der hält mich jetzt doch für komplett bescheuert!

Versuchsweise lächle ich unsicher ihn an und frage, ob er das noch mal wiederholen könnte. "Eigentlich hab ich gefragt, wie viel dieser Bilderrahmen da kostet", meint der Schwarzhaarige mit seiner samtweichen Stimme und deutet auf einen versilberten Metalrahmen. Irgendwie bin ich enttäuscht. Hätte der nicht fragen können, ob ich mit ihm ausgehe, oder so? Tagträume, Tagträume...
 

Ich komme hinter dem Tresen hervor, nehme besagten Rahmen in die Hand und drehe ihn um. "6,90", lese ich ab und sehe ihn an. WAH, der Kerl kratzt sich verlegen im Nacken, nuschelt etwas entschuldigendes und sieht dabei einfach nur verboten gut aus. Am liebsten würde ich ihn gerade jetzt und auf der Stelle vernaschen, aber das geht ja nicht. Wo kämen wir denn da hin?

Schnell verscheuche ich diese störenden Gedanken aus meinem Kopf, zucke mit den Schultern und verschanze mich wieder hinter diesem hohem, hartem Möbelstück.

"Ok", sagt er und kommt auf mich zu, legt Bilderrahmen und Filmdöschen auf das Holz. "Ich kaufe das hier und den Film hätte ich gern entwickelt. Wann kann ich ihn wieder abholen?" Mmh... so geschäftsmäsig gefällt er mir nicht so gut, wie wenn er natürlich ist. Wie eben gerade zum Beispiel...

Seufzend nehme ich sein Geld entgegen, gebe ihm das Wechselgeld und stelle das Filmdöschen in den Kasten in den alle noch zu entwichelnden kommen. "Morgen so gegen Nachmittag...", antworte ich auf seine Frage, während ich geistig jedoch mit seiner Anatomie beschäftigt bin. Scheisse, schaut der geil aus!

Er nickt, dreht sich um und verschwindet aus der Tür. Kein 'Tschüss', kein Winken, nichts. Wär ja noch schöner gewesen, wenn der Typ anders wäre, als der Rest der Menschheit. Mich selbstverständlich ausgenommen. Alles was bleibt ist der schwache Geruch seines leichten Aftershawes und das Klingeln der Türglocke. Ich hab doch von Anfang an gewusst, dass das ein Scheisstag werden würde.

Missmutig hebe ich den Karton mit den Filmdöschen hoch und stelle ihn in den hinteren Teil des Ladens neben den Entwickler. Ja, hier wird das alles per Maschine gemacht. Dachtet ihr wirklich, hier gäbs noch ne Dunkelkammer oder so? Falsch gedacht.

So viele Filme wie ich heute schon bekommen habe, ist es so gut wie sicher, dass ich Überstunden machen werden muss. Grummelnd lege ich schon mal die ersten fünf Flime in die Maschine ein und stelle sie ein. Im Moment ist ja kein Gast im Laden und dann werd ich schneller fertig. Gerade will ich mir zur Entspannung einen Kaffee aus der Maschine ziehen, als die Türglocke schon wieder klingelt. Ok, ich hab nichts dagegen, wenn der Fotoshop gut läuft, außerdem ist mein Chef dann auch weniger schlecht gelaunt, aber dass ich mir noch nicht mal meinen wohlverdienten, täglichen Koffeeinbedarf decken kann, gefällt mir gar nicht.

Entsprechend gut gelaunt schlurfe ich auch wieder zurück in den Vorraum und bestrafe die Kundin mit dem Säugling im Arm mit einem Schön-dass-Sie-mir-soeben-den-Tag-versaut-haben-Blick. Jedoch hält der nicht lange an, denn als sie mich hilfesuchend anlächelt und fragt, ob sie hier nicht mal die Toilette benutzen könne, um ihr Baby zu wickeln, schlägt er schlagartig auf Entsetzen und Überraschung um. "Ähm... ja, klar... ich denke, das ist kein Problem", stammele ich und bin mir dabei äußerst bewusst, dass ich für einen 22 jährigen Mann viel zu eingeschüchtert vor einer solchen Situation bin. Naja, wickeln und der ganze Kram ist eben Frauensache. Ich kann damit nichts anfangen.

Nachdem ich sie in das kleine Bad gebracht habe, das Gott sei Dank eine relativ große Ablage hat auf der sie das Kind ablegen kann, kehre ich wieder zu meinem Arbeitsplatz zurück und lehne mich an die Theke. Mir ist langweilig, meine Beine tun vom langem Stehen weh und ich habe außerdem noch Rückenschmerzen. Zum Glück ist in 4 Stunden Feierabend und dann gehts erstmal ab nach Hause, umziehen und auf in die Clubs. Siedend heiß fallen mir die Flime wieder ein, von denen wenigstens die Hälfte heute noch entwickelt werden muss. Laut fluchend mache ich meinem Ärger mit nicht ganz jugendfreihen Ausdrücken Luft und geselle mich wieder zum Entwickler.
 

Die Frau habe ich inzwischen wieder vollkommen aus meinem Denken verbannt und erschrecke höllisch, als sie mir auf die Schulter tippt und meint, sie gehe jetzt. Ich lächle sie an und nicke ihr zu, glücklich, dass ich jetzt wenigstens ein Problem weniger habe. Hoffentlich hat die im Bad keine Schweinerei veranstaltet...

Ungefär 5 Stunden später stehe ich endlich vor der verschlossenen Ladentür, die Tasche über der Schulter, und schlage den Weg nach Hause ein. Von wegen durch die Clubs ziehen... ich bin fix und fertig.

Dienstag

Dienstag

Gott, ich seh aus, als hätte ich die Nacht mit durchzecht, dabei hab ich mich gleich hingelegt, als ich nach Hause kam. Das ist der Beweis; die früher schlafen gehen Nummer zieht nicht. Enttäuscht darüber, aber auch um einiges weiser, schließe ich die Ladentür auf und trete ein. Das Schild an der Tür drehe ich von 'Geschlossen' auf 'Offen' hin um. Der Chef ist die nächsten zwei Tage weg. Wegen der Beerdigung seiner Mutter glaube ich. Der arme Mann...

Seufzend ordne ich ein paar Papiere und lege sie ordentlich in die für sie vorgesehene Ablage. Auf dem Tisch stehen die Filme, die ich gestern entwickelt habe. Verpackt und beschriftet, damit sie auch ja nicht durcheinander geraten. Ich werfe noch einen prüfenden Blick zur gläsernden Tür hin. Draussen laufen die geschäftigen Leute vorbei. Einige Kinder schlendern am Schaufenster entlang und besehen sich gelangweilt die ausgestellten Fotos und Werbungen. Liegt die Schule nicht in der anderen Richtung?

Ich kümmere mich nicht mehr weiter drum, sondern gehe in den hinteren Teil des Ladens um auch die restlichen Flime zu entwickeln. Schließlich will ich nicht schon wieder Überstunden absitzen müssen. Nachdem ich beinahe alle Filme durch und einige Kunden hinter mir habe, kommt mir eine geniale Idee.

Der Chef hat doch einen Drehstuhl hinten bei sich stehen. Vorfreudig grinsen schleppe ich ihn hinter die Theke und werfe mich darauf. Uh-oh, das hat geknackst, sollte ich nicht mehr tun. Genießend lehne ich mich zurück und schließe die Augen. Jaaaah, verdammt, ich muss mir die nächsten zwei Tage nicht die Beine in den Bauch stehen.

Die Türglocke meldet fröhlich bimmelnd Besuch an. Unwillig öffne ich die Augen und lege ein unverkennbar falsches Lächeln auf. Vor mir steht ein kleiner Junge mit Ranzen auf dem Rücken.

"Was kann ich für dich tun, Knirps?", frage ich ungwohnt freundlich und lehne mich auf dem Tresen vor.

Sofort werde ich mit einem trotzig, giftigem Blick gestraft. Ok, ich geb zu 'Knirps' ist vielleicht nicht die Anrede, die sich ein herangehender Schüler wünscht, aber die Bezeichnung passt einfach.

"Ich will einen Lutscher mit Erdbeergeschmack", fordert der Junge und schiebt schmollend die Unterlippe vor. Sorry, das zieht bei mir nicht.

"Tja, Pech gehabt, Kleiner. Da musst du schon in den Tante-Emma-Laden da hinten die Straße runter gehen", kläre ich ihn freundlicherweise auf und er sieht mich hasserfüllt an. Entschuldige mal, aber der Pimpf kann froh sein, dass ich ihn nicht sofort vor die Tür gesetzt habe! Also echt jetzt...

"Aber mein Freund hat gesagt, dass die im Fotoladen Süßigkeiten verschenken, wenn er mit seiner Mama hingeht", faucht das kleine Monster vor mir und stampft mit dem Fuß auf. In meinem Kopf rattert es. Ok, WIR haben hier noch nie Süßigkeiten verkauft, geschweigedenn verschenkt. So lockt der Kerl zwei Straßen weiter also die Kundschaft an... Ich reibe mir innerlich diabolisch grinsend die Hände, ob meiner unglaublichen Genialität. Was der kann, kann ich schon lange. Ich machte mir eine gedankliche Notiz in der Mittagspause Bonbons oder irgend sowas kariesförderndes, klebriges, süßes zu kaufen und in einer Schale hier aufs Holz zu stellen.

Wieder beuge ich mich zu dem Jungen vor, lächle und tätschel seinen Kopf. "Tja, da hast du hier genau den Richtigen erwischt. Ich wollte dich nur ein wenig vereiern", entschuldige ich mich, während ich fieberhaft überlege, ob wir irgendwo in diesem gottverdammten Schuppen Süßigkeiten gebunkert haben. Die Antwort ist ganz klar Nein. "... aber uns sind die Lutscher leider soeben ausgegangen. Tut mir Leid, Knirps. Komm später wieder."

"DU BIST TOTAL ARSCH!" Und schon ist das Monster ungehalten aus der Tür gestürmt und weg gerannt. Hallo? Perplex starre ich dem Zwerg hinterher. Was sollte das bitte?

Habe ich eigentlich schon erwähnt, wie sehr ich Kinder hasse? Woher hat der überhaupt diese Ausdrücke? Und kann der die nicht wenigstens grammatikalisch richtig aussprechen, wenn er mich schon beleidigen muss?
 

Irgendwie ist heute nichts los, also beschließe ich auch noch die restlichen Filme vor der Mittagspause zu entwickeln. Und so kommt es, dass ich völlig unwissen und unschuldig an meinem Kaffee nippe, als mich das Piepen der Maschine darauf hinweist, dass auch das letzte Filmdöschen seines Inhalts entrissen wurde. Erleichtert stelle ich meine Tasse ab und stoße mich vom kleinem Tisch ab, der ebenfalls im hinteren Teil des Ladens steht. Doch was ich als nächstes sehe, verschlägt mir regelrecht den Atem. Das gibts nicht! Das gibts einfach nicht! Der letzte Film ist der, von diesem durchtrainierten Traumkerl, der gestern noch vor der Babyfrau da gewesen war und, MANN!, hat der geile Fotos!

Ich glaube, ich setz mich erstmal hin und seh die Teile durch. O Gott, ich brauche unbedingt Abzüge. Haltet mich ruhig für pervers, aber wem würde beim Anblick dieses halbnackten Traumbodys nicht heiß werden? Tatsächlich ist da sogar ein Foto dabei, bei dem er gänzlich nackt vor einem Waschbecken steht und sich rasiert. Im Spiegel ist deutlich sein überraschter Blick, aus diesen unglaublich grünen Augen zu sehen und sein Hintern... Ich muss das Nasenbluten wirklich mit aller Kraft zurück halten. Nicht mal mein Ex Uwe hatte annähernd verlockend runde Pobacken.

Was eine Kehrseite... es dauert einen Moment bis ich merke, dass ich angefangen habe, zu sabbern. Schnell wische ich mir mit dem Handrücken über den Mund und werde rot. Gott, übertreibe ich vielleicht grad ein wenig? Einatmen.... Ausatmen... Einatmen... Ausatmen... Einatmen... in die Verpackung stecken und zu den anderen legen. Ich kann doch nicht einfach von nem wildfremden Typ Abzüge machen! Egal, wie geil der auch ausschaut.

Seufzend fahre ich mir durch die dunkelbraunen Haare und fixiere den Umschlag. Nein, ich mach das nicht, nein, ich mach das nicht, nein, ichmachdasnichtneinichmachdasnichtneinich- WAH, ich habs gemacht! Ich könnt mit dem Kopf voran durch die Wand rennen, aber gelohnt hat sichs auf jeden Fall. Dreckig grinsend lasse ich den Badezimmer-abzug in eine Innentasche meiner Tasche gleiten.

Ich konnte mich einfach nicht zurückhalten.
 

Erschrocken fahre ich auf, als es (schon wieder) klingelt und lasse meine Tasche fallen, die das mit dem Kracken von Plastik quittiert. Ade, oh, du schönes Samsas Traum Album. Fluchend stehe ich auf und gehe in den vorderen Teil des Ladens. "Ja?", frage ich wahrscheinlich etwas zu schnell und gereizt, während ich mich in 'meinen' Stuhl fallen lasse, ohne den Blick zu heben.

"Entschuldigen Sie, wenn ich störe, aber ich würde gern meine Fotos abholen" Genervt sehe ich die Frau vor mir an. "Name?" "Heidenberg" Schnell sind gewünschte Dokumente herausgesucht und an betreffende Person gegeben, ehe die Frau mir die genau passende Summe auf den Tisch legt und endlich verschwindet. Mann, das muss mein Glückstag sein. Ich schließe die Augen, gähne und will mich gerade wieder auf den Weg machen, diese absolut herrlichen Playgirl-fotos zu besabbern, als mich ein Räuspern aus meinen Gedanken reisst. Wie vom Blitz getroffen drehe ich mich um und starre mit weit aufgerissenen Augen den Kerl an, der da vor mir steht. Nein! Scheisse!

"Ähh..." O Gott, heute bin ich ja wirklich sehr schlau. Mensch, Marc, da vor dir steht der Typ deiner Träume und du bringst nichts weiter als 'Ähh...' über die Lippen! Wie dumm kann man sein?

"Hallo...", begrüßt mich der Schwarzhaarige unsicher. Moment mal... unsicher? Schnell schüttele ich diesen Gedanken ab und konzentriere mich lieber darauf, was er sagt. "Ich wollte die Fotos abholen" Anscheinend weiß er nicht, wie ich darauf reagiere, so, wie ich die Frau eben behandelt habe. Mensch, ich renn doch nicht rum und reisse eigentlich wildfremden Leuten den Kopf ab, bloß weil die verlangen, dass ich meinen Job mache.

"Klar...", meine ich also nur und verschwinde nach hinten. Aber... schnell mache ich auf dem Absatz kehrt und sehe in sein fragendes Gesicht. Gestern hat er mir gar nicht seinen Namen gesagt. Eigentlich ist es Routine danach zu fragen, aber irgendwie war ich wohl zu sehr mit seinem Körper beschäftigt gewesen, als dass ich daran gedacht hatte. "Name?", erkundige ich mich. Vielleicht hat er ja vergessen, dass er mir den gar nicht gegeben hat?

Oh, er lächelt und sieht dabei einfach zum Anbeissen aus. "Kyle Morgan", sagt er und ich erwiederte das Lächeln. Im Hinterzimmer angekommen, schnappe ich mir schnell einen Stift und kritzel 'Morgan/Kyle' auf den Umschlag, damit es so aussieht, als hätte ich den wirklich gestern bekommen. Ein letzter sehnsüchtiger Blick auf die Fotos und ich schließe die Verpackung wieder. Mist, ich hätte mir von allen Bilder Abzüge machen sollen.
 

Dann komme ich wieder zu ihm zurück und gebe ihm den Umschlag. "Hier, bitte", sage ich und lächle erneut. "Das macht dann 5 Euro und 10 Cent."

Er zahlt und sieht mich dann fragend an. Perplex erwiedere ich den Blick. Ist was?

"Wie kommts? Eben waren Sie doch noch so schlecht gelaunt...", sagt er und streicht sich ein paar pechschwarze Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Duz mich ruhig", biete ich ihm an. Ansonsten kommt mir das ganze so distanziert vor... Ich überlege schnell, was ich antworte soll. 'Oh, als ich dich gesehen habe, wurde ich gleich wieder glücklich', wäre jetzt wahrscheinlich nicht unbedingt passend. Nein, überhaupt nicht. Wie hörte sich das denn an, he?

"Naja... äh... hab ich vergessen", kommt schließlich meine geistreiche Antwort. Ich hasse mich. Kyle grinst breit und steckt den Umschlag in seinen Rucksack. Ich folge mit meinen Augen ohne es zu merken seinen Fingern. Wie sich das wohl anfühlen würde, wenn die statt diesen gefühllosen Papierumschlag mich berühren würden? Mir die Brust entlangstreichen , den Bauch, die Schenkel, meine Le-

Scheisse, das Thema passt nun wirklich überhaupt nicht! Ich habe nicht unbedingt Lust mitten im Laden plötzlich mit nem Ständer rumzurennen. Außerdem sieht er mich schon wieder so an, wie gestern! Ich wurde ertappt! Wie auf Kommando laufe ich abermals rot an und schlage die Augen nieder. Bah, ich bringe einfach nicht den Mut auf ihm in diese grünen Teiche zu sehen. Grüne Teiche? Wachsen ihm Algen in den Augen, oder was? Bei diesem Gedanken muss ich wieder grinsen, was mein Selbstbewusstsein zurückkehren lässt und ich kann aufsehen. Wieso schaut er mich immer noch so an? STOP! Zurückspulen bitte! Da war doch... ich... war da eben Verlangen in seinen Augen? Ich bin mir wirklich nicht ganz sicher, aber es hat eindeutig so ausgesehen. O Mann, ich sollte nicht so viel träumen. Als ob dieser Kerl jemals Interesse an mir zeigen würde...

"Ist noch was?", frage ich schließlich, denn wir stehen uns hier inzwischen ja mindestens schon 5 Minuten gegenüber und starren uns an. Langsam wird das peinlich...

"Was?" Anscheinend hab ich ihn aus seinen Gedanken gerissen. "Oh... tja, jetzt weißt du meinen Namen. Sag mir doch mal deinen", fordert er mich auf. Moment mal, den brauch er doch gar nicht, oder? Ich persönlich würde sowas nur machen, wenn ich an der jeweiligen Person interessiert wäre, aber das würde dann ja heißen, dass Kyle.... an mir... ? Unvorstellbar.

"Mein Name ist Marc Terrence", antworte ich schließlich nach kurzem Zögern und er lächelt zufrieden und erleichtert. Vielleicht hatte er ja Angst sich wegen der Frage zum Deppen zu machen? Glaub ich weniger, könnte aber sein. "Auf Wiedersehen, ich muss los", meint er plötzlich, die Stille unterbrechend und ich hebe die Hand zum Abschied. Kaum ist er aus der Tür heraus und das Klingeln verklungen, wird dieses Geräusch von meinem Handy ersetzt.
 

Entnervt renne ich wieder nach hinten und durchwühle meine Tasche nach dem verhassten Stück Technik. Wow, immerhin: ich habe es gefunden, bevor der Anrufer wieder aufgelegt hat.

Schnell drücke ich auf den grünen Knopf für 'Anruf entgegennehmen' und halte mir das Handy ans Ohr. "Hallo? Hier ist der Osterhase."

"Marc? Ich bins."

"Du bists? Was soll ich darunter verstehen, Sofie?"

"Zeig doch mal ein bisschen mehr Humor, Liebling."

"Ich zeige Humor wann ich will und nenn du mich nicht Liebling."

"Jajaja..."

"Weshalb hast du angerufen?"

"Wegen heut Abend. Kannst du da? Wir wollen zusammen ins 'Bristol' gehen."

"Wer ist wir?"

"Asta, Jo, Daniel, Kev, Melinda, Rose und ich."

"Mädchen-Fraktion also..."

"Seit wann sind Daniel und Kev keine Jungs mehr?"

"Ach was, die zählen nicht."

"Ha... ja klar... das sag ich ihnen!"

"Mach doch."

"Und? Kannst du?"

Ich schaute sinnloserweise auf meine Armbanduhr. "Ja, logisch. Kein Problem."

"Okay, dann bis später, Liebling."

"Bis dann und lass das Liebling weg."

*Klick*
 

Ich sitze noch eine Weile wie apathisch da und hebe noch einmal meinen Arm, um meine Uhr im Blickfeld zu haben. Diesmal aber, damit ich die Zeit ablesen kann. Es ist bereits 5 Uhr. In einer Stunde ist Feierabend. Mir fällt auf, dass ich meine Mittagspause verpasst habe, aber suspekter Weise kümmert mich das nicht besonders. Ich tue das mit einem Schulterzucken ab und beginne einfach mal weitere Filme zu entwickeln, während ich auf den Ladenschluss und weitere Kunden warte. Als aber alle restlichen Filme im Entwickler, keine Kunden in Sicht und die Zeiger der Uhr schon auf halb 6 gewandert sind, beschließe ich kurzerhand eben mal 30 Minuten früher Schluss zu machen. Schnell ist das Schild umgedreht und präsentiert der Straße nun ihre Kehrseite, an der stolz das Wort 'Geschlossen' prankt und ich schultere meine Tasche. Nach weiteren 5 Minuten ist der Fotoshop auch schon abgeschlossen und ich trete meinen Heimweg an. Verschiedene Gedanken spuken mir im Kopf herum. Unter anderem Kyle und warum ich an Kyle denke und wie verdreckt der Bürgersteig doch ist und ob ich mir vom Arzt vielleicht einen Atest holen könnte, der mir verbietet zur Arbeit zu gehen, weil der Weg hin und zurück gesundheitsgefärdend ist.

Summend bleibe ich ein paar Ecken weiter an der Tür des mehrstöckigen Familienhauses stehen und schließe auf. Ich habe keine Post bekommen, dafür hat mir jedoch irgendein Spaßvogel einen Aufkleber mit der Aufschrift 'Hip Hop Rulez' an den Postkasten gebabbt. Der muss schnellstmöglichst ab, ansonsten denkt noch wer, ich selbst hätte den da aufgeklebt. Iih, als würde ich mir sowas antun!

Die paar Treppen bis in den zweiten Stock sind schnell geschafft und ich kippe erstmal dreieinhalb Gläßer Wasser runter. Hab morgens vergessen, welches auf die Arbeit mitzunehmen und wie gesagt die Mittagspause verpasst.

Nach einer Dusche, einem sehr sehr bescheidenem Abendessen, das eigentlich nur aus einer Scheibe belegten Brotes und einem Wasserglaß bestand, und dem allabendlichen Einsprühritual, mit dem ich mein Bad verpeste, stehe ich vor meinem Kleiderschrank und überlege, was ich anziehen soll. Schließlich entscheide ich mich nach kurzer Zeit für ein schwarzes, enges Shirt, bei dem ich irgendwann mal die Ärmel abgeschnitten hatte, einem grobmaschigen, langärmligen Netzshirt, das ich darüber anziehe und eine unaufdringliche schwarze Jeans. Wollen ja nicht unbedingt so aus der Reihe fallen, dass einen alle anglotzen. Unwillig betrachte ich mein Spiegelbild und versuchte meine Haare irgendwie in Form zu bringen. Den Traum von nem Iro habe ich schon vor längerer Zeit aufgegeben. Ich hab da oben so beschissene Haarwirbel, dass man die Dinger beim besten Willen nicht so hin gelen kann. Egal, ob ich mir jetzt nen einzigen Tropfen oder eine ganze XXL-Tube Gel wortwörtlich in die Haare schmiere - es passiert nichts. Danach seh ich nur immer unglaublich bescheuert aus, was ich auch nicht unbedingt will...

Also begnüge ich mich damit spaßeshalber ein bisschen in ihnen herumzuwuscheln, damit es wenigstens so aussieht, als seis beabsichtigt, dass die Teile mir zu allen Seiten vom Kopf abstehen.

Danach nehme ich mir meine Jacke zur Hand und verlasse die Wohnung. Ha, meine Vermieterin ist nicht zugegen. Ein weiterer Grund diesen Abend als vielversprechend abzustempeln.
 

Der Wind pfeift mir ganz schön frisch für diese Jahreszeit in den Kragen, so dass ich mir die Jacke etwas enger an den Körper ziehe. Ok... von hier aus ist der Weg ins 'Bristol' nur ein Katzensprung. Schon nach wenigen Blocks - zwei um genau zu sein - kommt der hell erleuchtete Schriftzug in mein Sichtfeld und ich steuere zielstrebig darauf zu. Ganz hinten an der Straße kann ich Sofies Auto erkennen und beschleunige meinen Schritt noch ein wenig. Das hätte ich mir jedoch alles sparen können, denn die Gruppe, die im Innerem dieser Café-Bar-Disco sitzt und vergnügt plaudert, sieht nicht so aus, als hinge meine An- oder Abwesenheit am Grad der Amüsiertheit dieses Abends ab. Trotz meiner guten Laune kann ich einen Seufzer nicht unterdrücken, lächle aber, als Kev mich entdeckt und mir zuwinkt. Nun ohne Eile ziehe ich meine Jacke aus und gebe sie an der Gaderobe ab. Geldbeutel und Haustürschlüssel sind sicher verwahrt in meiner Hosentasche, so dass ich mich schnell zu meinen Freunden geselle.

"Marc, wo hast du gesteckt?", begrüßt mich Sofie und küsst mich auf die Wange.

"War nur nochmal in der Wohnung", erkläre ich und lasse mich auf einem herangezogenem Sessel nieder. "Ich weiß gar nicht, was du hast. Wurde ja nicht mal mehr von meiner Vermieterin aufgehalten."

Kev zwinkert mir zu. "Wir wissen ja, woraus dieses 'Aufhalten' dann besteht, nicht wahr?" Ich schnaube abfällig und mustere ihn mit einem wütenden Blick. "Falls du es vergessen haben solltest: ich bin schwul!"

Wie immer, wenn ich ihn daran erinnere, macht er ein leicht unsicheres Gesicht, was mich nur entnervt den Kopf schütteln lässt.

Melinda zieht Rose und Daniel auf die Tanzfläche und zusammen fangen sie an in dem verdunkeltem Teil des 'Bristol' durch das Lichtstrahlengewirr zu tanzen. Gedankenverloren sehe ich ihnen zu und bemerke gar nicht, wie mich jemand anspricht, bis Jo mir schließlich am Ärmel zieht. Mit hochgezogener Augenbraue wende ich mich um und sehe in ihr hübsches Gesicht. "Ja?"

"Was willst du trinken?", ruft sie mir wegen der anscheinend in den letzten Sekunden angeschwollenen Lautstärke zu. Aber ist es nicht so, dass Jo schon immer eine leise Stimme hatte? Ja, das muss es sein. "Was weiß ich! Irgendwas stark alkoholisches!", gebe ich schließlich nach kurzer Zeit des Überlegens zurück. Sie nickt, damit ich weiß, dass sie mich verstanden hat und dreht sich auf der Sitzbank um, um dem Kellner ins Gesicht sehen zu können, während sie die Getränke bestellt und dabei unverhohlen mit ihm flirtet. Im Dämmerlicht kann ich ihn nicht genau erkennen, sehe aber, dass er schon ganz gut gebaut ist... die Schürze verdeckt die meisten Körperkonturen...

Er scheint nicht auf Jo anzuspringen, so dass sie schließlich enttäuscht aufgibt. "Mach dir nichts draus!", grinst Asta, die anscheinend schon etwas zu tief in den Becher geschaut hat, als der Kellner in Richtung Theke verschwindet. "Geile Typen sind entweder schwul oder haben ne Freundin! Marc da ist das lebende Beispiel!". Ich grinse die beiden an und zwinkere ihnen zu. "Wisst ihr eigentlich, dass Schwule meist sagen, dass die geilsten Typen hetero, oder schon vergeben sind?", kläre ich sie auf und lache über ihre ungläubigen Gesichter.

"Verarsch uns nicht! Die bestaussehendsten sind doch vom anderem Ufer!", fügt sich nun auch Sofie in das Gespräch mit ein. "...für uns.", beende ich ihren Satz und meine damit die in der Minderheit stehende Schwulenfraktion auf diesem Planeten.

Doch die Frauen winken ab und nippen an ihren Drinks. "Rabarber, rabarber", tut jetzt auch noch Kev seine Meinung kund. "Bin ich etwa nicht attraktiv?"
 

Wie auf Kommando kommt in diesem Augenblick eine Blondine herübergeklackert, deren Maße eindeutig sehr sehr Nahe an 90-60-90 liegen. "Hi Süßer!", flötet sie und legt einen Arm um Kevs Schultern. "Lust auf ein Tänzchen?" Und schon ist betroffener, junger Mann mit angeklackerter Blondine in eine etwas abgelegenere Ecke verschwunden. Ich schaue ihnen kopfschüttelnd nach.

"Nimms nicht so schwer!", lallt Asta und wirft sich mir buchstäblich um den Hals. "Selbst unser Nesthäckchen lernt irgendwann dazu..." Sie bricht in ein beinahe hysterisches Gekicher aus, was mich dazu veranlasst sie behutsam wieder in eine senkrechte Position zu verfrachten und ihr das halb gefüllte Glaß Martini aus der Hand zu nehmen. "Ich glaube, du solltest nicht mehr so viel trinken, weil...", beginne ich, doch sie drückt mich unsanft weg und hat das Glaß auch schon wieder in Beschlag genommen.

"Jo, Sofie...", jammere ich hilfesuchend und sehe zu meinen Freundinnen herüber, die mich breit angrinsen. Die beiden wissen eben doch immer am Besten, was gut für ihre Bekannten ist.

Melinda, Rose und Daniel kehren zum Tisch zurück. Man sieht ihnen an, das Tanzen eben doch eine sportliche Betätigung ist. Ich bin froh, dass ich nicht so oft tanze, ansonsten würde ich ja immer verschwitzt nach Hause kommen. Bah, das stinkt doch. Ich jedenfalls kann meinen eigenen Schweiß nicht riechen... und ich finde es einfach nur eklig, wenn Leute das auch noch gut finden - den eigenen Schweiß riechen können. So weit will ich es bei mir eigentlich gar nicht erst kommen lassen! Sex ist eine Ausnahme...
 

"Und du, Marc? Schon ein Häppchen in Sicht?", bezieht mich Rose in die Unterhaltung mit ein, die meine Freunde soeben führen. Ich bin erst etwas überrascht, fange mich aber schnell wieder.

"Klar", grinse ich, streiche mir lasziv die Haare nach hinten und lecke mir übertrieben über die gebleckten Zähne. Sofort lacht Asta lauthals los und auch die anderen können sich ein paar kleine Lacher nicht verkneifen. Hach, ich bin so wunderbar! Nein, nicht in Selbstherrlichkeit versinken! Ganz schlechte Angewohnheit! GANZ schlechte!

"Und? Wer ist es?", fragt Melinda schließlich neugierig und beugt sich zu mir vor, über den Tisch hinweg. "Vielleicht der Kerl da hinten an der Bar? Der, mit dem hellblauem Hemd?" Ich folge ihrem Blick und mustere den Typen von oben bis unten. "Nein. Devinitiv nicht mein Typ", verneine ich und zucke mit den Schultern. "Der, den ich meine ist ein Kunde im Fotoshop. Ab-so-lut GEIL!"

Daniel grinst breit und zieht Jo auf seinen Schoß. Die beiden sind zusammen, aber ich lasse mich von dem übertriebenem Rumgeturtel nicht stören. Wobei auch?

Sofie schaut mich hingegen geradezu hingerissen an. Unheimlich dieser Blick... "Ach, ist das niieeedlich!", seufzt sie schließlich und die anderen Mädchen nicken bekräftigend. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. "'Niedlich'? Was ist daran bitteschön niedlich?", frage ich skeptisch. "Liebling, anscheinend verstehst dus nicht, aber das ist nicht so schlimm!", 'tröstet' mich Sofie und ich knurre sie an, als sie das verhasste Wort 'Liebling' benutzt. So darf mich nur mein Freund ungestraft nennen, damit das klar ist! Nur leider existiert der momentan nicht...
 

Der Abend wird länger als erwartet, wir amüsieren uns alle herrlich und können Kev gerade noch so davon abhalten im stockbesoffenem Zustand so eine alte, verschrumpelte Schachtel abzuschleppen. Nach einigen Stunden lege ich also reglos im Bett und schließe erschöpft nach diesem Tag die Augen. Mein Körper ist schwer wie Blei, meine Augenlieder machen da keine Ausnahme und ich bin sogar zu faul mich umzuziehen. Gott segne mich!

Mittwoch

Mittwoch

Lalelu, nur der Mann im Mond sieht zu, wenn mich Schmerzen quälen und Alkohol, sowie Schlafmangel ihre Wirkung nicht verfehlen... Gott, wo kommt diese absolute beknackte Abwandlung eines noch beknackteren Schlaflieds her? Aber es stimmt, was mein Kopf da so poetisch zusammengeformt hat. Mein Schädel dröhnt, als würde eine Horde wildgewordener Kindergartenkinder unablässig von einem Ohr zum anderem rennen und dabei ununterbrochen mit Schusswaffen um sich ballern und kreischen. Wo zum Teufek haben die die Waffen her? Nun gut, das ist jetzt auch egal...

Alles was zählt ist, meinen Kopf möglichst schnell von diesem Mörderkater zu befreien, mir eine dicke, fette, gedankliche Notiz zu machen, nie mehr wieder unter der Woche mit den Freunden saufen zu gehen und dann mal wieder zur Arbeit zu hechten. Ich bin sowieso schon eine halbe Stunde zu spät, da kommts auf die ein oder andere zerquetschte Minute auch nicht an, zumal mein Chef ja sowieso grad unfreiwilligen Urlaub macht. "Auf in den Kampf!", mache ich mir selbst Mut, bevor ich den Duschkopf auf eiskalt stelle und einschalte. UWAAAHH!!!
 

Mich sporadisch weigernd auch nur einen einzigen Blick in den Spiegel zu werfen, wickle ich mir zitternd ein Handtuch um die Hüften, greife mir noch ein anderes und rubbel damit meine Haare ab, damit sie mir wenigstens nicht platt am Kopf kleben. Mein Weg vom Bad ins Schlafzimmer geht schon um einiges wacher und auch schmerzfreier von statten, als es der halb blinde Hinweg getan hat und nach wenigen Metern ist dann auch unbeschadet meine Zimmertür erreicht. Was zieh ich heute an, was zieh ich heute bloß an? Während ich mich weiter abtrockne stöber ich ein bisschen in meinem Schrank herum. Huch, was ist denn das da für ein rosa Shirt? Angeekelt mustere ich das Ungetüm und drehe es ein paarmal in meinen Händen. Hinten steht "No, I'm not gay" drauf. Ok, das fällt schon mal weg. Ich belüge doch nicht meine Umwelt! Vielleicht kanns Kev gebrauchen? Bei dem hübschen, wenn auch zugegebenermasen etwas weibischem Gesicht wird er ja andauernd von irgendwelchen Typen angelabert. Hach ja, wenn das auch mal bei mir passieren würde...

Seufzend schmeisse ich das Hemd über meine Schulter, weshalb es äusserst elegant auf dem Boden landet, und suche weiter. Die Sachen von Gestern liegen noch auf dem Stuhl, der in meinem Schlafzimmer steht, aber die würde ich sowieso nicht anziehen. Erstens riechen sie noch nach Zigarettenrauch und Alkohol und zweitens werde ich wohl kaum mit Netz- und Muskelshirt bei der Arbeit aufkreuzen! Denken die Leute ja sonstwas von mir und wenn mein Chef das rausbekommt bin ich höchstwahrscheinlich gefeuert. Topspießer...

Also muss was anderes her. Unauffällig elegant? Sportlich cool? Gammellook? Schlabbrig versifft? Latinomäsig? Nein, nein, nein, nein, nein! Kurzerhand ziehe ich eine normale, locker sitzende Jeans aus dem Monster von Schrank und daneben landet auch sogleich ein relativ enger Pulli. Zusammen mit Unterwäsche und Strümpfen der perfekte Look für einen Tag, den man lieber im Bett verbracht hätte.

Mit immer noch leicht pochender Stirn schlüpfe ich in die Sachen und gehe in die Küche um dort einen schwarzen, schwarzen (unglaublich schwarzen!!!) Kaffee zu trinken und zeitgleich ein Aspirin einzunehmen. Danach fühle ich mich schon viel besser, putze mir noch die Zähne und will gerade die Jacke anziehen, als mir einfällt, dass ich mich noch gar nicht in eine wohlriechende Deo-Duftwolke gehüllt habe. Nun, das kann nachgeholt werden. Gesagt, getan und schon bin ich wirklich bereit mich unter die normalsterbliche Menschheit zu mischen. Nein, ich bin kein Vampir oder dergleichen.
 

Doch was begrüßt mich mit furchterregender Stimme, kaum, dass ich meine Wohnung, meine schützende Festung, verlassen habe?

"Mr. Terrence! Nein, was für eine Überraschung?" Wieso? Wir leben im selben Haus und dieses Weibsbild ist schließlich meine Vermieterin. "Ich dachte, Sie wären schon längst bei Ihrer Arbeit!" Woher weiß sie, wann mein Dienst anfängt? "Ich wollte Ihnen gerade einen Brief in den Briefkasten legen, aber da ich Sie ja sowieso noch hier sind, gebe ich ihn Ihnen einfach so, ja?"

"Ja, kein Problem", sage ich und nehme das, mir dargebotene, Papierstück entgegen. "Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte, Miss Helena. Ich muss gehen!"

Aber anscheinend ist dieses Monster von einer Frau nicht bereit sich eine so unauffällige Abfuhr gefallen zu lassen. Demonstrativ lächelt sie mich eine Spur zu lasziv an und streckt mir möglichst unauffällig ihr Decollté entgegen. "Warten Sie doch, Mr. Terrence! Wie wäre es, wenn wir mal zusammen essen gehen würden? Einfach nur zum besserem Einleben zwischen Mieter und Vermieterin? Wie wäre das? Natürlich nur, als eine freundliche Geste...", schlägt sie vor und mir bricht beinahe sofort der kalte Angstschweiss aus. Ein Abendessen allein mit dieser Frau? NIE IM LEBEN!

"Ähm...", winde ich mich unter ihrem erwartungsvollem Blick. Ich kann meiner Vermierterin doch unmöglich eine Absage geben! Als nächstes lande ich dann womöglich noch auf der Straße. Idee, wo bist du? Meine kreative Ader für Ausreden und Einfälle aller Art hat sich anscheinend augenblicklich in den Urlaub auf gemacht und nur einen Zettel mit der Aufschrift 'Löse deine Probleme auch mal selbst, Vollidiot!' da gelassen. Danke, kreative Ader...!

Moment! Da war doch grad was. Ich bin mir ganz sicher. Erleuchtung, ich komme!

"Nun ja, wann würde das denn dann statt finden?", frage ich vorsichtig, als Einstieg in meinen geradezu genialen Plan. Sofort breitet sich ein vorfreudiges Lächeln auf dem hinterhältig schönem Gesicht meiner Vermieterin aus.

"Wie wäre es mit Freitag? So gegen acht?", schlägt sie mit einem unschuldigem Augenaufschlag vor. Nicht mit mir, Weibsbild!

"Oh, das ist aber schlecht... an dem Tag hatte ich einem Freund schon versprochen, dass er bei mir vorbeikommen kann. Hätten Sie etwas dagegen, wenn er mit isst?"

Überwältigt von meiner eigenen Genialität warte ich unruhig eine Antwort ab, immer wieder auf die Uhr guckend. Inzwischen bin ich fast schon eine ganze Stunde zu spät. Hoffentlich hat sich noch keine meterlange Schlange vor dem Geschäft geheuft, die mich, wenn ich endlich komme, erstmal mit Essensresten und Beschimpfungen aller Art bewirft.

"Schade... nun ja, aber das macht doch nichts! Dann isst Ihr Freund eben mit", lächelt sie leicht niedergeschlagen und ich lächle noch einmal versöhnlich zurück -weiß der Teufel warum- und sprinte dann die Treppen runter. Leider habe ich jetzt nicht mehr nur das Problem mit dem zu spät kommen. Welcher meiner Freunde nimmt freiwillig mit mir an diesem Abendessen teil?
 

Was ein Glück! Es steht nur ein alter, grummelnder Mann herum, der aber anscheinend nicht mal drauf gewartet hatte, dass ich komme und den Fotoshop öffne. Sieht eher so aus, als wäre das ein Landstreicher... Naja, wen kümmerts? Schnell schließe ich auf, drehe das Schildchen auf 'Offen' und stelle mich hinter die Theke, wobei ich meinen Rucksack durch die Tür ins Hinterzimmer schmeisse und mir danach meine Jacke abstreife. Alles fertig? Seh ich ganz annehmbar aus?

Nebenbei fällt mir auf, dass ich das gar nicht weiß, da ich es ja so hartnäckig vermieden habe einen Blick in dieses spiegelnde Ding in meinem Badezimmer zu werfen.

Also muss das Fenster zur Straße raus herhalten. Nja, geht eigentlich... meine Haare sind wie immer verwuschelt und dunkelbraun -mir kommt der Gedanke vielleicht doch mal eine Bürste zu kaufen- und meine Augen blitzen mir ebenfalls wie gewohnt stahlgrau entgegen. Langweilige Augenfarbe, nicht?

Aber die munter bimmelnde Türglocke reisst mich aus meinen trübsinnigen Gedanken. Ein junger Mann, ungefär so alt wie ich, mit blonden, kurzen Haaren steht vor mir und stellt einen Film auf die Theke.

"Können Sie den bis Morgen entwickeln?", fragt er und sieht mich an.

"Natürlich", entgegne ich wie aus der Pistole geschossen. Der Verdienst harten Trainings zu ungesunden Arbeitszeiten, an denen man trotzdem so tun muss, als täte man nichts lieber, als gerade diesen einen meckernden Kunden mit einem freudestrahlendem Lächeln zu bedienen. "Name bitte", fordere ich ihn auf, hole einen dieser bedruckten Fotoumschläge unter dem Thresen hervor und nehme mir einen Kugelschreiber.

"Levis Morgan", sagt der Mann und ich schreibe alles brav auf.

"Ok, Sie können den Film morgen so gegen die Mittagszeit abholen", kläre ich diesen Levis Morgan auf und stecke das noch zue Döschen in den Umschlag, der in die noch leere Kiste kommt. "Sonst noch was?"

Der blonde Mann sieht mich musternd an. Wird das inzwischen zur Gewohnheit? Muss mich immer alle Welt anglotzen? Meine Vermieterin lüstern, meine Freundinnen entzückt, dieser Kyle Morgan mit einem... naja, undefinierbarem Ausdruck im Gesicht und jetzt auch noch dieser Typ! Irgendwas ist da oben und es meint es nicht gut mit mir. Nein, gar nicht gut...

Schließlich entscheidet sich der Mann doch dazu etwas zu sagen. "Ich muss sagen... da hat sich mein Bruder ja was ausgesucht...", meint er, während er mich immer weiter ansieht. HÄ? Was? Führt der Selbstgespräche?

"Entschuldigen Sie, aber das führen wir nicht", gebe ich halb genervt, halb verwundert über diese doch ziemlich merkwürdige Welt, zurück und erwiedere seinen Blick gereizt. Jaja, das ist ein Kunde und ich sollte höflicher sein, aber bitte! Wer mag es schon erstens auf zwischenmenschlicher Basis ignoriert zu werden, während zweitens der Körper anscheinend eine seltsame Faszination auf zufällig vorbeikommende Psychopathen hat?

Ich weiß zwar nicht, ob dieser Kerl tatsächlich ein Psychopath ist, aber er sieht mir verdammt danach aus. Vom Verhalten ganz zu schweigen...

Leider zieht er auf meine Worte hin nicht den Rückzug an, sondern lacht schallend los. Hinter ihm kommt eine Frau in den Laden, doch er scheint sie nicht zu beachten. Jedenfalls lacht er genauso laut weiter.

Langsam geht er mir wirklich auf die Nerven. Wirklich, meine ich.

"Wah, ich fass es nicht! Das ist soooo typisch für ihn! Das war so klar!", grölt er und sein Lachen ist inzwischen auf etwas angewachsen, dass ich als Experte entweder als das Bellen von Robben oder einen brüllenden Brüllaffen deviniert hätte.

"Toll für ihn. Könnten Sie, wenn Sie fertig sind, bitte Platz für die nächste Kundin machen?", frage ich ihn HÖFLICH - Respekt bitte! Jedoch hat meine Stimme von genervt auf klirrende Kälte umgeschlagen. Hoffentlich schnallt dieses lebende Etwas den Wink mit dem Zaunpfahl.

Tatsächlich hört er kurz auf zu lachen und sieht sich um. "Welche Kundin?"

Entnervt und fassungslos lege ich mir eine Hand über die Augen und massiere meine geschlossenen Lieder. Die Frau hat sich doch wirklich aus dem Staub gemacht und mich mit diesem Psycho allein gelassen. Wahrscheinlich war er ihr genauso unheimlich, wie er mir ist.

"Naja, ist ja auch egal", sagt der blonde Mann und zieht ein Handy hervor. Was wird das jetzt? Kann der nicht draussen telefonieren? Wenns regnen würde, würd ichs ja noch verstehen, aber nein, es herrscht Sonne, Jubel, Trubel, Heiterkeit. Wieso also, geht dieser nervtötende Kerl nicht raus? Werde ich ihn jemals los? Während ich mich setzte - ich wäre zwar lieber in das Hinterzimmer gegangen, aber solange dieser Typ hier ist, kann ich das nicht - entsteht ein Bild vor meinem innerem Auge, welches mich, als Greisen und diesen Psycho da, als einen anderen Breifresser darstellt, wie ich immer noch im Laden sitze und der andere, mittlerweile gebrechliche, Mann merkwürdige Aktionen vollführt, in denen er mich nervt und auf der Liste der 'Merkwürdigen Personen' deutlich nach oben steigt.

Tolle Zukunft, die mir meine Fantasie da auftischt...

"Hi, Schätzchen!", säuselt in diesem Moment mein wohl merkwürdigster Kunde in sein Mobiltelefon und ich wende demsonstrativ den Blick von ihm ab, um ihm zu zeigen, dass ich mir nicht unbedingt irgendwelche intimen Gespräche anhören will, wie man sie nach dieser Begrüßung erwartet.

"Ich nenn dich wie ich will, aber....", also war es doch ein unliebsamer Spitzname? Es gibt noch andere Leute, die damit gequält werden? "... jetzt rate mal wo ich bin!"

Hallo? Wir sind hier nicht in einem Vergnügungspark, sondern in einem gottverdammtem FO-TO-SHOP!!!

"Nein, falsch", grinst dieser Levis breit und fixiert mich mal wieder. Ich drehe meinen Kopf und erwidere den Blick mit einer wütenden Gefühlsladung. "Nein, ich bin nicht im Krankenhaus. Ich geb dir einen Tipp!" Oh, jetzt bin ich aber gespannt...

"Urlaub an den Grand Canyons und... ähm... sagen wir mal... nein, natürlich bin ich nicht wieder hin gefahren! Sagen wir... grau! Ja, grau! Fällts dir auf?" Grau? Ich schaue mich um. Hier steht weit und breit nichts graues rum, bis auf diverse Bilderrahmen und das Schwarz-Weiß-Poster an der Wand hinter mir. Merkwürdiger Tipp... würde mich wundern, wenn die Person am anderem Ende der Strippe kapiert, wo der Psycho ist.

Ich wende mich nicht wieder dem blonden Kunden zu, sondern beschaue mir lieber die vorbeigehenden Passanten, während ich der Unterhaltung lausche. Anscheinend ist Blondie ein wenig beleidigt, weil Kumpel/Mutter/Freundin/Mechaniker nicht erraten hat, wo er sich befindet.

"Ok, noch ein Tipp", kommt die leicht angesäuerte Stimme von meinem momentanem Kunden an mein Ohr. "Gestern und Vorgestern, deine unsägliche Schwärmerei, das Blut, dass aus meinen Ohren floss..." Ein Platz weiter oben in der Liste der 'Merkwürdigen Personen'.

Außerdem war das ja wohl mehr als 'ein' Tipp.

Überrascht wende ich den Kopf, als aus dem Mobiltelefon ein so lautes "WAS?!?" springt, dass selbst ich es höre. Ein selbstzufriedenes Grinsen hat sich auf dem Gesicht von Psycho-Blondie - wie ich ihn ab jetzt nennen werde - ausgebreitet. "Erraten? ... ja, genau da!" Wieder wirft er mir einen undeutbaren Blick zu. Irgendwie komme ich mir verarscht vor...

"Was ich hier mache? Einen Film entwickeln lassen, natürlich!" Anscheinend hat Mr/Mrs/Miss X wirklich kapiert, wo Psycho-Blondie alias Levis Morgan gerade steht und andere Leute belästigt. Apropos: irgendwas an dem Namen kommt mir bekannt vor. Seltsam... ich kenne doch gar keinen Levis...
 

Eine ziemlich aufgebrachte Stimme schallt aus der Hörmuschel. Nicht so laut wie zuerst, sodass ich sie nicht verstehen kann. Jedenfalls nicht deutlich. Aber das, was sie sagt, hat ziemliche Ähnlichkeit mit: Verschwinde da sofort wieder!

Ja, bitte! Danke Stimme! Ich kann nur hoffen, dass Psycho-Blondie auch tut, was jene verlangt. Nein, tut er nicht.

"Aber wieso denn? Ich muss mir doch anschauen, was du-"

"HALT DIE KLAPPE!" Oh, das war wieder so schön laut, dass ich es verstehen konnte. Irgendwoher kenn ich diese Stimme. Stellt sich nur die Frage woher...

"Natürlich ist er da." Hä? Wer? Ich? "Willst du ihn sprechen?" Was?

Ohne eine Antwort abzuwarten hält mir Psycho-Blondie das Telefon hin. "Mein Bruder will dich sprechen."

Das glaube ich weniger, also sage ich gereizt: "Hören Sie, ich weiß nicht, was Sie verdammt nochmal von mir wollen, aber wenn Sie nicht bald mit diesem schwachsinnigem Gelaber aufhören, in dem ich und dieser Laden hier ja augenscheinlich eine sehr wichtige Rolle spielen, dann werf ich Sie eigenhändig hier raus. Haben Sie mich verstanden?"

Psycho-Blondie ist still geworden und sieht mich einfach nur an. Auch aus dem Telefon, dass ja jetzt direkt vor meiner Nase schebt, ist kein Ton zu hören. Nebenbei wird mir bewusst, dass Psychos Bruder das ganze auch noch mitbekommen hat, aber egal. Ich kenn ihn ja schließlich nicht.

"Mmh... ok...", meint mein blonder Kunde schließlich und zieht das Telefon aber immer noch nicht zurück. In diesem Moment klingelt mein Handy.

Unterdrückt fluchend hechte ich zu meinem Rucksack, der im minimal kurzen Flur liegt, der zum Hinterzimmer führt und krame mein Telefon aus den Untiefen eben diesens.

"Ja?"

"Hi Alter".

"Tag auch..."

"Wie gehts?"

"Gut".

Na toll. Im Vorraum des Fotoshops, in dem ich übrigens arbeite (für all jene, denen das noch nicht aufgefallen ist...), steht ein Psychopath an dessem Handy immer noch sein Bruder dran ist - wenn er nicht inzwischen aufgelegt hat - und an meinem eigenem Mobiltelefon ist mein Kumpel Daniel dran, mit dem ich einsilbige Gespräche führen darf. Mich beschleicht ein komisches Gefühl, als ich daran denke, dass dieser höchst vertrauenserweckende Levis Morgan ganz allein im Verkaufsraum ist und gehe deshalb zu ihm zurück, das Handy selbstverständlich noch am Ohr. Er könnte ja was einstecken...

"Ich ruf an wegen Freitag. Jo schmeisst doch diese Party...", erzählt mir Daniel mit seiner üblichen Mich-langweilt-das-hier-Alles-unheimlich!-Stimme. Ich habe beschlossen Psycho-Blondie nicht mehr zu beachten und konzentriere mich daher auf das Gespräch und nicht auf den blonden Typen, der immer noch vor dem Tisch steht und mir seltsamerweise sein Telefon entgegenstreckt. Was wird das wenns fertig ist?

Schließlich sickern jedoch Daniels Worte zu mir durch und ich verziehe das Gesicht. "Sorry, Dan, aber ich kann Freitag nicht. Meine Vermieterin hat mich zum Essen eingeladen..."

"Hat dies immer noch nicht aufgegeben? Auch nicht nach der Woche in der du die ganze Zeit nur noch in Rosa rumgelaufen bist?"

Ich schüttel den Kopf und muss mitleidig Grinsen, während ich mich auf dem Stuhl so drehe, dass ich aus dem Fenster schauen kann und den Psychopathen nicht mehr direkt im Blickfeld habe.

"Nein, ich glaube, das hat sie eher angetörnt, als abgeschreckt", sage ich wahrheitsgemäß.

"So eine Scheisse, aber auch. Und du kannst dich danach wirklich nicht abseilen?"

"Keinen Schimmer. Vielleicht wenns nicht so lange dauert und ich danach nicht total erschöpft bin".

Blondie schaut mich etwas komisch an und ich habe noch mehr Mühe damit, ihn zu ignorieren.

"Klar. Ich glaub, das schaffst du schon".

"Mmh... aber Dan... hättest du vielleicht Lust mitzumachen? Allein hab ich keinen Bock drauf. Sie steht zwar nicht so drauf, aber... du verstehst schon?", frage ich und hoffe dabei, dass er mir zusagt und mich nicht allein mit dieser Hexe essen lässt. Am Ende werde ICH noch schnabuliert und nicht das, was auf den Tellern liegt. Oder sogar beides...

"Sorry Marc, aber wie gesagt: am Freitag schmeisst Jo doch diese Party".

"So ne Scheisse, Mann...", maule ich in die Sprechmuschel und schließe frustriert die Augen.

"Kann man wohl laut sagen. Kannst dus nicht irgendwie abblaßen?", schlägt Dan hoffnungsvoll vor. Falls man bei einer gelangweilten Stimme hoffnungsvoll klingen kann, versteht sich.

"Wahrscheinlich eher nicht. Ich hab sie schon zu lange warten lassen und wenn ich Freitag nicht komme, wird sie mich entweder auf die Straße setzen oder vergewaltigen...", grinse ich, obwohl mir allein bei der Vorstellung der zweiten Alternative ein kalter Schauer über den Rücken läuft.

"Keine schönen Aussichten".

"Das kannst du aber laut sagen. Du, ich muss jetzt Schluss machen. Hier steht so ein Psycho im Laden, der die ganze Zeit irgendwas von seinem Bruder labert".

Ich höre Lachen vom anderem Ende der Leitung. "So? Vielleicht steht er auf dich und versucht damit von sich abzulenken?"

"Wohl kaum... oder aber, er ist noch psychopathischer, als ich dachte".

Zufrieden sehe ich aus dem Augenwinkel, wie Psycho-Blondie dezent errötet, aber das reicht schon für meinen Triumph. Aber wirklich! War ja mal nötig, dass jemand diesem Irren sagt, wie er sich verhält. Auch, wenn ich das eher indirekt gemacht habe, aber wen stört das schon?

Wieder lacht Dan und mir kommt der Gedanke, dass er heute aber wirklich ausgesprochen gute Laune hat. "Na dann: wimmel ihn ab und lass dich nicht fressen, Marc, ne?"

"Ich lass mich doch nicht von so einem vernaschen!", gebe ich breit grinsend, zweideutig zurück und freue mich über den mehr als komischen und peinlich berührten Gesichtsausdruck von Herrn Morgan, der jetzt endlich aufhört mir mit seinem Handy vor der Nase rumzufuchteln, "Das wars dann, Kleiner" hinein sagt und es ausstellt.

"Ok, Ciao dann, Marcileinchen", verabschiedet sich währenddessen Daniel von mir.

Ich verdrehe die Augen. "Nenn mich nicht Marcileinchen, Dan! Bis hoffentlich Freitag..." Und aus ist das Handy. Ich gähne noch einmal und öffne dann die Augen. Der Laden ist leer. Kein Psycho-Blondie. Kein anderer Kunde. Nur die Türglocke gibt noch ein paar Töne von sich, dann ist es still. Zu still...

Kopschüttelnd über die merkwürdigen Geschehnisse dieses Tages, gehe ich ins Hinterzimmer, hole einen CD-Player hervor und stelle ihn zu mir, unter die Theke. Nach längerer Suche ist dann auch eine Steckdose gefunden und ich kann mir das immer gleiche Gedudel des Radios anhören. Was für ein seltsamer Kerl!
 

"Wie immer, Marc?", fragt mich Selvall am anderem Ende der Leitung und ich nicke bekräftigend, bis mir einfällt, dass der das ja gar nicht sehen kann und "Ja, bitte" sage.

"Gut. Musst noch ein bisschen warten, bis du dein Abendessen kriegst, aber in höchstens zwanzig Minuten steht ein Lieferant vor deiner Tür".

"Danke, Selvall. Wir sehn uns".

"Ja, bis dann".

*Klick*

Erschöpft lasse ich mich in einen der Sessel fallen, die zu Massen in meiner Wohnung stehen (Was durch die Zahl 3 zu devinieren ist.) und lege kurz den Kopf in den Nacken, um mich zu entspannen. Gott, war das ein scheissstressiger Tag. Psycho-Blondie war nicht die einzige seltsame Gestalt, die mir im Laufe meiner Arbeitszeit über den Weg gelaufen ist. Inzwischen hat er drei Mitspieler; Psycho-Schrulle, Psycho-Töle und Psycho-Zeitungsverkäufer. Selten einen so denkwürdigen Tag gehabt.

Naja, aber jetzt, wo ja bald mein Abendessen auf dem Tisch steht, werde ich mich mal eben schnell duschen und den Tisch decken. Ich beschließe, letzteres zuerst zu machen, weil ich dann mehr Zeit zum Duschen habe. Gesagt, getan; zwei Minuten später steht ein Gedeck auf dem kleinem Esstisch und ich schäle mich gerade aus meinen Klamotten, damit ich unter das kühle Nass springen kann.

Seufzend stehe ich dann aber doch unter dem Wasserstrahl und lasse mir die H2O-Moleküle verschwenderisch ins Gesicht prasseln. Das Wasser läuft an meinem Körper hinab und ich greife mir blind das Duschgel, mit dem ich mich, wie es an der Verpackung steht, einreibe. Ah, das tut gut!

Wie wenig Zeit ich in den letzten zwei Tagen doch für eine ausgiebige Dusche hatte...

Das Klingeln an meiner Tür erinnert mich daran, dass ich auch jetzt keine Zeit für eine ausgiebige Dusche habe. (Mal wieder) Fluchend stelle ich schnell das Wasser ab, und springe aus der Duschkabine, woraufhin ich galant und äußerst schmerzhaft ausrutsche und mit dem Steißbein auf dem Boden lande. Scheisse, tut das weh.

Wieder klingelt es. Hat Selvall seinen Lieferanten keine Geduld eingepflanzt, oder was? Als ich noch bei ihm gearbeitet habe, wars jedenfalls so.

Gehetzt ziehe ich mir ein Handtuch aus dem Schrank im Flur, welches sogleich noch mindestens 10 weitere mitreisst und auf dem Boden verteilt, ehe ich es mir um die Hüften wickeln kann, mit einer Hand festhalte und - es klingelt abermals.

"JA, verdammt! Ich komme ja schon!", rufe ich so laut, dass es der Bote klar und deutlich verstehen kann und wahrscheinlich auch alle anderen Bewohner dieses Hauses. Immer noch fluchend reisse ich schließlich die Tür auf - mit der festen Absicht diesem verfluchtem Typen mal ordentlich die Leviten zu lesen - und mache genau das auch.

"Sag mal, spinnst du, verdammt nochmal? Wenn man nach zwei Sekunden nicht sofort auf der Matte steht, klingelt man sofort nochmal, oder was? Noch nie was von unpässlichen Situationen gehört? Bringt Selvall euch nicht mal me-"

Ich stocke. Scheisse! Das kann nicht wahr sein! Das DARF nicht wahr sein! Der Kerl, den ich die ganze Zeit angeschnauzt habe, hat mit verblüfft geweiteten Augen den Kopf gehoben und starrt mich an. Ich starre zurück. Das hier ist kein geringerer, als mein absoluter Traumtyp. Guten Tag, Kyle Morgan. Zu meiner üblen Anmache vielleicht noch ein Glas Sekt?

"Ääh..." Gott hasst mich! Ich weiß es! Jetzt ist es sicher!

"Tut mir Leid, wenn ich ungelegen komme...", fängt Kyle an und meine Augen kleben sofort an seinen Lippen. Schnell reisse ich mich von dem Anblick los.

"Kein Problem - sollte eher mir Leid tun... ich wusste gar nicht, dass Selvall jemand Neues eingestellt hat", sage ich und kratze mich verlegen im Nacken.

Er hält mir eine Tüte entgegen. "Tja... deine Bestellung".

"Danke..." Perplex nehme ich die Plastiktüte entgegen und starre ihn dann weiter an, bevor ich mir bewusst werde, dass ich erstens noch bezahlen muss und zweitens nur in ein Handtuch gewickelt vor DEM Kyle Morgan stehe, den ich gestern noch vor meinen Freundinnen beschwärmt hatte. Sofort schiesst mir die Hitze ins Gesicht.

"Wie du siehst, hab ich grad kein Geld. Willst du nicht reinkommen, während ichs raussuche?", frage ich vorsichtig und hoffe, dass er ja sagt. Und das tut er auch - indirekt. Er nickt knapp und tritt durch die, von mir einladend geöffnete Tür, in den Flur. Irgendwie ist er anders, als bei unseren anderen zwei Begegnungen. So... kühl? Abweisend? Knapp? Geschäftlich? Ok, letzteres war er beim ersten Mal auch, aber ansonsten...

Ich deute ihm, sich doch ins Wohnzimmer zu setzen, während ich schnell in mein Schlafzimmer hechte und mir dort meine lange Schlafanzughose überziehe, damit ich nicht mehr ganz so nackt bin. Dazu gesellt sich auch noch ein bequemer Pulli. Ich fühle mich gleich viel wohler... Schnell komme ich wieder ins Wohnzimmer zurück und lächle Kyle an. Wahrscheinlich wirke ich mehr als schüchtern. "Und? Wie kommst du zu dem Job, als Lieferant?", frage ich ihn, um die Stille zu brechen, die wie eine unbarmherzige Decke über der Wohnung liegt.

"Ich brauchte eben Geld und der Grieche bot sich an", erklärt Kyle und sieht zu mir auf. Himmel, wie kann ein Mensch so schöne Augen haben?

"Bei mir wars ungefär genauso", grinse ich und fange schonmal an so zu tun, als suche ich in meiner Kommode nach dem Portemonnaie, obwohl ich genau weiß, dass es auf dem Küchentisch liegt.

Anscheinend würd Kyle auf meine Bemerkung aufmerksam und sieht mich schief an. "Deshalb also hat der Alte mich so gehetzt. Wenn man einem seiner alten Leute was liefern soll ist er immer so drauf. Aber nur, wenn er sie mag..."

Ich lächle ihn an. "Oho, ich stehe auf der Liste der Gemocht-werdenden? Was für eine Ehre".

Nun bringt auch er endlich ein Lächeln zustande. Hilfe, wo sind meine Knie hin und was macht der Wackelpudding an ihren Plätzen?

Ich schaue auf die Uhr, die an meiner Wand hängt. "Hättest du Lust noch ein Weilchen hier zu bleiben und was zu trinken?", frage ich ihn unsicher. Wenn er jetzt "Nein" sagt, versinke ich aufgrund des peinlichen Flirt-Versuchs im Erdboden.

"Ja, gerne", meint er stattdessen und ich habe das Gefühl, dass mir bald die Ohren vor lauter dauergegrinse vom Kopf abfallen. "... aber ich muss noch arbeiten".

"Kein Problem", strahle ich sofort und schnappe mir das Telefon, welches praktischerweise auf der Kommode platziert ist. Er sieht mich überrascht an, aber ich mache mir nicht die Mühe ihn aufzuklären. Selvall wird schon verstehen, wenn ich mir mal kurz einen seiner Lieferanten ausleie. Wer würde sich diese Chance schon entgehen lassen?

"Restaurant Selvallan. Was kann ich für Sie tun?" Ist das ein Praktikant? Gott, ich sollte da wirklich mal wieder öfters vorbeischauen!

"Hi, hier ist Marc Terrence. Könnten Sie bitte Selvall sagen, dass ich dran bin?"

"Ja, sofort".

Ich muss warten, lausche den typischen Kochgeräuschen, die im Hintergrund scheppern und werfe Kyle einen Blick zu, der immer noch im Sessel sitzt und sich neugierig umschaut.

"Selvall hier. Was ist Jungchen? Willst du dich über den Lieferanten beschwehren?", drängt sich schließlich doch noch Selvalls Stimme in mein Ohr.

"Nein, nein - der Lieferant ist mehr als in Ordnung", grinse ich sofort in den Hörer und zwinkere Kyle zu. War das jetzt zu gewagt? Selbstzweifel, gib Unsicherheit die Hand und wir tanzen zusammen Ringelreigen...

"Was ist es dann, Marc?"

"Würdest du mal Kyle entbehren?"

"Ohooo! Daher weht der Wind!" Ich kann das Grinsen deutlich aus Selvalls Stimme raus hören. "Ich glaube, bei dem hast du gute Chancen. Wenn Kyle nicht stockschwul ist, fress ich nen Besen. Dann bagger mal ordentlich und wenn ihr Montag nicht zusammen seid, dann musst du seine Fehlstunden nacharbeiten".

"Danke und bis Montag", gebe ich lachend, wenn auch leicht rot um die Nase, zurück und lege auf.

"Oookee...", langsam drehe ich mich zu Kyle um. "Was alkoholisches oder doch lieber Tee? Wasser? Kaffee? Orangensaft? Milch?"

Kyle lächelt und sieht dabei einfach umwerfend aus. "Ich nehme einen Kaffe-" Irgendwie werden heute viele Leute mitten im Satz unterbrochen. Unter anderem ich selbst.

Kyle wurde dies durch die Türglocke. Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch und gehe zu meiner heiligen Forte um einen Blick durch den Türspion zu erhaschen. Bis 9 Uhr Abends ist die Haustür unten nicht abgeschlossen, also könnte theoretisch jeder asoziale Schläger hier rein kommen. Oh-oh! Schlimmer!

Verzweifelt drehe ich mich um und presse meinen Rücken an die Tür, während ich mich gehetzt umsehe - nach was, weiß ich selbst nicht. Erneutes Klingeln.

Ein fragend schauender Kyle kommt aus dem Wohnzimmer und sieht mich skeptisch an, als er mich so da stehen sieht.

"Das Grauen!", forme ich lautlos mit meinen Lippen und ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Wenn Miss Helena nicht vor meiner Tür stehen würde und wahrscheinlich ganz sicher weiß, dass ich da bin, würde ich bei dem Anblick dahin schmelzen. Mein Pech, dass sie da ist...!

Schließlich gebe mich mir jedoch einen Ruck, drehe mich um und entriegele die Tür. "Hallo" ...miese Hexe von einem durchtriebenem Weibsstück... "Was führt Sie so spät abends noch zu mir?" Ja, das frage ich mich wirklich! Ist sie nur hier um auch die letzten Chancen, die ich bei Kyle noch habe zu zerstören?

"Ich wollte Ihnen nur noch mitteilen, dass sich das Abendessen verschoben hat. Leider habe ich Freitags einen Termin, den ich heute Morgen nicht berücksichtigt habe und kann erst Samstag", sagt sie und mein falsches Lächeln verzieht sich zu einer von Grauen gezeichneten Fratze. Verzweifelt drehe ich mich halb in der Tür um und starre hilfesuchend zu Kyle.

"Ja... ähm... ich weiß nicht, ob das geht, weil..." O Gott! Was soll ich nur tun? Kyle, auch, wenn du mich nicht näher kennst und noch nicht mal weißt, wie meine Eltern heißen: HILFE!

"Also? Das geht doch, oder? So als Essen zwischen Vermieterin und Mieter?" Wiederholt die sich immer? Himmel, wo ist mein Schutzengel?

"Das muss ich Sie leider enttäuschen", meint plötzlich Kyle und tritt von hinten an mich heran, schlngt einen Arm um meine Hüfte. Sofort laufen mir heiße und kalte Schauer über den Rücken und die Organe in meinem Bauch spielen Karruselfahren. So fühlt es sich jedenfalls an.

Verwirrt sieht meine abtrünnige Vermieterin, die sich im Laufe des Tages in ein braves Kleid, welches an ihr trotzdem wie ein Dominadress aussieht, gezwängt hat, uns beide an. "Wie darf ich das verstehen?", fragt sie. Genau, Kyle! Wie darf sie das verstehen?

"Samstag ist Marc schon mit mir verabredet", sagt Kyle jedoch klar und deutlich, während er mich etwas näher an ihn zieht. "Sie verstehen?"

Und wie sie versteht! Schneller als ich es je für möglich gehalten hätte, stammelt Miss Helena ein "Oh... ja... vielleicht ein andernmal, nicht?" und verschwindet die Treppe nach oben, in ihre schicke Dachwohnung.

Mit einem dicken Fragezeichen auf der Stirn mache ich die Tür zu und drehe mich zu Kyle um. "Oh Mann... danke! Ich wusste ja schon nicht, wie ich das Abendessen Freitags ohne meinen Kumpel Dan überlebt hätte, aber jetzt bin ich sie wohl für erste los".

"Kein Problem", lächelt Kyle und schaut dann auf seine Armbanduhr. "Entschuldige, aber ich muss jetzt weg".

Verwirrt starre ich ihn an. "Was? Wieso? Selvall entbehrt dich doch und..." WAH! Er hat mir seinen Zeigefinger auf den Mund gelegt, was natürlich sofort gewünschte Wirkung erziehlt, da ich mich viel zu sehr auf das Gefühl seiner Haut auf meinen Lippen konzentriere, als dass ich noch vernünftig sprechen könnte.

"Ich muss nach Hause, sonst ist da die Hölle los. Mein Bruder wollte mich noch unbedingt zu so einer offiziellen Veranstaltung mitschleppen". Er seufzt. "Tut mir Leid".

"J... ja... schade..." Verdammt, wieso hat er seine Hand immer noch nicht zurück genommen? Ich bin nahe daran meine Selbstbeherrschung zu verlieren und hier und jetzt über ihn her zu fallen. Herrgottnochmal, wieso muss mir auch gerade jetzt wieder sein Geruch in die Nase steigen? Ich schmelzeeee...

"Bis irgendwann dann, nicht wahr?", sagt er und macht die Wohnungstür hinter mir auf.

"Wa...? Aber... moment!", halte ich ihn auf und mein Hirn versucht eine logische Ausrede dafür zu finden. "Ich... äh... ich... habe noch gar nicht bezahlt!"

Erleichtert mich so gimpflich aus der Misere gewunden zu haben, atme ich erstmal aus und hole mein Portemonnaie - zusammen mit Stift und Zettel.

Mit einem fetten Fragezeichen im Gesicht nimmt er Geld und besagte Utensilien entgegen und ich bin gezwungen ihm zu sagen, was ich erwarte. "Telefon- und Handynummer bitte", strahle ich wie ein verliebter Teenager und hoffe, dass ihm das nicht allzu extrem auffällt.

"Deine hätte ich aber auch gern...", meint Kyle leiser als nötig, während er seine Nummern auf das Papier kritzelt.

"Gerne", entgegne ich, nehme das Zettelchen entgegen, reisse die unbeschriebene Hälfte ab und schreibe dort meine Nummern auf. Scheisse, ich war lange nicht mehr so glücklich.

"Na dann: bis bald", verabschiedet sich Kyle lächelnd und verschwindet die Treppe runter.

"Schönen Abend noch!", rufe ich ihm hinterher, ehe die Haustür ins Schloss fällt.

Gratulation Marc; du hast nun den geilsten Kerl dieses Landes an der Angel.
 

Selig tänzel ich durch das Haus, drehe die Musik laut auf und tanze total überdreht auf dem Sofa herum, bevor ich vor lauter Euphorie zu erschöpft bin mein Abendessen zu verschlingen, mir die Zähne putze und mich ins Bett fallen lasse. Kann der Tag noch besser werden? Nein... oder vielleicht doch... ich könnte mir da eine heiße Sexszene in meinem Flur vorstellen, aber... bevor es dazu kommt, müssten Kyle und ich erst mal zusammen kommen!

Ich bin wirklich unverbesserlich; da hab ich grad mal seine Nummer und schon male ich mir Zukunftspläne aus. Naja, wer wird es mir verübeln, nach dieser Aktion mit meiner Vermieterin? Hach, ich bin ja so glücklich!

Donnerstag

Donnerstag

Heute bin ich ausnahmsweise mal energiegeladen und sehr, sehr glücklich aufgewacht, was mich zu der Vermutung verleitet, dass der Tag nur gut werden kann.

Hoffen wir, dass sich diese Vermutung nicht als Fehlschlag erweist.

Überglücklich stopfe ich nach der allmorgendlichen Katzenwäsche vorsorglich mein Handy in meinen Rucksack und will gerade von dannen ziehen, als ebendieses klingelt. Erschrocke, überrumpelt und gleichzeitig hibbelig wie ein kleines Kind pfeffere ich meinen Rucksack zurück auf den Boden und krame in aller Eile das handy hervor. "Ja?", grinse ich vor lauter Freude in den Hörer. Natürlich erwarte ich Kyle am anderen Ende der Leitung zu hören, aber meine Erwartungen werde derbst enttäuscht.

"Guten Morgen, mein Engel".

Ich erstarre mitten in der Bewegung, was sehr komisch aussehen muss, da ich mein linkes Bein in der Luft habe, den Arm vorgestreckt und nur Zentimeter von dem Rucksackhenkel entfernt. Mein Hals fühlt sich plötzlich beklemmend trocken an und ich bringe kein Wort heraus. Einige Minuten herrscht Stille, dann ergreift die Person wieder das Wort. "Ich bin erst seit kurzem wieder hier. Ich..."

Erwartungsvoll halte ich den Atem an. "Du?", helfe ich der Person am anderem Ende nach. Gott, wie lange habe ich diese Stimme nicht mehr gehört?

"Ich... ach Scheisse! Gott, Marc... ich vermisse dich".

Das hat gesessen. Mein Atem hat sich beunruhigend verschnellert und plötzlich bin ich mir sicher, dass er laut wie ein Elephantentrtompeten sein muss. Wetten, die Person, deren Namen ich mich weigere auch nur zu denken, kann sogar meinen erhöhten Herzschlag hören kann? Scheisse! Scheissescheissescheissescheisse! Gottverdammter Mist nochmal! Was will der plötzlich wieder von mir? Hallo?

"Selbst Schuld", höre ich mich tonlos sagen und versuche mein anderes Ich, welches im Moment anscheinend die Kontrolle über meinen Körper übernommen hat, gedanklich niederzustechen. "ICH bin nicht ohne einen Ton zu sagen nach Australien abgereist". KANN JEMAND DIESES HERZLOSE DING ABSTELLEN, DAS SACHEN SAGT, DIE ICH NICHT SAGEN WILL???

"Oh...", kommt es traurig aus dem Hörer und mein Innerstes verkrampft sich unangenehm. "Ja... ich..." -Moment! War das eben ein Schluchzen?- "...tut mir Leid... ich wollte nicht stören. Ich... wir... bye". Und aufgelegt.

Kraftlos sacke ich auf die Knie und starre mein Handy an. Das kann doch nicht wahr sein! Das kann doch verdammtnochmal nicht wahr sein! Da verbringt man ein ganzes Jahr damit diesen erbärmlichen Schwachkopf aus seiner Gefühlswelt zu verbannen und kaum das man denkt, man hat es geschafft und einen neuen, fetten (und überaus geilen) Fisch an der Angel; da kommt er wieder an und denkt, dass plötzlich wieder alles im Reinen ist? ARSCHLOCH!

Verbittert merke ich, wie mir die Tränen aufsteigen. Siehst du das? Ich hoffe, du hast einen Riesenberg Schuldgefühle, Idiot! Schniefend wische ich mir einmal über die Augen und rappel mich dann wieder auf. Keine Zeit für Gefühlsduselei. Mein Chef wartet. Glücklich über diese Ablenkung schlurfe ich aus meiner Wohnung, schließe hinter mir die Tür ab, registriere nebenbei, dass mir meine Vermieterin überraschenderweise gar nicht auflauert und schlurfe apathisch weiter, bis ich vor dem Fotoshop ankomme, der auch schon auf hat. Schon etwas munterer schleppe ich mich die Stufen hinauf, mache die Tür auf, die mein Kommen mit einem überschwänglichem Klingeln ankündigt, werfe der Frau hinter dem Thresen ein Guten-Morgen-Lächeln zu, geselle mich zu ihr und werfe meinen Rucksack gewohnheitsgemäß gegen die Hintertür. Die Frau sieht mich komisch an. Ich sehe komisch zurück. Moment mal... ist das nicht eigentlich mein Platz? Ich mein; meiner GANZ ALLEIN? Was hat dieses Weibsbild hier zu suchen? Irritiert ziehe ich die Augenbrauen zusammen und mustere sie von oben bis unten. Ein schönes Exemplar Frau. Auf jeden Fall weniger dominahaft und erschreckend als Miss Helena, aber trotzdem: "Was machen Sie hier?"
 

Schnell verbessere ich mich: "Ich meine; ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber... eigentlich arbeite ich hier allein".

"Oh", flötet sie und schwingt graziel ihre blonde Dauerwelle über ihre zierliche Schulter nach hinten. "Der Chef hat mir davon erzählt. Er warnte mich, dass wahrscheinlich ein Kerl hier rein kommen würde, der behaupten würde, das hier wäre sein Arbeitsplatz". Ich nicke bekräftigend, auch wenn ich das Ganze nicht verstehe. Aber trotzdem: es IST ja auch mein Arbeitsplatz!

"Nun", sagt sie und lächelt mich schalkhaft an. "Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass sie gefeuert worden sind. Heute Morgen."

Ich erstarre. Wie bitte? Ich. Bin. Gefeuert?! O... mein... Gott! Perplex starre ich sie an und fasse mir an den Kopf. "Ah... aha... ja...", stammle ich und starre sie weiterhin an. Ich bin gefeuert? Wurde rausgeschmissen? Ohne jegliche Vorwarnung? Gelten in Fotoshops andere Gesetze, als sie im Arbeitsschutzgesetzbuch stehen? Wahrscheinlich ist mein Chef - sorry... EX-Chef - Hintermann des Bürgermeisters. Arbeitet beim FBI! Moment... wir sind hier nicht in Amerika - das geht gar nicht. Aber arbeitet Superman nicht auch auf der ganzen Welt?

Aufgewühlt fahre ich mir durch die Haare und werde erst von dem Gewinke der blonden Frau in die Gegenwart zurückgeholt.

"Entschuldigen Sie", meint sie und schlägt die Augen nieder. Anscheinend ist ihr das Ganze auch unangenehmer, als sie tut. "Aber könnten Sie bitte hinter dem Thresen weggehen? Ich... das ist jetzt mein Arbeitsplatz und ich soll Ihnen vom Chef sagen, dass Sie bloß nicht versuchen sollen, mich hier wegzudrängen. Sie verstehen? Entschuldigen Sie..."

"Schon gut", krächze ich heiser, hole meinen Rucksack und gehe zur Tür. "Und noch was", füge ich hinzu, bevor ich durchgehe. "Sagen Sie dem Chef, dass er das größte Drecksschwein ist, dass ich jemals kennen gelernt hab. Nein, warten Sie! Das ZWEITgrößte! Danke". Bloß weg hier!

Die kleine Ladenglocke klingelt mir hinterher, als wolle sie mir auf Wiedersehen sagen. Komisch... meine Gedanken schweifen sogar schon zum Kitsch ab. Wahrscheinlich bin ich einfach noch viel zu apathisch. Ruhig gehe ich die Straße entlang zum Park. Ich habe das Gefühl, in meinem Bauch ist so viel Energie angestaut, dass ich platze, wenn sie nicht bald raus kommt.

Aber ich unternehme nichts, um sie wieder los zu lassen. Erst, als ich fast beim Park angekommen bin, wallt Wut auf. Erst ganz wenig. So ein bisschen Na-ist-doch-wahr!-Wut. Dann kommt die Jetzt-reichts-aber!-Wut und kurz darauf habe ich das Gefühl, meine Eingeweide brennen. Mann, bin ich sauer! (Das ist die dritte Stufe: die Ich-bring-dich-um!-Wut)

Meine Schritte werden immer straffer und schneller. Die Leute werfen mir schon komische Blicke zu. MIR EGAL! Endlich bin ich im Park angekommen und kann meinem Frust freien Lauf lassen.

"Gottverdammte Scheisse! ICH HASSE ES! ICH HASSE ES! ICH HASSE ES! MANN! ICH BRING EUCH ALLE UM!!!!", schreie ich aus Leibeskräften, werfe dabei meinen Rucksack mit voller Wucht zu Boden - das Samsas Traum Album hat sich sowieso schon in die Ewigen Jagdgründe verabschiedet - und fuchtel/springe/trete/schlage dabei so wild um mich, dass einige Passanten die Flucht ergreifen. Allen voran eine ältere Dame, die wohl meint, die Morddrohung wäre an sie gerichtet gewesen. Ich wüte auf einem Rasenstück herum. So lange, bis ich kaum mehr die Kraft habe, normal zu laufen und meine Stimmbänder den Geist aufgegeben haben. Gefrustet, aber beruhigt, mühe ich mich zu einer Parkbank ab und lasse mich kraftlos darauf fallen. Warum? Warum? Schon wieder musste ich feststellen, dass Was-auch-immer-da-oben-ist eine Abneigung gegen mich hat. Ich bitte euch! Da gehts mir prima, mein Job läuft gut und ich habe einen neuen Freund in Aussicht, der mich nicht nur vertrösten soll... da schlägt der Blitz ein und WUMM! fliegt alles in Fetzen.

Zuerst mal schaltet sich mein Ex ein: meine gute Laune sinkt sofort unter den Gefrierpunkt ab. Dann verlier ich meinen Job: meine gute Laune erreicht tiefen, von denen man noch nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Somit wären alle drei Punkte erledigt und abgehakt. Gott, wie ich das hasse!

"Na? Schlechten Tag gehabt?", spricht mich jemand von der Seite her an.

"Nein, schlechtes Leben", gebe ich zurück und vergrabe mein Gesicht in den Händen. "Wieso wird immer dann alles über den Haufen geworfen, wenn man denkt, das wäre nicht möglich?"

Eine tröstende Hand legt sich auf meinen Rücken. "So ist das doch bei allen Dingen des Lebens... man hat nie die vollständige Kontrolle darüber. Das Leben ist ein Spiel und man muss geschickt spielen. Manchmal hat man eben den Schwarzen Peter auf der Hand".

Tolle Lebensweisheit. "Dann hab ich wohl gerade das Game Over erreicht", seufze ich und sehe zu meinem Gegenüber. Ein Mann um die 60 sieht lächelnd zurück.

"Möchten Sie darüber reden?", fragt er freundlich und sofort bricht irgendein Damm in meinem Inneren. Ohne Punkt und Komma rabarber ich den Mann zu. Angefangen mit meiner Geburt in einem Schuppen in der Nähe von Oxford, während es draussen in Kübeln schüttete, bis zu den Rauswurf, den ich gerade hinter mir habe. Natürlich wird auch nicht meine Schulzeit als 24-Stunden-Loser ausgelassen, geschweigedenn von meinen engstirnigen Eltern, die sich von mir abwandten, kaum dass sie wussten, dass ich schwul bin.

Der Mann hört mir die ganze Zeit schweigend zu, reicht mir ein Taschentuch, als ich anfange zu schniefen und wirft ab und an einen Blick auf die Uhr, was ich aber ignoriere. Er hat gefragt, ob ich reden will, dann soll er sich auch anhören, was ich zu sagen habe. Egal, wie lange das dauert!

Schließlich ende ich und starre stumm auf den Kieselsteinweg, auf dem hier und da Verpackungspapier oder ein Zigarettenstummel liegt.

"Das ist in der Tat hart", gibt irgendwann der Mann von sich und ich sehe ihn an, während er fortfährt. "Aber es gibt noch viele andere Menschen, denen es um einiges schlimmer ergeht, als es ihnen passiert ist. Seien Sie froh, dass ihr Leben noch einigermaßen heil ist und Sie es mit ein wenig Mühe wieder aufbauen können. Natürlich erlebt niemand ein durchgängig wundervolles Leben! Jeder hat seine großen und kleinen Problemchen. Überlegen Sie erst einmal, was Sie für ihren alten Freund empfinden. Dann, was Sie für Ihren neuen... ähem... Schwarm empfinden und entscheiden Sie sich. Danach ist dann mal eine Jobsuche angelangt. Ich bin mir sicher, dass es noch einige Fotoshops in der Stadt gibt, die nur darauf warten, dass ein engagierter, junger Mann, wie Sie einer sind, daher kommt und nach einer Stelle sucht. Versuchen Sie das mal! Nun, wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen? Ich war eigentlich auf dem Weg, meine Enkel von der Grundschule abzuholen... Viel Glück, mein Lieber". Dankbar lächle ich ihn an, nicke und stehe zeitgleich mit ihm von der Bank auf.

"Vielen Dank! Ich wüsste nicht, was ich getan hätte, wenn ich Sie nicht getroffen hätte! Auf Wiedersehen und einen schönen Tag noch", sage ich erleichtert, schüttel dem Mann die Hand und wende mich Richtung Pizzeria Selvall. Hinter mir höre ich noch ein nett gesagtes "Gern geschehen" und schon macht sich auch der Mann auf, seine Dinge zu erledigen.

Ob Kyle schon Vormittags in der Pizzeria arbeitet? Ich weiß es nicht, aber es wäre schön ihn zu treffen. Aber erst mal steht ein Gespräch mit Selvall im Vordergrund. Ausserdem arbeitet dort in der Nähe auch Jo, also kann ich sie gleich auch mit einbeziehen. Ach, wenn ich meine Freunde und alte, wildfremde Männer, die mich ohne Vorbehalte ansprechen, nicht hätte...

Auf dem Weg zu Selvalls Pizzeria komme ich an der Boutique vorbei, in der Jo arbeitet und winke ihr, durch das Glas hindurch, zu. Sofort winkt sie zurück und ich bedeute ihr mit Zeichensprache, dass sie doch mit mir zu Selvall gehen soll, weil ich mit ihr sprechen will. Im Nachhinein denke ich, dass es doch passender wäre, wenn Kyle noch nicht dort arbeitet...!

Jo kommt raus und wirft sich im Gehen noch einen Mantel über. "Was ist denn?", fragt sie sofort besorgt nach. Klar, sie hat natürlich auf der Stelle gemerkt, dass es mir schlecht geht. Super!

"Erzähl ich dir, wenn wir bei Selvall sind. Ich möchte, dass ihr beide mir Ratschläge gibt". So hätte ich die Meinung von drei Parteien. 1. der Aussenstehende (alter Mann), 2. die Insiderin (Jo) und schließlich 3. der Insider, der zudem auch Kyle kennt (Selvall).

Schneller als mir wirklich lieb ist, sind wir bei der Pizzeria angekommen und treten in die wohltuende Wärme, die unsere Wangen brennen lässt, weil wir gerade aus der Kälte kommen.

Hinter dem Thresen steht ein neuer Angestellter. Ich kenn ihn nicht. Sachlich sage ich ihm, dass er gefälligst den Koch holen soll, weil ich und meine Freundin - ich ziehe Jo mit einem grimmigen Gesichtsausdruck näher an mich - eine Beschwehrde einzureichen haben. Als der Typ weg ist, bricht Jo in unterdrücktes Gekicher aus und hält sich die Hand vor den Mund. Wenn der Kerl wüsste, wie hochgradig wir denn gerade verarschen...! Ich kann mir das breite Grinsen nicht mehr verkneifen, als er mit einem sinkwütendem Selvall im Schlepptau auftaucht und uns feixend ansieht. Scheint wohl zu denken, dass wir jetzt ordentlich zusammengeschissen werden. Pech gehabt, Kleiner! Selvall grummelt uns halbherzig böse an, als er uns erkennt und umarmt uns dann beide.

"Ist Kyle da?", will ich wissen und ziehe Jo und Selvall zu einem hohen Tisch, um den vier Barhocker stehen.

"Nein, ist er nicht. Was willst du denn, Marc?", fragt Selvall sofort höchstgradig neugierig, kaum, dass wir uns gesetzt haben. Meine Miene wird wieder ernster.

"Gut. Ich... ich muss mit euch reden."

Jo und Selvall sehen mich beide besorgt an und beugen sich über den Tisch, damit ich leiser sprechen kann und der eingebildete Fatzke hinter der Theke nichts mitbekommt.

"Ratet mal, wer heute Morgen angerufen hat!", fordere ich sie auf, ohne eine Antwort zu erwarten. "Das größte Arschloch der Welt: Adam! Einfach so! Nach dem Motto Hi-da-bin-ich-wieder! Als sei nichts passiert! So ein verfickter Bastard...!" Ich habe mich in Rage geredet und Jo legt mir besänftigend eine Hand auf den Unterarm. Langsam beruhige ich mich wieder und schnauze den Angestellten hinter der Theke an, er solle verschwinden und in der Küche den Boden ablecken, damit er uns nicht mehr zuhören kann. Erst bewegt er sich nicht, aber nach einem Blick von Selvall tut er, was von ihm verlangt wird.

Nun muss ich nicht mehr so aufpassen in welcher Lautstärke ich rede und erzähle meinen Freunden alles, was in den letzten Tagen passiert ist. Insklusive dem Ratschlag des alten Mannes.

Stumm sitzen wir danach da und hängen unseren Gedanken nach. Überlegen, was wir tun können.

"Ich denke, du solltest dir das, was der Mann gesagt hat, zu Herzen nehmen", meint schließlich Jo und rutscht vom Barhocker runter. "Ich muss wieder zur Boutique, ansonsten verlier ich auch noch meinen Job", ein tröstendes Lächeln zeichnet sich auf ihren Zügen ab, "ich wünsche dir viel Glück! Tu das Richtige!"

"Kein Problem! Verrätst du mir auch noch, was das Richtige ist?", entgegne ich und lasse mich von ihr umarmen, ehe sie aus der Pizzeria verschwindet. Um diese Zeit ist nie was los - trotzdem geht die Tür gleich nochmal auf und eine Kundin kommt herein. Selvall ruft nach seinem Angestellten, der die Bestellung entgegen nehmen soll. Tatsächlich erscheint er kurz darauf und kümmert sich darum. Ich sehe, wie er ab und zu unmerklich schmatzt, als wolle er einen Geschmack von der Zunge entfernen. Der hat doch jetzt nicht wirklich den Küchenboden abgeleckt, oder?

Ich mache mir keine weiteren Gedanken darum. Wie auch? Selvall hat sich abermals zu mir gebeugt und ich tue es ihm nach, lege meinen Kopf auf meinen Oberarm und schließe die Augen, während ich ihm zuhöre. "Ich finde auch, dass das, was der Alte gesagt hat, stimmt. Erstma über alles klar werden, meinst du nicht? Für wieviele Monate in deiner Wohnung hast du denn noch Geld?"

"Ungefär 3 oder 4", überlege ich und reibe mir mit der freien Hand über das rechte Auge. "Die restliche Miete könnt ich ja mit meinem Körper bezahlen". Ich öffne probeweise die Augen, um zu sehen, was für ein Gesicht Selvall macht. Er starrt mich vollkommen fassungslos an. "He! Ich hab gesagt, ich KÖNNTE, nicht, dass ich das tatsächlich auch MACHE! Ist ja eklig...", beruhige ich ihn und grinse schelmisch. "Das hast du jetzt nicht wirklich ernst genommen, oder?"

"Uhm... doch... doch, schon", gibt er etwas verlegen zu und mein Grinsen verbreitert sich.

"Das würde ich NIE machen!", sage ich nochmal nachdrücklicher und richte mich wieder ordentlich auf.

"Jaja, schon klar", winkt Selvall nun etwas genervt ab und sieht mich grummelig an. Er mag es nicht, wenn er im Unrecht ist, oder etwas denkt, was nicht stimmt. "Und was hast du jetzt vor?", fragt er noch.

Ich seufze. "Da ihr ja alle das Selbe gesagt hab, werde ich mir entweder noch eine Meinung einholen und dann darüber nachdenken, oder ich mache einfach das, was ihr alle gesagt habt".
 

"Wie wärs mit meiner Meinung?", erklingt da eine Stimme von hinten. Oh-oh! Die kenn ich doch! Wie vom Blitz getroffen wirbel ich auf meinem Hocker herum, verliere dabei das Gleichgewicht und kann mich nur mit Müh und Not am Tisch festklammern.

"Ah! Erschreck mich doch nicht so!", keuche ich mit immer noch schreckgeweiteten Augen und sehe Kyle an, der mich breit angrinst. Wie kommt der hier rein? Ich habe ihn nicht durch die Tür gehen... ach mann! Du bist echt bescheuert, Marc! Es gibt doch noch einen Hinteraus bzw -eingang.

"Entschuldige, das wollte ich nicht", meint er lächelnd und lehnt sich mit den Ellbogen auf den Tisch, an dem ich mit Selvall sitze. "Guten Tag", begrüßt er seinen Chef und lächelt diesen ebenfalls an. Gott, ist der zuvorkommend! Sowas von nett!

Nein, ich darf nicht schon wieder ins Schwärmen geraten! Schon gar nicht, wenn ich eigentlich darüber nachdenken sollte, was ich für Adam empfinde.

Trotzdem lächle ich Kyle flackernd an und stehe dann auf.

"Ich muss leider gehen, Selvall. Mir die Stellenangebote durchsehen... danke, dass du mir zugehört hast", sage ich zu meinem Freund und umarme ihn fest. "Schön, dass du da bist!"

Er lächelt mich warm an, was in dreiteufelsnamen verdammt selten vorkommt!, wuschelt mir durch die Haare und verschwindet kurz darauf auch schon wieder in der Küche.

Etwas weniger unsicher drehe ich mich zu Kyle um. "Tut mir Leid, aber ich kann nicht hier bleiben", versuche ich zu erklären.

"Mmh... wieso musst du dir die Stellenangebote durchsehen?", fragt er, ohne auf mein Gesagtes einzugehen und sieht mich aufmerksam an. Sofort bildet sich ein Rotschimmer auf meinen Wangen. Ich bin mir ganz sicher!

"Mein Chef hat mich heut Morgen rausgeworfen", gestehe ich seufzend und werde dabei wieder wütend. "Stell dir das mal vor! Mir-nichts-dir-nichts stand ich da und hatte keinen Job mehr! Was ist denn das! Hat der noch nie was vom Arbeitsschutzgesetz gehört? Das ist doch die Höhe! Allein, wenn ich schon daran denke, könnte ich....!" Grinsend legt er mir eine Hand auf die Schulter. "Na, komm schon runter! Wieso fragst du nicht Selvall, ob du hier arbeiten kannst? Dann könnten wir uns öfter sehen". Oh, vermisst er mich etwa? Wär schön, wenn...

"Das werde ich erst machen, wenn ich keinen anderen Job finde", grinse ich und tippe ihm mit dem Zeigefinger auf das Brustbein. "Nicht, dass ich dich nicht sehen will, aber ich will erst mal sehen, ob sich nicht vielleicht eine Arbeit finden lässt, die mir mehr Spaß macht, verstehst du?"

Er nickt wissend und mir fällt ein Stein vom Herzen. "Naja, ich muss dann! War schön, dich zu treffen. Bis auf bald", sage ich, drücke ihm einen Kuss auf die Wange, sehe feixend zu, wie er rot wird und trete aus der Pizzeria. Gut. Jetzt bin ich gut gelaunt und kann mir in aller Ruhe überlegen, was ich tun will.

Ruhig gehe ich zu meiner Wohnung, um mich dort mit einem heissen Kaffee und der Zeitung an den Küchentisch zu setzen.

Nach wenigen Blocks bin ich da, gehe die Treppe hoch, treffe dabei das kleine Kind einer anderen Mieterin, tätschel dem Knirps den Kopf, mache meine Haustür auf, schließe sie hinter mir wieder und ziehe mir die Schuhe aus. Auf dem Flur fallen mir die sauberen Handtücher auf, die dort vor dem Schrank verstreut liegen. Stimmt ja! Ich hatte gestern ganz vergessen, sie wieder einzuräumen, nachdem ich mir ein Handtuch gerobbt hatte. Lächelnd lege ich sie zusammen und räume sie wieder ein, bevor ich in der Küche verschwinde, mir den Kaffee mache und mich, nun als arbeitsloser Schmarotzer, mit einer Zeitung aufs Sofa setze.

Doch schon bald schweifen meine Gedanken ab und ich komme nach mehreren Stunden Nachdenken nur zu einem vernünftigem Schluss: ich muss Adam wieder treffen! Ansonsten habe ich keine Ahnung, was ich tun soll. Ich muss ihn wieder sehen, wissen, was ihn zu diesem Scheiss getrieben hat und sehen, ob es ihm wirklich Leid tut. Erst dann, kann ich die Seiten abwägen!

Es kostet mich mehr als nur ein bisschen Überwindung, zum Telefon zu greifen und selbst, als ich es in der Hand halte, sitze ich bloß schweigend da, starre auf die Ziffern und rühre mich nicht. Toll, Marc! Und wie lange soll das jetzt noch so weitergehen?

Schließlich ringe ich mich durch und beginne Adams Handynummer zu wählen. Ich kann sie selbst jetzt noch auswendig. Allerdings stoppe ich bei der vierten Ziffer und überlege. Will ich das wirklich? Was, wenn sich herausstellt, dass er mich kein Stück vermisst hat? Das würde weh tun. Schließlich habe ich ihn einmal geliebt. Liebe ihn vielleicht immer noch. Obwohl ich hoffe, dass es nicht so ist.

Doch dann reisse ich mich am Riemen und wähle erneut. Diesmal die ganze Nummer.

Zitternd und nervös halte ich mir das Telefon ans Ohr und wische meine schweißnasse rechte Hand an meiner Hose ab. Nimm ab, Idiot! Nein, nimm nicht ab! Sei nicht da! Dann kann ich sagen, ich hätte versucht dich anzurufen, dich aber nicht erreicht! Bitte, sei nicht da! Wieder einmal stellt sich alles gegen meinen Willen und es wird abgenommen.

"Hallo?"

"..."

"Hallo?"

"..."

"Ist da wer? HALLO?"

"..."

"Ok, darauf hab ich keinen Bock. Tschüss!"

Nein, gleich legt er auf! Verbissen presse ich meine Augen zu und verkralle mich im Stoff meiner Jeans.

"WARTE, DU DEPP!"

"..."

"..."

"... Marc?"

"..."

"Bist du das Marc? Sag doch was...!"

"..."

"Bitte! Oder hast du angerufen, um mich anzuschweigen?"

"... hallo, Arsch".

Stille am anderem Ende der Leitung. Ich weiß, was Adam gerade macht; er rauft sich die Haare. Das macht er immer, wenn ihm unwohl ist, er nervös ist, oder etwas nicht so läuft, wie er es geplant hat. "Hör mal, Marc... ich..."

"Schon klar", unterbreche ich ihn schroff. Meine Wut stärkt mir wieder den Rücken und lässt mich sicherer klingen, als ich bin.

"Ich ruf dich an, weil ich wissen will, was das sollte. Aber - NEIN! Sag jetzt nichts! Ich will keine Ausreden hören, kapiert? Können wir uns treffen? Wie wärs Morgen im Selvall?"

Adam seufzt. "Marc... "

"Ja? Ist was?"

"Ok... ok, ich komme! Aber bitte nicht zu Selvall! Da werden wir doch wohl kaum reden können, meinst du nicht? Ausserdem hab ich da wahrscheinlich Hausverbot".

"Stimmt, hast du", stimme ich zu. Dass das nur so ist, weil er mich verlassen hat, lasse ich hier mal ausser Acht. "Dann eben woanders".

"Im Dog-Palace?"

Ich lache bitter auf. "Ich will mit dir nicht schick essen gehen, sondern eine klärende Aussprache halten! Also lass die pickfeinen Restaurants draussen".

"Ist der Italiener neben dem Park, an dem ich wohne, ok?", versucht er es nochmal.

"Na... meinetwegen. Ich komme um 5 Uhr. Bis dann, Adam. Ich wünsche dir, dass sich deine Ausreden plausibel anhören. Ciao".

Und ich lege auf.

Wow!

Ich bin stolz auf mich! Wie glatt ich das Alles über die Bühne gebracht habe! Wahnsinn! Ich muss mir an dieser Stelle mal selbst auf die Schulter klopfen. Marc, du bist genial! Ich habe jetzt nur ein Problemchen: ICH HABE MICH ALLEN ERNSTES MIT MEINEM EX ZUM ESSEN VERABREDET!!! SAG MAL, TICK' ICH NOCH RICHTIG?!

Wah, was habe ich getan? Wie bescheuert bin ich eigentlich? Aussprache hin oder her: das hätten wir doch auch am Telefon erledigen können! Gratuliert mir zu meiner unvergleichlichen Dummheit! Ein hoch auf mein Erbsenhirn!

Völlig fertig rolle ich mich auf den Boden meiner Wohnung zusammen, bis es draussen anfängt zu schütten. Das lässt mein Weltbild wieder normale Konsistenz annehmen und ich raffe mich auf. Herrgottnochmal! Ich bin Marc! DER Marc! Ich lasse mich von sowas doch nicht unterkriegen!

Mit neuer Energie mach ich einen Seitensprung zur Dusche und lasse mich von ihr verwöhnen, bevor ich gut gelaunt Kev anrufe. Rose, Melinda, Daniel und Asta sind bei ihm und er lädt mich ein, doch auch zu kommen.

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und mache mich sofort auf die Socken.

Den Rest des Tages lasse ich mich bemitleiden, alber mit meinen Freunden herum und mache mir einen Spaß daraus, Daniel immer wieder beim Playstation zocken zu schlagen.

Um 10 Uhr Abends verabschiede ich mich bester Laune von meinen Schätzen - Meine Schääääääätzzeeeeeee! Mein Eigeeeeen! Gollum! - um ins Bett zu hüpfen und schlafe nach einer kleinen Katzenwäsche geschafft ein. Was ein Tag!

Freitag

Freitag

Hmm... das ist schön warm hier drin... sooo schön... und das Beste ist: Hey! Ich bin seit gestern arbeitslos. Toll. Es gibt niemanden, der auf mich wartet. Ich muss mich nicht beeilen...

...

...

Irgendwie deprimierendes Gefühl.

Zerknautscht wühle ich in meinem zerknautschten Bett herum und zerknautsche es so noch ein bisschen mehr. Blinzelnd öffne ich die Augn und schaue auf die zerknautschte Knautschlakenlandschaft.

Wie viel Uhr ist es eigentlich? Und wo ist mein Wecker?

Neugierig ziehe ich mich zum Rand des Bettes und spähe über die Kante auf den Fußboden herunter. Kein Wecker. Vielleicht unter dem Kissen da?

Ich hebe es hoch; ein Wecker. Super!

Aber er liegt auf dem Kopf. Ich kann die Uhrzeit nicht ablesen. Nach einigen, überaus verdrehten und absolut sinnlosen Bewegungen, die nur dazu führen, dass ich mir auf die Zunge beisse, stehe ich letzten Endes eben dann doch auf, gehe um den Wecker herum und beuge mich über ihn. 10:30 Uhr. O Gott! Wann habe ich das letzte Mal so lange geschlafen (Wochenenden und Ferien selbstverständlich nicht mitgezählt)?

Jetzt zähle ich also zu den Schmarotzern unserer Gesellschaft. Heidi ho, Arbeitslosengeld! ARGH! Ich brauche einen neuen Job! Und zwar schnell.

Frisch motiviert steige ich unter die Dusche, lasse mich beduschen, bleibe dort 20 Minuten lang, drehe das Wasser ab, steige wieder raus und rutsche volle Kanne auf dem überschwemmten Boden aus. Au, das tut weh!

Jetzt noch Toast mit Käse (Notiz an mich selbst: ich muss einkaufen gehen!) und dann raus aus der Wohnung; erste Stufe, zweite Stufe, dritte - "Mr. Terrence!" Verdammt!

Betont langsam drehe ich mich zu Miss Helena um und attakiere sie mit meinem patentiertem Ich-würde-ja-gern-noch-plaudern-aber-leider-muss-der-Mieter-seine-Miete-zusammenbringen-Lächeln an. Leider reagiert meine Vermieterin darauf immer total indiskret. Also überhaupt nicht. "Ja?"

Sie steht einige Stufen über mir - diesmal im braven Schulmädchenoutfit, aber selbst das sieht an ihr irgendwie extrem exhibitionistisch aus - und erwiedert das Lächeln freundlich.

"Ich wollte nur fragen, ob ich morgen mit Ihnen und Ihrem Freund Freund zu Abend essen kann. Ich meine, wenn ER nichts dagegen hat?" Typisch! Nach meiner Meinung wird natürlich nicht gefragt... aber... moment! Wah! Stimmt ja! Kyle hat sich ja morgen indirekt zu mir eingeladen! Ja, aber...! Das hat er doch nur gesagt, damit Miss Helena möglichst schnell vor meiner Tür abhaut, oder? War das etwa ernst gemeint gewesen? Und wenn ja; wieso weiß dann meine Vermieterin besser darüber Bescheid als ich? Das Schicksal schlägt in letzter Zeit ungewöhnliche Wege ein... vielleicht ist es auf Urlaub im Bermuda Dreieck? Das würde zumindest einiges erklären.

"Äh... uhm..." Denkomat? Lebst du noch? Mist. Vielleicht gibts ja irgendwo so einen Schlitz wo man Geld einwerfen muss, wie bei diesen Spielautomaten im Vorraum vom Kino, damit das Gehirn anspringt. Bei meinem war das Geld dann aber schon nach ziemlich schneller Zeit futsch. Aber ich brauche jetzt wirklich was geniales!

Angestreng überlege ich, versuche mir das nicht anmerken zu lassen und wiederstehe gleichzeitig dem enormen Drang, meinen Kopf auf irgendwelche Geldschlitze abzutasten.

"Alsooo", sage ich gedehnt und Miss Helena sieht mich erwartungsvoll an. Ich kann doch schlecht zusagen, oder? Ich meine, Kyle hat das doch aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht ernst gemeint, also hat er morgen vielleicht irgendwas wichtiges vor und wenn ich dann zusage und er kann nicht, dann... dann... dann muss ich da ALLEINE hin! Mama, ich hab Angst! "Ja, ich denke schon, dass das klappen könnte", stimme ich schließlich entgegen aller Vernunft zu.

Vorfreudig leckt sich meine Vermieterin mit der Zunge über die obere Zahnreihe und ich habe alle Mühe, nicht sofort die Flucht zu ergreifen. Was hat die Frau bloß mit uns vor? Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was in ihrem krankem Hirn herumspukt...!

"Gut", sagt sie und dreht sich halb auf der Stufe um, auf der sie steht, um wieder hoch zu gehen. "Dann sehen wir uns morgen so gegen 6 in meiner Wohnung? Geht das in Ordnung?"

"Ja...", nuschel ich hilflos und muss mit ansehen, wie sie mir zuwinkt und dann beschwingten Schrittes in ihren klappernden High Heels zwei Stockwerke nach oben verschwindet.

Nun kann mich für den Moment wirklich nichts mehr in diesem Treppenhaus halten. Schnell hechte ich die restlichen Treppenstufen hinunter, reisse die Tür auf und atme befreit die Abgasverseuchte Luft ein. Ja, ich weiß. Diese Stadt wäre wahrlich nichts für Landeier, wie mich. Oh! Habe ich gerade "wie mich" gesagt? Vergessen wir das bitte schnell. So, und wohin jetzt? Irgendwas hatte ich doch eben vorgehabt! Mein Gehirn ist wahrlich nicht aktiviert...
 

Doch dann springt es endlich wieder an. Jedenfalls hoffe ich das. Kann auch sein, dass der Zeitungsverkäufer, der gerade an mir vorbeiläuft und dabei ein großes Stück Pizza in sich hinein stopft die Ursache für meinen plötzlichen Gedankenschwung darstellt. Sogar sehr wahrscheinlich, diese Alternative.

Schließlich will ich zu Selvall, um bei ihm etwas in den Stellenanzeigen der örtlichen Zeitung zu schmöckern und danach zu Mittag vielleicht ein oder zwei Stücke Pizza zu verdrücken. Ja, irgendwie sehe ich da gewisse Zusammenhänge zum Zeitungsverkäufer...

Naja, egal! Vielleicht ist Kyle ja auch da? Nein. BITTE sei auch da, Kyle! Ich muss dir doch sagen, dass du morgen wohl oder übel mit mir und Miss Helena zu Abend essen wirst. Mann, ist das peinlich. So ein Scheiss aber auch...

Vor mich hin grummelnd biege ich in die Straße ein, in der sich Selvalls Pizzeria befindet und öffne die Tür des kleinen Restaurants. Wirklich klein. Selvall hat sich aufs Ausliefern spezialisiert und dementsprechend mager sind die Stühle und Tische in dem kleinen Raum verteilt.

Ich sehe niemanden. Nun gut. Vielleicht animiert die Türglocke ja irgendwelche Mitarbeiter mit freudestrahlenden Gesichtern und eingenebelt in erfrischende Frühlingsdüfte zum Thresen zu stürmen und voller Freude meine Nicht-Bestellung aufzunehmen? Nein, anscheinend nicht...

Dann eben die etwas radikalere Methode. "Argh! HILFE! Ich wurde angeschossen! Wieso hilft mir denn niemand?" Ich habe mich schlaff fallen gelassen und ziehe mich theatralisch am Tresen hoch. Vorsorglich habe ich eine Stelle gewählt, an der einige vertrocknete Ketchupspritzer den Boden bedecken. Zur Unterstreichung meiner Worte stoße ich mit dem Fuß noch einen Stuhl um und röchle hollywoodreif.

Ein Klirren ertönt im hinteren Teil der Pizzeria und hastige Schritte sind zu vernehmen. Keinen Atemzug später steht eine Praktikantin in der Tür und starrt mich aus feuchten, schreckgeweiteten Augen an.

Ich entscheide mich, ihr noch einen kleinen Schrecken zu verpassen. Sozusagen als Rache dafür, dass ich nicht sofort begrüßt wurde.

"Rache...!", bringe ich noch leise flüsternd und hustend hervor, ehe ich den Tresen loslasse und nach hinten umfalle, so dass sie mich nicht mehr im Blickfeld hat. Ein Schrei ertönt, ein Plums und dann ist es still.

Neugierig richte ich mich wieder auf, kratze etwas Ketchup von meiner Hose und gehe um den Thresen herum. Da liegt die Praktikantin. Allem Anschein nach ohnmächtig. Ein Grinsen stielt sich auf mein Gesicht. Hab ich etwa übertrieben? Ach was, das wars wert! Erneute Schritte, aber diesmal sehe ich mich meinem Ex-Chef gegenüber.

"O Gott! Was hast du wieder angestellt, du Nichtsnutz? Was hat sie?", ruft Selvall erschrocken, wie überrascht und kniet sich eilig über das Mädchen.

"Ach was", winke ich ab. "Ich hab doch gar nichts gemacht! Bin bloß durch die Tür rein, sie hat mich gesehen und ist umgefallen. Ich wusste zwar schon immer, dass ich umwerfend aussehe, aber das...!"

"Marc! Ich hab deine Schreie genau gehört!", tadelt Selvall mich, aber ich kann durchaus erkennen, dass er zumindest amüsiert ist. "Ach je... immer das Gleiche mit dir, mein Lieber. Wo du bist herrscht das Chaos".

Still stimme ich ihm zu, zucke aber lediglich mit den Schultern und grinse ihn nichtssagend an.

Gespielt verzweifelt richtet er die junge Frau auf, holt einen nassen Waschlappen und legt ihn ihr auf die Stirn. Ich sehe mäsig interessiert zu. Eigentlich geht mich das ja nicht so viel an. War ja bloß die Ursache, oder?

Also warte ich geduldig, bis sie die Augen aufschlägt, kurz erleichtert ihren Chef ansieht, sich dann umschaut, mich entdeckt und augenblicklich wieder in eine tiefe Ohnmacht sinkt.

"Siehst du? Was hab ich gesagt?", verteidige ich meine Behauptung von eben und meine Wangen zucken vor unterdrücktem Lachen.
 

Selvall starrt erst mich und dann die Praktikantin an, rollte mit den Augen, hieft die junge Frau auf seine Arme und schleppt sie in die große Küche hinter den Kulissen und legt sie auf ein Sofa.

"Guten Morgen, John", begrüße ich den grobschlächtig wirkenden, breiten Koch, der an einer der Arbeitsflächen lehnt und ein Messer schärft. Seltsamerweise tut er das immer, wenn ich vorbeikomme... ein Zeichen? Egal, ich will darüber nicht weiter nachdenken.

"Tag Marc", grölt John zurück und lacht laut. "Wie ich sehe, gab es schon die ersten Verletzten? Komm bloß nicht näher!"

"Ha-ha", sage ich trocken und grinse John an. "Und du? Bereitest du schon den nächsten Mord vor?"

"Natürlich", meint er und wedelt ein bisschen mit dem Messer herum. "Und rate mal, wer das Opfer sein wird!"

"Der liebe Selvall?", frage ich unschuldig lächelnd.

Er lacht. "Nein, der doch nicht. Du!" Aber bevor er auf mich zustürzen und wir uns eine kleine Balgerei leisten können, tritt Selvall dazwischen.

"Genug Bewusstlose für heute", erklärt er streng.

"Oooch", jammern John und ich synchron, sehen uns an und zucken dann gottergeben mit den Schultern. Ich habe mal miterlebt wie Selvall handgreiflich wurde und ganz ehrlich; ich möchte nicht die Zielscheibe seiner Aggressionen sein.

Dem Koch scheint es genauso zu gehen, denn er dreht sich wieder um und fährt mit seinem Messerschleifen fort.

Also wende ich mich wieder Selvall zu und läche ihn an.

"Und?", fragt er. "Wieso bist du hier?"

"Ich bin hier, weil ich dachte, ich könnte mich mal hinsetzen, durch eine Zeitung blättern und zwischendurch in ein dampfendes Stück Pizza beissen".

Nun lächelt Selvall zurück. "Ah, gut. Komm, setz dich hier hinten zu uns. Vorne ist das so ungemütlich... und bevor du fragst: Kyle bringt nur gerade eine Pizza zu nem Kunden. Er ist gleich zurück".

"Pff... das wollte ich gar nicht fragen", gebe ich halblaut meinen Protest kund, obwohl mir die Frage tatsächlich auf der Zunge gelegen hatte.

"Jaja", grinst Selvall und drückt mich kurzerhand auf einen der Stühle in der kleinen Sitzecke der Küche.

Ganz bequem kann ich mir von meinem ehemaligen Chef die Zeitung bringen lassen, während ich meine Beine hochlege. Wunderbar!

Als Selvall wieder zurückkommt stelle ich meine Füße aber wieder auf den Boden, damit er sich setzen kann, während ich einen Blick auf die mitgebrachte Illustrierte werfe. Ganz normales Großstadtblatt.

In der Pizzeria ist noch nicht viel los - wie gesagt - und darum kann der Küchenchef ein wenig neben mir ausspannen.

"Na? Schon einen Job vor Augen?", fragt er nach einer Weile und ich sehe auf.

"Nein, nicht wirklich. Wenn ich schon Gelegenheit dazu habe, würde ich gern mal eine Stelle ausprobieren, mit deren Tätigkeit ich nicht so vertraut bin. Möglichst etwas, wobei ich kein einziges Foto unter die Nase gehalten bekomme. Es sei denn, ich soll es vernichten". Ich ziehe ein gequältes Gesicht. Sicher bin ich Photoshoptraumatisiert!

Wieder lacht er und ich schicke ihm meinen besten, wenn auch völlig wirkungslosen, Deathglare.

Das Telefon klingelt. Sofort springt Selvall auf - ganz der pflichtbewusste Pizzeriaführer eben - und nimmt ab. Ein Kunde. Einmal Pepperonipizza. Bwuah, die mag ich nicht!

"... Sie können sie in zwanzig Minuten abholen", beendet Selvall das Gespräch und bleibt stehen, während er zum Vorraum schaut.

"Ich geh dann mal vorne schauen, ob alles in Butter ist. Bleib du mal hier und tu das, weshalb du hergekommen bist", sagt er und nickt mir zu.

"Roger", teile ich ihm mit, dass ich an Silben verstanden habe, was aus seinem Sprechorgan quoll und lächle ihn an.

Kopfschüttelnd und vor sich hin murmelnd verschwindet er durch die Tür nach vorne.

Bis auf das Geräusch des Messerschleifens ist die Küche jetzt still. Unangenehm.

Doch John wendet sich schon nach wenigen Sekunde dem neuestem Auftrag zu - und zwar der Pepperonipizza.

Schon angenehmer. Ich schlage die Zeitung auf und blättere ein wenig in ihr herum, bis ich zu den Stellenazeigen gekommen bin. Ehrlich mal: ich kann mit dieser komplizierten Falt - und Seitentechnik der Zeitungen nicht umgehen. Dauernd fallen mir die Blätter aus den Seiten, ich verwurschtel irgendwas und kann stundenlang eine bestimmte Seitenzahl nicht finden. Wer hat sich dieses Sytem bloß ausgedacht? Dieser Mensch genießt meine volle Missachtung.

Dementsprechend sieht es auf dem Tisch, neben meinem Stuhl, jetzt auch aus. Papierberge wohin das Auge sieht. Ach, ich schäme mich ja so...!

Blindlings greife ich nach einem Stift, erwische erst eine Gabel, dann eine Scheibe Gauder und letztendlich in die Keksdose, bevor ich das Gesuchte auch finde und anfange die Arbeitsangebote einzukreisen, die sich nicht anhören, wie gerade eben ausgekotzt.

Die Zeiger der Uhr wandern stetig weiter und schließlich wird - endlich - die Küchentür aufgestoßen und Kyle steht im meinen Blickfeld. Er sieht nicht sehr glücklich aus... Zeit für meinen Ich-muntere-jeden-auf-und-wenn-ich-Gewalt-anwenden-muss-Charme!
 

"Kyle!", rufe ich erfreut und winke ihm zu, wobei man von Glück reden kann, dass ich die Altpapierberge, die einst zu der Zeitung gehörten, die ich gerade lese, nicht auf dem ganzen Küchenboden verteile.

Das Gesicht meines Angebeteten - Ja, ich stehe dazu. Steinigt mich, wenn ihr wollt. - erhellt sich und er lächelt mich an. Ha! Das ist allein mein Verdienst! Meiner! "Hallo Marc. Was machst du hier?", fragt er und zieht sich das dämlich anmutende Pizzabotenhütchen vom Kopf.

"Ach, ich wollte nicht allein in der Wohnung rumsauern, wenn ich doch auch hier sein kann", antworte ich wahrheitsgemäß und deute einladend auf den Stuhl neben meinem. "Setz dich doch".

Schnell springe ich auf und stopfe die Zeitungsseiten in den bereitstehenden Mülleimer, damit ich Kyle auch sehen kann, wenn er mir gegenüber sitzt.

Lachend verfolgt er meine Bemühungen und nimmt die Einladung an. Irgendwie sieht er erschöpft aus. Soll ich ihn auf die Hiobsbotschaft vorbereiten, die ich ihm zu sagen habe? Kann man einen Menschen überhaupt auf so etwas vorbereiten? Ich bezweifle es und beschließe einfach mal mit der Tür ins Haus zu fallen.

"Übringens bist du morgen mit mir verabredet", sage ich ihm und sehe fasziniert zu, wie sein Gesichtsausdruck von Erschöpfung, zu totalem Unglauben und schließlich zu Amüsiertheit wechselt.

"Ach? Da wusste ich ja gar nichts von", meint er und reibt sich gespielt nachdenklich übers Kinn.

"Ich auch nicht", sage ich ehrlich und lächle entschuldigend. "Aber du musst mir einfach helfen! Miss Helena hat mich für morgen zum Essen eingeladen und meinte, ich solle dich mitbringen! Ich kann da nicht alleine hin. Diese Frau ist das personifizierte Böse! Bitte hilf mir", flehe ich schon fast. "Ich... ich... ich koch dir auch dein Lieblingsessen!", biete ich überredent an.

Kyle zieht erst die Augenbrauen zusammen und lacht dann wieder. Wahnsinn. Wie kann ein Mensch nur eine so schöne, volle Stimme haben? Man müsste sie auf Band aufnehmen und an heiligen Ruhestätten wie Shreinen verkaufen. Wäre sicher sehr begehrt...

Trotz meiner Gedanken warte ich angespannt auf seine Antwort. So ziemlich alles hängt davon ab. Wenn er nicht annimmt, dann... dann bin ich des Todes gewiss.

"Miss Helena, ja?", fragt er schließlich überlegend und ich nicke bekräftigend. "War das diese scheußliche Frau? Deine Vermieterin?" Wieder ein Nicken von meiner Seite her. "Ja, du hast Recht. Ich kann dich mit dieser Frau unmöglich alleine lassen", sagt er schließlich und ich atme mehr als erleichtert aus. Womit hab ich das verdient?

"DANKE!" Schnell ist der Tisch als Hindernis überwunden und ich hänge an Kyles Hals. Natürlich nur aus reiner Dankbarkeit und ohne jegliche Hintergedanken... (nebenbei bemerkt: Kyle fühlt sich toll an.)

"Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun sollte", flüstere ich in sein Ohr und mache mir einen Spaß daraus, wie er ganz, ganz kurz den Atem anhält, bevor ich die Umarmung löse und mich wieder auf meinen Platz setze. Alles Gute muss nunmal irgendwann ein Ende haben und obwohl ich inzwischen mehr als sicher bin, dass Kyle verdammtnochmal was von mir will, muss ich eigentlich immer noch darüber nachdenken für wen ich nun mehr empfinde: Kyle oder... Adam?

Eigentlich könnte ich das Arsch gleich aus meiner Liste streichen, aber leider scheine ich ihm immer noch nicht ganz abgeneigt zu sein - Wieso verdammt hat der so nen Knackarsch? -, was ich natürlich überhaupt nicht gut finde. Glaubt mir das jemand? Nein? Wie motivierend...

"Milchreis", sagt Kyle und reisst mich somit aus meinen Gedanken.

"Was? Hä? Wo?", stammle ich, sehe ihn entgeistert an, dann an mir runter, falls irgendwo besagtes Gericht an meiner Kleidung klebt und zuletzt zu John, der vor dem Backofen steht, in dem die Pizza vor sich hin backt, und gelangweilt vor sich hin starrt. Nichts. Kein Reis und schon gar keine Milch.

Wieder lacht Kyle. "Ich meinte mein Lieblingsessen. Das ist Milchreis. Du hast mir versprochen das für mich zu kochen", erklärt er und ich bin wirklich froh, dass sein Ausruf logischen Sinn hat. Was wäre das nur für ein Schock, wenn sich mein Schwarm vor meinen Augen in einen Irren verwandelt? Nein, danke. Auf die Erfahrung kann ich verzichten...

"Ach ja! Ja... ich... wie wärs mit Sonntag?", antworte ich und lächle ihn flackernd an.

"Sonntag?" Diesmal scheint er mir nicht folgen zu können. Ich sehe schon: wir leiden unter Kommunikationsschwierigkeiten.

"Das könnten wir Sonntag machen", erkläre ich mich und bin mir in dem Augenblick sicher, dass meine Wangen eine rötliche Färbung annehme. Wieso? Ich schlage nur einen Termin für unser... ja... Date vor? Mmh... Date... das klingt gut... vor allem in Bezug auf Kyle... ARGH! Verdammt! Schlag dir das fürs Erste aus dem Kopf, Marc! Was, wenn du dich heute mit Adam versöhnst? Nicht auszudenken! Dabei bin ich noch nie zweispurig gefahren und was wäre mit meiner kleinen Cousine? Sie würde niemals den Plüschelefanten bekommen, den ich ihr versprochen habe! Dabei - Moment! Hat das irgendwas mit Kyle oder Adam zu tun? Nein, also weiter im Text.

"In Ordnung. Ich freu mich schon drauf", stimmt Kyle zu und zwinkert mir zu, worauf ich sicherlich noch ein Stück mehr erröte. Der Hitze meiner Wangen nach zu urteilen jedenfalls.

"Wenn das geklärt ist... ", sage ich und breite die Zeitung mit den Stellenanzeigen auf dem kleinen Tisch auf. "Hilfst du mir bei der Jobsuche?"

Bittend lächle ich Kyle an. Er schaut kurz nachdenklich auf seine Armbanduhr, zuckt dann mit den Schultern und beugt sich ein wenig über den Tisch, damit er das ganze Blatt in Augenschein nehmen kann.

"Liebend gern", meint er und ich grinse ihn an. Gut so. Hab ich ihn noch ein wenig länger um mich und... vervollständige damit das Chaos, das momentan in meinem Inneren herrscht.
 

Allerdings wird Kyle keine halbe Stunde später wieder zur Arbeit gerufen, küsst mich zum Abschied auf die Wange - diesmal ist es an meiner Stelle zu erröten - und bringt weiter Pizza's zu ihren Besitzern, weswegen ich eine Zeit lang ganz alleine da sitze und mir Kommentare von John anhören darf, dass wir ja ganz schön ran gingen und er das nächste Mal, wenn Kyle wieder da wäre, ja nach vorne gehen könnte, damit wir unsere Ruhe haben. Toll. Ja, bitte. Ich nehme das Angebot dankend an! Verschwinde endlich mit deinen paranoiden Vorstellungen. Dass diese 'Vorstellungen' gar nicht so paranoid sind, lass ich hier mal ausser Acht. Das wird man mir ja wohl noch verzeihen können. Oder...?

Zwei Stunden später und sehr viele, kleine Kyle-Besuche später falte ich die Zeitung zusammen und stopfe sie zu den anderen im Mülleimer, bevor mir einfällt, dass ich ja einige Stellenangebote eingekreist habe und mir das Ding wieder hervor fische, bevor ich mir wieder Jacke und Schal überwerfe und es mir unter den Arm klemme. John sieht mich fragend an.

"Du gehst schon? Dabei war Kyle noch gar nicht da", sagt er und feixt mich breit an.

Ich befinde ihn keiner Antwort würdig und gehe aus der Küche. Vorne steht Selvall hinter der Theke und nimmt die Bestellung eines Kunden entgegen, der kaum älter als 14 sein kann.

"Ich geh dann wieder, Selvall", mache ich meine Freund auf mich aufmerksam und setze mir symbolisch noch die Mütze auf, die ich mir heute auf den Kopf gesetzt habe, bevor ich das Haus verließ.

"Ach? Schade... du könntest ruhig noch etwas länger bleiben", sagt er und sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. "Wohin gehts denn? Zu Melinda, Kev, Jo und den anderen?"

ich schüttele den Kopf. "Nein. Ich mache mich auf den Weg zum Jüngsten Gericht. Sei nicht sicher, ob du mich jemals wieder siehst, alter Freund", jammere ich und lasse mich theatralisch in Selvalls Arme fallen.

"Äh... ja...", meint Selvall und tätschelt mir etwas unbeholfen den Rücken, ehe er mich wieder etwas auf Abstand bringt. "Kannst du das auch näher erklären? Oder... lass mich raten! Du triffst dich mit diesem Drecksschwein?" Irre ich mich, oder ist seine Stimme tatsächlich agressiver geworden? Alle meine Freunde haben devinitiv zu viel Beschützerinstinkt was mich betrifft.

"Du bringst die Sache auf den Punkt", erwidere ich und lehne mich gegen die Theke, ignoriere den wartenden, hibbeligen Jungen dahinter. "Ich muss endlich geklärt haben, wieso das Arsch einfach so ausgewandert ist, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen. Das verstehst du doch, oder?"

Er nickt, aber ich sehe das mörderische Funkeln in seinen Augen, weshalb ich ihm noch das Versprechen abringen muss den anderen nichts zu sagen, kein Wort an Kyle zu verlieren, dem Italiener fern zu bleiben und mir nicht hinterher zu spionieren, geschweige denn ein Attentat auf Adam zu starten, bevor ich beruhigt nach Hause gehen kann.

Schade eigentlich, dass ich Kyle nicht mehr Tschüss sagen konnte. Ich wette, diesmal hätte ich mich zu einem richtigen Kuss durchgeru - Nein! Nein! Nein! Nein! Und nochmal nein! Das hat hier jetzt überhaupt nichts zu suchen! In zwei Stunden muss ich mich mit Adam treffen und bis dahin ein Outfit gefunden haben, dass nicht arrogant, aber auch nicht freiwildlike wirkt und ihn erst recht nicht dazu motiviert mir irgendwie nah zu kommen. Dazu sitzen die Schürfwunden zu tief. Im übetragenen Sinne gemeint natürlich.

Zuhause angekommen finde ich einen Kündigungsbeleg in meinem Briefkasten, der mich erneut daran erinnert, dass ich nun arbeitslos bin, mir aber verspricht, dass ich noch ganze zwei Monate bezahlt werde, auch wenn ich keinen müden Finger krümme.

Na, endlich mal was gutes! Obwohl ich ja lieber was zu tun habe, anstatt rum zu gammeln. Aber so gesehen könnte ich mir dadurch endlich mal wieder wohlverdienten Urlaub leisten, oder?

Naja, egal. Fortuna scheint mich endlich einmal anzulächeln, da ich auf dem Weg zu meiner Wohnung weder in irgendetwas ekliges trete/fasse, noch Miss Helena treffe, die ich im Moment nicht unter die Augen bekommen will. Dazu bin ich momentan einfach mit viel zu vielen aufgewühlten Gefühlen angestaut. Bis über den Hals und noch viel, viel weiter!

Jaja... ich liebe Kinderfilme. Aber zurück zum Thema.

Vor meinem Kleiderschrank angekommen muss ich mir erst einmal überlegen, wie ich denn auftreten will. Irgendwie abweisend. Das ist klar. Aber was ist das passende Outfit dafür? Anzug? Nein, das Teil zieh ich nie und nimmer freiwillig an! Schon gar nicht, wenn ich nur zu so nem kleinen, billigen Italiener geh.

Jogginganzug? Hach ja, das waren noch Zeiten, als ich jeden Morgen durch den Park gejoggt bin...

Rosa Hemd mit der Aufschrift 'No, I am not gay'? Lieber nicht. Ich mag es nicht sonderlich zu lügen. Außerdem: was macht dieses Shirt immer noch hier? Müsste ich wirklich mal Kev schenken.

Knallenges Lederoutfit? Nein!

Quitschgelbes Hawaiihemd? Wirklich eklig, was man so im eigenen Schrank findet, wenn man nur ausgiebig genug wühlt.

Letztendlich entscheide ich mich für mein ganz normales Alltagsoutfit. Jeans, Hemd, Pulli. Ganz normal eben. Da kanns nichts unverfängliches dran geben.

Nervös wie ein Teenager vor dem ersten Date renne ich in meiner Wohnung herum, bis ich mir schließlich einen grünen Tee mache - zur Beruhigung - und mich auf das Sofa setze. Gott, was füre ich mich so auf? Ok, ich weiß warum: weil ich verdammt viel Schiss davor hab Adam wieder unter die Augen zu treten, obwohl ich weiß, dass diese Angst wahrscheinlich in kürzester Zeit abflauen wird, nur um einer blutigen Mordlust Platz zu machen.

Wah, was sieht der Kerl auch so geil aus? Und wieso hab ich so viele schöne Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit? Nein, ich will das nicht. Ich will das einfach nicht.

Die Zeit verrinnt unglaublich schleppend aber gleichzeitig auch in rasendem Tempo und irgendwann muss ich mich dem Augenblick stellen, in dem ich mich endlich auf den Weg zur Bahn machen sollte, damit ich nicht zu spät komme.

Einen kurzen Moment glaube ich einfach alles über den Haufen zu werfen, nicht zu kommen und Adam in seinem dämlichen Italiener versauern zu lassen, aber ich weiß auch, dass ich dann immerwährende Schuldgefühle hätte und von einer schrecklichen Unwissenheit gequält würde, die ich nicht aushalten könnte.

Lieber dem Schlimmeren stellen, das im langfristigem Sinne das weniger schlimme ist.
 

Gerade habe ich mich geistig hoch genug aufgerafft um endlich loszugehen, bin angezogen und lege meine Hand an den Türknauf, als es klingelt und ich vor Schreck hintenüber falle und mit dem Kopf hart auf dem Boden aufschlage. Ok: Welcher. Vollidiot. Wagt. Es. Mich. Zu. Stören? Vor allem, wenn ich gerade vor einer der wichtigesten Entscheidungen meines Lebens stehe.

Ein Blick durch den Türspion, nachdem ich mich aufgerappelt habe beantwortet mir die Frage. Was macht dieser gottverdammte, blonde Psychopath aus dem Fotoshop vor meiner Haustür? Ist das nicht Kyles Bruder? Dieser... ähm... Levis? Hey! Ich bin in Eile! Außerdem steht der ganz oben auf der Liste der 'Merkwürdigen Personen'. Mit solchen Leuten sollte man nicht zuviel zeit verbringen. Dass er vor meiner Wohnung steht bekräftigt den ersten Eindruck des Psychos nur noch.

Also reisse ich die Tür auf und funkle ihn an.

"Was? Ich hab keine Zeit", sage ich und werfe zur Unterstreichung meiner Worte noch einen hektischen Blick auf meine Armbanduhr. Von hier bis zur Station sind es 5 Minuten. Meine Bahn fährt in 15.

"Hey, hey! Nicht so gereizt, Süßer. Ich wollte nur mal schauen, wie es dir so geht und..." Ich lasse ihn nicht ausreden. "So? Wozu? Kyle war schon hier, falls sie meine Wohnstätte für ihn auskundschaften wollen. Und jetzt gehen Sie beiseite - ich habs wirklich eilig und Sie stören mich dabei! Und duzen Sie mich gefälligst nicht!"

Völlig perplex starrt er mich an, während ich ihn zurück dränge, damit ich aus der Tür komme, diese hinter mir zu knalle und mich neben ihm an der Wand vorbei quetsche, um die Treppe runter zu kommen.

"Na, da muss ich nochmal überlegen, ob ich Sie an meinen Bruder lasse", sagt er klar und deutlich. Ich erstarre, drehe mich um und verschenke zum zweiten Mal an diesem Tag meinen berühmt berüchtigten Deathglare (Berühmt für die Wirkungslosigkeit und berüchtigt für die Lachkrämpfe, die er bewirkt...).

"Hören Sie mal, Herr Sowieso", beginne ich und komme noch einen Schritt näher an ihn heran. Er ist größer als ich und ich muss zu ihm aufschauen, aber das kümmert mich im Moment herzlich wenig. "Kyle ist alt genug um selbst zu entscheiden, wen er mag und wen nicht und Sie verdammtnochmal nicht sein Ehrziehungsberechtigter! Ich hab jetzt echt weder die Zeit noch den Bock ausgiebiger mit Ihnen darüber zu diskutieren, obwohl ich das Blut wirklich gern mal gesehen hätte. Und nochwas: LASSEN SIE MICH IN RUHE! Das grenzt an stalking, was Sie hier abziehen! Und tschüss".

Mit diesen Abschiedsworten und der Ungewissheit, ob Kyle die Meinung seines Bruders bezüglich seiner fest liierten Freunde wichtig ist - dabei bin ich nicht mal mit ihm liiert, geschweigedenn von fest liiert - stürme ich die Treppe hinunter und sprenge förmlich aus der Haustür, was einige Passanten erschrocken nach Luft schnappen lässt.

Eilig renne ich zur Bahnstation und komme ausser Atem und 5 Minuten zu früh an. Gut, so hab ich noch ein wenig Zeit um mich wieder zu beruhigen, ehe ich mich auf den Weg zur Hölle mache. Und wieder einmal kann ich dieser schnöden Welt mein Ade zurufen. Die letzten Tage drücken mir wirklich auf die Nerven.
 

Zwanzig Minuten später stehe ich meinem Fleisch gewordenem Albtraum gegenüber. Oder doch lieber Traummann? Nein, der ist wenigstens seit neustem ein ganz anderes Model. Aber Adam kommt dem schon gefährlich nahe.

Zögernd setze ich mich ihm gegenüber, was seinen Blick endlich vom Fenster ab- und leider auf mich lenkt.

"Marc!", ruft er erleichtert und ich versteife mich sofort, was ihm natürlich auch nicht verborgen bleibt. Waren immerhin ne ganz schön lange Zeit zusammen, da merkt man sowas.

"Hallo, Adam", erwidere ich und fixiere die Tischdecke.

"Willst du deine Jacke nicht ausziehen?", fragt er und ich löse mich mit einem unwohlem Gefühl im Magen aus meiner Jacke, hänge sie mir über die Stuhllehne.

Eine Zeit lang schweigen wir beide, meiden den Blick des anderen, aber irgendwann habe ich darauf keine Lust mehr.

"Und? Wo bleibt deine Erklärung?", frage ich, ohne aufzusehen. Ich glaube, ich könnte seinem Blick nicht standhalten.

"Ich... Marc! Ich..."

"Du?", helfe ich schon ein wenig gereizter nach. "Sprich in klaren Sätzen, damit ich dich verstehen kann".

Er seufzt. "Also Marc. Ich...puh... ich hab ein Angebot bekommen. Damals."

Ok, das ist ja schon mal ein Anfang. Und weiter? "Was für ein Angebot?"

"Ich sollte ein Gebäude für einen wichtigen Konzern mitgestalten. Ein Flughafengebäude für eine Kreditkartengesellschaft", sagt er tonlos und ich sehe auf. Er starrt auf das Wachs, das verteilt auf die Tischdecke getröpfelt ist.

"Wieso hast du mir nichts davon gesagt?", frage ich und unsere Blicke heften sich aneinander, da auch er den Kopf hebt.

"Ich hatte -" "Ihre Bestellungen?", unterbricht die Stimme einer jungen Bedienung Adam und wir schicken ihr synchron einen äusserst genervten Blick, unter dem sie sich sichtlich unwohl fühlt.

"Spagetti Cabonara", bestelle ich kurzerhand und Adam ordert nur eine Flasche Rotwein an.

"Also?", will ich den Gesprächsfaden wieder aufnehmen, als die Bedienung wieder verschwunden ist. Es fällt mir viel leichter ihm ins Gesicht zu sehen, als angenommen. Vielleicht weil er der Schuldige ist und ich nicht? Genug der tiefgründigen Philosophengedanken!

"Marc... ich habe dich geliebt und ich tue... ich tue das immer noch - auch wenn ich etwas brauchte, um das zu erkennen - aber... Marc, ich hatte Angst", rückt er schließlich mit der Sprache raus und ich starre ihn an.

"Entschuldige, wenn ich dir das nicht glaube, Adam, aber Angst und du passen einfach nicht zueinander. Genausowenig wie Unklarheiten im Liebesleben".

Wiederholt seufzt er. "Schon, aber... ich hatte Angst, dass du ich verlässt und dann war da dieses wahnsinnig tolle Angebot, das ich einfach nicht abschlagen konnte und... "

"Jajaja", winke ich ab und verdrehe die Augen. "Hör endlich auf zu Jammern, das kann ja niemand mit anhören! Sag doch endlich, warum du weg bist. Klar und deutlich und mit so wenig Worten wie möglich".

Er kommt meiner Aufforderung nach. "Die Wahrheit ist: unserer Beziehung ging es eh nicht mehr so gut, das weißt du. Ich habe dieses Angebot bekommen und damit auch viel Geld verdient. Das konnte ich einfach nicht abschlagen. Meine Karriere brauchte einen Aufschub. Das war die perfekte Gelegenheit dafür. Darum bin ich weg. Aber... magst du nicht wieder mit mir zusammen sein? Soweit ich weiß, bist du doch gerade Single, oder...?"

Ich schnaube aufgebracht. "Spionierst du mir nach?"

Er kratzt sich verlegen im Nacken. "Naja... ich hab nur kurz hier und da angerufen... "

"Also spionierst du mir nach!", stelle ich giftig fest und ziehe meine Augenbrauen zusammen. "Ich bin also nur ein kleiner Lückenfüller, den du nur brauchst, wenn du grade mal Zeit hast. Auf so einen Arsch kann ich dankend verzichten. Was erwartest du von mir? Dass ich dir einfach so wieder in die Arme falle und dir alles verzeihe, was ich wegen deiner arroganten Rotzfresse durchmachen musste? Verdammt nochmal, FÜR WAS HÄLTST DU MICH EIGENTLICH?"

Einige Gäste des Restaurants drehten sich perplex zu uns um und runzelten die Stirn, ob dieser Störung ihres gemütlichen Abendessens. Ich beachtete sie nicht. Sie waren mir - nett ausgedrückt - scheissegal.

"Marc, bitte", wehrte Adam ab und sah mich bittend an.

"Nix mit 'Marc, bitte'! Du arrogantest Arschloch! Friss deine Spagetti alleine! Ich gehe!", fahre ich meinen Ex-Freund an, springe auf, greife mir meine Jacke und stürme aus dem Lokal.

Draussen halte ich nicht inne, sondern schlage gleich den Weg zu der Bahnstation ein, an der ich auch eingetroffen bin. Dieses Treffen hätte ich mir auch schenken können.

Toller Reinfall.
 

Als ich verloren und wütend in der Bahn sitze, fällt mir ein, dass Jo doch gerade eine Party schmeisst. Gute Gelegenheit für mich, sich abzulenken.

An der nächsten Station steige ich um und treffe kaum darauf bei meiner Freundin ein.

Laute Musik schallt mir entgegen, bevor ich auch nur die Tür geöffnet bekomme und ich sehe eine menge Leute, die ich nicht kenne, als Daniel mir die Tür öffnet.

"Oh! Du bist doch gekommen? Was war mit deiner Vermieterin?" Stimmt. Er glaubt ja noch, dass ich heute und nicht morgen bei Miss Helena eingeladen bin.

"Bin doch morgen bei ihr. Lässt du mich rein?", bitte ich und muss meine Stimme heben, damit mein Kumpel mich bei der Lautstärke überhaupt versteht.

"Klar! Tu dir keinen Zwang an", ruft er zurück und verschwindet auch schon, kaum dass ich eingetreten bin und die Tür hinter mir geschlossen ist.

Ich entdecke einen kleinen Getränkestand. Super, da kann ich mir nach diesem deprimierendem Treffen gleich eins hinter die Binde gießen.

Allerdings werde ich von Jo davon abgehalten. "Was ist denn mit dir los?", ruft sie über den Lärm der Musik und ich ziehe sie in eine etwas abgelegenere Ecke, wo wir auch nicht so rumbrüllen müssen, wenn wir die Köpfe zusammenstecken.

Wieder einmal spielt sie für mich die Seelensorge, klopft mir aufmunternd auf die Schulter, stimmt mir in dem Punkt zu, dass Adam das größte Charakterschwein der Welt ist und lenkt mich mit einigen lustigen Geschichten von meinem Ärger ab.

Schnell geht es mir besser. Jo führt mir ganz klar vor Augen: mein Problem seitens 'Freund oder nicht Freund - das ist hier die Frage' ist geklärt, ich kann mich ganz Kyle widmen. Hoffentlich erzählt Levis ihm nicht allzu schlechtes von unserem kleinen Treffen.

Im Alkoholrausch beschließe ich Hals über Kopf bei Jo zu übernachten und fletze mich auf das Sofa, bevor die letzten Gäste überhaupt verschwunden sind. Selig seien meine Freunde! (Im Speziellen Daniel, der mir von der Party erzählt hat und Jo).

Mit diesem Gedanken und der Erkenntnis, dass ich es mir ja auch mal gönnen könnte selig zu sein - jedenfalls wenn die rosa Pudel, mit diesen grässlichen grünen Punkten endlich verschwinden - sinke ich schnell in einen Schlaf, der mit wilden Träumen von Vulkanausbrüchen, anderen Umweltkatastrophen und Kyles Lippen vollgepumpt ist.

Vorhang auf fürs Wochenende!

Samstag

Samstag

Jah! Juhuu! Super! Klasse! Affenscharf! Das wollte ich schon immer mal haben! Geil!

So!

Das wars.

Genug der Begeisterung.

Ich kann mich nicht durchringen irgendetwas anderes zu fühlen als grenzenlosen Hass auf Adam und grenzenlose Freude über meine (hoffentlich) angehende Beziehung zu Kyle. Ich hoffe... ich meine... hoffentlich bilde ich mir nicht zu sehr darauf ein, dass er ab und zu mal auf meine Avancen reagiert hat. Positiv, denke ich, oder? Was, wenn... wenn er mich nur mag und es ganz nett findet, wenn man ihm Komplimente macht, oder indirekt zeigt, dass man ihn mag. O mein Gott! Was, wenn... ! Er liebt mich gar nicht! Ich weiß es ganz genau. Und ich zwinge ihn dazu, so viel Zeit mit mir zu verbringen... ich bin ein mieses Arschloch. Aber wenn er mich doch... naja... liebt? Ich tus doch. Ja, ich weiß: es ist verrückt. Ich kenn ihn ja grade mal vier, nein; fünf?, oder doch vier? Egal. Jedenfalls kenn ich ihn doch gerade mal vier bis fünf Tage lang. Darf man da überhaupt schon verliebt sein? Kann man das? Gibt es irgendein Gesetz, das besagt, dass man erst nach sieben Tagen verliebt sein darf? Oder nach sechs? Vielleicht sogar erst nach zwei Wochen! Aber dann wäre ich ein Gesetzesbrecher. Ein Ganove... ein Verbrecher... mmh... das hört sich gut an. Ich wollte schon immer mal verwegen wirken.

Was die Leute wohl sagen würden, wenn ich auf sie zukommen würde und meinen würde: "Hey! Ich bin schon nach ein paar Tagen verliebt in einen Kerl, den ich kaum kenne!" Würden sie dann die Pozilei rufen? Ach nein, das heißt ja Polizei. Das kommt davon, wenn man zuviel Zeit mit der kleinen Cousine verbringt.

Obwohl sie ja eigentlich ziemlich süß ist. Mit diesem Tinki-winki T-shirt und so...

Iih! Tinki-winki! Wie komme ich auf die Teletubbies? Po finde ich ja immer am besten, wenn ich Vormittags frei habe... hatte... nicht weiß, was ich mit der Zeit anfangen soll und deshalb vorm Flimmerkasten sitze. Kindersendungen sind sowieso das beste zum abschalten. So schön verblödet, kunterbunt und irgendwie regt man sich immer tierisch über diese dämliche Sprache auf! Na gut, wohl doch nicht so toll zum abschalten... aber Bambi ist trotzdem super.

Als ich meine Augen öffne erschließen sich mir unbekannte Weiten in Form einer Decke, die gelb angestrichen ist und in deren Mitte eine kunstvolle Lampe angebracht wurde. Am Schirm ebendieser hängt irgendetwas. Entweder Toilettenpapier, Unterwäsche oder etwas undefinierbares, das ich gar nicht erst definieren will. Aber zurück zu meinem Problem: wo bin ich hier? Wie gesagt kenne ich die Decke nicht. Meine ist weiß...

Also erst einmal den Kopf umdrehen. Gar keine so schlechte Idee. Was sehe ich denn da? Schuhe. Aha. Flaschen. Müll. Sessel. Eine umgeworfene Stehlampe. Alles eindeutige Anzeichen für eine Party. Bei genauerem Hinsehen stellt es sich als eine Party bei Jo heraus und allem Anschein nach hat sie bereits ein Ende gefunden. Und was mache ich hier?

Langsam kommt die Erinnerung zurück. Adam, Levis, Restaurant, Arschloch, Daniel, Party, Seelensorge und Schluss. Eine ziemlich verwirrende Bildabfolge tanzt in meinem Kopf den Cha-Cha-Cha und ich beschließe mich erst einmal aufzusetzen und vielleicht irgendetwas sinnvolleres zu machen, als hier zu liegen und Jo's Einrichtung anzustarren. Obwohl... der Sesselüberzug würde mir gefallen, wäre da nicht dieser große, braune Fleck der höchstwahrscheinlich von irgendeinem alkoholischen Getränk herrührt. Lecker, lecker, lecker. Saitenbacher Müsli. Buäh, das schmeckt grauenhaft. Aber der Werbeslogan ist ein Ohrwurm. Definitiv.

Als ich mich endlich aufgesetzt habe, stellt ich fest, dass ich immer noch vollständig angezogen bin. Hose, Schuhe, Socken, Hemd, Pulli... ich hasse es in Kleidung zu schlafen. Danach fühle ich mich immer eklig durchgeschwitzt und irgendwie klebrig. Kann ich hier duschen? Mein Blick bleibt an einem Paar Schuhe hängen, die selbst noch an einem menschlichen Körper befestigt sind und mein Verstand erkennt messerscharf; nein, kann ich nicht. Will niemandem in die Arme laufen, wenn ich halbnackt nach Klamotten suche. Mal abgesehen davon, dass ich nur die Sachen dabei hab, die an mir dran hängen/kleben und Jo wohl kaum Männermoden in meiner Größe im Schrank hängen hat.

Also neuer Plan: zuerst einmal nach Hause gehen (nach einer ihrer Partys ist Jo entweder total daneben, total genervt oder total schlafend, weshalb ich sie nicht erst aufsuchen werde), duschen - JA! -, frische Sachen anziehen und dann... ach du je! Heute habe ich ein Date mit Kyle! Kyle - Date - Date - Kyle! Wow, allein diese beiden Worte in einem Satz zu verwenden ist schon berauschend. Gut gelaunt setze ich mich auf und lasse mich schlagartig wieder in die Sofapolsterung fallen. Ahh, mein Kopf. Ich hab einen Kater... na toll. Hoffentlich sehe ich nicht so scheisse aus, wie ich mich fühle.

Sofort breitet sich in mir die Sorge aus, dass ich auch heute Abend noch so scheisse aussehen könnte, woraufhin sich sofort die Frage in meinen Kopf schleicht, wieviel Uhr es eigentlich ist? Mein Körper sagt mir "Definitiv zu früh!", aber mein Verstand und das Wetter von draussen lassen so auf 10 oder 11 Uhr Morgens schließen. Na, danke. Wie komme ich eigentlich nach Hause?

'Aufstehen Klappe die Zweite' hat schon ein weitaus ansehnlicheres Ergebnis. Immerhin sitze ich jetzt aufrecht und hatte keinen Schwindelanfall, was natürlich nicht heißt, dass mein Kopf sich nicht anfühlt, als hätte eine Horde Schweizer Touristen auf meinem Haupt den Rumba getanzt. Habe ich schon mal angemerkt, dass ich Schweizer Touristen nicht mag? Da war mal so eine Gruppe im Fotoshop, die... nein, da will ich jetzt nicht dran denken! Sagen wir mal; es war zum abgewöhnen.

Gott, seit wann bin ich selbst in Gedanken so höflich, wenn ich morgens aufwache - noch dazu mit einem Kater? Hat Jo irgendwas in die Drinks gemischt? Ich hoffe nicht...

Unsicher stehe ich auf und versuche erst einmal das Gleichgewicht auf meinen Puddingknie zu halten. Alkoholnachwirkungen sind manchmal echt übel. Ob ich heil nach Hause komme? Diese wankenden Wände machen mir Sorgen. Hey, seid wann ist der Kleiderständer so neckisch und zwinkert mir zu? Hat Jo ihm das beigebracht? Verdammt, ich halluziniere schon wieder. Euch soll gesagt sein, dass mir das nicht zum ersten Mal passiert. Je mehr Alkohol ich mir einverleibe, desto wirrer und makaberer werden meine Halluzinationen. Einmal hab ich mal um die Hand einer Hundedame angehalten, weil sie mir so unheimlich sympathisch war (viel gelacht, Witze gerissen und mich charmant angelächelt). Ich kann nur beten, dass meine lieben Freunde die Klappe halten, wenn sie mal auf Kyle treffen und ihm nichts - aber auch wirklich GAR NICHTS! - davon erzählen. Wer will schon mit jemanden zusammen sein, der einmal ernsthaft in Erwägung gezogen hat eine Promenadenmischung zu ehelichen? Nicht dran denken, Marc, nicht dran denken!

Konzentrieren wir uns erstmal auf die momentane Problembewältigung; meine Jacke suchen und, wenn möglich, nach Hause gehen. Ein Schritt, zwei Schritt, drei Schritt, die Hürde Menschenbeine wird mit einem ganz großen genommen, taumeln, fünf Schritt, sechs Schritt - ah, meine Jacke! - anziehen, sieben Schritt, über Bierflaschen springen, acht Schritt, Tür aufmachen und... draussen! Puh, ich atme erleichtert aus und wische mir den Schweiß von der Stirn. Eine Dusche muss her, und das schnell. Wer sich jetzt fragt: "Was? Acht Schritte und schon Schweiß auf der Stirn?", dem soll gesagt sein, dass Jos Wohnung nach einer Party mehr einem Schlachtfeld gleicht als irgendetwas anderem. Einer der Gründe, warum ich mich immer selbst zu irgendwelchen Partys einlade, anstatt selber eine zu veranstalten. Bin eh schon unordentlich genug, da brauch ich das nicht. Also, die Unordnung, meine ich selbstverständlich.
 

Draussen ist es kalt und eissig. Gevater Frost steht vor der Tür und lädt zu rot angelaufenen Nasen bei Minusgraden ein. Nein, danke. Natürlich habe ich keinen Schal dabei und meine Jacke ist auch nicht unbedingt die Wärmste. Scheiss Kälte aber auch. Meine Beine tragen mich direkt zur nächsten Bahnstation, wo ich frierend und hibbelnd auf den Zug warte, der mich nach Hause fahren soll und - wie nicht anders zu erwarten ist - 20 Minuten Verspätung hat, obwohl er sonst nie aufgehalten wurde. Na, nach dem Anfang dieses Tages dürfte es eigentlich nur noch besser werden.

Ich meine ja nur.

Sicherlich.

Hunderptrozentig.

Da gibt es keinen Zweifel.

... oder?

Ach, diese verdammten Komplexe! Manchmal wünschte ich wirklich, ich wäre ein ausgemachter Optimist, so wie Kev, der wirklich alles durch eine rosarote Brille sieht. Würde ER rausgeschmissen werden, dann würde er sich bestimmt nicht so ärgern wie ich, sondern nur meinen, dass so etwas nunmal passierte und er sich eben einen neuen Job suchen müsse. Jetzt komme ich mir irgendwie dumm vor. Diese (von meinem Hirn und keineswegs von dem von Kev produzierte) Einstellung wirkt so richtig, dass meine Reaktion darauf... nun ja... wirklich plump erscheint.

Murrend knurre ich einen Teenager an, der einen Meter neben mir steht und mir daraufhin einen Blick schenkt, der ganz deutlich aussagt, für wie merkwürdig er mich hält. Na, mir soll es egal sein. Bin nur glücklich, dass ich keine solche Hormonschleuder mehr bin. Armer Junge.

Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Na also! Warum nicht gleich so! Denke optimistisch. Na gut, nicht wirklich, aber wenigstens hab ich meinen - gelinde gesagt: seltsam anmutenden - Humor zurück. Melinda hat einen tollen, trockenen Humor, bei dem man automatisch mitlachen muss. Wenn ich dagegen mit jemanden allein bin, dann lacht der nur über mich und nicht über meine Witze.

"Ah! Endlich! Geliebte Angelina!", schmachte ich die Bahn an, deren Lichter gerade etwas weiter entfernt im trüben Licht eines bedeckten Tages erschienen sind. Das hat zwei Auswirkungen: aufgrund meiner Worte nimmt der Jugendliche neben mir einen Drei-Meter-Sicherheitsabstand ein und aufgrund den Lichtern des Zuges werden mir meine stechenden Kopfschmerzen wieder voll bewusst.

Gepeinigt schließe ich die Augen und reibe mir über die Lieder. Alles in mir schreit nach einer Familienpackung Aspirin und Schlaf. Viel Schlaf. Ganz viel Schlaf. Aber natürlich nicht SO viel Schlaf, damit ich bei allen Eventualitäten noch fit genug bin, um diese mitzumachen. Eventualitäten... eine schleimende Vermieterin, die mir und Kyle einen heißen Dreier anbietet - Den ich persönlich niemals annehmen würde! Gott behüte! - , Nahrungsaufnahme in der Höhle des Löwen, dem Abend mit Kyle, Ausweichen von Miss Helena, Sex mit Kyle... ohhh jaaa! Besonders der letzte Aspekt gefällt mir doch besonders gut... mmh...

Wieder grinse ich - diesmal jedoch eher anzüglich -, lecke mir über die Lippen und schalle mich halbherzig dafür, dass ich schon erotische Fantasien in Bezug auf einen Mann habe, den ich gerade mal seit Dienstag kennen. Oder seit Montag? Ehrlich, ich weiß es nicht mehr. Mein Gedächtnis schon wieder... aber ich glaube... Montag? Ah, man, scheissegal! Was mach ich mir DARUM Gedanken? Wie sinnvoll.

Nach zwei Haltestellen verlasse ich das königliche Gefährt, welches nach gewissen, körperlichen Ausscheidungen und -dünstungen riecht, die man lieber nicht näher erleutert haben will, und gehe die kurze Strecke zu meiner Wohnung, wo ich keine Nachbarn und vor allem keine Vermieterin treffe, die mich daran hindern mich in das sichere Reich meiner Wohnung zu flüchten. JAH!

Endlich in meinem Heim schleudere ich mir förmlich die Schuhe von meinen Füßen, ziehe mich noch im Flur aus und wage mich ins Bad, wo ich heißes Wasser in die Badewanne laufen lasse. Das wird mir gut tun, meine Muskeln lockern, Lebensgeister wecken und meine Kopfschmerzen hoffentlich abklingen lassen. Aber ich darf nicht zu lange drin bleiben, weil ich sonst eindöse und schlussendlich einschlafe. So eine Macke von mir. Die Badewanne ist ja auch sooo gemütlich. (Wers glaubt... )

Nach dem Bad ziehe ich mich an und... habe nichts mehr zu tun. Na toll. Vielen Dank Beschäftigungsfee, für deine tollen Einfälle! Ich bin total beschäftigt, echt. Dabei ist es gerade mal halb zwei. Gereizt lasse ich mich in meinem Sessel fallen und sehe mich um. Nach einigem sinnlosem Hin und Her gestarre - würden meine Möbel leben, hätten sie sicherlich schon längst die Flucht vor mir ergriffen - fällt mein Blick auf das Telefon und ein Grinsen breitet sich auf meinen Lippen aus. Ha!

Wozu habe ich Kyles Nummer, wenn ich sie nicht sinngemäß verwende? Ich meine, wir sehen uns zwar heute Abend schon wieder, aber ich könnte ja sagen mir sei langweilig und ich wollte einfach so mal mit ihm sprechen... stimmt sogar.

Schnell springe ich auf, schnappe mir ein Kissen und fuchtel damit in Richtung des Telefons. "Ergib dich, jämmerlicher Elektronikhaufen!", fordere ich verbissen und schmeisse den schnurlosen Apparat von der Kommode, lache laut und triumphierend auf. Ich siege eben immer.
 

Eilig hole ich mir das scheintote Telefon wieder, tippe Kyles Nummer ein - ich hab so lange davor gesessen und sie angestarrt, bis ich sie auswenig konnte - und warte, während ich mich wieder auf mein Sofa werfe. Au, mein Rücken! Ah, da hat jemand abgenommen!

Freudestrahlend erwarte ich Kyles Stimme und werde herb enttäuscht.

"Morgan?", meldet sich jemand am anderem Ende der Leitung. Meine Mundwinkel sacken jäh ab.

"Levis", stelle ich trocken fest.

"Terrence...", erwidert er ebenso. Uh, ich wusste gar nicht, dass mein Telefon eine Klimaanlage hat - irgendwie wirds grad ziemlich kalt um mein Ohr herum. Ich beschließe ausnahmsweiße mal nicht so kindisch zu sein und ganz normal zu telefonieren. Wie man das eben von einem intelligenten Erdenbürger erwartet.

"Richtig geraten", sage ich und lächle freundlich, obwohl Kyles Bruder das nicht sehen kann. "Ist Kyle zuhause?"

"Nein, ist er nicht", kommt wie aus der Pistole geschossen. Die Temperatur hat - nebenbei bemerkt - nicht abgenommen. Wieso kauf ich ihm das bloß nicht ab?

"Ok", besänftige ich mich selbst. "Könntest du ihm ausrichten, dass ich angerufen habe?"

"Nein". Meine Augen fallen raus. Hastig sammle ich sie wieder ein und halte meinen Telefonapparat etwas von mir weg, um ihn fassungslos anstarren zu können, bevor ich ihn wieder näher ziehe.

"Ähm... nein?", wiederhole ich ungläubig. Wer hätte gedacht, dass Psychopathen so psychopathisch sein können?

"Nein", bestätigt Levis. Oder besser gesagt: seine Stimme.

"Nein?" Ich muss das jetzt einfach sicher wissen.

"Ja, gottverdammt!", zischt Levis. Oh, da ist aber einer schlecht gelaunt.

"Also doch?", frage ich hoffnungsvoll.

"NEIN!", schreit er in den Hörer. Ich verziehe mein Gesicht und halte den meinen abermals von mir weg - diesmal jedoch um keinen Hörschaden zu erleiden.

"Musst ja nicht gleich so giftig werden", schmolle ich grummlig und stütze meinen Kopf auf der Sofalehne ab. "Ist er wirklich nicht da?"

"Ja", bestätigt Levis schon mächtig genervt. Was denn? Immerhin bleibe ich nett, oder? Oder?

"Kann er mich zurückrufen?", frage ich weiter.

"Können schon...", sagt Kyles Bruder und ich kann ein fettes, gemeines, gehässiges Grinsen aus seiner Stimme hören. Wah, der ist sowas von fies!

"Was hast du eigentlich gegen mich?", will ich jetzt endlich mal wissen. Verdammt, das stimmt aber auch! Dieser Typ behandelt mich wie den letzten Arsch, mit roter Harley Davidson... mit Stickern bestickt selbstverständlich und Indiana-Jones-Schnüren am Lenker und echtem Wildleder bezogen und mit Silberfelgen und... äh... egal.

"Da fragst du noch... Marc?" Unheimlich, wie der meinen Namen betont...

"Öh... ja? Ich kann ehrlich keinen Grund finden, ausser, dass ich dich in meinem Hausflur angefaucht habe, weil ich gerade auf dem Weg zu etwas war, was ich überhaupt nicht ab kann und da eigentlich auch keine Passanten rein dürfen... UND noch das im Laden, aber ich glaube, das war völlig berechtigt!", meine ich überzeugt.

Stille.

Leere.

Nichts.

Mein Telefon ist ein Schwarzes Loch.

"Hallo? Noch wer zuhause? Alles fit im Schritt? Macho Nacho Cheese? Hasen auf dem Mond? Der Verteidigungsminister tanzt Cha-Cha-Cha in der Wallstreet? Keine Kekse mehr mit Hundezusatz? Lachen ist gesu-"

"Ja, ja, ja, ja!", kommt es entnervt vom anderem Ende der Leitung.

"Na bitte!", rufe ich erfreut und grinse in mich hinein. So klappte das bisher immer.

"Ok, ich gebe zu, mein Verhalten ist nicht berechtigt", wird leise genuschelt. Ich muss die Hörmuschel an mein Ohr pressen, um zu verstehen, was Levis da vor sich hin murmelt.

"Super", strahle ich und springe auf. "Dann noch mal von vorn: ist Kyle zuhause?

"Äh... uhm... j-ja..." Scheint dem guten Levis unangenehm zu sein, dass er mich angelogen hat... HAHAHAHA!

"Super!", wiederhole ich mich noch viel enthusiastischer und springe auf der Couch auf und ab. "Kannst du ihn ans Telefon holen? Mir ist langweilig".

Das nächste was ich höre ist ein Lachen. Ein lautes Seehunde-bellen-zu-der-Brunftzeit-Lachen. Ein Levis-Lachen eben. "Dir... dir ist langweilig?", gluckst er.

"Ja", gebe ich ehrlich zurück. "Was dagegen? Kann ich jetzt endlich mal mit -"

"Levis, mit wem telefonierst du da eigentlich?", höre ich gedämpft. Hey, war das nicht Kyles Stimme?

"Mit niemandem!", sagt Levis sofort und ich knurre in die Sprechmuschel hinein. Na, warte!

"ICH BINS: MARC!", brülle ich in den Hörer hinein. Ok, das dürfte Kyle jetzt gehört haben, denke ich zufrieden und grinse siegessicher in mich hinein. Bin nunmal der Beste...

"Au, willst du, dass ich mit 60 taubstumm bin?", jammert Levis mir entgegen und diesmal ist es an mir ihn auszulachen.

"Ich hätte nichts dagegen", gebe ich meine Meinung kund.

Plötzlich ertönt ein lautes Rascheln, Kruscheln und Klappern. "Marc?", höre ich Kyles Stimme.

"Kyle!", strahle ich überglücklich und schwebe augenblicklich jenseits aller bekannten Sphären.

"Wieso rufst du an?", will er verwundert wissen, was ja auch sein gutes Recht ist.

"Mir war langweilig", gestehe ich reuevoll.

"Dir war... was? Marc... du hast eindeutig zu wenig zu tun", stellt er fest.

"Zur Erinnurung: Ich bin arbeitslos. Freust du dich nicht, dass ich anrufe?", jammere ich und appeliere dabei an sein Schuldbewusstsein.

"Was? Doch, natürlich tu ich das", bekräftigt er auch sofort. Klappt immer wieder.

"Dann ist ja gut! Ich wollte dir nämlich noch was sagen", fange ich an, werde aber von ihm unterbrochen.

"Einen Moment bitte, Marc. Levis! Hau ab! Nein, ich werde dich nicht mithören lassen. Verschwinde, verdammtnochmal! WAS? NEIN! Argh!" Lautes Gekruschel schallt mir aus dem Hörer entgegen. Anscheinend eine Auseinandersetzung mit dem lieben Psychopathen, oder was?

"Sorry, mein Bruder hat gestört", erklärt Kyle ein wenig aus der Puste und ich höre im Hintergrund leises Rascheln.

"Ziemlich neugierig der gute", grinse ich und lasse mich wieder auf das Sofa fallen.

"Das kannst du laut sagen", grummelt mein Angebeteter - Wow, ich will dieses Wort öfters im Zusammenhang mit Kyle benutzen! - und fährt dann fort: "Sag mal, hat er dich nochmal belästigt?"

"Bis darauf, dass er mich zuhause besucht hat, war eigentlich alles in Butter".

"Lev war bei dir ZUHAUSE? Oh Gott... das ist mir so peinlich! Entschuldige ihn bitte".

"Ach was. Ich... war ja auch nicht wirklich nett zu ihm", ich räuspere mich verlegen.

"Wie?"

"Ähm... naja... ich hab ihn richtiggehend angefaucht und alles und im Laden war ich ja auch nicht der Netteste, verstehst du?"

"Klar, ich fass ihn ja auch nicht mit Samthandschuhen an. Kann ne richtige Nervensäge sein".

"Das hab ich gehört!", ruft jemand im Hintergrund und ich muss lachen.

"Levis! Geh weg, verdammt!", fordert Kyle auch nicht gerade leise, was mein Lachen nur noch mehr anschwellen lässt.

"Jaja, ich geh ja schon", erklingt es gedämpft, eine Tür schlägt zu. "Puh", seufzt Kyle ins Telefon. "Was sag ich? Nervt, wie immer..."

Mir fiel etwas ein. "Sag mal, du...?"

"Ja?"

"Wie alt bist du eigentlich?"

"23", antwortet er mir nach kurzem Zögern. Ich strahle glücklich in mich hinein. Perfekt!

Das sag ich ihm auch. Er lacht daraufhin, was mich schmollen lässt.

"Perfekt?", gluckst er schließlich in den Hörer.

"Perfekt für mich", grinse ich, was er selbstverständlich nicht sehen, dafür aber umso deutlicher in meiner Stimme hören kann.

"Wo wir grad dabei sind... wie alt bist DU eigentlich?", will er auch sogleich neugierig wissen. Erstaunlich - dafür, dass wir eigentlich so wenig voneinander wissen, kommen wir wunderbar miteinander aus.

"22", lass ich ihn wissen.

Ein entzücktes "Perfekt!" erreicht mein Ohr und ich muss schon wieder lachen. "Sag ich doch".

"Du, wann soll ich dann eigentlich heut Abend noch mal zu dir kommen?", fragt er mich dann und ich muss kurz überlegen, bevor mir die genaue Uhrzeit wieder einfällt. "Um Sechs, oder?"

"Ich glaube auch...", erwidert er. "Moment! Sechs? Ouh, Mist! Ich muss noch zu meiner Mutter fahren!"

Seine Stimme klingt ziemlich gehetzt, sodass ich erstaunt die Stirn runzel. "Ähm... wo wohnt sie denn?"

"In einem der Vororte. Entschuldige, aber wenn ich es noch rechtzeitig zu dir schaffen möchte, muss ich jetzt los. Sorry. Bis dann, klar? Schönen Tag noch!"

Ich komm gar nicht dazu irgendetwas zu antworten, da mir auch schon das Freizeichen aus der Hörmuschel entgegen schallt. Ähm... hallo? So eilig hat er es? Wir haben erst halb drei. Etwas neben der Spur lege ich den Hörer beiseite, drücke mein Lieblingskissen an mich und starre an die gegenüberliegende Wand. Ok... was tu ich jetzt? Entweder schlag ich stillschweigend und überaus gelangweilt die Zeit mit einer sinnlosen Beschäftigung wie Fehrnsehgucken tot, oder ich besuche einen meiner Freunde, oder ich lasse mich besuchen, oder... ja, ich glaube, das wars auch schon.

Aber... irgendwie hatte ich nicht wirklich Lust dazu, jemanden einzuladen... oder mich einladen zu lassen. Wie wärs? Ich gammle irgendwo auf ner Bank rum, rufe irgendwelchen schwarzen I-wanna-be-Hippedihoppern "Ey,yo, was geht, ihr *****?" zu und lasse mich somit in eine Schlägerei verwickeln, aus der ich entweder nicht lebend wieder raus komme, oder danach mein restliches Leben im Krankenhaus fristen muss, weil ich noch nie gut mit meinen Fäusten umgehen konnte. Mh... nein, keine so tolle Idee. Ich setze mich vor den Fernseher und schaue Sesamstraße.
 

Irgendwie schaffe ich es die restlichen Stunden hinter mich zu bringen, ohne es wirklich zu merken. So kommt es, dass ich zwanzig Minuten, bevor Kyle hier ankommen soll, hektisch durch meine Wohnung renne, aufräume und mich frage, was ich gottverdammmich bitteschön anziehen soll! Es muss auf jeden Fall etwas sein, dass sexy wirkt, aber nur auf Kyle und nicht auf Miss Helena, was wirklich fatal wäre... nein, daran will ich jetzt nicht denken!

Aber leider erweist sich diese Aufgabe als unmöglich, es sei denn, Kyle würde mich auch im Schlabberlock sexy finden, was ich ehrlich bezweifle. Also ziehe ich mich ganz normal an - nur eben ein bisschen edler, was heißt, dass kein einziges Loch in meiner Jeans und mein schwarzes Pulli weder verknittert, noch verkleckert oder etwas dergleichen ist.

Da klingelt es auch schon. Mir selbst Mut machend schreite ich zur Tür, bleibe mit meinem Ärmel an einem Regenschirm hängen, der im Schirmständer im Flur steht, werfe diesen um, entdecke zwischen den nun herumfliegenden Schirmen und Gehstöcken, die mir mein Opa vererbt hat, einen alten Porno, den ich mir vor Urzeiten einmal ausgeliehen hatte und stolpere vor Schreck automatisch über einen nicht vorhandenen Hubbel meines Laminatbodens, bevor ich die Ehre habe, ihn zu knutschen - meinen Boden.

Hektisch springe ich wieder auf, werfe mich auf den Porno und lasse diesen unter meinen Schuhschrank schlittern. Eiligst richte ich den Schirmständer wieder auf, wobei ich mir fast ein Auge am herausragenden Ende eines Schirms aussteche, und stopfe alle herumgeflogenen Utensilien dort hinein.

O mein Gott, was denkt Kyle nur, wenn ich ihn so lange warten lasse?

Panisch sprinte ich zur Tür, rutsche abermals aus und greife Halt suchend nach der Türklinke, die ich auch zu fassen bekomme. Klar, dass die Tür - wegen meines Schwunges - nach innen aufgeht. Und das so schnell, dass sie mir volle Kanne ins Gesicht schlägt. Unwichtig zu sagen, dass ich wegen der sich öffnenden Türe so oder so schon meinen Halt verloren habe und nun mit schmerzhaft pochender Nase auf dem Boden sitze.

Vor mir steht...
 

... der Postbote.
 

Ach man, geht denn heute alles schief? Unsicher stehe ich auf und fasse mir an die Nase - Autsch, tut das weh!

Den etwas entsetzten Blick des Postboten ignoriere ich lieber mal, während ich ihn leicht näselnd frage, was denn sei.

Ohne viele Worte reicht er mir ein Paket, das ich dankend annehme, bevor ich noch meine Unterschrift auf so ein komisches, elektronisches Ding setzen muss und der Postbote wieder verschwindet. Seufzend lasse ich die Türe zufallen. Und wieder jemand, der mich für vollkommen bescheuert hält.

Langsam setze ich mich in Bewegung und gehe ins Wohnzimmer, wo ich mich auf das Sofa setze und das Paket begutachte. Es ist von meiner Tante Trude, die in Amerika wohnt. Amerika... ein schönes Land. Aber nichts für mich.

Neugierig schüttel ich den Karton - kein Geräusch. Sicher hat sie es entweder gnadenlos vollgestopft oder da ist irgendwas drin, das mit massig Zeitungspapier vor dem kaputtgehen bewahrt wird. Ich hoffe es ist etwas, das mich für meine sicherlich ziemlich rote Nase entschädigt.

Als ich das Paket dann aber schließlich geöffnet habe, schlage ich es errötend wieder zu. Tante! Zögernd öffne ich den Karton wieder und ziehe mehrere, hübsch mit Schleifen verpackte, Männerstrings hervor. Ehrlich: ich hätte ihr niemals erzählen sollen, dass ich schwul bin. Niemals!

Wirklich... wer eine weltoffene, nette, verständnisvolle und durch und durch kumpelhafte Tante hat, kann mich verstehen!

Wobei ich allerdings bezweifle, dass mir ein Kumpel Stringtangas schenken würde. Kurz und schmerzlos: ich verzweifle immer wieder an ihrer Art. Meiner Tante scheint wirklich GAR NICHTS peinlich zu sein! Und wenn ich das sage, dann mein ich das auch so...

Skeptisch ziehe ich aus dem Tanga-Knäuel einen roten, besonders knappen hervor und beäuge ihn kritisch. Na, ob das so eine gute Idee von Trude war...

Ich wage es ihre ausserordentliche Genialität zu bezweifeln und sehe schon ihr tadelndes Gesicht vor mir, wie sie mit dem Zeigefinger wackelt und mit ihrer hohen, aufgedrehten Stimme sagt: "Jetzt zier dich nicht so, Schatzi. Du hast einen sexy Hintern und ich könnte schwören, dass 9 von 10 schwulen Männern ihre Seele dafür verkaufen würden, bloß um mal mit dir zu schlafen".

Trude hat echt nen Knall.

Wieder klingelt es. Vor Schreck lasse ich den String fallen, den ich gehalten habe, und zucke zusammen. Puh, ist das schon wieder der vermaldeite Postbote? Noch was vergessen, oder was?

Gereizt stapfe ich zur Tür und reisse sie auf. Wirklich erst im allerletzten Moment kommt mir der Gedanke, dass die Person, die geklingelt hat, theoretisch auch Kyle sein könnte. Meine Ahnung wird zur Gewissheit, als ich besagten, jungen Mann auf meiner Türschwelle entdecke.

"Kyle!" O mein Gott! Sitzt meine Frisur? Ist der Flur aufgeräumt? Alles da, wo es hingehört? Hab ich was zwischen den Zähnen?

"Hey, Marc. Kann ich reinkommen?", lächelt Kyle, beugt sich ein wenig vor und drückt mir einen Kuss auf die Wange.

Ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht schießt und ziehe Kyle schnell in meine Wohnung, bevor zwischen uns noch so eine peinliche Stille entstehen kann, wie sie für solche Augenblicke berühmt ist. Im Flur nehme ich ihm die Jacke - die ihm natürlich ausgezeichnet steht (überhaupt steht ihm alles) - ab und hänge sie an die Gaderobe.

"Ähm... willst du was trinken?", biete ich ihm unbeholfen an. Scheisse, ich benehme mich wie ein vorpupertäres, verpickeltes Schulmädchen mit Zahnspange im Mund, das gerade von ihrem Schwarm gestreift wurde! Kann man das irgendwo abstellen? So einen Schalter könnte ich jetzt super gebrauchen. Hey, große Klappe, wo bist du? Anscheinend nicht in meinem Universum. Okay, ich werds auch so überleben!

"Gerne. Ein Wasser reicht, danke", erwidert Kyle. Kommt nur mir das so vor, oder seht ihr auch diesen unverschämt selbstzufriedenen Ausdruck in seinem Gesicht... ? Was das wohl zu bedeuten hat? Fragen über Fragen...

"Okay... uhm... dann warte doch erst einmal im Wohnzimmer. Ich komme dann gleich, 'kay?" Wo kommt diese nervtötende Nervosität her? Keine Ahnung, aber jedenfalls ist sie Schuld, dass ich fingerknetend vor meinem Angebetenen stehe. Na toll...

Macht sicher einen wunderbaren Eindruck. Ich strotze ja geradezu vor Selbstsicherheit. Haha... Sarkasmus Ahoi!

"Klar", willigt Kyle ein, zwinkert mir zu - Selbstbeherrschung, Selbstbeherrschung, Selbstbeherrschung! Ommm! - und dreht sich zur Wohnzimmertüre, um kurz darauf hinter dieser zu verschwinden.
 

Damit wäre dieses Hindernis (Begrüßung) überwunden. Schnell hetze ich in die Küche und schenke Mineralwasser in ein Glas ein. So, und damit jetzt zurück in die Stube zu Kyle und...

In der Tür zu besagtem Raum bleibe ich wie angewurzelt stehen. Bitte, lieber Gott (oder was auch immer), mach, dass das nicht wahr ist! Bitte, bitte, bitte, bitte verschone mich vor diesem peinlichen Moment, dem ich gegenüber stehe! In meiner Schulzeit hatte ich beileibe genug davon!

Der Grund meines inbrünstigen Flehens?

Kyle plus Stringtangas. Ich bin tot. Ich bin sowas von tot! Nein, Tante Trude ist tot! Und den Postboten bringe ich bei Gelegenheit gleich mit um! Hab ich nicht noch ein bisschen Dynamit für die Post im Keller?

Auf meiner Couch sitzt Kyle, derjenige, dem ich mein Herz an die Birne geklatscht habe, in jeder Hand einen Männerstring, und grinst mich an. "Wusste gar nicht, dass du auf sowas delikates stehst", schnurrt er. (Bei seiner Tonlage läuft mir ein heiß-kalter Schauer über den Rücken. Klang er schon immer so verdammt sexy?) Tu ich auch nicht, aber für ihn würd ich jederzeit sowas anziehn.

Aus einem Reflex heraus rufe ich allerdings sofort: "Die gehören mir nicht!"

Augenscheinlich nimmt er mir das nicht besonders gut ab, denn er grinst immer noch so verboten... verboten... verboten anzüglich.

Moment... ! Anzüglich? Ich bin im Himmel. Liebe Güte, nein. In der Hölle. Eindeutig!

Wild fuchtel ich mit meinen Händen herum, wobei Wasser aus dem Glas für Kyle schwappt. "Ähh... nein... also... ähm... !", stammele ich verwirrt und unsicher zugleich. Wetten ich bin rot wie eine Tomate? Gott mag mich nicht, nein, das tut er nicht...

Kyle legt die Strings beiseite und steht auf. Langsam kommt er auf mich zu und ich... ich stehe da, schlucke unentwegt, weil mein Hals aus irgendeinem anormalen Grund trocken wie die Sahara ist, und bete innerlich, dass das hier bitte nicht noch peinlicher wird, als es eh schon ist. Was denkt er bloß von mir? Sicher hält er mich für ein männliches Flittchen. Wuah... !

Bei mir angekommen, nimmt er mir das Wasserglas aus der Hand - ich bin viel zu unsicher, um mich jetzt zu bewegen und am Ende noch irgendwas falsch zu machen -, stellt es auf die Kommode, neben mir und legt dann seine Arme um meine Taille. Ich nehm alles zurück: Gott liebt mich!
 

Verwirrt sehe ich ihn an und erwarte garantiert nicht, das, was mich erwartet. Okay, vielleicht habe ich schon den ein oder anderen Gedanken daran verschwendet (allein seine Blicke deuten darauf hin!), aber so... also, ich dachte... eben... genau!

Jedenfalls sieht er mir in die Augen, bevor er seine schließt, sich vorbeugt und mir einen kurzen, zögernden Kuss auf die Lippen haucht. Ich seufze lautlos. Bitte lass das kein Traum sein!

Fühlt sich allerdings ziemlich echt an. Als Kyle sich wieder von mir entfernen will, weiß ich das erfolgreich zu verhindern.

"Na, erst reizen und dann verschwinden wollen?", grinse ich, ehe sich meine Arme wie von selbst um seinen Hals schlingen, ich mich ein wenig strecke und diesmal wiederrum seinen Mund in Beschlag nehme. Strike!

Wie schön das Leben doch sein kann...

Jedoch wird unser Eheglück (Eheglück? Langsam werden mir meine Fantasien selbst fast zu unheimlich... ) durch ein Klopfen an der Tür gestört.

Sofort fahren wir auseinander, wie zwei schüchterne Teenager, die der Vater beim knutschen erwischt hat. Okay, wir haben geknutscht bzw uns geküsst, aber das da an der Tür ist hundertprozentig nicht mein Vater!

Allerdings kommt die Person ebenso ungefragt in die Wohnung, wie es ein Elternteil machen würde und allein schon der Anblick lässt mich schaudern; Miss Helena!

Sitzen meine und seine Haare? Irgendwelche zerknitterten Kleidungsstücke? Nein? Gott sei Dank!

"Guten Abend, meine Herren", flötet meine Vermieterin unberechtigt froh, wenn man mal den Ich-werde-dich-noch-vor-10-Uhr-töten-Blick von mir beachtet. "Es ist schon 5 nach 6, darum bin ich kurz nachschauen gekommen, wann ihr denn kommt." Wie schafft es diese Frau in einen solch banalen Satz so viel Perversität zu legen?

"Ääh... wir wollten uns gerade auf den Weg hoch machen", stammele ich und entferne mich unauffällig noch einen Schritt weiter von Kyle, damit bloß kein Verdacht geschöpft wird und wo ich außerdem noch unaufällig die Sicht auf die immer noch vor dem Sofa liegenden Strings verdecke. "Aber... uhm... wie kommen Sie überhaupt in meine Wohnung?" Hab ich vergessen die Tür hinter dem Gott, der momentan neben mir steht, zu schließen?

"Oh, ich habe einen Ersatzschlüssel, schließlich gehört diese Wohnung mir!", gibt Miss Helena entzückt kund und schwenk auch sogleich mit besagtem Fortenöffner vor meiner Nase herum. "Ich würde dann mal sagen, Sie folgen mir einfach nach oben. Es ist schon alles vorbereitet." Hat sie wirklich bei dem letzten Satz auffälig unauffällig mit den Augenbrauen gewackelt, oder war das Einbildung? Nicht darüber nachdenken, nicht darüber nachdenken!

Kyle schenkt mir einen halb zweifelnden, halb aufmunternden Blick, den ich mit einen Lächeln erwidere, als meine Vermieterin sich umgedreht hat. Mit mehr gutem Willen als Verstand (und einer sehr, sehr schönen Erinnerung an ein Ereignis, das nicht allzu lang her ist) setzen wir uns ebenfalls in Bewegung und folgen dem personifiziertem Grauen in das enge, zugige Treppenhaus und nach oben.

Was uns erwartet, lässt mich ein bisschen überrascht inne halten. Miss Helena hat sich wirklich Mühe gegeben, das muss ich zugeben. Obwohl die Wohnung eher wie ein Puff, als ein normales Heim aussieht. Aber ich kann nicht einschätzen, ob das nicht vielleicht der Normalzustand ist, schließlich bin ich zum ersten Mal hier. Neugierig sehe ich mich also um, nachdem ich hinter meiner Vermieterin und vor Kyle über die Schwelle trete. Die vorherrschenden Farben sind Rot, Ocker und Orange. An allen möglichen und unmöglichen Stellen (Auf der Spitze des Hutständers? Wie hat sie die da hin bekommen?) stehen brennende Kerzen herum. Irgendwo zündelt ein Räucherstäbchen, denn es riecht unangenehm intensiv nach Weirauch (oder so). Hunderpro hab ich heute Nacht, wenn wir endlich hier weg sind, Kopfschmerzen... und was für welche.

Daran wird aber nicht nur der fremdländische Geruchstouch Schuld haben, sondern auch unsere liebe Gastgeberin, die sich just in dem Moment aus ihrem Pulli schält, als ich mich zu ihr umdrehe. Darunter kommt ein rotes, enges, glänzendes (O Gott, das ist doch nicht etwa LATEX?!) Oberteil zum Vorschein, das mehr als nur provokant geschnitten ist. Schluckend frage ich mich, was in aller Herrgottsnamen sich die Frau für diesen Abend überlegt hat, während ich einen hilfesuchenden Blick zu Kyle schicke, der diesen allerdings blöderweise nicht bemerkt, da er selbst damit beschäftigt ist, eine glatte Holzskulptur zu bewundern, die vor der offenen Tür zum Esszimmer steht und sich elegant um sich selbst schlingt.

Miss Helena tritt von hinten an ihn heran und beugt sich über seine Schulter. "Na?", säuselt sie verdächtig lasziv in sein Ohr. Er zuckt zusammen. "Gefällt dir der >Ekstasische Tanz<?"

Bemüht, nicht laut loszuprusten, drehe ich mich um, verschlucke mich beinahe an meinem Glucksen und beisse mir mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf die Unterlippe, um jeglichen verräterischen Ton, der aus meiner Kehle zu entfleuchen versucht (entfleuchen klingt toll poetisch, was?) schon im Keim zu ersticken.

Nach einigen unauffälligen Beruhigungsübungen - Atmung usw. - und einem gestammelten "Äh... äh... ja, sehr... schön... hrrm!" seitens Kyle fühle ich mich wieder imstande mich umzudrehen, ohne so auszusehen, als würde ich die anwesenden Personen auslachen. Was für ein rücksichtsvoller Mensch ich doch bin.

Miss Helena lächelt und entfernt sich wieder etwas von meinem Angebetenen. Recht so! Wenn ich es nämlich genau überdenke, sollte sie ihm gar nicht erst zu nahe kommen. Schließlich gehört er ab heute mir - hihi! Ich hoffe, das sieht er auch so, ansonsten kriegen wir uns nochmal heftigst in die Haare.

Den aufdringlichen Gedanken verscheuchend, lasse ich meinen Blick nochmal von oben bis unten an meinem 'Fang' entlang gleiten. Die ausdrucksstarken Augen, die dunklen Haare, dieser wunderbare Mund, die Nase, die kurz vor der Wurzel einen kleinen Hubbel hat, was ihn gleich noch attraktiver macht, die Wangenknochen, der Hals, der Oberkörper, der Bauch, die Arme, die sehnigen Hände, die Hüfte, der... mmh... Po (ich muss mich davon abhalten mich hier in aller Öffentlichkeit - okay, nur vor Miss Helena, doch das ist ja wohl öffentlich genug - an diesem Prachtstück zu vergreifen), die Oberschenkel, die Knie, die Waden, die Knöchel, die Füße, die in irgendwie elegant aussehenden Schuhen stecken... ich glaube, ich könnte ewig so weitermachen. Als meine Augen allerdings wieder zu denen von Kyle finden, färben sich meine Wangen unverhofft dunkelrot. Ups... da hat mich wohl jemand beim Gaffen erwischt! Schnell und äusserst peinlich berührt, wende ich meine Aufmerksamkeit der Hausherrin zu, die uns bereits breit anlächelt.
 

"Und übrigens: nennt mich doch bitte nicht Miss Helena, sondern Maria, ja?", flötet sie gut gelaunt. "Ich darf euch doch auch beim Vornamen nennen, Marc und...?" Sie bricht den Satz ab und sieht mein Mitbringsel auffordernd an, das auch sofort supergut erzogen reagiert: "Entschuldigung; Kyle. Kyle Morgan. Sehr erfreut."

Stolz bin ich versucht, ihm den Kopf zu tätscheln und ein Leckerlie zu überreichen, lasse es dann aber doch. Trotzdem muss ich daran denken, wie es wohl mit Kyle als Hund wäre... dagegen hätte ich im Grundprinzip nichts einzuwenden. Doggy-style mag ich ja sowieso.

Ein dreckiges Grinsen ziert kurz mein Gesicht, was Kyle mich etwas perplex ansehen lässt. Miss He... ups... äh... Maria hingegen scheint dieses Zeichen lüsterner Gedanken innerhalb meines Denkomats völlig falsch aufzufassen, also auf sich selbst zu beziehen. Denn sie klimpert mich geradezu auffordernd an, was ich natürlich nicht gutheißen kann. Setzen, sechs, ab ins Bett, Maria. Argh! Nein! Alleine, bitteschön!

Ich kichere vergnügt, was Kyle - der aus seinem Schock-Zustand nun wirklich erwacht zu sein scheint - dazu veranlasst mir einen Stoß mit dem Ellbogen zu geben und einen eifersüchtigen Blick in Richtung meiner Vermieterin zu senden. Ich grinse ihn bloß an und... Halt! Hab ich das gerade richtig verstanden? Kann mal jemand ein bisschen zurückspulen? Ja? Danke.

Also: >...ock-Zustand nun wirklich erwacht zu sein scheint - dazu veranlasst mir einen Stoß mit dem Ellbogen zu geben und einen eifersüchtigen Blick in Richtung meiner Vermieterin zu senden. Ich gri...<

HAHA! Habt ihrs gesehn? Habt ihr? HABT IHR? Eifersüchtig! Das ist er! Hehehe! Mein kleiner Kyle ist eifersüchtig. Ach, wie goldig.

Oh je, was sag ich da? Ein heiß-kalter Schauer läuft mir über den Rücken, während ich diesen Blickwechsel zwischen ihm und Maria mitverfolge. Wah, Kyle ist tatsächlich eifersüchtig! Ich kann es nicht fassen! Ich wette, ich schwebe grad mindestens 10 Zentimeter über dem eigentlich zum Gehen gedachten Boden. Ein einziger Gedanke beherrscht das Reich meines Gehirns: Ich. Will. Ihn. Zu. Tode. Knutschen!

Dabei ist es eigentlich überhaupt nicht gut, wenn er eifersüchtig ist. Es gibt mir nur so ein Gefühl des Wichtigseins. Naja, ist das etwa nicht gut?

Nach diesen anfänglichen Schwierigkeiten fordert Maria uns auf doch Platz zu nehmen, was wir natürlich liebend gern tun. Ich jedenfalls, denn wenn ich sitze fühle ich mich nicht so schutzlos. Klingt komisch, ist aber so.

Maria sitzt am Kopfende des kleinen Tisches, Kyle links und ich rechts neben ihr. Eines muss man ihr lassen: Sie hat das Ganze wirklich wunderschön drapiert. Eine weiße, kunstvoll gefaltete Serviette thront auf jedem der drei Teller, die sich warm anfühlen, als wären sie im Ofen erwärmt worden. Auf dem Tisch steht eine große Platte mit geschnittenem Fleisch, wahrscheinlich Rind, und zwei Schalen mit Beilagen - Kartoffelbrei und Gemüse.

Meine Vermieterin ist sehr freundlich zu uns und gibt erst mir, dann Kyle und zuletzt ihr selbst auf, schenkt einen vollen, aromatischen Rotwein aus und eröffnet das Essen dann mit den Worten: "Auf einen schönen Abend, der uns allen noch im Gedächtnis bleiben wird."

Diesen Trinkspruch finde ich ein wenig besorgniserregend, weiß ich doch nicht, auf welche Weise sie sich an den Abend erinnern will. Aber schließlich entscheide ich mich dazu einfach nicht mehr daran zu denken - ich meine; allein das Aussehen und einige merkwürdige Eigenheiten einer Person zeigen der Aussenwelt ja nicht gleich, welcher Charakter sich unter der Schale verbirgt. (Hoffe ich...)

Das Fleisch schmeckt ausgezeichnet, als ich mir jedoch gerade etwas Kartoffelbrei mit dem Messer auf die Gabel schiebe, berührt mich etwas am linken Knöchel. Erstaunt halte ich kurz inne, denke aber nicht, dass in dieser Berührung etwas absichtliches steckt. Aber als das Gleiche nochmals passiert und ich diesmal unverkennbar einen Fuß an meinem Unterschenkel fühlen kann, sehe ich mich fassungslos um. Da füsselt doch einer mit mir!

Den Übeltäter kann ich allerdings nicht enttarnen. Miss Helena sowie Kyle sehen beide unbekümmert auf ihre Teller hinunter, sitzen in vollendeter Haltung auf ihren Stühlen und sehen auch sonst so aus, als würde keiner von ihnen gerade mit seinen Zehen mein Hosenbein hochschieben. O. Mein. Gott.

Schluckend ziehe ich schnell mein Bein weg. Mal ganz im Ernst: Ich hab keine Ahnung, ob das jetzt meine Vermieterin oder Kyle war, aber bitte! Ich hasse füsseln! Das ist sowas von unerotisch. Ich sitze sozusagen in einer Zwickmühle. Wenn Miss Helena das war, hab ich den ultimativen Beweis, dass sie gruselig ist und auch noch was von mir will (bitte nicht).

Wenn es aber Kyle war, der mich mit seinem Fuß angetatscht hat, dann werde ich ihm wohl mal eine Lektion in Sachen 'Gute&Schlechte-Berührungen' geben müssen (bitte nicht).

Auf mein Fuß-ausser-Reichweite-ziehen reagiert jedoch keiner der beiden nennenswert, was heißt, dass ich wahrscheinlich werde fragen müssen, aber DAZU bringen mich nicht mal 3 Hunde, denn schließlich wäre das mehr als peinlich.

Allerdings, wenn ich es mir recht überlege... wenn man mir tatsächlich drei knuddelige Welpen schenken würde, bloß, damit ich frage, wer von den beiden mir eben da am Bein rumgemacht hat, würde ich das ehrlich in Betracht ziehen...

Seufzend entschließe ich mich erstmal weiter zu essen, die Beine brav hinter den Stuhlbeinen verschränkt, und konzentriere mich auf das, was ich mit meiner Gabel umbringe. Huh, toter Kartoffelbrei! Schließlich aber wird es den anderen wohl auch zu still, denn Maria fängt ein Gespräch an. Und das mit den äusserst vielversprechenden Worten: "Schmeckt es ihnen denn?"

Wir bejahen brav und kriegen als Dankeschön auch gleich noch einen kleinen Nachschlag. Och nee, ich bin ja nicht mal mit dem einen Teller schon fertig...
 

Kaum zu glauben, aber nach zwei Stunden, sitzen wir zusammen auf der Couch und unterhalten uns angeregt über Urlaub. Beziehungsweise: Kyle und Miss Helena unterhalten sich und ich höre neidisch zu. Denn, zu meiner Schande, bin ich erst einmal aus England raus gekommen und das auch nur für eine Woche. Damals waren meine Eltern nach Frankreich geflogen und ich durfte gnädigerweise mitkommen - so als kleiner, vierjähriger Bengel.

Tatsächlich wars wohl sehr schön, ich kann mich bloß nicht mehr dran erinnern. Also lausche ich den Ausführungen Kyles, der ziemlich lebhaft schildert, wie er am Amazonas Piranhas gefischt hat und Marias Erzählungen, die wohl mindestens schon in der Hälfte aller Länder der Welt gewesen war. Woher haben die nur das Geld, bitteschön? Geschweige denn mal von der Zeit... "Aaach, das ist unfair!", gebe ich also irgendwann zum besten. "Ich will auch mal so einen aufregenden Urlaub machen."

Mein Liebster (muha) und Miss Helena drehen sich zeitgleich zu mir und antworten völlig synchron: "Wenn du willst, nehm ich dich mal mit!"

Überrascht sehen sie sich an... und war das da eben nicht ein Funke, der aus Kyles Auge gesprungen ist?

"Äh... gerne... ", versuche ich die Situation ein wenig aufzulockern. Nur mit dem Unterschied, das ich tatsächlich gerne mit Kyle wegfahren würde, aber meiner Vermieteri in dieser Hinsicht ja mal überhaupt nicht über den Weg traue. Wer weiß, was das dann für ein Urlaub wird? Brrr, es schüttelt mich!

Allerdings stürzt diese sich auf den ihr hingeworfenen Happen. "Wirklich? Das ist ja wunderbar! Vielleicht kann ich es arrangieren, dass wir zusammen nach Südafrika fliegen und eine Wildlife-Tour in einem Reservat machen", schlägt sie Feuer und Flamme vor.

"Ääh...", stammle ich.

Doch Kyle scheint nicht gewillt zu sein, so leicht aufzugeben. (Irgendwie macht sich in meiner Brust grad so ein Gefühl breit, als würde sich die ganze Welt nur um mich drehen - sehr schlimm, ich sollte mich mal unter Personen begeben, die auch mit sich selbst beschäftigt sind... ). "Ich habe vor kurzem in einem Prospekt von einer Reise nach Thailand gelesen. Soll sehr schön dort sein. Es gibt nicht nur Reservate, sondern auch wunderbare Hotels und eine Menge zu sehen - vor allem das alltägliche Leben zieht angebliche viele Menschen an", sagt er - allerdings ohne mich anzusehen. Stattdessen brennt er meiner Vermieterin die Augen aus.

"Ha!", springt diese darauf an. "In Thailand soll doch die Kriminalitätsrate sehr hoch sein und fahren da nicht viele Europäer hin, um sich mit jungen Thailänderinnen zu vergnügen? Das wollt ihr euch ansehen? In Afrika könnten wir Löwen und andere Wildtiere in ihrer freien Wildbahn beobachten, das ist sicher wunderschön!"

"Äh...", stammle ich wiederholt. Das wird gerade unangenehm...

"Alles Gerüchte!", wischt Kyle ihre Argumente vom Tisch. "Es gibt wunderschöne Wasserfälle in Thailand, Strände, wohin das Auge reicht, Sehenswürdigkeiten und Naturspektakel. Wenn du willst, könnten wir mit Delphinen schnorcheln, Marc."

"Klingt schön...", stimme ich ein wenig unangenehm berührt zu. So schön es auch ist, Aufmerksamkeit en masse zu genießen; irgendwann ist es dann auch mal gut.

Triumphierend blickt er meine Vermieterin von oben herab an, die seinen Blick wütend erwiedert. "Äh, uhm, wo ist denn hier die Toilette?", schalte ich mich schnell ein, bevor das Ganze hier am Ende noch ausufert.

Maria sieht mich an. "Einfach den Flur entlang, die zweite Tür links, gleich neben der Haustür."

"Danke" - schnell mach ich mich vom Acker. Nicht, dass ich tatsächlich aufs Klo müsste. Es ist nur, dass mir die Atmosphäre in diesem Zimmer ein wenig zu dick wird. Egal, wer sie aus welchen Grund so heraufbeschworen hat (und der ist ja wirklich schmeichelhaft...).

In gewünschtem Zimmer angekommen, schließe ich die Tür hinter mir ab und sehe mich erst einmal um, nachdem ich den Lichtschalter ertastet habe. Draussen ist es inzwischen schon dunkel geworden und durch das kleine Fenster kann man, wenn man den weißen Spitzenvorhang zur Seite zieht, über die Dächer der näheren Umgebung sehen. Schließlich befinden wir uns in einer Wohngegend, die höheren Häuser befinden sich ein paar Viertel weiter. Ich kann aber nur wenig erkennen, weil das Glas das Licht der Badezimmerlampe spiegelt, darum mache ich das Fenster auf und genieße die kühle Nachtluft und die wenigen Sterne, die ich am Himmel erkennen kann. Unten auf der Straße fahren mehrere Autos entlang, dort hinten läuft ein Pärchen gemächlich in Richtung der Bars. Wieder einmal wird mir bewusst, wie gerne ich doch hier lebe - trotz der Abgaße und dem ständigen Stadtstress.

Dann jedoch wird mir meine gegenwärtige Situation wieder bewusst und seufzend schließe ich das Fenster. Was mache ich eigentlich so einen Aufstand? Ich könnte das alles doch ganz schnell beenden, schließlich dreht sich diese kleine Auseinandersetzung um mich und so schlimm war sie ja nun auch wieder nicht!

Der Tarnung wegen betätige ich die Klospülung und wasche mir die Hände. Ein Bild hängt direkt über der Toilette, am Fenster eine exotische Pflanze und durch den Spiegel über dem Waschbecken sieht mich ein gepflegter, junger Mann an. Ausnahmsweiße sehe ich mal ganz passabel aus. Also dann...

Frischen Mutes schließe ich die Tür auf und gehe hinüber ins Esszimmer. Wie ich ein bisschen erleichtert erkennen kann, haben Maria und Kyle ihren Streit aber inzwischen beigelegt und plaudern ein bisschen über dies und jenes. Meine helfende Hand wird also gar nicht mehr benötigt.

Ich setze mich neben Kyle und beteilige mich am Gespräch. Es ist nett. Wirklich, ich hätte nicht gedacht, dass es so nett sein könnte, bei Miss Helena zu Abend zu essen. Obwohl wir einige eindeutige Angebote erhalten, umgehen wir diese immer wieder geschickt - hach, wir sind so gut - und schaffen es gegen Mitternacht schließlich unbehelligt in meine eigene Wohnung - mit deutlich höherem Alkoholspiegel als wir sie verlassen haben, soviel ist sicher.

"... und dann", kichere ich albern, während ich mir die Schuhe achtlos von den Füßen trete (sie kommen irgendwo neben dem Schuhregal auf dem Boden auf), "hat er gesagt: 'Mister, ich kann nicht erlauben, dass Sie' - haha, sorry - 'dass Sie das hier mit reinbringen, es könnte andere Passanten verletzen'!" Ich lache und obwohl ich mir sicher bin, dass Kyle wahrscheinlich keine Ahnung hat, worüber ich gerade rede, hat sich auch auf sein Gesicht ein breites Grinsen gelegt.

Ich schwanke und halte mich aus einem Reflex an dem nächstbesten Gegenstand fest, der natürlich ganz zufällig mein neuer Freund ist (yeah!) und bringe somit auch ihn zum Stolpern.

"Whowhow! Immer langsam, Kleiner", lacht er und stützt mich. Naja, eigentlich stützen wir uns gegenseitig, da wir beide etwa gleich viel intus haben. Irgendwie hab ich allerdings ein Gefühl, als ob Kyle damit ein bisschen besser zurecht kommt, als ich, denn er wirkt noch viel zu nüchtern.

Zusammen schwanken wir ins Wohnzimmer und lassen uns gemeinsam auf die Couch fallen. Meine Augen entdecken die immer noch nicht weggeräumten Strings und meine Wangen werden heiß. Uh-oh! Trude blüht echt was, wenn ich sie irgendwann mal wieder sehe... !

Auch Kyle scheint sich durch ihren Anblich erinnert zu fühlen, denn er fischt einen aus der Schachtel hervor - er ist getigert... - und hält ihn mir vors Gesicht. "Na, wie wärs? Willst du dich nicht mal für mich umziehen?", schnurrt er in mein Ohr und unwillkürlich rücke ich ein bisschen näher, trotz der Tatsache, dass wir schon fast aufeinander hocken. "Liebster", säusele ich, auf das Gesagte einsteigend, "für dich würde ich doch alles aus- äh, anziehen. Aber stehst du wirklich auf getigerte Strings?"

Erst jetzt besieht er sich den geangelten Tanga genauer und wirft ihn über seine Schulter. "Nein, du hast recht... ", meint er, während er schon wieder in dem Karton rumwühlt. "Aber... wie wärs mit... uhm... dem?" Diesmal hält er mir ein bordeauxrotes Stück Unterwäsche vor die Nase.

"Schon besser", lobe ich grinsend, strecke meine Hand aus und nehme ihm den String ab. Allerdings benutze ich das nur als Vorwand, um meine Finger mit seinen zu verflechten. Zwischen unseren Handflächen klemmt der Tanga, aber das ist im Moment echt eine sowas von unwichtige Nebensache...! Irgendwie ist Kyle unbemerkt noch viel näher an mich ran gekommen und kaum, dass ich merke, wie winzig der Abstand zwischen unseren Gesichtern ist, werden meine Lippen auch schon von den seinigen in Beschlag genommen. Ein wunderschönes Gefühl! Sie sind so weich und nachgiebig, aber dennoch fest und fordernd. Dieser Art der Kommunikation kann ich natürlich nicht widerstehen und schon bald finde ich mich auf seinem Schoß wieder, seine Hände an Po und Nacken und meine Arme um seinen Hals geschlungen, während meine Finger sich in sein Haar verirrt haben.

Er scheint den Kuss vertiefen zu wollen, denn schnell hat er meinen Mund mit Zunge und Lippen geöffnet. Aber dagegen hab ich ja nichts, war ja schließlich ein Bestandteil meiner alltäglichen Träumereien, seit ich ihn getroffen habe. Ich seufze zufrieden in den Kuss hinein und bekomme fast nicht mit, wie er sich halb dreht und mich auf das Sofapolster hinunter drückt. Langsam öffne ich meine Augen, die ich im Laufe des Kusses geschlossen habe, und sehe mir an, was ich da so glücklich ersteigert habe. Das Oberlicht des Wohnzimmers ist nicht an, sondern nur eine Stehlampe, die gemütliches, atmosphärisches Licht im Raum verbreitet. Alles wirkt ein bisschen schummrig und da Kyle sich so über mich beugt, ist sein Körper vor Schatten dunkel und kaum zu erkennen. Nur seine Augen blitzen mir entgegen. Ein wirklich unvergesslich erotischer Anblick...

Ach, was habe ich doch für ein Glück!

Wieder werde ich geküsst und küsse eifrig zurück. Eine Hand schiebt sich unter meinen Pullover und über meinen Bauch, während meine Finger damit beschäftigt sind, sein Hemd aufzuknöpfen, wobei ich dabei versuche seine Haut so oft wie möglich mit den Fingerspitzen zu berühren. Ihm, wie mir, läuft ein Schauer über den Rücken. Rrrr...

Als er mir den Pullover über den Kopf zieht, helfe ich ein bisschen nach, aber als er sich daran macht, meine Hose zu öffnen, lege ich meine Hand widerstrebend über seine und halte ihn so auf. Ein halb überraschter, halb enttäuschter Blick trifft mich, aber ich lächle ihn beruhigend an.

"Lass uns ins Schlafzimmer wechseln", biete ich atemlos an, denn soeben hat sich mein letzter Rest Verstand zurück gemeldet. Sex auf dem Sofa kann ganz aufregend sein, aber es ist auch ein wenig unbequem und außerdem ungeeignet, wenn es schon so spät ist, dass man danach höchstwahrscheinlich einschläft.

Also rappeln wir uns auf und ich führe ihn durch das Zimmer und über den Flur in mein Schlafgemach. Allerdings kann ich nicht verhindern, dass ich ihn so oft berühre, wie es mir möglich ist und darum geht der eigentlich kurze Weg auch nur relativ schleppend voran. Endlich angekommen wirft Kyle mich beinahe aufs Bett, was mich zum Lachen bringt. Da hat es aber jemand eilig. Andererseits kann ich nicht verleugnen, dass auch mir inzwischen die Geduld ausgeht.

Hastig entkleiden wir uns halb selbst, halb gegenseitig, bis wir die Haut des anderen gegen unsere spühren. Ein wilder Kuss fängt meine Gedanken ein.

Im Lichtschein, der aus dem Flur ins Zimmer scheint, lieben wir uns die ganze Nacht.
 

~
 

Hey.
 

Entschuldigung an alle, die so lange warten mussten, bis ich endlich hochgeladen habe. Inzwischen ist das ja auch schon fast ein Jahr her! Herrgott!

Ich hatte nur sehr viele Probleme mit meinem Computer und zwischenzeitlich noch eine Schreibblockade im Bezug auf diese Story. Noch dazu kam, dass sich mein Schreibstil ebenfalls verändert hat, was sich vielleicht in diesem Kapitel widerspiegelt. Ich hoffe allerdings, dass es nicht allzu offensichtlich ist. ;)
 

Viele liebe Grüße,

Nanashi.

7

Sonntag

Ich wache auf. Und das auf die angehmste Art und Weise, die ich mir momentan vorstellen kann. Ich kann mir auch nicht denken, dass ich jemals eine bessere Art des Aufwachens kennenlernen könnte...

Kennt ihr das, wenn ihr die letzten Tage das Gefühl hattet, vor lauter Stress kein Oberwasser mehr zu bekommen und euch dann endlich entspannt schlafen legen könnt? Dann schlaft ihr so lange, bis euer Pensum vollkommen ausgelastet ist und schaukelt sanft aus dem angenehmen Tiefschlaf ins Wachsein über. Das mag dann ja auch schon ganz angenehm sein, aber... glaubt mir, MEIN Aufwachen ist noch viiieel angenehmer, als das! Haha, ihr fragt euch jetzt sicherlich, warum das so ist, aber ich verrats euch nicht! Hehehe... Na gut, überredet: ich wache also langsam auf und das erste, was ich bewusst von meiner Umwelt wahrnehme, ist das sanfte Kitzeln an meinem Oberarm und das ebenso gemächliche Heben und Senken des Oberkörpers, auf dem ich es mir wohl während des Schlafes bequem gemacht habe. Die Wärme, die Kyle ausstrahlt, lullt mich ein und vor lauter Behaglichkeit schmiege ich mich schläfrig lächelnd an ihn. Sein Körper vibriert leicht, als er anscheinend ein Brummen... brummt.

Glücklich seufzend bequeme ich mich dazu meine Augen zu öffnen. Gott, ich war schon lange nicht mehr so zufrieden! Von mir aus könnte es immer so sein.

Ich sehe Haut und Muskeln und Haut und Häärchen und Haut und eine Brustwarze und noch mehr Haut. Drauf liegt meine rechte Hand, mit der ich nun kleine Kreise über Kyles Rippenbögen ziehe.

"Ah, du bist wach", sagt er und seine Stimmbänder sind noch ganz entspannt, weshalb seine Stimme wunderbar rau klingt. "Mmh-mmh", summe ich zustimmend. "Du doch auch."

"Sollte ja keine Anschuldigung sein", erwidert er und ich kann das Grinsen, das sein Gesicht ziert, geradezu schmecken. Ebenfalls lächelnd sehe ich zu ihm hoch, begegne dem Blick aus wunderschön grünen Augen und strecke ihm die Zunge raus. Sein Grinsen verwandelt sich in ein breites Lächeln. Plötzlich werde ich auf den Rücken gedreht und falle fast aus dem Bett. Erschrocken japsend klammere ich mich an seinen Schultern fest. "Uwah, erschreck mich doch nicht so!", rufe ich immer noch von der Socke, jetzt völlig aus der letzten Schläfrigkeit gerissen. Er lacht nur, streicht mir ein paar meiner bestimmt wild abstehenden Haaren hinters Ohr, beugt sich zu mir herunter und keinen Moment später spüre ich seine weichen Lippen auf meinen. Erheitert grinse ich kurz in den Kuss hinein, bevor ich die Augen wieder schließe und ihn erwidere.

Mmmh... das ist GENAU der Grund, weshalb ich ihn liebe. Langsam löst er sich von mir und als ich zu ihm aufsehe, hat er immer noch geschlossene Augen. Hab ich schon erwähnt, dass ich ihn liebe? Meinen Vorteil (das Auffangen von Lichtstrahlen durch meine Netzhaut und der damit verbundenen Fähigkeit Dinge zu sehen) ausnutzend, piekse ich ihm mit dem Finger zwischen die Rippen, schubse ihn von mir herunter und rolle mich schnell aus dem Bett, um seinen Armen zu entkommen, die sich schon nach mir ausgestreckt haben.

"Hey... hey! Wo willst du denn hin?", jammert er herzerweichend, während er versucht, sich aus den Laken zu wühlen. Nackt wie ich bin - ups, wie kommt das wohl? - drehe ich mich halb zu ihm um und winke möglichst unschuldig.

"Entschuldige, Tarzan, aber ich möchte mich unter den Dschungelwasserfall stellen", grinse ich über meine Schulter und entwische Kyles verwirrten Blick, indem ich durch die immer noch offene Tür zum Flur hinaus trete, nach einem kurzen Kopfschütteln das Licht ausmache und summend zum Bad schlendere. Ich kann mir gut vorstellen, dass mein Angebeteter da drüben, in meinem Bett, keine Ahnung hat, warum ich ihm Kinder-Abenteuer-Comic-Dschungel-Helden-Spitznamen gebe, aber irgendwie wollte ich das schon immer mal machen. Hihi, wenn er Tarzan ist, dann bin ich wohl Jane. Hinter meiner Stirn formt sich ein Bild von Kyle, mit nichts weiter bekleidet, als einem Lendenschurz, wie er jodelnd von Liane zu Liane schwingt. Immer breiter grinsend drehe ich den Wasserhahn auf, warte aber noch, bis ich mich tatsächlich unter das Fließend-Wasser stelle, denn noch ist es nicht warm und mit kaltem Wasser hab ich mich noch nie anfreunden können. Es widerstrebt mir fast mich zu waschen, denn mit dem unangenehmen Schweiß wird auch Kyles Eigengeruch in den Abfluß fließen.

Aber das ist Unsinn, weiß ich. Schließlich werde ich hoffentlich noch viele Gelegenheiten haben, mich mit dem Geruch meines Liebsten zu umgeben. Und nicht nur mit dem Geruch.

Wie ein Blöder kichernd hüpfe ich letztendlich doch noch unter die Dusche und greife nach dem Duschgel. Es ist irgendso ein Spezialding, das angeblich nach irgendwas tollem riechen soll, das irgendein Werbefuzzi ganz schlau 'Herbstblüte' genannt hat, meiner Meinung nach allerdings zwar nach etwas gutem, aber nicht identifizierbaren riecht. Langsam werden die Glaswände meiner bescheiden-kleinen Dusche durch den warmen Wasserdampf immer undurchsichtiger. Schnell schäume ich eine handvoll Duschgel auf und verteile es auf meinem Oberkörper. Die Wärme, die sanfte Massage des Wassers auf meinem Scheitel und den Schultern, die Gewissheit, dass da ein wundervoller Mann in einem anderen Zimmer meiner Wohnung wartet - das alles lässt mich selig lächeln und völlig entspannen. Ah, wenn das ein Traum ist, will ich niemals wieder aufwachen. Meinetwegen würde ich dann ins Koma fallen, wo ich dann für immer und ewig von Kyle phantasieren würde. Okay, stellen wir mal dieses Geschleime ab und sagen einfach, dass ich mich super fühle, 'kay?

Schnell dusche ich mir den Schaum ab, stelle das Wasser aus und springe förmlich aus der Duschkabine. Überrascht pralle ich mit jemandem zusammen und der einzige jemand, der im Moment in dieser Wohnung herumläuft und nicht Marc heißt, ist nunmal Kyle. "Hoppla, was machst du denn hier?", will ich wissen, als ich mich wieder gefangen habe (hauptsächlich, indem ich mich an ihm festhalte und von ihm festgehalten werde). Er schaut ein bisschen enttäuscht.

"Schade... eigentlich wollte Tarzan dir gerade unter dem Dschungelwasserfall Gesellschaft leisten", schmollt er und ich schlinge meine Arme um seinen Hals. "Wirklich schade!", stimme ich ihm zu. "Vielleicht könnte ich mich dazu entscheiden, mich nochmal von dem Wasserfall berieseln zu lassen, wenn Tarzan mich lieb genug überredet."

Er vergräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge und kaum einen Augenschlag später spüre ich seine Lippen an meiner noch feuchten Haut. Seufzend lege ich den Kopf zur Seite, um ihm mehr Raum zu lassen.
 

"Tarzan soll dich also überreden, ja?", murmelt er an meine Haut.

"Ich bitte darum", gebe ich zurück, habe die Augen bereits geschlossen - die Wandkacheln sind nicht die schönste Aussicht für solche Momente.

Federleicht wandert sein Mund von der Halsbeuge bis hin zu der empfindlichen Stelle direkt hinter meinem Ohr und beschehrt mir damit eine angenehme Gänsehaut. Kyles Zähne streifen mein Ohrläppchen, dann arbeiten sich seine Lippen bis zu meinen vor und verschließen sie effektiv. Meine Finger verwuscheln sein eh schon unordentliches Haar, als sie sich hineinwühlen, um mir Kyle noch ein bisschen näher zu bringen. Lange bleibt der Kuss keine unschuldige Lippen-auf-Lippen-Berührung, denn ehe ich mich versehe, schleicht sich auch schon eine vorwitzige Zunge zwischen meine Zahn-Barrieren, damit meine nicht so allein ist. Willig öffne ich den Mund ein Stück weit und genieße die kleine Knutsch-Attake.

Kyles Hände jedoch geben sich nicht mit ein bisschen kuscheln zufrieden, sondern haben sich schneller auf meinen Po gelegt, als ich hätte schauen können - wäre ich nicht gerade so abgelenkt von dem Mund des Besitzers dieser Hände.

"Mmh... überredet", lasse ich mich gütig herab, als er für einen Moment von mir ablässt.

"Sehr schön", grinst er und schon werde ich wieder unter die Dusche geschoben. Puh, ich weiß eigentlich nicht, ob das wirklich eine so gute Idee ist, denn ich bin leider kein vermögender Geschäftsmann mit 10m² Mannschaftsdusche. Stattdessen ist mein Bad eher mit der engen Studentenversion ausgestattet. Ich fröstele, als ich mit dem Rücken an die, trotz des Wassers, kalten Fließen stoße und rücke schnell wieder ein Stückchen nach vorne, was bedeutet, dass ich leider, leider noch näher an Kyle heran muss. Soll mich dieses spitzbübische Funkeln in seinen Augen irgendwie beunruhigen? Um das Wasser wieder anstellen zu können, muss er den Griff hinter mir herumdrehen. Lachend halte ich mich an seinen Schultern fest, als er mich ein Stück zur Seite schiebt, um überhaupt an den Griff heran zu kommen. Erst ist das Wasser noch schön warm von meinem vorigen Dschungelwasserfall-Besuch, aber dann wird es schlagartig kalt. Erschrocken schreie ich auf. "Mach es warm, mach es warm, mach es warm!"

Diesmal ist es an ihm zu lachen. Anscheinend macht ihm dieser Kälteschock gar nichts aus. O Gott, bitte lass ihn kein Kaltduscher sein... obwohl das dann ja wiederrum auch auf eine seltsame Art und Weise attraktiv wirkt. Wieso, kann ich jetzt wirklich nicht erklären, aber wirkt er dadurch nicht ein bisschen männlicher?

Allerdings, wenn ich es mir recht überlege... was an Kyle ist bitteschön denn NICHT männlich? Erleichtert seufze ich auf, als das Wasser endlich eine angenehme Temperatur annimmt.

"Willst du mich umbringen?", frage ich entrüstet, aber er schüttelt nur den Kopf. Ein wenig beleidigt drehe ich mich so gut es geht um, ohne mir die Ellbogen an irgendwelchen Armaturen zu stoßen und drehe die Temperatur noch weiter auf. Als ich mich wieder zu Kyle drehen will, werde ich jedoch von ein Paar Händen aufgehalten, die sich auf meine Hüften gelegt haben.

"Bleib mal so", bittet mich Tarzan und weil Jane so gut erzogen ist, tut sie ihm den Gefallen. Also, nicht dass ihr jetzt denkt, ich wäre ein Mädel. Um Gottes Willen, nein! Ich bin ein Mann, klar? Also streichen wir mal das 'Jane' und ersetzen es durch 'Marc'...

Langsam werde ich ungeduldig. Was macht Kyle denn da so geheimes hinter meinem Rücken, dass ich mich nicht umdrehen darf? Ich höre das Klicken einer Shampooflasche. Oder war es die Duschgelflasche? Die hören sich so gleich an und bisher habe ich noch nicht die Zeit gefunden, erweiterte Studien über die Klickgeräusche von Körperpflegemittelflaschen zu führen.

Mir läuft Wasser in die Augen und schnell blinzel ich es weg. Kurz darauf werde ich von Kyle wieder herum geschoben, bis sich mein Kopf ausserhalb des Wasserfalls befindet. Okay, inzwischen habe ich wirklich keine Ahnung mehr, was er machen möchte. Kann mich mal jemand aufklären?

Dann aber fühle ich etwas kaltes auf meiner Kopfhaut und kurz darauf schlanke Finger, die das Shampoo in meinem dunkelbraunem Haar verteilen und aufschäumen. Ich finds zwar ein bisschen komisch, dass er mir nicht einfach gesagt hat, was er machen will, aber gegen sein Tun habe ich nichts einzuwenden, also lassen wir das mal auf sich beruhen. Die Kopfmasage genießend schließe ich die Augen und lehne mich ein bisschen zurück, um mich an Kyle zu lehnen. Ich bin schließlich ein ganz winziges bisschen kleiner als er, da sollte das weitere Haare waschen kein Problem sein. Jaja, er ist ungefär einen halben Kopf größer, aber träumen darf ich ja wohl noch, oder?

Als meine Haare anscheinend sauber genug sind, geht Kyle einen Schritt zurück und zieht mich mit sich. "Mach die Augen zu, damit dir kein Schaum reinläuft", rät er mir fürsorglich. Ha, als wäre ich bei dieser Behandlung noch imstande die Augen offen zu halten. Zusätzlich lege ich mir jedoch noch eine Hand über die Brauen, damit ich mich nicht tatsächlich nachher mit brennenden Netzhäuten herumschlagen muss.
 

Er löst den Duschkopf von der Halterung und sprudelt mir förmlich das Shampoo aus den Haaren. Schön...

Danach bringt er die Brause wieder an und wuschelt mir zärtlich durch den Schopf. Ohne auf die geringe Gegenwehr zu achten, drehe ich mich jetzt doch herum. "Jetzt bin ich sauber, aber Tarzan noch nicht, was sollen wir da bloß machen?", frage ich ihn feixend, lege meine Arme um seinen Hals und greife hinter ihm mit nach dem Duschgel, das auf der ziemlich hoch gelegenen Ablage steht.

"Ein schwerwiegendes Problem, das wohl ausführlicher Pflege bedarf", antwortet er ebenso gut gelaunt und küsst mich auf die Wange.

"Sehr intensiver Pflege", stimme ich nickend zu. Oh ja, und leider ist unter diesem Wasserfall kein anderer Mensch, der Tarzan dabei helfen könnte sauber zu werden, ausser ich. Hehe.

Vorsichtig öffne ich den Verschluss der Duschgelflasche mit dem Daumen, während meine freie Hand durch Kyles nasse, schwarzes Haare krault. Er lässt mich nicht aus den Augen und obwohl er nichts sagt, sehe ich an seinem Blick, dass er sich rundum gut fühlt. Das kann man sehen, ja. Sogar ganz einfach.

Ich entleere das Duschgel in die Handfläche der Hand, die noch kurz zuvor auf Kyles Kopf lag, und stelle die Flasche zurück. Mit langsamen Bewegungen verteile ich das Gel auf Schultern und Rücken, folge mit den Fingern der Wirbelsäule, von dort über die Rippen nach vorne zur Brust, um ihn auch dort einzuschäumen. Das Waschen hat sich ziemlich schnell in eine Art Massieren verwandelt, und während meine Hände mit sanften Druck über Kyles Bauch streichen, dort mit einer Fingerspitze in den Bauchnabel eintauchen, nur um dann den Weg nach oben zu nehmen, an den Brustwarzen vorbei auf die Schultern und von diesem Ort aus die Arme hinunter, seufzt Kyle wohlig auf. Kurz beschäftige ich mich mit jeder Handfläche einzeln, dann streicheln meine Hände durch den Schaum zum Hals, den ich ebenfalls nur kurz einseife, bevor sie behutsam Druck auf den Nacken ausüben, um die Muskeln zu lockern, was allerdings kaum mehr nötig zu sein scheint, denn Kyle ist vollkommen entspannt. Flüchtig streife ich mit den Fingern seine Seiten, als meine Hände wieder gen Süden wandern und ich hebe den Blick, um Tarzan in die Augen sehen zu können. Er hat mich anscheinend nicht eine Sekunde unbeobachtet gelassen, denn sofort begegne ich seinen grünen Pupillen. Meine Hände legen sich für einen Augenblick verweilend auf seinen Po, bevor sie das wenige der Oberschenkel 'behandeln', das ich noch erreichen kann, ohne mich herunterbeugen zu müssen. Ich zögere kurz, dann streicheln meine Finger nach vorne und auf seinen Schoß. Unglaublich, wie unsere Intimität in nur einer Nacht gewachsen ist, aber es gibt praktisch fast keinen Ort an seinem Körper mehr, an dem ich ihn nicht berührt habe und andersherum verhält es sich genauso. In Erinnerung an das, womit wir uns die Nacht über hauptsächlich beschäftigt haben, werden meine Wangen heiß, ohne dass ich es groß zu verhindern wüsste. Ah, mist! Scheint, als hätte ich ein nicht unerheblich an den Situationen, in die ich mich nur allzu oft hinein schaukel, beteiligtes Scham-Gen in meiner Erbinformation. Den Gedanken möglichst schnell aus meinem Kopf vertreibend, konzentriere ich mich auf das, was mich eigentlich momentan am meisten beschäftigen sollte. Jedenfalls schaut Kyle schon ganz ungeduldig, weil ich einfach so aufgehört habe.

Verlegen grinsend bewege ich meine Finger um das, was sich da in meine Handflächen schmiegt. Zufälligerweise handelt es sich dabei um Kyles bestes Stück, was besagten Mann dazu bringt seine Hüfte weiter vor zu schieben und schneller zu atmen. Meine Verlegenheit ist dann aber recht schnell verschwunden und ich wäre nicht ich, wenn ich diese Situation nicht auskosten würde. Mal ehrlich: mit dem Mann seiner Träume unter der Dusche, aufgrund mangelnden Platzes eng aneinander geschmiegt und praktisch dabei übereinander herzufallen... wer könnte da wiederstehen? (Ich jedenfalls nicht... )

Meine rechte Hand umschließt sein Glied und die andere begiebt sich auf die Reise über den Torso, bis kurz unter seine Achselhöhle. Einer seiner empfindlichen Punkte, wie ich gestern herausgefunden habe. Hehehe.

Das Streicheln an besagter empfindlichen Stelle und die massierenden vor-zurück-Bewegungen eine Etage weiter unten, bringen Kyle dazu aufzustöhnen und kurzzeitig die Augen zu schließen, ehe sie praktisch auffliegen und genau beobachten, was ich tue. Wie so ein Kontrollheini aus der U-Bahn, nur um einiges heisser. Über diesen Gedanken belustigt, erwidere ich den Blick, während auch meine linke Hand erneut zwischen seine Beine gelangt, wo sie sich an die Arbeit macht, seine Hoden zu verwöhnen.

Und obwohl kaum eine halbe Stunde vergangen ist, seit wir beide aus dem Bett gekommen sind, vollführen wohl die heiße, entspannende Dusche und meine Hände ihre Arbeit, denn er kommt mit meinem Namen auf den Lippen und stützt sich während seines Höhepunktes auf mir ab.

Lächelnd lasse ich ihn machen - wer wäre ich denn, ihm zu verbieten sich an mich zu lehnen - und streichel über seinen Rücken, während das herabprasselnde Wasser die Spuren dieses kleinen Stelldicheins in den Abfluss spülen. Natürlich ist das Ganze nicht ganz unbesehen an mir vorbei gegangen, aber lassen wir dem armen, alten Mann doch seine wohlverdiente Pause. Außerdem macht es mich selbstverständlich schon ein bisschen stolz, dass ICH es bin, der ihn so behandeln darf, und dass er wegen MIR so fertig ist.

Aber das ist er nicht lange, denn Kyles haben im Allgemeinen eine relativ kurze Erholungsphase. Steht in jedem vernünftigen Biobuch. Na gut... es sollte in jedem vernünftigen Biobuch stehen, aber wahrscheinlich haben nur hervorragende Biologen dieses Phänomen beachtet und niedergeschrieben. Allerdings sollte man diese Bücher dann alle aus dem Verkauf nehmen und alle Biologen erschießen, die über diese Eigenschaft der Kyles Bescheid wissen, jawohl! Schließlich will ich nicht, dass alle Welt von Kyles ganz persönlichen Eigenschaften weiß. Das darf nur ich. Und da will ich auch gar nicht erfahren, wie diese Biologen überhaupt das Wissen über die kurzen Erholungsphasen der Kyles erlangt haben.

Glücklich erwidere ich den Kuss, in den er mich zieht und der alle weiteren Mordgedanken in meinem Kopf im Ansatz auslöscht. Dieser Mann hier ist wundervoll. Ich liebe ihn.

Kaum habe ich das gedacht, spricht er meine Gedanken schon aus, nur auf umgekehrter Basis: "Mmh... ich liebe dich, Marc." Gleich noch viel glücklicher, küsse ich ihn nochmals. "Ich dich auch", murmle ich gegen seine weichen Lippen.

"Aber die Gerechtigkeit ist schon wieder unausgewogen", teilt er mir mit, woraufhin ich nur perplex gucken kann. Wieso ist die Gerechtigkeit 'unausgewogen'? Überhaupt, was hat das hier mit Gerechtigkeit zu tun?

Denkbar blöd klingt mein Kommentar. Ungefär so: "Hä?"

Diese Blödheit bringt ihn auch gleich zum Lachen. Man, ist das ungerecht, ich will endlich wissen, was hier los ist!

"Na, schau doch mal", grinst er, legt seine Hände an meine Taille und zieht mich ganz nah an seinen Körper heran. Aufstöhnend werde ich dadurch an meine eigene Erregung erinnert.

"Ach, das", keuche ich. Er grinst nur noch mehr und bewegt seine Hüfte gegen meine. "Genau das", flüstert er in mein Ohr, als ich mich an ihn lehne und hastig die Luft in meine Lungen ziehe. "Du... hast recht", stimme ich ihm sofort zu. "Diese Ungerechtigkeit muss... ah... umgehend behoben werden."

"Und was krieg ich dafür, wenn ich sie behebe?", fragt er und ich kann das Feixen aus seiner noch rauen Stimme heraus hören. "Nichts, ich hab... im Voraus bezahlt", gebe ich meinerseits zurück, ebenfalls grinsend.

"Stimmt, wie konnte ich das vergessen?", scheint er sich an die Fliesen zu wenden, erhält aber verständlicherweise keine Antwort. Kacheln sind auch nur in Ausnahmefällen gesprächig. Wenn man ungefär 10 Gläser von diesem neuen, billigen, gemixten Fusel-Cocktail, aus der Bar zwei Straßen weiter, zuviel gekippt hat, beispielsweise.

"Du bist gemein", schmolle ich und seufze auf, als er abermals Reibung zwischen unsere Körper bringt.

"Tut mir Leid, Süßer. Natürlich habe ich es noch nicht vergessen", werde ich auch sogleich getröstet und der liebevolle Kosename bringt mein Herz gleich noch schneller zum Schlagen.

Sanft küsst er sich seinen Weg von meinen Lippen, zu den Brustwarzen und schließlich bis zu meinem Schoß. Dabei ist er aus praktischen Gründen und der allgemein empfohlenen Rückenschmerz-Vorbeugung in die Knie gegangen. An den Anblick könnte ich mich gewöhnen...

Allerdings knallt mir jetzt das Wasser direkt ins Gesicht, und um dem zu entkommen lehne ich mich ein Stückchen zurück.

Wie schon Nachts kann ich auch jetzt nur feststellen, dass Kyle definitiv irgendeinen Teufelspackt eingegangen sein muss, denn er legt eine Zungenfertigkeit an den Tag, die unmöglich von dieser Welt stammen kann.
 

Ungefär eine halbe Stunde später befinden wir uns in der Küche und essen gemächlich unser wohlverdientes Frühstück. Naja, eigentlich ist es wohl eher ein Mittagessen, denn vor zwei Minuten hat die Kirchturmuhr 12 mal geschlagen. Es herrscht eine angenehme Ruhe, bis sich mein Telefon dazu entscheidet uns ein bisschen zu stören. Und das tut es auch sehr effektiv, indem es ganz einfach anfängt zu klingeln. Unwillig murrend stehe ich auf, strecke mich und tapse zu besagtem Kommunikationsgerät, um auf den roten- äh, grünen Knopf zum Abheben zu drücken. Damit Kyle sich nicht so einsam vorkommt, kehre ich mit Telefon wieder in die Küche zurück, setze mich neben ihn und lehne mich an seine Brust, während er mich mittels Umarmen noch zusätzlich stützt.

"Hallo, hier ist Marc Terrence", sage ich in den Hörer und streichel mit meiner freien Hand über die von Kyle, die auf meinem Bauch liegt.

"Hi Marc, hier ist Jo. Ich wollte nur mal fragen, wie es dir geht und so", kommt mir aus der Hörmuschel entgegen.

"Nett, dass du anrufst, Jo, aber mir gehts hervorragend, du musst dir also keine Sorgen machen". Ich lächel selig.

"Hervorragend? O mein Gott, Marc, welcher Dämon hat dich denn verflucht? Lass mich überlegen... dieses Wort hast du zuletzt vor etwa einem halben Jahr benutzt, als du dich über deine Mutter lustig gemacht hast, soweit ich mich erinnere."

"Du willst wissen, welcher Dämon das war. Hier, du darfst ihn sprechen." Glücklich grinsend halte ich Kyle das Telefon ans Ohr und flüstere: "Eine gute Freundin von mir, die sich unnötige Sorgen macht und dich kennen lernen will." Tatsächlich hat sie ihn ja noch nie gesehen...

Kurz schaut er etwas überrascht, legt dann jedoch seine Hand über meine und grinst wie ein kleiner, frecher Spitzbube. "Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Freund Marc Terrence in meinen Besitz übergegangen ist. Verwünschungen aller Art werden nicht entgegengenommen. Sie müssen sich keine Sorgen machen, er kriegt täglich zwei Mahlzeiten und der Käfig ist ebenfalls nicht allzu klein..."

"Kyle!", lache ich und nehme das Telefon wieder an mich. "Da hörst dus, ich hab ein nettes Herrchen."

"Mensch, Marc, das ist ja super!", ruft Jo mir entgegen. "War das Kyle? Kein Wunder, dass du so von ihm geschwärmt hast. Und Humor hat er auch noch. Hihi, wieso ist er denn bei dir? Jetzt sag nicht, dass ihr die Nacht über zusammen wart..."

"Jo!", ist es an mir zu rufen. Vor Verlegenheit färben sich meine Wangen rot. Kyle jedoch beugt sich über meine Schulter, gebt mir einen Kuss auf den Wangenknochen und übernimmt das Sprechen für mich: "Natürlich waren wir die Nacht zusammen, schließlich kann ich mein Haustier nicht einfach allein lassen, nicht?"

"Aber wehe, ich komme Marc irgendwann besuchen und er hat sich Flöhe eingefangen!", droht Jo und man kann deutlich das Grinsen aus ihrer Stimme raushören.

"Ah, Sie haben recht. Komm, Marc, wir müssen ein Vorbeugebad wegen steigender Lausgefahr nehmen", grinst Kyle und leckt mir liebkosend über die Halsbeuge.

"Ihr seid unmöglich, Leute", meine ich und erschauere unter der feuchten Berührung. "Wir werden kein Bad nehme, die Dusche hat gereicht."

"Ui, ihr habt wohl nichts anbrennen lassen, was?", kichert Jo am anderem Ende der Leitung. Wenn es möglicht ist, werde ich noch röter.

"Würden wir niemals", antwortet ihr Kyle an meiner Stelle. "Aber entschuldigen Sie uns jetzt bitte, ich glaube es ist Zeit für den täglichen Gassigang."

Kopfschüttelnd knuffe ich Kyle so gut es geht in die Seite, als er das Telefon einfach ausschaltet und auf den Küchentisch stellt.

"'Täglicher Gassigang'...", wiederhole ich grinsend. Als würde ich den Weg zur Toilette nicht selbst finden.

"Man kann nie wissen", entgegnet Kyle gut gelaunt. Hach, wenn es nach mir ginge, dann würde jeder meiner Tage so aussehen.

Lächelnd drehe ich mich zu ihm, so dass meine Beine über seinen Oberschenkeln zum Liegen kommen und sehe ihn einen Moment einfach nur an. Von seinem Marmeladentoast abbeissend sieht er mich an. Er sieht zum Knuddeln aus.

Zufrieden seufzend wische ich ihm ein wenig Marmelade vom Mundwinkel und lecke sie mir vom Finger. "Wie lange kannst du noch hier bleiben?", möchte ich wissen.

"Eigentlich könnte ich den ganzen Tag, weil es ja Sonntag ist."

"Nur eigentlich?"

"Naja, Sonntag ist auch immer Kuchentag. Mit Levis. Sozusagen ein festgefahrenes Ritual."

Verwundert sehe ich ihn an. Bis eben wusste ich nicht einmal, dass es so etwas, wie 'Kuchentage' tatsächlich gibt. "Achso", sage ich ein bisschen enttäuscht. Am liebsten, würde ich ihn gar nicht mehr gehen lassen.

"Nicht traurig sein", mein er sogleich. "Wie wärs, wenn du einfach mit zu mir kommst, dann kannst du auch mal das Haus sehen, in dem Levis und ich wohnen und dich mit meinem Bruder versöhnen."

Ich grinse. "Also, das Versöhnungsgespräch mit deinem Bruder fand schon gestern am Telefon statt."

"Ja?", hakt Kyle nach und ich nicke bestätigend.

"Ja, also so halbwegs. Ich denke mal, jetzt sind alle Komplikationen aus dem Weg geräumt. Kein Grund zur Sorge mehr. Ich werde ihn auch nur ein ganz kleines bisschen erstechen", flachse ich.

"Ach, du." Kapitulierend schüttelt Kyle den Kopf und lächelt mich dann an. Für dieses Lächeln würde ich fast alles tun.
 

Schließlich greife ich aber nach meinem eigenem Toast, verschlinge ihn kurzerhand, stürze meinen Rest Kaffee herunter und springe auf. "Okay, wann soll es losgehen?" Ich bin sehr neugierig darauf Kyles Zuhause zu sehen.

Er lacht. "Jaja, ziehen wir uns doch erst einmal ordentlich an.

Den Vorschlag befinde ich für gut und kurz darauf stehe ich vor meinem Kleiderschrank und steige in eine bequeme Jeans, während Kyle hinter mir irgendwas vom Boden aufhebt. "Ach, du bist gar nicht schwul?", ertönt es von hinten und ich drehe mich irritiert um. Breit grinsend hält er mein rosa T-shirt mit der Aufschrift "No, I'm not gay" hoch. Peinlich berührt schnappe ich es ihm weg und stopfe es kurzerhand in meinen Schrank. "Ist schon älter, wollte es schon längst verschenken", murmle ich mit heißen Wangen in den Pullover, den ich mir schnell über den Kopf ziehe. Ich hätte dieses beschissene Shirt besser verstecken sollen.

Es dauert nicht lange und wir sind beide angezogen. Kyle hat sich wieder in die Sachen vom gestrigen Tag geworfen, in der festen Absicht, sie bei sich Zuhause zu wechseln. Zusammen sitzen wir in seinem Auto - nicht besonders neu, dafür aber gemütlich und mit wärmespendender Heizung ausgestattet - und fahren in einen der anderen Stadtteile, in denen ich mich nicht so gut auskenne. Allerdings kommt er mir dennoch ein bisschen bekannt vor, bis ich mich erinnere, dass hier in der Nähe Daniel wohnt. Ich war aber noch nicht so oft bei ihm und da ich selbst kein Auto habe kenne ich den Weg auch nur per Bahn. Was der Gute wohl gerade macht?

Mir bleibt keine Zeit noch länger darüber nachzudenken, denn Kyle tritt auf die Bremse und der Wagen hält vor einem irgendwie kuschelig aussehendem Häuschen.

"Hier wohnst du?", frage ich nach und deute darauf. Er folgt meinem Blick und schüttelt dann lächelnd den Kopf.

"Da hinten", meint er und weist auf die andere Straßenseite. Neugierig folge ich seinem Blick und stocke, als ich das Haus sehe, das Kyle gemeint hat. "Wi... wirklich?", will ich eingeschüchtert wissen.

"Ja", flötet er erheitert, schnallt sich ab und steigt aus. Ich mache es ihm nach, immer noch voller Ehrfurcht auf den prachtvollen Neubauten starrend, der sich Kyles Heim schimpft.

"Äh... was arbeitetst du eigentlich?", fällt mir bei diesem äusserst luxuriösen Anblick ein zu fragen. Er zieht mich an der Hand mit sich.

"Ich bin freiberuflicher Autor und Levis ist Anwalt", beantwortet er meine Frage.

"Freiberuflicher Autor?", hake ich erstaunt nach. "Von was für Büchern denn zum Beispiel?"

"Kennst du die Trilogie 'Der Sieg', die in den letzten Jahren raus gekommen ist? Die war von mir. Hab relativ früh mit dem Schreiben angefangen."

Vollkommen geplättet bleibe ich stocksteif stehen. "Du... du hast... diese... o Gott, ich glaube, ich brauche ein bisschen Zeit, um mich davon zu erholen."

"Alles okay?", will Kyle sofort wissen und zieht mich trotz steifer Beine von der Fahrbahn herunter, damit ich nicht plötzlich noch von einem vorbeirasendem Auto überfahren werde. Eigentlich ist hier aber ziemlich wenig Verkehr.

"Jaja, ich bin nur total..." Mir fehlen die Worte. Ich fasse es nicht. Mir fehlen NIE die Worte! "Äh... also... ich bin total überwältigt." Überwältigt trifft es zwar nicht ganz, aber so ungefär stimmt die Richtung.

Er lächelt erleichtert. "Wie haben sie dir denn gefallen?", erkundigt er sich.

"Sehr schön. Jo hat alle Bände im Regal stehen", murmle ich, auf das eindrucksvolle Haus starrend. In welchen Film bin ich denn hier gerutscht? Mein neuer Freund entpuppt sich als erfolgreicher Autor, lebt in einer supermodernen Villa und schreibt Bücher, während ich mich Zeit meines Lebens von einem Job zum nächsten gehangelt habe und erst am Donnerstag von einem Photoshop (!) gekündigt wurde. Wie viel Glück erträgt das menschliche Wesen?

Plötzlich gluckse ich los. "Ach du je!" Lächelnd drehe ich mich zu Kyle um und gebe ihm einen zärtlichen Kuss. "Sowas hätte ich nie erwartet. Mein neuer Freund ist praktisch ein Superstar!"

Er lacht. "Superstar? Wohl kaum."

"Für mich und meine Freunde schon", entgegne ich grinsend. "Jetzt kann ich richtig mit dir angeben."

Er runzelt die Stirn und murrt unwillig. Sofort weiß ich, was er denkt. "Ach, so doch nicht!", widerspreche ich seinen unausgesprochenen Gedanken. "Meinetwegen könntest du auch in irgendeiner Bruchbude wohnen und niemals ein Buch auf den Markt bringen. Es würde mich nicht interessieren. Schließlich habe ich mich ohne das Ganze hier in dich verliebt."

Seufzend lässt er sich überreden und gibt mir als Dankeschön seinerseits einen kleinen Kuss. "Gut."

"Aber eines interessiert mich doch", meine ich. "Wieso arbeitest du bei Selvall, wen du das gar nicht nötig hast?"

"Einfach so. Ich wollte es mal ausprobieren." Er zuckt mit den Schultern. "Aber jetzt lass uns mal reingehen. Langsam wirds kalt hier draussen."

Ich stimme ihm zu und gemeinsam betreten wir das Haus, in dem uns schon ein ziemlich überraschter Levis erwartet. Überrascht, weil ich dabei bin. Nach einigen kleinen Sticheleien einigen wir uns auf einen Waffenstillstand. Eigentlich ist das Ganze sowieso eher in die scherzende Ebene abgerutscht.

Mich erwarten in dem wirklich großem Haus noch einige Überraschungen, aber alles in allem bin ich ganz zufrieden und komme sogar dazu Kyle Milchbrei zu kochen. Levis auch, weil der ebenfalls da war und darauf bestand etwas abzukriegen, wenn ich schon so etwas leckeres machen würde. Zusammen vertilgten wir auch noch einige Stück Kuchen, was erklärte, warum dieser Tag 'Kuchentag' hieß und am Abend wurde ich ganz galant von Kyle vor meine Haustür gebracht. Es folgt der obligatorische, aber sehr, sehr wunderbare Abschiedskuss, bevor ich auf Wolke 7 schwebend in meine Wohnung gleite und ermattet, doch zufrieden in mein Bett falle.

Auf in die Zukunft.
 


 

+++
 


 

PS: Ich hoffe doch auf ein paar Kommentare, von denen, die diese Geschichte gelesen haben. Es ist frustrierend, wenn man keine Rückmeldung erhält und ich über Freunde davon erfahren muss, dass die Geschichte sehr wohl wahrgenommen wird!

Bitte denkt auch an mich und warum ich diese Story überhaupt hochlade. ^_~

Der Grund ist nämlich nicht jener, dass ich euch eine besonders große Freude machen will *g*, sondern dass ich auf Rückmeldungen hoffe, damit ich mich verbessern kann. :)

In diesem Sinne: Fröhliches reviewen.
 

Alles Liebe,

Nanashi alias Die Autorin.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von: abgemeldet
2007-05-31T16:45:52+00:00 31.05.2007 18:45
*kreisch*

geniaaaaaaaaaaaaal ^^

geile story *fiebs*
*knuddel* hast du subba gemacht *sabba*
*schmus*
hab dia scho bei yaoistories geKOMMIt *lööööööl* aba wollt dia einfach nochma sagen, dass mir deine charas richtig ans herz gewachsen is ^^
*schlabba*
klingt komisch..........is aba soooooooooooooo ^///^

bin übrigens de chino ^___^
*kuschel*
*cu*
*weg taps*
Von: abgemeldet
2007-05-18T17:53:27+00:00 18.05.2007 19:53
boah...du bist einfach irre!Das istja sowas von genial!schreib da unbedingt weiter!diese story ist einfach super!ich kann's kaum erwarten weiter zu lesen!du muss da unbedingt ganz schnell wieder ganz viele tolle sachen dazuschreiben und ich denke klein_kurai würd mir recht geben!

also..weiter so!
Von: abgemeldet
2007-03-04T00:03:52+00:00 04.03.2007 01:03
genial... jetzt ist er auch noch autor und reich und da hat marc ja wirklich das größte Los gezogen,das es gibt... *g*
immer weiter so... war echt ne gniale story und sehr gut geschrieben
Von: abgemeldet
2006-02-28T15:56:30+00:00 28.02.2006 16:56
^-^ kyaaah!! ich will weiterlesen!! ich hab die story mal einfach in einem gelesen und sie ist einfach nur GENIAL!! ^^ und natürlich wahnsinnig gut geschrieben... wann gehts denn weiter?? Ich will schon wissen ob er nun mit Kyle zusammenkommt,da Marc ja wohl nichts so gut mit seinem Bruder auskommt. Tehehe.. der muss ja was von Marc denken....^^'
also,ich hoffe doch es geht bald weiter!
lG


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